Wohin der Sturm uns trägt

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Hier liegen also meine Wurzeln! Jade kommt nach Kerry Springs, zu den vermögenden Merricks - wegen eines dunklen Familiengeheimnisses. Nichts ist für sie also abwegiger, als sich unsterblich in den schweigsamen Sloan, Sohn der Dynastie, zu verlieben! Und nichts gefährlicher …


  • Erscheinungstag 05.09.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733774523
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Aktuelle Sondermeldung

Senator Clay Merrick hat sich kurzfristig zurückgezogen, um nach Hause zu fahren und seiner Frau Louisa beizustehen, die einen Schlaganfall erlitten hat.

Ein Sprecher der Familie bestätigte, dass Merrick vorerst in seiner Heimat in Texas bleiben wird, bis Louisa sich auf dem Weg der Besserung befindet.

Ob dieser schwere Schlag einen Einfluss auf Merricks weitere Laufbahn haben wird, ist vorerst unklar.

Wie sich Merricks Rückzug auf den bevorstehenden Entscheid zu dem neuen nationalen Energieprogramm auswirkt, bleibt ebenfalls abzuwarten.

Wird der Gesetzesentwurf verabschiedet – und kann sich die Merrick Dynastie weiterhin durchsetzen?

Jade Hamilton wusste nicht mehr weiter. Sie parkte ihren Kleinwagen am Straßenrand. Laut Straßenschild war das hier das Zentrum der kleinen Stadt Kerry Springs in Texas.

Aber was hatte sie schon erwartet? Schließlich betrug Kerry Springs Einwohnerzahl kaum zwanzigtausend Seelen.

Jetzt kam der entscheidende Moment. Entweder fragte sie nach dem Weg und ging direkt zu dem Vorstellungsgespräch – oder sie kehrte um und fuhr unverrichteter Dinge zurück nach Dallas.

Aber dann würde sie niemals die Wahrheit erfahren.

Eine tiefe Trauer überkam sie, als sie an die vergangenen Monate zurückdachte. Sie bedauerte, dass es ihr nie gelungen war, ein liebevolleres Verhältnis zu der Frau aufzubauen, die sie großgezogen hatte. Nicht, dass ihre Ziehmutter es ihr leicht gemacht hätte. Renee Hamilton hatte so viele Geheimnisse mit ins Grab genommen. Alles, was sie Jade hinterlassen hatte, waren die Papiere aus dem Safe. Und das Foto. Das Foto, das alles verändert hatte.

Es wurde Zeit, die ganze Wahrheit zu erfahren. Aber dafür musste Jade erst einmal den Weg zur River’s End Ranch finden.

Entschlossen stieg sie aus und sah sich um. In der Straße gab es einen Eisenwarenladen, eine Drogerie und eine Eisdiele. Doch der Laden direkt gegenüber erregte ihre Aufmerksamkeit. Das Schaufenster war mit wunderschönen, großen Lettern geprägt: Blind Stitch Quilt Shop. Dahinter befanden sich kunstvolle, farbenfrohe Flickendecken.

Jade lächelte. Sie erinnerte sich an ihre Kindheit, wie sie in vielen mühevollen Stunden Nähen gelernt hatte. Diese Stunden hatte sie als friedlich und entspannend empfunden.

Als sie den Laden betrat, klingelte ein kleines Glöckchen über der Eingangstür. Einige Frauen waren um einen altertümlichen Schneidetisch versammelt.

Jade gefiel der Laden auf Anhieb. Sie mochte die antike Registrierkasse auf der Theke und die alte, verschnörkelte Nähmaschine. Der ganze Laden verströmte altmodischen Charme, dem man sich nicht entziehen konnte. Und schon gar nicht den fantastischen Decken, die überall an den Wänden und auf langen Gestellen hingen.

Jade strich im Vorbeigehen mit der Hand über die schweren Stoffe. Durch einen Durchgang gelangte sie in den Nebenraum. Hier saßen mehrere Frauen um einen großen, runden Tisch und unterhielten sich angeregt.

Ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf einen großen, schlanken Mann, der am Ende des Tisches stand.

Jade stutzte. Was suchte ein Mann in einem Quilt Shop? Und dann noch ein Cowboy?

Er hielt seinen Hut in den Händen, sodass man sein dichtes, schwarzes Haar sehen konnte. Seine dunklen Augen und der ausdrucksstarke Mund mit den scharfen Wangenknochen verrieten seine spanische Herkunft.

Jade konnte kaum den Blick abwenden. Der Mann trug ein cremefarbenes Westernhemd und neue Jeans. Lediglich den schweren, abgenutzten Cowboystiefeln war anzusehen, dass er nicht nur den Cowboy mimte.

Jade sah verstohlen auf seine Hände. Seine Nägel waren kurz geschnitten und die Finger mit unzähligen Schwielen versehen. Oh ja, das war ein Mann, der zupacken konnte.

„Der Mann ist wirklich was fürs Auge, nicht?“

Jade fuhr herum. Eine hübsche, blonde Frau stand vor ihr und lächelte sie an. Sie musste ungefähr in Jades Alter sein.

„Tut mir leid“, sagte Jade schnell. „Es war unhöflich von mir, jemanden so anzustarren.“

„Oh, es ist schwer, das nicht zu tun“, gab die Frau lachend zurück. „In Kerry Springs leben einige umwerfend aussehende Männer. Ich habe kürzlich einen von ihnen geheiratet.“ Sie streckte die Hand aus. „Ich bin übrigens Jenny Rafferty.“

„Freut mich. Jade Hamilton.“

„Willkommen im Blind Stitch, Jade. Was kann ich für dich tun? Soll ich dich für meinen Nähkurs eintragen? Oder …“ Sie lachte. „Soll ich dich diesem Mann vorstellen?“

Jade schüttelte den Kopf. „Ich bin nur gekommen, um nach dem Weg zu fragen.“

„Bist du auf der Suche nach einer neuen Wohnung?“

„Na ja, zuerst mal nach einem Job.“ Jade begann sich zu entspannen. Sie mochte diese Frau.

„Wohin möchtest du? Ich lebe zwar noch nicht allzu lange in Kerry Springs, aber ich kann dir bestimmt weiterhelfen.“

„Zu Louisa Merrick auf der River’s End Ranch.“

Jenny sah sie überrascht an. „Wirklich? Louisa war immer eine unserer besten Kundinnen … zumindest bis vor Kurzem.“

„Dann weißt du, wo die Ranch ist?“

„Ja.“ Sie deutete zu dem Cowboy. „Der Mann kann dir besser helfen. Das ist Sloan Merrick, Louisas Sohn.“

Jade sah dem Mann hinterher, der sich eines der Musterbücher unter den Arm klemmte und damit zur Tür ging. „Vielen Dank, Jenny!“, rief sie und eilte ihm nach.

Erst auf der Straße holte sie ihn ein. „Entschuldigen Sie, Mr Merrick.“

Er drehte sich um. Aus der Nähe kam er Jade noch größer vor – und noch attraktiver.

Er hob die Braue und musterte sie von Kopf bis Fuß.

Unter seinem durchdringenden Blick wurde Jade warm.

„Was wollen Sie?“, fragte er unwirsch.

„Ich …“ Plötzlich war Jade nervös. „Jenny Rafferty hat mich an Sie verwiesen. Ich hatte gehofft, dass Sie mir vielleicht den Weg zur River’s End Ranch zeigen können.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Ich habe einen Termin bei Louisa Merrick.“

Er kniff misstrauisch die Augen zusammen. „Ich werde Ihnen höchstens zeigen, wie Sie die Stadt auf dem schnellsten Wege wieder verlassen können.“

Jade blinzelte. „Wie bitte?“

Der Mann machte einen Schritt auf sie zu. „Muss ich noch deutlicher werden, Lady? Halten Sie sich gefälligst vom Merrick Anwesen fern. Sie sind dort nicht willkommen.“

Eine Stunde später hatte Jade die Ranch endlich gefunden.

Während sie durch das hohe, schmiedeeiserne Tor fuhr, versuchte sie ihre Nervosität in den Griff zu bekommen. Am liebsten wäre sie umgekehrt – vor allem, als sie das große, herrschaftliche Haus sah.

Es thronte auf einem Hügel und war umgeben von saftigen, grünen Wiesen, die von einem weißen Lattenzaun eingefasst wurden. Die Rinder grasten in der Herbstsonne.

Das Tor war mit einer Inschrift versehen: River’s End – Im Besitz der Familie Merrick seit 1904.

Jade atmete tief durch. Zumindest ein Merrick hatte ihr bereits deutlich gemacht, dass sie hier nichts zu suchen hatte. Doch wenn sie jetzt aufgab, würde sie niemals die Wahrheit über ihre Vergangenheit erfahren.

Am Tor gab es eine Sprechanlage. Nachdem Jade sich vorgestellt hatte, wurde sie angewiesen, zum Haupthaus zu fahren. Ob sie nun den Senator sehen würde?

Sloan Merricks Worte hallten in ihrem Kopf. Halten Sie sich gefälligst fern.

Jade konzentrierte sich auf den Weg. Sie fuhr an mehreren Außengebäuden und einem großen Stall vorbei. Auf einer Koppel standen Pferde, die neugierig die Köpfe hoben.

Einige Arbeiter waren auf dem Hof beschäftigt und warfen ihr ebenfalls flüchtige Blicke zu, doch niemand versuchte, sie aufzuhalten.

Sie betrachtete das Haupthaus. Es war ein wunderschönes, dreistöckiges Gebäude mit einem Schindeldach. Eine breite Veranda verlief um das ganze Haus und war über und über mit Blumen bestückt. Es sah aus, als hätte man dem Haus einen bunten Gürtel umgelegt.

Jade lenkte den Wagen auf die Parkfläche und griff nach ihrer Tasche. Dann stieg sie aus. Über die Verandastufen gelangte sie zur Haustür.

Ihr Herz begann wild zu klopfen. Monatelang hatte sie sich auf diesen Moment vorbereitet. Sie durfte jetzt auf keinen Fall die Nerven verlieren.

Sloan Merrick warf seiner Mutter einen prüfenden Blick zu.

Selbst hier im Wintergarten, der zu ihren Lieblingsplätzen im Haus gehörte, sah sie nicht sonderlich glücklich aus.

Vor ihrem Schlaganfall hatte man ihr nicht angesehen, dass sie gerade ihren achtundfünfzigsten Geburtstag gefeiert hatte. Doch die letzten Monate hatten ihren Tribut gefordert.

Früher hatte Louisa immer sehr viel Wert auf ihr Äußeres gelegt. Sie war regelmäßig zum Friseur und zur Maniküre gegangen, doch nun wollte sie nichts mehr davon wissen. Sie wollte niemanden sehen – nicht einmal ihre Freundinnen im Quilt Shop.

Sloan machte sich Sorgen. Obwohl der Arzt gesagt hatte, dass Louisa mit einer Therapie und vielen Übungen wieder ganz gesund werden könne, hatte sie sich bisher hängen lassen. Dabei war seine Mutter immer eine Kämpfernatur gewesen. „Deine Freundinnen aus dem Blind Stitch lassen dir übrigens herzliche Grüße ausrichten. Liz, Beth, Millie und Jenny haben alle nach dir gefragt.“

Louisa warf ihm einen Blick zu, dann sah sie auf das Buch in ihrem Schoß, das er ihr mitgebracht hatte.

„Liz meinte, das neue Musterbuch würde dir bestimmt gefallen. Außerdem wollen sie mit dem neuen Projekt auf dich warten. Sie hätten gern deine Meinung zu den Farben und dem Design.“

Louisa schüttelte den Kopf. „Im Moment wäre ich ihnen ohnehin keine Hilfe. Ich weiß, du meinst es gut, aber …“

„Wenn du dir doch bloß von uns helfen lassen würdest.“

„Das ist ja mein Problem, Sloan. Jeder will mir helfen. Es wird Zeit, dass ich die Dinge wieder selbst in die Hand nehme.“ Sie hob den linken Arm, der von dem Schlaganfall nicht so schwer betroffen war wie der rechte. „Ich fühle mich sonst wie ein Invalide.“

Sloan wusste, wie sehr ihr Stolz in den letzten Wochen gelitten hatte, und er konnte seine Mutter gut verstehen. Er hatte viel von ihrem Temperament geerbt – und von ihrem Aussehen. Die spanische Herkunft hatte Mutter und Sohn das aparte Äußere verliehen. Beide hatten die gleiche dunkle, ebenmäßige Haut und die tiefbraunen, fast schwarzen Augen. „Du musst erst mal wieder zu Kräften kommen, Mom. Manchmal brauchst du eben noch jemanden, der dir hilft.“

„Richtig. Deshalb werde ich jemanden einstellen, der diese Aufgabe übernimmt.“

„Wie bitte? Warum hast du nichts davon gesagt? Wir sind doch hier. Wir können dir helfen, wenn du …“

Louisa hob die Hand. „Nein. Ihr könnt nicht immer nur für mich da sein. Ihr müsst euer eigenes Leben führen. Und ich auch. Deshalb hole ich mir eine Krankenschwester ins Haus. Ich habe mich an eine Stellenvermittlung für Krankenschwestern gewandt, die für solche Fälle ausgebildet sind. In den letzten Tagen habe ich mit mehreren Bewerberinnen telefoniert und mich bereits für eine entschieden.“

Bevor Sloan antworten konnte, klopfte es an der Tür. Marta öffnete leise und kündigte Besuch an. „Señorita Hamilton ist hier.“

Louisa lächelte. „Gut. Bitte bring sie rein, Marta.“ Dann warf sie Sloan einen Blick zu. „Wirst du nicht irgendwo gebraucht?“

Sloan verschränkte die Arme, lehnte sich gegen den Schreibtisch und sah stur zur Tür. „Das kann warten.“

Als die Krankenschwester hereinkam, erstarrte er.

Es war die Frau aus der Stadt. Sie war auffallend attraktiv. Ihr dunkles Haar war gerade geschnitten und umspielte bei jeder Bewegung ihr zierliches Kinn.

Sie sah ihn an.

Diese Augen! Diese großen, strahlend grünen Augen mit den leicht schrägen, katzenhaften Augenwinkeln hatten ihn schon vorhin verwirrt. Und jetzt taten sie es wieder.

Sloan ließ sich nichts anmerken. „Sie haben aber lange gebraucht, um den Weg zu finden, Ms Hamilton.“

„Vielleicht hätte ich lieber Mrs Merrick nach dem Weg fragen sollen. Schließlich bin ich mit ihr verabredet – dann sollte sie auch diejenige sein, die mich wieder wegschickt.“

„Falsch“, erwiderte er scharf. „Sie haben ja keine Ahnung, wie viele Leute sich hier einschleichen wollen, um eine Story zu bekommen. Ich will lediglich meine Familie beschützen.“

„Sloan, bitte. Lass Ms Hamilton doch erst einmal Luft holen, bevor du sie ins Kreuzverhör nimmst.“

Jade ging durch den Raum und setzte sich neben Louisa auf das Sofa. „Mrs Merrick, ich freue mich, Sie endlich kennenzulernen. Sie haben ein wunderschönes Haus. Es tut Ihnen sicher gut, dass Sie sich in Ihrem eigenen Zuhause erholen können.“

„Ja, das ist richtig. Und ich liebe dieses Zimmer. Mein Mann hat es damals auf meinen Wunsch anbauen lassen. Bevor Sloan und ich hier eingezogen sind, war das Haus eher so etwas wie ein Museum.“

Sie wandte sich an ihren Sohn. „Erinnerst du dich, Sloan?“

„Ja, natürlich.“ Er räusperte sich. „Vielleicht sollten wir jetzt mit dem Vorstellungsgespräch anfangen.“

Jade sah ihn erstaunt an, und beim Anblick ihrer unglaublichen, grünen Augen wurde Sloan schwindelig.

„Ich dachte, wir wären schon mitten drin. Was möchten Sie wissen, Mrs Merrick?“

„Zunächst einmal will ich, dass Sie mich Louisa nennen.“

„Gern. Und ich bin Jade.“

„Das ist ein wundervoller Name – und so passend. Ihre Augen sind wirklich grün wie Jade … Kein Wunder, dass Ihre Mutter Sie so genannt hat.“

Jade verbarg die Hände im Schoß, damit niemand ihr Zittern bemerkte. Und wenn Louisa nun darauf kam, wem sie in Wirklichkeit ähnelte? „Danke“, sagte sie leichthin und versuchte, ihrer Stimme einen unbefangenen Ton zu verleihen.

Sloan straffte sich. Auf ein hübsches Gesicht würde er mit Sicherheit nicht noch einmal hereinfallen. Schon gar nicht, wenn es um das Wohlbefinden seiner Mutter ging.

„In unserer Familie waren Namen immer von besonderer Bedeutung“, fuhr Louisa fort. „Mein Sohn wurde auf den Namen John Sloan getauft. Sloan ist der Name seines leiblichen Vaters. Und als er acht Jahre alt war, hat mein Mann Clay ihn adoptiert – und zu einem Merrick gemacht.“

Sloan durchquerte den Raum. „Ich glaube nicht, dass wir jetzt auf unsere Familiengeschichte eingehen müssen.“

„Ja, er hat recht“, sagte Jade schnell. „Schließlich ist das ein Vorstellungsgespräch. Sie haben doch sicher einige Fragen an mich, Mr Merrick?“

„Wo haben Sie zuletzt gearbeitet?“

Jade griff in ihre Tasche, nahm einen großen Umschlag heraus und reichte Sloan ihren Lebenslauf. „In einer kleinen Privatklinik in Dallas, bevor ich meine kranke Mutter bis zu ihrem Tod gepflegt habe.“

Jade spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen, doch sie kämpfte dagegen an. „Sie litt an Multipler Sklerose. Mein einziger Trost ist, dass sie nun nicht länger leiden muss.“

„Ja. Manchmal ist der Tod eine Erlösung.“ Louisa griff nach Jades Hand und hielt sie einen Moment fest.

Jade hatte das Gefühl, dass ihr Inneres ins Wanken geriet. Die Wärme und Zuneigung dieser fremden Frau waren etwas, das sie nicht erwartet hatte. Vor allem nicht nach der Begegnung mit ihrem abweisenden Sohn.

Am liebsten hätte sie ihren Plan aufgegeben, doch sie wollte diesen Job. Es war ihre einzige Chance, den Senator kennenzulernen. „Und jetzt genug von mir. Jetzt möchte ich etwas über Sie erfahren, Louisa.“

Sloan wollte etwas sagen, doch seine Mutter brachte ihn mit einem strengen Blick zum Schweigen. Dann wandte sie sich an Jade, und ihr Ausdruck wurde sanfter. „Ich will wieder gesund werden. Und ich werde alles tun, was dafür nötig ist.“

Jade nickte. „Sehr gut. Wie wir schon am Telefon besprochen haben, brauchen Sie einen starken Willen und Durchhaltevermögen.“

Dieses Mal kam Sloan seiner Mutter zuvor. „Na schön. Wir danken Ihnen, dass Sie sich die Zeit genommen haben, Ms Hamilton. Sie werden von uns hören.“

Jade stand auf. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als zu gehen – auch wenn sie den Senator nun nicht sehen würde. Sloan hatte sich sehr deutlich ausgedrückt. „Ich bleibe über Nacht in der Pension Cross Creek“, sagte sie beim Hinausgehen. „Dort können Sie mich erreichen.“

In dem Moment, in dem sie die Hand nach der Klinke ausstreckte, rief Louisa ihren Namen. „Jade, warten Sie!“

Zögernd drehte sich Jade um.

„Bleiben Sie. Das hier ist meine Entscheidung.“

„Mom …“, setzte Sloan an.

„Nein, Sloan, lass mich. Mich hat niemand gefragt, was ich wirklich will. Aber jetzt sage ich es: Ich will Hilfe, und zwar von jemandem wie Jade, die etwas von diesen Dingen versteht.“

Jade hatte das Gefühl, schlichten zu müssen, bevor die Situation in einem Familienstreit endete. „Schon gut, Louisa. Und vielleicht sollte auch Ihr Mann in die Entscheidung einbezogen werden.“

„Clay? Der ist in Washington mit dem Energieprogramm beschäftigt.“ Sie seufzte tief. „Lassen Sie sich bloß niemals mit einem Politiker ein. Sie sind nie zu Hause, und das Privatleben wird in allen Zeitungen ausgebreitet.“

Jade erstarrte innerlich zu Eis. „Ich werde es mir merken.“

Sloan wäre gern so zuversichtlich gewesen wie seine Mutter. Doch nach all den Jahren in diesem politischen Zirkus war er misstrauisch geworden. Sein Argwohn richtete sich vor allem gegen Fremde, die seiner Familie zu nahekamen.

Sloan hatte schon genug eigene Narben davongetragen. Er bezweifelte, dass er jemals wieder einer Fremden trauen konnte. „Ich würde Ms Hamilton gern noch ein paar Fragen stellen.“

„Ich werde meine Meinung nicht ändern, Sloan.“ Wenn es um die Durchsetzung ihres Willens ging, standen sich Mutter und Sohn in nichts nach.

Louisa Cruz Sloan Merrick hatte sich mit ihrem bemerkenswerten Eigensinn in ein besseres Leben gekämpft.

Aus der ehemaligen Schönheitskönigin war eine fleißige Studentin geworden, die das College erfolgreich abgeschlossen und anschließend eine gute Partie gemacht und in eine reiche Familie eingeheiratet hatte – und das zwei Mal. Und sie war die beste Mutter gewesen, die man sich nur vorstellen konnte.

„Hast du etwas dagegen, wenn ich mit Jade einen kleinen Spaziergang im Garten mache?“

Seine Mutter sah ihn warnend an.

„Keine Angst.“ Sloan hob abwehrend die Hände. „Ich werde ihr nur verraten, wie stur du sein kannst, wenn du deinen Willen nicht bekommst.“

Louisa sagte zu Jade: „So ist er, mein Sohn. Er fällt seiner Mutter gern in den Rücken.“

Jade lächelte. „Ich würde eher sagen, er ist um seine Mutter besorgt.“

„Ich gebe dir fünfzehn Minuten, Sloan. Dann möchte ich Jade den Trainingsraum zeigen. Ich gehe schon mal nach oben.“

Marta kam herein und half Louisa mit ihrem Gehwagen. Sie war eine entfernte Cousine von Louisa und arbeitete für die Merricks, seit sie ein kleines Mädchen war.

Louisa hatte ihre alte Familie und ihre Freunde nie vergessen. Seit einigen Jahren arbeitete auch Martas Mann Miguel für die Merricks.

Sloans Meinung nach war seine Mutter zu vertrauensselig. Sie ließ sich viel zu leicht von Fremden um den Finger wickeln.

Er hatte schmerzhaft lernen müssen, dass sich hinter einem hübschen Äußeren noch lange kein Geschenk des Himmels verbarg. Im Gegenteil.

Crystal Erickson war so gewesen. Wunderschön – und berechnend. Sie hatte Sloan getäuscht und ausgenutzt. Das Ganze war eine Schande für die Familie gewesen.

Nie wieder.

Nachdem seine Mutter den Raum verlassen hatte, öffnete Sloan die Tür zum Garten. „Bitte.“ Er bedeutete Jade, ihm zu folgen. „So einen schönen Herbsttag sollte man draußen genießen.“

Jade trat hinaus auf die Veranda und betrachtete die üppigen Blumentöpfe. Die Treppe zum Garten wurde von cremefarbenen Rosen eingerahmt, und am Wegrand blühten rote und weiße Rosen.

„Der Garten ist wirklich fantastisch.“

„Meine Mutter liebt die Gartenarbeit. Fast genauso wie das Quilten. Sie ist schon immer sehr aktiv gewesen.“

„Das ist ein gutes Zeichen. Wenn sie viele Hobbys hat, wird es ihr leichter fallen, für ihr altes Leben zu kämpfen.“

Sloan musterte Jade verstohlen von der Seite. Sie war zweifellos eine sehr attraktive Erscheinung. Sie trug eine marineblaue Hose, die ihre langen, schlanken Beine betonte. Die weiße Bluse steckte in dem engen Bund und lenkte Sloans Blick auf ihre schmale Taille.

Na schön, ihr Aufzug war tadellos und ziemlich geschäftsmäßig. Doch Sloan konnte noch immer nicht glauben, dass sie den langen Weg von Dallas aufs Land gemacht hatte, nur um hier einen Job als Krankenschwester anzunehmen. Er sah ihr direkt in die Augen. „Kommen wir zur Sache, Ms Hamilton. Warum sind Sie wirklich hier?“

2. KAPITEL

Jade zwang sich, ruhig zu bleiben. Sloan konnte unmöglich wissen, was der wahre Grund ihres Kommens war. „Ich weiß nicht, was Sie meinen, Mr Merrick. Ich habe Ihnen doch erzählt, dass meine Mutter kürzlich verstorben ist.“

„Dallas ist fast sechshundert Meilen von Kerry Springs entfernt.“

Sie hob die Braue. „Und das lässt bei Ihnen die Alarmglocken schrillen?“

„Ja. Mehrere. So wird man, wenn man einen U.S. Senator zum Vater hat.“

„Ich habe mir diese Gegend nicht ausgesucht. Die Jobvermittlung schlug mir die Stelle vor, und ich brauchte sowieso ein bisschen Abstand von Dallas.“

Sie hielt seinem Blick stand. „Das Telefoninterview muss Ihre Mutter überzeugt haben, sonst hätte sie mich nicht eingeladen. Und sie scheint mich zu schätzen.“ Jade hielt für einen Moment inne. Ihr Herz schlug schneller. „Ich dachte, ich sei ihretwegen hier.“

Sie sah ihn aufmerksam an. Sloan war groß und athletisch, und er hatte die dunklen Augen seiner Mutter. Doch seine Augen blickten kühl und misstrauisch.

Autor

Patricia Thayer
<p>Als zweites von acht Kindern wurde Patricia Thayer in Muncie, Indiana geboren. Sie besuchte die Ball State University und wenig später ging sie in den Westen. Orange County in Kalifornien wurde für viele Jahre ihre Heimat. Sie genoss dort nicht nur das warme Klima, sondern auch die Gesellschaft und Unterstützung...
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