Tausend Sterne über der Oase der Liebe

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Wie erstarrt blickt Inez dem Reiter entgegen, der ihr unter der gleißenden Sonne entgegengaloppiert. Eine erneute Gefahr für sie? Denn die Karawane, mit der sie die Ausgrabungsstätte, die sie leitet, erreichen wollte, hat sie kurzerhand in der Wüste ausgesetzt. Doch der Fremde rettet sie: Prinz Zaid Alzadikh bringt Inez in seinen Palast, wo man sie aufmerksam umsorgt. Wo es heiß zwischen ihnen knistert und Inez sich auf seidenen Kissen in Zaids Gemach wiederfindet! Ein königliches Liebesglück – bis Inez von Zaids Verlobung mit einer Prinzessin erfährt …


  • Erscheinungstag 17.09.2024
  • Bandnummer 192024
  • ISBN / Artikelnummer 0800240019
  • Seitenanzahl 144

Leseprobe

1. KAPITEL

Unvermittelt hielt Inez inne. War es das wert? Wenn sie die Wohnung jetzt betrat, würde sie Zeugin von etwas Unangenehmem werden. Schon seit einigen Wochen spürte sie, dass etwas mit ihrer Beziehung nicht mehr stimmte.

Das ungute Gefühl verstärkte sich, als sie den Schlüssel ins Schlüsselloch steckte. Knirschend drehte er sich im Schloss, die Tür öffnete sich. Angespannt lauschte Inez in den Flur. Nichts. Hatte sie sich alles nur eingebildet?

Dann hörte sie das Geräusch. Es kam von rechts. Auf leisen Sohlen tappte sie durch den Flur, über den flauschigen Teppich, den Steven und sie erst im letzten Monat angeschafft hatten, und lauschte mit angehaltenem Atem an der Tür zum Schlafzimmer.

Der Teppich unter ihren Füßen leuchtete seltsam intensiv in einem tiefen dunklen Rot. Wieso rot? Rot bedeutet Stopp! fuhr es Inez durch den Sinn. Aber da lag ihre Hand schon auf der Klinke, drückte sie hinunter, stieß ihr Fuß gegen die Tür und ließ sie aufschwingen …

Das Bild, das sich ihr bot, war erwartet und dennoch ein Schock. Zwei Menschen lagen dort im Bett, eng ineinander verschlungen, von denen einer definitiv nicht da hingehörte: Stevens supersexy Sekretärin Claire.

Fassungslos taumelte Inez zurück, rempelte gegen den Sessel, der hinter ihr im Flur stand, und fiel rücklings hinein. Der Sessel hatte seltsamerweise sehr enge Armlehnen und klemmte sie ein, außerdem ruckte und rüttelte er sonderbar, als würde im selben Moment ihr ganzes Leben durcheinandergeschüttelt …

Erschrocken fuhr Inez hoch. Anscheinend war sie in einen kurzen Schlaf gefallen und hatte dadurch den Landeanflug verpasst. Das Flugzeug hatte bereits aufgesetzt und raste über die Landebahn, wobei es holperte und schwankte, bis der Pilot die Schubumkehr einschaltete und scharf abbremste. Unvermittelt wurde Inez in den engen Sitz zurückgepresst.

Der winzige Flughafen in Maghribir hatte nur sehr kurze Rollbahnen. Denn die Sandstürme, die hier zu dieser Jahreszeit häufiger auftraten, verlegten oft die umliegenden Dünen und sorgten dafür, dass die Pisten mühsam wieder freigeschaufelt werden mussten. Es war eine einfache Rechnung: Je länger die Bahnen, desto mehr Arbeit. Deshalb hatten die Piloten, die hier landen durften, eine Sonderlizenz vom Militär und gingen mit der harten Bremsung jedes Mal ein zusätzliches Risiko ein.

Der Flughafen lag mitten in Bandhrazar–al–Sahrar, dem „Land der großen Weite“, womit die Wüste gemeint war. Im Nachbardistrikt Bandhrazar–al–Sahil wäre das Landen einfacher gewesen, dort brauchten die Piloten keine Sonderlizenz. Aber wenn Inez in Bandhrazar–al–Sahil gelandet wäre, hätte das ihren anschließenden Reiseweg um mindestens zwei Tage verlängert, denn ihr Ziel war die Ausgrabungsstätte von Alt Zadikhapur, die in der Wüste lag.

Um diese geheimnisvolle Stadt rankten sich wundersame Geschichten. Unfassbar schön soll sie gewesen sein und gleichzeitig ein Meisterwerk antiker Stadtplanung, mit reichverzierten Häusern und prachtvollen Grünlagen, in denen Zehntausende von Schatten spendenden Bäumen gestanden hatten, mit unzähligen Wasserspielen, die die Parks frisch hielten, und schmalen Bächen, die weit über die Stadtgrenzen hinaus sogar die umliegenden Felder bewässerten.

Nicht erst seit Kurzem fragte sich die Wissenschaft, wie es den Menschen damals gelungen war, die blühende Metropole inmitten der Wüste dauerhaft so grün zu halten. Und seit das exotische Bandhrazar vor knapp einem Jahr angekündigt hatte, sich der Moderne zu öffnen, und das Königshaus von Bandhrazar die Hochzeit des ältesten Prinzen in internationaler Öffentlichkeit in Venedig zelebriert hatte, hatte sich die Zahl der Neugierigen verzehnfacht, die als Besucher hierherkamen. Die Tourismusindustrie von Bandhrazar erlebte gerade einen Aufschwung.

Auf die Reise hatte sich Inez gefreut. Genau genommen handelte es sich nicht um einen Urlaub, sondern um einen Studienaufenthalt. Es war der sprichwörtliche Sechser im Lotto: Vor wenigen Wochen hatte die Uni in London bei ihr angefragt, ob sie im Rahmen ihres Forschungsprojekts über antike Bewässerungssysteme als Vertretung für eine verhinderte Doktorandin zu einer Ausgrabung nach Bandhrazar fahren wolle. Diese Chance nicht zu ergreifen, wäre dumm gewesen, auch wenn es bedeutete, für mehrere Wochen von Steven getrennt zu sein, mit dem Inez erst vor einem halben Jahr zusammengezogen war.

Aber seit vorgestern war diese Beziehung ohnehin Geschichte. Eine neue Woge des Schmerzes überrollte Inez, während sie beobachtete, wie das Flugzeug langsam zum Stehen kam und eine Fahrgastbrücke an das Flugzeug geschoben wurde. Steven war seit vorgestern nur noch eine Episode in ihrem Leben, denn noch am selben Tag, als ihre Vermutung zur Gewissheit geworden war, hatte Inez ihre Sachen gepackt und war zu ihrer Freundin Ashleigh gezogen.

Fahr zum Teufel, Steven Taylor! Die Beziehung zu beenden, war das einzig Richtige gewesen. Ihr überstürzter Auszug aus der gemeinsamen Wohnung hatte allerdings dazu geführt, dass sie nun eine Woche zu früh in Bandhrazar gelandet war, denn eine ganze Woche hatte sie ihre Freundin Ashley nicht mit ihrem Kummer belasten wollen. Schlimm genug, dass sie sich erneut von einem Mann hatte täuschen lassen, einem Mann, den sie eigentlich nur hatte retten wollen: aus seiner seelischen Misere, seiner gefühlten Unzulänglichkeit und seiner Selbstzerfleischung.

Die mit einer ziemlichen Selbstüberschätzung einhergegangen war. Wie hatte sie das zum wiederholten Male übersehen können? Männer, die an die Empathie und Hilfsbereitschaft von Frauen appellierten, aber zum heulenden Elend wurden, sobald in ihrem eigenen Leben mal etwas schiefging, die Frauen ausnutzten und sie am Ende zum Dank nach Strich und Faden betrogen: Wieso war sie erneut an so ein Exemplar geraten?

Der Flughafen war klein, aber mit modernster Klimatechnik ausgestattet, die so leise lief und so gut versteckt war, dass Inez nicht ausmachen konnte, woher der feine erfrischende Windzug kam. Der Boden der gesamten Halle war mit glänzendem grünem Marmor bedeckt. Beeindruckt betrachtete Inez die hohen Deckengemälde, die kunstvoll ausgearbeiteten Intarsien in den Wänden, die eleganten geschwungenen Treppen … In Europa sah man so einen Prunk nur in den großen alten Königshäusern, in Versailles oder Sanssouci. Und hier schmückte man schon einen unbedeutenden Provinzflughafen so aus?

Man musste ihr das Staunen ansehen, denn eine Gruppe weißgewandeter Männer war stehen geblieben. Die Männer musterten sie mit einem ironischen Lächeln, wobei der Blick einzelner recht unverfroren über ihre Figur glitt. Natürlich hatte sie sich zuvor über die Landessitten informiert und trug ein einfach geschnittenes Reisekleid aus hellem Leinen, das sowohl ihre Schultern bedeckte als auch bis über die Knie reichte. Trotzdem empfand sie die Blicke der Männer als unangenehm aufdringlich. Lag das vielleicht an ihren blonden Haaren, die sie zwar zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst hatte, deren Farbe hier aber trotzdem Aufsehen erregte?

Verlegen kramte sie ein leichtes cremefarbenes Tuch aus ihrem Handgepäck, das sie sich um den Kopf band. Die wenigen Frauen, die sie hier im Flughafengebäude sah, trugen allesamt Schleier, unter denen nur vereinzelt schwarzglänzende Strähnen hervorschauten. Warum? Waren Schleier in Bandhrazar nicht abgeschafft worden? Inez meinte, davon gelesen zu haben. Irritiert wuchtete sie ihren großen Rollkoffer zur Seite, um erstmal aus dem Blickfeld der Männer zu kommen.

So einfach war das hier wohl doch nicht. Andererseits war sie nicht hergekommen, um nach nur wenigen Minuten schon wieder den Kürzeren zu ziehen. Gerade hatte sie wieder nach ihren alten Mustern reagiert, war zur Seite gegangen und hatte denjenigen das Feld überlassen, die sie provozierten. Das musste aufhören.

Das Problem war jetzt allerdings erstmal die Weiterreise. Zwar lag der Flughafen von Maghribir um einiges näher an der Ausgrabungsstätte als der große Flughafen im Nachbardistrikt Bandhrazar–al–Sahil, aber niemand vom Forscherteam rechnete schon heute mit ihr. In ihrer Aufregung hatte sie vergessen, das Ausgrabungsteam über ihre vorzeitige Ankunft zu informieren. Das jetzt noch zu tun, wäre ihr peinlich gewesen, jemand hätte seine Arbeit unterbrechen müssen, um für Stunden unterwegs zu sein, und ein Auto wäre ungeplant für mindestens einen Tag nicht anderweitig verfügbar gewesen. Das konnte bei Ausgrabungen, wo freigelegte Objekte sofort vor der sengenden Sonne geschützt werden mussten, problematisch werden.

Deshalb hatte Inez im Flugzeug beschlossen, sich allein zur Ausgrabungsstätte durchzuschlagen. Ein großes internationales Team arbeitete dort, es kamen öfter neue Wissenschaftler an oder fuhren ab, ganz unbekannt konnte der Weg also nicht sein. Allerdings wurde ihr jetzt klar, dass sie hier, mitten in der Wüste, nicht auf ein entwickeltes Straßennetz bauen konnte. Gab es in Bandhrazar überhaupt so etwas wie öffentlichen Nahverkehr, gab es befestigte Straßen? Oder nur Sandpisten? Wie viel bezahlte man eigentlich für eine private Fahrt mit einem Jeep? Geld in der Landeswährung hatte sie in London eingetauscht, fünf Pfund entsprachen einem Bandhri, aber was bedeutete das schon? Inez hatte keine Ahnung von den hiesigen Preisen, abgesehen davon durfte sie als Frau in Bandhrazar gar nicht allein Auto fahren, geschweige denn sich einen Leihwagen mieten. Gab es hier so etwas wie einen Taxiservice? Und falls ja: Durfte sie, so allein als Frau, einfach zu einem fremden Mann ins Auto steigen?

Fragen über Fragen.

Aber kein Grund, sich gleich wieder hilflos zu fühlen, Inez Montgomery! Hattest du dir nicht vorgenommen, ab jetzt in einen neuen Modus zu schalten?

Ja genau, eine moderne, junge, selbstbewusste westliche Frau wollte sie ab jetzt sein, die sich nicht mehr ins Bockshorn jagen ließ, schon gar nicht von irgendwelchen Männern.

Aufmerksam sah sie sich um und nahm in einer Ecke eine Gruppe von Frauen wahr, die sich teilweise auf dem Boden niedergelassen hatten. Die Frauen trugen lange bunte Tücher, die zwar ihren Kopf bedeckten, aber trotzdem viel von ihrem Haar sehen ließen; dazu weite bunte Röcke und darunter eine Art gewickelte Hosen. Die meisten der Frauen waren schon etwas älter, ihre Gesichtshaut schien gegerbt, aber die meistenteils braunen Augen darin leuchteten.

Die Frauen kamen ihr unverdächtig vor. Entschlossen näherte sich Inez dem schwatzenden Pulk. Bevor sie aber ganz zu ihnen aufgeschlossen hatte, stellten sich ihr erneut einige Männer in den Weg, auch sie mit wettergegerbten Gesichtern und in Kleidung, die für einen Wüstenaufenthalt gemacht zu sein schien. Einer der Männer trat direkt auf sie zu.

„Was wollen Sie?“, fragte er in gebrochenem Englisch.

Inez schluckte. „Ich würde gern wissen, wie man am besten von hier nach Alt Zadikhapur kommt. Sie wissen schon, die Ausgrabungsstätte …“

Der Mann musterte sie von oben bis unten, drehte sich zu seinen Gefährten um und sagte etwas in einer kehligen Sprache. Die anderen Männer musterten sie, lachten und gaben etwas in ihrer rauen Sprache zurück. Die Frauen hatten aufgehört zu plaudern und warfen sich gegenseitig Blicke zu, die Inez nicht deuten konnte.

„Sie können mit unserer Karawane mitkommen“, sagte der Mann zu Inez. „Unser Weg führt direkt an der Ausgrabungsstätte vorbei.“

Karawane? dachte Inez verwundert. Dann wurde ihr klar: Das mussten Beduinen sein, Nomaden ohne festen Wohnsitz, die nach wie vor in und von der Wüste lebten. Was machten sie hier am Flughafen? Aber egal, wenn sie ihr anboten, sie mitzunehmen, dann war erstens ihr Problem gelöst, und zweitens brach sie damit gleich in ein nächstes Abenteuer auf. Das war doch mal was. Wer konnte schon von sich sagen, mit echten Beduinen durch die Wüste gewandert zu sein, und zwar nicht auf einer vorgegebenen Touristenroute, sondern auf vermutlich uralten Wegen, die nur den Beduinen selbst vertraut waren.

Womöglich kannten sie sogar eine Abkürzung zur Ausgrabung?

„Gern“, sagte sie erleichtert.

„Für einhundert Bandhri“, erwiderte der Mann, der vermutlich so etwas wie ein Anführer war.

Hoppla. Das waren mal eben fünfhundert Pfund! Aber vermutlich war das in einem so reichen Land wie Bandhrazar nicht mal unbedingt viel Geld. Sie musste sich ja bloß in der Flughafenhalle umsehen, um zu erahnen, wie wohlhabend das Land war.

„Wie lange dauert die Reise denn?“, erkundigte sie sich unsicher.

„Wenn wir demnächst aufbrechen, sind wir heute am späten Nachmittag da.“

Das waren neun bis zehn Stunden. Im Moment war es kurz vor acht Uhr morgens, aber die Sonne strahlte bereits ziemlich grell vom wolkenlosen Himmel. Die Klimaanlagen in der Halle erlaubten leider keine Einschätzung, wie warm oder heiß es draußen tatsächlich war. Eine Stunde also für etwa fünfzig Pfund. Nicht gerade wenig, aber vermutlich auch nicht unverschämt viel im Vergleich zu dem, was touristische Unternehmen des Landes in so einem Fall genommen hätten. Trotzdem …

„Und mein Gepäck?“, fragte sie und wies auf den schweren Rollkoffer sowie die Reisetasche, die sie als Handgepäck mitgenommen hatte.

„Trägt eins unserer Kamele“, antwortete der Mann.

Inez überlegte. Wahrscheinlich war der Deal wirklich nicht schlecht. Und hatte sie denn eine Wahl, außer der Ausgrabungsleitung jetzt noch ein Problem zu bescheren, indem sie sich abholen ließ – oder sich aber für die nächsten sieben Tage in ein Hotel einzumieten, von dem sie ebenfalls nicht wusste, was es kosten würde? Die landeseigene Hotelkette hieß Bandhra Luxury, was sich nicht gerade nach einer preiswerten Unterkunft für Backpacker anhörte.

Zum ersten Mal kam ihr der Gedanke, sich mit ihrer spontanen Abreise vielleicht doch keinen Gefallen getan zu haben. Bei Ashley hätte sie definitiv billiger gewohnt. Fünfhundert Pfund … Inez wurde als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni nicht besonders gut bezahlt, und über ein finanzielles Polster verfügte sie nicht. Ihre Mutter war schon vor Jahren an Krebs gestorben, an dieser heimtückischen Krankheit, die vor niemandem haltmachte, auch nicht vor der einzigen Bezugsperson eines kleinen Mädchens. Zehn Jahre war Inez damals alt gewesen. Ihr ohnehin nicht sehr fürsorglicher Vater war nach dem Tod seiner Frau in ein tiefes Loch gefallen und hatte das bescheidene Erbe vertrunken, sodass Inez am Ende sogar geglaubt hatte, den Vater retten zu müssen, nicht umgekehrt.

Das Geld aus dem Erbe war jedenfalls weg, und zusätzlich waren diese entscheidenden Kindheitsjahre vermutlich der Grund dafür, warum Inez heute noch manchmal in die Rolle der „Retterin“ zurückfiel, obwohl sie es inzwischen besser wusste.

„Also gut“, sagte sie seufzend. Es war zwar ziemlich viel Lehrgeld, das sie hier zahlte, aber immerhin unterlief ihr dieser Fehler gleich am Anfang ihrer Reise. Definitiv würde sie ihre nächsten Aktionen besser planen. Die Wüste war nichts für unbedachte Abenteurerinnen, das war ihr jetzt klar geworden. Mit ihren fünfundzwanzig Jahren hätte sie die Konsequenzen ihrer überhasteten Abreise besser bedenken sollen – auch wenn Spontaneität ihre ausgeprägteste und in den Augen ihrer Freunde auch liebenswerteste Eigenschaft war.

Die Sonne hatte den Zenit bereits überschritten, sengende Hitze drückte auf die endlose Sandlandschaft. Prinz Zaid ritt auf seinem Araberpferd Feuerwind über die Dünen. Ein Kamel, das Zaid auf seinen Jagdausflügen oft als Lasttier mitführte, folgte ihnen in gemächlichem Schritt. Die Wellen der ockerfarbenen Wüste erstreckten sich bis zum Horizont. Ganz in der Ferne war die feine Silhouette der Berge zu sehen, die Bandhrazar–al–Sahrar, das ‚Land der großen Weite‘, von Bandhrazar–al–Ghibal, dem „Land hinter der Gebirgskette“, abgrenzten.

Ein Falke saß auf Prinz Zaids ausgestreckter Hand, welche mit einem derben Lederhandschuh gegen die scharfen Krallen des Raubvogels geschützt war. Zaid hatte eine besondere Verbindung zu dieser Art Vögel, genauso wie zu seinem Pferd Feuerwind. Es war eine Art Bündnis zwischen Mensch und Tier, wie es seit Generationen in alten Jagddynastien gepflegt wurde.

Als er einen hohen Dünenkamm erreicht hatte, hielt Zaid an und ließ den Blick über die endlose Weite schweifen. Ja, der Platz war perfekt. Mit einer königlichen Geste ließ er den Falken vom Pferd aus in den wolkenlosen Himmel aufsteigen.

Elegant glitt der Raubvogel durch die Luft und stieg auf der Suche nach Beute in spiralförmigen Bahnen empor, gewann in immer enger werdenden Kreisen an Höhe. Plötzlich durchzuckte es ihn, der Falke hatte ein Beutetier erspäht. Sekunden später stürzte er sich in steilem Sturzflug auf das ahnungslose Opfer, einen gelbbraunen Wüstenhasen, wie Zaid erkannte, der dem voraussichtlichen Landeplatz des Falken bereits entgegengaloppierte. Das Kamel blieb derweil auf der Düne zurück.

Als Zaid den Falken erreicht hatte, brachte er sein Pferd zum Stehen, um den erlegten Hasen an sich zu nehmen. Es war ein nicht ganz ungefährlicher Moment, denn ein Falke betrachtete die von ihm erlegte Beute naturgemäß als seine, weshalb ihm sofort ein Teil der Beute oder aber ein Ersatzbissen angeboten werden musste. Ganz junge und unerfahrene Falken bekamen anfangs sogar die ganze Beute. Bei diesem hier allerdings brauchte es das Verfahren nicht mehr, Zaid konnte sich den Hasen nehmen und den Falken für seine Leistung mit einem kleinen Happen belohnen.

Den Hasen würde er heute Abend über einem kleinen Feuer zubereiten. In seiner Tasche hatte er entsprechende Gewürze dabei, außerdem führte er auf dem Kamel ein Zelt mit sich, das es ihm möglich machte, auch in kalten Nächten oder während der zu dieser Jahreszeit öfter auftretenden Sandstürme in der Wüste zu übernachten.

Konnte überhaupt jemand erahnen, wie frei er sich jedes Mal fühlte, wenn er mit Feuerwind und einem seiner Jagdfalken für ein paar Tage in der Wüste unterwegs war? Zaid brauchte diese Ausflüge wie die Luft zum Atmen. Nicht, dass er schon Auszeiten von einem anstrengenden Leben benötigt hätte. Als jüngster Sohn, der die dreißig noch nicht erreicht hatte, war er bisher noch nicht so in die Geschäfte der Familie eingebunden wie seine Brüder. Die Ausflüge unter freiem Himmel gaben ihm trotzdem eine Freiheit, wie er sie sonst nirgendwo spürte – nicht in dem prächtigen Palast, in dem er mit seinen Brüdern Amir und Khaled, seiner Schwester Laila und seinen Eltern Hamoud und Ayla Alzadikh aufgewachsen war, nicht auf dem Meer, das er zusammen mit Khaled, der inzwischen Geschäftsführer der Luxuskreuzfahrtlinie Bandhra Cruises war, ein paarmal befahren hatte, und auch nicht in den belebten Metropolen der westlichen Hemisphäre, die er zwischenzeitlich mit Amir besucht hatte. Im Gegenteil, in der dortigen Hektik hatte er sich sogar immer besonders unwohl gefühlt, hatte Kontakte möglichst gemieden und war selbst jenen Frauen, die an ihm Gefallen bekundet hatten, aus dem Weg gegangen.

Nein, es war die Wüste, die ihn jedes Mal auf Neue anzog wie eine Geliebte, die ihren Liebhaber immer geduldig erwartete, und ihm jedes Mal ein unbeschreibliches Gefühl von Geborgenheit schenkte – auch wenn sie vor achtzehn Jahren einen hohen Tribut von seiner Familie eingefordert hatte: das Leben seines ältesten Bruders Younis.

Zaid ließ sich im Sand nieder, wo er sich anschickte, den Hasen zu häuten. Das Fell würde er nach seiner Rückkehr in drei Tagen der Palastgerberei übergeben, das Fleisch selbst jedoch heute und morgen verspeisen. Kurz legte er den Kopf in den Nacken. Die Sonne, obwohl auf ihrer nachmittäglichen Bahn bereits wieder im Sinken begriffen, brannte immer noch unbarmherzig auf ihn nieder. Es war Eile geboten. Zaid arbeitete schnell und effektiv, denn er wollte nicht, dass auch nur eine Faser des Fleischs verdarb. Ein Tier hatte sein Leben dafür gegeben, dass er ein paar ruhige unbeschwerte Tage in der Wüste erleben konnte, also stand er in der Pflicht, nichts von diesem großen Geschenk zu verschwenden. Er war ein passionierter Jäger und sich sehr darüber bewusst, dass man jedes Leben achten musste. Vielleicht hatte er das auf seinen Streifzügen durch die Wüste begriffen. Denn im Palast herrschte jederzeit ein solcher Überfluss an Nahrung, dass einem solche Gedanken dort normalerweise nicht kamen.

Nachdem der Hase fachgerecht zerlegt war, blieb Zaid noch eine Weile im Sand sitzen und hing seinen Gedanken an die Tragödie nach, die die Familie damals heimgesucht hatte. Er selbst war erst elf Jahre alt gewesen, das Nesthäkchen, von dem die Familie gemeint hatte, es bekäme noch nicht viel mit. Aber mit elf Jahren fühlte man sich längst nicht mehr als Kind. Selbstverständlich hatte er unter Younis’ Tod gelitten, und zwar furchtbar, vielleicht sogar stärker als Khaled und Amir, denn Younis war sein absoluter Lieblingsbruder gewesen.

Amir allerdings hatte neben dem Verlust des Bruders zusätzlich mit heftigen Schuldgefühlen umzugehen gehabt, denn er hatte jahrelang geglaubt, an Younis’ Tod schuld zu sein. Schließlich war der große Bruder damals nach einem Geschwisterstreit auf der Suche nach ihm in die Wüste geritten, wo er einen Sandsturm nicht überlebt hatte. Die Nachricht von Younis’ Tod hatte damals alle Familienmitglieder, den gesamten Palast, ja das ganze Land erschüttert.

Gegen sein Pferd Feuerwind gelehnt, das neben ihm im warmen Sand lag und ihm als Rückenstütze diente, ließ Zaid seinen Erinnerungen im Gedenken an den geliebten ältesten Bruder freien Lauf. Irgendwann aber schüttelte er die bedrückenden Erinnerungen ab, stand auf und machte sich auf den Weg zurück zum Kamel, das auf der Düne im Sand geduldig auf ihn wartete. Zaid verstaute den Hasen in einem Sack aus Leder und war gerade im Begriff, wieder auf seinen Araberhengst zu steigen, als ein ferner Fleck in der Wüste seine Aufmerksamkeit erregte.

Was war das? Er kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Da bewegte sich anscheinend ein Mensch ganz allein durch die Wüste, schutzlos der gleißenden Sonne preisgegeben, die sogar die weißgoldenen Dünen zum Schwitzen zu bringen schien. Wer war so verrückt, um diese Zeit allein zu Fuß durch die Wüste zu laufen? Egal, wie oft er blinzelte, Zaid konnte weder ein Pferd noch ein Kamel in der Nähe ausmachen, obwohl dieser Reisende irgendetwas Großes und offensichtlich Schweres hinter sich herzuziehen schien.

Seltsam. Es galt, auf der Hut zu sein. Man wusste seit der Landesöffnung nicht mehr genau, wer sich alles in der großen Weite herumtrieb, wie die Wüste von den Einheimischen hier genannt wurde. Es konnte eine Falle sein, vor allem, wenn es sich um Banden aus dem Nachbarland Rudrabesh handelte, die neuerdings gern unerfahrene Touristen anlockten, um sie zu überfallen. Diese Banden interessierten die Gesetze von Bandhrazar nicht, sie hatten ihre eigenen Regeln und würden im Ernstfall auch vor ihm, einem Sohn der hiesigen Königsfamilie, nicht haltmachen.

Zaid richtete sich auf und griff nach dem Krummsäbel, den er wie ein Krieger aus früheren Zeiten immer mit sich führte, wenn er allein zu Pferd in der Wüste unterwegs war. Vermutlich war er schon entdeckt und eventuell sogar zum Ziel auserkoren worden. Zu schade, dass er das Kamel dabeihatte. Am besten, er würde die seltsame Person im Schutz der großen Dünen weiträumig umrunden und sich ihr von hinten nähern …

Es war nicht zu fassen. Wie hatte sie auf diese Leute hereinfallen können? Wo war ihr gesunder Menschenverstand geblieben?

Wie ein naiver Teenager hatte sie sich auf das vermeintliche Abenteuer eingelassen. Wie hatte sie nur so dumm sein können! Vor Wut liefen Inez Tränen über das Gesicht und hinterließen salzige Spuren auf der Haut, während sie sich weiter durch den Sand kämpfte, den schweren Koffer hinter sich her ziehend. Die Sonne stach inzwischen zwar nicht mehr ganz so unbarmherzig wie am Mittag vom Himmel, aber Wangen und Lippen brannten ihr trotzdem, und die Hände taten ihr unfassbar weh.

Hinter der nächsten großen Düne, so hatten ihr die Nomaden gesagt, sollte sich die Ausgrabungsstätte befinden, zu der sie wollte. Inez mobilisierte ihre letzten Kräfte, um endlich diese Düne zu erreichen, sie zu erklimmen und das Lager zumindest sehen zu können. Es war ein so schreckliches Gefühl, mitten in dieser trostlosen Sandlandschaft ganz auf sich gestellt zu sein. Sie hatte furchtbaren Durst, die Luft flimmerte vor ihren Augen, täuschte ihr sogar schon eine Fata Morgana vor, denn unvermittelt war ein Reiter in ihrem Sichtfeld aufgetaucht … ein weiß gekleideter Mann auf einem schwarzen Pferd … mit einem Krummsäbel an der Seite, wie Inez ihn als Kind in alten Abenteuerfilmen gesehen hatte … und da war auch ein Kamel … Aber die Luft flimmerte furchtbar und verzerrte das Bild, mal schien die Erscheinung näher, dann wieder weiter weg …

Plötzlich schrak sie hoch. Das war keine Fata Morgana! Da kam tatsächlich ein Mann auf sie zu, ein Mann auf einem schwarzen Pferd, der ein Kamel mit sich führte. Und er war bewaffnet!

Zitternd krallte sie sich an den Griff ihres großen Koffers, hektisch überlegend, was daraus sie als Waffe gebrauchen konnte. Sie würde sich nicht kampflos überwältigen lassen, nicht hier, nicht so kurz vor ihrem Ziel. 

Der Reiter war inzwischen so nahe herangekommen, dass sie ihn genauer betrachten konnte. Das Pferd, das er ritt, war ein überaus edles Tier, das ließ sich auf den ersten Blick erkennen. Er selbst war ganz in weißes Leinen gehüllt, trug eine weiße Tunika und einen weißen flachen Turban. Eine Bahn des Stoffes hatte er sich zum Schutz vor Sonne und Sand vor das Gesicht gezogen, sodass nur seine Augen sichtbar waren: schwarze, intensive Augen, dunkel wie Brunnen in einer mondlosen Nacht.

Autor

Ally Evans
<p>Ally Evans kam erst spät zum Schreiben. Als Fremdsprachenlehrerin und Bibliothekarin arbeitete sie zuvor in Berufen, die immer auch mit Sprache oder Büchern zu tun hatten. Heute geht sie zum Schreiben gern in Cafés, genießt dort eine heiße Schokolade und lässt sich für ihre mitreißenden Romances von ihren Reisen inspirieren,...
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