Süße Küsse in Athen

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Seit die schöne Gina in Athen aufgetaucht ist, fühlt der Reeder Mikos Christopoulos sich unbändig zu ihr hingezogen. Aber soll er dieser heißen Sehnsucht wirklich nachgeben? Instinktiv spürt er, dass Gina etwas vor ihm verbirgt … wie auch er nicht ganz ehrlich zu ihr ist!


  • Erscheinungstag 09.07.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751515191
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Von seiner Position neben der Orchesterbühne aus ließ Mikos seinen Blick durch den Raum schweifen und dann auf der jungen Frau ruhen, die sich gerade einen Weg zu Angelos Tisch bahnte. Wer war sie? Und wieso war sie ihm nicht schon vorher aufgefallen? Die Party war seit drei Stunden in vollem Gang, und erst jetzt, kurz vor Mitternacht, erregte diese Dame sein Interesse.

Sie schien allein zu sein und bevorzugte, ebenso wie er, ganz offensichtlich die Beobachterrolle auf dieser Veranstaltung, anstatt sich wie jeder gewöhnliche Partygast zu amüsieren. Der Unterschied war nur, er war gut in dem, was er tat. Nur wenige Menschen wussten, dass er mehr als nur Angelos Vizepräsident und engster Vertrauter war.

Sie ihrerseits bemühte sich zu sehr, unauffällig zu wirken. Wenn man sich im Hintergrund halten wollte, sollte man etwas weniger Aufsehenerregendes als dieses rauchig malvenfarbene, eng geschnittene Kleid in der Schattierung des Ägäischen Meeres wählen …

Ein letztes Mal ließ er seinen Blick durch den Festsaal schweifen. Dann nickte er einem Sicherheitsmann an der Tür flüchtig zu, stieg vom Podium herab und schlenderte auf die von Blumen halb verdeckte Fensternische zu, in die sich die Fremde zurückgezogen hatte.

Mit ihren dunklen Haaren und dunklen Augen hätte sie als Griechin durchgehen können, doch Mikos hatte sich lange genug im internationalen Jetset bewegt, um eine Europäerin zu erkennen, sobald sie seinen Weg kreuzte. Und diese Frau passte eindeutig nicht ins Bild. Spontan ordnete er sie als Amerikanerin ein und sprach sie an: „Kalispera. Ich glaube, wir sind uns nicht vorgestellt worden.“

Falls sie überrascht war, von einem Fremden angesprochen zu werden, ließ sie es sich nicht anmerken. „Da könnten Sie recht haben“, entgegnete sie gelassen und hielt seinem Blick stand. „Andererseits habe ich heute Abend kaum jemanden kennengelernt.“

Ihren Akzent wusste er nicht auf Anhieb einzuordnen, aber eines war sicher: Dieser Frau war er noch nie zuvor begegnet. Sie hatte ein Gesicht, das kein Mann so leicht vergessen konnte. „Erlauben Sie mir, diesen Umstand zu ändern. Ich bin Mikolas Christopoulos.“ Und meine Aufgabe ist es, alles über sie herauszufinden, was es herauszufinden gibt, fügte er in Gedanken hinzu.

„Es freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. Christopoulos“, entgegnete sie höflich. „Ich bin Gina Hudson.“

„Und Sie sind keine Amerikanerin.“

„Nein“, bestätigte sie mit einem melodischen Lachen, das die musikalische Kompetenz des Orchesters buchstäblich in den Schatten stellte. „Ich bin Kanadierin. Ist das ein Problem für Sie?“

In Gedanken ging er die Gästeliste durch und war sich so gut wie sicher, dass niemand aus Kanada offiziell eingeladen war. „Natürlich nicht. Mit wem sind Sie hier?“

„Mit niemandem. Ich bin allein hier und gehe einem Auftrag nach.“

Also arbeitete sie. Das konnte natürlich sein, allerdings war er sicher, dass sie nicht bei Tyros angestellt war. Angelo war ein Macho der alten Schule und stellte so gut wie nie Frauen ein. Andererseits beschäftigte er sie, trotz seiner achtzig Jahre, mit Begeisterung in anderer Hinsicht … Sollte diese Dame etwa seine besondere Aufmerksamkeit erregt haben?

Dieser Gedanke missfiel Mikos. „Worum handelt es sich bei diesem Auftrag?“, erkundigte er sich etwas zu scharf und schob sie dabei geschickt aus Angelos Sichtfeld.

„Ich schreibe einen Artikel für ein Magazin, das in Vancouver verlegt wird. Falls Sie es nicht wissen, Vancouver liegt an der Westküste von …“

„Mir ist Vancouver wohlbekannt“, unterbrach er sie gelassen. „Ich arbeite für Hesperus International. Und wie Ihnen bekannt sein dürfte, gehört das Unternehmen unserem Ehrengast am heutigen Abend. Für zwei unserer Kreuzfahrtschiffe führt die Sommerroute von Vancouver aus nach Alaska. Vancouver ist eine wunderschöne Stadt.“

„Allerdings.“ Sie strahlte. „Atemberaubend, um genau zu sein.“

Genau wie du, erwiderte er im Stillen. Von Weitem hatte sie schon anziehend auf ihn gewirkt, aber aus der Nähe betrachtet, war ihre Wirkung noch um einiges stärker. Eine umwerfend hübsche Brünette mit einer Sanduhrfigur und honigfarbener Haut. Und dieses Lächeln!

Mikos konnte sich nicht daran erinnern, ob ihn das Lächeln einer Frau jemals so sehr aus der Fassung gebracht hatte. Es fiel ihm schwer, nicht spontan die Hand auszustrecken, um zu fühlen, ob ihre Haut ebenso seidig wie ihr glänzendes Kleid war.

„Mich wundert, dass Menschen aus Vancouver überhaupt auf diese Feier aufmerksam werden, ganz zu schweigen davon, dass es Sie interessieren könnte. Wie kam es zu Ihrem Auftrag?“

„Wir mögen Ihnen wie Hinterwäldler erscheinen, Mr. Christopoulos“, begann sie tonlos, „aber wir haben dennoch einen ganz guten Kontakt zum Rest der Welt. Angelo Tyros ist eine weltweit bekannte Persönlichkeit, und seine Geburtstagsfeier zum Achtzigsten hat internationales Interesse erregt. Gemessen an Vancouvers großer griechischer Gemeinde und der Tatsache – die Sie ja bereits deutlich gemacht haben –, dass zwei von Tyros’ Kreuzfahrtschiffen regelmäßig dort im Hafen liegen, sollte unser mediales Interesse wohl kaum überraschen.“

Mit einem schnellen Seitenblick stellte Mikos fest, dass ihre perlenbestickte Handtasche groß genug war, um ein Diktafon oder ein Notizbuch zu enthalten. „In der Tat kann er mit einem Wimpernschlag für Aufsehen sorgen“, gab er zu. „Aber eine so lange Reise für so eine kleine …“

„Dem stimme ich zu“, warf sie kühl ein. „Deshalb verbinde ich die Pflicht mit dem Vergnügen und bleibe nach vollendeter Arbeit noch ein oder zwei Wochen hier, um mir die griechischen Inseln anzusehen.“

Sie klang so überzeugend, dass er ihr beinahe geglaubt hätte. Aber für beinahe wurde er nicht bezahlt: Er musste sich stets einhundert Prozent sicher sein. Nicht weniger wurde von Angelo erwartet, und im Übrigen gab es schon mehr als genug Bedrohungen für Leib und Leben des alten Mannes.

Auf keinen Fall würde Mikos es riskieren, ihn einer weiteren auszusetzen, selbst wenn diese Bedrohung buchstäblich in Samt und Seide daherkam. Denn gerade in dieser Verkleidung waren Risiken am gefährlichsten.

Entschlossen führte er Gina an ein paar aufdringlichen Fotografen vorbei. „Nichtsdestotrotz ist diese Party für Menschen gedacht, die sich amüsieren sollten“, sagte er in einem Brustton der Überzeugung. „Auch wenn Sie, wie wir beide, nicht nur zu Ihrem Vergnügen hier sind. Deshalb meine ich, wir sollten für einen Moment die Arbeit vergessen und tanzen gehen.“

„Sind Sie sicher, dass Ihr Boss nichts dagegen hat?“

Er sah kurz zu dem Tisch hinüber, an dem Angelo saß und gerade in diesem Augenblick in den Ausschnitt einer Frau blickte, die sich über seine Schulter beugte. „Er wird es kaum bemerken.“

Mit verkniffener Miene folgte Gina seinem Blick. „Sie haben anscheinend recht.“

„Dann lassen Sie uns keine Zeit verlieren.“

Sie zögerte nur einen Sekundenbruchteil. „Gut. Ich würde gern tanzen.“

„Die können Sie guten Gewissens hierlassen“, wandte er galant ein und streifte ihre Handtasche von ihrer Schulter. Dann versteckte er die Tasche mit einer Handbewegung hinter den Stofffalten eines Wandbehangs. „Hier ist sie sicher.“ Er tauschte einen Blick mit Theo Keramidis, einem offiziellen Sicherheitsbeauftragten, der einige Meter entfernt von ihnen stand. Dann legte er einen Arm um Ginas Taille und geleitete sie in die Mitte der Tanzfläche.

Die Musik schwoll an, und die vielen Leute um sie herum zwangen Mikos und Gina regelrecht dazu, sich dicht aneinander zu drängen. Es ging gar nicht anders – eine flüchtige Berührung hier, eine gefährlich erotische dort.

Mikos hatte nichts dagegen. Seine Pflicht hatte er erfüllt, und so genoss er den Moment in vollen Zügen, und wenn es nach ihm ging, hätte der Augenblick endlos sein können.

Von Anfang an knisterte es zwischen ihnen. Ein Knistern, das es nur zwischen Mann und Frau geben konnte, das war offensichtlich. Er war in seinem Leben vielen Frauen begegnet und kannte den schnell entflammbaren Reiz einer kurzen Affäre nur zu gut. Aber seine emotionale Reaktion auf diese spezielle Frau war anders und deutete auf eine tiefere Verbindung zwischen ihnen hin, die über das gewöhnliche Maß hinausging. Gina Hudson war einfach anders. So anders, dass er mit der Beachtung ihrer Einzigartigkeit leicht seine professionelle Integrität in Frage gestellt sah.

Und etwas Derartiges gestattete er sich niemals, ganz gleich, wie reizvoll die Ablenkung sich ihm darstellte. Das Vernünftigste wäre es, er würde sie an ein unvoreingenommenes Mitglied seines Teams verweisen, damit es sich ihrer annehmen konnte. Trotzdem zog er Gina enger an sich, als das Orchester in einen langsameren Walzertakt wechselte.

Sie war so zierlich, dass er mit einer Hand den Bereich zwischen Hüfte und Schulter bis hin zum oberen Abschluss ihres Abendkleids umspannte. Schob er seine Hand nur einen Zentimeter nach oben oder nach unten, konnte er mit dem Daumen ihre Haut oder mit dem kleinen Finger die begehrenswerte Rundung ihrer Hüfte ertasten. Und schob er seinen Arm noch enger um sie, berührten seine Fingerspitzen seitlich ihre Brüste …

Diese Erkenntnis schickte eine unerträgliche Hitzewelle in seine Lendengegend und ließ ihn für einen Sekundenbruchteil die Umsicht vergessen, für die er so berühmt war.

Vollkommen blind für seinen Ausnahmezustand strahlte Gina ihn unter dichten Wimpern an. „Kommen Sie aus Athen, Mr. Christopoulos?“

„Nein“, presste er hervor. „Ich bin in einem kleinen Dorf im Nordwesten dieses Landes geboren. Und bitte nennen Sie mich Mikos. Mein richtiger Vorname ist Mikolas, aber ich bevorzuge Mikos.“

Um einen Zusammenstoß mit einem älteren Paar zu verhindern, machte er mit Gina im Arm eine schnelle Drehung rückwärts. Nach der Art, wie sie seiner Bewegung ohne zu zögern folgte, hätten sie schon seit Jahren ein eingespieltes Tanzpaar sein können. Das sanfte Rascheln ihres Seidenkleids und das Gefühl ihrer Brüste an seinem Oberkörper raubten ihm die Sinne.

Die Musik verstummte. „Also, was gibt es noch über Gina Hudson zu wissen?“, erkundigte er sich etwas zu aufgesetzt. „Womit verbringen Sie Ihre Zeit, wenn Sie nicht für Ihr Magazin schreiben?“

Ein flüchtig gequälter Ausdruck huschte über ihr Gesicht, den sie eilig mit einem hellen Lachen überspielte. „Nichts Aufregendes, befürchte ich.“

Dafür bist du es umso mehr, schloss er im Stillen. Mit einer Hand auf ihrem Rücken geleitete er sie zurück zu ihrer Handtasche.

„Wie lange leben Sie schon in Athen?“, fragte sie – ganz offensichtlich, um von sich selbst abzulenken.

„Ich kam als Teenager hierher, um zu arbeiten.“ Er musste bei dem Gedanken an jene aufregende Zeit lächeln. „Mit anderen Worten: Es ist schon wahnsinnig lange her.“

Sie sah aus dem Fenster auf den Straßenverkehr der Vassilissis Sofias hinunter und schnitt eine Grimasse. „Macht Ihnen das Tempo dieser Stadt gar nichts aus? Der Lärm und die ganze Verschmutzung?“

„Nicht solange ich dem von Zeit zu Zeit entfliehen kann. Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie nicht viel vom Stadtleben halten?“

„Seinerzeit schon. Aber heute lebe ich im Haus meiner Familie auf den Golfinseln.“

Das überraschte ihn. Er hätte sie auf Anfang zwanzig geschätzt – ein bisschen zu alt, um noch bei den Eltern zu wohnen, aber definitiv zu jung, um sich auf einer einsamen Insel abzuschotten. „Ich habe selbst ein kleines Plätzchen vor der Küste“, sagte er beiläufig und warf seinem Kollegen Theo einen unauffälligen Blick zu, den dieser mit einem kaum merklichen Kopfnicken quittierte, „und dann noch ein Apartment hier in Lykabettos Hill.“

„Das sagt mir nichts. Leider kenne ich mich in dieser Stadt überhaupt nicht aus.“

Genau wie er erwartet hatte. Vom Nebentisch her ertönte lautes Gelächter, und so musste er sich ihrem Ohr nähern, damit sie ihn verstehen konnte. Dabei atmete er tief ihr zartes Parfum ein. „Warum besorgen wir uns nicht ein paar Drinks und gehen auf die Dachterrasse des Hotels? Dann kann ich Ihnen einen Überblick über die Stadt geben. Obendrein ist es dort viel ruhiger, und man kann sich unterhalten, ohne schreien zu müssen.“

Darüber dachte sie einen Moment lang nach und legte dann den Kopf schief. „Hier ist es wirklich ziemlich laut.“

„Warten Sie hier, ich bin sofort zurück!“

An der Bar gesellte sich Theo zu ihm. „Nun? Was hast du in der Tasche gefunden?“, fragte Mikos.

„Nichts Auffälliges“, antwortete der Sicherheitsbeauftragte. „Einen gültigen Presseausweis, ein wenig Bargeld und den üblichen Mädchenkram: Kamm, Lippenstift, Spiegel, Pfefferminzbonbons, so was eben.“ Er klopfte gegen die Außentasche seines Jacketts. „Oh, und ihren Hotelzimmerschlüssel. Die altmodischen mit der eingravierten Zimmernummer“, fügte er abfällig hinzu.

„Presseausweis, wie? Sie behauptete auch, für ein Magazin zu schreiben.“

„Sieht aus, als hätte sie die Wahrheit gesagt. Oder nicht?“

„Sieht so aus.“ Seine plötzliche Erleichterung war natürlich zu vorschnell, aber Mikos konnte nicht anders. „Gute Arbeit, Theo. Kommst du eine Weile ohne mich aus?“

Theo machte keine Anstalten, sein freches Grinsen zu verbergen. „So lange wie es dauert herauszufinden, in welchem Hotel sie abgestiegen ist.“

Der Ausblick vom Dach des Grande Bretagne war beeindruckend. Das elegante alte Hotel befand sich direkt am Rand eines der reichsten Viertel des Stadtzentrums und überblickte Syntagma Square, das griechische Parlament und die Nationalgärten. Zu Fuß konnte man von hier aus verschiedene Sehenswürdigkeiten erreichen, allen voran natürlich die Akropolis und den Präsidentenpalast.

Unter normalen Umständen hätte sie diese interessanten Informationen buchstäblich aufgesogen, aber in diesem Augenblick fiel es ihr außerordentlich schwer, sich zu konzentrieren. Zu sehr irritierte sie das Gefühl, wie der Ärmel von Mikos Christopoulos’ Smoking ihren nackten Arm streifte.

Mikos stand dicht neben ihr, sehr dicht, und blies beim Sprechen seinen Atem in ihr Haar. Seine Stimme, schwarz wie die Nacht und verführerischer als Schokolade, bezauberte sie mit ihrem exotischen Akzent. Seine enorme maskuline Ausstrahlung umwebte sie mit einem Netz von sexueller Anspannung, und Gina fühlte sich wie ein Schmetterling, der rettungslos gefangen war.

Offenbar war sich Mikos seiner Wirkung auf sie nicht bewusst, denn er deutete ungerührt auf einen Häuserblock östlich des Hotels. „Dort unten ist Kolonaki, eine der begehrtesten Gegenden Athens. Es wird oft als Botschaftsviertel bezeichnet, verfügt allerdings auch über jede Menge Gewerbeflächen und einige exklusive Apartmenthäuser.“

„Aber dort wohnen Sie nicht, oder doch?“, fragte sie abwesend und bemühte sich verzweifelt, dabei einigermaßen vernünftig zu klingen. „Im Ballsaal sprachen Sie von einem anderen Stadtteil.“

„Richtig, Lykabettos Hill.“ Er legte seine warmen Hände auf ihre Schultern und drehte sie behutsam ein Stück zur Seite. „Man kann es gut von hier aus erkennen. Dort! Aber ich arbeite in Kolonaki, im Tyros-Bürokomplex.“

Die Erwähnung von Tyros’ Namen riss Gina in die Gegenwart zurück, und sie erinnerte sich an das, was sie überhaupt nach Griechenland geführt hatte. In möglichst neutralem Ton fragte sie: „Wie lange arbeiten Sie schon für ihn?“

„Fast mein halbes Leben, aber nicht die ganze Zeit über in meiner heutigen Position.“

„Dann kennen Sie ihn gut?“

„So gut wie jeder andere, ja.“

„Was für ein Mann ist er? Ich meine, abgesehen von seinem Reichtum und seiner Berühmtheit.“

Über diese Frage dachte Mikos eine Weile nach, bevor er antwortete: „Unzerstörbar. Wie Sie wissen, ist er gerade achtzig Jahre alt geworden, aber er ist noch immer ein Vorstandsvorsitzender, der die Zügel selbst in der Hand hält. Jeden Morgen um neun sitzt er an seinem Schreibtisch, und dasselbe erwartet er auch von allen anderen. Er ist außerordentlich stolz auf die Tatsache, dass er in seinem ganzen Leben noch keinen Arbeitstag verpasst hat. Nicht als seine Frau starb und auch nicht als sein einziger Sohn vor etwa dreißig Jahren bei einem Autorennen ums Leben kam.“

Das passt zu ihm, dachte Gina verbittert. Wen kümmert die Familie, wenn man in der Zeit noch mehr Geld scheffeln kann? „Und einen solchen Mann bewundern Sie?“

„Ich respektiere ihn, ich bin ihm dankbar, und ich mag ihn sehr, sehr gern. Vielleicht stimmen wir mit unseren Ansichten oder Entscheidungen nicht immer überein, aber ohne Angelo Tyros wäre ich heute nicht da, wo ich bin.“

Genau wie meine Mutter! fluchte Gina innerlich.

Ihre Missbilligung war ihr offensichtlich anzumerken, denn Mikos legte fragend den Kopf schief, um sie genauer betrachten zu können. Dabei fiel ihr auf, dass seine Augen nicht dunkelbraun waren, wie sie es bei einem Mann erwartet hatte, der in jeder anderen Hinsicht dem Stereotypen eines griechischen Gottes entsprach. Sie waren hell und grün, umrahmt von dichten schwarzen Wimpern, und strahlten eine betörende Intelligenz aus. Diesem Mann konnte man nicht so leicht etwas vormachen.

Daran werde ich stets denken, nahm sie sich vor und wandte ihren Blick ab, um sich in den Tiefen seiner Augen nicht zu verlieren. Wenn ich meine Karten richtig ausspiele, kann Mikos mich Angelo Tyros vorstellen.

Ohne Mikos’ Hilfe hatte eine unbedeutende Reporterin wie sie nicht die geringste Chance, auch nur in die Nähe des alten Mannes zu gelangen. Seine Armee von Einschmeichlern würde sie daran hindern, sobald sie wieder einen Fuß in den Ballsaal setzte.

Er interpretierte ihr Schweigen als Ablehnung und sagte: „Falls ich den Eindruck vermittelt habe, er wäre ein gefühlloser, kalter Knochen, dem mehr an seiner Macht als an den Menschen liegt, lassen Sie mich das bitte korrigieren. Tyros kann ausgesprochen großzügig und freundlich sein.“

„Ich werde das im Hinterkopf behalten, wenn ich meinen Artikel schreibe.“

Seine Stimme wurde tiefer, wie eine Welle warmen Wassers umspülte sie Gina und raubte ihr die Orientierung. „Und ich werde diese Nacht und vor allem diesen Moment immer im Gedächtnis behalten“, raunte er.

„Warum?“, wisperte sie leise.

Wieder umfasste er mit seinen warmen Händen ihre Schultern, nur dieses Mal, um seine Hände an ihrem Hals hinaufgleiten zu lassen. „Wir beide wissen warum, calli mou.“

Nun, sie wusste es nicht, nicht wirklich. Natürlich war ihr klar, und zwar vom ersten Augenblick, nachdem sie die Terrasse betreten hatten, dass er sie küssen würde. Ebenso klar war ihr, dass sie diesen Kuss erwiderte. Ganz ungeachtet irgendwelcher strategischen Absichten war er so schön wie der sprichwörtliche griechische Gott und so charmant, dass es einem die Sprache verschlagen konnte.

Es war lange her, seit sie sich zum letzten Mal begehrt gefühlt hatte. Nur fragte sie sich, warum er ausgerechnet sie ausgewählt hatte. Im Ballsaal wimmelte es von atemberaubend schönen Frauen in den aufregendsten und modernsten Abendkleidern.

Ginas Kleid dagegen war schon fünf Jahre alt und wäre auch seinerzeit nicht als Designerstück betrachtet worden. Und im Gegensatz zu den anderen Damen, die über und über mit kostbaren Juwelen behängt waren, trug sie selbst nur eine auffällige purpurfarbene Modeschmuckkette, mit der sie sich schon als kleines Mädchen verkleidet hatte.

Eigentlich war es nur noch der Anhänger, den sie mühsam auf Hochglanz poliert hatte. Die Kette selbst war längst zerrissen, und so trug Gina den Anhänger an einem schwarzen Samtband. Das sah elegant aus und war dem Anlass entsprechend optisch durchaus angemessen, allerdings konnte diese Kreation nicht mit dem echten Schmuck der anderen Frauen konkurrieren.

Warum hat Mikos Christopoulos sich also ausgerechnet Gina ausgesucht, in dieser Gesellschaft nur ein Niemand aus Kanada, ohne nennenswerte Abstammung, ohne Einfluss und ohne Geld?

„Das beantwortet wohl kaum meine Frage, Mikos“, brachte sie mühsam hervor und sah ihm tief in die Augen.

Er lächelte. „Ach nein? Vielleicht beantwortet das alle deine Fragen.“ Mit diesen Worten senkte er den Kopf und küsste sie unendlich zärtlich auf den Mund.

Gina musste sich an ihn klammern, sonst wäre sie wohl hilflos zu Boden gestürzt – so sehr brachte sie sein Kuss aus dem Gleichgewicht. Etwas Vergleichbares hatte sie noch nie erlebt. Wie schaffte es ein Mann, etwas so Einfaches wie einen Kuss in ein ultimatives Instrument der Verführung zu verwandeln?

Das war verrückt! Sie spürte im Inneren ihrer Weiblichkeit eine schmerzhafte Sehnsucht, wie sie sie nie zuvor empfunden hatte. Hilflos stieß sie einen heiseren Laut aus, der von seinen Lippen aufgefangen wurde.

Mit bebenden Händen schob sie ihre Finger in sein Haar und öffnete ihren Mund, damit sie endlich seine Zunge spüren konnte.

Denk daran, warum du hier bist! warnte sie eine innere Stimme. Du bist nicht den ganzen Weg nach Griechenland gereist, nur um Sex zu haben!

Aber wenn der Sex sich zu etwas Wundervollem und Einzigartigem entwickelte? überlegte sie verwegen. Nein, welche Frau ließ ihre Mission außer Acht, nur weil ein Fremder sie eines zweiten Blickes würdigte?

Allerdings schien es bei ihnen beiden nicht bloß um Sex, sondern um eine Anziehungskraft ganz anderer Art zu gehen. Gina würde sogar von Magie sprechen, obwohl das nach der kurzen Zeit, die sie sich kannten, an Wahnsinn grenzte.

Ich habe Instinkte, und denen werde ich vertrauen, dachte sie verträumt.

Haben dir deine Instinkte auch befohlen, deine Mutter allein in den Händen Fremder zu lassen? spottete ihr Gewissen und wirkte damit auf sie wie ein Eimer Eiswasser.

Energisch machte sie sich von Mikos los und schob ihn mit beiden Händen von sich. „Ich kann das nicht tun. Es ist nicht richtig.“

Seine Augen funkelten in der Dunkelheit und ließen keinen Zweifel daran, dass er sich nur mit großer Anstrengung zurückhielt. „Wie kann es falsch sein, agapiti mou, wenn ich dich so unwiderstehlich finde? Wir sind frei, unseren Herzen zu folgen, oder etwa nicht? Bist du jemand anderem verpflichtet?“

Autor

Catherine Spencer

Zum Schreiben kam Catherine Spencer durch einen glücklichen Zufall. Der Wunsch nach Veränderungen weckte in ihr das Verlangen, einen Roman zu verfassen. Als sie zufällig erfuhr, dass Mills & Boon Autorinnen sucht, kam sie zu dem Schluss, diese Möglichkeit sei zu verlockend, um sie verstreichen zu lassen. Sie wagte...

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