Mylady WeihnachtsBand Band 18

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EIN WEIHNACHTSMÄRCHEN von GRACIE, ANNE
Wer ist der Unbekannte, der in einer Dezembernacht vor ihrer Tür liegt? Elinor bringt es nicht übers Herz, ihn der Kälte zu überlassen. Ohne auf ihren Ruf zu achten, schafft die junge Witwe ihn in ihr Cottage - nicht ahnend, dass damit ein Weihnachtmärchen seinen Anfang nimmt.

SEHNSÜCHTIGE KÜSSE UNTERM MISTELZWEIG von BRISBIN, TERRI
Seine Augen, seine Hände, sein Mund: Wie sehr hat sich Julia nach Iain gesehnt! Als er sie unterm Mistelzweig küsst, glaubt sie sich im siebten Himmel. Doch Iain ist bei einem Unfall schwer verwundet worden - und auch seine Seele wurde verletzt. Vermag Julias Liebe ihn zu heilen?

VERTRAU MIR UND SCHENK MIR DEIN HERZ von BURROWS, ANNIE
Warum schenkt Carleton meinen Beteuerungen keinen Glauben? fragt sich Nell. Nie gab es einen anderen außer ihm! Auch als ihr Mann fort war, ist sie ihm treu geblieben. Aber Carleton sieht nur den Knaben, der unter dem Weihnachtsbaum spielt, und behauptet: Das ist nicht mein Sohn!

FEST DER HOFFNUNG, FEST DER LIEBE von JUSTISS, JULIA
An das Wunder der Liebe glaubt Meredyth nicht - sie hat sich mit ihrem Leben ohne einen Gemahl, der ihr sein Herz schenkt, abgefunden. Erst als ihr der schneidige Allen Mansfell romantisch den Hof macht, flammt in ihr zaghaft Hoffnung auf. Hoffnung auf ein Fest voller Liebe ...


  • Erscheinungstag 27.09.2009
  • Bandnummer 0018
  • ISBN / Artikelnummer 9783862952205
  • Seitenanzahl 352
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

JULIA JUSTISS

Fest der Hoffnung, Fest der Liebe

Ihre Schönheit erregt ihn, ihr Charme fasziniert ihn: Allen ist betört von Miss Meredyth Wellingford! Ein scheuer Kuss lässt ihn hoffen, doch am Weihnachtstag geht sie ihm plötzlich aus dem Weg …

ANNIE BURROWS

Vertrau mir, und schenk mir dein Herz

Carleton ist überzeugt, dass Nell den Avancen eines anderen erlag. Sosehr seine Frau auch ihre Unschuld beteuert: Niemals wird er ihr glauben, dass der kleine Harry wirklich sein Sohn ist!

TERRI BRISBIN

Sehnsüchtige Küsse unterm Mistelzweig

Ein inniger Kuss unter dem Mistelzweig schenkt Iain MacLerie Gewissheit: Julia bringt ihm tiefe Zuneigung entgegen. Doch er darf sie nicht ehelichen – er ist nicht gut genug für sie!

ANNE GRACIE

Ein Weihnachtsmärchen

Er hat sein Gedächtnis verloren, weiß nicht, woher er kommt und ob irgendwo eine Frau auf ihn wartet. Doch eines ist sicher: Er will nicht, dass seine Retterin Ellie das Fest der Liebe allein verbringt …

1. KAPITEL
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„Merry! Merry, sie sind da! Komm schnell!“

Meredyth Wellingford stand im Speisezimmer und überwachte die Lakaien dabei, wie sie den großen Tisch um ein weiteres Tischblatt erweiterten, als sie hörte, wie ihre jüngere Schwester sie in die Eingangshalle rief. „Bin schon unterwegs, Faith!“

Mit fröhlich federndem Schritt und einem Lächeln auf den Lippen ging Meredyth in die Große Halle. Wie sie die Weihnachtsfeiertage liebte! Der Duft der Tannen- und Kiefernzweige, welche die Treppen und Kaminsimse schmückten, das würzige Aroma des Glühweins und der appetitliche Geruch des Festtagsbratens; Mistelbündel und stachelige Stechpalmenzweige; Weihnachtslieder vor dem Kamin, in dem das Julscheit knisterte. Aber vor allem liebte sie es, wenn ihre Familie nach Hause kam, wenn ihre Geschwister wieder wie früher unter dem Dach von Wellingford versammelt waren.

Zuerst sollte ihr Bruder Colton eintreffen, der von Oxford anreiste und seinen besten Freund Thomas Mansfell mitbrachte. Da Wellingford auf dem Heimweg zum Familiensitz des Freundes im Norden lag, war Thomas oft bei ihnen zu Besuch; normalerweise verbrachte er auf dem Hin- und Rückweg von der Universität ein paar Tage bei ihnen.

Gerade als Meredyth zu ihrer Schwester in der Eingangshalle stieß, hörten sie schwere Schritte auf der Treppe draußen, gefolgt von einem lauten Klopfen an die Eingangstür. Twilling, ihr alter Butler, eilte herbei, um zu öffnen.

„Faith! Merry!“, rief Colton und schloss sie beide in die Arme, als sie auf ihn zugerannt kamen. „Wie schön, wieder zu Hause zu sein!“

„Wie schön, dich bei uns zu haben“, entgegnete Merry. Mit leisem Bedauern betrachtete sie das jüngste Mitglied der Wellingford-Sippe. Nachdem ihre Mutter sich von ihrer letzten Niederkunft nie richtig erholt hatte, hatten Meredyth und ihre ältere Schwester Sarah sich um den Jungen gekümmert und ihn unterrichtet, bevor er dann aufs Internat ging. Anstelle des freundlichen, eifrigen Jungen, den sie einst nach Eton geschickt hatte, stand nun ein junger Mann vor ihr, der größer war als sie, mit goldbraunen Locken und leuchtenden blauen Augen. Mein kleiner Bruder entwickelt sich zu einem hübschen jungen Mann, stellte Meredyth fest.

„Die Eingangshalle sieht wirklich sehr festlich aus.“ Eine weitere männliche Stimme riss sie aus ihren Überlegungen.

„Danke, Thomas. Sei uns herzlich willkommen“, sagte sie und wandte sich dem Freund ihres Bruders zu. „Ich hoffe, du bleibst ein paar Tage, ehe du nach Hause weiterreist? Ich habe für dich dein übliches Zimmer herrichten lassen.“

„O ja, bitte sag, dass du ein bisschen bleibst!“, mischte sich auch Faith ein. „Es ist so angenehm, dich wiederzusehen.“

„Ich freue mich auch, dich zu sehen, du kleine Range“, erwiderte Thomas und zog an einer von Faiths goldenen Locken, bevor er sich wieder zu Meredyth umdrehte. „Ich würde liebend gern ein paar Tage hier ausruhen, ehe ich mich ins Weihnachtsgetümmel daheim stürze. Und ich hoffe, es macht dir nichts aus, aber ich habe mir erlaubt, meinem Bruder Allen zu sagen, er könnte auch hier übernachten. Er kam aus London, um mit uns nach Norden zu reisen, gerade als Colton und ich Oxford verlassen wollten.“

„Natürlich ist er uns willkommen“, sagte Meredyth. „Du hast schon so viel von ihm erzählt, dass ich das Gefühl habe, ihn zu kennen, obwohl ich ihm noch nie begegnet bin.“ Im Lauf der Jahre hatte Thomas ihnen recht oft von den Abenteuern seines älteren Bruders berichtet, den er so bewunderte – von seinen Fähigkeiten im Reiten und Fechten, seinem Dienst als verwegener junger Unteroffizier, der während des Waterloo-Feldzugs Botschaften für Wellington überbrachte, der Fachkenntnis, mit der er die Verwaltung der Familiengüter übernommen hatte.

Thomas grinste. „Da bin ich froh! Für mich wäre das ganz schön peinlich geworden, wenn ich ihn allein hätte weiterschicken müssen. Er wollte sich noch kurz um die Pferde kümmern – aber hier ist er schon.“ Er deutete auf den großen dunkelhaarigen Gentleman, den Twilling soeben in die Eingangshalle einließ.

„Meine Damen, darf ich euch meinen Bruder Allen vorstellen. Allen, hier sind Merry und Faith Wellingford – zwei von Coltons Schwestern.“

„Miss Wellingford, Miss Faith – angenehm!“, sagte der Neuankömmling und beugte sich über ihre Hände. An Meredyth gewandt, sagte er: „Ich habe von Thomas schon so viel von Wellingford gehört, dass ich entzückt bin, endlich auch einmal herkommen zu dürfen – wenn es Ihnen wirklich recht ist, wie Thomas mir versichert hat, dass Ihnen ohne Vorankündigung ein weiterer Gast aufgehalst wird.“

Als der Gentleman sich aufrichtete, konnte Meredyth kaum ein Aufkeuchen unterdrücken. Im Gegensatz zu ihrem halbflüggen Bruder war Allen Mansfell ein richtiger Mann – und unglaublich attraktiv. Obwohl sie groß war für eine Frau, überragte ihr Gast sie noch um einiges. Dunkelbraune Locken fielen ihm in die Stirn, und seine Augen in dem markanten Gesicht waren von einem aufsehenerregenden Grün. Sein Blick hielt den ihren fest, und einen Augenblick lang hatte sie das Gefühl, sie wären die einzigen Menschen in der Halle.

Ein wenig verwirrt, senkte sie den Blick, ließ ihn anerkennend von den breiten Schultern über den kräftigen Oberkörper bis zu den muskulösen Oberschenkeln wandern, die von den ledernen Breeches vorteilhaft zur Geltung gebracht wurden. Als sie schließlich wieder zu ihm aufsah, verspürte sie eine prickelnde Anziehung, die stärker war als alles, was sie seit dem Tod ihres Verlobten James vor vielen Jahren empfunden hatte.

Sie schüttelte den Kopf und versuchte, ihre fünf Sinne beisammenzuhalten. „Wenn Sie nach dem gegangen sind, was Thomas von mir erzählt hat, dann überrascht es mich, dass Sie sich überhaupt hergewagt haben.“

Er lachte, wobei sein beunruhigender, verstörender Blick immer noch auf sie gerichtet war. „Ich versichere Ihnen, dass er nur in den höchsten Tönen von Ihnen gesprochen hat.“

„Ich hoffe, ihr habt uns auch noch etwas zum Dekorieren übrig gelassen“, unterbrach Colton sie und sah sich in der mit Tannen- und Kiefernzweigen geschmückten Halle um. „Nachdem wir ein ganzes Semester über staubigen Büchern gesessen haben, sind Thomas und ich recht erpicht darauf, über Land zu reiten und Misteln, Stechpalmen und anderes Gesträuch herbeizuschaffen.“

„Faith und ich haben mit der Halle angefangen, aber viel weiter sind wir nicht gediehen. Wir brauchen euch Gentlemen, damit ihr uns Weihnachtsdekoration bringt. Ich dachte, wir warten mit dem Sammeln auch noch, bis Sarah, Elizabeth und Clare mit ihren Familien eingetroffen sind. Es würde den Kindern bestimmt großen Spaß machen, mit euch auszureiten.“

Colton grinste sie an. „Typisch Merry – noch nicht mal alle da, und schon kommandiert sie uns herum.“

„Sie ist aber eine hervorragende Kommandantin“, meinte Thomas. „Wenn man sich Wellingford jetzt anschaut, kann man sich gar nicht vorstellen, wie es hier ausgesehen hat, als ich zum ersten Mal zu Besuch gekommen bin. Das Herrenhaus total baufällig, die Pächterhäuschen halb verfallen, die Felder lagen brach. Merry hat da wirklich Erstaunliches geleistet; sie hat das Haus und die Güter wunderbar hergerichtet und sich darum gekümmert, dass das Land wieder bebaut wird.“

Wenn Thomas nicht fast so etwas wie ein Bruder für sie gewesen wäre, hätte Meredyth sich vielleicht geschämt für das freimütige Bild, das er von Wellingfords traurigem Zustand kurz nach dem Tod ihres Vaters entworfen hatte. Doch da sein Bruder Allen durch Thomas sicher erfahren hatte, wie sehr ihr spielsüchtiger Vater den Familiensitz vernachlässigt hatte, hatte sie nicht das Gefühl, Erklärungen abgeben oder sich entschuldigen zu müssen. „Die Zeit ist eine kompetente Verwalterin, und ein Zufluss von Bargeld kann wahre Wunder vollbringen“, erwiderte sie.

„Nachdem ich mit der Instandhaltung der Güter meines Vaters gekämpft habe, Miss Wellingford, bin ich mir wohl bewusst, dass es mehr braucht als Geld, um sie in einem guten Zustand zu erhalten“, erklärte Allen. „Das Land und die Höfe, an denen wir vorbeigekommen sind, haben alle vorbildlich ausgesehen, und das Haus hier ist wunderschön. Dass Sie hart arbeiten, ist offensichtlich.“

„Allerdings“, warf Colton ein. „Merry ist eine so hervorragende Verwalterin, dass ich sie wohl weiterhin beschäftigen werde, wenn ich heirate und endgültig nach Wellingford zurückkehre.“

„Deiner Braut würde ein solches Arrangement wohl kaum behagen“, gab Merry scharfzüngig zurück und spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde. Unverblümt und unsensibel, wie junge Männer meist waren, war Colton natürlich gar nicht klar, dass er seine unverheiratete Schwester gerade endgültig als alte Jungfer gebrandmarkt hatte. Was sie ja auch war – aber trotzdem hätte sie darauf verzichten können, dass ihr Bruder es vor einem so attraktiven Mann wie Mr. Mansfell herausposaunte.

Obzwar an die acht Jahre älter als der siebzehnjährige Thomas, war Allen Mansfell immer noch zwei Jahre jünger als sie. Bei diesem entmutigenden Gedanken wurde ihr noch unwohler zumute, und sie ermahnte sich streng, dass sie über die unziemliche sinnliche Reaktion hinwegkommen müsse, die er in ihr hervorgerufen hatte.

Da Meredyth plötzlich das Bedürfnis verspürte, Allen Mansfells allzu überwältigender Gegenwart zu entkommen, und zudem aus Faiths Miene schloss, dass ihre Schwester sich von der Unterhaltung ausgeschlossen fühlte, sagte sie: „Faith, führe unsere Gäste doch in den vorderen Salon. Ich sage Twilling, dass er Glühwein bringen soll, während ich mich darum kümmere, dass ein weiteres Zimmer hergerichtet wird.“

An Mr. Mansfell gewandt, fügte sie hinzu: „Ihr Schlafzimmer ist gleich fertig. Wenn ich irgendetwas tun kann, um Ihnen den Aufenthalt in Wellingford angenehmer zu machen, zögern Sie bitte nicht, es mir zu sagen.“

Zu ihrer Überraschung ergriff Allen ihre Hand und beugte sich darüber. „Ich bin sicher, dass Sie es mir überaus angenehm machen werden“, murmelte er. Sein warmer Ton und die Hitze, die seine Hand abstrahlte, ließen sie erneut zusammenzucken.

Hastig zog sie ihre prickelnde Hand zurück, knickste und wandte sich ab, wobei sie sich seines Blickes im Rücken äußerst bewusst war, als sie die Treppe hinaufstieg.

Nachdem sie seinem Blick entkommen war, begab Meredyth sich in den Gästeflügel, um den Raum in Augenschein zu nehmen, den sie Allen zuzuweisen gedachte, und zu prüfen, ob dort mehr gebraucht wurde als frisches Bettzeug. Während ihr Blick auf dem großen hohen Bett ruhte, dachte sie an Mr. Mansfells samtige Bemerkung, dass sie es ihm sicher angenehm machen würde. Plötzlich überlief es sie heiß.

Sie benahm sich einfach lächerlich – wie konnte sie dieser müßigen Bemerkung eine Doppeldeutigkeit beimessen, die ein Gentleman einer unverheirateten Dame des ton niemals zumuten würde! Es war schon schlimm genug, dass sie unter seinem Blick errötete wie ein Schulmädchen! Sie musste sich wirklich in den Griff bekommen, sonst tat sie noch etwas, das ihm verriet, welche Wirkung er auf sie ausübte. Die Vorstellung, er könnte etwas ahnen und würde die Idee dann voll Abscheu – oder, schlimmer noch, Mitleid – von sich weisen, war zu demütigend, als dass sie sie ernsthaft in Betracht ziehen wollte.

Zum Glück würde er nur für ein paar Tage in Wellingford weilen. Und da der Rest der Familie jeden Augenblick eintreffen konnte, wäre sie bald viel zu beschäftigt mit den Mahlzeiten, der Unterbringung und Unterhaltung für ihre Schwestern, deren Gatten und Kinder, um sich mit der hypnotisierenden Wirkung von einem Paar lebhafter grüner Augen aufzuhalten – oder dem Flattern in ihrem Bauch.

Es war ja nicht so, als wären ihr in den Jahren nach dem Tod ihres Verlobten keine attraktiven Männer begegnet. Was hatte Allen Mansfell nur an sich, dass ihr Körper auf ihn mit einem Sinnenfeuer reagierte, das sie nach James’ Tod für erloschen geglaubt hatte?

Die dumpfe Trauer, die anstelle des ersten brennenden Schmerzes über den Verlust ihres Verlobten getreten war, erfüllte nun auch jetzt wieder ihre Brust. Sie schluckte hart und trat ans Fenster, wo sie blicklos hinausstarrte auf den kahlen Garten, während die Erinnerungen über sie hereinbrachen.

Wie sehr sie ineinander verliebt gewesen waren. Wie lebhaft sie sich an die Aufregung erinnern konnte, ihn zu küssen – wie sie das Gefühl gehabt hatte, von innen heraus zu schmelzen, wenn seine Zunge die ihre liebkoste und seine starken Hände ihre Brüste umfassten. Nicht zum ersten Mal bedauerte sie ihr Ehrgefühl, das sie veranlasst hatte, die erregenden Liebesspiele kurz vor der Erfüllung abzubrechen.

Sie hätten schließlich alle Zeit der Welt, einander zu genießen, wenn er aus Indien zurückkehrte, hatte James versprochen und sie sanft weggeschoben. Während er einen Finger über ihre von seinen Küssen angeschwollenen Lippen zog, versprach er ihr, jeden Zoll ihres Körpers zu liebkosen, wenn sie seine Frau war und sie nicht länger befürchten mussten, dass durch ihre Vereinigung ein Kind außerhalb des Ehebetts gezeugt werden könnte.

Jene letzte Nacht vor seiner Abreise war sie schwer in Versuchung geraten, ihn wieder an sich zu ziehen, ihre Brüste an seinen Oberkörper zu pressen, seine Lippen auseinanderzudrängen und ihn zu reizen, bis er die Beherrschung verlor und sie auf der Stelle nahm und den Pfad bis zur Erfüllung beschritt. Nur das Wissen, dass es eine Katastrophe wäre, wenn sie von ihm schwanger würde, hatte sie aufgehalten.

Jetzt, wo die Wahrscheinlichkeit, noch ein Kind zu bekommen, eher gering war, war sie sich nicht mehr so sicher, ob sie damals die richtige Wahl getroffen hatte.

Es war nicht so, als hätte sie sich gegen die Ehe entschieden. Natürlich hatte sie es im ersten Jahr nach James’ Tod nicht für möglich gehalten, dass sie sich je wünschen würde, einen anderen zu heiraten, aber die Zeit hatte diese Gewissheit untergraben und ihren Kummer gedämpft. In den folgenden Jahren war sie in Wellingford geblieben, um ihre sterbende Mutter zu pflegen, und danach hatte eine Reihe anderer Verpflichtungen sie davon abgehalten, ihr Zuhause zu verlassen und nach London zu gehen, wo sie sich vielleicht wieder hätte verlieben können.

Nicht dass eine Heirat vollkommen ausgeschlossen war. Im Frühling würde sie mit Faith nach London reisen und ihre kleine Schwester zu allen Veranstaltungen des Heiratsmarkts begleiten. Aber sie war über zehn Jahre älter als ihre Schwester und die anderen jungen Mädchen, die in die Gesellschaft eingeführt wurden, und würde vermutlich Häubchen tragen und sich zu den anderen Matronen setzen müssen.

Außerdem träumte Meredyth im Gegensatz zu den jungen Mädchen, die neben Faith bald die Salons der vornehmen Gesellschaft bevölkern würden, nicht davon, Reichtum oder einen Titel zu heiraten. Den wohlhabenden Nachbarn, der um ihre Hand anhalten wollte, weil ihre Ländereien an die seinen angrenzten, hatte sie bereits weggeschickt. Und einen alten Freund der Familie – einen verwitweten Viscount, der für seine Kinder eine neue Mutter suchte – hatte sie sanft abgewiesen. Sie wurde von ihrer Familie geschätzt und verehrt, hatte eine ständig wachsende Schar Nichten und Neffen, die sie verwöhnen konnte, besaß Ländereien und den Witwensitz, in dem sie leben konnte, wenn Colton einmal eine Frau nach Hause brachte – niemals würde sie ihr Herz, ihre weltlichen Güter und ihre Zukunft einem Ehemann für etwas Geringeres als jene Liebe überlassen, die sie für James empfunden hatte.

Meredyth warf einen letzten prüfenden Blick auf das Bett und ging hinaus. Auch wenn Allen Mansfell ihre Sinne zum Glühen brachte und somit bewies, dass die Leidenschaft immer noch in ihr brannte, wäre es doch ein Wunder, wenn eine Dame in ihrem Alter noch einmal die große Liebe fände.

Allen Mansfell lehnte im Salon am Kaminsims, ließ sich ein Glas Glühwein schmecken und sah nachsichtig zu, wie Miss Faith Wellingford versuchte, mit seinem Bruder Thomas zu flirten, der sie seinerseits abwechselnd neckte oder ignorierte, während er mit Colton über den vorgeschlagenen Jagdausflug am nächsten Tag sprach.

Miss Faith ist ein hübsches Ding, fand er. Sie ähnelte ihrer älteren Schwester Elizabeth, der eigentlichen Schönheit der Familie, die vor kurzem seinen Freund Hal Waterman geheiratet hatte. Mit ihrem reizenden Gesicht und ihrem ungekünstelten Charme würde Miss Faith vermutlich keine Schwierigkeiten haben, einen passenden Ehemann zu finden, wenn sie, wie sie ihm ernst erzählt hatte, im nächsten Frühling debütierte.

Bei dem Gedanken unterdrückte Allen einen Schauer des Missfallens. Nächsten Frühling würde er vermutlich auch nach London reisen. Obwohl es ihm nach Susannas Treulosigkeit sehr widerstrebte, je wieder einer Dame seine Hand und seinen Namen zu bieten. Nachdem er aber über den ersten Kummer und Zorn hinweggekommen war, hatte er erkannt, dass der Grund, warum er sich ihr überhaupt genähert hatte – der Wunsch zu heiraten, sich auf dem Familiensitz niederzulassen und seine Mutter mit Enkeln zu erfreuen –, ihn wieder auf den Londoner Heiratsmarkt führen würde. Diesmal hatte er jedoch nicht die Absicht, sein Herz zu verlieren.

Für einen heiratswilligen Gentleman bot die Londoner Saison die bequemste und umfassendste Ansammlung junger, vornehmer Mädchen, aus der ein Gentleman seine Auswahl treffen konnte. Eigentlich fand er die Vorstellung aberwitzig, er könnte sich ein Kind wie Faith zur Frau aussuchen.

An Susanna hatte ihn letzten Frühling ja gerade die souveräne Selbstsicherheit angezogen. Im Gegensatz zu anderen jungen Mädchen war sie in der Lage gewesen, ein intelligentes Gespräch zu führen – und verführerisch zu flirten –, statt bei jedem Wort, das er von sich gab, zu kichern oder zu erröten. Ganz zu schweigen von den offensichtlichen Reizen ihres üppigen Körpers …

Wütend schob er die Erinnerungen beiseite. Er hatte nun lang genug gezürnt und getrauert. Er würde sich von ihrer Untreue nicht länger die Laune verderben lassen.

Wenn er schon gezwungen war, sich wieder auf den Heiratsmarkt zu begeben, wäre Miss Faiths Schwester Meredyth weitaus mehr nach seinem Geschmack. Groß, schlank, ihr Haar etwas heller als das Goldblond ihrer kleinen Schwester, ihre Augen eher grau- als himmelblau und von großer Eleganz. Und dann war da dieser überraschende Funken der Erkenntnis gewesen, und diese Hitze, die sich bei seiner albernen und frechen Bemerkung über die angenehmen Seiten seines Aufenthalts förmlich durch seine Handschuhe gebrannt hatte. Eleganz und – im Gegensatz zu Susanna – Integrität, vereint in einem subtil sinnlichen Körper war eine ziemlich aufregende Kombination.

Und er hatte auch keine leeren Phrasen gedroschen, als er ihr Komplimente bezüglich ihrer Verwaltung von Wellingford gemacht hatte. Er war wirklich beeindruckt von den gepflegten Feldern, Zäunen und Pächterhäuschen, an denen sie vorbeigekommen waren und deren hervorragender Zustand sogar noch bemerkenswerter war, wenn man daran dachte, wie das gesamte Landgut noch vor ein paar Jahren ausgesehen hatte.

Randolph Wellingfords verschwenderische Gewohnheiten, seine Spielsucht und die schockierende Vernachlässigung seines Anwesens hatten sich bis nach London herumgesprochen, als Allen aus Oxford in die Stadt gekommen war. In seinem Club wurde sogar gemunkelt, es sei ein wahrer Segen für die Familie, dass der Mann früh zu Tode gekommen war, als er eines Wintermorgens um irgendeiner lächerlichen Wette wegen halb betrunken davongeritten war. Meredyth Wellingford musste eine intelligente, fleißige und sparsame Verwalterin sein, um in Wellingford so viel erreicht zu haben.

Da kam ihm ein Gedanke, ebenso plötzlich wie reizvoll. Wenn er schon heiraten musste – und das musste er –, wieso sollte er sich nicht eine etwas ältere Frau suchen? Eine, von der er bereits wusste, dass sie einen hervorragenden Charakter besaß und die nötigen Fähigkeiten, um einen großen Besitz zusammenzuhalten? Eine Frau, die einer Ehe, die auf gemeinsamen Interessen und gegenseitigem Respekt gründete, ebenso zugänglich wäre wie er? Eine Dame, deren subtile Reize die Befriedigung seiner Bedürfnisse verhießen, ohne ihn in die Qualen von Lust und Eifersucht zu stürzen, die Susanna in ihm geweckt hatte?

Eine Dame, die zufällig plante, ihre Schwester nächste Saison nach London zu begleiten …

Allen trank seinen Wein aus, stellte das Glas ab und lächelte. Er würde seinen Aufenthalt in Wellingford nutzen, um seine charmante Gastgeberin kennenzulernen. Und wenn er dann von Meredyth Wellingford immer noch so beeindruckt – und angenehm erregt – war wie bei ihrer ersten Begegnung, hätte er vielleicht die Lösung für sein Eheproblem gefunden.

2. KAPITEL
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Am Vormittag des nächsten Tages begab Meredyth sich nach einer Besprechung mit der Haushälterin in den Salon. Beifällig stellte sie fest, dass die Beistelltischchen, die sie extra angefordert hatte, damit sie einem Haus voller Gäste auch genügend Erfrischungen servieren konnte, bereits an Ort und Stelle standen, und trat zum Fenster. Sie stahl sich einen Moment Zeit von ihren Pflichten und sah hinaus auf den Rasen und den dahinter liegenden Wald.

Colton hatte beim Frühstück seine Absicht kundgetan, später noch jagen zu gehen, und damit geprahlt, dass er ein paar Fasane für die Weihnachtsfesttafel mitbringen würde. Da sie die anderen Gäste an diesem Morgen noch nicht gesehen hatte, wusste sie nicht, ob Thomas und Allen Mansfell ihn begleiten wollten oder nicht.

Sosehr sie sich auf die unmittelbar bevorstehende Ankunft ihrer restlichen Familie freute, war Meredyth doch auch nervös. Trotz der strengen Standpauke, die sie sich letzten Abend gehalten hatte, bevor sie zum Dinner nach unten gegangen war, hatte sie, als sie Allen Mansfell begegnet war, wieder dieselbe Anziehungskraft, dasselbe leise Beben wie bei ihrer ersten Begegnung verspürt.

Wenn überhaupt, erinnerte sie sich stirnrunzelnd, war ihre Reaktion stärker gewesen. Schon in lässiger Reitkleidung war Mr. Mansfell ein schöner Mann, aber in formeller schwarzer Abendkleidung und bei Kerzenschein, der seine grünen Augen nur noch stärker zum Leuchten brachte, war er so attraktiv, dass es ihr den Atem verschlug. Selbst nachdem ihr Puls sich wieder beruhigt hatte, musste sie sich ermahnen, Allen Mansfell nicht so anzustarren und sich auch den anderen Gästen zu widmen, weil ihr Blick immer wieder automatisch zu ihm zurückkehrte.

Und als er dann sie angesehen hatte … Obwohl ihr Abendkleid eher moderat ausgeschnitten war, hatte sie fast das Gefühl, als würde sein Blick ihr Brust und Schultern versengen.

Was natürlich lachhaft war. Da beim Dinner nur zwei Damen anwesend waren, eine davon viele Jahre jünger als er und darauf aus, seinen jüngeren Bruder in den Bann zu schlagen, hatte Mr. Mansfell selbstverständlich öfter zu ihr herübergesehen. Sie hoffte doch, dass sie amüsanter und interessanter Konversation treiben konnte als ein junges Mädchen, das gerade erst dem Schulzimmer entronnen war.

Obwohl sie sich nicht erinnern konnte, worüber sie gesprochen hatten.

„Miss Wellingford, werden Sie später ausreiten?“

Bei dem plötzlichen Auftauchen just des Herrn, an den sie gerade so ausgiebig gedacht hatte, fuhr sie zusammen. Als sie sich zu ihm umdrehte, die Wangen schuldbewusst gerötet, ließ sein Blick auf ihr diesmal gänzlich bedecktes Dekolleté sie innerlich erbeben, und seine tiefe, samtweiche Stimme ließ sie an vertrauliche Gespräche im Schlafzimmer denken.

Himmel, was hatte er nur an sich, dass er ihr solche Reaktionen entlockte? Sie spürte, wie sie noch stärker errötete, und verfluchte ihre helle Haut, während sie gleichzeitig ihre ungebärdigen Sinne zur Ordnung rief. „Colton und Thomas wollen heute Nachmittag jagen gehen“, erwiderte sie. „Wenn Sie die beiden begleiten möchten, kann unser Stallmeister sicher ein geeignetes Pferd für Sie finden.“

Er schüttelte den Kopf. „Danke, aber ich überlasse die Fasane lieber den beiden. Wenn Thomas’ Schießkünste sich seit letztem Mal nicht dramatisch verbessert haben, sind die Vögel ja in Sicherheit. Nach meiner Zeit in der Armee macht es mir keine Freude mehr, auf die Jagd zu gehen, wenn es nicht wirklich nötig ist.“

Meredyth nickte mitfühlend. „Thomas hat uns erzählt, dass Sie in Waterloo dabei waren. Es war sicher furchtbar, aber er hat auch berichtet, dass Sie tapfer gedient haben; er sagt, Sie sind von Einheit zu Einheit geritten, um Wellingtons Nachrichten zu übermitteln, trotz Kugelhagel und Kanonendonner.“

Mansfells Miene wurde grimmig. „Glauben Sie nicht, dass ich ein Held bin. Ich hatte einfach nur Glück, dass ich ungeschoren davongekommen bin. Und es war auch nichts sonderlich Heldenhaftes daran, Befehle zu übermitteln, die Dutzende von Soldaten in den Tod geschickt haben.“

„Und den Zusammenbruch der alliierten Linie verhinderten“, wandte sie rasch ein und schalt sich im Stillen, dass sie das Thema überhaupt aufgebracht hatte. Sie kannte hier in der Gegend drei Familien, bei denen Söhne und Brüder nicht aus dem Krieg zurückgekehrt waren, und die Offiziere aus ihrem Bekanntenkreis, die den Krieg überlebt hatten, redeten selten darüber.

Bevor sie sich entschuldigen konnte, lächelte Mansfell sie an. „Verzeihen Sie, dass ich Sie angefahren habe. Es ist Weihnachten – nicht die richtige Zeit für trübselige Gedanken. Eines aber lernt man, wenn man eine solche Katastrophe überlebt: die Schönheit des Augenblicks auszukosten. Und zu diesem Zweck – wenn Sie heute Nachmittag ausreiten, würde ich sehr gerne mitkommen. Es interessiert mich, mehr von Wellingford zu sehen.“

Es war eine schlichte Bitte, und doch sah Meredyth sich nicht in der Lage, gleich darauf zu antworten. Allen Mansfell schien irgendeine … geheimnisvolle Macht zu besitzen, eine Aura, die sie magisch anzog und ihre Sinne in Aufruhr versetzte, sodass sie sich seiner Gegenwart ständig und intensiv bewusst war, wann immer sie in seine Nähe kam. Sosehr sie sich auch zu ihm hingezogen fühlte – und sie fühlte sich sehr zu ihm hingezogen –, war sie sich nicht ganz sicher, ob sie seine Begleitung wirklich wünschte. Zumal sie dann miteinander allein wären.

Andererseits würde sie beim Reiten Distanz wahren müssen – vielleicht würde ihr das helfen, den albernen Wunsch zu unterdrücken, der sich immer wieder ungebeten einstellte, ihm das Haar aus der Stirn zu streichen oder ihm die Hand auf den Arm zu legen. Außerdem war sie eine hervorragende Reiterin und wusste, dass sie auf dem Pferderücken eine hinreißende Figur machte.

Sie mochte ja eine alte Jungfer sein, aber sie verspürte eben trotzdem das Bedürfnis, in der Nähe eines attraktiven Mannes so vorteilhaft wie möglich auszusehen.

Während sie noch zögerte, meinte er: „Verzeihen Sie. Ich wollte mich nicht aufdrängen. Schließlich kann ich mir denken, dass Sie sehr viel zu tun haben.“

Es war verlockend, einfach zuzustimmen – allerdings war er in einem Moment zu ihr gekommen, als sie vor dem Fenster gestanden und geträumt hatte, offenbar weit davon entfernt, sich in irgendwelche fieberhaften Tätigkeiten zu stürzen. Er war außerdem ihr Gast, es war ihre Pflicht, ihn zu unterhalten, und im Winter auf dem Land waren die Vergnügungen rar gesät. Und eigentlich wollte sie ja ausreiten …

„Ich muss das Julscheit inspizieren und nachschauen, welche Fortschritte die Renovierungsarbeiten am Witwensitz machen. Ich freue mich, wenn Sie mich begleiten möchten – wenn Sie sicher sind, dass Sie derart triviale Besorgungen nicht furchtbar langweilig finden.“

„In Ihrer Gesellschaft könnte es mir nie langweilig werden“, entgegnete Mansfell, und wieder hatte seine Stimme jenen samtweichen Ton angenommen, während sein Blick langsam an ihrer Gestalt auf und ab wanderte, sodass sie innerlich erzitterte. „Renovierungsarbeiten am Witwensitz, sagten Sie?“, fuhr er fort.

„Ja, Renovierungsarbeiten und Reparaturen“, erwiderte sie und versuchte ihre verwirrende, anscheinend unvermeidliche Reaktion auf seine Stimme zu überwinden. „Wie Colton sagte, eines Tages bringt er eine Braut nach Hause, und dann brauche ich ein neues Zuhause.“

So – jetzt hatte sie ihm praktisch gesagt, dass sie sitzen geblieben war. Das sollte seiner Galanterie – wenn es das überhaupt war – ein Ende bereiten.

Mansfell nickte nur. „Das würde mich sehr interessieren. Ich habe soeben eine Liste mit all den Behausungen in Papas Besitz aufgestellt, bei denen Reparaturen oder eine Renovierung anstehen. Sie haben hier in Wellingford so großartige Arbeit geleistet, dass ich mir sehr gerne ansehen würde, wie Sie die Reparaturen im Witwensitz angehen.“

So viel also zur Galanterie – zumindest von seiner Seite. Offensichtlich interpretierte sie viel zu viel in seine Stimme und seinen Blick hinein. Während er einfach nur ihre Fähigkeiten als Gutsherrin von Wellingford bewunderte und sich für eine genauere Demonstration interessierte.

Gott sei Dank hatte sie nicht versucht, mit ihm zu flirten! Sie konnten Freunde werden, genau wie sie und Thomas befreundet waren, verbunden durch ihr Interesse an Gutsverwaltung, Reparaturen und ähnlich prosaischen Dingen. Sie würde es schaffen, selbst mit einem Mann, der so attraktiv und faszinierend war wie Allen Mansfell, einfach nur befreundet zu sein.

„Ich lasse Ihnen durch Twilling ausrichten, wenn ich zum Aufbruch bereit bin“, erklärte sie und wandte sich mit einem Knicks ab. Wieder war sie sich seines Blickes im Rücken bewusst, als sie zur Treppe ging. Sie ignorierte das Stimmchen in ihrem Ohr, das ihr zuflüsterte, dass eine Freundschaft mit ihm ebenso gefährlich wie unwahrscheinlich war, solange sie sich innerlich nach ihm verzehrte.

Kurz darauf suchte Twilling sie auf, um ihr mitzuteilen, dass Sarah und ihre Familie eingetroffen seien. Voll Vorfreude darauf, ihre älteste Schwester wiederzusehen, die ihr schon ihr ganzes Leben Beraterin, Vertraute und Freundin gewesen war, lief Meredyth in den Salon.

„Nicky! Sarah!“, rief sie und blieb auf der Schwelle stehen. Nachdem ihr Schwager Lord Englemere sie auf die Wange geküsst hatte, stürzte sie zum Sofa und schloss ihre Schwester stürmisch in die Arme. „Willkommen zu Hause!“

„Es ist wunderbar, wieder hier zu sein“, meinte Sarah und erwiderte die Umarmung mit derselben Inbrunst. „Wellingford sieht einfach prächtig aus! Der neue Marmorboden und der Stuck in der Eingangshalle sind wunderschön!“

„Die Arbeiter sind gerade noch rechtzeitig vor Weihnachten fertig geworden“, erklärte Meredyth. „Ich muss mich bei dir bedanken, Nicky; du hast für unsere Ernte einen so guten Preis erzielt, dass wir die nötigen Handwerker beauftragen konnten. Ich muss zugeben, jetzt, wo alles mit Kiefern- und Tannenzweigen geschmückt ist, erinnert es mich an frühere glückliche Weihnachten.“

„In Wellingford hat es an Weihnachten nie so gut ausgesehen wie jetzt“, erwiderte Sarah unverblümt. „Das Beste damals war immer, dass wir alle zusammen waren. Aber das Haus ist erst durch deine Anstrengungen wieder richtig schön geworden.“

„Und Nickys Geld“, erinnerte Meredyth sie.

„Besser hätte ich es gar nicht anlegen können“, erwiderte Nicholas. „Du hast einen heruntergekommenen Landsitz in ein blühendes Gut verwandelt, und das in viel kürzerer Zeit, als ich je für möglich gehalten hätte.“

Erfreut über das Lob ihres Schwagers, nickte Meredyth ihrer Schwester zu. „Ich hatte die beste Lehrmeisterin. Aber wo ist mein wunderbarer Neffe? Ist er so fasziniert von Onkel Hals Ingenieurserfindungen, dass er sofort in die Küche gelaufen ist, um sich die neue Wasserpumpe anzusehen?“

Nicholas schüttelte den Kopf. „Unser Sohn ist allerdings wie gebannt von allen Wundern der Mechanik. Ich fürchte, dass er den Besuch nutzt, um Hal zu bitten, ihn mit zu seinem Kanalprojekt zu nehmen.“

„Aubrey ist ins Schulzimmer hinaufgelaufen“, sagte Sarah. „Als ältester unter den Cousins fand er, er müsste mal nachsehen, ob für die anderen Kinder auch alles bereit stünde. Ich glaube ja, er hofft, dass er dort ein paar Rosinenbrötchen vorfindet.“

„Der gute Aubrey – genauso ernst und verantwortungsbewusst wie sein Papa“, meinte Meredyth und warf ihrem Schwager einen freundlichen Blick zu. „Du hast wirklich einen netten und großzügigen Mann geheiratet, Schwesterherz.“

„Nicht wahr?“, stimmte Sarah zu und sah ihren Gatten so liebevoll an, dass Meredyth ein Gefühl von Trauer – und eine Spur Neid – überkam.

Sie versuchte es zu unterdrücken und sagte rasch: „Ihr müsst nach der langen Reise ja halb erfroren sein. Wollt ihr einen Becher Glühwein?“

Zu ihrer Überraschung wurde Sarah bleich und legte die Hand auf den Bauch. „Für mich nicht. Tee und ein paar trockene Kekse würden mir besser bekommen, glaube ich.“

Als er sah, wie Meredyth große Augen machte, grinste Nicholas. „Ich warte mit dem Glühwein, bis die anderen da sind.“ Er ging zu seiner Frau hinüber und küsste sie auf die Stirn. „Kann ich irgendetwas für dich tun, damit du es bequemer hast, Liebste?“

„Du könntest mal nachsehen, ob Aubrey nicht in irgendwelche Schwierigkeiten geraten ist.“

„Richte ihm aus, seine Tante Merry ist ganz versessen darauf, ihn zu sehen“, fügte Meredyth hinzu. „Er kann die Rosinenbrötchen genauso gut im Salon essen.“

Nicholas nickte. „Ich sage Twilling, dass er den Tee servieren soll, und lasse euch ein wenig Zeit zum Plaudern. Lass es mich wissen, wenn du irgendetwas brauchst, Liebling“, sagte er, drückte seiner Frau die Hand und ging aus dem Zimmer.

Meredyth wartete ab, bis er draußen war. „Du bist wieder guter Hoffnung?“

Sarah nickte. „Nicky freut sich riesig – macht sich aber auch Sorgen.“

Kein Wunder, dachte Meredyth, die sich selbst Sorgen machte. Letzten Winter hatte Sarah im siebten Monat eine Fehlgeburt gehabt. Vor allem, um seine Frau über diesen schlimmen Verlust hinwegzutrösten und damit sie an Körper und Geist gesunden konnte, hatte er im Frühling und Sommer alle Wellingfords zu einer ausgedehnten Reise nach Italien und Griechenland mitgenommen.

„Wie geht es dir?“, erkundigte sie sich ängstlich.

„Wunderbar“, erwiderte Sarah. Auf Meredyths ungläubigen Blick hin korrigierte sie sich: „Nun ja, meistens. Du weißt, ich würde alles auf mich nehmen, um noch ein gesundes Kind zu bekommen. Aber mir ist oft übel, und Nicky neigt dann dazu, mich in Watte zu packen – ich werde dir dieses Jahr wohl keine große Hilfe sein, fürchte ich. Tut mir leid, dass du nicht auf mich zählen kannst, wo wir diesmal doch noch zahlreicher sind als sonst, nachdem auch Sinjin, Clare und Bella zu Besuch kommen. Bist du sicher, dass es dir nicht zu viel wird? Sinjin und Clare könnten vermutlich auch bei seiner Mutter in Sandiford Court wohnen und herüberkommen.“

Meredyth unterdrückte ihre Bestürzung, die, wie sie befürchtete, mit leisem Unmut einherging. Sie hatte sich so darauf gefreut, all die vielen Vorbereitungen, die eine so große Weihnachtsgesellschaft erforderte, zusammen mit ihrer kompetenten, einfallsreichen Schwester zu treffen.

Aber wie könnte sie auf Sarah ärgerlich sein? Die Familie könnte Weihnachten gar nicht hier in Wellingford verbringen, wenn Sarah nicht ihre Jugendliebe Sinjin, der damals an Wellingtons Seite auf der Iberischen Halbinsel gekämpft hatte, aufgegeben hätte, um sich in London einen reichen Ehemann zu suchen, der ihren Besitz vor der Zwangsvollstreckung bewahrte. Nur die Intervention eines wohlgesinnten Schicksals hatte Nicholas, den ehemaligen Verlobten von Sarahs Freundin Clare, dazu gebracht, Sarah um ihre Hand zu bitten – für eine Vernunftehe, wie es zuerst den Anschein hatte.

„Wenn Sinjin und Nicholas friedlich unter einem Dach hausen können, dann kann ich wohl auch dafür sorgen, dass alle gut untergebracht und versorgt sind.“

Sarah lachte. „Sei nicht albern. Du weißt, dass sie sich schon vor langer Zeit wieder versöhnt haben. Nach einer Weile haben sie auch eingesehen, was Clare und mir von Anfang an klar war: dass Nicholas besser für mich ist und Clare besser für Sinjin.“

Von plötzlicher Sehnsucht erfasst, platzte Meredyth heraus: „Hast du deiner Jugendliebe denn nie nachgetrauert?“

Forschend sah Sarah sie an, und ihr Blick war so verständnisvoll, dass Meredyth sich abwenden musste.

„Anfangs war es einfach schrecklich. Liebeskummer brennt sich tief in die Seele, vor allem beim ersten Mal. Aber damals ist alles so schnell gegangen, ich musste ja heiraten, bevor die Hypothek auf Wellingford verfiel, da hatte ich nicht viel Zeit, mit dem Schicksal zu hadern. Jedenfalls nicht lange Jahre, so wie du.“ Mitfühlend drückte sie Meredyth die Hand. „Nicholas und ich haben beide herausgefunden, dass die zweite Liebe sogar noch besser sein kann als die erste. Das könntest du auch entdecken, wenn du dein Herz und deinen Verstand nur dafür öffnen würdest.“

Meredyth blinzelte die aufsteigenden Tränen fort. „Ich glaube nicht, dass es so einfach ist. Ich bin jetzt siebenundzwanzig! Welcher auch nur halbwegs gut aussehende Mann würde eine alte Jungfer wie mich denn ernsthaft in Erwägung ziehen?“

Sarah betrachtete sie kritisch und meinte: „Ich sehe eine kultivierte Dame mit eleganter Figur, herrlichem goldblondem Haar, aufsehenerregenden silbergrauen Augen – ohne jede Falte!“, fügte sie grinsend hinzu. „Es stimmt schon, du bist kein junges Mädchen mehr, das gerade erst in die Gesellschaft eingeführt wird, aber ich glaube, du wärst überrascht, wie viele gut aussehende Männer dich ernsthaft in Erwägung ziehen würden.“

Ungefragt tauchte vor ihrem inneren Auge ein Bild von Allen Mansfells schönem Gesicht auf. Bevor sie es zur Seite schieben konnte, erschien Twilling mit dem Tee.

Kurz darauf nippte Sarah an ihrem Tee, während Meredyth an einem Keks knabberte. „Du begleitest Faith nächstes Frühjahr doch nach London, nicht wahr?“, fragte Sarah.

„Natürlich. Seit wir letzten Sommer nach Hause gekommen sind, redet Faith von nichts anderem mehr – und probiert schon ihre Verführungskünste an Thomas Mansfell aus, allerdings ohne Erfolg! Ich bin nicht gegen eine Ehe, daher werde ich mich wohl auch ein wenig umsehen, wenn ich in London bin.“

„Gut“, meinte Sarah. „Ich hoffe wirklich, dass du versuchst, nach einem passenden Gentleman Ausschau zu halten. Ich fände es so schade, wenn dir die Freuden der Ehe und der Mutterschaft versagt blieben!“

Sie griff nach einem Keks, wurde jedoch plötzlich ganz grün im Gesicht. Sie legte die Hand auf den Magen und nahm rasch einen Schluck Tee.

Meredyth zeigte auf ihre leidende Schwester und grinste. „Ja, das würde ich mir wirklich nur äußerst ungern entgehen lassen!“

Sarah schnitt eine Grimasse. „Sobald du dein erstes Kind in den Armen hältst, wirst du erkennen, dass es all die Momente wert ist, in denen dir übel war, du schlechte Laune hattest oder dich dick wie eine Kuh gefühlt hast. Dein Kind ist dir das alles wert.“

In diesem Moment erschien Twilling an der Tür. „Miss Clare und Miss Elizabeth sind hier“, verkündete er.

„Nein, bleib sitzen“, drängte Meredyth ihre Schwester und ging zur Tür, um die Neuankömmlinge zu begrüßen. Sie ließ sich von Clare, Sarahs bester Freundin, auf die Wange küssen, von Sinjin, ihrem Nachbarn, Clares Ehemann und Sarahs Jugendliebe, umarmen und schloss schließlich ihre jüngere Schwester Elizabeth in die Arme. Mit nur leichtem Zögern schüttelte sie schließlich Elizabeths strahlendem Ehemann die Hand, Hal Waterman – Nickys bestem Freund und Onkel Hal für alle Kinder.

„Wir haben die Kinder mit ihren Mädchen hinaufgeschickt in den Kindertrakt“, meinte Clare. „Nachdem wir stundenlang mit einem plappernden Kind in einer schwankenden Kutsche eingesperrt waren, brauchen wir nun ein wenig Ruhe. Ah, ich sehe, hier gibt es Tee! Genau das Richtige, danke, Merry!“

„Möchtet ihr vielleicht Glühwein?“, erkundigte sich Meredyth.

Elizabeth und Clare verzogen das Gesicht, und Clare legte die Hand vor den Mund.

Mit aufgerissenen Augen fragte Sarah: „Seid ihr etwa beide …?“

„Schwanger? Ich ja“, erwiderte Clare und sah zu Elizabeth hinüber, die ebenfalls nickte.

„Du etwa auch, Sarah?“, fragte Clare und warf ihrer Freundin einen eindringlichen Blick zu. Als Sarah nickte, begann Clare zu lachen. „Ich würde ja gern etwas über die Nachwirkungen der italienischen Luft sagen, aber Elizabeth scheint auch betroffen, und sie hat England nicht verlassen.“

Meredyths schöne jüngere Schwester sah zu ihrem Ehemann Hal. In ihren Augen glänzte noch das überschäumende Glück eines frisch vermählten Paars. „Amor lässt sich nicht von Ländergrenzen beeindrucken“, sagte Elizabeth.

Während sich die Ehemänner gegenseitig von Herzen gratulierten, wandte Meredyth den Blick ab und trank ihren Tee. Sie war froh, dass die guten Neuigkeiten solches Aufsehen erregten, denn im allgemeinen Trubel fiel nicht auf, dass sie sich bei ihrem ersten Wiedersehen mit Hal Waterman nach dessen Vermählung mit ihrer Schwester ein wenig unwohl fühlte.

Meredyth kannte und bewunderte den großen, ruhigen Mann, seit Sarah seinen besten Freund geheiratet hatte. Nachdem sich die erste Trauer um James’ Verlust ein wenig gelegt hatte, hatte sie sogar einmal gedacht, sie könnte ihn für sich gewinnen.

Gott sei Dank habe ich Nicky nie etwas davon erzählt!, dachte sie und spürte, wie Hitze ihr in die Wangen stieg.

Als sie die begehrenden Blicke sah, die das Paar tauschte, konnte Meredyth verstehen, warum Elizabeth, deren ältlicher Gatte letzten Sommer gestorben war, während sie alle im Ausland waren, sich nicht von der Missbilligung der vornehmen Gesellschaft hatte abbringen lassen, vor Ablauf ihres Trauerjahrs zu heiraten. Ein Stich Neid und Sehnsucht durchzuckte sie.

„Setz dich am besten“, sagte Hal zu Elizabeth. „Es geht ihr nicht so gut“, erklärte er den anderen.

„Hast du es schon mit Ingwertee probiert?“, erkundigte sich Clare.

Meredyth sah auf und bemerkte gerade noch, wie Sinjin Hal zuzwinkerte. „Nichts als Migräne und Hysterie. Lass uns lieber nach Nicky schauen. Du hast erst kürzlich geheiratet, Hal, und bist noch neu dabei, aber glaub mir – jetzt kommen gleich die ganzen Frauenthemen dran.“

Clare rümpfte die Nase. „Nachdem ihr Männer schuld an unserer Migräne und Hysterie seid, solltet ihr vielleicht lieber verschwinden.“

„Zankteufel“, versetzte Sinjin liebevoll. „Seit sie weiß, dass sie schwanger ist, ist sie äußerst unausgeglichen – und jetzt auch noch die lange Anreise … Meine Damen, wir kommen wieder, wenn ihr euch mit Tee und guten Ratschlägen erfrischt habt.“

Clare starrte ihrem Gatten nach. „Ich bin tatsächlich etwas unausgeglichen in letzter Zeit. Bei Bella hatte ich das nie, aber dieses Kind hat mich von Anfang an ganz krank gemacht.“ Sie seufzte und tätschelte ihren Bauch. „Es muss ein Junge werden. Nur ein Mann kann einem solche Unannehmlichkeiten bereiten.“

Während Elizabeth, die bereits liebevolle Mutter eines Sohnes war, lauthals protestierte, meinte Sarah: „Hast du es schon mit trockenen Crackern und schwach gebrühtem Tee vor dem Aufstehen versucht?“

„Ein Pfefferminztee könnte auch helfen“, fügte Elizabeth hinzu.

„Ich geh mal nach den Kindern schauen“, murmelte Meredyth und überließ die anderen ihren Rezepten und Ratschlägen.

So begeistert sie auch war, sie alle in Wellingford zu haben, und so sehr sie sich auch über die Nachricht freute, dass Babys unterwegs waren, zwang die bittere Traurigkeit in ihrer Brust sie doch, sich von ihnen zu distanzieren. Sie liebte sie von Herzen … und doch kam sie nicht gegen ein Gefühl tiefen, brennenden Neids an.

Neid auf die Kinder, die bereits auf der Welt waren, Neid auf die Babys, die erwartet wurden, und Neid auf die offenkundige Liebe ihrer Ehemänner, die sich in ihren neckenden Bemerkungen und warmen Blicken äußerte.

War es falsch von ihr gewesen, den Heiratsantrag ihres Nachbarn abzulehnen oder den Freund der Familie abzuweisen?

Es war zu spät, um diese vor langer Zeit getroffenen Entscheidungen zu bedauern. Außerdem wäre es auch keine Freude, wenn ihr vom Kind eines Mannes übel werden würde, den sie nicht liebte – das Entzücken der anderen Frauen lag größtenteils im Kreis ihrer eigenen liebevollen Familie begründet.

Nein, sie hatte schon die richtigen Entscheidungen getroffen, die nötigen Entscheidungen; wenn sie alles noch einmal durchleben müsste, würde sie es nicht anders machen. Außer dass es vielleicht zu vorsichtig von ihr gewesen war, nicht mit James ins Bett zu gehen.

Aber wenn sie in seinen Armen die Freude kennengelernt und dabei ein Kind empfangen hätte, hätte sie diesen Spross ihrer Liebe niemals behalten können. Schlimmer als die entsetzliche Schande und der Skandal wäre gewesen, dass sie das Baby hätte aufgeben müssen.

Womit sie wieder am Anfang angelangt war. Sie würde vor Sehnsucht und Neid lieber vergehen, ehe sie ihre Familie merken ließ, wie tief ihr Glück sie verletzte. Sie musste sich mehr darauf konzentrieren, die geliebte Schwester und die liebende Tante zu sein.

Mit einem Haus, das sie nach ihrem Geschmack neu einrichten lassen konnte, eigenem Grundbesitz und einem unabhängigen Einkommen ging es ihr weitaus besser als anderen unverheirateten Damen, die oft von Haushalt zu Haushalt gereicht wurden, wo sie in der Familie eben gerade gebraucht wurden – unbezahlte, abhängige Dienstbotinnen, die im Alter nur noch eine Last waren.

Nein, sie würde ihre Geschwister besuchen, deren Kinder lieben und ihnen helfen, wenn es nötig war. Aber als finanziell unabhängige Frau würde sie in ihr eigenes Haus zurückkehren oder auch Reisen unternehmen, wann immer sie wollte. Und wenn eine leise Stimme flüsterte, dass ein solches Leben unfruchtbar und leer klang, so unterdrückte sie sie so entschlossen wie die Stimme, die sie vor einer Freundschaft mit Allen Mansfell gewarnt hatte.

3. KAPITEL
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Als Meredyth auf dem Weg zum Schulzimmer die Eingangshalle durchquerte, machte sie das Fußgetrappel auf dem Treppenabsatz darauf aufmerksam, dass die Kinder im Anmarsch waren. Im nächsten Augenblick sah sie die Meute die Treppe hinunterpoltern. Wie üblich war Sarahs und Nickys Sohn Aubrey, der älteste Cousin, ihr Anführer. Als sie Meredyth sahen, stürmten sie auf sie zu.

„Tante Merry! Tante Merry! Wir sind so froh, dass wir hier sind!“, riefen sie, als sie bei ihr angekommen waren. Aubrey und David blieben stehen und verbeugten sich vor ihr, während die kleine Bella ihr die Ärmchen um die Röcke schlang. Meredith zog sie an sich, genoss ihre Wärme, ihren kindlichen Duft, ihre Nähe.

„Papa, Onkel Hal und Onkel Sinjin sind mit Onkel Colton auf die Jagd gegangen, aber ich habe Papa gesagt, dass ich hierbleibe und dir helfe“, erklärte Aubrey.

„Wir können dir auch helfen, Tante Merry“, meinte Elizabeths Sohn David.

„Ich auch“, mischte sich Clares Tochter Bella ein. „Mama sagt, ich bin ein starrköpfiger Quälgeist, und Papa hat mir erklärt, das heißt, ich könnte viele Sachen machen. Ich werde mal eine Schönheit, weißt du!“ Zu Aubrey gewandt, fügte sie hinzu: „Dann heirate ich dich und werde Countess.“

„Du weißt doch, dass ich nicht heiraten werde“, gab Aubrey entschieden zurück. „Ich werde mein Leben der Wissenschaft widmen.“

Bella kniff die Augen zusammen, und ihr Lächeln erlosch. „Ich kann dich aber heiraten, wenn ich will“, erwiderte sie.

Als er sah, wie David besorgt die Stirn runzelte, beruhigte Aubrey ihn: „Bella meint es nicht böse. Sie ist manchmal nur ein bisschen … schwierig.“

Bella stemmte die Hände in die Hüften. „Bin ich nicht!“

„Bist du wohl!“ Aubrey wandte ihr den Rücken zu.

„Nein, bin ich nicht!“, schrie Bella und stampfte mit dem Fuß auf.

„Kinder, in der Küche warten Ingwerkekse und Limonade auf euch“, ging Meredyth hastig dazwischen. „Deine Lieblingskekse, Bella.“ Einer plötzlichen Inspiration folgend fügte sie hinzu: „Danach könnt ihr mich alle begleiten und das Julscheit inspizieren.“

Bellas finstere Miene machte einem strahlenden Lächeln Platz. „Darf ich mein Pony reiten?“

„Es ist besser, wenn alle in der Kutsche fahren. Im Wald kannst du unserem Stallburschen John helfen, Stechpalmen und Tannenzweige zu sammeln“, meinte Meredyth. Und ich werde bei meinem Ausritt mit Allen Mansfell eine aufreibende Schar Begleiter dabei haben, fügte sie im Stillen hinzu.

„Ich liebe Ingwerkekse“, erklärte Bella. „Und ich heirate Aubrey doch, wenn ich will – ihr werdet schon sehen. Wer als Erstes in der Küche ist!“ Mit wirbelnden weißen Unterröcken stob sie plötzlich Richtung Hintertreppe davon, die beiden Knaben hinterdrein.

Zufrieden, dass sie einen Streit im Keim erstickt hatte – und so klug gewesen war, sich ein Publikum zu besorgen, das es Allen Mansfell sehr schwer machen würde, mit ihr zu flirten, sollte er dies im Sinn haben –, begab Meredyth sich zur Haushälterin, um sich mit ihr zu besprechen.

Danach sandte sie Twilling aus, damit er ihrem Gast mitteilte, dass sie in einer Stunde zum Aufbruch bereit sei.

Allen stand mit einem leichten Lächeln auf den Lippen neben der Kutsche und sah zu, wie Meredyth Wellingford Fragen beantwortete, Meinungen äußerte und den Fleiß ihrer jungen Verwandten lobte, die auf der Lichtung herumstapften und die Kiefern- und Stechpalmenzweige zur Kutsche zogen, die der Stallbursche John für sie geschnitten hatte.

Sein Lächeln vertiefte sich, als er den Erfolg von Miss Wellingfords Manöver anerkannte. Als sie ihn vor zwei Stunden an den Ställen begrüßte, hätte es kaum ihres reizenden Errötens bedurft, während sie ihm das unerwartete Auftauchen eines Wagens voller Kinder erklärte, um ihm zu verraten, dass sie sich anscheinend mit einem Grüppchen Anstandsdamen – beziehungsweise Anstandsherren – umgeben hatte.

Dass sie die Kinder eingespannt hatte, bestätigte ihn nur in seinem Verdacht, dass sie sich der sinnlichen Anziehungskraft zwischen ihnen ebenso bewusst war wie er. Statt jedoch seine Schwäche für sie auszunutzen und ihn zu necken, zu locken und zu quälen, hatte sie sich entschlossen, auf Abstand zu gehen, wie es einer bescheidenen, tugendhaften, unverheirateten Frau anstand.

Nach seinen Erfahrungen mit Susanna fand er ihre Zurückhaltung sowohl erstaunlich als auch höchst anziehend. Dass sie auf geziemende Distanz ging, reizte ihn nur umso mehr, ihr den Hof zu machen.

Fröhlich überließ er ihr diesmal den Sieg und hielt sich während des Ausflugs von jedem galanten Versuch zurück – bis zu diesem Moment. Doch er hatte nicht die Absicht, sich von einer Schar Kinder entmutigen zu lassen, nicht wenn ihn alles, was er von ihr sah, in der Überzeugung bestätigte, dass sie unglaublich attraktiv und für ihn genau die richtige Frau war.

Ihr rascher Gegenzug hatte ihm gezeigt, dass er sich in der Einschätzung ihrer Intelligenz nicht getäuscht hatte, und ihr gemächlicher Ritt über die Ländereien von Wellingford hatte die hohe Meinung bestätigt, die er sich von ihren Fähigkeiten als Gutsverwalterin gebildet hatte. Und obwohl sie die Kinder offensichtlich deswegen mitgebracht hatte, um Distanz zwischen ihnen zu schaffen, hatte sie ihn nicht vernachlässigt.

Stattdessen hatte sie ihn zwischen den Gesprächen mit den Kindern mit einem laufenden Kommentar zum landwirtschaftlichen Geschehen versorgt: Was sie auf den Feldern anzubauen gedenke, an denen sie vorüberkamen, welches Baumaterial sie bei den Cottages einsetzten, wie die Arbeitsgeräte und Geschirre im Winter gereinigt und gepflegt würden und andere Themen, von denen sie hoffte, dass sie für einen Mann mit seinen Pflichten von Interesse waren.

Im Laufe des Ausflugs hatte er auch beobachten können, wie liebevoll und geschickt sie mit ihren kleinen Begleitern umging. Sogar die unruhige Bella konnte sie beschäftigen. Sie nannte die Namen von Bäumen und Sträuchern, erklärte Vogelstimmen, wusste, wovon sich die Eichhörnchen ernährten, die nach ihren Winterverstecken suchten; beantwortete geduldig die vielen Fragen und schlichtete jeden aufkeimenden Streit. Irgendeinem Glückspilz würde sie einmal eine vorbildliche Gehilfin bei der Verwaltung seiner Güter und eine hervorragende Mutter seiner Kinder sein.

Wenn man zu diesen Qualitäten noch den verführerischen Hauch von Leidenschaft dazurechnete, der nur darauf wartete, entflammt zu werden, war Miss Meredyth Wellingford genau die Frau, die er sich wünschen würde. Seine spontane Entscheidung, Thomas auf der Heimreise zu begleiten, erschien ihm immer mehr als glückliche Fügung. Wohlbehagen erfüllte ihn, während er zum Stallburschen hinüberging, um ihm dabei zu helfen, den Berg Zweige im Gig aufzuhäufen.

Während die beiden Männer arbeiteten, inspizierten die Kinder ein letztes Mal den Julklotz, Teil einer riesigen Eiche, die Ende des Sommers gefällt worden war, um ordentlich trocknen und an Weihnachten gut brennen zu können. Die Jungen versuchten, sich rittlings auf den Stamm zu setzen, während die kleine Bella frustriert am Boden stehen blieb, weil ihre langen Röcke sie behinderten.

„Ärgere dich nicht, Bella“, tröstete Meredyth sie, „es wird ohnehin Zeit, nach Hause zurückzufahren. Sobald der Stamm entastet ist und wir ihn holen kommen, kannst du auch darauf reiten. Deine Eltern und alle deine Onkel und Tanten werden uns begleiten. Wir nehmen etwas zu trinken und Rosinenbrötchen mit und singen ein paar Weihnachtslieder, und auf allen Höfen, an denen wir vorbeikommen, werden die Pächter herauskommen und uns alles Gute wünschen und ein Weihnachtslied mit uns singen. Wenn wir den Stamm dann endlich in den Kamin legen, darfst du mithelfen und ihn mit einem Kienspan vom letztjährigen Julscheit anzünden.“

Das kleine Mädchen riss die Augen auf. „Ich darf das Feuer anzünden? Versprochen?“

„Versprochen. Also, zurück ins Gig mit euch, dann fahren wir nach Hause. Ich könnte mir vorstellen, dass die Köchin ein paar frische Zimtsterne für euch gebacken hat.“

Als sie die Kinder in der Kutsche untergebracht hatte, kamen Colton und Thomas auf die Lichtung geritten. „Erstklassige Arbeit“, meinte Colton, während er die Berge an Grünzeug betrachtete. „Ich glaube, ihr habt genug für zwei Häuser gesammelt.“

„Wie war die Jagd?“

Thomas zuckte mit den Schultern, doch Colton schwenkte stolz seinen Beutel. „Zwei Fasane für das Festessen – wie ich es dir versprochen habe, Merry.“

Während die Kinder bettelten, seine beiden Trophäen sehen zu dürfen, sagte Meredyth: „Wenn du die Vögel ohnehin gleich zur Köchin bringen willst, dürfte ich dich dann bitten, die Kinder nach Hause zu begleiten? Ich muss noch beim Witwensitz vorbeischauen.“

„Natürlich“, stimmte Colton sofort zu.

„Danke! Kinder, ihr könnt euch Coltons Fasane doch daheim anschauen“, sagte Meredyth. „Ich sehe euch dann später im Haus.“

„Was meint ihr, meine Kleinen? Wollen wir mal schauen, ob der alte Ben noch galoppieren kann?“, fragte Colton und deutete auf das Zugpferd des Gigs.

Die Jungen klatschten in die Hände, während Bella rief: „Ja, ja, lass uns galoppieren!“

Meredyth sah ihnen nach. Auf ihrer Miene malte sich leise Besorgnis, als Colton zum Fahrer sagte, er solle Ben tüchtig einheizen. Doch sie biss sich auf die Lippe, um sich daran zu hindern, Colton zu mehr Vorsicht zu mahnen.

„Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Sie noch begleite?“, fragte Allen.

Sie zuckte zusammen, als wäre sie überrascht, ihn immer noch neben sich zu sehen. Zögerlich lächelnd sagte sie: „Sie langweilen sich noch nicht zu Tode? Nach all dem Kinderlärm und meinen landwirtschaftlichen Vorträgen hätte ich gedacht, sie könnten es gar nicht erwarten, auf ein Glas Glühwein zum Haus zurückzukehren.“

„Aber keineswegs! Mir haben die Kinder Spaß gemacht – und Ihre Kommentare. Außerdem könnte ich mich in Ihrer Gesellschaft nie langweilen.“

Sie hob eine Augenbraue. „Wie galant, Sir.“ „Es ist nichts als die Wahrheit“, versicherte er und sah sie voll Bewunderung an.

Sie richtete die Augen auf sein Gesicht, und ihre Blicke verschmolzen miteinander. Wieder spürte sie das prickelnde Knistern. Rasch wandte sie den Blick ab, als wäre sie versengt.

„Sie können mitkommen, wenn Sie wollen“, lud sie ihn ein und errötete.

Keine besonders herzliche Einladung, aber er nahm sie dennoch an. Ihr vorsichtiger Ton und die misstrauische Haltung verrieten ihr Widerstreben, mit ihm allein zu sein.

Einer wirklich abgeneigten Dame hätte er sich selbstverständlich nie aufgedrängt. Hier jedoch sagte ihm eine innere Stimme, dass Meredyth Wellingfords Widerstreben nichts mit Angst oder Abneigung zu tun hatte – im Gegenteil: Sie fühlte sich ebenso stark zu ihm hingezogen wie er zu ihr, doch aus irgendeinem Grund versuchte sie diese Empfindung zu unterdrücken.

Er würde vorsichtig vorgehen müssen. Zwar wollte er ihr durchaus zu verstehen geben, wie anziehend er sie fand – das würde er ohnehin nicht verhehlen können –, wollte aber unbedingt jede Anzüglichkeit vermeiden, bei der sie sich vielleicht unbehaglich gefühlt hätte. Mit ihr würde es keine leidenschaftlichen Küsse und Liebkosungen geben. Bei ihr durfte man sich vor der Ehe gewiss keine Freiheiten herausnehmen. Er respektierte dies, bewunderte es sogar. Schließlich wollte er keine Frau, die, sobald er ihr den Rücken kehrte, jedem x-beliebigen Filou herausfordernde Blicke zuwarf.

Eine Ehefrau wie Susanna, mit funkelnden Augen und stets einer unausgesprochenen Einladung auf den schmollenden Lippen, die jeder Bemerkung sinnliche Untertöne verlieh und ihn vor Lust und Eifersucht schier in den Wahnsinn getrieben hatte.

„Danke“, erwiderte er. „Wollen wir dann aufbrechen?“

Sie nickte und spornte ihr Pferd zum Trab, sorgfältig darauf bedacht, seinem Tier nicht zu nahe zu kommen. Nachdem sein Körper ihn bereits drängte, schneller vorzugehen, fand er ihre Vorsicht frustrierend, faszinierend – und sehr verlockend.

Wie ein schönes, nervöses Fohlen würde er Meredyth Wellingford beruhigen und besänftigen müssen, wenn er wollte, dass sie zu ihm kam. Allen fand es unerwartet aufregend, dass er, wenn er diese Frau umwerben wollte, erst einmal ihr Herz und ihren Geist für sich würde gewinnen müssen, ehe er sich daran machen konnte, ihre Sinne zu betören. Und je besser er sie kennenlernte, je mehr Zeit er in ihrer Gesellschaft verbrachte, desto mehr wünschte er sich gerade das.

„Thomas hat uns erzählt, dass Sie die Verwaltung des Familienguts übernommen haben, als Sie die Armee verlassen haben“, sagte sie gerade. „Es gefällt Ihnen also, Verantwortung zu tragen?“

„Ja, allerdings“, bestätigte er. „Es macht mir Freude, zu beobachten, wie die Felder sich im Lauf der Jahreszeiten verwandeln, von brauner Wintererde zur Frühjahrssaat zu ersten grünen Spitzen bis zur Ernte. Ich bespreche mich gern mit den Pächtern, was man tun könnte, um die Erträge zu steigern, das Land zu verbessern und die Häuser gut in Schuss zu halten.“ Er lachte. „Ich liebe die Ordnung, die Schönheit – und den Geruch von Tünche und Farbe.“

„Dann wird Ihnen der Witwensitz sicher Freude bereiten“, erwiderte sie lächelnd.

In diesem Augenblick flog eine Wachtel auf. Meredyths Stute wieherte und stieg, doch bevor Allen sein Pferd zügeln konnte, um ihr zu Hilfe zu eilen, hatte sie das Tier bereits wieder beruhigt.

„Gut gemacht!“, meinte Allen. „Einen Augenblick habe ich befürchtet, Ihr Pferd könnte mit Ihnen durchgehen, aber Sie haben es wunderbar unter Kontrolle. Was für eine hervorragende Reiterin Sie sind!“

Meredyth tat das Kompliment mit einem Schulterzucken ab. „Wenn man auf dem Land aufwächst, ist das wohl unvermeidlich.“

„Keineswegs. Meine Schwestern reiten beide, aber keine kann es mit Ihnen aufnehmen. Sie werden eins mit Ihrem Pferd, es ist eine wahre Freude, Ihnen zuzusehen.“

Obwohl er seine Bemerkung wirklich in keiner Weise anzüglich gemeint hatte, weiteten sich ihre Augen, als sie ihn misstrauisch ansah. Wieder einmal hatte er das Gefühl, sich ihr nähern zu müssen, ihr die blonden Strähnen aus der Stirn zu streichen, am Rand ihrer Handschuhe entlangzufahren und die weiche Haut an den Handgelenken zu liebkosen.

Ihre silbergrauen Augen wurden rauchig, beinahe als hätte sie seine Gedanken lesen können. Als sie schließlich seufzte und sich mit der rosa Zungenspitze über die Lippen fuhr, sodass sie feucht glänzten, begann sein Puls zu rasen. Das Herz hämmerte ihm in der Brust, und er wurde von einer solchen Woge des Begehrens überrollt, dass er beinahe die Kontrolle über sein Pferd verloren hätte.

Erschüttert und gleichzeitig innerlich jubelnd versuchte er sich zu beherrschen. O ja, Miss Wellingford war eine zutiefst leidenschaftliche Frau. Er sehnte sich danach, sie zu erforschen. Jetzt gleich.

Vielleicht würde er doch nicht bis zur Saison im Frühling warten, um ihr offen den Hof zu machen …

4. KAPITEL
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Während Allen zu diesem erfreulichen Schluss kam, war Miss Wellingford ein Stück vorausgeritten. Sie war auf noch größere Distanz gegangen. Aber nicht für lange, schwor er sich.

„Liegt der Besitz Ihres Vaters weit verstreut?“, erkundigte sie sich nun bei ihrer Rückkehr.

„The Grange ist sein Hauptgut, aber durch Erbschaft oder Kauf ist der Besitz durch einige andere große Güter erweitert worden“, erwiderte er und lenkte sein Pferd zu ihrem. „Ich schaue dort alle paar Monate vorbei.“

„Dann sind Sie viel unterwegs? Gefällt Ihnen das?“

„Ja, es macht mir Spaß. Papa nicht, all das Gerüttel macht seine Knochen müde, sagt er. Außerdem, nachdem meine Schwester den Besitzer des Nachbarguts geheiratet hat, bleibt Papa lieber zu Hause und genießt die Zeit mit seinen Enkeln.“

„Ihre Familie erwartet auch von Ihnen in Kürze welche?“, erkundigte sie sich, sorgfältig darauf bedacht, seinem Blick auszuweichen.

War das ein Funken Interesse? Er wollte es hoffen. Ermutigt erwiderte er: „Sie drängen mich nicht zu heiraten, aber ich bin mir sicher, dass sie sich darüber freuen würden. Nicht dass ich etwas gegen die Vorstellung hätte, wenn es zur rechten Zeit – und mit der richtigen Dame – passiert.“

Wieder liefen ihre Wangen rosig an. „Als mustergültiger junger Mann aus gutem Haus mit hervorragenden Zukunftsaussichten haben Sie auf dem Heiratsmarkt doch die freie Auswahl.“ Schnell wechselte sie das Thema. „Zum Witwensitz geht es hier den Weg hinunter.“

Er folgte ihr und bewunderte dabei, wie elegant sie im Damensattel saß und wie geschickt sie ihr Pferd lenkte. Wenn er annehmen durfte, dass ihre Bemerkung ernst gemeint war und nicht nur reine Schmeichelei – und nach allem, was er von ihr gesehen hatte, glaubte er nicht, dass sie sich zu Letzterem hinreißen ließe –, konnte er daraus schließen, dass sie seinen Charakter ebenso anziehend fand wie er den ihren. Eine äußerst erfreuliche Ausgangsposition. Gegenseitige Bewunderung führte leicht zu Freundschaft und zärtlicher Zuneigung, und das war seiner Meinung nach die beste Grundlage für eine glückliche Ehe.

Vor dem Witwensitz, einem geräumigen Fachwerkbau aus elisabethanischer Zeit, brachte sie ihr Pferd zum Stehen und wartete darauf, dass er ihr beim Absitzen zu Hilfe kam. Das tat er mit Freuden, genoss es, die Hand auf ihre schlanke Taille zu legen, während er ihr aus dem Sattel half.

Bevor er die momentane Nähe noch irgendwie ausnutzen konnte, kam ein älterer Mann herausgelaufen, der sie offensichtlich hatte kommen hören. „Guten Tag, Miss Wellingford – Sir“, sagte er und verbeugte sich. „Wir sind gerade im vorderen Salon fertiggeworden. Möchten Sie ihn ansehen?“

„Sehr gern“, erwiderte sie. Sie nickte Allen zu, sie zu begleiten, und folgte dem Bauleiter. Unsicher, was er getan hätte, wenn sie nicht unterbrochen worden wären, aber ein wenig betrübt darüber, dass er es nicht hatte herausfinden können, ging er den beiden nach.

Sie durchquerten die Eingangshalle, deren Parkettboden abgeschliffen worden war und wo es nach Farbe roch, und betraten einen Seitenraum, der ebenfalls frisch gestrichen worden war und eine schöne Kassettendecke aufwies.

„Der Ofen ist jetzt angeschlossen“, erklärte der Bauleiter. „Sind Sie wirklich sicher, dass er besser heizt als der Kamin, Miss? Sonderlich groß ist er ja nicht.“

„Das stimmt, Baxter, er ist kleiner, aber dadurch zieht er auch weniger kalte Luft an und lässt nicht so viel Wärme durch den Schornstein entkommen. Aufgrund der geringen Tiefe und der abgewinkelten Rückseite strahlt mehr Hitze ins Zimmer“, erklärte sie.

Der Bauleiter sah immer noch zweifelnd drein. „Wenn Sie es sagen, Miss. Jetzt, wo wir wissen, wie es geht, werden wir die Öfen in den anderen Zimmern schneller installiert haben. Ich mache mich mal wieder an die Arbeit.“

„Danke, Baxter.“

„Sie lassen in allen Räumen Rumford-Öfen installieren?“, erkundigte sich Allen.

„Ach, Sie kennen die Erfindung?“, fragte sie überrascht.

„Ja. Nachdem ich die Abhandlung von Graf Rumford über die Prinzipien der Heizung gelesen habe, habe ich mir ein paar Exemplare angeschaut. Ich kenne auch die von ihm entwickelte Bain-Marie und ein Modell seines Küchenherds.“

Ihre Augen glänzten vor Begeisterung. „Den Herd habe ich mir in London auch angesehen. Ich würde gern einen installieren lassen, aber für unsere Küche ist er zu groß.“

„Sie scheinen sich aber auch gut auszukennen“, sagte Allen, nun seinerseits überrascht – und beeindruckt. „Haben Sie Rumfords Abhandlung gelesen?“

Autor

Terri Brisbin
Das geschriebene Wort begleitet Terri Brisbin schon ihr ganzes Leben lang. So verfasste sie zunächst Gedichte und Kurzgeschichten, bis sie 1994 anfing Romane zu schreiben. Seit 1998 hat sie mehr als 18 historische und übersinnliche Romane veröffentlicht.
Wenn sie nicht gerade ihr Leben als Liebesromanautorin in New Jersey genießt, verbringt sie...
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Anne Gracie

Schon als junges Mädchen begeisterte sich Anne Gracie für die Romane von Georgette Heyer – für sie die perfekte Mischung aus Geschichte, Romantik und Humor. Geschichte generell, aber auch die Geschichte ihrer eigenen Familie ist Inspirationsquelle für Anne, deren erster Roman für den RITA Award in der Kategorie beste...

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Julia Justiss
Julia Justiss wuchs in der Nähe der in der Kolonialzeit gegründeten Stadt Annapolis im US-Bundesstaat Maryland auf. Das geschichtliche Flair und die Nähe des Meeres waren verantwortlich für zwei ihrer lebenslangen Leidenschaften: Seeleute und Geschichte! Bereits im Alter von zwölf Jahren zeigte sie interessierten Touristen das historische Annapolis, das für...
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Annie Burrows
Annie Burrows wurde in Suffolk, England, geboren als Tochter von Eltern, die viel lasen und das Haus voller Bücher hatten. Schon als Mädchen dachte sie sich auf ihrem langen Schulweg oder wenn sie krank im Bett lag, Geschichten aus. Ihre Liebe zu Historischem entdeckte sie in den Herrenhäusern, die sie...
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