Verliebt in London - 6 traumhafte Liebesromane

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SÜSSES WIEDERSEHEN IN LONDON von MICHELLE REID

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  • Erscheinungstag 17.10.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751535908
  • Seitenanzahl 511
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Michelle Reid

Süßes Wiedersehen in London

1. KAPITEL

Mit großen Schritten durchquerte Enrico Ranieri das Foyer von Hannard. Er war spät dran und versuchte, sich auf die bevorstehende Besprechung zu konzentrieren. Daher entgingen ihm die verblüfften Blicke der Menschen, die ihn und seine Begleiter erkannt hatten.

Doch dann erregte ein ungewohntes Geräusch seine Aufmerksamkeit. Er sah auf und blieb im nächsten Moment unvermittelt stehen. Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Das war doch nicht möglich!

Sie stand etwa drei Meter von ihm entfernt. Offensichtlich war sie gerade aus dem Fahrstuhl gekommen. Der unerwartete Anblick brachte ihn völlig aus der Fassung. Ihre letzte Begegnung lag Jahre zurück, trotzdem war er wie elektrisiert, sobald sie in seiner Nähe war.

Noch hatte sie ihn nicht bemerkt. Sie hielt den Kopf gesenkt und hatte das leuchtend rote Haar zu einem unvorteilhaften Knoten zusammengefasst, den er früher nur zu gern gelöst hatte.

Auch jetzt juckte es ihn in den Fingern …

Freya … Wenn er an sie dachte, dann mit Hass, aber auch voller Liebe. Vor drei Jahren hatte er sie aus seinem Leben verstoßen. Das darauffolgende Jahr war die Hölle gewesen. Er hatte seinen Entschluss bitter bereut und seine schlechte Laune an seinen Mitmenschen ausgelassen. Dabei war es ihm gleichgültig gewesen, ob es sich um Geschäftspartner oder Zufallsbekanntschaften gehandelt hatte. Freya hatte für ihn gearbeitet. Er hatte ihr vertraut – mehr als je einer Frau zuvor. Sie hatte bei ihm gewohnt und in seinem Bett geschlafen. Jetzt schlief er allein, und wenn er mit einer Frau zusammen war, dann nur außerhalb seiner Wohnung.

Freya hatte ihm so viel genommen, kein Wunder, dass er sie hasste.

Aber – Dio – sie sah fantastisch aus. Daran konnte auch das unvorteilhafte graue Kostüm nichts ändern, das ihr mindestens eine Nummer zu groß sein musste. Bei der Vorstellung, was sich darunter verbarg, überlief es Enrico heiß.

Als sie noch mit ihm zusammen gewesen war, hatte er dafür gesorgt, dass aus dem hässlichen Entlein ein wunderschöner Schwan wurde, und sie von Kopf bis Fuß neu eingekleidet.

Unbehaglich erinnerte er sich daran, dass sie all die edlen Seidenklamotten zurückgelassen hatte, als er sie an die Luft gesetzt hatte.

Jetzt kam sie mit gesenktem Kopf direkt auf ihn zu. Sie schien ihren Gedanken nachzuhängen. Enrico betrachtete sie genauer. Angespannt wartete er auf den Moment, wenn sie ihn mit ihren lebhaften grünen Augen ansehen würde. Wahrscheinlich würde die Begegnung auch für sie ein Schock sein.

Ja, sie sollte schockiert sein, darauf freute er sich richtig.

Ob sie bei Hannard arbeitete? Hatte er jetzt die Chance, sich erneut an der wunderschönen Freya Jenson zu rächen, die ihn so schnöde hintergangen hatte? Gleich würde sie vor ihm stehen. Sie war nur noch wenige Schritte von ihm entfernt. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie in wenigen Sekunden mit ihm zusammenprallen. Er wurde immer aufgeregter.

Als sie plötzlich stehen blieb, wurde Enrico von seinen widersprüchlichen Gefühlen schier überwältigt. Offensichtlich hatte sie seine Anwesenheit gespürt. Dann hörte er sie sagen:

„Nein, Nicky, es ist zwecklos, sich loszureißen. Du weißt genau, dass Mummy deine Hand nicht loslässt.“

Enrico war wie vom Donner gerührt. Was er sah, nahm ihm fast den Atem. Ein kleiner Junge im Jeansanzug versuchte, sich aus Freyas Griff zu befreien.

Der Kleine hatte ein hübsches Gesicht mit ausdrucksvollen dunklen Augen, die wild entschlossen dreinblickten, und schwarze Locken.

Nicky, überlegte er. Nicolo.

Sie hatte ihrem Sohn den Namen Nicolo gegeben.

Mitten im Foyer der Firma Hannard zerbrach plötzlich etwas in dem hartgesottenen Geschäftsmann Enrico Ranieri.

Dieser kleine Wildfang, dachte Freya, als sie verzweifelt versuchte, ihren Sohn festzuhalten, damit er kein Unheil anrichten und sich selbst gefährden konnte. Ihr würde wohl nichts anderes übrig bleiben, als einen Laufgurt zu kaufen. Damit hätte sie Nicky besser im Griff. Allerdings war ihr bewusst, dass sie den Gurt nicht ohne Kampf anlegen könnte, denn Nicky würde sich in seiner Würde gekränkt fühlen und sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, an die Leine genommen zu werden.

„Wenn du artig bist, gehen wir nachher in den Park“, versprach sie dem Kleinen, um ihn zu beruhigen.

„Affen“, antwortete er.

„Nein“, entgegnete Freya energisch. „Die Affen leben im Zoo. Der Park ist näher.“

„Ich mag Affen.“

„Ja, du bist ja selbst ein Äffchen.“ Freya lachte. „Wenn du heute artig bist, gehen wir morgen in den Zoo, wenn wir mehr …“

„Er ist meiner“, hörte sie in diesem Moment eine tiefe, raue Stimme hinter ihr sagen.

Ein eiskalter Schauer lief Freya über den Rücken. Sie wusste genau, wem diese Stimme zuzuordnen war. Als sie aufsah, begegnete sie Enricos Blick, in dem sie unverhohlene Feindseligkeit las, und hatte das Gefühl, das Herz würde ihr stehen bleiben. Ihr schlimmster Albtraum war Wirklichkeit geworden. Vor ihr stand, einen Meter neunzig groß, mit dunklem Haar, dunklen Augen und in einem schwarzen Anzug – der Leibhaftige persönlich.

„Nein“, stieß Freya schließlich atemlos hervor. Wieso musste ausgerechnet jetzt Enrico wieder in ihrem Leben auftauchen?

Madre di Dio , natürlich ist er das.“ Enrico funkelte sie wütend an.

Freya blinzelte. Enrico hatte sie missverstanden. Sie wollte das gerade richtigstellen, als sie bemerkte, wie besitzergreifend Enrico ihren Sohn musterte.

Selbst Nicky wurde es unter diesem Blick unbehaglich. Statt weiter zu versuchen, sich aus Freyas Griff zu befreien, hielt er ihre Hand ganz fest und versteckte sich furchtsam hinter den langen Beinen seiner Mutter. Dabei hatte er sonst vor nichts und niemandem Angst! Energisch hob Freya das Kinn und sah Enrico abweisend in die Augen, als sie kühl behauptete: „Nein, ist er nicht.“

„Lüg mich nicht an!“, herrschte Enrico sie an. „Du unbarmherzige Hexe! Das wirst du mir büßen!“

Freya sah ihm an, dass er es ernst meinte. Seine Augen funkelten rachsüchtig, während er die sinnlichen, einst so verführerischen Lippen fest zusammenpresste. Überhaupt war Enrico ein fantastischer Liebhaber gewesen, der sich dessen nur zu bewusst gewesen war.

„Ich habe keine Ahnung, wovon du redest“, erwiderte sie kühl.

Das schürte erneut seine Wut. Er machte einen Schritt auf sie zu, und Freya hatte Angst, er würde gleich versuchen, sie zu erwürgen. Entsetzt wich sie zurück und wäre dabei fast über ihren Sohn gestolpert.

„Enrico …“ Jemand hielt ihn am Arm zurück.

Erst jetzt wurde Freya sich wieder bewusst, wo sie sich befanden. Das Foyer war voller Menschen, die neugierig verfolgten, was für ein Drama sich vor ihren Augen abspielte. Enrico schien völlig vergessen zu haben, dass er in Begleitung war. Erst als einer der Männer versuchte, ihn auf die Zuschauer aufmerksam zu machen, riss er sich zusammen und wandte sich um. Die ganze aufgestaute Wut richtete sich nun gegen den Mann, der seinen Arm umfasst hatte.

Freya atmete auf. In diesem Moment lockerte sie den Griff, Nicky riss sich los und rannte zum Ausgang. Nach einer Schrecksekunde fuhr sie herum, um ihn wieder einzufangen, doch er war schon zu weit weg.

„Nicky! Nein!“ Verzweifelt lief Freya ihm nach.

Er quietschte jedoch nur vergnügt und rannte, so schnell seine kleinen Beine ihn tragen konnten, weiter. Immer näher, kam er dem schmalen Bürgersteig und einer der verkehrsreichsten Straßen Londons. Freya sah ihn schon unter den Rädern eines Doppeldeckers. Der kalte Angstschweiß brach ihr aus, und das Herz klopfte ihr bis zum Hals.

Doch dann beugte sich ein großer Mann über das Kind und hob es hoch. Freya musste es hilflos mit ansehen, wie er ihr Kind umfangen hielt. Es war Fredo Scarsozi, Enricos langjähriger Bodyguard. Die Knie wurden ihr weich. Nicky schrie frustriert, während Fredo ihn nur fasziniert ansah. Auch er hatte sofort bemerkt, wie ähnlich der Kleine Enrico sah.

„Gib ihn mir“, sagte Freya atemlos, als sie sich etwas gefasst hatte, und streckte die Arme nach ihrem Sohn aus.

Fredo blickte sie nur reglos an, und Freya bekam vor Angst kaum noch Luft. Nicky hatte inzwischen aufgehört zu schreien, weil es interessanter war, den kräftigen Mann anzusehen, der ihn fest im Griff hatte.

„Bitte.“ Flehend hob Freya die Arme höher.

Nicky hatte bemerkt, wie ihre Stimme bebte. Freya zitterte am ganzen Körper. Die umstehenden Leute wurden langsam unruhig, denn sie konnten offenbar nicht einschätzen, was sich da vor ihren Augen abspielte.

Fredo sah fragend an ihr vorbei. Offensichtlich wartete er auf eine Anweisung seines Chefs. Freya hatte schreckliche Angst. Ein Wort von Enrico, und Fredo würde ihm Nicky übergeben. Dann müsste sie eine ganze Armee aufbieten, um ihr Kind wiederzubekommen.

„Affe?“, fragte Nicky plötzlich, woraufhin Fredo Scarsozi ihn verblüfft ansah, bevor er das Gesicht zu einem widerwilligen Grinsen verzog.

„Grazie, Bambino“ , sagte er trocken.

Nicky lächelte und zeigte seine perlweißen Milchzähnchen.

„Bitte gib ihn mir zurück“, bat Freya mit bebender Stimme.

„Tu, was sie sagt“, befahl Enrico kühl.

Als der Mann Freya das Kind daraufhin übergab, umfasste sie den geliebten kleinen Jungen so fest, dass er protestierte. Sie fing Fredos wissenden Blick auf und verließ mit Nicky auf dem Arm, wie von Furien gehetzt, das Gebäude.

„Folg ihr“, befahl Enrico seinem Bodyguard.

Fredo nickte und machte sich sofort auf den Weg.

Inzwischen hatte Enrico sich so weit wieder unter Kontrolle, dass er auf die umstehenden Leute einen beherrschten Eindruck machte. Trotzdem musterten ihn seine Assistenten, als wäre er plötzlich verrückt geworden. Die anderen Anwesenden sahen ihn teils fasziniert, teils furchtsam an. Sie wussten, was seine Anwesenheit bei Hannard bedeutete.

Enrico Ranieri war in ganz Europa dafür bekannt, angeschlagene Firmen aufzukaufen und sie zu sanieren, wobei so mancher Mitarbeiter auf der Strecke blieb. Stets schlug er ohne Vorwarnung zu. Wenn Enrico in einer Firma auftauchte, dann musste man mit dem Schlimmsten rechnen.

Sein soeben an den Tag gelegtes Verhalten war das beste Beispiel dafür. Er hatte eine Mitarbeiterin heruntergeputzt und an die Luft gesetzt, nur weil sie ihr Kind mitgebracht hatte. So jedenfalls hatte es sich den entsetzten Angestellten von Hannard dargestellt.

Die halten mich jetzt bestimmt für kinderfeindlich, dachte Enrico. Wahrscheinlich befürchten sie, dass ich die Kinderkrippe auf der Stelle schließen werde. Vielleicht tue ich das sogar, dachte er rachsüchtig, bedachte die Mitarbeiter mit einem abweisenden Blick und machte sich wieder auf den Weg zu den Fahrstühlen.

Er drückte auf einen Knopf und beobachtete, wie seine Begleiter sich beeilten, zu ihm in den Lift zu steigen. Keiner wagte, den Mund aufzumachen. Das war auch gut so, denn Enrico hatte nur einen Gedanken, der ihn nicht mehr losließ: Freya hatte seinen Sohn zur Welt gebracht.

Der Fahrstuhl hielt in der Führungsetage, und ein Begrüßungskomitee erwartete Enrico.

Darauf hätte er jetzt gern verzichtet. Im Moment stand ihm der Sinn nicht nach Geschäftsverhandlungen. Er wollte …

Der Blick seiner dunklen Augen war so eiskalt, als er den Fahrstuhl verließ, dass die Leute sich erschrocken zurückzogen. Nur ein Mann brachte den Mut auf, zu sagen: „Bitte hier entlang, Mr Ranieri.“

Enrico nickte und folgte dem Angestellten in ein großes, lichtdurchflutetes Büro, in dem sich auch die anderen Konferenzteilnehmer versammelt hatten. Er ignorierte sie jedoch und wandte sich seinem Chefsekretär zu. „Hör zu, Carlo, ich will die Lebensläufe aller Mitarbeiter in zehn Minuten auf meinem Laptop haben.“

Die Führungsriege der Firma Hannard reagierte sehr beunruhigt auf diese Äußerung, doch Enricos Begleiter zuckte nicht mit der Wimper.

„Die Vorstandssitzung wird auf morgen verschoben“, verkündete Enrico. „Unmittelbar vorher möchte ich mit dem Management sprechen. Das wär’s.“ Enrico wandte sich ab, ging zu dem Schreibtisch, an dem bis vor Kurzem noch Josh Hannard gesessen hatte, und wartete darauf, dass die anderen Leute den Raum verließen.

„Aber wir wollten uns doch bei einem Arbeitsessen vorstellen“, beschwerte sich einer der Manager.

„Wenn ich Sie wäre, würde ich aufs Mittagessen verzichten und auswendig lernen, womit Sie sich Ihr Gehalt verdienen“, antwortete einer von Enricos Leuten.

„Aber Mr Hannard …“

„Mr Hannard hat die Geschäftsleitung an Mr Ranieri übergeben. Und der versteht keinen Spaß.“

Enrico lächelte, als er das hörte. Doch das Lächeln verging ihm sofort, als er den Blick gedankenverloren über die Dächer von London gleiten ließ.

Sein Sohn. Er hatte einen Sohn!

Das wird sie mir büßen, dachte er wütend. Freya sollte ihn kennenlernen!

Freya saß im Park auf dem Rasen, von Enten umzingelt, die ihr Sohn mit Brotkrumen fütterte. Trotz des angenehm warmen Sommertages fröstelte sie. Ihr war immer kalt, wenn sie an Enrico dachte. Verletzter Stolz, Hass und Verachtung konnten die warmherzigste Frau in einen Eisblock verwandeln. Außerdem hatte sie Angst vor Enricos nächstem Schritt.

Sie verlagerte ihr Gewicht und blinzelte, als eine hungrige Ente nach ihrer Hand schnappte. Sie überließ dem gierigen Vogel die Kruste und betrachtete Nicky. Der Kleine war in seinem Element. Lächelnd fütterte er die Enten und sah seinem Vater ähnlicher denn je.

Jetzt, da sie Enrico wiedergesehen hatte, fiel ihr die enorme Ähnlichkeit erst recht auf. Nicky hatte Enricos schönes Gesicht mit den dunklen Augen, dem energischen Mund und dem markanten Kinn geerbt.

Die Tatsache, dass auch Enrico die Ähnlichkeit sofort festgestellt hatte, hatte sie zutiefst getroffen. Er sollte sich nur nichts einbilden, schließlich hatte er jede Verantwortung abgelehnt. Niemals würde sie ihm verzeihen, wie schäbig er sie behandelt hatte.

„Verschwinde aus meinem Leben“, hatte er vor drei Jahren gebrüllt. „Du hinterhältiges, verlogenes Luder. Ich will dich nie wiedersehen.“

Verbittert, kalt, herzlos, arrogant, überheblich, voreingenommen, taub … Andere bezeichnende Wörter fielen ihr im Moment nicht ein, aber das reichte ja auch schon.

Vielleicht hat er seine Meinung Nicky betreffend geändert, dachte sie hoffnungsvoll. Ihr kleiner Junge war ihm immerhin wie aus dem Gesicht geschnitten. Doch auch Enricos Cousin Luca hatte das blendende Aussehen der Ranieris geerbt. Natürlich konnte der gemeine, verschlagene Kerl Enrico nicht das Wasser reichen, doch die Familienähnlichkeit zwischen den beiden war vorhanden. Daran würde auch Enrico sich inzwischen wieder erinnert haben.

Und dann fragte sie sich plötzlich, was Enrico im Foyer von Hannard zu suchen gehabt hatte? Er hatte die Firma doch wohl nicht etwa übernommen? Nicht auszudenken, dann wäre er wieder ihr Chef!

Nein, das konnte und durfte nicht wahr sein. Vielleicht war er mit Josh Hannard befreundet und wollte ihn zum Mittagessen abholen. Und ich bin die Kaiserin von China, dachte Freya und schüttelte verzweifelt den Kopf, denn sie wusste, dass Enrico Ranieri nur aus einem einzigen Grund mit seinem Gefolge irgendwo auftauchte: um eine Firma zu übernehmen. Jetzt würde er ihr das Leben erneut zur Hölle machen. Dabei hatte sie sich noch nicht einmal von seinem ersten Versuch erholt.

Vor drei Jahren war sie seine Chefsekretärin gewesen und hatte ein wunderbares Leben an seiner Seite und in seinem Bett geführt. Sie waren so vernarrt ineinander gewesen, dass sie es kaum ausgehalten hatten, auch nur fünf Minuten voneinander getrennt zu sein. Sie hatten sich voller Leidenschaft geliebt – bei jeder sich bietenden Gelegenheit.

Dann hatte sie seinen Cousin kennengelernt, und innerhalb weniger Wochen war es vorbei gewesen mit der Idylle.

„Affe“, sagte Nicky ruhig.

„Wir gehen morgen zu den Affen“, versprach Freya und betrachtete ihren schwarzhaarigen Sohn liebevoll. Er war der wichtigste Mensch in ihrem Leben, gleichgültig, wer sein Vater war.

„Nein, Affe da“, sagte er und zeigte mit dem Finger in eine bestimmte Richtung.

Freya drehte sich um, und ihr Blick fiel auf den bulligen Fredo Scarsozi. Er stand etwa sechs Meter von ihnen entfernt im Schatten eines Baumes und schien sie nicht aus den Augen zu lassen. Als er ihr zunickte, wusste Freya, was die Stunde geschlagen hatte. Enrico hatte seinen engsten Vertrauten beauftragt, Nicky und sie zu beobachten.

Das könnte ihm so passen, dachte sie und stand auf. Nicky war ihr Sohn, ganz allein ihr Sohn. Sollte Enrico doch beweisen, dass er der Vater war. Wenn ihn das überhaupt interessierte. Wahrscheinlich ist es ihm ziemlich gleichgültig, dachte sie und streckte die Hand nach Nicky aus.

„Komm, Schatz“, sagte sie leise, „wir müssen zurück.“

Nicky gehorchte widerspruchslos, denn das Brot war alle, und die Enten waren wieder zum Teich gewatschelt. Als er drei Monate alt gewesen war, hatte sie den Job bei Hannard gefunden. Die Firma verfügte glücklicherweise über eine Kinderkrippe, wo sie Nicky gut untergebracht wusste, während sie arbeitete.

Die Arbeit war nicht besonders anspruchsvoll und dementsprechend schlecht bezahlt. Doch immerhin reichte es für das Nötigste und für Nickys Platz in der Krippe. Es war ein großer Vorteil, mit ihm unter einem Dach zu sein. So konnte sie ihn immer sehen, wenn ihr danach zumute war.

Sie führten ein glückliches Leben zu zweit und brauchten keinen Mann. Wenn Enrico sich von seinem Schock erholt hatte, würde er bestimmt zu der Einsicht gelangen, ohne sie und Nicky besser dazustehen.

„Der Affe kommt hinterher“, sagte Nicky.

„Das ist kein Affe, sondern ein Mensch“, berichtigte Freya den Kleinen, ohne sich nach Fredo umzudrehen. Doch die Tatsache, dass er ihnen gefolgt war, verhieß nichts Gutes. Enrico würde wahrscheinlich nicht eher ruhen, bis er die Wahrheit herausgefunden hatte. Er war schließlich rücksichtslos und beharrlich.

2. KAPITEL

Dieses verlogene, gemeine Miststück …

Enrico saß am Schreibtisch und betrachtete – leise vor sich hin fluchend – das Foto, das man ihm mit allen anderen gewünschten Daten per E-Mail geschickt hatte. Sie sah so süß aus, so unschuldig, als könnte sie kein Wässerchen trüben. Wie man sich in einem Menschen doch täuschen konnte.

Mit einem Klick ließ er das Foto verschwinden und öffnete die Datei, die ein Bild des Jungen enthielt. Erneut war er wie vom Donner gerührt.

„Was meinst du, Fredo? Ist er mein oder Lucas Sohn?“, fragte er, ohne den Blick abzuwenden.

Fredo zuckte die breiten Schultern. „Wenigstens hat er nicht Lucas miese Gene, sollte er tatsächlich sein Sohn sein“, antwortete der Bodyguard trocken, bevor er leise hinzufügte: „Er hat deine Augen, deinen Mund und deine Sturheit. Außerdem sitzt auch ihm der Schalk im Nacken.“

Ihm war aufgefallen, dass der Kleine sich ständig nach ihm umgesehen und dabei frech gelächelt hatte. Als Mutter und Sohn das Firmengebäude betreten hatten, hatte Nicky sich umgedreht und laut gerufen: „Tschüs, Affe!“, bevor er lachend von seiner Mutter in den Fahrstuhl gezerrt worden war.

Enrico war nicht zum Lachen zumute, als er das Gesicht des Jungen betrachtete. Ihm schien, als würden ihn die dunklen Augen ansehen und eine Verbindung zu ihm herstellen. Enrico war erschüttert.

„Ich spüre, dass er mein Sohn ist“, sagte er schroff.

„Sí.“ Fredo nickte.

Warum die Bestätigung durch seinen Leibwächter ihn noch mehr aus der Fassung brachte, wusste Enrico auch nicht. „Geh nach unten zur Kinderkrippe, und behalt ihn im Auge“, ordnete er barsch an.

Fredo arbeitete schon viele Jahre für ihn, aber es war das erste Mal, dass er sich einer Anweisung seines Chefs zu widersetzen suchte. „Ich soll den Nachmittag in einem Kindergarten verbringen? Mit all den bambini ?“

Enrico sah auf und bemerkte Fredos entsetzte Miene. „Wem kann ich ihn denn sonst anvertrauen, während ich Ordnung in dieses Durcheinander zu bringen versuche?“

„Aber ohne seine Mutter kann er sowieso nicht fort. Sie …“

Enrico stand auf und begann hin und her zu gehen. „Sie könnte die Flucht ergreifen. Das muss verhindert werden. Ich will erst die Wahrheit herausbekommen.“

Schweigend beobachtete Fredo seinen aufgebrachten Chef. Natürlich passte es ihm nicht, zur Kinderkrippe abgeordnet zu werden, doch er sah ein, dass Enrico recht hatte. Also zuckte er ergeben die breiten Schultern und ging zur Tür.

„Wo hat Luca sich eigentlich verkrochen?“, fragte Enrico barsch.

Fredo blieb stehen. „Soweit ich weiß, amüsiert er sich mit seiner neusten reichen Eroberung auf Hawaii.“

„Sorg dafür, dass er da auch bleibt. Wie du das anstellst, ist mir egal. Meinetwegen kannst du ihm drohen oder ihn mit Geld bestechen oder beides.“ Obwohl es ihm um jeden Euro leidtat, den er seinem Cousin in den Rachen werfen musste. „Wenn er erfährt, dass Freya einen Sohn von mir hat, taucht er hier noch auf und vermasselt mir die Tour.“

„Wie soll er denn davon erfahren?“, fragte Fredo verblüfft. Die Familie Ranieri hatte Luca verstoßen. Nicht mal zu seiner Mutter hatte er noch Kontakt!

„Wie der Rest der Welt: durch meine offizielle Verlautbarung, dass ich einen Sohn habe und gedenke, seine Mutter zu heiraten.“

Fredo war schockiert. Als er sich wieder gefangen hatte, gab er zu bedenken: „Überstürz bloß nichts, Enrico.“

Das trug ihm einen vernichtenden Blick ein.

Der Bodyguard seufzte ergeben. „Du brauchst erst den Beweis dafür, dass …“

„Den brauche ich nicht. Der Junge ist mein Sohn. Ich will ihn haben, und seine Mutter nehme ich dankend in Kauf.“

„Versuch mal, ihr das beizubringen“, erwiderte Fredo trocken.

„Kein Problem.“

Wehmütig wünschte Freya sich, am anderen Ende der Welt zu leben. Doch leider befand sie sich im Untergeschoss des Firmengebäudes und fütterte geistesabwesend einen alten Scanner mit Papieren, damit sie auf den Großrechner übertragen werden konnten.

Ich sitze hier fest, dachte sie. Was sollte sie tun? Sie musste Geld für Nickys und ihren Lebensunterhalt verdienen und konnte nicht einfach alles stehen und liegen lassen und die Flucht ergreifen.

Sie hatte Angst, weil sie nicht wusste, was Enrico im Schilde führte. Inzwischen hatte sich die Nachricht, dass Enrico Ranieri Josh Hannards Firma übernommen hatte, wie ein Lauffeuer verbreitet. Auch hatte sich überall herumgesprochen, was für eine hässliche Szene sich im Foyer abgespielt hatte.

Das Telefon klingelte. Seit Freya aus der Mittagspause zurückgekehrt war, hatte es fast ununterbrochen geklingelt. Die neugierigen Kollegen wollten unbedingt wissen, was Mr Ranieri zu ihr gesagt hatte. Sollte die Kinderkrippe etwa geschlossen werden? Freya stellte sich dumm und behauptete, Enrico habe sie lediglich gefragt, ob sie mit der Krippe zufrieden sei.

Darüber, was sich wirklich abgespielt hatte und was es für sie und Nicky bedeutete, wollte sie lieber nicht nachdenken. Sie nahm den Hörer ab und stellte sich darauf ein, die nächste Kollegin zu beruhigen.

„Ein Mr Scarsozi hat sich in der Krippe eingenistet“, sagte eine ihr vertraute Stimme. Die Anruferin war Cindy, die Leiterin der firmeneigenen Kinderkrippe. „Er behauptet, unser neuer Boss habe ihn angewiesen, Nicky im Auge zu behalten. Kannst du mir bitte mal erklären, was, um alles in der Welt, das soll?“

Freya schloss entsetzt die Augen und hielt den Hörer fest umklammert. Sie hatte furchtbare Angst um ihren Sohn. „Hat …, hat er Nicky was getan?“, fragte sie mit bebender Stimme.

„Natürlich nicht. Das soll er mal versuchen, dann bekommt er es aber mit mir zu tun.“

Die zarte Cindy würde den starken Fredo sicher nicht aufhalten können. Freya erinnerte sich mit Entsetzen daran, dass Fredo ihren Sohn bereits auf dem Arm gehabt hatte.

„Er steht in einer Ecke des Spielzimmers, beobachtet Nicky und jagt uns allen Angst ein. Hast du ihn gesehen, Freya? Er sieht aus wie ein Gorilla. Ich will ihn nicht in meiner Krippe haben.“

„Okay“, sagte Freya verstört. „Fürchtet Nicky sich auch vor ihm?“

„Machst du Witze? Dein Sohn hat sich mutig vor ihm aufgebaut und gefragt: ‚Na, Affe, willst du mit uns spielen?‘ Kennt Nicky ihn?“

Wie sollte sie die Frage nur beantworten? Sagte sie Nein, würde das Panik in der Krippe verbreiten. Sagte sie Ja, würden ihr unweigerlich weitere Fragen gestellt werden, die sie nicht beantworten konnte und wollte.

„Ich kümmere mich darum“, versprach sie, ohne auf Cindys Frage einzugehen.

Was fällt Enrico eigentlich ein? dachte sie hilflos, als sie den Hörer auflegte. Wollte er sie einschüchtern, bevor er überhaupt wusste …

„Du hast jetzt Kaffeepause, Freya“, sagte in diesem Augenblick jemand mit frostiger Stimme hinter ihr. „Verdient hast du sie allerdings nicht. Du hast ja die ganze Zeit nur am Telefon gehangen.“

Freya wandte sich um und blickte die Abteilungsleiterin verständnislos an. Die Frau hatte blond gefärbtes Haar und einen verkniffenen Mund und ihre Untergebenen fest in der Hand.

„Sei so gut, und führe deine Privatgespräche in Zukunft woanders.“ Die Frau war verärgert, weil auch sie gefragt hatte, was Mr Ranieri von ihr hatte wissen wollen, und die gleiche nichtssagende Antwort erhalten hatte wie alle anderen.

„Ja. Entschuldigung. Natürlich.“ Freya griff nach ihrer Handtasche und stürzte aus dem Büro.

Ich muss sofort mit Enrico sprechen, dachte sie. Kaum war sie draußen auf dem Flur, zog sie das Handy aus der Tasche und wählte die Nummer von Hannards Zentrale. Noch immer bebte Freya am ganzen Körper. Sie fürchtete sich vor dem Gespräch, doch sie hatte keine Wahl, sie musste mit Enrico reden, und zwar per Telefon, das war besser, als ihm gegenüberzustehen.

Es gelang ihr, bis zu seinem Sekretär durchgestellt zu werden, der ihr kühl mitteilte, Mr Ranieri befände sich in einer Besprechung. Da Freya selbst als Enricos Sekretärin gearbeitet hatte, wusste sie genau, dass der Sekretär log. Wahrscheinlich saß Enrico am Schreibtisch und überlegte, wie er sie am besten umgehend auf die Straße setzen konnte.

„Ich muss ihn aber dringend sprechen“, sagte sie ungeduldig. „Richten Sie ihm also bitte aus, dass ich mich in fünf Minuten nochmals melden werde. Sollte er dann noch immer in einer Besprechung sein, komme ich rauf.“

Sie beendete das Gespräch, ohne auf die Reaktion des Sekretärs zu warten. Dann eilte sie zum Waschraum, um sich frisch zu machen.

Enrico triumphierte, als er die Nachricht erhielt. Freya war also schon in Panik geraten. Sehr gut, sie sollte bis ans Ende ihrer Tage Angst vor ihm haben!

Die fünf Minuten waren fast um, als endlich eine Toilette frei wurde. Freya schloss sich ein, zog den Slip hinunter, setzte sich und drückte die Wiederholtaste ihres Handys. Es dauerte zwei Minuten, bis sie den Sekretär am Apparat hatte. Die Schlange vor der Toilette wurde immer länger, und Freya fühlte sich alles andere als wohl.

„Ich stelle durch, Miss Jenson“, teilte ihr der Mann kühl mit.

„Ich will, dass du mich in Ruhe lässt, Enrico“, sagte sie im Flüsterton, als die Verbindung hergestellt war. „Mein Sohn ist nicht dein Sohn, also kannst du Fredo von der Krippe abziehen.“

„Warum flüsterst du?“

„Um zu vermeiden, dass die halbe Belegschaft mithört“, antwortete sie mit bebender Stimme. „Tu mir das nicht an, Enrico. Du kannst nicht einfach so in mein Leben platzen und es bestimmen wollen. Du kannst nicht …“

In diesem Moment klopfte jemand an die Tür. „Alles in Ordnung mit Ihnen? Sie sind schon eine Ewigkeit da drinnen.“

„Wo bist du?“, fragte Enrico barsch.

„Auf dem WC“, erklärte Freya ungehalten. „Da war ich nämlich, als die fünf Minuten um waren.“

Enrico war fassungslos. „Du telefonierst mit mir, während du dich dort befindest?“

„Ich habe nur zehn Minuten Kaffeepause. Da muss ich so viel wie möglich unter einen Hut bringen.“

Als keine Reaktion kam, fügte sie flehend hinzu: „Bitte zieh Fredo zurück, Enrico. Er schüchtert die Kinder ein.“

„Zieh deinen Slip hoch, und finde dich in fünf Minuten in meinem Büro ein! Und lass mich nicht warten, oder du kannst was erleben!“

Dann war die Verbindung unterbrochen.

Freya hatte das Gefühl, bereits die Kontrolle über ihr Leben verloren zu haben. Unterdrückt fluchend verstaute sie das Handy in der Handtasche, stand auf, richtete ihre Kleidung und öffnete die Tür.

Sie sah sich mit neugierigen Blicken konfrontiert. Die Kolleginnen, die sie erkannten, starrten sie neugierig an, denn sie hatten alle gehört, was im Foyer passiert war.

„Kennen Sie ihn?“, fragte eine, als Freya sich die Hände wusch.

„Nein“, antwortete sie abweisend und wünschte sich, es wäre die Wahrheit.

„Ist er hinter Ihnen her? Hat der unwiderstehliche Enrico Ranieri ein Auge auf Sie geworfen, und Sie haben ihm die kalte Schulter gezeigt? War er deshalb vorhin so wütend?“

War er wütend gewesen?

„In seinem Blick spiegelte sich kalte Wut“, behauptete eine andere Kollegin.

Freya trocknete sich die Hände und stellte sich Enrico bei einem seiner häufigen Wutausbrüche vor. Davon hatte sie während ihres Zusammenlebens mit ihm genug erlebt. Einerseits war er ein heißblütiger Italiener, andererseits kühl, klug und kultiviert. Wenn er wütend war, konnte er ausgesprochen temperamentvoll sein. Manchmal äußerte die Wut sich aber auch in eiskaltem Zorn.

Wieder begann Freya zu beben, denn gleich würde er seine Wut an ihr auslassen.

„Hat er sich an Ihrem kleinen Sohn gestört?“, wollte eine weitere Kollegin wissen und fügte ängstlich hinzu: „Wenn er keine Kinder mag und die Krippe schließt, weiß ich nicht, wie ich …“

„Keine Sorge, so vorsintflutlich denkt er nicht.“

„Ach, dann kennen Sie ihn also doch?“

„Nein.“ Doch sie errötete und verriet sich dadurch.

„Als er Sie gesehen hat, ist er wie vom Donner gerührt stehen geblieben. Ich habe es genau gesehen. Wahrscheinlich hätte er Ihnen am liebsten den Hals umgedreht.“

Das Gefühl hatte Freya ebenfalls gehabt. „Entschuldigung, ich muss jetzt los, meine Pause ist vorbei.“

Hoffentlich gefällt es dir, was du da angerichtet hast, Enrico, dachte sie wütend, als sie auf den Lift wartete.

Doch Enrico gefiel das alles überhaupt nicht. Er hatte sich in seinem Chefsessel zurückgelehnt und konnte sich lebhaft die Situation vorstellen, in der Freya sich befunden hatte und die sie ihm gerade schilderte.

Es bedurfte keiner großen Vorstellungskraft, denn er hatte sie oft genug in der Position gesehen. Allerdings war sie meistens nackt gewesen, und er hatte vor ihr gestanden und sich von ihr verwöhnen lassen.

Allein das Bild erregte ihn. Er erinnerte sich, wie er auf ihre Liebkosungen reagiert hatte, und sprang auf – wütend, dass er noch immer so heftig auf die Frau reagierte, die ihn eigentlich hätte kaltlassen müssen.

Doch das Gegenteil war der Fall. Enrico sah aus dem Fenster und versuchte, seine Erregung unter Kontrolle zu bringen.

Freya war so unschuldig gewesen, als er sie kennengelernt hatte. Sie hatte schockiert auf seine Bitte reagiert, ihn mit dem Mund zu verwöhnen. Gegen Ende ihrer Beziehung hatte sie das meisterlich beherrscht, und er hatte sich nach ihrer Trennung nie wieder auf diese Weise stimulieren lassen.

„Dio“ , murmelte er wütend. Freya war in vielerlei Hinsicht so begabt gewesen, dass allein ihr Anblick genügte, um sein Begehren zu wecken. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass sie ihre Talente auch bei anderen Männern ausprobieren würde – schon gar nicht bei seinem Cousin.

Mein ehemaliger Cousin. Enrico korrigierte sich mürrisch. Als er Freya hinausgeworfen hatte, hatte er gleichzeitig den Kontakt zu Luca abgebrochen.

Luca, der ebenfalls das gute Aussehen der Ranieris geerbt hatte, hätte jede andere Frau haben können. Warum musste es ausgerechnet Freya sein? Oder hatte Freya sich an ihn herangemacht?

Enrico wusste es nicht, denn er hatte sich geweigert, mit einem der beiden je ein weiteres Wort zu wechseln. Er erinnerte sich nur noch daran, dass er damals auf Geschäftsreise gegangen war und vor der Abreise nur am Rande wahrgenommen hatte, dass Freya etwas bedrückte. Er hatte sich vorgenommen, bei seiner Rückkehr mit ihr zu reden, doch dazu war es dann nicht mehr gekommen, denn er hatte sie mit dem halb nackten Luca auf seinem Bett erwischt.

In diesem Moment klopfte es. Das muss Freya sein, dachte er unwirsch, setzte sich wieder an den Schreibtisch und rief kühl: „Herein.“

Freya atmete tief durch, bevor sie nach der Türklinke griff und den Blick des Sekretärs im Rücken spürte. Offensichtlich fragte der junge Mann sich ebenfalls, was zwischen ihr und seinem Boss vorging.

Ihr Gesicht war gerötet, weil sie hier im Eiltempo erschienen war. Nervös strich sie sich übers Haar und betrat das Büro.

Das gleißende Tageslicht im Raum blendete sie zunächst. Dann aber entdeckte sie Enrico, der am Schreibtisch saß und noch genauso aussah wie vier Jahre zuvor, als sie ihn in der Firma kennengelernt hatte, bei der sie damals beschäftigt gewesen war.

Schlank, elegant, gut aussehend und mit überwältigendem Sex-Appeal. Sie erinnerte sich, wie schüchtern sie in Gegenwart seiner imposanten Erscheinung gewesen war. Des Mannes, der sie aus dem Dornröschenschlaf erweckt und in die vielfältige Kunst der körperlichen Liebe eingeweiht hatte.

Er musste nur in ihrer Nähe sein, schon wurde ihr heiß vor Verlangen. Daran hatte sich nichts geändert. Seine erotische Anziehungskraft war noch immer überwältigend. Er war ein fantastischer Liebhaber, aber sonst hatte er ihr nichts zu bieten, wie sich herausgestellt hatte.

Als sie jetzt herausfordernd den Kopf hob, wurde Enrico erneut von Erregung überwältigt. Er sah Freya an, dass sie sich fürchtete, sich zugleich aber auch nichts gefallen lassen würde. Sie stand vor ihm wie eine Angestellte, der man mangelnden Arbeitseifer vorwarf.

Das ist der reinste Hohn, dachte Enrico, als er den Blick über ihre rosigen Wangen und die kühl blickenden meergrünen Augen gleiten ließ. Laut Personalakte war Freya Jenson ausgesprochen tüchtig, stets pünktlich, nie krank und sehr zuverlässig. Sie beschwerte sich nie über ihre schlechten Arbeitsbedingungen oder den stupiden Job, den sie ausübte. Um eine Gehaltserhöhung hatte sie auch nie gebeten, obwohl sie bereits seit zwei Jahren für dasselbe Gehalt bei Hannard arbeitete.

Warum nicht? überlegte Enrico. Ihre abgetragene Kleidung verriet, dass Freya am Existenzminimum leben musste. Sonst wäre sie auch schon längst beim Friseur gewesen, dachte er, als sein Blick auf den unvorteilhaften Knoten fiel, zu dem sie ihr lockiges taillenlanges Haar zusammengefasst hatte.

Der Junge dagegen war gut gekleidet. Ein moderner Haarschnitt hatte die schwarzen Locken gebändigt, und die Schuhe wirkten auch nicht gerade, als kämen sie aus einem Secondhandshop.

Die intelligente Freya arbeitete im Untergeschoss in der Ablage, während ihr Sohn es sich im zweiten Stock in der mit allem Luxus ausgestatteten Kinderkrippe gut gehen ließ.

Das Kind war kaum zu bändigen, liebte seine Mutter über alles und ließ sich nur von ihr etwas sagen. Manchmal trieb er die Kindergärtnerinnen an den Rand der Verzweiflung, trotzdem konnten sie ihm nicht böse sein, denn er brachte sie immer wieder zum Lachen.

Der Kleine hatte also Humor. Fredo hatte behauptet, dass er, Enrico, früher genauso gewesen sei.

Freya liebte ihr Kind – ihren gemeinsamen Sohn. Das war nur zu offensichtlich. Sie wurde allgemein für die beste Mutter der Welt gehalten.

Trotzdem hatte sie ihrem Sohn den Vater vorenthalten. Sprach das für eine liebende Mutter?

„Setz dich, Freya.“

„Ich stehe lieber.“

„Du sollst dich setzen.“

Mit gesenktem Blick kam sie näher. Gertenschlanke hundertsiebzig Zentimeter mit verborgenen Schätzen unter dem schlecht sitzenden Kostüm. Enrico musterte sie mit kühlem Blick, der im Gegensatz zu seinem heißen Verlangen stand.

Vermutlich würde sie triumphieren, wenn sie wüsste, wie sein Körper noch immer auf sie reagierte, obwohl Enrico wirklich alles getan hatte, um sie zu vergessen.

Sie hatte die rosigen Lippen zusammengepresst, trotzdem bebten sie. Sehr schön, sie fürchtet sich, dachte er und beobachtete, wie sie sich, die Knie eng beieinander, auf den vorm Schreibtisch stehenden Stuhl setzte.

Ein Witz, dachte er, sie hat doch für jeden die Beine breitgemacht, selbst für meinen Cousin.

„Sag mal, hältst du es für angemessen, mit deinem Chef zu telefonieren, während du auf dem WC sitzt?“, fragte er.

Das brachte ihm einen ziemlich zornigen Blick ein. „Ich habe dir bereits erklärt, dass es nicht anders ging. Übrigens war ich bereits fertig. Wenn du das trotzdem anstößig findest, ist das dein Problem.“

„Ja.“

Als sie den Blick senkte, betrachtete er ihre Wimpern mit den goldenen Spitzen, die er immer so hinreißend gefunden hatte. Am liebsten hätte er sie auch jetzt liebkost und zum Flattern gebracht.

Freya war eine Sexgöttin, wenn man ihr das in diesem Moment und in der Aufmachung auch nicht ansah.

„Du wolltest mich sprechen“, fuhr er dann fort. „Schieß los.“

„Zieh Fredo von der Krippe ab.“

„Nein.“

„Er macht den Kindern Angst.“

„Auch meinem Sohn?“, fragte er lauernd.

„Er ist nicht dein Sohn.“

„Ist er Lucas Sohn?“

Freya hob den Kopf und sah Enrico herausfordernd an, antwortete jedoch nicht. Sein Blick ging ihr durch und durch. Wie fantastisch er aussieht! dachte sie. Das seidige schwarze Haar, das jetzt glatt gekämmt war und sich nur nach einer feurigen Liebesnacht wie Nicos lockte, die dunklen Augen, die langen Wimpern, die er jetzt halb gesenkt hatte, was ihn schläfrig wirken ließ, obwohl er hellwach war, der Mund, der ihr immer so viel Freude bereitet hatte – es war unglaublich gewesen, was für Gefühle seine Liebkosungen in ihr entfesselt hatten …

Doch Enrico hatte auch eine scharfe Zunge, die sehr beleidigend, aber auch unendlich verführerisch sein konnte.

Freyas Brustspitzen richteten sich unwillkürlich auf. Sie brauchte nur an diesen Mund zu denken, schon war sie verloren.

Sie atmete tief durch. „Ich arbeite hier. Was vorhin im Foyer passiert ist, hat sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Die Tatsache, dass Fredo in der Kinderkrippe Wache bezogen hat, sorgt erst recht für Spekulationen.“

„Er bewacht meinen Sohn.“

„Er ist nicht dein Sohn.“ Das würde sie bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag behaupten.

„Trägst du jetzt einen weißen Slip oder einen grauen, passend zu diesem grässlichen Kostüm?“, fragte er. „Ich möchte es gern wissen, denn dein anstößiger Anruf hat mich neugierig gemacht. Als wir uns kennenlernten, hattest du nur weiße und graue Baumwollslips in deiner Schublade, keine Spur von Seide oder Spitze.“

„Das geht dich nichts an“, antwortete Freya, die sich des raffinierten Spitzenmusters ihres Slips nur zu bewusst war.

„Und dann diese Strumpfhosen. Ich habe dich erst darauf gebracht, wie sexy Strümpfe mit Spitzenbesatz sind.“

Genau die trug sie jetzt. Unbehaglich verlagerte Freya das Gewicht auf dem Stuhl. „Du bildest dir wohl ein, du könntest dir alles herausnehmen, nur weil wir mal ein Liebespaar waren“, sagte sie kühl.

„Ganz zu schweigen von diesen grässlichen Baumwollbüstenhaltern, die dir mindestens eine Nummer zu groß waren. Du hattest wohl gehofft, deine Brüste würden hineinwachsen. Sind sie voller geworden, als du meinen Sohn unterm Herzen getragen hast?“

„Er ist nicht dein Sohn“, entgegnete sie aufbrausend.

Blitzschnell hatte Enrico sich aufgerichtet, beugte sich vor, die Hände auf den Schreibtisch gestemmt, und musterte Freya. „Sag schon! Sind deine Brüste voller geworden, und hast du ein einziges Mal ein schlechtes Gewissen gehabt, mir meinen Sohn vorenthalten zu haben?“

3. KAPITEL

Wütend sprang Freya auf. Was fiel ihm eigentlich ein, sie so zu behandeln? Statt zurückzuweichen, beugte auch sie sich vor, stützte die Hände ebenfalls auf den Schreibtisch und erwiderte Enricos zornigen Blick.

„Ich habe nicht ein einziges Mal an dich gedacht. Wozu auch? Schließlich warst du auch nur ein Typ, der mich sitzen gelassen hat, nachdem er bekommen hatte, was er wollte.“

„Ich habe dich nicht sitzen lassen! Ich habe dich hinausgeworfen!“

„Warst du nicht froh, mich loszuwerden? Wahrscheinlich hast du Luca sogar auf mich angesetzt, um eine Entschuldigung zu haben, mich an die Luft zu setzen“, fuhr sie wütend fort.

„Du hättest ihn abweisen können.“

Er stritt es nicht einmal ab! „Sollte ich einem Ranieri den Spaß verderben? Wenigstens war Luca ehrlich genug zuzugeben, dass es ihm nur um Sex ging.“

Enrico war blass geworden, doch nicht so kreidebleich wie Freya, die ihn über den Schreibtisch hinweg anfunkelte, während die Atmosphäre zwischen ihnen geladen zu sein schien.

„Ich hoffe, dass ich niemals so tief sinken werde, einer Frau so etwas an den Kopf zu werfen“, stieß er aufgebracht hervor.

Das tat weh! Freya richtete sich wieder auf. Sie bebte am ganzen Körper. „Meiner Meinung nach könntest du gar nicht tiefer sinken, Enrico.“ Sie wandte sich um und lehnte sich Halt suchend an die Tischkante. Statt kühl und sachlich mit ihm zu diskutieren, hatte sie sich auf eine hitzige Auseinandersetzung eingelassen.

Bis zum Äußersten angespannt und den Tränen nahe, wartete sie darauf, was nun kommen würde. Immerhin hatte sie diesen Mann einmal über alles geliebt und geglaubt, nichts könnte diese Liebe zerstören.

Ganz zerstört war sie auch nicht. Doch es war eine unglückliche Liebe, die ihr den Atem nahm.

Traurig betrachtete sie ihre Schuhe, die schon bessere Tage gesehen hatten. Ihr Rock war auch verknittert. Geistesabwesend versuchte sie, die Falten zu glätten, unterließ es dann aber, weil ihre Hand zu sehr zitterte. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Enrico in seinem makellosen Anzug und in den auf Hochglanz polierten Schuhen auf sie zukam.

„Kann ich dir etwas anbieten?“, fragte er.

Sie hörte ein Glas klirren und schüttelte den Kopf. „Nein, danke. Ich muss zurück zu meiner Arbeit.“

„Es muss ja faszinierend sein, am Scanner zu stehen.“

Freya sah auf. „Ich werde dafür bezahlt, Enrico.“

„Du bekommst einen Hungerlohn“, erwiderte er höhnisch. „Als du für mich tätig warst, hast du das Zehnfache verdient. Josh Hannard hat offensichtlich nicht gewusst, was für ein Schatz sich in seinem Untergeschoss verborgen hält. Du hättest dieses Unternehmen wesentlich besser führen können als er, und zwar mit verbundenen Augen.“

„Du hast mich entlassen.“

„Weil du hinter meinem Rücken gemeinsame Sache mit Luca gemacht hast. Er hat schon einiges angestellt, dieses Mal ist er aber eindeutig zu weit gegangen und von der Familie verstoßen worden. Du hast wenigstens nur deinen Job verloren.“

Und dich, dachte Freya traurig. „Ohne eine gute Beurteilung von dir war ich praktisch nicht vermittelbar.“

Ungerührt, abweisend, mitleidlos und arrogant trank er einen Schluck.

„Ich habe nichts hinter deinem Rücken getan. Luca wollte mir etwas anhängen. Ich habe ihn dabei erwischt, wie er deinen Safe ausräumen wollte, und gedroht, zur Polizei zu gehen.“

„Du hast nur damit gedroht?“, fragte er höhnisch.

Genau das war ihr Fehler gewesen. Luca hatte zur Familie gehört, und ein Familienmitglied zeigt man doch nicht an. So viel hatte sie während ihres Zusammenlebens mit Enrico gelernt. Wie hatte sie ahnen können, dass dies nicht für Luca galt? „Ich wollte dir die Entscheidung überlassen. Deshalb bin ich nach Hause gegangen und habe auf dich gewartet. Stattdessen tauchte Luca auf – sturzbetrunken. Ich hatte gerade ein Bad genommen. Er hatte einen Schlüssel zum Haus, den du ihm angeblich gegeben hattest. Jedenfalls stand er splitterfasernackt im Schlafzimmer und behauptete lachend, du hättest mich an ihn abgetreten, weil …“

„Du weißt genau, dass ich davon nichts hören will. Warum erzählst du mir das also?“, unterbrach Enrico sie kühl.

„Aus einem ganz einfachen Grund: Ich habe auch ein Recht darauf, mich gegen den Schmutz zu verteidigen, mit dem ihr Ranieris mich überschüttet habt.“

„Ich habe dir damals nicht zugehört, warum sollte ich das also jetzt tun?“

„Weil du etwas von mir willst, was du nicht bekommen wirst, solange du mich nicht anhörst und mich für das entschädigst, was dein widerlicher Cousin mir angetan hat.“

„Sprichst du von meinem Sohn?“

„Er ist nicht dein Sohn.“

Die Atmosphäre war erneut aufgeheizt. „Er ist mein Sohn“, sagte Enrico stur.

„Das musst du mir schon beweisen.“

„Wie bitte?“ Er sah sie verblüfft an. „Eigentlich wäre das mein Text, oder?“

Freya verschränkte die Arme. Sie wollte sich nicht provozieren lassen. „Ich muss gar nichts beweisen. Da ich dich nicht als Nickys Vater will, werde ich deinen Anspruch anfechten. Wenn du dir deiner Vaterschaft so sicher bist, dann liefere mir doch mittels eines DNA-Tests den Beweis dafür.“

„Du machst wohl Witze.“

Freya zuckte nur die Schultern. „Deiner Meinung nach bin ich doch eine Frau, die von Ranieri zu Ranieri flattert.“

„Aus deinem Mund klingt mein Name wie eine Beleidigung.“

So hatte sie es auch gemeint. „Wenn ich wirklich so wäre, wie du behauptest, wie soll ich dann wissen, wer der Vater meines Kindes ist? Du musst schon beweisen, dass du es bist, bevor ich dich auch nur in die Nähe meines Sohnes lasse.“

„Wer Augen im Kopf hat, sieht sofort, dass er von mir ist“, stieß Enrico hervor.

„Oder von Luca“, gab sie zu bedenken und freute sich diebisch über seinen fassungslosen Gesichtsausdruck. „Es sei denn, du hast dir von Luca bereitwillig einen Bären aufbinden lassen.“

„Bereitwillig ganz sicher nicht“, antwortete er abweisend.

„Versetz dich doch mal in meine Lage: Würdest du deinem Kind den Umgang mit einem Mann erlauben, der so ein schlechtes Bild von dir hat? Deine Ansichten würden nachher noch auf Nicky abfärben und ihn gegen seine Mutter einnehmen, die er liebt.“

„Ich würde nie versuchen, ihn gegen dich aufzuhetzen.“

„Das nehme ich dir nicht ab. Ich kann mich nur wiederholen: Du wirst beweisen müssen, dass Nicky dein Sohn ist, aber erwarte dabei keine Hilfe von mir.“

Mit einem Knall setzte Enrico das Glas ab und funkelte sie wütend an. „Aber du weißt, dass er mein Sohn ist.“

„Tatsächlich?“

„Hör auf mit diesen Spielchen, Freya!“ Unwillig verzog er das Gesicht. „Das ist doch albern. Ich weiß, dass er mein Sohn ist, selbst wenn du dir nicht sicher bist.“

„Gratuliere, Enrico.“ Sie lächelte. „Jetzt hast du den Spieß selbst umgedreht. Das war ein großer Fehler, denn dadurch hast du dich selbst als den Mistkerl entlarvt, der du nun einmal bist. Ich sage es dir noch einmal: Ich will nicht, dass du dich in das Leben meines Sohnes einmischst. Deshalb werde ich deine Vaterschaft auf medizinischem Weg widerlegen. Ich würde dich sogar verklagen, wenn du weiterhin behauptest, Nickys Vater zu sein.“

„Kannst du dir das leisten?“

„In diesem Land gibt es finanzielle Unterstützung für Bedürftige, wenn sie sich mit einem Gerichtsverfahren konfrontiert sehen“, gab Freya zu bedenken und wandte sich zum Gehen. „Zieh Fredo ab“, fügte sie hinzu, während sie zur Tür ging. „Sonst zeige ich ihn wegen einschlägigen Verhaltens an.“

„Wo willst du hin?“

Sie wandte sich kurz um. „Ich gehe weg.“

„Heißt das, du hängst deinen Job an den Nagel?“

Freya blieb erschrocken stehen. „Nein“, erwiderte sie leise.

„Sie können es sich wohl nicht leisten, zu kündigen, Miss Jenson, weil Sie auf das bescheidene Einkommen angewiesen sind.“

„Ja“, antwortete sie kaum vernehmbar.

„Sie sind auch auf den Krippenplatz für Ihren Sohn angewiesen. Was würden Sie wohl tun, wenn kein Platz mehr zur Verfügung steht?“

Von einer Sekunde zur nächsten wurde ihr klar, dass sie gegen Enrico nicht die geringste Chance hatte. Diese Erkenntnis traf sie zutiefst. Langsam drehte Freya sich zu Enrico um, der noch immer am Barschrank stand. Wie sollte sie gegen so viel Selbstbewusstsein ankommen? Im Licht der Nachmittagssonne schimmerte sein schmales sonnengebräuntes Gesicht goldfarben, während seinen Mund ein höhnisches Lächeln umspielte.

Sie ist richtig schön blass geworden, dachte Enrico und freute sich diebisch. Jetzt hatte er sie da, wo er sie haben wollte.

„Das würdest du nicht tun“, sagte sie leise, am Ende ihrer Kraft.

„Warum nicht? Ich bin doch der Schurke, der dich seinem Cousin für ein Sexabenteuer überlassen hat. Mir ist also alles zuzutrauen.“

Das ist nicht sein Ernst, dachte Freya verzweifelt. Er will sich nur für meine Bemerkung von vorhin rächen. „Aber das würde viele Mütter treffen, die …“

„Spar dir deine Worte, Freya! Du hast über ein Jahr lang mit mir zusammengearbeitet und weißt genau, wie der Hase läuft. Wo würdest du denn bei Hannard zuerst Kosten einsparen?“

„Ganz sicher nicht bei der Kinderkrippe, Enrico.“

„Weil du ein persönliches Interesse daran hast – im Gegensatz zu mir.“

„Du …“, sie biss sich auf die Zunge.

Er beugte sich gespannt vor. „Ich höre, cara . Wolltest du mir gerade sagen, dass ich auch ein persönliches Interesse am Erhalt der Krippe habe?“

„Nein“, stieß sie hervor.

Enrico lehnte sich wieder zurück. „Dann betrachten wir deinen Job doch mal näher. Das Archiv nimmt viel Platz im Keller ein. Man könnte es auflösen und die Räume vermieten.“

„Das Archiv ist aber wichtig“, behauptete sie und legte schützend die Arme um ihren Körper. Wieder war sie einer Panikattacke nahe.

„Mir ist keine Profit machende Firma bekannt, die einen Haufen unfähiger Leute beschäftigt, die nichts anderes zu tun haben, als Dokumente durch einen veralteten Scanner zu schieben“, sagte er verächtlich. „Ich könnte fünfzig Leute von einer Zeitarbeitsfirma kommen lassen, sie mit modernen Geräten ausstatten, und der Keller wäre innerhalb einer Woche leer. Das würde mich höchstens …, na ja, wie viel würde es mich kosten? Vielleicht …“ Er nannte eine Summe, die Freya erbleichen ließ. „Dann würdet ihr alle auf der Straße stehen. So, wo könnte ich noch Kosten einsparen?“

Freya zitterte am gan...

Autor

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