Baccara Exklusiv Band 61

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MACHS NOCHMAL DYLAN von BANKS, LEANNE
Dass sie Dylan aus gutem Grund verließ, hat Alisa seit ihrem Gedächtnisverlust vergessen. Seit sie bei dem Millionär lebt, prickelt es zwischen ihnen immer sinnlicher. Aber seine Küsse bringen nicht nur ihren Körper zum Glühen, sondern auch ihre Erinnerung zurück!

BERÜHRT - UND SCHON VERFÜHRT von ELLIOTT, ROBIN
Nachdem der Ex-Agent Carl Shannon seinen Freund überführt hat, soll er nun dessen überaus reizende Witwe Haven observieren: Ein Spiel mit dem Feuer! Denn zwischen kühler Vorsicht und brennendem Begehren gerät bald nicht nur sein Leben, sondern auch sein Herz in Gefahr.

TU ALLES WAS DU WILLST von ESTRADA, RITA CLAY
"Du bist etwas ganz Besonderes", flüstert ihr der Star-Architekt ins Ohr und erfüllt Elizabeth ihre geheimsten Wünsche: In Bens Armen genießt sie ekstatische Stunden der Lust. Doch auf die magischen drei Worte wartet sie bei dem von der Ehe enttäuschten Ben vergebens …


  • Erscheinungstag 02.09.2009
  • Bandnummer 61
  • ISBN / Artikelnummer 9783862956326
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

ROBIN ELLIOT

Berührt – und schon verführt

Seit ihr Mann Brian vor zwei Jahren bei einem Geheimdienstauftrag ums Leben kam, hat kein Mann Haven je so aufgewühlt: Unbändige Gefühle der Leidenschaft überwältigen sie, wenn Carl Shannon sie auch nur zufällig berührt. Doch sie zögert, ihrem Verlangen für ihn nachzugeben. Denn sie spürt, dass der anziehende Ex-Agent ein Geheimnis vor ihr verbirgt …

RITA CLAY ESTRADA

Tu alles, was du willst

Dass die Psychologin Elizabeth etwas ganz Besonderes ist, weiß Benjamin Damati sofort: Nie hat eine Frau den Star- Architekten so in Brand gesetzt. Leidenschaftlich erobert er jeden Zentimeter ihres aufregenden Körpers. Aber als sie ihm ihre Liebe gesteht, bekommt er kalte Füße. Seit seiner enttäuschenden Ehe schreckt er vor einer festen Bindung zurück.

LEANNE BANKS

Mach´s nochmal, Dylan

Wie gern würde er Alisa leidenschaftlich verführen: Seit der Millionär seine Ex-Freundin bei sich aufgenommen hat, prickelt es zwischen ihnen immer heißer. Doch Dylan kämpft mit aller Macht gegen seine Gefühle an. Denn Alisa hat seit ihrem Gedächtnisverlust vergessen, warum ihre Romanze zerbrach. Und er weiß, sobald sie sich erinnert, wird er sie verlieren!

1. KAPITEL

Carl Shannon rutschte tiefer in den Sessel, der vor dem Schreibtisch stand. Er hatte die Hände locker über der Brust gefaltet. Sein Stetson war tief in die Stirn gezogen und beschattete sein Gesicht.

Der kleine, untersetzte Mann hinter dem großen, blankpolierten Mahagonischreibtisch telefonierte gerade, aber Carl hörte nicht hin. Er blickte sich stattdessen aufmerksam im Zimmer um, wobei er den Kopf nur kaum merklich bewegte.

Das große Büro lag im elften Stock eines modernen Hochhauses, und man konnte an der teuren Ausstattung in erdfarbenen, dunklen Tönen erkennen, dass der Mann, der hier das Sagen hatte, nicht viel von einem weiblichen Touch hielt.

Eine der Wände bestand aus großen, hohen Fenstern, die einen atemberaubenden Blick auf die Silhouette von Houston boten. Kein Stäubchen, keine Spur vergangener Regentropfen war auf den Glasscheiben zu erkennen. Sie waren so blank und spurenfrei als wüssten selbst die Vögel, dass von dem Inhaber dieses Raums keine Verschmutzung seines Eigentums geduldet wurde.

An den übrigen Raumseiten zogen sich Bücherregale aus glänzendem Mahagoni die Wände hoch. Zwischen den kostbaren Bänden, die meist in weiches Leder gebunden waren, standen seltene Kunstwerke aus den verschiedensten Ländern der Erde.

Mit jedem waren schöne oder auch unangenehme Erinnerungen an bestimmte Abschnitte eines Lebens verbunden, das offensichtlich nicht sinnlos vertan worden war.

Peter MacIntosh, der Mann, der gerade telefonierte, war achtundfünfzig Jahre alt. Er war vollkommen in Weiß gekleidet, angefangen vom Anzug über das Hemd und den Schlips bis zu den Socken und Schuhen. Selbst der Haarkranz, der seinen Schädel umgab, war schneeweiß.

Er legte den Hörer auf die Gabel, lehnte sich leicht zurück und bewegte die kleine Nase schnuppernd wie ein Kaninchen.

„Ich kann es riechen, Carl“, sagte er anklagend, „ich kann es riechen. Du traust dich tatsächlich mit Pferdemist an den Stiefeln in mein Büro. Du hast ja Nerven!“

Carl schob mit dem Daumen seinen schweißgefleckten Stetson aus der Stirn und hob eine Augenbraue, als er prüfend den Absatz des Stiefels betrachtete, den er lässig auf das andere Knie gelegt hatte. Dann nickte er langsam. Ein nachdenklicher Ausdruck stand auf seinem gebräunten Gesicht.

„Jawohl“, antwortete er gedehnt. Seine Stimme war tief und eine Spur rau. Sie passte zu ihm, einem Mann von beinahe einem Meter neunzig. „Ja, das ist Pferdemist. Aber …“ – er blickte sein Gegenüber mit gerunzelten Augenbrauen an – „… wenn man bedenkt, dass ich nur wegen einer angeblichen Notsituation überhaupt hergekommen bin und dass ich außerdem ausgesprochen ungern hier in diesem Büro bin, dann kannst du noch von Glück reden, dass ich mir die Sohlen nicht an deinem eleganten Schreibtisch abgewischt habe, MacIntosh. Du weißt, wie ich es hasse, aus der Arbeit gerissen zu werden.“

„Kein Grund, so aggressiv zu werden“, gab Peter MacIntosh zurück, „ich hatte vor zwei Jahren auch gehofft, dich endlich los zu sein. Aber der Befehl, dich herzubeordern, kommt von ganz oben. Es war mit Sicherheit nicht meine Idee.“

„Vielleicht solltest du die Herrschaften da oben mal daran erinnern, dass ich vor geraumer Zeit den Dienst quittiert habe, dass ich meinen geheimen Entschlüsselungsring und meine Dick-Tracy-Identifikationskarte schon längst abgegeben habe. Ich bin jetzt ein Rancher aus Texas. Ich bin kein Geheimagent der Regierung mehr.“

„Warst du das denn jemals?“, entgegnete Peter mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. „Du hast dich doch über jede Regel hinweggesetzt. Ein Wunder, dass du nicht längst das Zeitliche gesegnet hast. Du hattest immer deinen eigenen Kopf, warst der typische Rebell. Nur deinetwegen habe ich schon vorzeitig meine Haare verloren.“

Carl lachte leise. „Das höre ich nicht das erste Mal von dir.“

„Du hast mir gefehlt, mein Junge“, sagte Peter und wurde ernster. „Es ist wunderbar, dich zu sehen.“

„Ja, ich hätte Kontakt mit dir halten sollen, Pete. Doch es war keine Absicht, dass ich mich die letzten zwei Jahre nicht gemeldet habe. Ich hatte nur einfach die Nase voll vom Geheimdienst, und du gehörst nun mal dazu.“

„Ich verstehe das ja.“ Peter machte eine kleine Pause und fuhr dann fort: „Ich habe gehört, du hast ein schönes Stück Land.“

„Ja, so langsam wird es was.“ Carl nickte. „Es lebt sich gut auf diesem Land. Es ist so friedlich, so geordnet dort draußen. Ich verdanke Lupe und ihrem Mann José eine Menge. Sie ist meine Haushälterin und er mein Vorarbeiter. Die beiden leben schon ewig dort und betrachten die Ranch als ihr Zuhause. Ich habe sie übernommen, und ich könnte schwören, dass José jeden Quadratzentimeter kennt.“

„Ich freue mich für dich, dass du so zufrieden bist, Carl. Du hast es wirklich verdient, endlich zur Ruhe zu kommen. Aber jetzt …“

„Pete“, unterbrach Carl ihn schnell, „wenn du mich überreden willst, dass ich etwas für den Geheimdienst tue, dann kannst du dir die Mühe sparen. Meine Antwort ist Nein. Ich lasse mich auf nichts mehr ein.“

Peter MacIntosh lehnte sich zurück und stützte die Ellbogen auf die Lehnen seines Ledersessels. Er legte die Hände leicht aneinander, sodass sich die Fingerkuppen berührten, und sah Carl ausdruckslos an. Carl zuckte nicht mit der Wimper und gab seinen Blick mit entschiedener Miene zurück.

Carl Shannon, dachte Peter. Er müsste jetzt etwa sechsunddreißig sein. Ja, sie hatten in den langen Jahren ihrer Zusammenarbeit ein ganz besonderes Verhältnis gehabt. Es war nicht immer einfach gewesen, und mehr als ein Mal wären sie fast ernsthaft aneinandergeraten.

Doch war da auch ein großer Respekt für den anderen gewesen. Sie hatten nie darüber gesprochen, aber sie hatten immer gewusst, dass sie sich vollkommen aufeinander verlassen konnten, dass sie füreinander das Leben riskieren würden, sollte es dazu kommen.

Ja, der große, starke Carl. Er war wirklich ein gut aussehender Kerl, das musste man ihm lassen. Carl Shannon hatte diese herben, gefurchten, männlichen Gesichtszüge; einen vollen, gut geschnittenen Mund; dichtes schwarzes Haar und ebenso dunkle Augen; dazu einen sehnigen Körper; ein schnelles Reaktionsvermögen und einen ausgezeichneten Verstand. Ja, er war ein beeindruckender Mann, dabei zurückhaltend, beinahe scheu, unabhängig, ein Außenseiter – und Peter liebte ihn wie einen Sohn.

„Schläfst du, Pete?“, unterbrach Carl ihn in seinen Gedanken. „Denn sollte es dir entfallen sein: Ich werde auf meiner Farm gebraucht, und die liegt mindestens eine Stunde Fahrt entfernt. Ich habe meinen müden Körper nicht in meinen mit Pferdemist verdreckten Stiefeln hierhergeschleppt, um dich schnarchen zu hören. Ich wollte dir nur ganz persönlich mitteilen, dass ich nichts mehr mit dem ganzen Verein zu tun haben will und dass du mich nicht mehr wegen sogenannter Notsituationen stören sollst.“

„Na, prächtig, das hast du jetzt ja getan.“ Peter nickte gelassen. „Und nun, wo wir die herzliche Begrüßung und all das Geschmuse hinter uns haben, kann ich dir endlich sagen, um was es hier geht.“

„Nein, ich will nichts hören. Außerdem ist meine Unbedenklichkeitsbescheinigung längst abgelaufen. Du könntest in höllische Schwierigkeiten kommen, wenn du an mich irgendwelche Geheiminformationen weitergibst. Auch das solltest du nicht vergessen.“

„Da habe ich aber wirklich große Angst“, entgegnete Peter trocken. „Mir zittern direkt die Knie.“ Er beugte sich vor und faltete die Hände auf der glänzenden Tischplatte. „Und du vergisst, dass die Anordnungen von ganz oben kommen. Wenn es um dich geht, ist es denen völlig egal …“, er blickte vielsagend auf Carls Stiefel, „aus welcher Arbeit sie dich reißen oder ob irgendwelche Bescheinigungen abgelaufen sind. Sie wollen dich, Shannon, und niemanden sonst.“

Carl nahm den Fuß vom Knie und stand mit einer schnellen, geschmeidigen Bewegung auf. Mit langen Schritten ging er über den weichen Teppich zur Fensterfront, steckte die Hände in die Gesäßtaschen seiner verwaschenen Jeans und starrte auf das ewige Verkehrschaos tief unter ihm. Dunkle Bilder tauchten in ihm auf, Erinnerungen, die er nie vollkommen hatte unterdrücken können und die jetzt dafür verantwortlich waren, dass sich sein Magen schmerzhaft zusammenzog.

Er wusste es, ohne dass MacIntosh es aussprechen musste. Wenn die gesichtslosen Männer in ihrem Elfenbeinturm, die das Leben unzähliger Menschen emotionslos in ihren Händen hielten, ihn – und nur ihn – für eine ganz bestimmte Aufgabe haben wollten, konnte es nur etwas mit Brian Larson zu tun haben.

Und Carl schwor sich insgeheim, dass Brians Geist, Brians Verrat, sein Schatten, der immer irgendwo drohend hinten in seinem Kopf lauerte, ihn nicht in die brutale, kalte Welt zurückholen würde, der er vor zwei Jahren entkommen war.

Carl nahm die Hände aus den Taschen, verschränkte die Arme vor der Brust und drehte sich entschlossen wieder zu Pete. Das verblichene Baumwollhemd spannte sich über seine breiten Schultern. Es war bis über die Ellbogen aufgerollt und zeigte seine gebräunten, dunkel beharrten, muskulösen Arme. Die kräftigen Hände hatten lange Finger mit kurz geschnittenen Fingernägeln. Carl starrte Peter unter schwarzen Brauen an.

Peter wandte sich ihm direkt zu und blickte ihm ernst in die Augen.

Carl holte tief Luft und atmete dann langsam aus. „Brian Larson“, sagte er knapp und hart.

Peter nickte kurz und sah ihn unverwandt an.

„Er ist tot, Pete.“ Müdigkeit mischte sich in seine Stimme. „Er ist seit zwei Jahren unter der Erde.“

„Ja.“

„Er ist tot.“ Ein Ausdruck von Schmerz zuckte über Carls Gesicht und stand auch in seinen dunklen Augen. „Ich muss es schließlich wissen. Immerhin habe ich die Pistole abgedrückt, mit der er getötet wurde.“

Peter seufzte. „Wann wirst du endlich diese unseligen Schuldgefühle hinter dir lassen, mein Junge? Du hattest doch gar keine Wahl. Brian Larson hat sein Vaterland verraten und auch dich, seinen besten und ältesten Freund. Wenn du ihn nicht getötet hättest, hätte er dich umgebracht. Selbst heute noch hält er deine Seele in seiner eiskalten Faust. Carl, du musst dem einfach ein Ende machen. Du musst den Frieden finden, den du verdient hast.“

„Schön gesagt.“ Carl schnaubte verächtlich. „Und deshalb hast du mich herbeordert? Damit ich noch so einen Mist in Ordnung bringe, den Brian angerichtet hat? Soll ich ihn so etwa schneller vergessen?“

„Carl, kein Mensch kann dich dazu zwingen, diese Aufgabe zu übernehmen. Du bist ein Privatmann, der eine Ranch besitzt. Ich brauche den Allmächtigen nur zu sagen, dass du dich geweigert hast, noch mal für sie zu arbeiten, und du kannst gehen.“

Carl blickte ihn prüfend an. „Hübsch gesagt, MacIntosh. Aber wo liegt der Haken? Komm schon raus damit. Wie willst du mich dieses Mal ködern?“

Peter lachte kurz und schüttelte den Kopf. „Du kennst mich verdammt gut, mein Junge.“

„Allerdings.“

„Also gut, Carl. Ich werde dir das Ganze erzählen und dabei nicht vergessen, dass du die Aufgabe nicht übernehmen wirst. Ich möchte wirklich keine schmerzhaften Erinnerungen an Brian in dir wachrufen, aber vielleicht kannst du uns wenigstens einen Rat geben, wie wir unser Problem in den Griff bekommen können.“

Nach einem langen und nachdenklichen Blick auf Peter ging Carl zu dem Sessel zurück. Er ließ sich wieder tief in die Polster sinken und schlug die Beine übereinander.

Peter warf einen kurzen, strengen Blick auf den schmutzigen Stiefel und sah Carl dann fest in die Augen.

„Du weißt, dass Brian Larson Landesverrat begangen hat“, fing er leise an, „dass er streng geheime Informationen an den Meistbietenden verkauf hat.“

Carl zog seinen Hut tiefer in die Stirn und lehnte sich, die Hände wieder auf der Brust gefaltet, leicht zurück. Er schien vollkommen entspannt zu sein, fast als ob er schliefe, wäre da nicht ein kaum merkliches Zucken seiner Kiefermuskeln gewesen.

„Du, Carl, hast ihn als Erster bei seinem Doppelspiel erwischt“, fuhr Peter fort. „Und wie immer in solchen Fällen hat sich auch Brian schließlich in seinen Lügen verstrickt und wusste nicht mehr, wem er was gesagt hatte. In jener Nacht bist du ihm aus einem reinen Instinkt heraus gefolgt, weil du das Gefühl hattest, er ginge woanders hin, als er behauptet hatte, und …“

„Ich weiß das alles“, unterbrach ihn Carl. „Ich habe diesen Film doch selbst gesehen. Mir hat nur das Ende nicht gefallen, und ich werde es jetzt bestimmt nicht besser finden.“

„Tut mir leid. Aber der Film hat eine Fortsetzung, und die kennst du noch nicht. Unsere Leute haben einen der Männer gefunden, denen Brian Informationen verkauft hat. Dieser Mann, ein gewisser Solvok, arbeitet mit allen Seiten zusammen und verkauft sich an den, der am meisten zahlt. Solvok sollte Brian eine beträchtliche Summe für eine Liste unserer Agenten in Bogan bezahlen. Die Agenten sollten dann umgebracht werden, Solvok sollte mit einer Beförderung belohnt werden, und jeder wäre zufrieden gewesen.“

Carl fluchte, aber Peter ließ sich nicht davon abhalten weiterzusprechen. „Inzwischen gab es aber diesen Putsch, bei dem die Regierung von Bogan abgesetzt wurde. Solvok und seine Leute tauchten in den Untergrund ab und verhielten sich zwei Jahre lang still. Jetzt ist Solvok wieder aufgetaucht und behauptet, die Liste mit den Namen der Agenten nie erhalten zu haben. Er habe Brian bereits fünfzig Prozent der verabredeten Summe im Voraus bezahlt, aber der Putsch habe stattgefunden, bevor Brian ihm die Liste hätte geben können. Solvok erklärt jetzt, Brian habe gesagt, falls etwas schiefginge, würde seine Frau eine Kopie der Liste haben.“

Carl setzte sich aufrecht hin. „Brian hatte keine Frau.“

„Doch. Hier wusste auch niemand davon, aber er hat drei Monate, bevor du ihn … vor seinem Tod in Dallas geheiratet. Es war nicht leicht herauszufinden, ob die Frau wirklich existiert, denn Brian hat nie die entsprechenden Papiere für die Sozialleistungen ausgefüllt. Aber es gibt diese Witwe tatsächlich.“

„Und?“

„Nun, was für eine Rolle spielt sie in der ganzen Geschichte? Hat sie die Liste? Wartet sie auf das beste Angebot, bevor sie sie verkauft? Sicher, nicht alle Agenten von damals sind heute noch in Bogan, aber gefährdet sind sie überall, wenn sie auf einer solchen Liste stehen. Ist Brians Witwe ahnungslos, hat zwar die Liste, weiß aber gar nicht, was da in ihrem Besitz ist? Gibt es diese Liste überhaupt? Und warum hat Brian niemandem von seiner Braut erzählt, noch nicht einmal dir, seinem besten Freund?“

„Schon gut, ich kapiere.“ Carl hob abwehrend die Hand. „Viele Fragen, keine Antworten. Versucht, alles über diese Frau zu erfahren, dann werdet ihr schon weiterkommen.“

„Das haben wir schon getan, du Schlauberger. Sie wuchs in einem Nest in der Nähe von El Paso auf und lebte mit einem jüngeren Bruder und einem ständig betrunkenen Vater zusammen. Die Mutter haute ab, als die Kinder zwei und vier waren. Brians Witwe heißt Haven, und sie verwendet ihren Ehenamen Larson, weil sie aus verständlichen Gründen nicht unter ihrem Mädchennamen Baxter bekannt sein will.“

„Was für Gründe?“

„Als Haven sechzehn war, verursachte ihr Vater volltrunken einen Autounfall, bei dem er selbst und eine Familie mit drei kleinen Kindern umkamen.“

„Verdammt, das ist hart.“

„Ja. Haven ging danach vorzeitig von der Schule ab, um für sich und ihren jüngeren Bruder das Geld zu verdienen. Wie sie es geschafft haben, dass die Behörden nicht auf sie aufmerksam wurden, ist mir ein Rätsel. Ihr Bruder Ted kam dann ziemlich häufig mit dem Gesetz in Konflikt, und vor zweieinhalb Jahren nahm man ihn erneut fest, weil er einen Spirituosenladen überfallen hatte. Kurz vor der Gerichtsverhandlung zog der Besitzer des Geschäfts seine Anklage zurück. Er behauptete, er habe sich bei der Identifikation des Täters geirrt. Kurz darauf fand dann die Heirat von Haven und Brian statt. Drei Monate später war Brian tot, und Ted wurde einen Monat danach bei einem Raubüberfall erschossen. Haven zog hierher nach Houston und arbeitet jetzt in einer Boutique. Das ist alles, was wir wissen.“

„Wie alt ist die Frau jetzt?“

„Fünfundzwanzig. Wir haben ein Bild von ihr. Möchtest du es sehen?“

„Nein, MacIntosh.“ Carls Stimme klang erneut müde. „Ich will kein Bild von Haven Larson sehen. Ich will auch nichts mehr von Haven Larson hören oder von ihrer Verbindung zu Brian und überhaupt von dem ganzen Fall. Du weißt selbst, dass es ein merkwürdiger Zufall ist, dass die Anklage zurückgenommen wurde und Brian und Haven gleich darauf geheiratet haben. Die ganze Geschichte ist merkwürdig. Und am merkwürdigsten ist, dass Brian nie etwas von dieser Haven erzählt hat.“

„Da bin ich ganz deiner Meinung, und es würde voraussichtlich ziemlich dauern, die einzelnen Teile dieses Puzzles zusammenzusetzen, bis die Sache einen Sinn ergibt. Und so lange wäre das Leben unserer Agenten in Gefahr. Wir müssen darum unbedingt schnellstens herausfinden, ob Haven Larson die Liste hat und welche Rolle genau sie bei dem Ganzen spielt.“

„Gute Idee“, erwiderte Carl gleichgültig.

„Wie gesagt, es ist natürlich möglich, dass Haven gar nichts mit der Liste vorhat. Schließlich hat sie zwei Jahre lang nichts deswegen unternommen. Aber dieses Risiko, dass sie irgendwo unbeachtet bei ihr herumliegt, können wir einfach nicht eingehen.“

„Ich wünsche euch viel Erfolg, Pete.“ Carl stellte beide Füße auf den Boden und machte Anstalten aufzustehen. Dann hielt er plötzlich inne und blickte Peter fragend an. „Warum glauben die großen Bosse eigentlich, dass ich die notwendigen Informationen aus Haven herausbekommen könnte? Ich kenne die Frau doch gar nicht. Ich wusste ja nicht einmal, dass es sie überhaupt gibt. Jeder andere wäre in dieser Situation doch genauso gut.“

„Wahrscheinlich weil du Brians bester Freund warst. Ihr kanntet euch schon als Kinder. Wenn Haven ebenfalls eine Spionin ist, dann wird man sie in Bezug auf Larson genau gedrillt haben. Und du bist der Einzige, der ihr auf die Schliche kommen kann, weil du Larson besser kanntest als jeder andere.“

Carl stützte beide Hände auf die Oberschenkel und erhob sich langsam. Er nahm den Hut ab, fuhr sich mit der anderen Hand durch das dichte Haar und rückte den Hut wieder zurecht.

„War nett, dich wiederzusehen, Pete. Du bist ja munter wie immer. Adios.“ Er wandte sich um und ging gemächlich zur Tür.

„Carl …“ Peters Stimme war leise, aber unüberhörbar, „ich habe dir noch nicht alles gesagt.“

Carl blieb stehen, drehte sich langsam wieder um und schüttelte angewidert den Kopf. „Aha, jetzt wird die Katze aus dem Sack gelassen“, erwiderte er sarkastisch. „Jetzt spielst du die Trumpfkarte aus, die mich dazu bringen soll, mich um Haven Larson zu kümmern. Aber deine Rechnung geht nicht auf. Dieses Mal nicht, MacIntosh. Ich kehre zu meiner Ranch zurück, wohin ich gehöre. Und es gibt nichts, was mich davon abhalten könnte.“

Peter stand nun ebenfalls auf und ging zur Fensterfront hinüber. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und blickte hinaus, aber nicht auf die Stadt, sondern in den Himmel, dessen leuchtende Bläue durch weiße Wolken unterbrochen wurde.

„Haven Larson“, begann er und wandte sich dann zu Carl um, „Haven Larson hat eine Tochter von Brian. Und vielleicht habe ich mich eben nicht deutlich genug ausgedrückt, aber wir wissen mit Sicherheit, dass Brian Solvok gesagt hat, Haven habe eine Kopie der Liste. Wer weiß sonst noch, wo diese Liste sein soll? Unabhängig davon, ob Haven schuldig ist oder nicht, das Leben des Kindes könnte in großer Gefahr sein.“

Erinnerungen stürzten auf Carl ein, so intensiv und stark, dass es schmerzte. Gleichzeitig stieg eine solche Wut in ihm hoch, dass er rot sah. Er ballte die Fäuste, während ihm das Blut in den Schläfen pochte.

„Verdammt noch mal, MacIntosh!“, zischte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Zum Teufel mit dir!“ Er holte tief Luft und seufzte. „Gib mir die Haven-Larson-Akte.“

Ein paar Minuten später stürmte Carl mit einem dünnen Hefter in der Hand aus der Tür und warf sie hinter sich ins Schloss.

Peter MacIntosh hatte sich nicht von der Stelle gerührt. „Es tut mir leid, Carl“, sagte er in den leeren Raum hinein. „Wirklich, es tut mir wahnsinnig leid, mein Junge.“

2. KAPITEL

Carl schob die Fliegentür auf und trat aus der hell erleuchteten Küche auf die große Veranda des Ranchhauses hinaus. Der Holzboden knarrte, als er an das Geländer trat und in die Nacht hinaussah. Er atmete tief das würzige Aroma der warmen Luft ein. Es roch nach Vieh und frischem Heu, nach Erde und Quellwasser.

Die Sterne funkelten wie Diamanten an dem nachtschwarzen Himmel, und die Leuchtkäfer tanzten durch die milde Luft, als wollten sie die Sterne zum Spiel auffordern.

Carl stieß einen Seufzer aus, der aus dem tiefsten Innern seiner Seele zu kommen schien. Im Allgemeinen fand er Frieden, wenn er nach dem Abendessen noch für ein paar Minuten auf die Veranda hinaustrat. Aber heute konnte er nicht zur Ruhe kommen.

Haven Larson. Er hatte noch nicht einen Blick in die Akte geworfen. Hinter dem Namen stand noch kein Gesicht, die Vergangenheit hatte ihn noch nicht eingeholt. Er hatte die Mappe nur achtlos auf seinen Schreibtisch geworfen und sich entschieden anderen Dingen zugewandt.

Es ärgerte ihn, dass Haven existierte, dass sie Brian geheiratet und ein Kind von ihm hatte. Diese Frau war verantwortlich dafür, dass sich der Abgrund in ihm, seine eigene grausame Hölle wieder auftat, die er so mühsam in sich verborgen gehalten hatte.

War Haven Larson genauso schuldig wie Brian? Oder war sie unschuldig in diese Situation geraten? Er musste es wissen, und er würde es herausbekommen. Aus einem einzigen Grund, den er jedoch nicht eine Sekunde aus seinen Gedanken verdrängen konnte: dass ein unschuldiges Kind möglicherweise in einem Netz aus Gefahr und Betrug mit gefangen war. Verdammt, darüber kam er nicht hinweg!

„Mr. Shannon, ich bin mit der Küche fertig.“ Eine untersetzte Mexikanerin von Anfang Fünfzig erschien in der offenen Tür.

„Danke, Lupe.“ Er wandte sich zu ihr um. „Ich brauche heute Abend nichts mehr. Gehen Sie ruhig nach Hause. Ich vermute, dass José schon auf sein Abendessen wartet.“

„Ach, dieser José“, sagte Lupe mit einem zärtlichen Lächeln. „Er ist immer hungrig wie ein Büffel.“

„Wolf“, verbesserte er sie. „Hungrig wie ein Wolf.“

„Wolf, sí.“ Lupe blieb zögernd in der Tür stehen. „Mr. Shannon, sind Sie heute traurig? Sie lächeln gar nicht und sehen so ernst aus.“

„Nein, nein, es ist alles in Ordnung. Ich muss nur über manches nachdenken. Machen Sie sich um mich keine Sorgen.“

„Ja, aber wer macht sich dann Sorgen um Sie, wenn Lupe es nicht tut? Sie brauchen eine Frau und Kinder, Lachen und fröhliche Stimmen in diesem großen Haus. Sie sind zu viel allein, Carl Shannon.“

Carl musste lachen. „Das haben Sie schon oft gesagt. Gehen Sie lieber, und machen Sie Ihrem Mann etwas zu essen.“

„Gut, ich gehe, aber nur wenn Sie lächeln.“

„Ich lächle ja. Gute Nacht, Lupe.“

„Gute Nacht, Mr. Shannon.“

Ein paar Sekunden später wurde das Licht in der Küche ausgeschaltet, und Carl blickte weiter hinaus in die Nacht. Ein Ausdruck der Wehmut lag auf seinem kantigen Gesicht.

Eine Frau, Kinder, Gelächter in einem großen Haus … Vor vielen, vielen Jahren hatte er auch selbstverständlich angenommen, dass das Teil seiner Zukunft sein würde. Aber dann hatte er einen anderen Weg gewählt, war er einen dunklen Pfad gegangen, auf dem eine Familie keinen Platz hatte.

Und jetzt? Jetzt war es zu spät, noch einmal die Richtung zu ändern. Jetzt war seine Seele von so vielen dunklen Schatten umgeben, war sein Herz zu tief unter Grauen und entsetzlichen Erinnerungen verborgen, dass die Wärme einer liebenden Frau und das Gelächter glücklicher Kinder nicht mehr zu ihm durchdringen könnten. Er war allein, und er würde allein bleiben, hier auf der Triple-S-Ranch.

Vor zwei Jahren hatte er die Welt des Todes und der Lügen, des Hasses und der Schuld verlassen und hatte diese Ranch gekauft. Seitdem hatte er hart gearbeitet, und jetzt konnte er endlich beginnen, die Früchte seiner Mühe zu ernten. Jetzt gehörte er hierher, hier war es ihm möglich, wenigstens ein gewisses Maß an innerer Ruhe zu finden. Diese Ranch war sein Zuhause, sein sicherer Hafen.

Unwillkürlich musste er bei Hafen an Haven denken. Er durfte es nicht länger hinausschieben. Er musste die Akte lesen.

Carl biss die Zähne zusammen und ging mit schweren Schritten in sein Büro.

Haven Larson reichte der elegant gekleideten Mittvierzigerin die hellrosa Tüte. „Ich bin sicher, dass Sie mit Ihrer Wahl zufrieden sein werden, Mrs. Emerson. Die sanfte Pfirsichfarbe steht Ihnen besonders gut.“

„Ich hoffe doch sehr, dass Billy mehr als zufrieden sein wird.“ Mrs. Emerson lachte. „Ich bin in letzter Zeit so nachlässig gewesen. Es wird Zeit, dass ich wieder ein wenig Spannung in meine Ehe bringe und meinem Billy zeige, dass ich ihn nicht für selbstverständlich nehme. Diese zarte Satin- und Spitzenwäsche sollte dafür genau das Richtige sein. Vielen Dank auch für Ihre Hilfe, Haven. Ich werde Ihnen dann berichten, ob ich Erfolg hatte. Ich werde Billy Emerson hoffentlich davon überzeugen können, dass das Leben nicht nur aus Ölquellen besteht. Ciao.“

„Auf Wiedersehen, Mrs. Emerson.“ Havens Lächeln wurde eine Spur wehmütig, als sich die Tür hinter ihrer Kundin geschlossen hatte. Billy Emerson konnte sich wirklich glücklich schätzen. Er wurde von einer Frau geliebt, die nicht nur schön war, sondern auch kultiviert und elegant. Mrs. Emerson würde es sicher gelingen, ihren Billy seine Ölquellen für eine Weile vergessen zu lassen.

Die Kunden des „Schatzkästchens“ stammten alle aus der reichen Oberschicht, wo Jachten, riesige Häuser, Privatflugzeuge und Autos mit Chauffeur zum täglichen Leben gehörten.

Ihre Welt war eine ganz andere, und sie konnte sich kaum vorstellen, in einem solchen Reichtum zu leben wie ihre Kundinnen.

Aber beneidete sie sie darum? Manchmal schon, wenn sie wieder einmal Mühe hatte, mit ihrem Geld bis zum nächsten Ersten auszukommen, oder wenn sie von einer wirklich guten, liebevollen Beziehung hörte wie der der Emersons. Auf der anderen Seite hatte sie etwas, was all die Schwierigkeiten ihres täglichen Lebens wettmachte. Sie hatte Paige, ihre wunderbare, achtzehn Monate alte Tochter. Geld und soziale Stellung bedeuteten nichts im Vergleich zu diesem Glück.

Haven lächelte, als sie an ihr Baby dachte, als sie es im Geist vor sich sah und sein fröhliches Lachen hörte. Wie hell war ihr Leben seit der Geburt ihrer Tochter! Die dunklen Schatten einer Vergangenheit voller Leid und Einsamkeit waren zurückgedrängt. Paige und sie waren ein Team, und gemeinsam würden sie das Leben schon meistern.

Sie würde alles tun, was ihr möglich war, um Paige vor Schmerz zu behüten. Ihr Kind sollte immer wissen, dass es geliebt wurde. Es würde vielleicht nicht die gleichen materiellen Dinge zur Verfügung haben wie seine Spielkameraden, aber sie würde immer ihre Liebe haben.

Haven wurde durch die Türglocke aus ihren Gedanken gerissen. Zwei junge Frauen mit großen Einkaufstüten, die mit den Namen exklusiver Boutiquen bedruckt waren, traten ein.

„Guten Tag“, begrüßte Haven sie freundlich und mit einem Lächeln. „Darf ich Ihnen helfen?“

„Wir wollen uns erst ein wenig umsehen“, sagte eine der Frauen, „aber wir werden sicher etwas kaufen. Unsere Männer sollen dafür büßen, dass sie den ganzen Tag ohne uns auf dem Golfplatz verbringen.“

„Und das werden sie bestimmt“, fügte die andere hinzu und lachte. „Wenn sie erst die Rechnungen von unserem heutigen Einkaufsbummel bekommen, werden sie es sich das nächste Mal gründlich überlegen, ob sie uns noch einmal so vernachlässigen.“

Die beiden mögen ja reiche Ehemänner haben, dachte Haven, und vielleicht auch den Schrank voller teurer Kleider. Aber ich habe Paige.

Carl stand an einen Baumstamm gelehnt in der kleinen Grünanlage gegenüber der Boutique „Schatzkästchen“. Wer ihn so sah, musste annehmen, dass er auf seine Frau oder Freundin wartete, die in einem der teuren Läden einkaufte.

Niemand in Houston würde sich darüber wundern, dass er verwaschene Jeans und ein schlichtes Hemd anhatte. Jeder echte Texaner wusste, dass hier ein Mann wie ein heruntergekommener Cowboy aussehen konnte und dennoch Millionär war.

Carls Hosen waren an den Knien durchgescheuert, und das ehemals blaue Hemd war jetzt eher grau. Seine Stiefel waren ungeputzt.

Manchen Männern war der Zustand ihrer Stiefel wichtiger als jeder andere Aspekt ihrer Kleidung. Wenn sie vom Land in die Stadt kamen, mochten ihre Jeans schlammbespritzt sein, ihre Stiefel aber waren auf Hochglanz poliert.

Einem anderen Rancher war vielleicht seine Gürtelschnalle wichtiger, und sie war aus schwerem Silber gearbeitet und blank poliert.

Carl Shannon war auf seinen Stetson besonders stolz. Er besaß ihn schon seit vielen Jahren. Der Stetson stammte noch aus einer Zeit, da sein Leben als Rancher nur als schöner Traum existiert hatte, den er verwirklichen würde, sobald er den Geheimdienst quittiert hätte.

Der Stetson hatte oft monatelang an einem Haken in einem spärlich möblierten Zimmer in Washington gehangen, während sein Besitzer als Agent in Europa zu tun hatte. Wenn er dann an Körper und Seele hundemüde wieder heimgekehrt war, hatte er ihn sofort aufgesetzt, seinen Vorboten auf eine schönere Zukunft.

Carl verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein und zog sich den Stetson tiefer in die Stirn. Der Hut war tiefschwarz und fühlte sich wunderbar weich an, wie die Haut einer schönen Frau. Das Hutband war mit Silber verziert, und dem Stetson konnten selbst Wind und Wetter nichts anhaben. Carl strich liebevoll über den Hutrand. Mehr denn je musste er sich heute immer wieder vergewissern, dass er jetzt ein Rancher war und nicht mehr für den verhassten Geheimdienst arbeitete. Doch er sollte seine momentane Aufgabe eigentlich schnell abgeschlossen haben, und er konnte währenddessen wenigstens jede Nacht in seinem eigenen Bett schlafen.

Es dürfte im Grunde nicht lange dauern herauszufinden, wie gut Haven Larson Brian gekannt hatte und ob sie in ihn verliebt gewesen war, als sie ihn heiratete. Wenn sich herausstellte, dass ihr bestimmte Details aus seinem Leben bekannt waren, würde er wissen, dass die Ehe nur deshalb zustande gekommen war, weil ihr Mann für den Geheimdienst arbeitete und sie ihren Bruder schützen wollte. Aber würde sie deshalb schon von der ganzen Spiongeschichte wissen? Was war ihre Rolle im Hinblick auf die Liste?

Er würde das Rätsel lösen. Schrittweise, aber zielsicher. Als Erstes musste er untersuchen, wie viel die junge Witwe von ihrem verstorbenen Mann wusste. Doch er würde die Aufrichtigkeit ihrer Beziehung bald beurteilen können, denn er hatte Brian wie einen Bruder gekannt und geliebt.

Und er hatte Brian getötet.

Carl fluchte leise. Eigentlich wollte er gar nicht hier sein. Am liebsten hätte er das ganze Problem wieder MacIntosh überlassen. Und er hätte Peter erwürgen können, weil der gnadenlos seinen wunden Punkt gefunden hatte, gegen den er machtlos war: Das Baby. Haven Larson hatte ein unschuldiges kleines Baby.

Falls diese Frau wirklich nur eine Schachfigur in einer von Brians falschen Spielen gewesen war, dann war es jetzt seine, Carls, Aufgabe, sie und das Kind zu schützen. Falls sie eine Spionin war, musste er dafür sorgen, dass das Kind ein neues Zuhause bekam, bei fürsorglichen Pflegeeltern.

Nichts, absolut gar nichts durfte dem unschuldigen Baby zustoßen.

Okay, er hatte die Boutique lange genug beobachtet. Jetzt war es Zeit zu handeln.

Haven lächelte unwillkürlich, als sie erneut aus dem Fenster blickte. Der Cowboy war also doch nicht an dem Baumstamm festgeklebt. Sie hatte ihn schon vor einer Stunde bemerkt, als er mit lässigen, langen Schritten in den kleinen Park gegangen war. Seine Schultern waren breit, die Hüften schmal, und sein leicht wiegender Gang wirkte ausgesprochen sexy.

Sie hatte ihn hin und wieder beobachtet, wenn sie gerade nicht mit ihren Kundinnen beschäftigt war, und sich gewundert, dass er mittlerweile bewegungslos an einem der Bäume lehnte. Ein paarmal war sie zurückgezuckt, weil sie das Gefühl hatte, als würde er sie durch die Scheibe direkt anblicken. Aber das bildete sie sich bestimmt nur ein, weil sie selbst den Mann so ausgiebig betrachtete, was sonst gar nicht ihre Art war.

Und jetzt kam dieser Mann auch noch genau auf den Laden zu.

Haven holte tief Luft und starrte ihm entgegen. Echte Cowboys wie dieser kamen nie in einen solchen Laden, eine exquisite Boutique. Und da sie ihr Leben lang in Texas gelebt hatte, konnte sie einen echten Cowboy mit einem Blick erkennen. Wahrscheinlich würde er im letzten Moment die Straße hinuntergehen, aber nein, er streckte die Hand nach dem Türgriff aus und …

Carl trat in das „Schatzkästchen“, schloss die Tür hinter sich und sah überrascht nach unten. Seine Stiefel versanken fast in dem dicken weichen Teppich. Dann sah er hoch und überflog den Raum mit einem Blick. Spitzenwäsche in allen Farben des Regenbogens war ausgestellt, sanfte Musik klang aus dem Hintergrund, und ein zarter Blumenduft wehte ihm in die Nase.

Er überlegte kurz, was diese winzigen Gebilde aus Seide und Spitzen wohl kosten mochten, entschied dann aber, dass er das gar nicht wissen wolle.

Dann sah er Haven Larson.

Es traf ihn wie ein Schlag aus heiterem Himmel, und eine plötzliche Hitze schoss durch seine Lenden. Das Bild in der Akte wurde ihr nicht gerecht. Darauf war etwas unscharf eine attraktive Frau zu erkennen gewesen, der die blonden Locken auf die Schultern fielen und die abgeschnittene Jeans und ein übergroßes T-Shirt trug, das ihre Figur verbarg.

Auf die Frau, die jetzt vor ihm stand, war er deshalb nicht vorbereitet gewesen. Haven Larson war nicht nur attraktiv, sie war bildschön. Atemberaubend schön.

Kurze weiche Locken umrahmten ihr zartes Gesicht. Sie hatte große, ausdrucksvolle Augen, so blau wie der texanische Himmel im Sommer. Ein schlichtes hellrotes Kleid betonte ihre schlanke, sexy Figur.

Sie blickte ihm ruhig in die Augen. „Kann ich Ihnen helfen?“

Er musste sich zusammenreißen, um langsam auf sie zuzugehen.

Haven schluckte, und ihr Herz schlug schneller. Dieser Mann war von einer unglaublichen Attraktivität. Die markanten, kantigen Gesichtszüge mit den hohen Wangenknochen, dem energischen Kinn, der geraden Nase und den festen, sinnlichen Lippen waren von einer umwerfenden Männlichkeit. Und dann sein Gang, ein weicher, wiegender, lässiger Gang …

Carl blieb vor dem Ladentisch stehen und tippte kurz an seinen Stetson. „Madam.“

Sie nickte ihm zu. „Kann ich Ihnen irgendetwas Besonderes zeigen, oder wollten Sie sich erst einmal nur umschauen?“

Er warf einen kurzen Blick auf die ausgelegte Ware und zog dann die Brauen zusammen. „Ich bin nicht zum Kaufen hergekommen. Ich habe vor Kurzem erst von Ihrer Existenz erfahren und wollte nur mal Guten Tag sagen.“

„Von meiner Existenz? Ich verstehe nicht …“

„Sie sind doch Brian Larsons Frau, beziehungsweise seine Witwe“, erklärte er. Seine Stimme klang vollkommen ruhig.

Haven starrte Carl wortlos an. Sie hielt sich mit den Händen am Ladentisch fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Schwarze Punkte tanzten ihr vor den Augen, und sie schwankte unsicher hin und her.

„Nun mal langsam.“ Carl fasste sie spontan um die Schultern. „Nur nicht ohnmächtig werden. Madam? Mrs. Larson? Haven? Haven!“

Haven riss sich zusammen und schloss kurz die Augen, um den kleinen Schwindelanfall zu überwinden. Als sie die Augen wieder öffnete, lag Carls besorgter Blick auf ihrem Gesicht.

„Danke, es geht schon wieder“, sagte sie leise. „Ich war nur überrascht. Ich habe seinen Namen so lange nicht gehört. Wer sind Sie?“

Carl ließ vorsichtig ihre Schultern los, richtete sich auf und steckte die Hände in die Taschen. „Ich bin Carl Shannon.“ Er schaute Haven aufmerksam an, um zu sehen, ob sein Name ihr etwas sagte. In ihren Augen flackerte kein Zeichen des Erkennens auf. „Brian und ich sind zusammen in Austin aufgewachsen. Wir waren die besten Freunde bis er …“ Bis er sein Vaterland verriet. Bis ich ihn erschoss. Laut sagte er: „… bis er starb.“

„Ich verstehe.“ Haven spürte immer noch die Wärme seiner kräftigen Hände auf den Schultern. Die Berührung dieses Mannes war energisch und gleichzeitig behutsam gewesen. „Ich fürchte, Brian hat nie von Ihnen gesprochen, Mr. Shannon.“

„Nennen Sie mich Carl. Brian hat Sie nie mit all den wilden Geschichten aus unserer Jugendzeit gelangweilt? Er hat doch sonst jedem davon erzählt.“

Haven wandte sich ab und ordnete die Visitenkarten, die in einem durchsichtigen Plastikbehälter neben der Kasse standen. „Nun, mir gegenüber hat er von diesen Erlebnissen nie gesprochen. Also, Mr. Shannon …“

„Carl.“

„Also Carl, wenn Sie weiter nichts wollten … Es war nett, dass Sie vorbeigekommen sind. Ich hoffe, Sie sind nicht enttäuscht, dass er Sie nie erwähnt hat. Aber in der kurzen Zeit, die wir zusammen hatten, hat er an einem komplizierten Projekt gearbeitet und wenig Muße für anderes gehabt. Ich bin sicher, dass ihm die Freundschaft mit Ihnen viel bedeutet hat. Vielen Dank für Ihren Besuch. Wenn Sie mich bitte jetzt entschuldigen würden …“

„Wieso reden Sie denn auf einmal so viel? Mach’ ich Sie nervös?“ Carl lächelte.

Havens Blick wurde ärgerlich. „Seien Sie nicht albern …“ Verschwinden Sie, Carl Shannon. Lassen Sie mich in Ruhe. Ich will nicht über Brian sprechen. Ich will überhaupt nicht daran erinnert werden, dass es ihn je gegeben hat. Laut sagte sie: „Adieu.“

„Aber, Haven, Madam, Adieu klingt nun wirklich entsetzlich endgültig“, sagte Carl in betont breitem texanischem Dialekt „Warum sagen Sie nicht einfach ‚bis später‘?“

„Ich glaube nicht, Mr. Shannon …“

„Carl. Und warum nicht, Madam? Ich glaube schon, dass wir uns wiedersehen. Und wenn ich was glaube, dann passiert das auch.“

„Einen Moment mal!“ Havens blaue Augen funkelten vor Wut. „Ich habe schließlich auch noch ein Wörtchen dabei mitzureden, wen ich wiedersehen möchte …“

„Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen Tag, Ma’am.“ Carl tippte wieder an seinen Stetson, drehte sich um und ging aus der Tür, ohne einen Blick zurückzuwerfen.

Haven starrte ihm beunruhigt nach und verschränkte fest die Arme vor der Brust, als sei ihr plötzlich kalt.

3. KAPITEL

Carl leerte den schweren Kaffeebecher und stellte ihn auf den runden Holztisch vor sich. Er war nahezu der einzige Gast in dem kleinen Café, und so konnte er seinen Gedanken in Ruhe nachhängen. Und alle seine Gedanken drehten sich nur um Haven.

Jedes Mal, wenn er das kurze Gespräch mit ihr in der Boutique noch einmal im Geiste durchgehen wollte, sah er Haven vor sich und konnte nicht mehr logisch denken, eine Erfahrung, die er so noch nie gemacht hatte. Er hatte schon vor Jahren gelernt – es bei den lauernden Gefahren seiner Arbeit auch lernen müssen –, sich durch nichts von den nüchternen Tatsachen eines Falls ablenken zu lassen, und war immer stolz darauf gewesen, dass er seine subjektiven Gefühle und den objektiven Stand der Dinge streng voneinander trennen konnte.

Dieses Mal aber war es anders. Immer, wenn er kurz davor war, gewisse logische Schlüsse aus dem zu ziehen, was er gehört und gesehen hatte, schob sich Havens attraktive Gestalt vor sein inneres Auge, und es gelang ihm nur unter großen Anstrengungen, ihr Bild aus seiner Vorstellung zu verbannen.

Bisher war er noch zu keinem vernünftigen Schluss gekommen. Doch er war sicher, dass sein Name ihr wirklich nichts gesagt hatte und dass ihr Schock, als er den Namen ihres verstorbenen Mannes ausgesprochen hatte, echt gewesen war.

Abgesehen davon wusste er eigentlich nur, dass Haven eine atemberaubend schöne Frau war, die sich nicht alles gefallen ließ, und dass sie dennoch auf eine stille, bezaubernde Weise verletzlich war. Und dass sie ihn vollkommen verrückt machte.

Er konnte nicht vergessen, wie zart ihr Körper gewesen war, als er sie in dem Laden vor einer Ohnmacht bewahren wollte. Ein Mann würde sanft mit ihr umgehen müssen – wenn er sie berührte, wenn er sie in seine Arme zog, wenn er sie liebte …

„Nimm dich zusammen, Shannon“, sagte er leise zu sich selbst und konnte doch nicht verhindern, dass prickelnde Erregung ihn durchfuhr. Er schüttelte ärgerlich den Kopf und trommelte mit den Fingern nervös auf dem Tisch.

Verdammt, er hatte sich zu konzentrieren! Okay, er war zwei Jahren aus der Übung, und deshalb war es verständlich, dass er sich so leicht ablenken ließ. Aber mit etwas Willenskraft würden seine Erfahrung und seine Objektivität wieder die Oberhand gewinnen. Ganz bestimmt.

Haven … Schon wieder musste er an sie denken. Sie hatte wirklich die größten blauen Augen, die er je gesehen hatte. Er war wie hypnotisiert gewesen, ihm war glühend heiß geworden, und er hatte nichts weiter gewollt, als in der Tiefe dieser blauen Seen zu versinken.

Und erst ihr Mund! Ihre Lippen waren so voll und weich. Sie schienen wie geschaffen zum Küssen.

„Möchten Sie noch etwas Kaffee?“

Er fuhr hoch. Die Kellnerin, die ihn ansprach, war nicht dieselbe, die ihm seinen Kaffee gebracht hatte. Diese Frau war in den Vierzigern, hatte zu rot gefärbtes Haar und zu viel Make-up aufgelegt, und die enge Uniform betonte unvorteilhaft, wie füllig sie war. Ihre Augen wirkten müde, aber sie lächelte ihn breit und freundlich an.

Er fand sie sympathisch. „Nein, danke, Ma’am“, sagte er und erwiderte ihr Lächeln. „Ich habe schon besseren Kaffee getrunken.“

„Aber diesen habe ich gerade frisch für Sie gebrüht, Cowboy. Sie können sich darauf verlassen, dass Sie nie einen besseren getrunken haben.“

Er nickte abwesend. „Also gut, danke.“

Die Kellnerin füllte seinen Becher und wandte sich zum Gehen. Dann blieb sie noch einmal stehen. „Ist sie es wirklich wert?“

„Wie bitte?“

„Cowboy, es ist doch offensichtlich, dass du Liebeskummer hast. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass es Frauen gibt, die dir Schwierigkeiten machen. Auf jeden Fall hoffe ich, dass sie es wert ist.“ Sie drehte sich um und ging.

Liebeskummer? Wegen Haven Larson? Wie kam sie denn darauf? Ihm ging es doch nur um den Fall, den er zu lösen hatte. Er war als Geheimagent ein wenig aus der Übung, aber das war auch alles.

Er nahm einen Schluck Kaffee, der genauso schlecht war wie der erste, und starrte aus dem Fenster. Wie sollte er vorgehen? Er hatte Haven deutlich gesagt, dass sie ihn nicht das letzte Mal gesehen hatte, und das hatte sie so ärgerlich gemacht, dass sie ihn wütend angeblitzt hatte.

Aber da war noch etwas gewesen. Es hatte nicht nur Wut in ihren blauen Augen gestanden, sondern auch Furcht.

Verdammt, er hatte sie mit seiner Ankündigung, dass sie ihn auf jeden Fall wiedersehen würde, verängstigt. Er fuhr sich nachdenklich über das Kinn.

Na, schön, vielleicht sollte sie auch Angst haben, wenn sie etwas zu verbergen hatte, wenn sie so schuldig war wie Brian. Was aber, wenn sie völlig unschuldig war? Dann war es wirklich unverzeihlich von ihm, dass er sie so erschreckt hatte.

Sollte sie schuldlos sein, sollte sie wirklich nur eine allein erziehende Mutter sein, die den Lebensunterhalt für sich und ihre Tochter verdiente, dann hatte er ganz sicher nicht das Recht, in der Vergangenheit zu wühlen und sie damit zu erschrecken. Dann hatte er sich wirklich unfair verhalten.

Auf der anderen Seite konnte man ihm nichts vorwerfen, schließlich tat er nur, was nötig war. Er hatte sich um diesen Job bestimmt nicht gerissen, aber nun, da er ihn übernommen hatte, musste er ihn auch ordentlich und bis zum bitteren Ende durchführen.

Er war selten so unsicher gewesen, wenn es um eine Arbeit wie diese ging. Aber Haven Larson hatte offenbar irgendetwas in ihm geweckt, das lange Zeit verschüttet gewesen war.

Carl fluchte leise, schob sich aus der Sitzbank, warf ein paar Münzen auf den Tisch, stand auf und ging.

Es war kurz nach sechs Uhr abends, und Haven Larson schloss die hintere Tür der Boutique ab. Es war ein langer Tag gewesen. Sie ging mit schnellen Schritten zum Parkplatz, blieb dann aber wie angewurzelt stehen. Carl Shannon stand gegen ihr Auto gelehnt und sah ihr ruhig entgegen.

Haven kniff ein paarmal verzweifelt die Augen zusammen, wie um eine Einbildung zu verscheuchen. Aber der Mann, den sie schon den ganzen Nachmittag nicht aus ihren Gedanken hatte verbannen können, stand leibhaftig vor ihr. Ihr Herz schlug schneller. Er wirkte so groß und beherrschend und sah auf eine raue Weise so unglaublich gut aus. Vor allen Dingen hatte er diese ungeheuer männliche Ausstrahlung.

Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und die Füße locker gekreuzt. Sein tief in die Stirn gezogener Stetson beschattete das Gesicht und machte es ihr unmöglich, seinen Ausdruck zu erkennen.

Er ist wirklich die personifizierte Männlichkeit, dachte Haven, und ihr Atem flog. Aber er war nicht nur das. Dieser Mann bedrohte ihr ruhiges Leben. Er störte ihren Seelenfrieden. Carl Shannon hatte Brian sein Leben lang gekannt, und jetzt wollte er ihre Gegenwart mit der Vergangenheit belasten. Nein, das würde sie nicht zulassen.

Sie straffte die Schultern, reckte das Kinn und ging auf ihn zu.

Da habe ich mir ja etwas eingebrockt, dachte Carl. Haven Larson kam direkt und so entschieden auf ihn zu, als ob sie ihn zum Kampf herausfordern wollte. Sie schien kurz davor zu sein zu explodieren, und wirkte doch gleichzeitig zart und verletzlich. Bei ihrem Anblick wurde ihm erneut höllisch heiß.

Einen Meter vor ihm blieb sie stehen. „Mr. Shannon“, sagte sie kühl, „würden Sie sich bitte von meinem Auto wegbewegen? Und zwar sofort!“

Er tippte mit zwei Fingern zum Gruß an seinen Hut. „Abend, Ma’am. Schöner Tag, was?“ Er machte keine Anstalten, sich von ihrem Auto zu entfernen.

„Es war ein schöner Tag, bis ich Sie an meinem Wagen gesehen habe“, entgegnete sie und hob ihr Kinn noch einen Zentimeter höher. „Verschwinden Sie! Ich will es nicht noch einmal sagen müssen.“

„Das ist gut“, sagte er ungerührt, „sonst würde es ja auch langweilig werden.“ Er bewegte sich nicht.

Haven atmete ein paarmal tief durch. „Sie sind unhöflich. Unhöflich, arrogant und eingebildet.“

Carl nickte. „Ja, das stimmt wahrscheinlich. Und da wir uns jetzt darüber einig sind … wollen wir nicht eine Kleinigkeit zusammen essen?“

„Sie sind ja wohl verrückt geworden!“ Haven schüttelte ungläubig den Kopf. „Wer sind Sie eigentlich? Ich kenne Sie doch gar nicht!“

Carl schob den Hut aus der Stirn und sah ihr direkt in die Augen. „Ich war viele Jahre lang Brian Larsons bester Freund“, sagte er ernst und leise. „Ich weiß nicht, warum er mir nie von Ihnen erzählt hat und ich von Ihnen auf andere Weise erfahren musste. Aber Sie und ich, Haven, haben ihn beide gekannt, und ich würde mit Ihnen gern ein wenig über ihn sprechen. Das ist alles.“

Haven presste die Lippen zusammen. Carl Shannon war nicht fair. Als er eben von Brian sprach, war eine Sekunde lang echter, tiefer Schmerz in seinen Augen gewesen. Es war nun einmal so, dass sie eine Verbindung zu seinem besten Freund war, den er geliebt und dann verloren hatte.

Er würde ihr nicht glauben, dass sie wirklich kaum etwas über Brian wusste. Wenn sie sich aber weigerte, mit ihm über Brian zu reden, würde er sie für gefühllos und kalt halten, weil ihr sein Verlust offenbar so wenig bedeutete.

Und aus irgendeinem unerfindlichen Grund wollte sie nicht, dass Carl Shannon schlecht von ihr dachte.

Auf der anderen Seite wollte sie aber auf keinen Fall erklären, warum sie Brian geheiratet hatte. Sie wollte die schmerzlichen Erinnerungen nicht wieder aufleben lassen und sich nicht seinem strengen Urteil unterwerfen müssen.

Vielleicht konnte sie ihn dazu bringen, selber ausführlich von Brian zu erzählen, sodass es nicht auffallen würde, wie wenig sie ihren Mann gekannt hatte. Eins war jedenfalls klar: Nachdem sie den Schmerz in seinen Augen gesehen hatte, konnte sie Carl Shannon nicht mehr einfach wegschicken.

„Gut“, sagte sie schließlich und seufzte. „Sie können mir ja zu meiner Wohnung folgen, und wir können uns dort kurz unterhalten.

„Das wäre schön.“ Carl berührte wieder den Hut mit dem Zeigefinger und trat ein paar Schritte von ihrem Wagen weg. „Ich habe eine Idee. Wie wäre es, wenn Sie mir Ihre Adresse geben, und ich hole uns etwas zum Essen und komme dann nach? Immerhin ist Abendbrotszeit.“

Haven zögerte. „Ja, das klingt gut“, meinte sie dann. „Wie wäre es mit Hamburgern, Pommes frites und einem dicken Schokoladenshake?“

Carl lächelte. „Wird gemacht.“

Haven lächelte jetzt auch und blickte ihn offen an. Sie standen sich still und bewegungslos gegenüber und schienen kaum zu atmen. Ihr Lächeln verging, und sie sahen sich tief in die Augen. Ein Knistern lag in der Luft, ihr Puls raste, und die Zeit schien stillzustehen.

Wie magisch angezogen, hob Carl die Hand und strich mit dem Daumen langsam und sanft über Havens Wange. Es war nur eine kleine Berührung, sein rauer Daumen auf ihrer samtweichen Haut, aber sie spürten beide brennendes Begehren in sich aufsteigen.

„Haven …“ Der Klang seiner Stimme, die vor Leidenschaft dunkel und heiser war, brachte Carl wieder zu sich. Rasch zog er seine Hand zurück und kniff die Augen zusammen.

„Wie ist Ihre Adresse?“, fragte er knapp.

„Wie ist meine … was?“ Auch Haven kam erst durch die Atemlosigkeit in ihrer Stimme wieder in die Wirklichkeit zurück. Sie schluckte und trat einen Schritt zur Seite. „Ach ja, meine Adresse.“ Sie gab sie ihm. „Also dann bis gleich.“

Eilig ging sie um Carl herum, stieg in ihren Wagen und steckte den Schlüssel ins Schloss. Ihre Hand zitterte.

Carl sah Haven einen langen Augenblick an. Dann wandte er sich wortlos um und ging mit langen Schritten zu seinem Pick-up. Er riss die Tür auf, schob sich hinters Steuer und zog heftig die Tür zu. Er startete den Motor und wartete bewegungslos, bis Haven den Parkplatz verlassen hatte.

Dann schlug er mit der flachen Hand auf das Steuerrad und fluchte laut und ausgiebig. Erst Sekunden später legte er den Gang ein und fuhr dann so abrupt an, dass die Reifen quietschten. Zähneknirschend trat er auf die Bremse. Immer mit der Ruhe, Shannon, redete er sich gut zu. Sinnlos, wie ein Idiot zu fahren. Das hilft dir auch nicht weiter.

Helfen bei was? Was war denn da eben mit ihm geschehen?

In seinem ganzen Leben hatte er noch nie so etwas erlebt wie das mit Haven. Er hatte seine Emotionen und seine körperlichen Reaktionen immer fest unter Kontrolle gehabt. Und jetzt war er von dieser Frau wie verzaubert gewesen, wie verhext von ihren großen tiefblauen Augen und ihrer hinreißenden weiblichen Ausstrahlung.

Verdammt, wie hatte ihm das passieren können? Und was bedeutete es?

Er hatte keine Ahnung, doch er war so wütend auf sich, so außer sich, dass die Bedeutung ihm eigentlich völlig gleichgültig war.

Eins aber wusste er genau: Das durfte nicht noch einmal geschehen.

4. KAPITEL

Haven war immer der Meinung gewesen, dass sie mit ihrer Tochter Paige in einem Häuschen wohnte, einem gemütlichen kleinen Häuschen, aber ganz sicher nicht einem regelrechten Haus. Der Vermieter hatte in seiner Werbebroschüre allerdings von einem Bungalow gesprochen.

Sechs dieser Häuschen standen in Hufeisenform um eine Rasenfläche herum, auf der zwei Picknicktische, ein Holzkohlengrill aus Backsteinen und eine Schaukel aufgestellt waren.

Haven parkte ihr Auto auf dem schmalen Streifen von Stellplätzen davor, stellte den Motor ab und blieb noch einen Augenblick still sitzen.

Carl Shannon. Die ganze Zeit auf dem Weg nach Hause war sie in Gedanken immer wieder durchgegangen, hatte analysiert und überlegt, was genau da auf dem Parkplatz vor der Boutique zwischen ihr und Carl Shannon vorgegangen war. Dieser Mann war gefährlich für sie. So viel stand fest. Er hatte etwas mit der Vergangenheit zu tun, mit Brian und vielen anderen Erinnerungen. Erinnerungen, die sie am liebsten vergessen würde.

Aber es war nicht nur das. Carl Shannon erregte sie. Er hatte Wünsche in ihr wachgerufen, die sie lange für verschüttet gehalten hatte. Mehr noch. Sie sehnte sich nach diesem Mann, wie sie sich noch nie nach einem Mann gesehnt hatte.

Sie wollte in seinen Armen liegen.

„Nein“, sagte sie laut und entschieden, als könne sie ihn damit aus ihren Gedanken vertreiben. Sie schüttelte den Kopf und öffnete dann energisch die Autotür.

Ihr Häuschen lag hinten. Es war das am weitesten von der Straße entfernte. Haven schloss die Tür auf und trat ein.

Carl Shannon und die Probleme der Vergangenheit waren für den Augenblick vergessen, als Paige vergnügt auf sie zuwackelte. Haven lachte, beugte sich hinunter und nahm ihre kleine Tochter auf den Arm. Sie war zu Hause, und nichts war mehr wichtig außer ihrem kleinen Mädchen. Sie drückte sie fest und zärtlich an sich und atmete entzückt den sauberen Duft ihrer Haut nach Kinderpuder und Seife ein.

Paige zappelte in ihren Armen. „Mama, Mama …“, rief sie.

Haven küsste sie und ließ sie dann wieder auf den weichen Teppich hinunter. Sie richtete sich auf und lächelte der Frau zu, die neben dem Tisch stand. Marian war Ende Fünfzig, wirkte aber wegen ihrer schneeweißen Haare und dem faltigen Gesicht etwas älter. Sie war klein und untersetzt und war für sie von Anfang an der Inbegriff einer lieben, fürsorglichen Großmutter gewesen.

„Hallo, Marian, war Paige heute brav?“

„Ja, sie war sehr lieb. Sie hat wie ein kleines Schweinchen gegessen, hat dann einen schönen langen Nachmittagsschlaf gemacht und war sehr fröhlich.“

„Gut.“

„Ich gehe dann jetzt nach Hause. Es ist wirklich praktisch, dass ich gleich nebenan wohne. Da muss ich mich nicht jeden Morgen und jeden Abend in den Berufsverkehr stürzen.“ Marian lachte und winkte ab. „Aber das sage ich ja wohl mindestens dreimal in der Woche.“ Sie nahm eine große Stofftasche hoch, die mit bunten Blumen bestickt war. „Mein Strickzeug und meinen Roman habe ich. Soll ich mich darauf einstellen, morgen wiederzukommen? Hast du für dieses Wochenende etwas vor, Haven?“

„Nein, eigentlich nicht.“

Marian schüttelte den Kopf und meinte dann mit milder Anklage: „Du solltest wirklich nicht so oft allein sein. Du solltest ausgehen und einen flotten Mann kennenlernen.“

Haven lachte. „Auch das sagst du mir wohl mindestens dreimal die Woche.“

„Aber es stimmt ja auch.“ Marian ging zu Paige und küsste das kleine Mädchen auf den Kopf. „Bis bald, mein Herzchen. Bye, bye.“

„Bye, bye“, krähte die Kleine und winkte mit beiden Händen.

Marian winkte zurück und war schon fast an der Tür, als plötzlich laut geklopft wurde.

Carl! Wie hatte er es nur so schnell geschafft zu kommen? Haven blickte wie hypnotisiert auf die Tür, während ihr Herz wild pochte.

„Haven? Schläfst du, Haven? Es klopft jemand.“

„Ach so, ja wirklich, es klopft.“ Ihre Verwirrung war ärgerlicherweise offensichtlich. Sie unterdrückte ein Seufzen, ging um Marian herum, die wie angewurzelt dastand, und öffnete die Tür. Carl, der zwei große weiße Tüten im Arm hatte, lächelte sie an.

„Oh, hallo, Carl, kommen Sie doch herein.“ Sie erwiderte sein Lächeln und trat ein paar Schritte zurück. „Das riecht ja sehr gut“, fügte sie noch hinzu, als er an ihr vorbeiging.

Dann drehte sie sich um. „Marian, darf ich dir Carl Shannon vorstellen?“ Sie wandte sich an Carl. „Carl, dies ist Marian Smith, meine Nachbarin, gute Freundin und Paiges Babysitter. Und der kleine Kobold dort ist meine Tochter Paige.“

„Dada!“, rief Paige und klatschte in die Hände. „Dada, dada, dada.“ Sie lief auf Carl zu und umklammerte sein Bein.

Carl beugte sich lächelnd zu ihr hinunter. „Hallo, mein Mädchen.“

„Sehr angenehm, Sie kennenzulernen“, sagte Marian und strahlte auf einmal über das ganze Gesicht.

„Ich freue mich auch“, erwiderte Carl freundlich und hob grüßend die Finger an den Hut.

„Dada!“, jauchzte Paige jetzt lauter und mit entschieden mehr Nachdruck.

Haven zuckte innerlich zusammen und nahm ihre kleine Tochter rasch auf den Arm. „Sie ist jetzt in dem Alter, in dem sie jeden Mann Dada nennt. Achten Sie nicht auf sie.“

Carl sah Haven und ihre Tochter nachdenklich an. Paige Larson war wirklich das Abbild ihrer Mutter. Sie hatte seidige blonde Locken, große blaue Augen mit langen zarten Wimpern. Eine Ähnlichkeit mit Brian war nicht zu erkennen. Vielleicht war das auch gut so.

„Aber die Kleine kann man doch nicht einfach übersehen. Ich habe gar nichts von ihrer Existenz gewusst. Sie haben eine sehr hübsche Tochter, Haven.“

Haven lächelte scheu.

„Nun wird es aber Zeit, dass ich nach Hause komme“, ließ Marian sich unüberhörbar vernehmen. „Ich wünsche euch beiden einen besonders schönen Abend.“ Bevor sie dann ging, lächelte sie Haven verschwörerisch zu.

„Wo soll ich die Tüten hinstellen?“, fragte Carl, nachdem die Tür hinter Marian ins Schloss gefallen war, und sah sich unschlüssig um.

„Hier auf den Tisch bitte.“ Haven ging an ihm vorbei und vermied es, ihn dabei anzusehen.

Carl folgte ihr in die Essecke, stellte die Tüten auf den Tisch und begann, sie auszupacken. Haven hob Paige in ihren Hochstuhl und band ihr ein Lätzchen um. Dann verschwand sie in die Küche, kam mit Waschlappen und Handtuch wieder, wusch ihrer Tochter die Hände und brachte die Tücher in die Küche zurück.

„Dann wollen wir mal“, murmelte sie und setzte sich an den Tisch.

Carl nahm den Stetson ab und legte ihn auf einen leeren Stuhl, bevor er sich Haven gegenübersetzte. Aufmerksam sah er sie an.

Sie war ganz offensichtlich nervös. Sie wich seinem Blick aus, hatte Schwierigkeiten, ruhig dazusitzen, und blickte jetzt unruhig durchs Zimmer.

Warum? Fühlte sie sich ertappt und in die Ecke gedrängt, weil jetzt nach zwei Jahren ein Fremder aufgetaucht war, der mit ihr über Brian sprechen wollte?

War sie schuldig? War Haven Larson eine Geheimagentin der Gegenseite? War sie eine Landesverräterin, die eine vollkommen neue Identität angenommen hatte? So zärtlich wie sie mit ihrer Tochter war, konnte er sich das kaum vorstellen.

Aber lange Jahre der Erfahrung hatten ihn gelehrt, dass der äußere Schein täuschen konnte. „Die Verpackung“, wie er es früher immer genannt hatte, konnte man ohne große Mühe ändern. Er durfte das nicht vergessen, und so rief er sich ins Gedächtnis, was er sich schon in seinem Pick-up auf dem Parkplatz vor der Boutique eingehämmert hatte, nachdem er wieder zu Verstand gekommen war: Haven Larson war für ihn in erster Linie ein Auftrag und keine Frau.

Als ihre Tochter rhythmisch auf das Tablett vor sich einzuschlagen begann und ihr Essen forderte, lachte sie auf. Und allein dieses helle Lachen genügte, damit es in seinen Lenden erneut heiß zu prickeln begann.

Verdammt, sie war eine Frau, und sogar eine ungemein attraktive und begehrenswerte Frau. Es war dumm, sich einzubilden, dass er das einfach ignorieren könnte. Es war zwar zum Verrücktwerden, dass sie so höllisch anziehend war, aber Tatsachen blieben Tatsachen. Bisher hatte er ja auch noch nie Schwierigkeiten damit gehabt, die Person von der Sache zu trennen. Niemals. Dass es ihm jetzt Probleme bereitete, lag wahrscheinlich nur daran, dass seine Fähigkeiten als Geheimagent in den letzten zwei Jahren etwas eingerostet waren. Er brauchte sie nur wachzurufen, allerdings sollte das schnell und erfolgreich geschehen, denn sonst könnte die ganze Angelegenheit sehr kompliziert werden.

Disziplin, Shannon, ermahnte er sich. Reiß dich zusammen.

„Dann wollen wir mal anfangen, bevor alles kalt wird“, sagte er laut.

Haven legte ein paar Pommes vor ihre Tochter. Paige griff mit beiden Händen danach und stopfte sich die Pommes in den Mund.

Carl lachte. „Sie hat wohl wirklich Spaß am Essen. Ein Mädchen ganz nach meinem Geschmack.“

Haven starrte ihn an. Dieses Lachen … es war so sexy, dass es sie bis ins Innerste aufwühlte. Sein tiefes, männliches Lachen hatte eine unmittelbar sinnliche Wirkung auf sie. Es erregte sie heftig, und das verwirrte sie. Schon als Carl Shannon in ihr Häuschen getreten war, war sie sich seiner Nähe mit einer fast quälenden Intensität bewusst gewesen. Er war der erste Mann, der sie hier, in ihrem Zuhause, besuchte, der erste, der ihr an diesem Tisch gegenübersaß. Ihr rauschte das Blut in den Ohren, und eine verzehrende Sehnsucht strömte durch ihren Körper.

Oh ja, sie wollte diesen Mann. Sie begehrte ihn heftig.

Und, ja, dieser Mann war sehr gefährlich für sie.

Haven stand hastig auf, murmelte etwas von einem Messer und einer Tasse für Paige und eilte in die Küche.

Carl sah ihr nach. Sie scheint wirklich ausgesprochen nervös zu sein, dachte er erneut. Er lehnte sich zurück und blickte sich im Zimmer um.

Die Einrichtung war nicht besonders beeindruckend, manches ein wenig abgenutzt und nicht immer zueinander passend. Spielsachen lagen auf dem Boden verstreut, und ein Ställchen stand in einer Ecke. Aber das Zimmer wirkte auffallend sauber und gemütlich.

Hier könnte ein Mann sich von der harten Arbeit des Tages entspannen, könnte die Füße hochlegen und abschalten. Der Duft des Essens würde aus der Küche zu ihm hinüberwehen und fröhliches Kindergeplapper von Paige ihn zum Lachen bringen. Und später, wenn die Kleine fest in ihrem Bettchen schlief, würde er Haven an sich ziehen und sie leidenschaftlich …

Er räusperte sich und runzelte ärgerlich die Stirn. Dabei war es nun wirklich seine eigene Schuld, dass er jetzt erneut die Hitze des Verlangens in sich spürte. Was erwartete er, wenn er sich solchen Fantasien hingab? Er richtete sich gerade auf, griff nach seinem Hamburger und nahm einen großen Bissen.

Haven kam zurück, setzte sich wieder und war in den nächsten Minuten damit beschäftigt, einen Teller für ihre Tochter herzurichten. Dann begann sie ebenfalls zu essen. Sie hatte ihn die ganze Zeit nicht ein Mal angeschaut.

„Haven …“

Sie zuckte sichtlich zusammen und blickte ihn erschreckt an. „Ja?“

„Ich bin nicht der große böse Wolf“, sagte er ruhig. „Ich will Sie nicht fressen. Sie brauchen also nicht so nervös zu sein.“

Wie schon einmal stand plötzlich heiße Wut in ihren blauen Augen. „Wirklich nicht? Sie erscheinen da aus dem Nichts und behaupten, ein alter Freund von Brian zu sein. Sie weigern sich, meinen Wünschen nachzukommen, als ich Sie bitte, aus meinem Leben zu verschwinden. Sie verlangen, dass wir über Brian sprechen, ob ich es möchte oder nicht. Gut, reden wir über Ihren alten Freund. Und dann gehen Sie bitte. Endgültig. Haben Sie verstanden?“

Er sah sie einen langen Augenblick an. Dann lehnte er sich lässig zurück, sodass der Stuhl kippelte und auf zwei Beinen balancierte, und verschränkte die Arme vor der Brust. Er lächelte anerkennend.

„Du bist wirklich eindrucksvoll, Schätzchen, wenn du so in Wut gerätst.“

Sie schoss fast über den Tisch, als sie sich heftig vorbeugte. „Ich bin nicht Ihr Schätzchen, Mr. Shannon!“

„Das ist nur so eine Redensart.“

„Dann verbannen Sie sie bitte aus Ihrem Wortschatz, wenn Sie mit mir sprechen.“

Er lachte und setzte sich wieder gerade hin. „Jawohl, wird gemacht.“

„Und hören Sie auf zu lachen“, sagte sie aufgebracht. Dann schüttelte sie den Kopf. „Warum schreie ich eigentlich so? Das ist doch sonst nicht meine Art. Also, Mr. Shannon …“

„Carl“, verbesserte er sie und wurde wieder ernst. „Nennen Sie mich bitte Carl.“

„Meinetwegen. Also, Carl, was wollten Sie über Brian wissen?“

Er zuckte mit den Schultern. „Nichts Bestimmtes. Aber ich war wirklich überrascht, dass er eine Frau hatte. Der Brian, den ich kannte, war eigentlich nicht der Typ, der geheiratet hätte.“

Haven blickte auf ihren Teller, aß zwei Pommes und tupfte dann mit einer Serviette sorgfältig die Mundwinkel ihrer Tochter ab. „Er hat aber geheiratet, und zwar mich.“

„Offensichtlich. Ich kann allerdings immer noch nicht verstehen, warum er mir nicht von Ihnen erzählt hat.“ Er blickte auf das Kind und dann wieder auf sie. „Und nicht nur das. Er hat mir auch nie erzählt, dass er Vater wird.“

Haven wich seinem Blick nicht aus. „Das hätte er auch nicht gekonnt, da er es selbst nicht wusste. Ich hatte keine Gelegenheit, ihm zu sagen, dass ich schwanger war, bevor er starb.“

Bevor ich ihn erschoss, dachte er im Stillen, bevor ich die Pistole abdrückte, die ihn umbrachte.

„Ach so“, erwiderte er gedehnt und fragte dann: „Man sagte mir, dass Brian bei einem Jagdunfall ums Leben gekommen ist. Stimmt das?“

„Ja, ein offenbar mit ihm befreundeter Jäger kam zu mir. Der Mann, ich weiß nicht einmal mehr, wie er hieß, sagte, er würde sich um die Beerdigung kümmern. Ich war sehr jung und dachte mir nichts dabei. Erst auf der Trauerfeier erfuhr ich dann, dass man ihn eingeäschert hatte. Meine Erinnerung an diese Zeit ist ausgesprochen verschwommen.“

„Haven“, er hielt ihren Blick fest und sah sie aufmerksam an, „Brian war kein Jäger. Er war absolut dagegen, ein hilfloses Tier zu verfolgen, nur um es dann zu erschießen.“ Ja, das stimmte. Brian hatte wenig Hemmungen gehabt, Menschen umzubringen, aber er hätte sich gweigert, ein Tier zu töten. Laut fuhr er fort: „Warum sollte er auf die Jagd gegangen sein?“

Sie zog die Augenbrauen hoch. „Ich habe keine Ahnung. Ich wusste ja noch nicht einmal von dem Jagdausflug, bis dieser Mann kam und mir von seinem Tod berichtete. Carl, Sie müssen wissen, dass Brian und ich uns nicht besonders lange kannten. Ich wusste noch nicht genau, was er mochte und was er nicht mochte.“

„Nun ja, Sie müssen ihn immerhin gut genug gekannt haben, um sich in ihn zu verlieben und ihn zu heiraten. Oder?“

„Sicher, ich habe Brian geheiratet“, sie nickte, „aber die Zeit meiner Ehe war letzten Endes so kurz, dass ich sie glatt aus meinem Leben auslöschen könnte, wenn es Paige nicht gäbe. Ich weiß wirklich nicht viel von Brian Larson.“

Sie vermeidet es, darüber zu sprechen, ob sie Brian geliebt hat oder nicht, dachte er wachsam. Doch er würde seinen letzten Dollar wetten, dass sie Brian nicht geliebt hatte, sondern ihn aus einem ganz anderen Grund geheiratet hatte. Aber aus welchem?

Es musste eine Verbindung bestehen zwischen dieser Heirat und damit, dass ihr Bruder kurz danach freigelassen worden war, obwohl man ihn eines Raubüberfalls angeklagt hatte. Je mehr er darüber nachdachte, desto überzeugter war er, dass Haven Brian nur deshalb geheiratet hatte, weil sie ihren Bruder retten wollte.

Aber was war für Brian dabei herausgesprungen? Brian war intelligent und gerissen gewesen. Alles, was er tat, hatte einen ganz bestimmten Zweck gehabt.

War Haven vielleicht doch eine Spionin? Hatte Brian sie durchschaut, und war ihre Heirat ein Deal gewesen? Die Freiheit ihres Bruders gegen ein Versteck bei ihr für die Liste der Geheimagenten? Oder hatte Brian die Liste ohne ihr Wissen bei ihr versteckt? Noch waren alle Fragen offen, doch eins war jetzt schon klar: Selbst wenn es keine Liste gab, war Haven in großer Gefahr, sollte die Gegenseite glauben, sie habe sie.

Und damit war Paige ebenfalls in Gefahr.

Verdammt, das Leben eines unschuldigen Kindes wäre gefährdet. Erinnerungen stiegen in ihm hoch, die so schmerzlich waren, als würde ihm ein Messer in die Brust gestoßen. In den Schatten der Vergangenheit lauerte übermächtig der Schatten des Todes, der ihn bis an sein Lebensende verfolgen würde.

Zur Hölle, er musste sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren, auf die Aufgabe, die vor ihm lag – und wenn noch so viele Ungereimtheiten und noch so viele Fragen damit verbunden waren.

Es war an ihm, das Rätsel zu lösen und die Antworten zu finden.

Es war seine Aufgabe, die Wahrheit über Haven Larson aufzudecken.

5. KAPITEL

Haven und Carl aßen schweigend weiter, nur zu ihrer Tochter sagte Haven hin und wieder ein paar Worte. Als sie schließlich fertig waren, stand Haven auf, hob Paige aus dem Hochstuhl und ging mit ihr zur Tür.

„Sie braucht eine neue Windel“, wandte sie sich knapp an Carl.

Carl sah ihr nach, stand dann ebenfalls auf und räumte die Teller zusammen. Die zusammengeknüllten Papierservietten tat er in den Abfalleimer unter dem Ausguss. Danach ging er ins Wohnzimmer zurück. Er setzte sich auf das Sofa und blickte sich erneut um. Dieser Raum vermittelte einem wirklich ein Gefühl von Zuhause.

Das Wohnzimmer seiner Ranch war mindestens viermal so groß, aber ausgesprochen kalt und ungemütlich. Die Einrichtung hatte er mit dem Haus übernommen und seitdem nichts an ihr geändert. Am liebsten hielt er sich in seinem unordentlichen Büro auf, denn das hatte wenigstens eine gewisse Atmosphäre.

Er hob eine verblichene und abgeschabte Stoffpuppe vom Boden auf und betrachtete sie lächelnd. „Na, Mädchen, du hast wohl auch allerlei durchgemacht. Aber man hat dich bestimmt auch oft fest gedrückt.“

Carl merkte nicht, dass Haven zurückgekehrt war und in der Tür stand.

Als Haven ihn so liebevoll mit der Puppe sprechen hörte, stieg ein merkwürdiges Gefühl in ihr hoch. Es stimmte, Carl Shannon war die personifizierte Männlichkeit, ein sehr gut aussehender, muskulöser Cowboy, dem man gewiss Respekt entgegenbrachte, wohin er auch ging. Er strahlte eine gewisse unbekümmerte Arroganz aus, ein unerschütterliches Selbstbewusstsein, was aber gleichzeitig auch eine gewisse Distanz von seinem Gegenüber forderte.

Nun aber sah sie eine andere Seite dieses Mannes, eine sanfte, zärtliche. Sie zeigte sich in der Art, wie er die Puppe vorsichtig in seinen großen Händen hielt und wie er mit ihr sprach, als sei sie ein menschliches Wesen. Im Moment ging beinahe so etwas wie Verletzlichkeit von ihm aus. Und dieser Carl Shannon passte nicht in die Rolle von Brians bestem Freund. Sie wenigstens hatte ihren verstorbenen Mann nur als kalten, berechnenden Menschen gekannt und nie auch nur die Spur von Empfindsamkeit bei ihm entdeckt.

Carl war sensibler, was schon daran erkennbar war, dass er mit ihr über seinen verstorbenen Freund sprechen wollte. Und wenn sie vorsichtig war und nicht so genau durchblicken ließ, wie wenig sie über Brian wusste, dann würde er wohl auch – trotz seiner vordergründig harschen Art – so sensibel sein und nach einem kurzen Gespräch wieder gehen.

Aber selbst wenn sie sich in diesem Punkt geirrt haben sollte, sie wusste mit Sicherheit, dass sie diesen Mann nicht so schnell würde vergessen können. Er hatte ihre sinnlichen Empfindungen geweckt wie noch kein Mann vor ihm. Aber sie musste ihre Erregung, dieses brennende Verlangen nach ihm unterdrücken.

Sie holte tief Luft, atmete langsam aus und ging zum Sofa.

„Das ist Susie, Paiges Lieblingspuppe. Sie ist schon etwas abgenutzt. Ich habe sie ihr aus Stoffresten gemacht, und sie hat sie sofort zu ihrem Liebling erklärt.“

Carl nickte und legte die Puppe behutsam auf den Couchtisch. Haven setzte sich ihm gegenüber auf einen Stuhl und sah ihn an.

Verdammt, schon wieder!, fluchte Carl innerlich. Sein Körper schien vor Sehnsucht zu pulsieren, und er hatte plötzlich eine höllische Wut auf Haven, weil sie eine solche Macht über ihn hatte. Bisher war immer er es gewesen, der bestimmte, wann eine Beziehung mit einer Frau die gewisse Richtung nehmen sollte. Er hatte Verstand und Körper immer fest unter Kontrolle gehabt.

Und nun hatte diese Haven Larson aus unerklärlichen Gründen die Macht, ihn mit ihrer bloßen Nähe zu erregen, und das Verrückteste dabei war, dass sie es gar nicht darauf anlegte. Er hatte genug Erfahrung, um zu erkennen, wann eine Frau gewisse Ziele verfolgte, und sie hatte ganz sicher nicht diese Ziele. Sie war ganz natürlich, und er reagierte wie ein pubertierender Teenager.

Seine Wut auf sie war deshalb auch nicht fair. Denn es war ja nicht ihre Schuld, dass sie eine solche Wirkung auf ihn hatte. Sie war an den heftigen Empfindungen, die sie in ihm hervorrief, wirklich unschuldig.

Unschuldig … Das Wort klang in ihm nach. Ja, Haven Larson war sicher nur ein unschuldiges Opfer von Brian Larsons miesen Machenschaften gewesen. Sie war, ohne es zu wissen, zu einer nichts ahnenden Mitspielerin in seinem gefährlichen Spiel geworden. Sie trug keine Schuld.

Und er war ein Narr, weil er jetzt schon wieder kurz davor war, seine Objektivität zu verlieren. Er benahm sich wie ein Junge, der noch grün hinter den Ohren war und nicht wie ein alter Profi. Verdammt, es gab keine Entschuldigung dafür, dass er seine Schlüsse aufgrund emotionaler Eindrücke anstatt aus den gegebenen harten Tatsachen zog.

Er lehnte sich zurück und breitete die Arme über der Rückenlehne des Sofas aus. Er hoffte, entspannt und ruhig zu wirken, obgleich er innerlich verkrampft und nervös war. „Wo ist Paige?“

„Sie ist in ihrem Zimmer und spielt mit Bauklötzen. Sicher kommt sie bald zu uns.“

„Mir fiel auf, dass sie ihr Essen mit beiden Händen in den Mund schiebt. Glauben Sie, dass sie Linkshänderin ist?“

„Linkshänderin? In diesem Alter kann man das doch noch nicht sagen. Warum fragen Sie?“ Sie war sichtlich irritiert.

Er zuckte mit den Schultern. „Kein besonderer Grund“, antwortete er gedehnt und fuhr dann leichthin fort: „Es ist nur so, dass Brian Linkshänder war.“

Haven versuchte vergebens, sich zu erinnern, ob Brian mit der linken Hand gegessen und geschrieben hatte. Es fiel ihr nicht ein. Sie wusste ja kaum noch, wie er ausgesehen hatte. Aber irgendwie musste sie reagieren.

„Ja, das stimmt, er war Linkshänder“, erklärte sie, und es gelang ihr sogar zu lächeln. „Es wird interessant sein zu sehen“, fügte sie kühn hinzu, „ob Paige das von ihm geerbt hat.“

„Hm.“ Carl nickte.

Pech gehabt, Haven Larson, dachte er. Brian war kein Linkshänder. Damit war es ausgeschlossen, dass Haven in Brian verliebt gewesen war. Denn sonst wüsste sie das. Sie war eine Zweckheirat eingegangen, um ihren kriminellen Bruder zu befreien. Aber was hatte Brian dafür von ihr verlangt? Aus Liebe hatte ein Mann wie Brian ihr mit Sicherheit nicht geholfen. An diesem Punkt war er also noch nicht weitergekommen.

Haven sah kurz auf die Puppe auf dem Couchtisch und blickte dann wieder Carl an. Wie kann ich ihn nur von dem Thema „Brian“ ablenken?, überlegte sie und kam endlich darauf. Die meisten Menschen sprachen am liebsten über sich selbst, und dieser Mann war da bestimmt keine Ausnahme.

„Haben Sie Familie, Carl?“, fragte sie ihn freundlich.

„Nein.“

„Ach so, ich dachte nur, weil Sie offensichtlich nicht überrascht waren, als Paige sich an Ihr Bein klammerte und Sie Dada nannte. Es sah so aus, als ob Sie an den Umgang mit Kleinkindern gewöhnt seien.“

„Nein, bin ich nicht.“

„Du liebe Zeit, Carl, müssen Sie denn wie ein Wasserfall plappern? Können Sie denn nicht kurz und präzise antworten?“

Carl musste lachen. „Entschuldigen Sie, aber ich kann nicht besonders gut Konversation machen. Ich antworte lieber mit einem Wort statt mit zehn. Ich bin aber ein guter Zuhörer.“

Er ist sicher auch auf anderen Gebieten gut, sagte sich Haven spontan. Besonders auf einem gewissen. Aber dieser Gedanke führte sie nur in eine Richtung, in die sie nicht gehen wollte. Es war schon albern genug, dass sie dermaßen erleichtert darüber war, dass er nicht verheiratet war! Sie musste diese innere Hitze endlich ignorieren, die sie jedes Mal überfiel, wenn Carl sie nur anlächelte. Wenn dieser schreckliche Abend doch bloß vorbei wäre, damit sie nicht mehr an Brian denken musste und endlich ihre innere Ruhe wiederfinden konnte!

Autor

Robin Elliott
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Rita Clay Estrada
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Leanne Banks
Mit mehr als 20 geschriebenen Romanen, ist Leanne dafür geschätzt Geschichten mit starken Emotionen, Charakteren mit denen sich jeder identifizieren kann, einem Schuss heißer Sinnlichkeit und einem Happy End, welches nach dem Lesen noch nachklingt zu erzählen.
Sie ist die Abnehmerin der Romantic Times Magazine’s Awards in Serie. Sinnlichkeit, Liebe und...
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