Ein Quilt, ein Kuss - ein Heiratsantrag

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"Meine Mama ist im Himmel. Hilfst du mir, ihren Quilt zu Ende zu nähen?" Es schimmert in den Augen der Kleinen, die in Jennys Handarbeits-Shop steht. Natürlich will Jenny ihr helfen! Aber dazu muss sie Gracies Papa überzeugen, den distanzierten, aber attraktiven Witwer Evan …


  • Erscheinungstag 29.08.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733774516
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Jenny Collins stand vor dem Schaufenster vom Blind Stitch Quilt Shop und betrachtete das Schild in der Auslage.

Quilt-Kurse für Anfänger: Demnächst jeden Mittwoch und Samstag. Jeder ist willkommen!

Nun gab es kein Zurück mehr. Sie hätte niemals auf Allison hören sollen. Schließlich war sie Englischlehrerin an der Highschool und keine Expertin für das Nähen von Quilts.

Aber sie wollte ihre Freundin nicht enttäuschen, die immer an sie geglaubt hatte, selbst nachdem für Jenny an ihrem alten Wohnort eine Welt zusammengebrochen war.

Allison war die Besitzerin vom Blind Stitch Quilt Shop. Sie hatte Jenny den Job als Managerin gegeben und ihr sogar angeboten, in dem Apartment über dem Laden zu wohnen – solange sie wollte.

Wie lange würde Jenny in Kerry Springs, einer kleinen, verschlafenen Stadt in Texas, bleiben wollen? Sie hatte keine Ahnung. Die Ladentür wurde geöffnet und riss Jenny aus ihren Gedanken. Millie Roberts steckte den Kopf heraus und lächelte. Die zierliche Dame war Jennys Teilzeitangestellte, und die beiden Frauen verband schon jetzt eine herzliche Freundschaft.

Millie mochte zwar schon an die Siebzig sein, doch der quirligen Frau merkte man das Alter kaum an. „Wir haben gerade eine neue Lieferung bekommen“, sagte sie und winkte Jenny hinein. „Es sind die Stoffe, die Allison bestellt hatte.“

Jenny folgte ihr in den Laden. „Das ist gut, denn langsam ging uns das Material aus.“

„Kein Wunder. Du hast ja in den letzten Tagen fast alles verkauft.“

Jenny sah sich im Laden um. Die hohen Wände zierten zahlreiche, farbenfrohe Flickendecken. Es waren Sonderanfertigungen nach Allisons Entwürfen. Jennys Freundin war nicht nur die Besitzerin des Quilt Shops, sondern auch selbst unglaublich geschickt im Nähen.

Die bunten Patchworkdecken waren auf breite Rahmen und Ständer aufgezogen, sodass man die filigrane Handarbeit bewundern konnte. Es gab Wolle und Stoffe in allen nur erdenklichen Farben. Ein langer Schneidetisch teilte den Raum. Der Tisch ging in eine Theke über, auf der eine altmodische Kasse stand. Vor der Theke waren mehrere große Pakete aufgestapelt.

„Oje“, seufzte Jenny. „Allison hat wohl das ganze Warenlager aufgekauft.“

Jenny öffnete ein Paket und nahm vorsichtig die eingerollten Stoffbahnen heraus. Millie beugte sich neugierig über ihre Schulter.

Im nächsten Moment betrat ein hübsches kleines Mädchen mit dunklem Haar den Laden. Sie trug Jeans, ein pinkfarbenes T-Shirt und weiße Turnschuhe. Sie lächelte schüchtern.

Jenny legte die Stoffbahn beiseite. „Hallo. Ich bin Jenny Collins.“

„Und ich bin Grace Anne Rafferty. Aber alle nennen mich Gracie.“

„Schön, dich kennenzulernen, Gracie. Das ist Millie.“

„Hi, Gracie.“ Millie lächelte dem Mädchen freundlich zu, dann fuhr sie fort, die Pakete auszupacken.

„Was kann ich für dich tun, Gracie?“

„Ich habe das Schild gelesen. Ich will, dass Sie mir helfen, meinen Quilt fertig zu nähen.“

Jenny wand sich. Wie sollte sie dem Kind schonend beibringen, dass es für so eine Aufgabe zu jung war? „Weißt du, eigentlich ist das kein Kurs für Kinder.“

„Ich bin schon acht Jahre alt und weiß, wie man näht. Ich habe auch schon einen Quilt … also, meine Mommy hat mit dem Quilt angefangen, aber jetzt kann sie ihn nicht fertig machen.“

Jenny sah sie mitfühlend an. Sie spürte die tiefe Trauer, die hinter den großen, blauen Augen des Mädchens verborgen lag.

„Ich würde dir gern helfen, Gracie. Aber die Kurse sind leider nur für Erwachsene.“

Die Kleine ließ enttäuscht die Schultern sinken. „Aber ich muss den Quilt fertig nähen. Ich hab’s ihr doch versprochen.“

Jenny beugte sich zu ihr hinunter. „Vielleicht sollten du und deine Mommy den Quilt gemeinsam fertigstellen. Wie wäre es, wenn sie an unserem Kurs teilnimmt?“

Das Mädchen schüttelte traurig den Kopf. Ihr dunkler Pony fiel über ihre Augen, in denen plötzlich dicke Tränen standen. „Das kann sie nicht. Sie ist im Himmel.“

Evan Rafferty verließ hastig den Eisenwarenladen. Zweimal hatte er den Laden bereits abgesucht, doch seine Tochter war nirgends zu finden. In der Hoffnung, es sei ihr hier womöglich langweilig geworden, eilte er zu seinem Truck.

Doch hier war sie auch nicht.

Evans Herz begann zu rasen.

Er konnte nicht einmal auf seine eigene Tochter aufpassen. Womöglich hatte Megan recht gehabt, und er war einfach nicht zum Vater geschaffen.

Panisch rannte er an zwei weiteren Läden vorbei, dann hielt er abrupt inne.

Blind Stitch. Er las das Schild im Schaufenster. Hatte die Kleine nicht etwas von einem Quilt gesagt?

Evan zog die Tür auf und eilte in den Laden. Plötzlich hörte er die helle, vertraute Stimme seiner Tochter, die ihn noch immer bewegte, weiterzumachen. Seine zauberhafte kleine Tochter gab seinem Leben einen Sinn – obwohl er in den letzten anderthalb Jahren oft an dem Punkt gewesen war, an dem er am liebsten alles hingeworfen hätte.

Langsam ging er an den hohen Gestellen mit Flickendecken vorbei und zwang sich, ruhig zu atmen. Dann sah er eine blonde Frau, die mit seiner Tochter redete. „Gracie Anne Rafferty.“

Sie wirbelte schuldbewusst herum. „Oh. Hi, Daddy.“

„Du weißt doch, dass du nicht einfach weglaufen darfst.“ Seine Stimme wurde sanfter. „Ich konnte dich nirgendwo finden.“

„Tut mir leid“, sagte Gracie mit tränenerstickter Stimme. „Du warst so beschäftigt, da habe ich gedacht, ich sehe mir die Quilts allein an.“

Sie zwang sich zu einem Lächeln. Es erinnerte Evan an ihre Mutter.

„Das ist kein Grund, ganz allein rauszugehen.“

„Mr Rafferty, ich bin Jenny Collins.“ Die blonde Frau machte einen Schritt auf ihn zu und stellte sich vor Gracie. „Ich bin die neue Managerin des Blind Stitch.“

Evan musterte die junge Frau. Sie war groß und schlank und hatte ein sympathisches Lächeln. Als er in ihre großen, dunklen Augen sah, spürte er ein seltsames Ziehen im Bauch.

„Es tut mir leid, dass Sie sich wegen Gracie Sorgen gemacht haben“, fuhr sie fort. „Ich wusste nicht, dass sie ohne Erlaubnis hier hereingekommen ist.“

Evan versuchte, seine Gedanken zu ordnen. „Was denken Sie denn, wenn ein kleines Mädchen ganz allein hier reinspaziert?“

Die Frau lächelte ihn noch immer an, doch das kurze, ärgerliche Blitzen in ihren Augen war ihm nicht entgangen. „Ich dachte, ihre Eltern würden gleich nachkommen.“ Dann sah sie Gracie liebevoll an. „Bevor du das nächste Mal kommst, fragst du deinen Vater um Erlaubnis, ja?“

Die Kleine wischte die Tränen aus ihrem Gesicht. „Okay.“

„Schön. Magst du dir vielleicht das Gesicht waschen, bevor dich dein Vater nach Hause bringt?“ Dabei sah sie Evan herausfordernd an.

Eine ältere Dame kam durch die Tür im hinteren Teil des Ladens. „Hallo, Evan.“

Evan lächelte, als er Millie Roberts erkannte. Vor vielen Jahren war sie Lehrerin in Kerry Springs gewesen. Und ein aktives Mitglied in der Kirche, die auch er damals besucht hatte. Er tippte grüßend an seinen Hut. „Hallo, Mrs Roberts.“

„Ich zeige Gracie, wo sie sich waschen kann“, sagte sie und legte den Arm um Gracies Schulter.

Nachdem die beiden den Vorraum verlassen hatten, wandte sich Jenny wieder an Evan. „Könnte ich Sie für eine Minute sprechen, Mr Rafferty?“

„Wozu? Gracie wird ohnehin nicht wiederkommen.“

„Warum nicht? Darf sie nicht lernen, wie man einen Quilt macht? Sie hat mir erzählt, dass ihre Mutter einen genäht hat. Und dass sie sehr unglücklich ist seit … seit einiger Zeit.“

Auf keinen Fall wollte Evan über sein Privatleben sprechen. Schon gar nicht mit einer Fremden. „Das soll nicht Ihre Sorge sein. Außerdem ist Gracie zu jung.“

Jenny musterte den Mann. Er hatte eine undurchdringliche Miene aufgesetzt, doch es war nicht zu übersehen, dass er genauso unglücklich war wie seine Tochter.

Vom ersten Moment an hatte Jenny sich dem kleinen Mädchen verbunden gefühlt. Vielleicht, weil ihre eigene Kindheit auch nicht besonders glücklich gewesen war.

„Sie könnten noch einmal mit ihr darüber reden“, schlug Jenny vor.

„Ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie sich da heraushalten.“

Jenny nickte. „Ihre Tochter ist in den Laden gekommen und hat mich um Hilfe gebeten. Ich helfe gern. Vielleicht können wir uns ja gemeinsam etwas überlegen, damit sie den Quilt fertig nähen kann.“

„Nein, danke. Ich möchte einfach nur meine Ruhe haben.“

Erleichtert sah er zu, wie Gracie von Millie in den Laden zurückgebracht wurde. „Komm, Gracie. Wir müssen jetzt zurück zur Ranch.“

Er drehte sich abrupt um und ging zur Tür. Er wusste selbst nicht, warum er plötzlich so ruppig war – sowohl zu seiner Tochter als auch zu der fremden Frau. Er kannte sie ja nicht einmal. Aber genau das war das Problem.

Diese Frau …

Ärgerlich riss er die Tür auf.

„Was für ein Idiot“, murmelte Jenny. Sie ging zum Schaufenster und beobachtete, wie Mr Rafferty seiner Tochter in den Wagen half. Der große Truck war ein ziemlich neues Modell und trug das Logo: Triple R Ranch auf der Tür.

Der Rancher ging um den Wagen herum. Jenny betrachtete ihn von hinten. Er war groß und athletisch. Unter der Jeans zeichneten sich muskulöse Oberschenkel ab, und das Hemd ließ erahnen, wie breit seine Schultern und wie kräftig seine Arme waren. Unter dem breitkrempigen Cowboyhut konnte sie dichtes, schwarzes Haar sehen.

Wie er sie angesehen hatte!

Er hatte unglaublich fesselnde, blaue Augen. Sie konnte noch immer die Hitze spüren, die ihr unter seinem Blick in die Wangen gestiegen war. Doch als sie ihm ihre Hilfe angeboten hatte, hatte sie eher das Gefühl gehabt, dass sein Blick so schneidend wie eine scharfe Klinge wurde.

Fabelhaft. Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte sie sich wieder einmal zu einem Mann hingezogen – und dann war er genauso unhöflich und arrogant wie die meisten anderen, auf die sie hineingefallen war. Genau wie ihr Stiefvater.

Nein, sie würde nicht noch einmal ihre Zeit an jemanden wie Evan Rafferty verschwenden.

Sie dachte daran, was die Kleine über ihre Mutter gesagt hatte. Dann hatte der Mann also vor Kurzem seine Frau verloren …

Wider Willen spürte sie ein tiefes Mitgefühl – für Evan, nicht nur für seine hinreißende Tochter.

Sie sah zu, wie Evan den Truck auf die Straße lenkte. Gracie winkte aus dem Wagenfenster.

Jennys Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Am liebsten hätte sie die Kleine in die Arme geschlossen. Na schön, dieser Cowboy hatte definitiv ein Ass im Ärmel: das süßeste kleine Mädchen der Welt.

Millie stellte sich neben sie ans Fenster. „Du solltest mit diesem jungen Mann nicht so hart ins Gericht gehen. Er hat eine Menge durchgemacht.“ Sie sah Jenny traurig an. „Er hat erst vor einem Jahr seine Frau verloren. Megan hieß sie.“

„Was ist passiert?“

„Sie hatte Krebs.“ Millie seufzte. „Sie hat furchtbar gelitten. Und Evan muss nicht nur ihren Tod verkraften, sondern auch seine Tochter großziehen und sich um seine Ranch kümmern. Ich kann verstehen, dass seine Nerven mit ihm durchgingen, als er die Kleine vorhin nicht finden konnte.“

Jenny nickte. Sie hatte keine Kinder, doch sie hatte erlebt, was ihre Freundin Allison durchgemacht hatte, nachdem ihre Tochter bei einem Autounfall fast ums Leben gekommen war. Sie setzte ein unbeschwertes Lächeln auf. „Dann lass uns wieder an die Arbeit gehen. In zwei Wochen soll der Anfängerkurs beginnen.“

Sie ging um den Schneidetisch herum und öffnete eine Tür, die ins Nebengebäude führte. Dieses Gebäude hatte Allison erst kürzlich dazugekauft.

Jenny blieb einen Moment im Türrahmen stehen. Noch wirkte der neue Raum ziemlich kahl. Aber sie konnte sich schon sehr gut vorstellen, wie es hier bald aussehen würde. Als Klassenzimmer für den Quilt-Kurs war er bestens geeignet. Und sobald sie die Nähmaschinen aus dem Lager geholt hatten, konnte es losgehen.

Jenny ging durch den Raum und sah durch das große Fenster auf der Frontseite. Millie folgte ihr. „Was hältst du davon, wenn wir hier vorn einen großen, runden Tisch hinstellen? Und dazu ein paar bequeme Stühle.“

Millie strahlte. „Dann könnten die Frauen sich hier zum Quilten treffen. Und zum Reden …“

„Genau. Sie könnten sich gegenseitig Tipps geben … Viele von Allisons Kunden sind ohnehin Freunde und Nachbarn. Und wir würden ihnen einen Ort bieten, an dem sie sich austauschen können. Wir könnten es Quilter’s Corner nennen – wie eine gemütliche Näh-Ecke.“

Millies Lächeln wurde breiter. „Das wird bestimmt ein großer Erfolg.“

Jenny nickte. Sehr gut. Doch da gab es noch etwas anderes, das an ihr nagte. Vergiss Rafferty, sagte sie sich. Du hast schon genug um die Ohren. Aber ständig musste sie an seine Tochter denken. Wie konnte sie Gracie helfen?

Plötzlich kam ihr eine Idee. „Millie, wenn ich die Kurse für die Erwachsenen auf Mittwoch- und Samstagmorgen verschiebe, dann hätten wir Samstagnachmittag doch noch Zeit für etwas anderes. Wie wäre es mit einem Kurs für Mädchen?“

Die alte Dame musterte sie. „Das ist ziemlich viel Aufwand – dafür, dass nur ein einziges kleines Mädchen seinen Quilt fertig nähen will.“

War das wirklich alles, was Gracie wollte? Jenny dachte an ihre eigene Kindheit zurück. Immer hatte sie im Schatten ihrer übermächtigen Stiefbrüder gestanden. Ihr Stiefvater hatte sie ignoriert. Doch das Schlimmste war, dass ihre Mutter das alles hatte geschehen lassen.

Vielleicht ging es Gracie seit dem Tod ihrer Mutter ähnlich, und sie fühlte sich abgeschoben. Aber war eine Achtjährige wirklich zu jung, um an einem Nähkurs teilzunehmen?

Nein.

Jenny sah Millie an. „Glaubst du, einige unserer Kursteilnehmerinnen wären bereit, einem kleinen Mädchen zu helfen, ihren Quilt fertigzustellen?“

Millie nickte langsam. „Sicher. Aber das wird keine leichte Aufgabe. Megan Rafferty war eine Expertin, wenn es ums Quilten ging. Sie hat damals einige Quilts auf dem Kunsthandwerkermarkt verkauft. Aber du hast schon recht. Das könnte Gracie helfen. Vor allem, da sie in einem reinen Männerhaushalt lebt.“ Sie lächelte schelmisch. „Diese Rafferty-Männer sind schon sehr attraktiv.“

Jenny dachte an Evan und an den qualvollen Ausdruck in seinen Augen. Schon war sie ihm gegenüber milder gestimmt.

Reiß dich zusammen, Jenny, er ist kein Mann für dich!

Am nächsten Nachmittag machte sich Jenny mit einem Stapel frisch gedruckter Handzettel auf den Weg zu Kerry Springs Grundschule. Sie hoffte, die Schulleiterin Lillian Perry von ihrem Projekt überzeugen zu können.

Als sie in das Büro gebeten wurde, war Jenny überrascht. Die Frau, die ihr lächelnd die Tür öffnete, war nicht viel älter als Jenny selbst. Sie war ausgesprochen hübsch und hatte langes, braunes Haar.

„Tut mir leid, dass Sie warten mussten, Ms Collins“, sagte sie und bat Jenny, Platz zu nehmen.

„Bitte nennen Sie mich doch Jenny.“

„Gern. Und ich bin Lilly. Ich habe gehört, Sie haben gerade den Blind Stitch übernommen.“

„Das hat sich aber schnell herumgesprochen.“

„In so einer kleinen Stadt ist das kein Wunder. Außerdem ist meine Mutter Beth Staley Stammgast im Blind Stitch.“

„Oh, natürlich. Sie ist eine Freundin von Millie.“

„Was kann ich für Sie tun, Jenny?“

Jenny kam direkt zur Sache. „Ich hatte gehofft, Sie könnten mir dabei helfen, ein bisschen Reklame für einen Quilt-Kurs für Kinder zu machen.“ Sie reichte Lilly die Handzettel. „Er ist kostenlos.“

Lilly überflog den Flyer. „Klingt interessant.“ Dann sah sie Jenny aufmerksam an. „Und sehr … großzügig.“

„Naja, eigentlich ist es so eine Art Gemeindedienst. Ich weiß ehrlich gesagt noch gar nicht, wie viele Frauen ich letztendlich als freiwillige Helfer gewinnen kann. Ich werde auch Ihre Mutter fragen, ob sie mitmachen möchte. Meine Idee war, die Kunst des Quilt-Nähens an die folgende Generation weiterzugeben.“

Lilly beugte sich vor und stützte die Arme auf den Schreibtisch. „Ich bin sicher, dass meine Mutter das Projekt lieben wird“, sagte sie. „Sie versucht schon lange vergeblich, meine Tochter Kasey zum Nähen zu bringen. Vielleicht könnte man sie dafür begeistern, wenn noch mehr Mädchen in ihrem Alter nähen lernen würden.“

In der folgenden halben Stunde gingen die beiden Frauen gemeinsam Jennys Plan durch.

„Der Blind Stitch wird etwas Material für den Kurs spenden. Wir werden zwar Stoffe und Garne zur Verfügung stellen, hoffen aber, dass die Mädchen auch eigene Sachen mitbringen, wie zum Beispiel alte Kleidung. Recycling ist ja gerade ein großes Thema“, erklärte Jenny.

„Oh, das gefällt mir“, sagte Lilly begeistert. „Dann können die Mädels auch noch etwas über ihre Familiengeschichte erfahren – und lernen, stolz darauf zu sein. Ich bin gern bereit, Ihre Flyer in den höheren Klassen zu verteilen.“ Sie stand auf. „Es wird gleich läuten. In den Pausen lasse ich mich öfter auf dem Schulhof sehen. Ich bin zwar Schulleiterin, aber ich bleibe gern in Verbindung mit den Kids.“

„Ja, das habe ich auch gern getan“, stimmte Jenny zu. „Meine Schüler waren allerdings ein bisschen älter und schon auf der Highschool.“

Lilly warf ihr einen Seitenblick zu. „Unterrichten Sie nicht mehr?“

Jenny hatte nicht vor, ins Detail zu gehen. „Ich habe mir für dieses Schulhalbjahr eine Auszeit genommen“, sagte sie vage. „Im Herbst werde ich an meine Schule zurückkehren.“

Die Schulglocke ertönte. Jenny folgte Lilly auf den Hof. Die Schüler strömten aus dem Gebäude in die warme Frühlingssonne und freuten sich sichtlich, dass der Unterricht für heute beendet war. Trotzdem hielten einige inne, um ihre Schulleiterin zu grüßen oder ihr zuzuwinken. Erst jetzt wurde Jenny bewusst, wie sehr sie das vermisste.

Plötzlich rief jemand ihren Namen. Jenny drehte sich um und sah Gracie, die freudig auf sie zulief. „Jenny! Was machst du hier?“

„Hi, Gracie. Ich bin wegen Mrs Perry gekommen.“

Die Kleine sah von Jenny zu Lilly und lächelte schüchtern. „Hallo, Mrs Perry.“

„Hallo, Gracie. Jenny hat mir erzählt, dass sie in ihrem Laden einen Quilt-Kurs für Mädchen machen will.“

Gracie machte große Augen. „Wirklich?“

„Wirklich.“ Jenny war froh, dass Gracie die Idee gefiel. „Vielleicht kannst du ja auch mitmachen und an dem Quilt deiner Mutter arbeiten.“

Die Kleine nickte aufgeregt, doch bevor sie antworten konnte, rief jemand ihren Namen.

Jenny fuhr herum. Evan Rafferty stand sichtlich ungeduldig neben seinem Truck.

Gracies Lächeln erlosch. „Ich glaube nicht, dass mein Dad das erlaubt.“ Sie drehte sich um und rannte auf Evan zu.

„Entschuldigen Sie mich, Lilly. Ich habe mit jemand zu reden.“ Das wird nicht leicht, dachte sie und straffte sich. „Mr Rafferty.“ Sie begrüßte ihn mit einem zuckersüßen Lächeln. „Hätten Sie eine Minute Zeit?“

Evan schloss die Wagentür, sodass Gracie nicht mithören konnte. „Ich habe es wirklich eilig. Außerdem habe ich gestern schon alles gesagt.“

„Ich dachte, da es um Ihre Tochter geht, würden Sie sich einen Moment Zeit nehmen.“

Evan rückte seinen Hut zurecht. Er sah in ihre großen, samtig-braunen Augen und hatte das Gefühl, dass ihm der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Rasch wandte er den Blick ab. „Da haben Sie falsch gedacht. Ich muss jetzt wirklich weiter.“ Hauptsache, weg von Ihnen. Er öffnete die Fahrertür, stieg schnell ein und fuhr davon.

Fassungslos und wütend starrte Jenny dem Wagen hinterher. Wie konnte dieser Mann sie einfach so stehen lassen?

Na schön, dann musste sie sich eben etwas anderes einfallen lassen, um Gracie zu helfen. Es war nicht das erste Mal, dass sie für ein Kind kämpfen würde.

Sie weigerte sich, das Mädchen aufzugeben. Das Mädchen und – wenn sie ehrlich war – auch nicht den Vater.

2. KAPITEL

Am nächsten Nachmittag lenkte Jenny ihren Kleinwagen vorsichtig vom Highway auf eine schmale Schotterstraße. Nach etwa einem halben Kilometer fuhr sie unter einem hohen Torbogen hindurch, auf dem in großen, eisernen Lettern Triple R Ranch stand.

Zum ersten Mal kamen ihr Zweifel. Es war vermutlich keine gute Idee, hier einfach unangemeldet aufzutauchen. Doch wann immer ein Kind in Schwierigkeiten steckte, musste sie ihm helfen.

Schließlich wusste sie, wie es war, allein zu sein. Als sie in Gracies Alter gewesen war, hatten ihre älteren Stiefbrüder immer auf ihr herumgehackt. Niemand hatte sich für sie eingesetzt. Ihre Mutter hatte sich vor Jennys Hilferufen verschlossen und auf die Seite ihres Mannes gestellt. Und später hatte sie Jenny sogar dafür verantwortlich gemacht, dass es zu dem großen Zerwürfnis in der Familie gekommen war.

Familie? Nein. Das waren sie ohnehin niemals gewesen.

Ob das der Grund war, warum sie Lehrerin geworden war? Schließlich gab es nichts Schöneres, als einem Kind dabei zu helfen, sein Potenzial zu erkennen und seine Träume zu verwirklichen.

Doch in einem Fall war sie trotz aller Bemühungen gescheitert. Luis Garcia hätte die Fähigkeit gehabt, auf eines der besten Colleges des Landes zu gehen. Wochenlang hatte sie ihm dabei geholfen, Bewerbungen zu schreiben, um ein Stipendium zu bekommen.

Dann war Luis eines Tages in eine Prügelei geraten, weil er einen schwächeren Schüler verteidigen wollte. Plötzlich war ein Messer im Spiel gewesen. Doch obwohl das kleine Taschenmesser nicht Luis gehörte, hatten später alle gegen ihn ausgesagt – und der Direktor hatte ihnen geglaubt. Und Luis sofort von der Schule verwiesen.

Jenny hatte ihn angefleht, Luis wenigstens noch zu den Prüfungen zuzulassen, aber der Direktor hatte keine Ausnahmeregelung geduldet.

Frustriert hatte sie sich freistellen lassen. Sie brauchte die Zeit, um sich über einiges klar zu werden. War sie als Lehrerin vielleicht zu emotional?

Und jetzt stürzte sie sich Hals über Kopf in den nächsten Konflikt. Sie hatte überhaupt kein Recht, sich in das Leben der Raffertys einzumischen. Aber wenn ein Kind um Hilfe rief, musste sie antworten. Und Gracie hatte um Hilfe gerufen.

Als die Ranch in Sicht kam, fuhr Jenny langsamer. Zur Linken erstreckte sich eine große Weide, auf der etwa ein Dutzend Rinder grasten. Zur Rechten stieg das Land sanft an und erstreckte sich in einem weitläufigen Weinberg, an dem sich schwere Rebstöcke aneinanderreihten. Die Frühlingssonne schien. Es war ein erhabener Anblick.

Jenny passierte eine große Scheune mit angrenzendem Gehege, bevor sie das Haupthaus sehen konnte. Es war ein zweistöckiges, mit Schindeln bedecktes Farmhaus. Die Fassade war in Grau gehalten, während die Fensterläden in einem leuchtenden Burgunderrot gestrichen waren.

Autor

Patricia Thayer
Als zweites von acht Kindern wurde Patricia Thayer in Muncie, Indiana geboren. Sie besuchte die Ball State University und wenig später ging sie in den Westen. Orange County in Kalifornien wurde für viele Jahre ihre Heimat. Sie genoss dort nicht nur das warme Klima, sondern auch die Gesellschaft und Unterstützung...
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