Bianca Extra Band 154

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EIN DATE, EIN KUSS – EIN HEIRATSANTRAG? von HELEN LACEY

Nie hat Cameron seine Jugendliebe Grace vergessen. Und auch nicht, wie weh es tat, als sie ihn und die Kleinstadt verließ. Als sie jetzt zurückkehrt, will er ihr aus dem Weg gehen. Vergeblich! Und er macht einen schicksalhaften Fehler: Bei einem Date küsst er Grace stürmisch …

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  • Erscheinungstag 18.10.2025
  • Bandnummer 154
  • ISBN / Artikelnummer 9783751531337
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Helen Lacey, Stella Bagwell, Rochelle Alers, Nancy Robards Thompson

BIANCA EXTRA BAND 154

Helen Lacey

1. KAPITEL

Grace Preston blickte auf ihre nackten Füße, die unter dem Saum ihres langen Kleides hervorlugten. Die Strandhochzeit ihrer Schwester war genauso romantisch und locker, wie das Brautpaar es sich gewünscht hatte.

Grace lief auf das Wasser zu, ohne ihr Kleid hochzuheben. Es war ihr egal – sie würde das schulterfreie blaugrüne Chiffonkleid sowieso nie wieder tragen. Das Wasser war kalt, und der nasse Sand klebte an ihren Fußsohlen. Über ihr hing der Mond am Himmel und warf seinen Lichtschein über das dunkle Meer, die Wellen rauschten leise. Sie atmete tief durch und trank einen großen Schluck aus der Champagnerflöte in ihrer Hand. In der anderen Hand hielt sie die Flasche und füllte das Glas nach.

Nicht, dass sie sich betrinken wollte. Das war nicht ihr Ding. Nein, sie wollte einfach alleine sein. Weg von der einengenden Atmosphäre der Hochzeitsparty und den vielen Gästen.

Gerade mal fünf Tage war sie hier und hatte große Lust, sofort wieder abzureisen. Aber das würde sie nicht tun. Sie hatte sich eine Auszeit genommen. Um wieder zu sich zu kommen, ihre Batterien aufzuladen. Das meinte zumindest ihre Chefin. Und auch ihr Therapeut. Fahr nach Hause zu deiner Familie, war die Anweisung, und versuche, alles zu vergessen. Den Autounfall, bei dem ihr Kollege umgekommen war und der ihr Leben von Grund auf erschüttert hatte.

Crystal Point, das neuseeländische Städtchen am Meer, wo sie geboren und aufgewachsen war, lag Welten entfernt von ihrem Büro, ihrem Apartment, ihrem Leben in New York und ihren Jimmy Choos.

Sie trank das Glas leer. Vielleicht war es ganz gut, ein wenig betrunken zu werden und für eine Weile von dem Druck befreit zu sein, der ihr die Brust zusammenschnürte. Sie wagte sich ein paar Schritte ins Wasser. Die Geräuschkulisse aus dem Partyzelt, die Musik, das Gelächter, das Klirren der Gläser, war kaum noch zu hören. Über ihr blinkten die Sterne, als würden sie sie verspotten, als würden sie alle ihre Geheimnisse kennen. Als wüssten sie von ihrer inneren Zerrissenheit, der Leere in ihrem Herzen.

Vielleicht war es das Glück, das ihre Schwester ausstrahlte, das ihre Einsamkeit noch spürbarer werden ließ. Mit ihrem neuen Ehemann und dem Baby in ihrem Bauch hatte Evie nie glücklicher ausgesehen. Während sie selbst sich nie einsamer gefühlt hatte.

Ihre Familie wusste nichts von dem Unfall und warum sie sich eine Auszeit genommen hatte. Für sie war Grace lediglich zur Hochzeit ihrer Schwester gekommen und würde etwas länger als sonst bleiben, weil sie sich von ihrem anstrengenden Job erholen musste.

Sie zuckte zusammen, als das kalte Wasser ihr bis zu den Waden spritzte. Doch dann wagte sie sich noch ein wenig weiter vor und goss sich neuen Champagner ein. Bald würde eine süße Leichtigkeit sie überkommen.

Darüber musste sie lachen, und ihr Lachen schien sich wie ein Echo über den Wellen auszubreiten, um dann langsam zu verebben.

Gegenüber an der breiten Flussmündung lag Jay’s Island. Einst war es Teil des Festlandes gewesen, aber durch das jahrelange Sandausheben für die immer größer werdenden Zuckerrohrfrachter war ein tiefer Graben zwischen den beiden Ufern entstanden. Heute war die Insel Naturschutzgebiet und Heimat zahlreicher Brutvögel und Meeresschildkröten. Als Jugendliche war sie trotz der gefährlichen Strömung manchmal hinübergeschwommen. Aber das war lange her.

Einige glaubten, sie würde Crystal Point hassen. Aber das stimmte nicht. Sie führte nach all den Jahren in New York nur ein völlig anderes Leben, das nichts mehr gemein hatte mit der Kleinstadt am Meer. Sie passte nicht mehr hierher. Eigentlich hatte sie noch nie hierhergehört.

„Prinzessin, glaub ja nicht, dass ich dir hinterherschwimme und dich rette, wenn du von der Strömung mitgerissen wirst.“ Beim Klang der tiefen, wohlbekannten Stimme zuckte Grace zusammen, dann drehte sie sich abrupt um.

Oben am Rand der niedrigen Böschung stand Cameron Jakowski.

Auf „Prinzessin“ würde sie auf keinen Fall hören.

„Soll ich dich nicht so nennen?“, fragte er lächelnd. „Ich wollte nur sichergehen, dass du nicht ertrunken bist.“

Grace zuckte mit den Schultern. „Hätte es dir was ausgemacht?“

Er kam näher. „Evie und Scott wären sicher nicht begeistert, wenn ihre Hochzeitsparty durch deine Unvorsichtigkeit ruiniert werden würde.“

„Ich bin kein bisschen unvorsichtig“, versetzte sie schnippisch. Sie blickte auf die Flasche und das Glas in ihren Händen. „Und übrigens vollkommen nüchtern.“

„Beweis es. Geh geradeaus.“

Grace zog eine Grimasse. „Das werde ich garantiert nicht tun. Und du bist nicht im Dienst.“

Er lachte leise, und Grace versuchte zu ignorieren, wie sexy sein Lachen klang. Okay, er sah umwerfend aus und machte in dem eleganten Anzug eine ebenso gute Figur wie in seiner Polizeiuniform. Man müsste blind sein, um das zu übersehen.

„Warum versteckst du dich denn hier?“

„Wer sagt, dass ich mich verstecke?“

Cameron deutete mit dem Daumen hinter sich. „Die Party ist in der anderen Richtung.“

Sie zuckte die Achseln. „Vielleicht bin ich nicht in Partylaune.“

„Wie ich dich kenne, steckt mehr dahinter.“

„Lass mich in Ruhe. Ich habe keine Lust, mit dir zu streiten.“

Cameron ging einen weiteren Schritt auf sie zu. „Du hast doch was, Grace. Was ist los?“

„Was soll sein? Ich bin so wie immer.“

Er betrachtete ihre nackten Füße mit den violett lackierten Fußnägeln. Schon bei der Trauung hatte er sich darüber amüsiert. Sie waren beide Trauzeugen, und als er mit ihr Arm in Arm zum Altar schritt, war sie bereits barfuß gewesen.

Er hielt ihr einladend den Arm hin. „Komm, wir gehen zurück.“

Grace schüttelte den Kopf. „Nein, ich bleibe hier. Für heute reicht es mir mit dem ganzen Hochzeitsbrimborium.“

Er stand jetzt so dicht vor ihr, dass sie seinen nachdenklichen Gesichtsausdruck bemerkte. „Bist du eifersüchtig auf Evie?“

War sie das? Ihr kam es vor, als würden alle um sie herum plötzlich heiraten. Vor acht Monaten hatte ihr Bruder Noah geheiratet und jetzt ihre Schwester Evie. Nur ihre jüngere Schwester Mary-Jayne hielt offenbar ebenso wenig vom Heiraten wie Grace.

„Ganz bestimmt nicht“, versetzte sie und trank einen Schluck Champagner. „Nein, ich freue mich für meine Schwester, es ist nur …“ Sie brach ab. Auf keinen Fall würde sie mit Cameron Jakowski darüber reden. „Ich möchte einfach allein sein.“

Doch statt zu gehen, trat er so dicht vor sie, dass ihre Zehen gegen seine Schuhspitzen stießen. Er war fast einen Kopf größer als sie, und selbst wenn sie Schuhe angehabt hätte, wäre es ihr nicht möglich gewesen, ihn mit ihrem Blick in die Schranken zu weisen, ohne den Kopf zu heben.

„Und wenn du ins Wasser zurückgehst und von der Strömung mitgerissen wirst? Nein, das kann ich nicht verantworten. Ich bleibe hier.“

Grace zuckte die Achseln. „Mach, was du willst.“ Sie wich zur Seite aus und lief die Uferböschung hoch auf eine Ansammlung von Felsbrocken zu. Dort setzte sie sich auf den größten Stein und füllte ihr Glas nach. „Magst du einen Schluck?“ Sie hielt ihm die Flasche hin.

Cameron ging zu ihr und nahm ihr die Flasche aus der Hand. „Ich glaube, du hast langsam genug.“ Er ließ die Flasche in den Sand fallen.

Grace sah zu, wie der Champagner versickerte. „Du verdirbst mir den ganzen Spaß.“

„Der war dir schon längst verdorben, bevor du hier runtergegangen bist.“

Sie runzelte die Stirn. „Beobachtest du mich etwa die ganze Zeit?“

Cameron lachte. „Bestimmt nicht. Jedenfalls hast du unseren Tanz sausen lassen.“

„Ich hatte keine Lust zu tanzen, weder mit dir noch mit jemand anders.“

Für sie war es schon anstrengend genug gewesen, während der ganzen Feier neben Cameron sitzen zu müssen. Und die ausgelassene Stimmung um sie herum war für sie kaum zu ertragen gewesen. Seit dem Unfall mied sie solche Situationen. Sie fühlte sich viel zu elend, um irgendwelches sinnloses Zeug zu reden.

„Es würde dir aber guttun, dich ein bisschen zu öffnen.“

Grace verschluckte sich beinahe an ihrem Champagner. „Was meinst du denn damit? Etwa dir gegenüber?“

„Warum denn nicht?“

Sie schüttelte spöttisch den Kopf. „Weil du und ich – wir sind wie Feuer und Wasser.“

„Das ist ein zweischneidiges Schwert“, erwiderte er ruhig.

Grace starrte in ihr Glas. „Ich habe keine Ahnung, was du damit meinst.“

„Sicher weißt du das, Prinzessin. Es setzt dir mehr zu als mir, wenn du ständig gegen mich ankämpfst.“

„Das bildest du dir ein. Es geht nicht immer nur um dich. Und hör auf, mich Prinzessin zu nennen.“

Er stand einfach nur da und lächelte sie an. Am liebsten hätte sie ihm den Rest Champagner ins Gesicht geschüttet.

Seit sechzehn Jahren steckten sie beide in diesem Sumpf fest und stritten sich bei jeder Gelegenheit. Aber es gab eine Zeit, da war es anders gewesen. Cameron war der beste Freund ihres Bruders, und sie kannte ihn, seit sie fünf Jahre alt war. Damals mochte sie ihn. Nie zog er sie damit auf, dass sie eine Leseratte war, wie ihr Bruder es tat. Allmählich hatte sich ihre Sympathie in Schwärmerei verwandelt. Aber davon wusste niemand etwas.

Mit zwölf war sie dann aufs Internat gegangen und nur in den Ferien nach Hause gekommen. Niemals hätte sie geglaubt, dass er ihre Gefühle erwidern könnte. Deshalb hatte es sie vollkommen unvorbereitet getroffen, als er sie am Abend ihres sechzehnten Geburtstags zum ersten Mal geküsst hatte.

Zwei Jahre später, nach ihrem Abschluss, war sie nach Crystal Point zurückgekehrt, und für ein paar Monate wurden sie ein Paar. Cameron war ihr erster Freund und der Mann, den sie seitdem nicht vergessen konnte.

„Was ist wirklich mit dir los, Grace?“

Sie streckte den Rücken. „Deine falsche Besorgnis kannst du dir sparen.“

„Aber ich mache mir wirklich Sorgen.“

Sie zuckte die Achseln. „Als würde dir etwas an mir liegen.“

Er lachte. „Na komm, Grace, sei nicht so ernst. Du bist nicht in deinem vornehmen Büro. Hier brauchst du niemanden damit zu beeindrucken, dass du alles im Griff hast.“

Seine Worte trafen einen wunden Punkt. Genau dasselbe hatte ihr Therapeut gesagt und ihr geraten loszulassen. Nach dem schrecklichen Unfall war sie ins Büro zurückgekommen und hatte so getan, als ob nichts passiert wäre. Bis sie im Beisein eines Kunden völlig ausgerastet war. „Aber ich habe immer alles im Griff, das weißt du.“

„Weiß ich das? Ich weiß nur, dass du seit zwei Stunden allein hier bist und dich langsam betrinkst und dass du den ganzen Tag kein einziges Mal gelächelt hast. Ich merke doch, dass du unglücklich bist, auch wenn du es nicht zugeben willst.“

Grace sah ihn an. Ihr war klar, dass sie für ihn wie ein offenes Buch war. „Selbst wenn es so wäre, würde ich es nicht zugeben. Weil du es garantiert irgendwann gegen mich verwendest.“ Sie erhob sich leicht schwankend.

Er griff nach ihrem Arm. „Langsam.“

Sie wollte sich losmachen, aber er hielt sie fest. Und plötzlich fing etwas in ihrem Bauch an zu pulsieren, eine vertraute Empfindung, die sie immer in seiner Nähe verspürte, sosehr sie auch versuchte, dagegen anzukämpfen. „Bitte lass mich gehen.“

„Ich will nicht, dass du fällst.“

„Dann falle ich eben.“ Plötzlich spürte sie seinen Arm um ihre Taille und wurde vollkommen kraftlos.

„Ich würde dich auffangen.“

Ja, das würde er. Trotz ihrer ewigen Streitereien hatte sie Cameron immer vertraut. Sie spürte, wie wohltuende Wärme sie durchfloss. Es war verrückt. Wie konnte sie in einem Moment wütend auf ihn sein und sich im nächsten Moment in seine Arme schmiegen wollen? Bei keinem anderen Mann hatte sie je eine solche Anziehung verspürt. Deshalb war es nur konsequent, dass sie möglichst weit von ihm entfernt lebte.

„Bitte nicht, Cameron …“

„Was tue ich denn?“

„Das, was du immer tust. Ich möchte einfach nur …“ Sie hielt verwirrt inne. „Ich kann nicht.“

„Was hast du?“, fragte er leise. „Was geht in deinem hübschen Kopf vor sich?“

Sie merkte, wie ihr Widerstand bröckelte und der Champagner seine Wirkung tat. Sie riss sich von ihm los. „Ich gehöre einfach nicht hierher. Ich gehöre nirgendwo hin.“

Als er Grace berührte, kamen Gefühle in ihm auf, die er glaubte begraben zu haben. Und der Schmerz in ihrer Stimme erschütterte ihn. „Wie meinst du das, du gehörst nirgendwo hin?“

Sie kehrte ihm den Rücken zu und schlang die Arme um ihren Oberkörper. „Ach nichts.“

„Wieso denkst du, du gehörst nirgendwo hin?“

Sie wirbelte herum. „Warum interessiert dich das?“

Ja warum? Es sollte ihm egal sein. Mit Grace gab es immer nur Probleme. Sie war eine karrieresüchtige Eisprinzessin. Unglaublich schön, klug und eigenständig, aber kalt wie ein Fisch. Das Gegenteil von der Frau, die er sich erträumte. Sie zu begehren, war genauso unvernünftig, als würde man sich eine Krankheit wünschen.

Er zuckte die Achseln. „Aus alter Freundschaft?“

Ihr schönes Gesicht leuchtete im Mondlicht beinahe überirdisch, doch ihr Blick traf ihn vernichtend. „Wir waren nie Freunde, also kein Grund, nett zu mir zu sein.“

„Wir waren mehr als Freunde. Damals.“ Er griff nach ihrer Hand, und sofort fingen seine Finger an zu kribbeln. Wie jedes Mal, wenn er Grace anfasste. Er bezweifelte, dass die supercoole, kontrollierte Grace mit ihrer makellosen Kleidung und dem perfekt gestylten langen schwarzen Haar das ebenso empfand. Eine simple Berührung brachte sie nicht aus der Fassung.

Sie entzog ihm ihre Hand. „Vor einer Ewigkeit.“

Er erinnerte sich an jede Umarmung, jeden Kuss. Sie hatte ihn damals verlassen, ohne sich jemals wieder zu melden, und die Trennung hatte ihn tief getroffen. Es tat immer noch weh, auch wenn er es nicht wahrhaben wollte. „Trotzdem würde ich gern wissen, wieso du dich nirgendwo zugehörig fühlst.“

Sie zuckte gleichgültig die Achseln. „Das habe ich nur so dahingesagt. Ich gehe jetzt mal zu der Party zurück.“

Sie wandte sich zum Gehen, doch so schnell gab er nicht auf. „Hat es etwas mit dem Lackaffen zu tun, mit dem du zusammenlebst?“

Sie presste die Lippen zusammen. „Er heißt Erik. Und nein, es hat nichts mit ihm zu tun. Wir haben übrigens nicht zusammengelebt und sind seit einem Jahr getrennt.“

Irgendwie albern, aber es freute ihn, dass der Typ aus ihrem Leben verschwunden war. Er bemühte sich, nicht auf ihr verführerisches Dekolleté zu starren, das sich mit jedem Atemzug hob und senkte. „Also was ist der Grund?“

Ihre grünen Augen blitzten ihn wütend an. „Ich möchte nicht darüber reden, okay? Und jetzt lass mich in Ruhe. Vergiss alles, was ich gesagt habe.“

Cameron lachte spöttisch auf. „Vergessen? Okay.“

„Wieso bist du plötzlich so interessiert an mir? Du zeigst mir doch sonst die kalte Schulter. Außer natürlich, wenn du dich über mich lustig machst oder mich beleidigst.“

„Dasselbe kann ich von dir sagen.“

„Wahrscheinlich hast du recht. Aber das passiert mir nur bei dir.“ Sie stapfte durch den Sand Richtung Partyzelt, und er folgte ihr.

„Hast du dich je gefragt, warum?“

„Warum sollte ich?“

„Vielleicht weil du eine Erklärung für dieses Geheimnis suchst?“

Sie lachte trocken auf. „Ohne dein Ego beleidigen zu wollen, aber ich habe wirklich keine Zeit, über solche Dinge nachzudenken.“

„Denkst du wirklich nie darüber nach? Ich meine, über uns?“

„Das ist so lange her, eine alberne Teenagerromanze. Ich kann mich kaum noch daran erinnern.“

Ihre Antwort ärgerte ihn, denn er wusste, dass das nicht stimmte. Die Anziehung zwischen ihnen war nie erloschen. Jedes Mal, wenn sie nach Crystal Point zurückkehrte, jedes Mal, wenn sie miteinander sprachen, jedes Mal, wenn er ihren Blick von der anderen Seite des Raumes auffing, war ihre gegenseitige Anziehung zu spüren.

„Vielleicht brauchst du eine Auffrischung.“ Er wusste selbst nicht, was ihn zu dieser Bemerkung trieb.

„Und wie soll die aussehen?“

Damals, als sie ihm den Laufpass gegeben hatte, hatte sie ihm kaltschnäuzig mitgeteilt, sie wolle Karriere machen und ihr Leben nicht mit einem kleinen Polizisten in diesem Kaff verbringen.

Die Grace, die nun vor ihm stand, kam ihm merkwürdig verändert vor. Verletzlich, weniger abweisend.

„Fühlst du dich denn in der Geschäftswelt von New York immer noch wohl? Macht das Jonglieren an der Börse dir immer noch Spaß?“

„Natürlich.“

„Und was hatte dieser Ausbruch vorhin zu bedeuten?“

Sie zog genervt die Augenbrauen hoch. „Du lässt nicht locker, was? Es war nichts. Vergiss es.“

„Auf keinen Fall.“

„Kannst du eigentlich nichts Besseres mit deinem Mund anfangen, als über mein Leben zu lästern?“

Er wüsste schon was … „Hast du einen Vorschlag?“

„Nein.“ Sie lächelte sarkastisch. „Und komm ja nicht auf dumme Gedanken.“

Er musste über ihre Sticheleien lachen. Das schaffte nur Grace. Immer nur Grace. „Ich könnte dich küssen.“

Sie warf ihm einen giftigen Blick zu. „Denk nicht mal dran.“

„Du solltest mich eigentlich besser kennen, Grace.“

Sie standen sich gegenüber, und ihre Augen sprühten förmlich vor Streitlust. „Allerdings, ich kenne dich und deinen Ruf. Du bist hinter jedem Rockzipfel her, aber mich kriegst du nicht, Jakowski.“

„Du solltest nicht jedem Gerücht glauben.“ Cameron legte ihr die Hand auf den Arm und wunderte sich, dass sie still hielt. „Na, wie wäre es mit einem kleinen Kuss?“, fragte er mit schelmischem Lächeln.

Sie schüttelte kaum merklich den Kopf.

Er sollte es lassen. Aber wenn es um Grace Preston ging, war es mit seiner Kontrolle nicht weit her. „Ich gebe dir trotzdem einen.“

„Ich werde den Kuss nicht erwidern“, sagte sie leise, doch er spürte, wie ihr Widerstand nachließ.

„Wetten, dass du’s tust?“ Er zog sie an sich.

Seit so vielen Jahren begehrte er diese Frau wie keine andere und war gleichzeitig wütend auf sie, weil sie ihm das Herz gebrochen hatte.

Er sah ihr schönes Gesicht an und spürte wildes Verlangen. Also beugte er sich vor und drückte seine Lippen auf ihre …

2. KAPITEL

Nein, ich werde mich nicht wieder mit Cameron Jakowski einlassen.

Zu spät. Sein Kuss raubte ihr den Atem. Vielleicht für einen kleinen Moment …

So lange war es her seit dem letzten Kuss … Und Cameron konnte küssen wie kein anderer. Ihr Widerstand schmolz. Als ihre Zungen sich berührten, schoss ihr heiß die Lust in den Bauch. Sie stöhnte auf, während sie sich immer leidenschaftlicher küssten.

Ich könnte es noch stoppen … Nein, unmöglich. Sie schlang ihm die Arme um den Hals und schmiegte sich an ihn. Sofort überkam sie wieder das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, das nur Cameron in ihr auslöste.

Immer enger schmiegten sie sich aneinander und küssten sich wie besinnungslos. Sie hob ein Bein an und schlang es um seinen Unterkörper. Dabei rutschte ihr Kleid hoch; kurz darauf spürte sie seine Hand an der Innenseite ihrer Oberschenkel.

„Grace …“, murmelte er und glitt mit den Lippen zu ihrem Ohrläppchen. „Vielleicht sollten wir aufhören …“

Grace drehte den Kopf so, dass ihre Lippen sich wieder trafen. Nein, sie wollte nicht aufhören. Sie wollte nur noch fühlen. „Mach weiter“, flüsterte sie.

„Morgen wirst du mich hassen“, murmelte er.

„Ich hasse dich jetzt schon …“

Sie spürte, dass er lächelte.

Er hat recht, wir sollten aufhören …

Aber seine Berührung war so erregend, dass es für sie kein Zurück mehr gab. Seine Fingerspitzen hinterließen eine prickelnde Spur auf ihrem Bein, und je höher er kam, desto heißer strömte ihr das Blut durch die Adern. Als seine Finger über den Rand ihres Spitzentangas glitten, durchlief sie ein Zittern. Sie war wie berauscht, völlig außer Kontrolle …

Plötzlich verstummte im Zelt die Musik, und die eingetretene Stille brachte Grace mit einem Schlag in die Realität zurück. „Oh nein“, stöhnte sie und riss sich von Cameron los. „Die Rede!“

„Was?“

Mit zitternden Fingern zupfte sie ihr Kleid zurecht. „Ich muss eine Rede halten. Die warten auf mich.“

Cameron blieb vollkommen ruhig. „Okay, dann lass uns zurückgehen.“

„Nein“, entgegnete sie atemlos. „Ich gehe nicht mit dir zusammen. So wie ich aussehe …“ Sie fasste an ihr Haar und stellte zu ihrer Erleichterung fest, dass ihre kunstvolle Hocksteckfrisur noch intakt war. Aber ihr Herz raste, sie konnte kaum atmen, und ihre Lippen waren bestimmt gerötet vom Küssen. „Ich sehe wahrscheinlich aus, als hätte ich …“

„Ja, das tust du. Aber ich versichere dir, dass du perfekt wie immer aussiehst. Sei unbesorgt, Prinzessin.“

Sie stapfte auf das hell erleuchtete weiße Zelt zu, wo gerade jemand ins Mikrofon sprach. Sie erkannte die feste Stimme ihres Vaters. „Bleib bitte hier“, sagte sie zu Cameron, „ich gehe alleine rein.“

Das hätte nicht passieren dürfen. Dafür bin ich nicht nach Hause gekommen.

Sie versuchte, nicht daran zu denken, wie gut sich seine Hand auf ihrem Schenkel angefühlt hatte. „Lass uns das vergessen, okay?“

„Viel Erfolg“, antwortete er spöttisch.

So unauffällig wie möglich schlüpfte sie in das Zelt. Ihr Vater war noch am Reden, und niemand schien sie zu bemerken. Nur Evie mit ihren Adleraugen sah überrascht zu ihr hin und hob fragend die Augenbrauen.

Grace winkte ihr, so unbefangen sie konnte, zu, doch ausgerechnet in diesem Moment schlüpfte Cameron hinter ihr ins Zelt. Spätestens morgen würde sie sich Evies neugierigen Fragen stellen müssen.

Sie atmete tief durch und ging langsam zu ihrem Platz. Cameron suchte sich etwas entfernt einen freien Stuhl, und sie musste alle Kraft aufbieten, um nicht ständig zu ihm hinüberzusehen.

Als sie an der Reihe war, stand sie auf, nahm das Mikrofon aus der Hand ihres Vaters entgegen und küsste ihn auf die Wange. Die Aufmerksamkeit der Gäste war nun auf sie gerichtet, und da machte sie den fatalen Fehler, Cameron anzusehen. Er grinste sie an und zwinkerte ihr zu, und plötzlich war ihre schön ausgearbeitete kleine Rede komplett vergessen. Sie brachte keinen Ton heraus und stand da wie ein begossener Pudel.

Und das war allein die Schuld dieses verfluchten Cameron Jakowski.

Der supercoolen Grace Preston fehlten die Worte. Normalerweise hätte Cameron Schadenfreude empfunden. Aber nicht jetzt, wo er den süßen Geschmack ihrer Lippen noch immer schmecken und ihre seidige Haut noch immer spüren konnte.

Als sie damals zusammen waren, war es nie so weit gekommen wie gerade eben am Strand. Sie hatten nur ausgiebig miteinander geknutscht. Grace hatte mit dem Sex noch warten wollen, und er hatte ihren Wunsch respektiert.

Wie sie jetzt dastand, sah sie nicht mehr aus wie die Grace, auf die er damals wütend gewesen war. Sie war durcheinander, und er wusste, dass es nicht am Champagner lag.

Irgendwie fühlte er sich für ihren ratlosen, verlorenen Blick verantwortlich, also lächelte er ihr aufmunternd zu. Und plötzlich war es, als seien sie durch ein unsichtbares Band miteinander verbunden. Er sah, wie ihr Gesicht sich entspannte. Sie lächelte, und dann begann sie zu sprechen.

„Der heutige Tag ist ein Fest …“, begann sie leicht stockend, „… der Liebe, des Vertrauens und der Bindung zwischen zwei Menschen.“ Während sie über die Braut und den Bräutigam sprach und davon, wie sie sich kennenlernten, wurde ihre Rede flüssiger und ihre Stimme fester. Am Schluss wünschte sie dem Brautpaar ein langes, glückliches Leben und ging unter Applaus zu ihrem Platz zurück.

Das Dessert wurde serviert, doch Cameron schob die süße Nachspeise lustlos auf seinem Teller herum. Als die Band wieder anfing zu spielen, stupste ihn seine Tischnachbarin auffordernd in die Seite. Doch er hatte keine Lust zu tanzen und lehnte lächelnd ab. Daraufhin stand die junge Frau auf, um sich einen anderen Tanzpartner zu suchen.

„Du guckst, als wärst du lieber woanders.“

Cameron drehte sich zu Noah Preston um. Er war der ältere Bruder von Grace und sein bester Freund. „Ach weißt du, ich und Hochzeiten …“ Cameron winkte ab.

Noah setzte sich auf den leeren Stuhl neben ihm. „Hast du keine Lust, auch mal den Hafen der Ehe anzusteuern?“

Cameron zuckte die Achseln, als wäre es ihm egal. In Wahrheit hatte er große Lust zu heiraten. Frau und Kinder, das ganze Drum und Dran. Er war sechsunddreißig Jahre alt und wünschte sich eine eigene Familie. Aber keine der Frauen, mit denen er bisher zusammen gewesen war, verfolgte ihn bis in seine Träume. Das schaffte nur Grace Preston.

Sogar ein Haus hatte er schon für seine zukünftige Familie gebaut, darin lebte er nun alleine. Nachdem Grace aus Crystal Point weggegangen war, hatte er versucht, sie zu vergessen, und sich ganz auf seine Karriere als Polizeibeamter konzentriert. Es hatte lange gedauert, bis er wieder Interesse an Frauen gefunden und an Familiengründung gedacht hatte. Jetzt sehnte er sich mehr denn je danach, sein leeres Haus mit Leben zu füllen. So glücklich zu sein wie seine Eltern und sein bester Freund.

Noah hatte vor acht Monaten Callie Jones geheiratet, und die schöne kalifornische Pferdetrainerin hatte sein Leben komplett verändert. Seine vier Kinder hatten nun wieder eine Mutter und Noah eine Frau, die er vergötterte. Nun, mit der Heirat von Evie und Scott, kam es Cameron vor, als sei er der einsamste Mann von allen.

„Mich macht die Ehe so glücklich“, schwärmte Noah. „Du musst einfach nur die richtige Frau finden.“

Er sah Grace vor sich, wie sie ihn mit ihren grünen Augen angesehen hatte. Wenn Noah wüsste …

„Ich habe überhaupt nichts gegen die Ehe.“

Noah lachte. „Bestimmt gibt es irgendwo ein süßes, unkompliziertes Mädchen …“

„Ich will weder süß noch unkompliziert“, unterbrach Cameron seinen Freund.

Immer wieder Grace. Sie war das genaue Gegenteil. Klug, unabhängig, kühl, reserviert, streitlustig …

Und die einzige Frau, die er je wollte.

Wieder lachte Noah. „Kann ich gut verstehen. Ich liebe den Esprit meiner Frau über alles.“ Seine Augen funkelten. „Macht das Leben viel interessanter.“ Er knuffte Cameron in die Seite. „Warst du eigentlich vorhin mit Grace spazieren?“

Cameron blickte seinen Freund argwöhnisch an. „Wir haben eine kleine Runde gedreht.“

„Irgendwas hat sie, aber sie will nicht darüber reden, nicht mal mit Evie oder unserer Mutter. Vielleicht hat es was mit diesem Anwalt zu tun, von dem sie sich getrennt hat.“

Cameron zuckte die Achseln. Er würde seinem Freund nichts von dem Gespräch mit Grace erzählen.

Er sah zu ihr hinüber. Sie war gerade in eine intensive Unterhaltung mit Evie vertieft. Ihm wurde der Hemdkragen plötzlich zu eng, und eine Art Gereiztheit ballte sich in ihm zusammen. Denn die beiden redeten über ihn, darauf würde er wetten.

„Also, was läuft da zwischen dir und Cameron?“ Evies Augen blitzten neugierig.

„Nichts, wir haben nur einen kleinen Spaziergang gemacht.“

Evie zog spöttisch die Augenbrauen hoch, und Grace wurde rot. „Ich möchte nicht darüber reden.“

Evie lachte trocken auf. „Oh nein, so kommst du mir nicht davon.“

„Okay, vielleicht haben wir ein bisschen …“

„Vielleicht?“

„Wir haben uns geküsst“, flüsterte Grace und kam sich wie ein Teenie vor. „Und mehr sage ich dazu nicht.“

Evie zog Grace in eine versteckte Ecke. „Du hast Cameron geküsst?“, quiekte sie. „Ich kann’s nicht glauben.“

Ich auch nicht.

„Ich meine, ich kann’s glauben“, korrigierte Evie sich. „Und das weckt jede Menge Erinnerungen.“

Dummerweise hatte sie Evie damals von Cameron erzählt.

Aber es war so lange her, wie in einem anderen Leben. Mit Cameron von neuem etwas anzufangen, war völlig verrückt. Sie hätte nicht so viel Champagner trinken sollen. Hoffentlich hatten die anderen Gäste nicht mitbekommen, wie sie heimlich ins Zelt geschlüpft waren. Dass sich irgendwelche Gerüchte in Crystal Point verbreiteten, hätte ihr gerade noch gefehlt.

Alle mochten Cameron. Er war ehrlich, zuverlässig und er engagierte sich ehrenamtlich in sozialen Projekten. Ein rundum guter, sympathischer Kerl. Neben ihm kam sie sich egoistisch und oberflächlich vor.

Scott näherte sich und nahm Evie an der Hand. „Darf ich meine schöne Braut zu einem Tanz entführen?“

Grace musste lächeln, als Evies Augen aufleuchteten. „Gern.“ Sie ließ sich bereitwillig wegziehen. „Wir reden später weiter, ja?“

Grace blieb in der Ecke stehen und beobachtete die Gäste. Die meisten kannte sie, aber es waren auch Freunde und Kollegen von Scott aus Los Angeles gekommen. Sie sah ihre jüngere Schwester Mary-Jayne eng mit Gabe Vitali tanzen, Scotts Cousin und einer der Trauzeugen. Eigentlich war Grace als Partnerin für den unverschämt gut aussehenden Amerikaner vorgesehen gewesen und Mary-Jayne für Cameron. Doch M.J., wie sie gern genannt wurde, wollte unbedingt die Partner tauschen, und Grace konnte ihrer kleinen Schwester noch nie etwas abschlagen.

Sie erstarrte, als plötzlich Cameron neben ihr stand. „Sind sie nicht ein süßes Paar?“ Er deutete mit dem Kopf auf Gabe und Mary-Jayne.

Grace lächelte. „Ja.“

„Deine Rede hat mir übrigens gefallen.“

„Danke.“ Sie holte tief Luft. „Ich wollte gerade …“

Er strich mit dem Finger über ihren Handrücken. „Wir sollten reden, Grace.“

„Und wozu soll das gut sein?“

„Du möchtest unsere Unterhaltung von vorhin also nicht fortsetzen.“

„Bitte bedränge mich nicht.“

„Ich spüre doch, dass du etwas in dich reinfrisst. Was auch immer es ist, es hilft, darüber zu reden, glaub mir.“

„Wenn es so wäre, würde ich es bestimmt nicht mit dir tun.“

„Deine Familie macht sich Sorgen um dich, Grace. Noah glaubt, du hättest Liebeskummer wegen der Trennung von deinem Ex.“

„Ich rede mit meinem Bruder.“

„Anscheinend hast du noch mit keinem geredet. Dabei bist du schon fast eine Woche hier.“

„Das ist meine Sache, halte dich bitte da raus“, sagte sie mit warnendem Unterton.

Er lachte leise. „Übrigens, du schuldest mir noch einen Tanz.“

Tanzen? Nach dem, was am Strand passiert war, hatte sie nicht die Absicht, ihm wieder in den Armen zu liegen. „Keine Chance.“

„Ich könnte auf die Knie gehen und dich in Verlegenheit bringen.“

Grace ließ sich nicht provozieren. „Du würdest dich nur blamieren. Aber es gibt sicher jede Menge Frauen, die nur auf deine Einladung warten.“

Er lachte, und ein paar Leute sahen zu ihnen herüber. „Komm, Grace, lass uns das Kriegsbeil begraben.“

„Lass mich“, sagte sie. „Ich bin müde.“

„Ich lasse dich erst in Ruhe, wenn du mir erzählst, was mit dir los ist.“

Sie hob verzweifelt die Hände. „Was willst du denn wissen?“

„Wieso bleibst du diesmal länger als sonst in Crystal Point?“

„Ich bin hier zu Hause.“

„Aha? Vor kurzem war dein Zuhause noch New York. Von Crystal Point konntest du nicht schnell genug wegkommen.“

Sie hörte den alten Vorwurf in seiner Stimme. „Du weißt, warum ich weggegangen bin. Ich wollte …“

„Großstadt, Abenteuer.“

Zwischen ihnen entstand ein unbehagliches Schweigen, und Grace spürte, wie es in ihrer Brust eng wurde. „So einfach war das nicht.“

„Doch, das war es, Grace.“ Seine Stimme klang samtweich. „Du wusstest, was du wolltest und was du nicht wolltest. Und wen du nicht wolltest.“

Sie sah ihm in die Augen. Für ihn gab es nur schwarz oder weiß. Er würde es nicht verstehen.

3. KAPITEL

Sonntagmorgen in der Frühstückspension ihrer Schwester. Nachdem Grace den Wäscheschrank im Obergeschoss aufgeräumt und Evies Kochbücher alphabetisch geordnet hatte, saß sie auf dem Sofa und schaute sich einen kitschigen Film an.

Alles war gut, was sie ablenkte. Von ihrem Job in New York, dem Apartment, in dem sie sich nie richtig heimisch gefühlt hatte, dem Unfall, der ihrem Kollegen das Leben gekostet hatte. Vor diesem schrecklichen Ereignis hatte sie ihr Leben im Griff gehabt. Es gab keine Zweifel, keine Unsicherheit. Sie hatte einen klaren Weg vor sich gehabt.

Camerons Worte hatten ihr einen Stich versetzt. Als er ihr damals seine Gefühle gestand und von einer gemeinsamen Zukunft sprach, hatte sie Panik bekommen und ihn sofort unterbrochen. Sie erinnerte sich genau an ihre Worte. Ich will nichts Ernstes, schon gar nicht mit einem Kleinstadtbullen. Ich will so schnell wie möglich weg von hier. Und es gibt nichts und niemanden, der mich davon abhalten könnte.

Das war unsensibel und gemein gewesen. Und ein entscheidender Moment in ihrem Leben. Wäre es anders gekommen, wenn sie ihm ihre Gefühle und Ängste offenbart hätte? Aber wenn sie geblieben und ihn womöglich geheiratet hätte, dann hätte sie sich noch mehr eingeengt gefühlt. Sie konnte sich damals nicht anders entscheiden.

Ans Heiraten hatte sie nie gedacht. Und Erik, ihr Verflossener, hatte ebenfalls nie davon gesprochen. Anders als Dennis Collier, mit dem sie drei Jahre davor zusammen gewesen war. Der gut aussehende, erfolgreiche Orthopäde hatte sie zweimal vergeblich um ihre Hand gebeten. Jedes Mal hatte sie sich um die Antwort gedrückt und gesagt, sie sei mit der Beziehung, so wie sie war, absolut zufrieden. Jeder hatte sein eigenes Apartment, und beide arbeiteten sie bis spätabends. Irgendwann sahen sie sich nur noch am Wochenende, und schließlich wandte Dennis sich einer Kollegin zu. Sechs Monate später war er schon verheiratet und ein Baby unterwegs.

Es hatte ihr nicht sonderlich viel ausgemacht. Sie hatte Dennis gern gemocht, aber es war nicht die Art von Gefühl, die ein ganzes Leben gehalten hätte. Wobei Grace nicht mal sicher war, ob sie wusste, was wirkliche Liebe ist.

Ihr Handy klingelte und unterbrach ihre Gedanken.

„Hallo, Prinzessin.“

Sie unterdrückte einen Seufzer. „Warum rufst du mich schon wieder an?“

Cameron lachte. „Um zu hören, wie es dir geht.“

„Seit gestern Abend?“, bemerkte sie ironisch.

Sie war sicher, dass er amüsiert lächelte. „Kommst du heute Nachmittag zum Surfclub?“

„Wieso?“

„Ich möchte dir was zeigen.“

„Was denn?“

„Etwas, das du unbedingt sehen musst.“

Er flirtete mit ihr, und das verwirrte sie. „Ich weiß nicht … ich glaube nicht.“

„Na komm, Grace. Lass dich überraschen.“

„Was willst du von mir? Kannst du mich nicht in Ruhe lassen?“

„Nein.“ Er machte sich lustig über sie. Wie immer. Und es machte sie wütend, dass er so leicht ihre Knöpfe drücken konnte. Wie lange sollte dieses Spiel noch weitergehen?

Kurze Zeit später erschien ihre Mutter. Grace kochte Tee und setzte sich ihrer Mom gegenüber an den Küchentisch. Barbara Preston war eine Powerfrau. Bis zu ihrer Pensionierung vor ein paar Jahren hatte sie in Vollzeit als Berufsschullehrerin gearbeitet, nebenbei ihre vier Kinder großgezogen und später ihre Enkel betreut.

„Also, Grace, was ist los?“

Diesen Ton kannte Grace. „Was soll los sein?“, fragte sie zurück und goss Tee ein.

Ihre Mutter gab einen unwilligen Laut von sich und griff nach ihrer Tasse. „Bitte, Kind, du kannst mir nichts vormachen. Ich mache mir Sorgen.“

„Dafür gibt es keinen Grund. Ich bin einfach ein bisschen überarbeitet.“

„Du bist doch nicht krank?“

„Nein“, sagte sie schnell. „Ich bin vollkommen gesund.“

Barbara musterte sie lächelnd. „Okay, ich höre mit der Fragerei auf. Ich dachte nur, vielleicht steckt ein Mann dahinter.“

Das stimmte auf gewisse Weise. Richard Bennett war ein Kollege gewesen, ein liebevoller Ehemann und Vater, der es nicht verdient hatte, mit neunundvierzig Jahren so tragisch umzukommen.

„Nein, es gibt keinen Mann in meinem Leben“, erwiderte sie ruhig. „Mit Erik ist seit langem Schluss.“

„Hättest du denn gern wieder eine Beziehung?“

Die Frage kam unerwartet. Bisher hatte ihre Mom sich noch nie in ihre Liebesangelegenheiten eingemischt. „Du weißt doch, wie ich darüber denke, Mom.“

Barbara seufzte, und Grace wünschte, sie hätte mehr Zugang zu ihrer Mutter. So wie Evie und Mary-Jayne. Alle fühlten sich miteinander verbunden, während Grace immer das Gefühl hatte, ihre Familie von außen zu betrachten. Sie wurde geliebt, das schon, aber irgendwie gehörte sie nicht dazu. Genau wie sie nicht zu Crystal Point gehörte. New York hingegen hatte sie in einer Weise umarmt, wie sie es in dieser Kleinstadt nie gespürt hatte.

Sie fühlte sich noch genauso fehl am Platz wie viele Jahre zuvor, als sie ins Internat geschickt wurde. Schon früh hatte sie eine Neigung für Mathe und Musik entwickelt und kam mit zwölf in eine Eliteschule, die diese Fächer förderte. Sechs Jahre hatte sie in dem Internat verbracht und war nur in den Ferien nach Hause gekommen. Nach ihrer Abschlussprüfung war sie wieder zu ihren Eltern zurückgezogen, und damals fing die Sache mit Cameron an. Doch nach drei Monaten hatte sie die Enge nicht mehr ausgehalten und beschlossen, zum Studium nach New York zu gehen. Sechzehn Jahre waren seitdem vergangen.

„Die Ehe ist kein Gefängnis“, sagte ihre Mutter mit sanfter Stimme.

Grace nickte. „Ich weiß, aber sie ist nicht für jeden gemacht. Ich bin einfach nicht der Typ, mich fest auf jemanden einzulassen, mit Haus und Kindern und Gartenzaun.“

„Ich möchte nur, dass du glücklich bist.“

„Das weiß ich, Mom.“ Sie lächelte. „Aber ich bin glücklich.“ Zumindest hatte sie sich das all die Jahre vorgemacht.

„Manchmal denke ich …“ Die Stimme ihrer Mom wurde unsicher. „Vielleicht war es ein Fehler, dich so jung ins Internat zu schicken.“

„Aber ich wollte ja auch weg.“ Grace brachte ein Lächeln zustande. „Ich hatte schon immer einen starken Willen.“

Barbara tätschelte die Hand ihrer Tochter. „Ich weiß. Wir waren so stolz auf dich, dass du den Mut hattest, deine Träume zu verwirklichen. Und wir sind es immer noch. Du warst immer unser strahlender Stern, Grace.“

Das hatte sie schon öfters gehört. Grace ist so klug, sie wird alles im Leben erreichen. Und sie verdankte ihren Eltern viel. Nicht nur die Tausende von Dollar, die sie für das Internat und ihr Studium aufgewendet hatten. Doch es hatte Zeiten gegeben, da wäre sie lieber ein ganz normales Kleinstadtmädchen gewesen. Ohne hohen IQ. Ohne den Druck, erfolgreich zu sein.

Als ihre Mutter gegangen war, zog Grace Jeans und bequeme Schuhe an, nahm ihre Schirmmütze vom Haken und verließ ihr Apartment. Sie brauchte Bewegung – zum Nachdenken.

Der einzige Gast im B&B, ein Mann in den Sechzigern, sonnte sich auf seinem Balkon. Er hatte ihr erzählt, dass er nach dem Tod seiner Frau nun das erste Mal seit zehn Jahren wieder ein paar Tage im Dunn Inn verbrachte. Mit ihm ein wenig zu plaudern, brachte Grace auf andere Gedanken.

Der Strand lag verlockend einsam da. Nur vereinzelt waren Schwimmer im Meer zu sehen. Sie tat einen tiefen Atemzug und überquerte die Straße, dann folgte sie dem schmalen Pfad, der zum Wasser führte. Sie sah das Gebäude des Surfclubs und überlegte.

Nein, deswegen bin ich nicht hergekommen. Der Club interessiert mich nicht.

Doch nachdem sie ein paar Schritte am Strand entlanggegangen war, siegte ihre Neugier. Sie straffte die Schultern und ging auf das Gebäude zu.

„Das schaffe ich doch nie!“, jammerte die siebzehnjährige Emily Maxwell und holte missmutig einen Stapel Bücher aus ihrem ramponierten Rucksack.

Cameron unterdrückte ein genervtes Stöhnen. „Es ist schwierig, aber nicht unmöglich.“

„Wie soll ich das ganze Zeug denn lernen?“ Das junge Mädchen warf den Rucksack achtlos auf den Boden.

„Du schaffst es, wenn du es wirklich willst, Em. Bis zu deiner Nachprüfung hast du doch noch zwei Wochen Zeit.“

Sie deutete mit den Augen zu dem Kleinkind, das auf einer Decke in der Zimmerecke spielte. „Aber ich muss doch auch Riley versorgen.“

Dieses Lamento musste Cameron sich fast jeden Tag anhören. Seit das junge Mädchen die Gelegenheit bekommen hatte, ihre Zwischenprüfung für den Highschool-Abschluss nachzuholen. Was zugegebenermaßen eine große Belastung für eine minderjährige alleinerziehende Mutter war. Doch Cameron fand, dass Emily ihre Chance unbedingt nutzen sollte.

Sie war die Schwester des zwölfjährigen Dylan, eines seiner Schützlinge in dem von der Stadt geförderten Jugendprogramm. Eigentlich war Cameron bloß für den Jungen zuständig, doch inzwischen kümmerte er sich um die ganze Familie. Die Maxwells waren dringend auf Unterstützung angewiesen, denn das Jugendamt hatte bereits damit gedroht, die Kinder in Heimen unterzubringen. Sie waren eine liebevolle Familie – Dylan, Emily mit ihrem kleinen Sohn, die beiden jüngeren Halbgeschwister und die gebrechliche Großmutter. Cameron würde alles daransetzen, dass sie zusammenbleiben konnten.

„Ich könnte deine Großmutter fragen, ob sie dir mit dem Baby hilft.“

Emily schüttelte den Kopf. „Die muss schon auf meine Geschwister aufpassen, und bald ziehen sie alle sowieso raus auf die Farm.“

Die Mutter der Kinder saß wegen Drogendelikten im Gefängnis, und die Großmutter Pat Jennings hatte die Vormundschaft für ihre Enkel übernommen. Vor einiger Zeit hatte ganz Crystal Point sich zusammengetan und für die Familie eine kleine Farm westlich der Stadt erworben. Die Renovierung war nun fast abgeschlossen, und die Familie konnte bald in das Farmhaus einziehen.

„Wenn du regelmäßig lernst, schaffst du es“, sagte Cameron in ruhigem Ton. „Nachmittags kannst du hierherkommen, und abends, wenn Riley und deine kleinen Geschwister schlafen, lernst du zu Hause.“

Der erste Stock des Surfclubs war vor kurzem komplett renoviert worden und bot Platz für vielfältige Aktivitäten in der Gemeinde. Unter anderem gab es eine kleine Bibliothek, wo Emily in Ruhe lernen konnte.

„Es ist ja nicht nur die Zeit, es ist einfach zu schwer. Ich bin zu dumm dafür.“

„Das bist du nicht. Hör zu, Emily, …“

„Hey, Sarge!“ Dylan steckte den Kopf durch die Tür. „Da ist eine Dame für dich.“

Eine Dame? Er wandte sich an Emily. „Fang schon mal an zu lernen, wir reden gleich weiter.“

Cameron lief die Treppe hinunter und blieb abrupt auf dem Absatz stehen.

Sie war tatsächlich gekommen.

Er warf einen Blick auf Dylan, der grinsend neben Grace stand. „Hol du schon mal die Angelausrüstung aus meinem Auto.“ Er warf dem Jungen seinen Autoschlüssel zu. Dylan fing den Schlüssel auf und trollte sich davon.

„Hi, Grace, schön, dass du vorbeikommst“, sagte Cameron, als der Junge außer Hörweite war.

Sie zuckte die Achseln. „Ich bin am Strand spazieren gegangen, und da fiel mir ein … Du wolltest mir etwas zeigen.“

„Genau. Komm mit.“

Grace folgte ihm nach oben, und Cameron öffnete die Tür zur Bibliothek. „Ich möchte dir jemand vorstellen.“

Emily blickte von dem Schreibtisch hoch, der vor der langen Fensterfront stand. „Das ist Emily Maxwell. Emily, das ist Grace Preston, eine Freundin von mir.“

Grace reichte Emily die Hand. „Deinen Bruder habe ich, glaube ich, eben schon kennengelernt.“

„Ja, Dylan. Wir sehen uns ziemlich ähnlich.“

Der kleine Junge in der Ecke hämmerte auf seiner Spielzeugtrommel herum.

„Und das ist Riley“, erklärte Cameron. „Emilys Sohn.“

Grace nickte leicht irritiert und blickte dann interessiert auf Emily und den Bücherstapel auf dem Schreibtisch. „Sieht aus, als hätte ich dich beim Lernen gestört.“

„Nein, Sie haben mich gerettet.“ Emily grinste breit. „Sergeant Jakowski ist ein richtiger Sklaventreiber.“

Grace lachte, und der Klang traf Cameron mitten ins Herz. Wieso reagierte er auf alles, was Grace betraf, derart intensiv? Er war doch kein schmachtender Teenager mehr. „Emily hat in zwei Wochen ihre Nachholprüfung für die Highschool, und hier kann sie in Ruhe arbeiten.“

„Dann will ich nicht weiter stören“, sagte Grace.

„Nein, bleib bitte.“ Cameron sah ihren überraschten Blick. „Du magst doch Bücher, richtig?“, fragte er lächelnd und zog einen Stuhl hervor.

Grace war die intelligenteste Person, die er kannte. Immer war sie Klassenbeste gewesen und dann auf diese sündhaft teure Eliteschule gegangen. Anschließend hatte sie in New York Finanz- und Wirtschaftswissenschaften studiert und war sofort von einem der führenden Finanzmakler angeworben worden.

Grace nickte zögernd. „Aber ich …“

„Oh, wenn Sie mir helfen könnten, das wäre toll!“, rief Emily mit einer Begeisterung, die Cameron bisher an ihr vermisst hatte.

Er wies einladend auf einen Stuhl. „Ich fahre jetzt erstmal mit Dylan zum Angeln. Bis später.“

Grace blieb etwas perplex zurück. Sollte das etwa die Überraschung sein?

Emily sah sie an. „Sind Sie und der Sarge …?“

„Nein“, antwortete Grace schnell und spürte, wie sie rot wurde. „Wir sind nur Freunde. Wir kennen uns schon seit unserer Kindheit.“ Aber wir waren auch mal schwer ineinander verknallt.

Grace war nie sonderlich an Jungs interessiert gewesen. Während ihre Klassenkameradinnen kichernd von ihren ersten Liebeserfahrungen erzählten, saß Grace über ihren Büchern. Oft wurde sie deswegen gehänselt und galt als Streberin. Niemand wollte mit ihr befreundet sein. Irgendwann lernte sie ihr Außenseiterdasein zu akzeptieren. Freundschaften zu schließen verlor an Reiz, und sie verschwendete auch weiterhin keinen Gedanken an Jungs.

Bis zum Abend ihres sechzehnten Geburtstags.

Das junge Mädchen strahlte sie an und blickte dann bewundernd auf ihre Kleidung. „Das sind Gucci-Jeans, oder?“

Grace nahm ihre Schirmmütze ab und setzte sich neben Emily an den Schreibtisch. „Interessierst du dich für Mode?“

Emily nickte eifrig. „Leider kann ich mir all die tollen Sachen nicht leisten. Aber irgendwann möchte ich meine eigene Boutique haben. Vielleicht kann ich sogar Modedesign studieren.“

„Das ist doch ein tolles Ziel.“ Grace warf einen Blick auf das Buch, das aufgeklappt vor Emily lag. „Aber jetzt erstmal die Prüfung, oder?“

Emily seufzte. „Ich habe eine Menge Unterricht verpasst. Die Schwangerschaft und all das.“ Sie deutete mit dem Kopf auf den kleinen Riley. „Meine Mutter sitzt im Gefängnis, und vor einem Jahr ist ihr Mann umgekommen. Was mit meinem Vater ist, weiß sowieso keiner. Und jetzt haben wir nur noch unsere Nan.“

„Das tut mir leid.“ Grace versuchte, nicht allzu bestürzt auszusehen. Minderjährige Mütter mit ernsthaften Familienproblemen gehörten nicht unbedingt zu ihrem täglichen Umgang.

Emily zuckte die Achseln. „So was kommt vor.“

Grace sah zu dem kleinen Jungen hinüber, der zufrieden in seiner Spielecke hockte. Da hatte das junge Mädchen sich einiges vorgenommen.

„Wenn du die Prüfung schaffst, ist das schon mal ein großer Schritt“, sagte sie aufmunternd.

„Aber es ist so schwer, ich muss so viel nachholen.“

„Zeig mir doch mal deine Bücher, vielleicht kann ich dir helfen.“

„Sind Sie Lehrerin?“

„Nein, ich bin Finanzmaklerin. Aber sag ruhig du zu mir.“

Und so kam es, dass Grace mit Emily zu lernen anfing, und als Cameron und Dylan vom Angeln zurückkamen, hatten sie bereits eine Lektion durchgearbeitet. Der kleine Riley schlief derweil selig auf seiner Decke.

Emily hatte Grace gefragt, ob sie das Baby mal halten wolle, aber das hatte Grace abgelehnt. Mit Babys kannte sie sich gar nicht aus.

„Ich bringe die drei eben nach Hause“, sagte Cameron.

„Und ich muss auch zurück.“

„Warte doch kurz, ich bin gleich wieder da.“

Bevor Grace etwas einwenden konnte, waren schon alle aus der Tür. Kurz überlegte sie, noch ein wenig am Strand zu spazieren, doch da klingelte ihr Handy. Es war ihre Chefin, Jennifer Mullin-Shaw.

„Und, klappt es mit der Entspannung?“, fragte Jennifer gut gelaunt.

Grace war froh, dass Jennifer ihr Gesicht nicht sah. „Natürlich“, log sie.

„Beachtest du auch die Ratschläge des Therapeuten?“

„Und ob! Ich gucke mir sogar schnulzige Filme zum Entspannen an.“

Jennifer lachte, und die beiden Frauen plauderten noch eine Weile über alltägliche Dinge. Grace erzählte von der Hochzeit ihrer Schwester und dass sie sich während deren Flitterwochen um das Dunn Inn kümmerte.

„Deine Familie scheint dir jedenfalls gutzutun. Hauptsache, du denkst nicht ständig an den Unfall.“

Grace tat gleichgültig. „An den Unfall denke ich überhaupt nicht mehr. Nein, mir geht’s viel besser.“

„Freut mich. Ruf mich an, wenn du bereit bist, wieder anzufangen.“

Am liebsten gleich.

„Mach ich. Danke, Jennifer.“ Sie steckte das Handy in ihre Hosentasche. Als sie hochsah, stand plötzlich Cameron im Türrahmen und musterte sie mit dem leicht anzüglichen Blick, den sie nur zu gut kannte. „Na, bist du gut mit Emily klargekommen?“

Sie nickte. „Ja. Sie ist ein cleveres Mädchen.“

„Das ist sie. Hat sie dir von ihrer Familie erzählt?“

„Ein bisschen.“

„Die haben es wirklich schwer. Aber jetzt haben sie die Chance, neu anzufangen. Sie können bald ein Farmhaus nicht weit von hier beziehen.“ Er erzählte ihr von der Gemeinschaftsaktion.

Grace fand es bewundernswert, wie Cameron sich für andere Menschen einsetzte. Sie selbst hatte noch nie etwas für die Allgemeinheit getan.

„Ich finde es toll, dass du dich so um die Familie kümmerst.“

„Jemand muss es tun.“

Ein perfekter Mann. Ritterlich, heldenhaft, mitfühlend. Aber leider nichts für mich.

Grace blickte aus dem Fenster. „Du wolltest mir etwas zeigen? Oder meintest du damit Emily?“

„Hm.“ Er zuckte verlegen die Achseln.

„Du hast mir was vorgeflunkert, um mich herzulocken.“ Sie sah ihn mit gespielter Entrüstung an.

„Vielleicht.“

Das Blut pochte ihr in den Ohren. „Dann gehe ich jetzt mal und befreie dich von meiner Gegenwart.“

Er lachte leise und setzte sich auf die Schreibtischkante. „Ich mag deine spöttische Art.“ Er betrachtete sie forschend. „Erzähl mir von dem Unfall.“

Hatte er ihr Gespräch mit Jennifer etwa mitbekommen? „Da gibt’s nichts zu erzählen.“

„Das glaube ich dir nicht. Ich merke doch die ganze Zeit schon, dass dir etwas auf der Seele liegt, Grace. Von welchem Unfall hast du gerade gesprochen?“

Sie atmete tief durch und schloss die Augen, während sie die schreckliche Situation wieder vor sich sah. Scharfe Bremsung, quietschende Reifen, dann der Aufprall – und Sekunden später eine unheimliche Stille, in der sie nur ihren zitternden Atem hörte.

„Es war ein Autounfall“, begann sie aus einem plötzlichen Impuls heraus und merkte, wie schwer es ihr fiel, Worte für dieses traumatische Erlebnis zu finden.

„Was ist denn passiert, und wann war das?“, fragte Cameron alarmiert.

„Vor zwei Monaten.“

„Warst du verletzt?“

„Eine ausgerenkte Schulter und Hautabschürfungen, nichts Ernstes.“ Ihre Narben waren eher seelischer Natur.

Cameron sah sie unverwandt an. „Es war nicht nur ein Blechschaden, oder?“

„Nein.“

„Also ein schwerer Unfall.“

„Ja.“

„Und du hast deiner Familie nichts davon erzählt.“

„Nein.“

„Warum nicht?“

...

Autor

Stella Bagwell
<p>Eigentlich ist Stella Bagwell gelernte Friseurin, tragischerweise entwickelte sie aber eine Haarspray-Allergie. Schlecht für sie, gut für ihre Leserinnen. Denn so verfolgte Stella ihr kreatives Talent in eine andere Richtung weiter und begann mit viel Enthusiasmus, Romane zu schreiben. Was ganz bescheiden auf einer alten Schreibmaschine begann, entwickelte sich auch...
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Rochelle Alers
<p>Seit 1988 hat die US-amerikanische Bestsellerautorin Rochelle Alers mehr als achtzig Bücher und Kurzgeschichten geschrieben. Sie hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter den Zora Neale Hurston Literary Award, den Vivian Stephens Award for Excellence in Romance Writing sowie einen Career Achievement Award von RT Book Reviers. Die Vollzeitautorin ist Mitglied der...
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Nancy Robards Thompson
<p>Nancy Robards Thompson, die bereits mit vielen Preisen ausgezeichnet wurde, lebt in Florida. Aber ihre Fantasie lässt sie Reisen in alle Welt unternehmen – z. B. nach Frankreich, wo einige ihrer Romane spielen. Bevor sie anfing zu schreiben, hatte sie verschiedene Jobs beim Fernsehen, in der Modebranche und in der...
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