Geheime Gefühle für dich

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Lilly will nur eins: Ruhe und Frieden für sich und ihre Kinder. Doch damit ist es schlagartig vorbei, als Noah Cooper in Kerry Springs auftaucht. Gegen ihren Willen fühlt Lilly sich vom ersten Moment an zu ihm hingezogen. Auch wenn sie bald ahnt, dass er etwas vor ihr verbirgt …


  • Erscheinungstag 12.09.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733774578
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Noah Cooper konnte sein Glück kaum fassen.

Er lenkte den Wagen in die Maple Street und fuhr langsam die Straße hinunter. Schon von Weitem konnte er das „Zu vermieten“-Schild sehen, das im Hof eines großen dreistöckigen Hauses im viktorianischen Stil prangte.

Er parkte am Straßenrand und stieg aus. Aufmerksam betrachtete er die Tafel. Ein Pfeil deutete zum Rasen. „Gepflegtes kleines Ferien­haus. Komplett ausgestattet“, stand in kleineren Buchstaben da­runter. Noah vermutete, dass es sich hinter dem Haupthaus befand.

Er atmete tief durch. Das war die Chance. Sein neuer Job fing schon mal gut an. Jetzt musste er nur noch als Mietinteressent überzeugend wirken.

Die Steinplatten zum Haus waren verwittert und lose. Auch die breite Veranda, die um das ganze Haus herumführte, hatte schon bessere Zeiten gesehen, und die Farbe blätterte von der Fassade.

Trotzdem hatte sich jemand viel Mühe gegeben, dem Haus eine einladende Note zu verleihen. Blumen blühten in großen Töpfen auf der Veranda und im Hof, und der Rasen war gerade erst gemäht worden.

Er betrat die Veranda und drückte auf den Klingelknopf. Nichts regte sich. Er ging um das Haus. Dann sah er das mit Schindeln gedeckte Ferienhaus.

Für seinen Geschmack hatten die Blumenkästen und die kleinen Gardinen eine unverkennbar weibliche Note – doch er hätte keinen idealeren Ort finden können.

Die Tür des Häuschens stand einen Spalt offen. Noah lugte hinein. In diesem Moment hörte er die Musik. Neugierig spähte er durch den Türspalt. Man konnte in das Wohnzimmer sehen, wo es einen kleinen Kamin, zwei Sessel und einen niedrigen Tisch gab. An der gegenüberliegenden Wand befanden sich mehrere kleine Schränkchen und Vitrinen mit antiquiertem Haushaltsgerät.

Na schön, das Haus war komplett eingerichtet – aber aus welcher Epoche?

Er schob die Tür ein Stück weiter auf. Da entdeckte er die Frau auf dem Fußboden. Auf Händen und Knien schrubbte sie den Boden und wandte ihm den Rücken zu. Ihre Hüften bewegten sich im Rhythmus zu dem Countrysong, der aus einem altmodischen Radio klang.

Sein Blick glitt über ihre Hüften und den runden Po. Sie trug ein schmales Trägerhemd und Shorts, die viel von ihren hübschen Beinen enthüllten. Ihr langes helles Haar war zu einem Knoten gedreht, doch einige Strähnen hatten sich gelöst und fielen ihr auf die Schultern.

Noah spürte, wie sich etwas in ihm regte. In seinem Job kam das nicht oft vor. Ganz gleich, mit welchen Menschen er es zu tun hatte, er ließ sich von nichts und niemandem ablenken. „Entschuldigen Sie, Ma’am!“, rief er über die Musik hinweg.

Lilly wirbelte erschrocken herum. Beim Anblick des Fremden im Türrahmen sprang sie auf und stieß mit dem Kopf schmerzhaft gegen die Lampe.

Der Mann machte besorgt einen Schritt auf sie zu, doch sie hob die Hand und hielt ihn auf Abstand.

„Geht es Ihnen gut?“

Lilly nickte. Sie schaltete das Radio aus und musterte den Eindringling.

Er war ziemlich groß und muskulös. Er hatte dichtes, fast schwarzes Haar und hellbraune Augen. An seiner Kleidung war nichts Auffälliges: Er trug verwaschene, aber saubere Jeans, Stiefel und ein kurzärmeliges Shirt. So lief hier fast jeder herum, doch die vergangenen Jahre hatten Lilly misstrauisch gemacht.

„Wer sind Sie?“, fragte sie barsch.

„Ihr neuer Mieter, hoffe ich.“ Er deutete hinaus. „Ich habe das Schild gesehen. Mein Name ist Noah Cooper.“

„Lilly Perry. Ich bin allerdings nicht die Vermieterin. Das ist meine Mutter, Beth Staley.“ Ihrer Mutter gehörte auch das Haupthaus. Sie hatte beschlossen, das Ferienhaus zu vermieten – doch Lilly rechnete nicht damit, dass sie es einem Fremden überlassen würde.

„Dann werde ich wohl warten müssen, bis Ihre Mutter wieder zu Hause ist.“

„Um ehrlich zu sein, Mr Cooper …“

„Coop“, unterbrach er sie. „Alle nennen mich Coop.“

„Coop“, wiederholte sie zögernd. „Ich fürchte, das Haus ist schon jemand anderem versprochen.“

Er zeigte nach draußen. „Das Schild hängt noch da.“

Erwischt. „Nun ja, es ist noch nicht offiziell. Aber machen Sie sich nicht allzu große Hoffnungen.“

„Es ist wohl besser, wenn ich mit Mrs Staley persönlich spreche. Wann kommt sie zurück?“

„Schwer zu sagen. Sie ist gerade beim Nähen mit ihren Freundinnen. Das kann Stunden dauern.“

Die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. „In Ordnung. Dann muss ich wohl warten.“ Er drehte sich um.

In diesem Augenblick hörten sie jemanden rufen. „Mom! Wo bist du?“

„Ich bin hier, Robbie.“ Lilly ging zur Tür.

Ein kleiner Junge stürmte herein. „Mom! Colin und Cody wollen schwimmen gehen. Sie haben mich gefragt, ob ich mitkommen will. Darf ich? Bitte.“

„Nun mal langsam.“ Lilly strich ihrem Sohn das blonde Haar aus der Stirn. Mit großen Augen sah er sie an. Sie waren so blau wie die seines Vaters. Des Vaters, der Robbie niemals aufwachsen sehen würde.

Lillys Magen zog sich schmerzhaft zusammen.

„Aber Codys Mom hat gesagt, dass ich mitkommen darf. Sie hat gesagt, dass ich dir dann nicht bei der Arbeit im Weg bin.“

Lilly verkniff sich ein Lächeln. Als Robbie ein Jahr alt war, hatte er mit dem Sprechen begonnen – und seitdem redete er wie ein Wasserfall.

„Du könntest mir ja auch helfen, anstatt im Weg zu stehen.“

Der kleine Junge kräuselte unwillig die Nase. „Ich bin doch erst sechs. Außerdem sind Sommerferien.“ Dann fiel sein Blick auf Mr Cooper. „Hi. Ich bin Robbie Perry. Und wer bist du?“

„Das ist Mr Cooper.“ Lilly legte ihrem Sohn schützend die Hände auf die Schultern.

„Aber du kannst mich Coop nennen.“ Er zwinkerte dem Kleinen zu.

Robbie sah ihn argwöhnisch an. „Und was machst du hier?“

„Robbie.“ Lillys Ton war schärfer als beabsichtigt.

Coop hob die Hände. „Schon gut. Ich möchte euer Ferienhaus mieten. Aber deine Mom sagt, dass schon jemand anderes daran interessiert ist.“

Der kleine Junge sah seine Mutter fragend an. „Wirklich? Wer denn, Mom?“

Lilly errötete. Wenn sie Robbie nicht zum Schweigen brachte, würde ihre kleine Notlüge noch auffliegen. „Warum holst du nicht deine Schwimmsachen, Robbie?“

Der Junge machte einen kleinen Luftsprung. „Darf ich gehen?“

„Sicher. Aber vergiss dein Handtuch nicht.“

Außer sich vor Freude rannte der Kleine hinaus.

„Ein lebhafter Junge“, bemerkte Coop.

„Oh ja. Ich wünschte, ich hätte seine Energie.“

Eine unangenehme Pause entstand.

Coop räusperte sich. „Nun, ich gehe wohl besser. Vielen Dank, Mrs Perry.“

„Tut mir leid, dass ich nicht mehr für Sie tun kann. Ich hoffe, Sie finden eine Bleibe.“ Lilly zögerte. „Arbeiten Sie hier in der Gegend?“ Warum wollte sie das überhaupt wissen? „Wenn Sie einen Job suchen, können Sie es auf einer Ranch probieren. Ich meine, wenn Sie Erfahrung in so etwas haben.“ Sie biss sich auf die Lippen.

Coop entging nicht Lillys Misstrauen. Aber nach allem, was ihr in den vergangenen Jahren widerfahren war, wunderte es ihn überhaupt nicht, dass sie Fremden gegenüber vorsichtig war. „Ich habe zwar Erfahrung, aber deswegen bin ich nicht hier. Ich helfe beim Bau der neuen Siedlung im Westen der Stadt.“

Das schien sie zu überraschen. „Für AC Construction? Sie arbeiten für Alex Casali?“

„Ja, Ma’am. Ich bin gelernter Zimmermann.“ Das entsprach sogar der Wahrheit. „Dann werde ich mal weitersuchen. Auf Wiedersehen.“

Coop trat hinaus und ging über den Rasen. Die Tür des Haupthauses flog auf, und Robbie sprang mit zwei großen Sätzen die Verandastufen hinunter. Sein Gesicht glühte.

„Hey, Robbie!“, rief Coop. Vielleicht würde der Junge ihm mehr verraten. „Weißt du vielleicht, wo ich deine Großmutter finden kann?“

Der Kleine nickte. „Klar. Sie ist mit ihren Freundinnen im Blind Stitch Quilt Shop.“ Er verdrehte die Augen. „Das ist so langweilig. Sie zerschneiden alte Shirts und nähen daraus Decken. Meine Schwester hat auch damit angefangen.“

Coop lächelte. „Das ist doch gut. Denn dann kannst du in aller Ruhe Dinge tun, die nur Jungs machen.“

Robbie verzog das Gesicht. „Schon, aber ich habe niemanden. Mein Dad ist gestorben.“

„Das tut mir leid.“ Coop wusste nicht, was er sagen sollte. In diesem Moment hielt ein Wagen vor dem Haus und befreite ihn aus seiner misslichen Lage. „Viel Spaß beim Schwimmen.“

Robbie eilte zum Auto und fuhr mit seinen Freunden davon.

Coop sah ihm nach. Im Stillen verfluchte er den Vater des Kindes. Michael Perry hatte alles verspielt. Er hatte das Leben mit seiner hübschen Frau und den Kindern weggeworfen – doch wofür?

Das war Coops Aufgabe. Er musste herausfinden, warum Perry gestorben war. War er der Informant, der in jener folgenschweren Nacht nicht aufgetaucht war?

Coop würde es herausfinden.

Eine halbe Stunde später entdeckte Coop den Blind Stitch Quilt Shop und parkte am Straßenrand. Nicht, dass es schwierig gewesen wäre, den Laden zu finden. Die kleine texanische Stadt Kerry Springs zählte gerade einmal zehntausend Einwohner – doch Coop wusste aus Erfahrung, dass es selbst an einem friedlichen Ort wie diesem nicht nur gute Menschen gab.

Er betrachtete die Auslage des Shops mit den unzähligen leuchtenden Flickendecken. Na schön, das hier war nicht gerade sein Spezialgebiet. In einer düsteren Bar in El Paso hätte er sich wohler­gefühlt als zwischen diesen farbenfrohen handgenähten Quilts. Doch das gehörte nun einmal zu seinem Job.

Er betrat den Laden und sah sich aufmerksam um. In der Mitte stand ein großer Schneidetisch. Einige Frauen drängten sich darum und diskutierten die verschiedenen Stoffmuster. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich ein breiter Durchgang, durch den man in einen weiteren Raum gelangte.

Coop machte einen Schritt darauf zu, als eine attraktive blonde Frau auf ihn aufmerksam wurde. Sie war hochschwanger. Lächelnd kam sie ihm entgegen. „Hallo, ich bin Jenny Rafferty. Kann ich etwas für Sie tun?“

„Man hat mir gesagt, dass ich hier Beth Staley finden kann.“

Jennys Lächeln wurde eine Spur strahlender. „Das stimmt, Beth ist hier.“ Sie deutete in den Nebenraum. „Sie sitzt drüben am Tisch der Quilter’s Corner. Gehen Sie ruhig rein.“

„Vielen Dank, Ma’am.“

Sechs Frauen verschiedenen Alters saßen um den runden Tisch und waren in ein lebhaftes Gespräch vertieft. Coop nahm den Hut ab und trat an den Tisch. „Entschuldigen Sie“, sagte er höflich. „Ich möchte Sie nicht stören, aber ich suche Beth Staley.“

„Das bin ich.“ Eine zierliche Frau Ende fünfzig hob die Hand. „Obwohl ich mir kaum vorstellen kann, warum ein attraktiver junger Mann nach mir suchen sollte.“ Die Frauen lachten.

Coop begann sich zu entspannen. „Ich komme wegen des Hauses, das Sie vermieten. Das Ferienhaus.“

Beth lächelte. Coop erkannte die Ähnlichkeit zwischen Mutter und Tochter. Beide hatten das gleiche ebenmäßige Gesicht und die leuchtenden grünen Augen. „Ja, das Haus ist zu vermieten.“

„Ich bin sehr interessiert daran, aber ich fürchte, ich bin zu spät.“

Mrs Staley sah ihn verwundert an. „Aber warum denn?“

„Ihre Tochter hat mir erzählt, dass es bereits einen Interessenten gibt.“

Beth stutzte. Sie warf einen raschen Blick zu ihren Freundinnen, dann zurück zu Coop. „Nun, es gab jemanden. Aber das hat sich erledigt. Wissen Sie, junger Mann …“

„Oh, Verzeihung. Mein Name ist Noah Cooper. Aber nennen Sie mich doch bitte Coop.“

„Und ich bin Beth. Das sind meine Freundinnen Liz, Lisa, Millie, Louisa und Caitlin.“

„Ich freue mich sehr, Sie alle kennenzulernen, meine Damen.“

Die Damen betrachteten wohlwollend Coops attraktive Erscheinung.

Beth führte Coop in eine ruhige Ecke. „So, Mr Cooper. Wenn es Ihnen wirklich ernst ist, dann benötige ich noch ein paar Unterlagen. Sie wissen ja, wie das ist. Empfehlungsschreiben, Arbeitszeugnisse. Und ich nehme eine Kaution für das Haus.“

Coop nickte zustimmend. „Kein Problem. Ich habe gerade einen Job bei AC Construction angenommen. Aber ich kann Ihnen Empfehlungsschreiben meiner früheren Arbeitgeber vorlegen.“ Seine Vorgesetzten würden mit Sicherheit keine Schwierigkeiten haben, ihm entsprechende Zeugnisse zu besorgen.

„Sie arbeiten für Alex Casali?“

„Ja, Ma’am. Ich bin gelernter Zimmermann. Und ich möchte die nächsten sechs bis acht Monate möglichst nicht in einem Motel verbringen. Ihr Haus wäre ideal. Ich habe es durch Zufall entdeckt und mich gleich wohlgefühlt.“ Wenn er erfolgreich sein wollte, musste er sich einschmeicheln. „In der Vergangenheit habe ich schon viele Häuser renoviert, und es würde mir nichts ausmachen, an Ihrem schönen Haus ein paar Reparaturen vorzunehmen.“

„Leider wurde es in den vergangenen Jahren sträflich vernachlässigt. Früher hat mein Mann die Reparaturen ausgeführt.“ Sie musterte ihn. „Hätten Sie denn Zeit für so etwas, wenn Sie eigentlich für Alex arbeiten?“

„Nun, mein neuer Job beginnt erst in ein paar Wochen. Aber ich würde gern schon jetzt einziehen – es sei denn, Sie möchten warten, bis meine Arbeitszeugnisse vorliegen.“

„Das wird nicht nötig sein. Wer für Alex Casali arbeitet, hat eine fleckenlose Vergangenheit. Seiner Frau Allison gehört übrigens dieser Laden.“

Dann wandte sie sich an ihre Freundinnen. „Hört mal her! Noah Cooper wird mein neuer Mieter.“

„Mom?“

Alle sahen zur Tür.

Lilly Perry hatte sich frisch gemacht und umgezogen. Sie trug nun kakifarbene Shorts und ein pinkfarbenes T-Shirt, und das lange hellbraune Haar fiel ihr in sanften Wellen über den Rücken. Mit forschen Schritten kam sie herein.

Coop wäre niemals darauf gekommen, dass sie schon Mitte dreißig war – und Mutter von zwei Kindern.

„Mom, was geht hier vor?“

„Gut, dass du da bist, Lilly. Ich würde dich gern Mr Cooper vorstellen.“

„Wir haben uns bereits kennengelernt.“ Lilly sah nicht sonderlich glücklich aus. „Woher wussten Sie, dass Sie meine Mutter hier finden würden?“

„Ihr Sohn hat es mir erzählt. Ich dachte, ich frage gleich nach, ob der andere Mieter noch Interesse hat.“

„Der andere Mieter?“ Beth hob die Braue.

Lilly legte ihr rasch die Hand auf den Arm. „Entschuldigen Sie uns einen Moment, Mr Cooper.“ Sie führte ihre Mutter in den Nebenraum.

„Mom, du kannst diesem Mann doch nicht einfach das Haus geben. Er ist nicht von hier. Du hast ja nicht einmal seine Referenzen überprüft.“ Sie schüttelte den Kopf. „Und außerdem dachte ich, dass wir an eine Frau vermieten wollen.“

„Das war deine Idee. Ich habe genug Menschenkenntnis, um mich auf meinen Instinkt zu verlassen, und ich sehe keinen Grund, warum wir nicht an Mr Cooper vermieten sollten. Sei nicht so misstrauisch, Lilly. Dein Pech mit Michael darf nicht für den Rest deines Lebens dein Urteilsvermögen trüben.“

„Michael hat mich und die Kinder auf die Straße gesetzt und das ganze Geld genommen“, sagte Lilly gereizt. „Außerdem hat er mich gedemütigt.“

Beths Gesichtsausdruck wurde sanft. „Ich weiß. Aber es wird Zeit, sich von der Vergangenheit zu lösen und ein neues Leben zu beginnen.“

Lilly schwieg. Sie hatte nicht vor, ihre Probleme hier im Laden aufzurollen. Unauffällig spähte sie in Noah Coopers Richtung. Er scherzte mit den Frauen der Quilter’s Corner und machte einen sehr charmanten Eindruck. Genau das war das Problem.

Michael hatte auch sehr charmant sein können, wenn er wollte. Dreizehn Jahre war Lilly mit ihm verheiratet gewesen, und ganz plötzlich hatten sich die Dinge geändert. Praktisch über Nacht war er ein anderer Mensch geworden, und er hatte sie und die Kinder einfach verlassen.

Plötzlich ertönte ein leises Stöhnen. Alle sahen zu Jenny. Sie krümmte sich zusammen und hielt sich mit beiden Händen den Bauch. Erschrocken starrte sie auf den Boden zwischen ihren Füßen, wo sich eine kleine Pfütze gebildet hatte. Sie errötete. „Die Fruchtblase ist geplatzt. Mein Baby kommt!“ Sie rang nach Luft. „Ich muss Evan anrufen.“

„Das mache ich“, bestimmte Liz. „Du setzt dich hin.“

Jenny schüttelte den Kopf. „Nein, ich muss in Bewegung bleiben. Bitte ruft Jade an und fragt sie, ob sie heute Dienst hat. Ich will, dass sie im Kreißsaal dabei ist.“

Lilly beobachtete die kleine Gruppe. Jenny gab leise Anweisungen, doch ihre Stimme ging in dem allgemeinen Durcheinander einfach unter. Die Frauen redeten aufgeregt durcheinander und benahmen sich wie aufgescheuchte Hühner.

Das reichte.

Lilly stieß einen lauten Pfiff aus. Sofort herrschte Ruhe. „So, jetzt wollen wir die Sache mal vernünftig angehen. Liz, du rufst Evan an und sagst ihm, dass er direkt zum Krankenhaus kommen soll. Millie, du versuchst Jade zu erreichen. Dann nimmst du Jennys Handy und rufst ihren Arzt an. Er soll wissen, dass wir auf dem Weg sind.“

Sie sah sich um. „Wer hat einen Wagen und kann zum Krankenhaus fahren?“

Noah Cooper meldete sich. „Ich bin mit dem Truck hier und kann vier Personen mitnehmen.“

Jenny stöhnte auf und krümmte sich erneut.

„Gut, Mr Cooper.“ Lilly sah ihn an. „Dann sind Sie unser Taxifahrer. Los geht’s.“

Lilly und Liz griffen Jenny unter die Arme und brachten sie hinaus. Beth und Coop folgten ihnen zur Tür. „Meine Tochter ist Schulleiterin“, erklärte Beth. „Sie nimmt die Zügel in die Hand, wenn es darauf ankommt.“

Coop war beeindruckt von ihrer Tatkraft. Er eilte zu seinem Truck und öffnete die Beifahrertür. Bevor Jenny sich setzte, breitete Millie umsichtig ein Handtuch auf dem Sitz aus.

Jenny wollte sich bei Coop entschuldigen, doch er schob ihre Bedenken mit einer lockeren Geste beiseite. „Machen Sie sich keine Gedanken, Ma’am.“

Nachdem er ihr in den Wagen geholfen hatte, sprang er auf den Fahrersitz. Lilly und Beth kletterten auf die Rückbank und wiesen Coop den Weg zum Krankenhaus.

Lilly war froh, dass sie die Verantwortung abgeben konnte, sobald sie dort waren. Und so, wie Mr Cooper den Truck durch die Stadt jagte, würde das schon sehr bald sein. Eines musste man diesem Mann lassen: Er rannte nicht davon, wenn es brenzlig wurde.

Das sprach auf jeden Fall für ihn.

Mehr aber auch nicht.

Zwei Stunden später saß Coop im Aufenthaltsraum und wartete. Er trank schon den zweiten Becher schalen Krankenhauskaffee. Das Baby ließ sich Zeit.

Inzwischen war Jennys Mann Evan angekommen. Coop hätte nun gehen können, aber er war sich nicht sicher, ob die anderen Frauen eine Mitfahrgelegenheit brauchten. Außerdem war das eine gute Gelegenheit, etwas über die Bewohner von Kerry Springs herauszufinden.

Er lehnte sich an die Wand und beobachtete das rege Treiben. Während der vergangenen zwei Stunden waren viele Menschen ein – und ausgegangen, um sich nach Jenny zu erkundigen. Offensichtlich war sie ziemlich beliebt.

Von Beth wusste er, dass Evan eine Ranch gehörte. Außerdem war er der Besitzer eines Weinbergs und hatte gerade eine eigene Weinsorte kreiert. Sein Vater Sean Rafferty war auch ins Krankenhaus gekommen. Er hatte Evans kleine Tochter Gracie mitgebracht und schien mindestens ebenso aufgeregt zu sein wie sie. Beth hatte erzählt, dass Jenny Gracies Stiefmutter war.

Und so, wie sie von Sean Rafferty gesprochen hatte, wurde deutlich, dass der attraktive ältere Gentleman ein Frauenschwarm war. Auch jetzt war er von einigen Frauen umringt.

Coops Aufmerksamkeit richtete sich auf Lilly. Sie war nach draußen gegangen, um ihre Kinder anzurufen.

Sie war eine energische Frau und hatte ihn ziemlich beeindruckt. Ob sie tatsächlich nichts von den Machenschaften gewusst hatte, in die ihr Mann verwickelt worden war? Oder hatte sie es gewusst – und sich deswegen von ihm getrennt?

So oder so: Sie war eine bemerkenswerte Frau. Eine Frau, von der sich kein Mann trennen würde, der noch bei Verstand war.

In diesem Moment betrat ein weiteres Paar den Warteraum. Coop erkannte sofort seinen neuen Arbeitgeber Alex Casali. An seiner Seite war eine schmale, attraktive Frau mit langem mahagonifarbenem Haar. Das musste Allison sein.

Alex entdeckte Coop und entschuldigte sich bei seiner Frau. Er ging auf ihn zu und schüttelte ihm herzlich die Hand. „Coop, was führt dich denn hierher?“

„Ich war einfach zur rechten Zeit am rechten Ort. Ich habe die Lady ins Krankenhaus gebracht.“

Casali lächelte. „Willkommen in der Kleinstadt.“

2. KAPITEL

„Es ist ein Junge!“

Lilly sah auf. Evan stand im Türrahmen. Er trug einen Krankenhauskittel und hatte ein strahlendes Lächeln im Gesicht. Sofort wurde er von der kleinen Gruppe der Wartenden umringt und nahm ihre Glückwünsche entgegen. Sean umarmte seinen Sohn.

„Das ist wunderbar, Evan. Ich freue mich für dich.“ Lilly schüttelte seine Hand.

Der gut aussehende Vater nickte stolz. „Danke, Lilly. Natürlich hätte ich mich auch gefreut, wenn ich noch ein Mädchen bekommen hätte. Aber nun können wir die Familiennamen weitergeben. Er soll Sean Michael heißen.“

„Ist das wahr?“ Der stattliche Mann hatte Tränen der Rührung in den Augen.

Evan nickte. „Jenny möchte das Familienerbe bewahren und an deine irische Herkunft erinnern. Also haben wir Sean Michael nach dir und deinem Vater benannt.“

Lilly kämpfte nun selbst mit den Tränen. Sie erinnerte sich, wie ihre Kinder zur Welt gekommen waren. Es waren die schönste Momente ihres Lebens gewesen. „Wie geht es Jenny?“

„Gut. Jade war die ganze Zeit über bei ihr. Sie hat uns sehr geholfen.“

Jade war eine gute Freundin von ihnen. Vor einiger Zeit war die Krankenschwester nach Kerry Springs gezogen und hatte kürzlich Sloan Merrick geheiratet, den smarten Sohn des ehemaligen Senators Clay Merrick.

„Daddy!“ Die kleine Gracie zupfte an Evans Hand. „Können wir jetzt reingehen? Schließlich ist das mein Bruder!“

Autor

Patricia Thayer
<p>Als zweites von acht Kindern wurde Patricia Thayer in Muncie, Indiana geboren. Sie besuchte die Ball State University und wenig später ging sie in den Westen. Orange County in Kalifornien wurde für viele Jahre ihre Heimat. Sie genoss dort nicht nur das warme Klima, sondern auch die Gesellschaft und Unterstützung...
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