Tiffany Exklusiv Band 40

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SÜNDIGE GEIMNISSE von ALEXANDER, CARRIE
Als Thomas das Begehren hinter Amalies Küssen spürt, ist er überzeugt, dass sein journalistischer Instinkt ihn nicht getrogen hat: Amalie ist die geheimnisumwitterte Sexautorin "Madame X"! Doch nach einer heißen Nacht mit ihr steht Thomas vor der Frage "Story oder Liebe?"

MEIN FEURIGER GELIEBTER von DENTON, JAMIE
Eines Abends gesteht Jana ihren Freundinnen, dass sie noch nie einen Orgasmus hatte. Sofort sind sich alle einig: Ein guter Lover muss her! Und so willigt Jana ein, den attraktivsten Typen in der Bar anzusprechen. Ihre Wahl fällt auf Ben, den Feuerwehrmann …

GETRÖSTET VON ZÄRTLICHEN LIPPEN von BARRETT, JEAN
Was für ein Albtraum! Gemeinsam mit einem wildfremden Mann sitzt Regan in der eiskalten kanadischen Wildnis fest. Doch als Adam Fuller sie küsst, wird ihr sofort warm. Zu gerne würde sie noch größere Hitze zwischen ihnen entfachen. Dumm nur, dass die Polizei hinter Adam her ist …


  • Erscheinungstag 24.11.2015
  • Bandnummer 0040
  • ISBN / Artikelnummer 9783733750251
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Carrie Alexander, Jamie Denton, Jean Barrett

TIFFANY EXKLUSIV BAND 40

1. KAPITEL

Amy Lee Star hatte durchaus etwas von einem kleinen behänden Vogel an sich, und so passte der Name sehr gut zu ihr. Ihre großen Augen schienen ständig in Bewegung zu sein und folgten den lebhaften Gesten, mit denen sie ihre Worte begleitete. Sie war zierlich, hatte feste, kleine Brüste und wurde von ihren Schülern an der High School und auch allgemein von den Inselbewohnern als unscheinbar eingeschätzt, mit ihrem glatten dunklen Haar, dem blassen Teint und ihrem sanften Wesen.

So fahrig sie manchmal wirkte, so vorsichtig und verschwiegen war sie in allem, was ihr persönliches Leben betraf. Da keiner auf Bellefort Island etwas über ihr Privatleben wusste, ging man davon aus, dass es wohl auch nicht besonders interessant sei. Kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, dass Amy Lee Star einen Geliebten hatte, dessen Namen sie selbst nicht kannte.

Thomas James Thomas überflog noch einmal die ersten beiden Absätze von „Rendezvous“ und schlug dann das Buch mit einer schnellen Bewegung zu. Nachdenklich strich er über den Samtumschlag. Schon lange hatte er einen Verdacht, und jetzt war der nahezu Gewissheit geworden. Madame X war ganz anders, als er erwartet hatte. Sie hatte zu wenig mit der unscheinbaren, sanftmütigen Frau gemeinsam, die in den „Black-Velvet“-Geschichten immer wieder auftauchte. Und ihm würde der Pulitzer-Preis ein weiteres Mal entgehen, wenn er einen solchen seichten Artikel wirklich schrieb.

Und wenn er sich nun irrte? Thomas runzelte die Stirn. Nach seiner Erfahrung bauten Romanschriftsteller die eigene Person immer in ihre Werke ein, ob bewusst oder unbewusst, versteckt oder offen. Insofern hätte Madame X, die geheimnisvolle Schriftstellerin, eigentlich das Abbild der Romanfigur Amy Lee Star sein sollen.

Doch das absolute Gegenteil war der Fall.

Und das ist noch untertrieben, dachte er, während er den spektakulären Auftritt der Autorin während der Party zum Erscheinen ihres neuesten Buches beobachtete, gut hinter einer breitfächerigen Palme versteckt. Madame X war eine Traumfrau, die leibhaftig gewordene Männerfantasie. Norris Yount, der Verleger der beiden „Black-Velvet“-Bände mit erotischen Geschichten, konnte seinem Himmel gar nicht genug danken. Die Pebblepond Press verkaufte die Bände sehr gut, und wenn der Verleger in Hollywood eine Schauspielerin für die Rolle der Autorin angefordert hätte, hätte seine Wahl nicht besser ausfallen können.

Was Thomas in seinem Verdacht bestätigte, dass der Verleger vielleicht genau das getan und eine Schauspielerin für diese Rolle engagiert hatte.

Madame X war einfach zu hinreißend, um echt zu sein. Sie hatte glänzendes blondes Haar, das den gleichen Goldton hatte wie die Kette und die Ohrringe, die sie trug. Ihre fantastischen Beine kamen in den schwarzen, seidig schimmernden Strümpfen besonders gut zur Geltung. Sie trug ein enges, trägerloses Kleid, selbstverständlich aus schwarzem Samt, das ihre fantastische Figur betonte. Ihr ebenmäßiges Gesicht hatte einen makellosen Teint, die roten Lippen waren zum Küssen wie geschaffen, und die großen blauen Augen blickten gleichzeitig unschuldig und verführerisch.

Ja, diese Frau war die perfekte Besetzung für eine meisterhafte Inszenierung, die bis auf einen zynischen Beobachter bisher keiner zu durchschauen schien.

Wenn diese sogenannte Madame X auch nur eine Zeile der „Black-Velvet“-Bücher geschrieben hatte, würde Thomas James Thomas den mit einer riesigen Straußenfeder geschmückten Hut von Younts Frau verspeisen. Mit Ketchup und Senf.

Madame X richtete sich in ihren Pumps mit den schwindelerregend hohen Absätzen zu voller Größe auf, lächelte strahlend und wandte sich dann dem Literaturkritiker des „New York Express“ zu, der immer eine Fliege trug und der blonden Frau jetzt etwas ins Ohr flüsterte. Thomas sah nur, wie sie kokett die Lider senkte, und hörte ihre dunkle, rauchige Stimme, konnte aber nicht verstehen, was sie sagte. Der Kritiker lächelte geschmeichelt, und sofort entspannte sich Younts verkniffenes Gesicht. Er war Madame X nicht von der Seite gewichen, seit sie den Raum betreten hatte. Aber jetzt schlug er dem einflussreichen Kritiker jovial auf die Schulter und schlenderte zu den anderen Gästen hinüber.

Ganz offensichtlich war der Auftritt von Madame X, ob sie nun falsch oder echt war, ein Erfolg. Thomas sah mürrisch vor sich hin und stieß sich dann von der kühlen Marmorwand ab, an der er gelehnt hatte und drängte sich durch die Menge der in kleinen Gruppen zusammenstehenden Leute. Bei dem allgemeinen Geräuschpegel konnte er nur hin und wieder ein Wort aufschnappen. Hier waren alle versammelt, die normalerweise auf solchen Empfängen zu finden waren: Buchhändler, Verleger, Schriftsteller, Kritiker und die übliche Schickimicki-Gesellschaft.

Thomas hörte, wie eine silberblonde Frau, deren Haare mit Sicherheit gefärbt waren, zu ihrer kichernden Freundin sagte: „Ich besaß bereits ein Paar Abendhandschuhe aus schwarzem Samt, und so zog ich sie an und bestellte eine Limou…“

Aha, aus „Limousine Lover“, dachte er, aus dem zweiten Band von „Black Velvet“.

„Die Bücher gehen weg wie warme Semmeln!“ Einer der Angestellten der PR-Abteilung von Pebblepond Press bemühte sich, ein paar Buchhandelsvertretern das Produkt anzupreisen.

Thomas schüttelte langsam den Kopf. Über Geschmack ließ sich nicht streiten. Sein Blick fiel auf Lars Torberg, einen Schauspieler, der meist in zweitklassigen Actionfilmen mitspielte. Er schien von Madame X geradezu fasziniert zu sein.

Eine Kellnerin reichte Kanapees herum, und Thomas sah, wie Kelly Ann Spofford, die spitzzüngige Talkshow-Moderatorin, sich bediente und sich dann zu ihrer Begleiterin umwandte. „Ehrlich gesagt“, sagte sie und kaute herzhaft, „es sind doch eigentlich nur Schweinereien.“

Mrs Yount machte eine Handbewegung, dass ihre Diamanten blitzten. „Gut möglich, aber eben sehr gut verkäufliche Schweinereien, Liebste.“

Kelly Ann fixierte den Ring. „Vier Karat? Von Harry Winston?“

Thomas wandte sich ab und schob sich an der blauhaarigen, untersetzten Psychologin vorbei, die als Hollywoods berühmteste Sextherapeutin galt. „Ich würde auch auf Platz eins der Bestsellerliste des ‚Express‘ stehen“, sagte sie gerade und warf Madame X einen giftigen Blick zu, „wenn ich nur halb so gut aussähe wie sie.“

Ein bärtiger Buchhändler aus Manhattan lachte. „Ja, ihre Bücher verkaufen sich genauso fantastisch, wie sie aussieht.“

Immer die alte Leier, dachte Thomas. Die Luft war zum Schneiden dick, da halfen auch die paar Grünpflanzen in der Halle nichts. Es schien keinen zu bekümmern, ob Madame X nun wirklich die Autorin war. Sex, Skandale und Geld waren das einzige, was die Menschen hier interessierte. Sie nickten und applaudierten und griffen nach ihren Gläsern wie eine Herde williger Schafe, immer bereit, sich vor dem zu verneigen, der gerade den Ton angab.

Thomas lächelte verächtlich. Wie ihm das alles zuwider war.

Der einzige Gast, der ähnlich zu empfinden schien wie er, war eine dunkelhaarige Frau in einem taubengrauen Kleid, die nicht weit von ihm entfernt an der Wand lehnte. Thomas sah genauer hin. Im Grunde sah sie genauso aus, wie er sich Madame X vorstellte. Und ebenso wie er schien sie sich hier nicht wohlzufühlen. Ihre Augen hinter den großen Brillengläsern blickten unruhig hin und her, und sie hielt ihren Plastikbecher mit Wein so fest umklammert, dass Thomas Angst hatte, sie würde ihn gleich zerdrücken.

Wahrscheinlich so eine arme Büromaus, die sich die Einladung aus dem Papierkorb des Verlegers gefischt hat, dachte Thomas. Oder eine Frau, die auch erotische Geschichten schrieb und sich bei ihrem unbedeutenden Aussehen keine Chancen ausrechnete, denn heutzutage kam es vor allem darauf an, im Fernsehen eine gute Figur zu machen.

Das kehlige Lachen von Madame X klang zu ihm herüber. Thomas sah, wie sich die Frau in dem taubengrauen Kleid auf die Zehenspitzen stellte, um über den Schriftsteller mit der silbernen Löwenmähne hinwegblicken zu können, der seinen Anhängern gerade erklärte, weshalb er zehn Jahre für sein Hauptwerk brauche.

„Pardon“, sagte die Maus und bahnte sich ihren Weg durch die Menge in Richtung Madame X. Ach so, dachte Thomas, ein Fan.

Er wollte ihr schon folgen, um zu sehen, ob sie sich tatsächlich ein Autogramm holen würde, als er die weiße Lockenpracht von Harry Bass erblickte. Der Chefredakteur von „NewsProfile“ verabschiedete sich gerade mit Wangenküsschen von der silberblonden Frau. Da er um etliches kleiner war als sie, konnte er ihr genau in den Ausschnitt blicken.

Thomas zog Harry beiseite. „Ich will raus aus der Sache.“

„Das haben wir doch nun schon lange genug diskutiert. Darf ich dich daran erinnern, dass wir einen Vertrag miteinander haben? Unterschrieben und besiegelt.“

„Ich dachte ja, ich könnte es, aber ich kann es einfach nicht.“ Thomas deutete mit dem Kopf auf Madame X. „Sieh sie dir doch nur an. Was soll man dazu noch sagen?“

Harrys Augen leuchteten auf, obgleich er Madame X kaum sehen konnte, so dicht war sie von Bewunderern umringt. Harry war zwanzig Zentimeter kleiner als Thomas, stämmig und untersetzt und hatte ein verlebtes Gesicht. Seit seiner letzten Scheidung versuchte er sich den Anschein eines Schürzenjägers zu geben, vor allen Dingen, wenn seine Exfrau in der Nähe war. Und da Rosie Bass die Lektorin der letzten „Black-Velvet“-Ausgabe war, war sie natürlich anwesend.

„Bilder“, sagte Harry nur. „Ich will jede Menge sexy Farbfotos. Haut will ich sehen.“

Thomas rollte mit den Augen. Als er angefangen hatte, als freier Journalist für Harry zu arbeiten, war „NewsProfile“ eine seriöse Wochenzeitung gewesen, die fundierte Berichte zu den Themen Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Kunst brachte. Doch neuerdings waren die Artikel immer seichter geworden, und ganzseitige Modefotos und oberflächliche Interviews bestimmten die Qualität. Die Auflage war daraufhin steil in die Höhe gegangen.

„Für so etwas braucht ihr mich doch nicht“, sagte Thomas. Unglücklicherweise brauchte er seinerseits die Zeitung. Oder er musste einfach eine andere Geldquelle finden, um die Anzahlung für das Haus zusammenzubekommen. Das allerdings sehr schnell.

„Wir haben einen Vertrag“, entgegnete Harry scharf. „Willst du den brechen?“

„Sei doch vernünftig. Was du brauchst, ist ein saftiger Artikel darüber, wie Madame X es genießt, das Leben der Reichen und Berühmten zu führen. Und sie kann das, weil sie weiß, wie man auf die unterdrückten sexuellen Wünsche der amerikanischen Hausfrau eingeht. Lass Doppler das doch machen, er hätte sicher große Lust auf die Recherche. Oder die Clarke, die das Ganze vom feministischen Standpunkt aus betrachten wird.“

„Nein, ich will dich.“

„Ach, Harry, das meinst du doch nicht ernst.“

„Ich sag dir was. Ich gebe dir …“ Harry blickte Thomas aus zusammengekniffenen Augen an und nannte eine Zahl, die mehr als doppelt so hoch war wie Thomas’ sowieso reich bemessenes Honorar. „Und ich gebe dir die Titelzeile.“

„Seit wann soll das denn eine Titelstory werden?“

Harry grinste. „Seit ich Madame X gesehen habe.“

Thomas rieb sich nachdenklich das Kinn. Das war wirklich eine Versuchung. Die Story würde sicher absoluter Schund, aber eben sehr profitabel. Und er hatte nicht nur eine gute Verwendung für das Geld, er brauchte es dringend, auch wenn er diesen Gedanken immer gern verdrängte.

Harry setzte zum letzten Angriff an. „Außerdem darfst du dir dann deine drei nächsten Interviewpartner selbst aussuchen. Und ich hätte auch nichts gegen diesen miesepetrig aussehenden Umweltexperten, auf den du so scharf bist. Sofern du da mit Abbildungen etwas sparsamer bist.“

Thomas stöhnte. „Ich soll also zwei Wochen mit Madame X herumreisen, nur damit ich später über jemanden schreiben darf, der etwas zu sagen hat?“

„Sieh sie dir doch an“, sagte Harry. „Das kann doch gar nicht so schlimm sein.“

„Verdammt“, meinte Thomas brummig. Aber er wusste schon, dass er es tun würde.

„Wir müssen alle mal von unserem hohen Ross herunter, Thomas.“

„Ja, und tiefer als diese Typen hier geht es ja wohl nicht.“

Harry betrachtete eine junge Frau in einem schwarzen Minikleid, wie es auf den Partys in Manhattan jetzt Mode war. „Das ist deine Sache. Ich sehe überall nur wunderhübsche junge Frauen.“

„Harry, das Mädchen da könnte deine Tochter sein. Wenn Rosie das sieht, reißt sie dir den Kopf ab.“

„Und wirft ihn auf den Misthaufen.“ Harry wandte sich halb ab und strich sich gedankenverloren über das weiße Haar. Immer noch machte es ihm etwas aus, wenn seine Frau erwähnt wurde. „Und überhaupt, was für eine Rosie? Ich kenne keine Rosie.“ Er machte ein paar Schritte in Richtung des Mädchens. „Ich möchte wissen, wie sie heißt.“ Er bahnte sich seinen Weg durch die Menge.

„Warte, Harry!“, rief Thomas.

Harry sah sich gereizt um.

„Warum ausgerechnet ich? Du weißt genau, dass ich diese Art der Aufträge hasse. Warum soll gerade ich diese seichte Geschichte über Madame X schreiben? Du hast doch genügend Leute.“

„Weil du der Beste bist. Und weil ich vielleicht gerade keine seichte Geschichte will.“

„Was meinst du damit?“

Nun wurde Harry von der Menge verschluckt, die den Tisch umringte, an dem Madame X Freiexemplare ihres neuesten Buches signierte. Thomas konnte noch hin und wieder seinen weißen Kopf sehen und hörte dann so etwas wie „… irgendetwas ist da faul …“

Ja, dachte Thomas, während er sich durch die Menge schob. Irgendetwas ist da faul. Und das musste er herausfinden.

Madame X sah hoch, während ihr eine Assistentin ein aufgeschlagenes Buch zuschob. Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen und sah Thomas lächelnd an. „Und wie heißen Sie, mein Lieber?“ Sie gab ihrer Stimme einen weichen Südstaatenakzent und strich eine blonde Locke zurück, die ihr ins Auge gefallen war.

Er lächelte, wenn auch etwas verkrampft. Er musste das Vertrauen dieser charmanten Betrügerin gewinnen, denn er brauchte das Geld, das ihm der Artikel bringen würde. Seit seinem ersten Honorar hatte er gespart, um sich einmal dieses Haus kaufen zu können. Und jetzt, wo es endlich zum Verkauf stand, musste er sich eben selbst verkaufen.

Er hoffte nur, es lohnte sich.

Amalie Dove war so nervös wie ein Amateur auf dem Hochseil. Und ihre Situation war damit durchaus vergleichbar. Es war noch ein Segen, dass Lacey als erfahrenes Model und Schauspielerin den schwierigeren Part übernommen hatte. Solange Amalie nicht erklären musste, weshalb sie ständig in Laceys Nähe war, und Lacey nicht zu sehr improvisieren musste, müssten sie dieses Verwechselspiel eigentlich durchstehen.

Und dann brauchten sie nur die nächsten vierzehn Tage die gleiche Komödie aufzuführen.

Du lieber Himmel. Amalies Hände zitterten, als sie automatisch das nächste Exemplar von „Black Velvet II“ aufschlug und zu Lacey hinüberschob. Worauf hatte sie sich da eingelassen? Warum hatte sie überhaupt diese ganze Betrügerei angefangen?

Wenn sie ehrlich war, hatte alles damit begonnen, dass sie der Veröffentlichung der ersten „Black-Velvet“-Sammlung zugestimmt hatte. Sie hatte dann die Situation noch verschlimmert, indem sie ein Foto ihrer früheren Zimmergenossin aus dem College an Pebblepond Press geschickt hatte, als die PR-Abteilung um ein Autorenfoto bat. Damals schien das nur ein kleines Vergehen zu sein, so hatte Amalie sich wenigstens zu beruhigen versucht. Wie hätte sie auch ahnen können, dass diese kleine Betrügerei zu einem solchen Schlamassel führen würde?

Amalie schlug wieder ein Buch auf. Gab es irgendeine Möglichkeit, aus der Sache noch heil herauszukommen?

Nein. Die PR-Tour stand fest, alle Hotels waren gebucht. Zehn Städte in vierzehn Tagen, Signierstunden und Presseauftritte. Da gab es keinen Spielraum mehr.

Amalie Jane Dove, die wirkliche Madame X, war in ihrer eigenen Falle gefangen.

„Und wie heißen Sie, mein Lieber?“ Laceys Stimme klang verführerisch, und Amalie schob ihr das Buch zu. Dabei warf sie einen kurzen Blick auf den Fremden. Denn obgleich Lacey die Rolle der Madame X den ganzen Abend perfekt gespielt hatte, hatte sie noch nie diesen zuckersüßen Tonfall gehabt, selbst nicht Norris Yount gegenüber.

„Thomas“, sagte der große Fremde mit dem dunkelblonden Haar. Er sprach leise, und seine Stimme klang dunkel und irgendwie gefährlich.

Amalie erschauerte, ohne zu wissen, warum.

Wie albern. Der Mann war alles andere als gefährlich, er war einfach ein Partygast. Jetzt erkannte sie ihn wieder. Er war ihr vorhin schon aufgefallen, weil er wie ein Panther im Käfig in der Halle auf und ab gegangen war. Außerdem trug er eine etwas zerknitterte braune Lederjacke über einem einfachen weißen Hemd zu ausgewaschenen Jeans, während die anderen Gäste sich tüchtig in Schale geworfen hatten. Und noch etwas war anders, sein ausgesprochen skeptischer Gesichtsausdruck. Aber er war sicher nicht gefährlich, das bildete sie sich nur ein.

Aus der Nähe sah der Mann wirklich extrem skeptisch aus, auch wenn er sich jetzt halbherzig bemühte, freundlich zu blicken. Aber das Lächeln wirkte aufgesetzt, die grünen Augen zynisch, und er strahlte insgesamt eine gewisse Aggressivität aus. Das bedeutet Gefahr, dachte Amalie alarmiert, und automatisch richtete sie sich auf.

„Thomas … und weiter?“, fragte Lacey unbekümmert und sah ihn von unten her an. Sie lächelte, und die roten Lippen glänzten feucht. Amalie warf Thomas schnell einen Blick zu. Sie kannte dieses Marilyn-Monroe-Lächeln. Schließlich hatte Lacey es im College ausdauernd vor dem Spiegel geübt und damit das Bad blockiert, während Amalie mit Duschhaube und Handtuch vor der Tür wartete.

Die meisten Männer schmolzen bei diesem Lächeln dahin. Nicht so dieser. „Jericho“, ergänzte er freundlich, beugte sich vor und sah Madame X tief in die Augen. „Ich hoffe, das genügt.“ Er zog lächelnd eine Augenbraue hoch und gab Lacey sein eigenes Exemplar von „Black Velvet II“ zum Signieren. Dadurch bekam der ganze Vorgang etwas Intimes.

Amalie war überrascht, dass sie so etwas wie Eifersucht empfand, und presste die Lippen zusammen. Sie war es zwar gewohnt, dass Lacey fast auf alle Männer anziehend wirkte, aber in diesem Fall hätte sie nichts dagegen gehabt, wenn dieser attraktive Mann sie, Amalie, auf diese Art und Weise angesehen hätte. Aber vielleicht hätte sie dann keinen Grund mehr, sich diese erotischen Fantasien auszudenken, die bei den Lesern so beliebt waren. Vielleicht war das der Preis, den sie zahlen musste.

Ein hoher Preis. Amalie seufzte leise und betrachtete die langen, offenbar sehnigen Beine des Fremden. Sie musste zugeben, dass sie für diesen männlichen Körperteil eine besondere Schwäche hatte, und Thomas war besonders gut gebaut. Vielleicht trug er deshalb auch diese ausgebleichten engen Jeans, obwohl sie fehl am Platz waren. Amalie musste lächeln.

Lacey hob langsam den Blick und sah Thomas dann direkt in die Augen, während sie etwas in das Buch schrieb. Amalie beugte sich ein wenig vor, um das Geschriebene lesen zu können. Für Thomas. 555-8192.

Amalie holte hastig Luft. Sie war so entsetzt, dass sie nicht merkte, wie Thomas sie überrascht ansah. Lacey unterschrieb mit einem besonders verschnörkelten „Madame X“ und hielt ihm lächelnd das Buch hin.

Amalie nahm es ihr schnell aus der Hand. „Das geht auf keinen Fall!“, zischte sie.

„Am …“ Lacey schluckte schnell den Rest des Namens herunter, da ihr gerade noch rechtzeitig einfiel, dass sie die Rollen getauscht hatten. „Äh … ich bin doch nur freundlich, meine Süße.“ Sie strahlte Amalie an. „Daran ist doch nichts verkehrt?“

„Doch“, flüsterte Amalie ihr ins Ohr. „Du kannst ihm doch nicht die Telefonnummer von Lacey Longwood in Manhattan geben, wenn du Amalie Dove bist, alias Madame X.“

„Aber sieh’ ihn dir doch an“, wisperte Lacey. „Er ist einfach hinreißend!“

„Das ist mir egal …“ Amalie stockte kurz, denn die Wahrheit sah ganz anders aus. „Also sollte es dir auch egal sein, Amalie!“

Lacey seufzte. „Wahrscheinlich hast du recht.“

Ja, leider, dachte Amalie. Sie entschuldigte sich kurz bei Thomas und steckte das Buch mit der Telefonnummer in ihre Tasche, die sie unter ihrem Stuhl verstaut hatte. „Sie haben hoffentlich nichts dagegen, Thomas“, sagte sie hastig und nahm ein neues Buch von dem Stapel. „Dieses hier ist genauso gut.“

Er sah sie verblüfft an, aber er forderte sein Buch nicht zurück. Zu spät fiel Amalie ein, dass sie durch ihr Verhalten eventuell seinen Verdacht erregt hatte. Egal, die schlimmste Katastrophe hatte sie gerade noch verhindern können.

Unter seinem prüfenden Blick fühlte sie sich ausgesprochen unbehaglich, obgleich sie sich doch vor wenigen Augenblicken noch gewünscht hatte, er möge sie ansehen. Das Blut stieg ihr in die Wangen, als er die Augen zusammenkniff und sie kühl musterte. Wie ein Panther, der seine Beute nicht aus den Augen ließ.

„Das ist für Sie, Darling“, sagte Lacey und presste die Lippen auf die Buchseite, genau unter ihre Unterschrift. „Das ist ein Extraservice nur für Sie, Thomas.“

Er blickte auf die Buchseite und lächelte kurz. Nur ein harmloser Fan, beruhigte Amalie sich.

Aber wenn er nun hinter etwas anderem her war?

Thomas nahm das Buch unter den Arm. „Jetzt, wo ich die mysteriöse Madame X kennengelernt habe, werde ich ihre Geschichten sicher noch aufregender finden.“ Er trat ein paar Schritte zurück, und wieder sah er zu Amalie hinüber.

Lacey zuckte leicht mit den Schultern und winkte ihm zum Abschied zu. Thomas nickte, aber er ließ Amalie nicht aus den Augen, während er sich langsam umwandte.

Obwohl sie seinen Blick gern erwidert hätte, tat sie es nicht. Ob gefährlich oder nicht, Thomas war ein enorm attraktiver Mann und schien merkwürdigerweise immun gegen Laceys verführerische Ausstrahlung. Irgendetwas hatte er in Amalie angerührt, sodass es ihr schwerfiel, auf ihre übliche zurückhaltende Art und Weise zu reagieren.

Aber sie musste es tun. Sie war hier unter falschen Voraussetzungen, und nur wenn sie ihre wahre Identität verriet, hätte ihre Bekanntschaft eine Zukunft. Zumindest in einem korrekten, ordentlichen Sinn.

Sofort war der Gedanke da: Warum sollte sie nicht endlich einmal etwas Verbotenes, Unkorrektes tun?

Himmel, sie war wohl nicht recht bei Trost. Wahrscheinlich kamen ihr solche Gedanken, weil sie ständig mit erotischen Abenteuern zu tun hatte. Aber es war besser für sie, wenn sie sich ihre Situation klar vor Augen hielt und solche Wünsche verdrängte. Sie war eine feige Autorin, die sich verleugnen ließ, und keine Femme fatale. Sie hatte zwar die tollsten erotischen Fantasien und konnte sie auch zu Papier bringen, aber sie hätte nie den Mut, sie auch auszuleben.

Langsam zog sie sich hinter die Buchstapel zurück. Normalerweise brauchte sie sich um zu viel Aufmerksamkeit keine Sorgen zu machen, wenn die attraktive Lacey an ihrer Seite war. Warum aber hatte sich dieser Mann anders verhalten?

Vorsichtig blickte sie über den Bücherstapel. Da hinten war er, sie erkannte ihn an seinem kräftigen dunkelblonden Haar, das ihm über den Kragen fiel, und an der Lederjacke, die seine breiten Schultern betonte.

Sie strich sich über das Gesicht, ihre Wangen glühten. Hatte irgendjemand ihre übertriebene Reaktion auf Thomas Jericho bemerkt? Strahlte sie nach außen die übliche Gelassenheit aus, obgleich sie wildes Verlangen empfand?

Offensichtlich. Lacey flirtete jetzt mit dem Filmschauspieler. Keiner bemerkte die unscheinbare Assistentin, weil aller Augen auf Madame X gerichtet waren. Genauso hatte Amalie es geplant.

Ich sollte erleichtert sein, dachte sie und strich sich mit den feuchten Handflächen über die Hüften. Wer weiß, was hätte passieren können, wenn sie es gewagt hätte, sich als Madame X zu erkennen zu geben.

„Ich war umwerfend als Madame X“, sagte Lacey. Sie warf das Haar zurück und deutete einen Knicks an, voller Grazie und Bescheidenheit, so als hätte man ihr gerade einen Oscar verliehen. „Ich möchte den Mitgliedern der Akademie danken …“

„Pst!“, zischte Amalie und drückte auf den Knopf, damit der Fahrstuhl sich in Bewegung setzte. Endlich allein. Sie seufzte tief vor Erleichterung und lehnte sich gegen die kühle Marmorwand.

Lacey kickte die Pumps von den Füßen und ließ sich dann neben Amalie gegen die Wand sinken. „Sag mir, dass ich fantastisch war, Amalie. Du weißt, wir Schauspieler wollen ständig bestätigt werden.“

Amalie war ehrlich. „Du warst toll. Du warst die perfekte Madame X.“ Sie schwieg kurz, und in ihrer Stimme klang so etwas wie Bedauern mit, als sie fortfuhr. „Du warst sehr viel eindrucksvoller, als ich jemals hätte sein können.“

Lacey zog die Augenbrauen hoch und schüttelte leicht den Kopf. „Ich bin immer noch der Meinung, du hättest den Part ohne Weiteres selbst übernehmen können. Du hast wunderschöne Augen und einen tollen Teint. Ein bisschen Make-up, ein Push-up-BH, eine neue Frisur, und du hättest die ganze Anerkennung selbst ernten können.“

„Ich wäre vor Verlegenheit gestorben.“ Amalie strich sich eine kurze schwarze Strähne aus dem Gesicht. Sie war das genaue Gegenteil von Lacey. Lacey war eine hochgewachsene Blondine mit üppigen Kurven, Amalie dagegen klein und schlank mit einem Pagenschnitt wie Audrey Hepburn. Allerdings hatten sie beide blaue Augen, wobei Amalies Augen dunkler, beinahe veilchenfarben waren, und sehr ähnliche Stimmen. Beide kamen aus South Carolina, sprachen also mit einem starken Südstaatenakzent.

Lacey sah Amalie nachdenklich an. „Du solltest dich nicht länger verstecken, sondern zugeben, dass du Madame X bist. Das würde dir guttun.“

„Um dann den Medien und den Fans ausgeliefert zu sein? Vielen Dank. Dann würde ich lieber meine Tantiemen für ‚Black Velvet‘ zurückgeben.“

„Das meinst du doch nicht ernst?“

„Mir wird ganz elend, wenn ich mir die Reaktion der Inselbewohner vorstelle. Ich als Autorin von zwei Bänden erotischer Geschichten!“ Amalie lehnte den Kopf gegen die Wand und seufzte. „Du warst doch mal bei mir zu Hause, Lacey. Du weißt, wie ruhig und konservativ Belle Isle ist.“

„Und erst die … Senatorin!“

„Bitte, Lacey. Daran möchte ich lieber nicht erinnert werden.“ Amalie sah schnell nach oben und war froh, keine Überwachungskamera zu sehen. Bisher wussten noch nicht einmal die wenigen Leute von Pebblepond Press, die den wirklichen Namen von Madame X kannten, von ihren Verbindungen zu der Senatorin von South Carolina mit dem gleichen Nachnamen. Und sofern Lacey und Amalie ihre Maskerade als Madame X und deren unscheinbare Assistentin durchhielten, würden sie es auch nie erfahren.

Der Fahrstuhl stoppte im obersten Stockwerk. Hier in dem Penthouse hatte Norris Yount sein Büro. Amalie hielt die Fahrstuhltür auf, während Lacey wieder in ihre Pumps schlüpfte.

„Warum Mr Yount dich wohl sprechen will?“ Amalie war beunruhigt. Sie blickte den Flur hinunter, der mit einem dicken Teppich ausgelegt war. Am Ende des Flurs drang helles Licht aus einer offenen Bürotür.

Lacey trat aus dem Fahrstuhl. „Er will dir wahrscheinlich zu der gelungenen Buchpremiere gratulieren.“

„Du meinst wohl dir. Er will dir gratulieren.“

„Aber es ist alles dein Verdienst, Amalie.“

„Pst, man könnte uns hören.“

„Aber Norris könnte niemals unsere Stimmen auseinanderhalten. Erinnerst du dich, dass selbst deine Mutter manchmal nicht sagen konnte, wer am Telefon war? Auch deine Lektorin hat keine Ahnung.“

Bisher noch nicht. Aber auch nur, weil Rosie Bass noch neu im Verlag war. Amalie runzelte die Stirn. Ihre frühere Lektorin wäre ganz sicher in kurzer Zeit dahintergekommen.

„Komm mit.“ Amalie legte einen Finger auf den Mund, wie sie es zu Hause als Bibliothekarin tat, wenn sie die Kinder zum Schweigen bringen wollte.

Lacey lachte und ging hochaufgerichtet und mit wiegenden Hüften auf die offene Bürotür zu. „Norris, mein Lieber!“, rief sie aus, als der Verleger ihnen entgegenkam.

„Amalie, Liebste!“ Er streckte die Hände aus.

Gerade noch rechtzeitig fiel Amalie ein, dass damit nicht sie gemeint war. Sie trat zur Seite, um Lacey vorzulassen, die für die Leute der Pebblepond Press Amalie Dove war.

Lacey reichte Norris die Hände und küsste ihn auf beide Wangen. „War die Party nicht ein Riesenerfolg?“

„Sie waren wundervoll, ein richtiger Profi.“

Lacey zwinkerte Amalie kurz zu, während sie Norris in sein Büro folgte. „Aber, aber, ich war nur ich selbst.“

„Ein wunderschönes Selbst.“ Norris’ Stimme klang glatt wie Öl. Lediglich die Anwesenheit von Amalie irritierte ihn etwas.

Ohne ein Wort zu sagen, folgte Amalie den beiden ins Büro. Sie war heilfroh, dass sie diese verlogene Küsserei nicht über sich ergehen lassen musste. Die Rolle der farblosen Assistentin gefiel ihr viel besser, auch wenn das bedeutete, dass sie von jedem übersehen worden war, mit Ausnahme dieses Mr Thomas mit dem durchdringenden Blick.

„Ich bin sicher, dass die Lesereise ein ebensolcher Erfolg wird.“ Norris wies auf ein Sofa in cremefarbenem Leder, von dem aus man einen herrlichen Blick über die Stadt hatte.

Lacey ließ sich auf der Couch nieder und schlug die Beine übereinander. „Davon bin ich überzeugt.“

Amalie setzte sich auf einen der farblich abgestimmten Sessel. Unter ihr glitzerten die Lichter von Manhattan, kräftiger als die Sterne am Himmel. Alles war hier so anders, ja, das krasse Gegenteil von dem, was Amalie bisher für normal gehalten hatte, die Geräusche, die Ausblicke, das Essen, die Menschen. Selbst Lacey, strahlend und schlagfertig, war vollkommen anders als damals, als sie das College abbrach, um in New York Karriere zu machen. Obwohl Amalie das Leben in New York sehr interessant und anregend fand, wusste sie schon nach zwei Tagen, dass sie eher nach Belle Isle in South Carolina gehörte, wo es nachts über ihr glitzerte und nicht unter ihr.

Norris nahm eine Flasche Champagner aus dem silbernen Sektkühler. „Wir müssen diesen Erfolg würdig begießen“, sagte er und entfernte die Folie.

Lacey strahlte und hielt zwei Sektgläser hoch, als der Korken knallte. „Woher wussten Sie, dass Champagner mein Lieblingsgetränk ist?“

„Das habe ich mir gedacht, als ich Ihre letzten Geschichten durchging.“ Er beugte sich vor und füllte ein drittes Glas. Amalie konnte sehen, dass sein Haar schon reichlich schütter war. Er reichte ihr das Glas. „Miss …?“

„Longwood.“ Amalie hatte nur kurz gezögert. „Lacey Longwood.“ Sie und Lacey hatten verabredet, dass es das Einfachste wäre, die Namen zu tauschen. So würden sie möglichen Versprechern vorbeugen.

Yount hatte sich bereits wieder Lacey zugewandt. „Ich muss gerade an die Erzählung denken, als die Sängerin und der amerikanische Soldat zusammen Silvester feierten, und zwar mit einer geklauten Flasche Champagner, die die Sängerin unter ihrem schwarzen Samtcape herausschmuggelte …“ Er setzte sich neben Lacey und legte ihr den Arm um die Schultern.

„Das ist aus ‚Der Singvogel und der Soldat‘“, sagte Lacey sofort. Sich in die Erzählungen einzulesen, hatte ihr großes Vergnügen gemacht. „Ich freue mich, dass die Geschichte Ihnen gefallen hat. Hoffentlich haben Sie sie gemeinsam mit Ihrer Frau gelesen.“

Der Verleger rückte verlegen etwas zur Seite, und Amalie bewunderte Lacey für ihre Kaltblütigkeit. Doch dann lächelte Norris und hob das Glas. „Auf ‚Black Velvet II‘, liebste Amalie. Auf hohe Verkaufszahlen, treue Leser und scharfsinnige Kritiker!“

„Da möchte ich mich anschließen“, sagte eine tiefe raue Stimme von der Tür her. Rosie Bass trat ein. Sie trug ein dunkelblaues Schneiderkostüm mit einem Satinkragen. Bis vor zwei Tagen hatte Amalie Rosie nur vom Telefon her gekannt, und anfangs hatte sie Schwierigkeiten, diese winzige Person mit der kehligen Raucherstimme in Verbindung zu bringen. Doch ihre direkte Art, die prüfenden grünen Augen und der kurze Haarschnitt mit den ersten grauen Strähnen passten im Grunde sowohl zu der Stimme wie zu der Person.

Wieder fragte sich Amalie, ob eine scharfsichtige Frau wie Rosie nicht überrascht war, dass sich ihre unbekannte, eher zurückhaltende Madame X als Glamourgirl entpuppte. Doch selbst wenn einer der Verlagsmitarbeiter Verdacht geschöpft haben sollte, wollte ganz offensichtlich keiner dieser Sache weiter nachgehen.

„Warten Sie mit Ihrem Toast auf uns“, sagte Rosie jetzt.

Sie war also nicht allein gekommen, und Amalie drehte sich um, um zu sehen, wen sie mitgebracht hatte.

„Dieser Journalist von ‚NewsProfile‘ hat mir gerade gesagt, dass er von nun an bei jedem triumphalen Augenblick Ihrer Lesereise dabei sein will, Madame X“, sagte Rosie. „Darf ich Sie mit …“

Lacey erhob sich mit einer graziösen Bewegung und lächelte geschmeichelt. Amalie schob ihre Brille zurecht und erblickte einen hochgewachsenen Mann, der hinter Rosie durch die Tür trat. Schlagartig war ihr die Kehle wie zugeschnürt.

„… Thomas James Thomas bekannt machen? Ich bin sicher, Sie werden sich am Ende der Reise sehr gut kennengelernt haben.“

Thomas trat vor, beide Fäuste tief in den Taschen seiner Lederjacke vergraben, und lächelte kurz, als wollte er sagen: Hab’ ich euch doch erwischt! Amalie lehnte sich zurück und schloss kurz die Augen. Sie hatte unrecht gehabt und sich dennoch nicht geirrt.

Thomas war kein Fan. Und er war gefährlich.

2. KAPITEL

Es war eine heiße Sommernacht, und Amy Lee Star wachte wie zerschlagen auf. Wie ein feuchtes Tuch aus schwarzem Samt umgab sie die Dunkelheit und hemmte sie nicht nur in ihren Bewegungen. Sie konnte nicht denken, und ihren Körper hatte ein unbefriedigtes, schmerzliches Sehnen erfasst.

Sie sah aus dem Fenster. Das Mondlicht spiegelte sich glitzernd auf dem tiefdunklen Wasser. Sie beschloss, die Hemmungen der Person, die sie in der Öffentlichkeit spielte, abzulegen, und lief hinaus aus dem Haus. Ihr offenes Haar wehte im kühlen Nachtwind, und das weite, leichte Gewand umspielte ihren Körper, als sie über den Strand lief. Sie fühlte sich wie neugeboren, voller Leben, und tanzte barfuß über den nassen Sand. Bilder von kühnen Männern und liebenden Frauen gingen ihr durch den Kopf und erfüllten sie mit heißer Begierde. Sie sehnte sich nach etwas … und wusste doch nicht, wonach. Etwas musste passieren … etwas Unerwartetes … etwas Unerlaubtes, Verrücktes …

Der Mann, der da plötzlich aus den Wellen auftauchte, hätte ein Produkt ihrer überreizten Fantasie sein können: groß, kräftig, geheimnisvoll, gefährlich.

Aber er war es nicht.

Thomas hatte die Absicht, Madame X’ sorgfältig gehütete Identität aufzudecken, und zwar vor der ganzen Welt, das war Amalie plötzlich klar. Sie hatte es von Anfang an instinktiv gespürt. Er war nicht der erste Reporter, der diesen Versuch unternahm, aber Amalie hatte das Gefühl, dass er nicht aufgeben würde. Und Rosie Bass hatte ihm gerade den Schlüssel zu dem Geheimnis auf einem silbernen Tablett überreicht: zwei Wochen zusammen mit Lacey und Amalie während der Werbetour.

Amalie nahm die Brille ab und rieb sich die Augen. Dann stand sie auf und räusperte sich. „Das ist nicht Bestandteil der Abmachung mit Madame X über die Lesereise.“

Norris Yount war verblüfft, dass die sonst so schweigsame Assistentin protestierte, und sah Lacey fragend an. „Ich bin sicher, dass unsere reizende Madame X keinerlei Einwände hat.“

Amalie und Lacey blickten sich beunruhigt an.

„Sie haben sich bereit erklärt, mit den Medien zusammenzuarbeiten“, meldete sich jetzt Rosie.

„Wir haben Unsummen für Werbung ausgegeben“, fügte Yount hinzu.

Amalie biss die Zähne zusammen, als sie sah, wie Lacey besänftigend die Hand auf Norris’ Arm legte. „Aber das weiß ich doch, mein Lieber, und ich bin Ihnen dafür auch sehr dankbar. Ich bin nur nicht darauf vorbereitet, dass jemand ständig um mich sein wird, um jedes Wort und jede Bewegung festzuhalten.“ Lacey warf Thomas einen langen Blick zu. „Wann könnte ich mich denn mal ganz gehen lassen, wenn Mr Jericho immer dabei ist?“

Thomas lächelte. „Ich hatte nicht vor, Ihnen in Ihr Hotelzimmer zu folgen, zumindest nicht ohne Einladung.“

„Oh, là, là!“, hauchte Lacey. Sie schien von dieser Vorstellung geradezu begeistert zu sein.

Amalie war entsetzt. Auch wenn der Mann noch so attraktiv war, seine Anwesenheit würde ihnen nur Probleme bringen.

„Ich bin sicher, Thomas wird Ihnen nicht zu nahe treten“, schaltete Rosie sich jetzt wieder ein. „Er hat Verständnis dafür, dass wir Ihre wahre Identität nicht preisgeben wollen.“

„Ach ja?“, sagte Thomas so leise, dass keiner ihn hörte.

„Gut, abgemacht“, erklärte Yount.

Lacey nickte. „Wir werden es schon schaffen.“ Sie hob ihr Sektglas und prostete den anderen zu.

Thomas näherte sich Amalie, die steif und stumm dasaß. „Wir sind uns noch nicht vorgestellt worden …“

Amalie rückte ihre Brille zurecht. Normalerweise trug sie Kontaktlinsen, aber im Rahmen dieser ganzen Maskerade wollte sie möglichst seriös aussehen. „Ich bin Lacey Longwood, Madame X’ Assistentin“, sagte sie. Die Lüge kam ihr leichter über die Lippen, als sie befürchtet hatte.

„So, so.“ Thomas wies mit dem Kinn in Laceys Richtung. „Dann kennen Sie ihren richtigen Namen?“

„Ich schweige wie ein Grab.“

Thomas blickte auf ihren Mund. „Das sehe ich.“

Amalie versuchte, sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen. Er dachte wahrscheinlich, dass diese schüchterne Assistentin für ihn eine leichte Beute sein würde. Er würde seinen ganzen Charme bei ihr einsetzen, um etwas über Madame X zu erfahren.

Immerhin hatte er keine Ahnung, dass er es mit der echten Madame X zu tun hatte! Und obwohl Amalie sich eher ruhig und bescheiden gab, bedeutete das nicht, dass sie leicht nachgab. Wenn es notwendig war, konnte sie es durchaus mit Thomas aufnehmen, ja, ihn vielleicht sogar austricksen.

Lacey warf das blonde Haar zurück und lachte über irgendetwas, was der Verleger gesagt hatte.

Thomas beobachtete sie genau. „Eigentlich erstaunlich, dass Madame X so aussieht. Ich hatte mit dem Chefredakteur von ‚NewsProfile‘ gewettet, dass die geheimnisvolle Madame X in Wirklichkeit ein dicker, Zigarren rauchender Vielschreiber ohne jedes Talent ist.“

Amalie sah Lacey nachdenklich und ein wenig neidisch an. Wie schaffte sie es nur, sich unter diesen Menschen so wohl zu fühlen? Obwohl sie doch nur wenig Erfahrung als Schauspielerin hatte, schlüpfte sie in die Rolle einer Berühmtheit wie Madame X, als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan.

Nachdem sich Amalie erst einmal in das Lügengewebe verstrickt hatte, war sie sehr darauf bedacht gewesen, dass ihre wahre Identität nicht aufgedeckt wurde. Deshalb hatte sie keinen Gedanken daran verschwendet, wie sie sich denn in der Rolle der berühmten Autorin fühlen wurde. Da aber Lacey nun offensichtlich so viel Spaß daran hatte, hätte vielleicht auch sie, Amalie, …

„Komisch, was, Lacey?“

Amalie nickte Thomas zerstreut zu. „Oh, ja, könnte man sagen …“ Erst dann wurde ihr klar, dass er ihre Bücher beleidigt hatte. „Moment mal. Haben Sie Vielschreiber ohne jedes Talent gesagt? Sie haben doch wahrscheinlich keine einzige Zeile von ihr gelesen.“

Er grinste sie breit an. „Ich habe das Wesentliche gelesen.“

„Das Wesentliche?“

„Sie wissen schon, was ich meine.“

„Leider ja. Vielleicht aber sollten Sie sich etwas intensiver mit der Geschichte der erotischen Literatur beschäftigen, als sich nur gewisse Stellen herauszusuchen. Denn davon scheinen Sie wenig Ahnung zu haben.“

„Fühlen Sie sich angegriffen?“

„Dazu habe ich auch allen Grund. Es ist nur zu deutlich, dass Sie Madame X und ‚Black Velvet‘ fertigmachen wollen. Sie geben mir keine Chance.“

Thomas’ Gesichtsausdruck verriet nichts, aber ein kurzes Flackern in seinen Augen machte Amalie klar, dass er ihren Ausrutscher bemerkt hatte. „Und nichts“, fügte sie hastig hinzu, „was die Autorin oder ich sagen könnte, würde Ihre Meinung ändern. Ihre Einstellung steht fest, bevor Madame X überhaupt die Gelegenheit hatte, sich zu verteidigen.“

„Kommen Sie, Lacey, beruhigen Sie sich. Sie müssen doch zugeben, dass dieses ganze Getue etwas zu gewollt wirkt. Zum Beispiel schon der Name, Madame X. Wer kann ein solches Pseudonym schon ernst nehmen?“

Er hatte recht, Amalie hatte diesen Namen anfangs auch für etwas sehr melodramatisch gehalten. Aber da es absolut unmöglich war, ihren eigenen Namen zu benutzen, hatte sie ihn schließlich akzeptiert. Und sie würde ihn mit aller Macht verteidigen, um die eigene Identität vor den Medien zu schützen.

„Es gibt ein berühmtes Bild von John Singer Sargent“, sagte sie, nun etwas ruhiger. „Es heißt Madame X, und da dieses Bild für den Schutzumschlag verwandt wurde, lag es auf der Hand, auch den Namen beizubehalten. Vielleicht ist es etwas theatralisch, aber es macht auch neugierig. Die meisten Leser ziehen das Geheimnisvolle vor.“ Sie sah ihm direkt in die Augen. „Und wollen lieber nichts von einem dicken, Zigarren rauchenden Vielschreiber ohne jedes Talent wissen.“

„Sie sind sehr geschickt darin, Madame X zu verteidigen, aber wollen Sie damit sagen, dass diese Frau“, er wies kurz auf Lacey, „nur engagiert wurde, um die Rolle einer offensichtlich weniger attraktiven Autorin zu übernehmen?“

„Natürlich nicht!“

Er lachte. „Es ist ja nur so eine Idee.“

„Was Sie vorschlagen, wäre ja so etwas wie …“ Amalie straffte die Schultern, „wie eine Täuschung.“

„Nein, das wäre schlicht und einfach Betrug.“

Sie schwieg.

„Außerdem wäre es auch nichts Besonderes. Die Verleger sind das gewohnt“, fuhr Thomas fort. „Keiner, der nur einigermaßen bei Verstand ist, kommt auf die Idee, dass Martina Navratilova und Magaret Truman und Ivana Trump …“

„Und Newt Gingrich“, warf Amalie ein.

„… das selbst geschrieben haben, was sie veröffentlichen, von den sogenannten Autobiografien berühmter Leute gar nicht zu reden.“

„Warum sind Sie dann so darauf erpicht, die Identität von Madame X aufzudecken?“

Er hob kurz die Schultern. „Das ist mein Job.“

„Skandalstorys zu schreiben? Ein schöner Job!“

„Es geht um die Wahrheit“, sagte er ruhig.

„Um das, was Sie unter Wahrheit verstehen“, gab Amalie zurück. „Wäre es nicht möglich, dass Madame X sehr gute Gründe dafür hat, ihren Namen geheim zu halten? Können Sie denn ihre Privatsphäre nicht respektieren?“

„Nicht, wenn sie …“, er wies zu Lacey hinüber, „auf eine zweiwöchige Promotionstour durch zehn Städte geht. Das ist doch geradezu eine Aufforderung, mehr über sie herauszufinden.“

Damit hatte er nicht ganz unrecht. Amalie blickte zur Seite, damit Thomas ihren gequälten Gesichtsausdruck nicht sehen konnte. Die ganze Sache war schon kompliziert genug, und die sexuelle Anziehung, die Thomas auf sie ausübte, konnte sie nun wirklich nicht gebrauchen. Es war eine beängstigende Vorstellung, zwei Wochen lang diesem verwirrenden und gefährlichen Mann ausgeliefert zu sein.

Nach einigem Suchen fand Thomas doch noch ein öffentliches Telefon an der 43. Straße, das funktionierte. Erst musste er die Fotografin Lil Wingo anrufen, um zu sehen, ob sie auch Zeit hatte, dann wollte er die Maklerin in East Hampton bitten, den Kauf vorzubereiten. Alles schien gut zu laufen. Er hatte sogar schon ein paar Hinweise in Sachen Identität von Madame X, und vielleicht würde er diese lächerliche Lesereise auch irgendwie genießen können, zumindest solange die kleine Assistentin dabei war. Sie wirkte unschuldig, war witzig und schlagfertig und …

Eine tiefe Wärme breitete sich in ihm aus. Ja, er musste es zugeben, und ausgesprochen attraktiv, sogar sehr, wenn er an die zierliche Figur, die großen veilchenfarbenen Augen und das herzförmige Gesicht dachte. Auf der Reise würde sie für Spaß oder auch für Verwirrung sorgen, vielleicht auch für beides. Wer konnte das jetzt schon sagen?

Vielleicht konnte er sie auch für seine Zwecke einspannen, als Spionin, ohne dass sie es merkte.

Er klemmte den Hörer zwischen Kinn und Schulter und schlug dann die Titelseite von „Black Velvet II“ auf. Er blickte nachdenklich auf den Lippenabdruck. Was Madame X ihm wohl ursprünglich ins Buch geschrieben hatte? Auf alle Fälle etwas, was die Assistentin ihn nicht lesen lassen wollte. Vielleicht hätte er daraus seine Schlüsse ziehen können?

Die kleine Assistentin schien sowieso sehr viel engagierter zu sein als Madame X, aber das war im Grunde normal. Er kannte viele berühmte Leute, die ihre Hilfskräfte für alles und jedes hatten, damit sie sich ganz auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren konnten. Ob das bei Lacey und Madame X auch so war? Ein sehr merkwürdiges Paar.

Zerstreut blätterte Thomas in dem Buch. Er wollte es schon zuklappen und zur Seite legen, als sein Blick auf einen Satz fiel: Sie nahm ihn tief in sich auf.

Wow! Auf einmal verspürte er ein vertrautes Ziehen in den Lenden, und er blätterte ein paar Seiten weiter, um zu sehen, wie es weiterging.

Der amerikanische Soldat legte sie über den Strohballen und strich mit der rauen Hand über ihren Po. Genießerisch presste Fabienne die Hüften an das harte Stroh. Der grobe Stoff der offenen Uniformhose berührte ihre Haut, und Fabienne stöhnte auf. Sie hob ihren Po leicht an, und der junge Amerikaner drang von hinten tief in sie ein …

Der Telefonhörer fiel und schlug hart auf den Boden auf. Thomas schrak zusammen und verlor die Textstelle. Was hatte er jetzt aufgeschlagen?

„Ich begehre Sie“, stammelte der Butler.

„Weiter“, befahl die Frau mit der schwarzen Samtmaske.

„Nein, keine Namen“, flüsterte Amy Lee.

Thomas atmete schwer und steckte einen Daumen in das Taillenbund seiner Jeans. Sie war plötzlich so eng geworden. Das Buch hielt er immer noch aufgeschlagen in der anderen Hand.

Die junge Frau lachte leise und scheu. Ihre rosigen Brüste lagen nackt und prall vor den Augen ihres zukünftigen Mannes, der ihr das Spitzenhemdchen heruntergezogen hatte. „Meinst du nicht, wir hätten bis nach der Trauung warten sollen?“

Thomas lachte und warf das Buch wie einen vergifteten Apfel zur Seite. So etwas hatte er natürlich schon früher gelesen, ohne dass es eine besondere Wirkung auf ihn gehabt hatte. War es diesmal anders, weil er die Autorin kannte?

Merkwürdigerweise dachte er dabei nicht an die strahlende, goldblonde Madame X, sondern an ihre dunkelhaarige Assistentin, die schlagfertige Lacey mit den wunderschönen mandelförmigen Augen. Ohne Weiteres konnte er sich vorstellen, wie sie leicht errötend in ihrem Bett saß und mitten in der Nacht ihre erotischen Fantasien niederschrieb. Irgendwie hatte sie viel mehr Ähnlichkeit mit Amy Lee Star aus den Erzählungen …

Das Ganze war höchst seltsam.

„Wollen Sie nun telefonieren oder nicht?“, fragte eine unwirsche Stimme.

Thomas fuhr zusammen. „Ja, ja, natürlich“, sagte er schnell und zog den Hörer an der Schnur wieder hoch. Wie war noch Lils Nummer? Er versuchte, die erotischen Bilder aus seiner Fantasie zu verbannen, und als Lil schließlich an den Apparat kam, hatte er sich auch wieder gefangen.

„Hier ist Thomas.“

„Deine Stimme hört sich so komisch an.“ Lil selbst kam offensichtlich aus tiefem Schlaf. „Was ist? Hast du was für mich?“

„Madame X.“

„Wer ist das?“

„Die Autorin dieser erotischen Geschichten. Falls du bisher noch nichts von ihr gehört hast, wirst du sie bald kennenlernen.“

„Ach so.“ Lil gähnte. „‚Black Velvet‘, richtig?“

„Ja. Ich brauche dich morgen in den NBS-Studios, und zwar früh.“

„Ich muss heute Nacht noch Bilder bei einem Empfang machen. Brad Pitt wird mit seiner neuesten Freundin erwartet. Das wird ewig dauern.“

„Freu dich, dass ich dich geweckt habe.“ Ohne nachzudenken, griff er wieder nach dem Buch mit dem schwarzen Samtumschlag. Es war eine Versuchung, fast wie die Autorin selbst. Und wieder dachte er zuerst an die kleine zierliche Assistentin, obgleich nicht sie es war, die das enge schwarze Samtkleid getragen hatte. Aber ihr Haar war dunkel und weich, und ihre Haut würde sich sanft anfühlen und der Mund warm …

Mit Mühe konzentrierte er sich auf das Gespräch mit Lil. „Morgens um sechs“, sagte er und war überrascht, dass sie nicht protestierte. Allerdings hatte Lil die lukrativen Angebote von „NewsProfile“ selten abgelehnt.

Und so war es auch diesmal. „Wer braucht schon Schlaf“, sagte sie nur. „Ich werde da sein.“

„Und pack schon mal ein paar Sachen zusammen für Philadelphia, Detroit, Chicago und eventuell auch Minneapolis. Wir fahren übermorgen.“

„Chicago und Minneapolis?“ Thomas hörte die Sprungfedern quietschen, als Lil sich im Bett aufrichtete. „Im März ist es da doch noch eiskalt.“

„Dann kauf dir einen warmen Schal“, sagte Thomas ungerührt und gab ihr die Einzelheiten bekannt. Lil brummte irgendetwas und legte schließlich auf, obgleich Thomas noch gar nicht fertig war.

Thomas grinste und wählte dann die Nummer von Debbie Howell.

„Hallo?“ Das war Debbies Stimme, munter wie immer.

„Hallo, Deb, wie geht’s? Hier ist Thomas.“ Er war mit Debbie zusammen zur Schule gegangen. Sie hatte immer eine Schwäche für die schwarzen Schafe gehabt.

„Tom! Wann kommst du mich endlich mal wieder besuchen? Wir könnten ein bisschen was trinken, irgendwo was essen gehen und sehen, was sich sonst noch so ergibt …“

„In zwei Wochen komme ich“, versprach er. „Aber wie steht es denn mit dem Vanderveer-Besitz?“

Debbie kicherte. „Bist du denn nun an mir interessiert oder an meiner Makler-Lizenz?“

„Im Augenblick an deiner Lizenz.“ In dieser Situation war Ehrlichkeit die beste Strategie. Er und Debbie hatten immer viel Spaß miteinander gehabt, ebenso wie er und Lil, aber es war nie etwas Ernstes zwischen ihnen gewesen. „Irre ich mich, oder wollen die Vanderveers ihren Besitz immer noch verkaufen?“

„Das letzte, was ich hörte, war, dass irgendwelche Verwandten noch harte Auseinandersetzungen wegen des Silbers und der Antiquitäten hatten. Aber ich rechne damit, das Anwesen demnächst ins Angebot aufnehmen zu können. Hast du denn die Anzahlung schon parat?“

„Beinahe. Den Rest werde ich auch bald haben. Meinst du, ich kann eine Anzahlung machen, auch wenn das Haus offiziell noch gar nicht angeboten wird?“

„Diese Verwandten sind so geldgierig, dass es ihnen vollkommen egal ist, an wen und wie ich das Haus und das Grundstück verkaufe. Ihnen kommt es nur auf einen möglichst hohen Preis an. Dir muss es ja gut gehen, wenn du dir eine Hypothek in der Höhe leisten kannst.“ Ihre Stimme klang neugierig. Sie hatte früher in einem ärmlichen Viertel der Stadt gewohnt, gleich neben dem bescheidenen Häuschen von Thomas’ Großeltern mütterlicherseits. Immer wenn er etwas ausgefressen hatte und sein Stiefvater seinen Anblick nicht mehr ertragen konnte, wurde er zu den Großeltern geschickt.

„Es geht so“, sagte Thomas ausweichend. Schließlich musste er nicht jede Frage vollständig beantworten. „Es war schön, mal wieder mit dir zu sprechen. Ich bin jetzt eine Zeit lang nicht in der Stadt, aber ich werde dich von unterwegs anrufen. Vielleicht tut sich ja in der Zwischenzeit etwas.“

„Keine Sorge, Thomas. Du kriegst ein Stück von dem Hampton-Kuchen ab, wenn du es denn wirklich unbedingt willst.“ Debbies Stimme klang etwas zweifelnd.

Thomas lächelte grimmig. Und ob er das wollte! Er wollte es, seitdem er sechzehn war und unfreiwillig Zeuge eines Gespräches zwischen seinem Stiefvater und seiner Mutter wurde. Es war an dem Morgen nach dem Vorfall im Country Klub, und sein Stiefvater hatte ein für alle Mal klargemacht, dass er nicht daran dächte, sich in Zukunft für ihren ungeratenen Sohn einzusetzen, der weder von der Erziehung noch von der Herkunft her jemals in seine Kreise passen würde.

Thomas hatte lange unter der Ablehnung des einzigen Vaters, den er je gekannt hatte, gelitten. Aber inzwischen konnte er den Schmerz gut verdrängen und bildete sich ein, nichts mehr zu empfinden. Und dass er sich ein Haus neben seinen Eltern kaufen wollte, hatte nichts mit Rache zu tun, wie er sich einredete. Es war nur die verdiente Belohnung dafür, dass er hart gearbeitet hatte. Ihm war gleichgültig, was seine Eltern dabei empfanden, wenn das schwarze Schaf der Familie in die unmittelbare Nachbarschaft zog. Und dennoch sehnte er sich danach, ihre Gesichter zu sehen, wenn das passierte.

Den „Black-Velvet“-Betrug aufzudecken, war für ihn also lediglich Mittel zum Zweck. Er konnte es sich nicht leisten, mit der Blonden im schwarzen Samt oder ihrer großäugigen Komplizin Mitleid zu haben. Wenn sie die Wahrheit gesagt hatten, dann gab es kein Problem für sie.

Wenn nicht, dann war es eben Pech, Madame X. Die Welt ist nun mal schlecht, und jeder ist sich selbst der Nächste.

3. KAPITEL

Amy Lee war wie hypnotisiert.

Ihr erster Impuls war zu fliehen, dahin, wo sie in Sicherheit war. Aber sie konnte sich nicht bewegen. Kaltes Salzwasser umspielte ihre Füße, die Zehen gruben sich in den nassen Sand. Der Saum des Nachthemds sog sich voll Wasser und hing schwer herunter. Amy Lee stand regungslos da.

Der Mann, der aus dem Meer zu kommen schien, trug nichts als enge abgeschnittene Jeans. Sein muskulöser Oberkörper glänzte im Mondlicht wie der einer antiken Statue. Aber er ist wirklich, dachte Amy Lee und starrte ihn an, als er auf sie zukam. Sein Gesicht war ernst, und sein Körper strahlte eine animalische männliche Kraft aus. Sie ließ den Blick sinken und riss dann überrascht die Augen auf. Die Jeans schienen an seinem Körper zu kleben, und der nasse Stoff machte nur noch deutlicher, dass der Mann sexuell sehr erregt war. Durch sie? Sie wollte protestieren. Doch der Mann, nur noch eine Armeslänge von ihr entfernt, brachte sie mit einem Blick zum Schweigen.

„Nicht“, sagte er, „keine Worte, keine Namen.“

Der Zimmerkellner blieb wie angewurzelt an der Schlafzimmertür stehen und starrte auf das Bild, das sich ihm bot. Lacey saß vor dem Frisiertisch und bürstete ihr goldblondes Haar. Ihr schwarzes Negligé aus Chiffon fiel vorne auseinander und gab den Blick auf ein Paar nackte und traumhaft lange Beine frei. Sie hatte die Fußnägel leuchtend rot lackiert und ließ sich überhaupt nicht stören.

Amalie zeichnete die Rechnung ab und gab dem Kellner ein Trinkgeld, obgleich er durch Laceys Anblick schon genug belohnt war. Auf alle Fälle würde man sie gut bedienen, da war Amalie sicher, denn der Kellner würde höchstwahrscheinlich seinen Kollegen erzählen, was es hier oben zu sehen gab.

Allerdings konnte sie sich über den Service sowieso nicht beschweren. Pebblepond Press hatte sie in einem sehr luxuriösen Hotel untergebracht. Sie bewohnten eine Suite mit zwei Schlafzimmern, zwei Bädern und einem Wohnzimmer inklusive Minibar, die jeden Tag gratis wieder aufgefüllt wurde. Die Räume waren verschwenderisch mit Blumen dekoriert, und in dem Wohnzimmer stand eine große Schale mit duftenden Früchten.

Lacey ging zum Frühstückstisch, und nahm sich eine Erdbeere aus der silbernen Schale. „Ich würde mich nicht wundern, wenn wir heute auf der Titelseite der Zeitungen auftauchen.“ Sie steckte sich die Erdbeere in den Mund. „Hm … gut.“

Amalie griff nach der Zeitung und blätterte sie schnell durch. Dem ersten Auftreten von Madame X in der Öffentlichkeit war tatsächlich ein Artikel gewidmet. Außerdem war der neueste Band von „Black Velvet“ besprochen worden, der Kritiker war geradezu enthusiastisch.

„Hör dir das an, Lacey.“ Sie las vor: „‚Die ‚Black-Velvet‘-Bände kann man bereits als Klassiker der erotischen Literatur bezeichnen. Madame X verführt den Leser zu einer Reise in eine dekadente Welt sinnlicher Freuden. Toll! Und hier ist auch ein Foto von dir.“

„Zeig her!“ Lacey starrte auf das Bild, auf dem sie lachend an der breiten Brust des Action-Stars Lars Torberg lehnte. Darunter stand: Das Rätsel um die geheimnisvolle Madame X ist gelöst.

Amalie sank vollkommen überwältigt auf das weiche Sofa. „Stell dir vor, ich und eine Besprechung im ‚New York Express‘!“

Lacey zog sich einen Stuhl an den Frühstückswagen, setzte sich und griff nach der Kaffeekanne. „Wieso? Wir haben doch auch hart dafür gearbeitet.“

„Ich weiß nicht, mir geht das alles zu schnell.“ Amalie hätte nie mit einem solchen Erfolg gerechnet, als sie damals zwei Absätze aus ihrem Tagebuch in ihre erste erotische Erzählung umgeschrieben hatte und zwar nur zum Vergnügen ihrer Mitstudentinnen.

Sechs Jahre später war der erste Band in einer bescheidenen Auflage erschienen, hatte sich aber letzten Endes doch gut verkauft. So hatte sich Amalie auch nichts dabei gedacht, den Vertrag für einen zweiten Band von „Black Velvet“ zu unterschreiben, zumal sie sich mit dem Pseudonym vollkommen sicher fühlte.

Bereits vor der Auslieferung hatten die Vorbestellungen ein unerwartetes Ausmaß angenommen. Und sowie das Buch auf dem Markt war, hatten sich Journalisten, Moralapostel und Klatschkolumnisten darüber hergemacht und herauszufinden versucht, wer die geheimnisvolle Madame X war.

Amalie hatte Angst, in Zukunft nicht mehr so anonym und friedlich leben zu können. Hinter jedem Reporter, der auf der Insel erschien, vermutete sie einen gnadenlosen Verfolger. Wenn man ihre Identität aufdeckte, wäre die Wiederwahl von Senatorin Dove ganz sicher gefährdet.

Lacey hatte sich abermals in die Zeitung vertieft. „Sie rätseln immer noch über Madame X’ wirklichen Namen. Ich habe dir ja gleich gesagt, sie werden sich nicht so schnell zufriedengeben.“

„Aber der darf nie herauskommen.“ In diesem Punkt würde Amalie nicht nachgeben. Glücklicherweise war Pebblepond Press der Meinung, das Geheimnis um Madame X würde die Verkäufe ankurbeln. „Vor allen Dingen jetzt nicht, wo ich doch der Presse gegenüber mehrfach behauptet habe, nicht die Autorin zu sein. Sieh dir doch nur an, wie man den Autor von ‚Primary Colors‘ fertiggemacht hat, nachdem er mit der Wahrheit herausgerückt war.“ Sie hatte zwar ein schlechtes Gewissen und fühlte sich auch bei der ganzen Lügerei ausgesprochen unbehaglich. Aber was würde sie erst durchmachen müssen, wenn alles herauskäme? Sie dachte an Thomas’ harte Augen und sein zynisches Lächeln. Das wäre doch ein Festessen für ihn.

Glücklicherweise betrachtete Lacey die Situation von einer positiven Warte. „Lass mich nur machen.“ Ihre Augen blitzten. Je mehr Aufsehen, desto günstiger für ihre Karriere als Schauspielerin.

„Wir müssen auch noch darüber sprechen, was wir mit dem Reporter von ‚NewsProfile‘ machen“, sagte Amalie. „Er scheint einen Verdacht zu haben. Ich wünschte, ich könnte ihn daran hindern, mit uns zu kommen.“

„Ach, Amy, um den kümmere ich mich schon und zwar mit Vergnügen.“

„Er wird Tausende von Fragen stellen.“

„Dann werde ich mir eben Tausende von Antworten überlegen. Du kennst mich doch.“ Auch auf der Schauspielschule war Lacey in freier Improvisation immer besonders gut gewesen.

Was Amy nicht gerade beruhigte. „Am besten ist es, möglichst kurz zu antworten. Das können wir beide besser behalten. Außerdem verstricken wir uns dann später nicht in Widersprüche.“

Lacey sah träumerisch in die Ferne. „Wer weiß, vielleicht gehe ich Thomas ja gern in die Falle.“

Amalie warf ihr einen strengen Blick zu. „Ich dachte, du interessierst dich für Lars Torberg?“

Lacey zwinkerte ihr zu und lächelte. „Wie lange wird denn die Maskerade dauern? Ich liebe es, wenn mir attraktive Männer zu Füßen liegen.“

„Ich sehne schon heute das Ende der Signiertournee herbei“, stieß Amalie zwischen zuammengebissenen Zähnen hervor. Sie war wütend bei dem Gedanken an Laceys nächste mögliche Eroberung. Je eher Madame X und ihre lüsternen Bücher in der Versenkung verschwanden, desto besser war es für alle Beteiligten. Ihre Reaktion gestern auf Thomas war schlichtweg albern gewesen. Heute sah sie die Dinge wieder sehr viel klarer.

Lacey fing an, aus dem Artikel zu zitieren. „‚Madame X überraschte ihre Gäste in einem hautengen schwarzen Samtkleid. Ihre üppige Erscheinung entsprach genau der Vorstellung, die man sich von Norris Younts neuester Starautorin machte.‘“ Lacey knüllte die Zeitung leicht zusammen und warf sie quer durch den Raum. „Soll das bedeuten, dass ich dick bin, wenn auch sexy?“

„Das bedeutet wohl eher, dass du wieder eine Eroberung gemacht hast.“ Amalie stand auf, hob die Zeitung auf und glättete sie. Lacey hatte nie Probleme gehabt, Männer zu finden, aber sie hatte dafür auch eine natürliche Begabung, was Amalie lächelnd anerkennen musste.

Lacey füllte sich Schüsselchen mit Erdbeeren und Sahne. „Nur wenn ich zehn Pfund abnehme, kann ich Karriere als Supermodel machen.“ Sie strich sich über die Hüften und seufzte. „Vielleicht lieber fünfzehn.“

„Ach was, du siehst doch fantastisch aus. Eine Schauspielerin sollte nicht nur aus Haut und Knochen bestehen.“

„Oh, doch. Man sagt allgemein, vor der Kamera wirkt man immer zehn Pfund schwerer.“ Doch dann strahlte Lacey wieder. „Egal, die Besetzungsbüros werden sich schon an mich erinnern, wenn ich als Madame X berühmt geworden bin.“

„Aber irgendwann werden sie deinen richtigen Namen wissen wollen.“ Amalie runzelte die Stirn. Sie hatten sich noch nicht überlegt, wie es später weitergehen sollte.

Lacey zuckte mit den Schultern. „Mir egal.“

„Wahrscheinlich werden die Leute von Pebblepond Press, die dich als Amalie Dove kennen, Lacey Longwood für deinen Künstlernamen halten. Aber sie werden sich fragen, wie ich denn in Wirklichkeit heiße, sofern sie sich überhaupt an deine schüchterne Assistentin erinnern.“ Amalie schüttelte nachdenklich den Kopf. „Wir hätten das besser durchdenken sollen.“

„Ich könnte doch einfach für alle Welt Madame X bleiben. Das würde mir durchaus gefallen.“ Lacey ließ ein Stück Zucker in ihren Kaffee fallen. „Du musst nur einfach weiter Bestseller schreiben, und ich bade im Ruhm!“

„Lacey, ich kann nicht versprechen, dass ich jemals wieder einen ‚Black-Velvet‘-Band schreibe“, sagte Amalie zögernd. „Vielleicht war dies schon das Beste, was wir vom Schicksal erwarten können.“

„Keine Sorge, Süße, ich mach doch nur Spaß. Ich weiß, dass wir ‚Cats‘ keine Konkurrenz machen können.“ Lacey lehnte sich zurück. Sie war weitaus realistischer, als ihr Äußeres vermuten ließ. „Es wäre schon ein Wunder, wenn ich als Schauspielerin später bei irgendeiner kleinen Bühne ankäme. Also wird Pebblepond Press von unserem Verwechselspiel nie etwas erfahren.“ Sie deutete auf den Frühstückswagen. „So, jetzt iss etwas, während ich mich anziehe. Nach der Beschreibung im ‚Express‘ erwarten die Leute von ‚Manhattan Morning‘ sicher etwas ganz Besonderes.“

„Manhattan Morning“ war eine Unterhaltungssendung im Lokalfernsehen, und für „Madame X“ waren die letzten sechs Minuten vorgesehen. Sechs Minuten, eine Ewigkeit für Amalie, die das Ganze aus dem abgedunkelten Regieraum beobachtete. Aber Lacey schien sich in dem grellen Scheinwerferlicht ausgesprochen wohlzufühlen. Sie saß entspannt in dem bequemen Sessel, obgleich dies das erste TV-Live-Interview ihres Lebens war.

„Die ‚Black-Velvet‘-Storys gehören zur erotischen Literatur, Kevin, und haben mit Pornografie nichts zu tun“, sagte sie zu dem Moderator, sehr darauf bedacht, das Buch gut sichtbar in die Kamera zu halten. Ihr Haar leuchtete, und sie lächelte strahlend.

„Gibt es denn da einen Unterschied?“, fragte Kevin spöttisch.

„Aber selbstverständlich.“ Wieder blickte Lacey direkt in die Kamera. „Erotische Literatur ist sinnlich, entspannend und humorvoll. ‚Black Velvet II‘ ist so süß wie ein Karton Konfekt, meine Damen, allerdings völlig ohne Kalorien!“ Die Zuschauer im Studio lachten.

Amalie fuhr zusammen, als sie eine feste warme Hand auf ihrer Schulter fühlte. „Stimmt das? Ist das auch Ihr Lieblingskonfekt?“, flüsterte eine dunkle Stimme. Amalie blieb beinahe das Herz stehen. „Sind Sie deshalb nur so eine halbe Portion?“

Jetzt hatte sie sich gefasst und trat schnell ein wenig beiseite. Thomas Jericho trug wieder seine Jeans und das weiße Hemd. Die Lederjacke hing ihm lässig über der Schulter. Obgleich er weder Notizblock noch Rekorder bei sich hatte, war Amalie davon überzeugt, jedes ihrer Worte würde aufgezeichnet.

„Vermutlich können Sie nicht verstehen, wie jemand die Bücher von Madame X als seriöse Literatur bezeichnen kann.“ Sie war wütend auf ihn, aber auch auf sich selbst. Denn trotz ihres Zorns fühlte sie eine verräterische Wärme in sich aufsteigen. Normalerweise war sie nicht so empfindlich, aber Thomas schaffte es immer wieder, sie in die Defensive zu drängen.

Er grinste. „Ja, so seriös wie eine herzförmige Konfektschachtel mit Schleifchen.“

Er weiß nicht, dass er die Autorin beleidigt, sagte sie sich immer wieder. „Und wie viele Bücher haben Sie bereits veröffentlicht, Sie Starjournalist?“ Sie sah ihn abschätzig an. „Vielleicht würde Kevin Kincaid Sie ja auch interviewen, wenn Sie auf der Bestsellerliste stünden.“

„Um dann durch die ganze Medienmühle gedreht zu werden? Vielen Dank, das ist nichts für mich. Obwohl ich tatsächlich schon ein Buch geschrieben habe.“

Sie lachte leise. „Wirklich? Vielleicht ‚Einhundert Tricks, ein guter Skandalreporter zu werden‘?“

„Sie werden mich doch nicht hassen, nur weil ich neugierig bin“, sagte er lächelnd.

Beide wandten sich jetzt wieder der Sendung zu. Madame X konterte gerade sehr geschickt, als Kevin mit hämischem Grinsen eine schlüpfrige Stelle aus dem Buch zitierte. Sie schlug ihm vor, doch mal etwas für sein eigenes Liebesleben zu tun, und lachte schallend los, als er sie nach ihrer Telefonnummer fragte. Das Studiopublikum war begeistert.

„Sie ist ein Naturtalent“, sagte Thomas.

Amalie nickte.

„Aber ich glaube nach wie vor nicht, dass sie das Buch geschrieben hat. Sie füllt die Rolle einfach zu perfekt aus. Außerdem sieht sie zu gut aus.“

„Aha, und das genügt Ihnen als Beweis, was?“ Amalie sah ihn zornig an. „Das übliche Vorurteil gegenüber Blondinen.“ Wieder war Thomas überrascht von ihrer heftigen Reaktion. Sie hatte die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen, und ihr Blick ging ständig zwischen ihm und dem Set hin und her. Thomas konnte ihre Anspannung fühlen, und sein Misstrauen wuchs.

Irgendetwas stimmte nicht mit Madame X und ihrer Assistentin. Zwar gab es dafür noch keinen Beweis, aber sein journalistischer Instinkt sagte ihm, dass er auf dem richtigen Weg war. In den nächsten zwei Wochen würde er Madame X oder einen ihrer Begleiter bei einem Fehler ertappen, und dann würde er die Wahrheit herausfinden.

Er legte die Hand auf Amalies Arm. „Ehrlich gesagt, ich könnte mir beinahe vorstellen, dass Sie die Bücher geschrieben haben, Lacey.“

Zu seiner Enttäuschung reagierte sie nur mit einer kaum wahrnehmbaren Anspannung des Körpers. Sie trat zur Seite und verschränkte beide Arme vor der Brust, die klassische Körpersprache der Abwehr. Schade, es wäre aufschlussreicher gewesen, wenn sie heftig geleugnet hätte, zumindest aber ihn empört angefunkelt hätte.

„Dazu will ich nichts sagen, das ist einfach zu lächerlich“, erklärte sie schließlich mit eisiger Stimme.

Sie drehte sich rasch herum und ging mit schnellen Schritten zu dem „Black-Velvet“-Dreigestirn hinüber: Rosie Bass, die Thomas gut genug kannte, um zu wissen, dass sie sich nie verplappern würde; Minette Styles, die für die PR zuständig war, und die stahlharte Brünette, die als literarische Agentin vorgestellt worden war. Vielleicht wäre er am ehesten bei der übereifrigen Minette erfolgreich, aber am meisten versprach er sich immer noch von der kleinen Assistentin, die offensichtlich wenig Erfahrung mit dieser Welt des schönen Scheins hatte.

Kevin Kincaid sprach die Schlussworte, und das Publikum applaudierte wieder. Thomas sah sich suchend um. Wo war denn Lil Wingo, seine Fotografin? Natürlich, sie war im Konferenzraum beim kalten Buffet zu finden. Mehrere Kameras hingen ihr um den Hals wie Patronengürtel, was insofern auch passend war, weil sie mit ihrer Hasselblad wie mit einem mehrschüssigen Revolver umgehen konnte.

„Hast du immer noch nicht genug?“, fragte Thomas grinsend.

„Nein“, erwiderte sie nur und biss herzhaft in ein Lachsbrötchen.

„Ich werde dich nie wieder küssen“, drohte er.

„Na, und? Als wenn ich darauf so scharf wäre!“ Unbeirrt griff sie jetzt nach einem Cremetörtchen.

Wenn sie wegen eines Auftrags außerhalb der Stadt unterwegs waren, hatten sie schon mal miteinander geschlafen, einfach, weil es sich so ergeben hatte. Aber zurück in New York erinnerten sie sich wieder daran, dass sie gern miteinander arbeiteten und es deshalb besser war, kein Verhältnis anzufangen. Thomas wusste, dass Lil sich eigentlich ernsthaft nur für ihre Kameras interessierte. Und Lil wusste, dass Thomas wahrscheinlich zu viele schlechte Erfahrungen in seiner Jugend gemacht hatte, um Frauen noch trauen zu können.

„Wenn du dir dann endgültig den Magen verdorben hast, können wir wohl gehen? Es sei denn, du musst noch ein paar Fotos von Kevin Kincaid machen.“

„Um Himmels willen! Der Kerl hat sich sowieso schon auf jedes Bild gedrängelt.“

„Wollen wir uns zusammen ein Taxi nehmen?“

„Nein. Ich will noch ein bisschen in der Nähe der Studios bleiben. Mal sehen, wen ich sonst noch so vor die Linse bekomme.“

„Okay.“ Thomas blickte auf seine Uhr. „Aber vergiss nicht die Signierstunde um eins und die Autorenlesung um sieben.“

Lil gähnte herzhaft. „Vielleicht kann ich mich zwischendurch ja noch kurz hinlegen.“

Die Signierstunde in der großen Buchhandlung hätte gar nicht besser laufen können. Lacey genoss es, mit den Bewunderern von Madame X zu reden, und sie kannte die Erzählungen gut genug, um auf jede Detailfrage eingehen zu können. Da manche Leser sie für eine Expertin in Sachen Liebesleben hielten, baten sie auch um einschlägige Tipps. Manche Fragen ließen Amalie erröten, aber Lacey blieb freundlich und gelassen.

Danach fuhren sie zu einer kleineren Spezialbuchhandlung, in der später eine Lesung stattfinden sollte. Amalie hatte ihre Zweifel, ob das wirklich eine so gute Idee war, aber Lacey freute sich darauf, endlich ihr dramatisches Talent beweisen zu können.

Der Besitzer der Buchhandlung nahm Lacey mit nach hinten, damit sie sich auf ihren Auftritt vorbereiten konnte. Amalie sah sich in dem großen holzgetäfelten Raum um. Obwohl sie sich zwischen vielen Büchern immer wohlfühlte, empfand sie plötzlich so etwas wie Einsamkeit, wahrscheinlich, weil sie den ganzen Tag mit Lacey zusammen gewesen war.

Sie setzte sich auf einen der Klappstühle in der hintersten Reihe. Der bequeme Ledersessel ganz vorn war natürlich für Madame X bestimmt. Es war erstaunlich, wie viele Menschen bereits da waren. Obgleich die meisten Leser der „Black-Velvet“-Bücher Frauen waren, hatten verblüffend viele Männer Platz genommen. Wahrscheinlich hatten sie Laceys Foto im „Express“ gesehen.

Amalie lächelte kurz und schlug die Beine übereinander. Nach der Lesung mussten sie noch mit Rosie Bass und dem Team essen gehen, und dann konnten sie endlich in ihr Hotel zurückkehren. Es war ein langer Tag, und Amalie war nicht an das hektische New Yorker Tempo gewöhnt.

Der Geräuschpegel stieg an, als Lars Torberg eintrat. Für ihn war in der ersten Reihe ein Stuhl reserviert, sozusagen zu Füßen von Madame X. Immer mehr Menschen strömten in die Buchhandlung, und auch der Platz neben Amalie wurde besetzt.

„Darauf bin ich nun wirklich gespannt“, sagte ihr Sitznachbar, und Amalie fuhr herum. „Sie schon wieder!“

Thomas sah sie an und lächelte. „Ja, ich schon wieder.“ Er lehnte sich behaglich zurück und verschränkte die Arme vor der breiten Brust. „Das wird die ganzen nächsten zwei Wochen so sein, Sie sollten sich also lieber an mich gewöhnen.“

Amalie war im höchsten Maße alarmiert. „Sollten Sie sich nicht ganz nach vorn setzen? Sie wollen doch sicher kein Wort versäumen.“

„Mich interessieren die Reaktionen der Zuhörer eigentlich mehr.“

Warum nur hatte sie den Eindruck, es sei speziell ihre Reaktion, die ihn interessierte? Weil er sie wieder so sonderbar ansah?

Sie zwang sich dazu, geradeaus zu blicken. Ihre Wangen waren gerötet. Warum musste dieser Mann sie auch immer durcheinanderbringen? Sie musste sich eingestehen, dass sie es genoss, mit ihm zu reden, gerade mit ihm, der ihnen doch so gefährlich werden konnte. Sie fühlte sich plötzlich so wach, so lebendig.

„Wissen Sie, welche Erzählung sie lesen wird?“

„Aus ‚Black Vel…‘“ Amalie hielt plötzlich inne. Oh, nein, das war ja entsetzlich. Hier neben ihm zu sitzen, während Lacey die Geschichte von zwei maskierten Liebenden vorlas, die sich in einer Loge während eines Maskenballs liebten. Sie schluckte und starrte auf ihre Hände, die gefaltet in ihrem Schoß lagen. „‚Black Velvet‘, Band 2. Die Erzählung ‚Karneval‘“, stieß sie schließlich leise hervor.

Er lehnte sich vor und stützte die Ellbogen auf den Knien auf. „Sehr gut, das wird mir gefallen.“

Lacey kam herein und wurde mit lautem Applaus empfangen. Sie bedankte sich, setzte sich dann und begann mit der Lesung. Ihre Stimme war leise, dunkel und rau, konnte aber noch in dem hintersten Winkel der Buchhandlung gut verstanden werden. Amalie holte tief Luft und schloss die Augen.

Die schwarz-weiße Harlekinmaske ließ nur die rosigen Lippen frei. Ihr Mund war so üppig und so einladend, dass ihr maskierter Tanzpartner heiße Erregung in sich aufsteigen fühlte bei dem Gedanken an das, was mit Sicherheit geschehen würde.

Amalie versuchte verzweifelt, die Gegenwart aus ihren Gedanken auszuschließen. Sie kniff die Augen fester zusammen und versuchte, an etwas ganz anderes zu denken, an ihren achtzehnseitigen Autorenvertrag zum Beispiel. Hatte sich da neben ihr nicht etwas bewegt? Sah er sie etwa wieder an? Die Härchen auf ihren Armen richteten sich auf.

Der Ballsaal war von unzähligen Kerzen erleuchtet. Die maskierte Frau wandte sich von dem Mann ab, lehnte sich über das schmiedeeiserne Geländer und genoss den farbenprächtigen Anblick der Tanzenden. Sie warf einen langen Blick nach hinten über ihre nackte Schulter. Der Mann in dem weiten Kapuzenmantel und der goldenen Löwenmaske trat aus dem Schatten. Er legte ihr einen Arm um die Taille. „Bleib nur so stehen“, flüsterte er. „Ich werde jetzt deinen Rock anheben.“

Amalies Augenlider zitterten. Sie wusste, dass er sie ansah. Und Laceys Worte – ihre eigenen Worte – konnte sie einfach nicht ignorieren. Ihr Puls ging rascher, und ihre Haut prickelte vor Hitze.

Lacey fuhr fort: „‚Man wird uns sehen‘, sagte die Frau, aber ihr Protest war halbherzig. Jetzt war Karneval, und nur im Karneval erlaubte sie sich, aus der Rolle zu fallen und etwas Unerhörtes zu tun.“

Amalie schlug nervös die Beine übereinander. Thomas beobachtete sie unauffällig. Jetzt strich sie langsam über den langen Kragen ihres Jacketts, so als streichelte sie sich selbst, und Thomas unterdrückte mit Mühe ein Stöhnen.

Sie biss sich auf die Lippen und beugte sich vor, sodass er ihr in den Ausschnitt sehen konnte. Er starrte schweratmend auf die sanften Kurven ihrer Brüste und sah, dass sich die aufgerichteten Brustknospen deutlich unter der dünnen Seidenbluse abzeichneten. Und da ahnte er, dass die äußerlich so sanfte und bescheidene Assistentin von Madame X eine sehr sinnliche Seite hatte, die sie vor der Welt zu verstecken suchte und die sie auf sichere und anonyme Weise in ihren Büchern ausleben konnte.

Das Rascheln des Taftrocks und das leise Stöhnen, das der schönen Unbekannten entfuhr, war das Erotischste, das er je gehört hatte. Sie trug Strumpfbänder aus roter Spitze, und ihre Haut darüber war warm und glatt.

Thomas überließ sich jetzt vollkommen den verführerischen Worten von Madame X. Als ihm klar wurde, dass die kleine Assistentin neben ihm mehr und mehr auf das, was sie hörte, reagierte und er die Hitze ihres Körpers spüren konnte, konzentrierte er sich ganz auf sie. Er spürte ihre Erregung, hörte die schnellen Atemzüge und meinte, ihren raschen Herzschlag zu spüren. Auch sein Herz ging schneller, sein Körper glühte.

Der lange weite Rock fiel um sie herum und verbarg ihre verräterischen Bewegungen vor den Augen der anderen. Die maskierte Frau umklammerte das eiserne Geländer und stützte sich ab, als der Mann mit seinem Knie ihre Beine spreizte und ihr über die Hüften strich, bis er die heiße, feuchte Stelle gefunden hatte. Er drang mit den Fingern tief in sie ein und reizte sie wieder und wieder, erbarmungslos und doch so wunderbar, während unter ihr weiterhin die Tänzer ihre Runden drehten und die Kerzen in den Kandelabern schimmerten. Sie schloss die Augen und drängte sich gegen seine Hand, bis sie mit einem tiefen Seufzer langsam den Kopf sinken ließ. Dabei verlor sie ihre Maske, die direkt in die brennenden Kerzen eines großen Kandelabers flog.

Es war mucksmäuschenstill im Raum.

„Nun“, sagte Lacey schließlich und lächelte, „ich werde jetzt hier aufhören und schlage Ihnen vor, das Ende der Geschichte selbst zu lesen.“

Thomas atmete tief aus. Amalie sank auf ihrem Stuhl zusammen. Beide vermieden es, einander anzusehen.

Lil Wingo beobachtete vom Vordersitz der Stretchlimousine aus, wie Madame X im Fond des Wagens Lars Torberg umarmte, der sich selbst als der nordische Arnold Schwarzenegger bezeichnete. Als die beiden mit Champagner anstießen, nahm Lil die Kamera hoch und machte ein paar Fotos. Dann ließ sie sich wieder in ihren Sitz zurückfallen und sah den uniformierten Chauffeur verzweifelt an. „Haben Sie nicht irgendetwas zu essen?“

Rosie Bass hatte sich nach dem Dinner entschuldigt, und die Agentin und die PR-Mitarbeiterin saßen auf beiden Seiten des blonden Liebespaares. Um aus der Reichweite von Lils Kamera zu kommen, hatte sich Amalie nach hinten auf den Notsitz gesetzt, den sie sich mit Thomas teilen musste. Sie rutschte unruhig hin und her und versuchte, den engen Rock ihres Abendkleides nach unten zu ziehen. Was in Belle Isle aussah wie der letzte Schrei, wirkte hier in New York ausgesprochen hausbacken und altmodisch. Lacey trug natürlich wieder ihr hautenges Samtkleid.

„Vielleicht möchten Sie lieber auf meinem Schoß sitzen“, flüsterte Thomas Amalie ins Ohr, und ihre kurzen Haare kitzelten ihn. „Ich hätte nichts dagegen.“

„Aber ich.“ Sie war nervös und hatte Mühe, es sich nicht anmerken zu lassen. Thomas hatte sich nicht umgezogen und roch immer noch nach Limonen und Leder. Sein Kinn war dunkel, weil er sich länger nicht rasiert hatte. Wahrscheinlich ist seine Haut ganz stachelig, dachte sie. Sie hatte sie ja noch nicht berührt, konnte sich also nur vorstellen, wie es sein würde, wenn sie mit den Fingerspitzen oder mit den Lippen über seine Wangen strich …

Wenn man Thomas in das passende Outfit steckte – Mafia-Sonnenbrille, enge Lederhose, vielleicht ein langer dünner Samtschal um den Hals, der ihm auf die glänzende nackte Brust fiel – würde man ihn glatt für einen Rockstar halten, der nach einem ausverkauften Konzert im Madison Square Garden das Gebäude durch den Hintereingang verlassen hatte, und sie für ein Groupie, das alles für ihn tun würde. Und schon hatte sie wieder eine Idee für eine neue Geschichte.

Halt! Damit muss endlich Schluss sein, ermahnte sie sich. Ihre Phantasie war nicht zu stoppen gewesen seit Laceys Lesung. So bald wie möglich musste sie aus Thomas’ Reichweite kommen, das war das einzige Heilmittel.

Er verschlimmerte noch alles, indem er den Arm um ihre Schultern legte. „So ist es bequemer für mich, Emily“, sagte er, als sie versuchte, von ihm wegzurücken. Er umfasste sie fester und zwang Amalie, sich zurückzulehnen. „Entspannen Sie sich, Emily.“

Sie ließ sich zurücksinken und schloss die Augen. Nur seinen Duft nahm sie wahr, seine leise Stimme, die ihren Namen flüsterte …

Sofort saß sie wieder kerzengerade. „Haben Sie eben …“ Hatte er eben Amalie zu ihr gesagt?

„Heißen Sie nicht Emily mit richtigem Namen?“, fragte er unschuldig. „Dann muss Madame X so heißen. Emily, aber wie wohl weiter?“

„Sie irren sich. Keine von uns heißt so, das schwöre ich.“

Autor

Carrie Alexander
Von Anfang an stand fest, dass Carrie Alexander einen kreativen Beruf ausüben würde. Bereits als Kind hatte sie eine überaus lebhafte Fantasie, dachte sich Geschichten aus und malte viel.

Schließlich wurde sie Bibliothekarin. Sie versuchte sich in ihrer Freizeit an Horrorgeschichten und malte in Öl. Damals entdeckte sie ihre erste...
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