Bellas dunkles Geheimnis

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Die hübsche Erzieherin Bella Stockton kann kaum glauben, was gerade passiert: Ihr gutaussehender Boss Hudson Jones flirtet mit ihr! Wie gern würde sie darauf eingehen. Aber was, wenn der umschwärmte Millionär ihr dunkelstes, schmerzlichstes Geheimnis herausfindet?


  • Erscheinungstag 25.04.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733739850
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Hudson Jones war es gewohnt, seinen Kopf durchzusetzen. Als er jetzt jedoch im Flur der Kindertagesstätte stand, deren Stiftung er vorstand, da beschlich ihn das Gefühl, dass er dieses Mal seinen Willen nicht bekommen würde. Und verantwortlich dafür war Bella Stockton.

Die Leiterin der Kinderkrippe war eine echte Schönheit – hochgewachsen und gertenschlank, mit kurzen blonden Haaren. Wenn er in den vergangenen Monaten den Kinderhort besucht hatte, um sich über die tägliche Arbeit und die Organisationsabläufe zu informieren, dann hatte er immer wieder mit ihr zu flirten versucht. Schließlich konnte sich ein Cowboy unter dem weiten Himmel von Montana manchmal schon sehr einsam fühlen. Leider reagierte Bella im Gegensatz zu den anderen Frauen, denen er im Verlauf der letzten dreißig Jahre schöne Augen gemacht hatte, überhaupt nicht auf seine Annäherungsversuche.

Hudson beobachtete Bella, während sie sich mit einer Mutter unterhielt, die offenbar zum Elternbeirat gehörte. Deren Miene kam ihm vertraut vor – es war der Gesichtsausdruck einer zutiefst besorgten Mutter. In der Kinderkrippe war nämlich eine schwere Grippe ausgebrochen, infolge derer eines der Kinder ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Die Eltern des betroffenen Kindes hatten die Krippe prompt verklagt. Der Kita konnte zwar kein schuldhaftes Verhalten nachgewiesen werden, doch ihr Ruf hatte zumindest Schaden genommen.

Unauffällig trat Hudson ein wenig näher an den Schreibtisch im Empfangsbereich, wo Bella saß.

Marla Tillotson fuchtelte mit den Fingern vor Bellas Nase herum. „Wenn ich hier noch einmal ein Kind mit laufender Nase sehe, dann nehme ich Jimmy sofort aus der Einrichtung und melde ihn woanders an!“ Damit machte sie auf dem Absatz kehrt, warf Hudson einen wütenden Blick zu und verschwand.

Normalerweise erledigte Hudson seine diversen Jobs mit links. Dieses Mal verhielt es sich jedoch anders. Die wie aus heiterem Himmel im Hort wütende Grippewelle hatte einige Eltern dazu veranlasst, ihre Kinder umgehend abzumelden und in einem anderen Kindergarten im Ort anzumelden. Hudson sollte jetzt nach dem Rechten sehen, die aufgebrachten Mütter und Väter beruhigen und ihnen versichern, dass so etwas nicht noch einmal vorkommen würde. Nach Rust Creek Falls war er auf Bitten seines Bruders Walker gekommen, der die Geschäftsidee zu dieser Kita gehabt hatte. Hudson hatte die Tätigkeit nicht ganz uneigennützig übernommen, denn schließlich gehörten ihm das Grundstück und das Haus, in dem der Hort untergebracht war. Hauptsächlich sollte er den guten Ruf der Einrichtung und deren Mitarbeiterinnen wiederherstellen, was ihm auch recht gut gelungen war. Eigentlich hätte Hudson jetzt also weiterziehen können, um sich neuen Aufgaben zu stellen. Doch wegen Bella hielt er sich immer noch in Rust Creek Falls auf. Er wollte sie unbedingt näher kennenlernen.

Als er Bellas unglückliche Miene sah, ging er hinüber und stellte sich vor ihren Schreibtisch. „Es war nicht Ihre Schuld“, tröstete er sie.

Als Leiterin des Horts führte Bella ein strenges Regiment. Kranke Kinder schickte sie grundsätzlich nach Hause. Außerdem sorgte sie dafür, dass die Räume regelmäßig aufs Gründlichste gereinigt und desinfiziert wurden. Zusätzlich organisierte sie Fortbildungskurse für ihre Mitarbeiterinnen. Bella war eine ideenreiche und selbstbewusste Frau, wie Hudson fand. Jetzt allerdings wirkte sie ziemlich zerknirscht. Schuldbewusst schaute sie ihn an. „Vielleicht habe ich doch irgendetwas übersehen? War ich vielleicht nicht aufmerksam genug, um die ersten Grippesymptome zu erkennen? Was …“

Hudson fiel ihr ins Wort. „Ich sag’s noch einmal, und ich wiederhole es auch gerne noch tausend Mal, wenn Sie es möchten. Sie haben keinen Fehler gemacht!“, versicherte er ihr. „Ich habe mich ein wenig über Kinderkrankheiten informiert, als Walker mich bat, hier nach dem Rechten zu sehen. Eine schwere Grippe sieht am Anfang eben nur wie eine harmlose Erkältung aus. Kinder sind bereits ansteckend, noch ehe bei ihnen die Krankheit ausbricht. Deshalb kann sich die Grippe ungestört und ziemlich rasch verbreiten – vollkommen egal, welche Vorkehrungen man trifft. Es ist natürlich unser Job“, er zeigte auf sich und dann auf sie, „dafür zu sorgen, dass solche epidemieartigen Zustände nicht wieder vorkommen.“

Bella musterte Hudson eindringlich. Plötzlich schien es im Raum sehr still geworden zu sein. Vielleicht lag es daran, dass er sich ihres Blickes so sehr bewusst war. Merkte sie es selber?

Während er ihrem Blick standhielt, stellte er fest, dass er die Grübchen in ihrem ovalen Gesicht vermisste, die sich immer abzeichneten, wenn sie sich mit den Kindern beschäftigte. In diesen Momenten schien sie nämlich am glücklichsten zu sein. Ihr Haar sah so seidenweich aus, dass er am liebsten mit den Fingern über die Strähnen gefahren wäre. Das war natürlich unmöglich. Es war das erste Mal, dass sie ihn mit diesem Blick ansah. Hatte sie ihn etwa für einen Gegner gehalten und befürchtet, er würde alles infrage stellen, was sie tat? Das war ganz sicher nicht seine Art.

Er beugte sich ein wenig tiefer über den Schreibtisch. Sie schien ebenfalls näher zu kommen.

Unvermittelt klopfte es an der Tür.

Im Stillen verfluchte er die Störung. Als er die Tür öffnete, strömte kühle Novemberluft herein. Vor ihm stand Bart Dunner, der für einen Imbiss Botengänge machte. Hudson hatte Spareribs für alle bestellt, die noch im Dienst waren. Er bezahlte Bart, legte ein Trinkgeld obendrauf und schaute Bella aufmunternd an.

„Haben Sie schon gegessen?“, erkundigte er sich.

„Noch nicht. Ich war die ganze Zeit mit den Plänen und Bestellungen fürs nächste Jahr beschäftigt.“

Er deutete auf die Tüte in seiner Hand. „Dann kommen Sie doch mit.“

Da sie nicht sofort antwortete, befürchtete er schon, sie würde ablehnen. Doch dann sagte sie zu seiner Überraschung: „Gute Idee. Ich habe nämlich noch nicht zu Mittag gegessen.“

Nachdem sie sich an den Tisch gesetzt hatten, nahm jeder von ihnen eine Styroporschachtel mit Spareribs, Pommes frites und grünen Bohnen. „Das riecht ja köstlich!“, meinte sie.

Während sie sich über das Essen hermachten, versuchte er, eine Unterhaltung zu beginnen. „Jetzt arbeiten wir schon mehr als einen Monat zusammen, aber ich weiß immer noch kaum etwas über Sie – nur, dass Sie mit ihrem Bruder zusammenleben und ihm mit seinen Drillingen helfen. Soviel ich weiß, haben sich auch einige andere in der Stadt angeboten, auf die Babys aufzupassen?“ Jamie Stockton hatte seine Frau verloren. Jetzt musste er sich allein um die drei Babys kümmern und um seine Ranch. „Das sagt einiges über Rust Creek Falls, finden Sie nicht?“

„So läuft das nun mal bei uns“, antwortete sie. „Nachbarn helfen einander. Und was Sie über mich wissen, ist bestimmt mehr als genug.“

„Ach, kommen Sie“, schmeichelte er. „Erzählen Sie mir mehr von sich. Sind Sie hier aufgewachsen?“

„Ja. Ich bin hier geboren.“

„Hatten Sie und Ihr Bruder schon immer ein so gutes Verhältnis?“, hakte er nach.

„Ja. Ich liebe meine Nichte und meine Neffen über alles.“ Sie spießte ein paar Bohnen auf die Gabel. „Und was ist mit Ihnen? Ich weiß, dass Walker Ihr Bruder ist …“

„Ich habe insgesamt vier Brüder. Wir sind allerdings nicht gerade die dicksten Freunde. Vielleicht, weil wir alle die unterschiedlichsten Interessen haben oder …“ Er unterbrach sich.

Bella sah ihn neugierig an. „Oder …?“

Hudson zögerte, doch dann sagte er sich, dass er nur etwas von ihr erfahren würde, wenn er selbst etwas von sich preisgab. „Oder weil unsere Eltern nie viel Wert auf Nähe gelegt haben.“

Sie musterte ihn mit einem seltsamen Blick. „Unsere Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als ich zwölf und Jamie fünfzehn war. Das hat uns, glaube ich, sehr eng zusammengeschweißt.“

Kein Wunder, dass sie nichts von ihrer Kindheit erzählte. Die Eltern zu verlieren, musste traumatisch sein. „Das kann ich mir vorstellen. Wer hat Sie denn aufgenommen?“

„Unsere Großeltern mütterlicherseits. Die Großeltern Stockton waren schon tot. Agnes und Matthew Baldwin wollten diese Verantwortung aber eigentlich gar nicht übernehmen.“

„Oh, das muss für Sie kein schönes Gefühl gewesen sein“, meinte er warmherzig. Bella nickte betrübt. „Ich war fünfzehn, als unsere Großmutter an einem Herzinfarkt gestorben ist. Jamie achtzehn. Unser Großvater hat uns für ihren Tod verantwortlich gemacht.“

„Das ist nicht Ihr Ernst?!“ Obwohl er den Großvater nicht kannte, fand er das Verhalten des Mannes absolut unmöglich. Wie hatte er nur so etwas behaupten können?

„Na ja, wir waren vielleicht wirklich nicht ganz schuldlos an der Situation“, erwiderte Bella leise. „Jamie und ich waren nicht gerade pflegeleichte Kinder. Wahrscheinlich hatte unser Großvater sogar recht.“

Hudson war entsetzt, dass Bella das wirklich glaubte. Sie war eine der reizendsten Frauen, die er jemals getroffen hatte. „Sie müssen sich doch nicht dafür verantwortlich fühlen, was man Schicksal nennt!“ Doch er spürte, dass sie genau das tat.

Bella hatte ein Schweinerippchen in die Hand genommen und nagte den Knochen ab. Ihre Finger glänzten fettig – genau wie ihre Lippen. Hudson konnte den Blick nicht von ihrem schimmernden Mund wenden. Unvermittelt wurde ihr bewusst, dass er sie anstarrte.

Sie hielt mit dem Kauen inne und schaute ihn an. Er fragte sich, ob sie ihn wohl attraktiv fand – ein kleines bisschen vielleicht.

Leider fand er keine Gelegenheit, sie danach zu fragen, denn in diesem Moment betrat eine andere Erzieherin den Aufenthaltsraum.

„Ist noch was für mich übrig?“, erkundigte sie sich munter.

Ihre Frage brachte Hudson auf den Boden der Tatsachen zurück. „Natürlich, Sarah. Setzen Sie sich zu uns.“

Als Chef verhielt er sich vollkommen korrekt. Aber als Mann wäre er gern mit Bella allein geblieben, um mehr über sie zu erfahren und sie besser kennenzulernen.

Und um sie vielleicht auch küssen zu können.

Hudson betrat das Ranchhaus mit dem Gedanken, dass es wirklich angenehm war, eine Weile in Rust Creek Falls zu leben. Die Ranch gehörte Clive Bickler, einem ebenso reichen wie exzentrischen Mann. Da er häufig unterwegs war, vermietete er sein Anwesen an Personen, die eine etwas luxuriösere Lebensweise bevorzugten. Auf dem weitläufigen Grundstück befand sich ein weiteres Haus, in dem die Marsdens lebten – ein älteres Ehepaar, das sich um die Ranch kümmerte und nach dem Rechten sah, wenn Clive auf Reisen war.

Als Hudson nun den Sicherheitscode der Alarmanlage eintippte, hörte er Geräusche aus der Küche. Es war Greta Marsden, die sich um Hudsons leibliches Wohl kümmerte. Sie war Mitte fünfzig, weißhaarig und ein bisschen übergewichtig. Das hinderte sie nicht daran, Jeans und ein kariertes Hemd zu tragen. Ihre Wolljacke hatte sie über einen Stuhl gehängt.

Greta stellte gerade einen Topf in den Kühlschrank. Sie drehte sich um und lächelte. „Hallo, Hudson. Möchten Sie etwas essen?“

„Vielen Dank, aber ich hatte gerade Spareribs bestellt – was nicht heißt, dass ich irgendetwas aus Ihrer Küche ablehnen könnte.“

Errötend schloss sie die Kühlschranktür. „Ach, Sie Schmeichler! Heben Sie sich das lieber für Frauen Ihres Alters auf. Ich bin längst übers Verfallsdatum hinaus.“

Er lachte schallend. „Das glauben Sie doch wohl selber nicht?!“

Sie machte eine abwehrende Handbewegung. „Wenn die Kinder aus dem Haus sind, dann bedeuten Partnerschaft und Zuneigung mehr als alles andere.“

So entwickelte sich also eine Ehe – Partnerschaft und Zuneigung. Seine Eltern hatten das wohl nicht so gesehen, soweit er sich erinnern konnte.

Greta machte sich in der Küche zu schaffen und deutete auf einen Plastikbehälter auf der Küchentheke. „Da sind Rosinenkekse drin. Die passen ausgezeichnet zu einem heißen Kakao als kleiner Imbiss vor dem Schlafengehen.“

„Sie glauben also, dass ich noch wachse?“, sagte er amüsiert.

„Ich glaube, dass Sie einen guten Appetit haben“, konterte sie. „Kein Wunder, wenn man so hart arbeitet.“

Was die harte Arbeit anging, war Hudson sich nicht so sicher. Er hatte niemals schwer arbeiten müssen, denn seine Familie war wohlhabend gewesen – und er war es ebenfalls. Er neigte dazu, nur solche Jobs anzunehmen, die ihm Spaß machten – und das auch nur, solange sie ihm Spaß machten. Zuletzt hatte er einem Freund dabei geholfen, eine Ranch in Cody in Wyoming aufzubauen. Er hatte ihm beim Kauf der Pferde beraten und bei der Einrichtung des Computers geholfen, den der Freund brauchte, um den Überblick über seinen Besitz zu behalten. Er hatte schon öfter Ranchern Starthilfe geleistet, auf diesem Gebiet kannte er sich wirklich gut aus. Die Sache mit der Kindertagesstätte dagegen war Neuland für ihn.

Greta schaute sich in der Küche um. „Ich musste Edmond heute bei der Buchhaltung helfen. Deshalb bin ich nicht zum Saubermachen gekommen“, erklärte sie. „Ich kümmere mich morgen darum.“

Hudson hatte keine Angst vor Wollmäusen. „Kein Problem“, versicherte er ihr.

Bellas Worte über ihren Großvater schossen ihm durch den Kopf. Er hat uns für den Tod unserer Großmutter verantwortlich gemacht. Und er dachte über Gretas Ansichten zur Ehe nach.

„Darf ich Sie etwas Persönliches fragen?“

Greta zuckte mit den Schultern. „Nur zu.“

„Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie sich plötzlich um Enkel im Teenageralter kümmern müssten? Was würden Sie tun?“

Greta zögerte keine Sekunde mit der Antwort. „Edmond und ich würden unser Bestes für sie tun. Wir würden sie lieben. Menschen, die in unser Leben treten, sind doch ein Geschenk.“

Hudson dachte an Bellas melancholische Miene. Nur in Gesellschaft von Kindern schien sie froh und unbeschwert zu sein. Ob es an den Erfahrungen lag, die sie selbst in ihrer Kindheit hatte machen müssen?

Offensichtlich hatten ihre Großeltern sie und ihren Bruder nicht als Geschenk angesehen. Eine solche Einstellung prägte Kinder natürlich für den Rest ihres Lebens.

Hudson nickte. Plötzlich freute er sich auf den Abend. Obwohl sie ihm nicht allzu viel von sich preisgegeben hatte, wusste er nun doch eine ganze Menge mehr über Miss Bella Stockton.

Als Hudson am nächsten Tag in die Kindertagesstätte kam, war Bella bereits da. Er betrat die Lobby, legte einen Finger an seinen Stetson und begrüßte Bella gut gelaunt. Sie murmelte jedoch nur ein leises Hallo und hob kaum den Kopf. Was hatte das denn nun wieder zu bedeuten?

Das fragte er sich erneut, als sie es bei einem kurzen Mitarbeitertreffen sorgsam vermied, ihm in die Augen zu schauen. Und als sie ihm am späten Vormittag einen Stapel Papiere auf den Schreibtisch legte, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, war er sicher, dass irgendetwas vorgefallen war.

Sie benahm sich so ganz anders als die anderen schönen jungen Frauen. Nicht, dass es ihr an Selbstbewusstsein gemangelt hätte. Ihr Verhältnis zu den Kolleginnen und den Kindern war ganz normal. Sie wusste, was sie konnte und wo ihre Stärken lagen. Nur in seiner Gegenwart verhielt sie sich anders.

Er musste der Sache auf den Grund gehen.

Hudson machte es ebenfalls Spaß, mit den Krippenkindern zusammen zu sein. Das war eigentlich seltsam, denn seitdem er erwachsen war, hatte er nicht mehr viel Kontakt zu Kindern gehabt. Mehrmals am Tag ging er zu den verschiedenen, nach dem Alter gestaffelten Gruppen. Viele Kinder kannte er bereits mit Namen. Oft half er bei einem Kunstprojekt mit oder unterhielt sich mit einem neugierigen Vierjährigen. Die Kleinen stellten die verrücktesten Fragen. Auch die Erzieherinnen schienen sich über seine Anwesenheit zu freuen. Er wusste, dass sie keine leichte Arbeit leisteten. Es war gewiss manchmal viel unkomplizierter, mit zweijährigen Pferden umzugehen.

Und immer wieder schaute er zu Bella hinüber und fragte sich, warum er so sehr an ihr interessiert war. Sie war schön, zweifellos, sie hatte ein hübsches Gesicht, eine kecke Frisur, eine schlanke Figur. Aber da war noch mehr – etwas, das ihn ebenso beunruhigte, wie es ihn anzog.

Er hatte noch nie eine ernsthafte Beziehung mit einer Frau gehabt. Er verspürte auch gar nicht den Wunsch danach, denn nur zu gut erinnerte er sich noch an das distanzierte Verhältnis, das seine Eltern zueinander pflegten. Bei seinen ersten Dates hatte er immer wieder feststellen müssen, dass die Frauen ziemlich besitzergreifend waren. Das ungebundene Leben, das er führte, war für ihn aufregender als alle Romantik. Bisher hatte ihm noch keine Frau so viel bedeutet, dass er ihretwegen seine Unabhängigkeit hätte aufgeben wollen.

Doch irgendetwas an Bella Stockton machte ihn neugierig. Er wünschte sich, sie ein bisschen besser zu kennen. Er wollte wissen, warum sie ihm gegenüber so schüchtern war.

Später am Tag, als nur noch wenige Kinder darauf warteten, abgeholt zu werden, sah er seine Chance gekommen.

Er stellte sich vor Bellas Schreibtisch und fragte sie: „Könnten Sie bitte mal in mein Büro kommen?“

Erschrocken sah sie ihn an. Doch dann fragte sie: „Soll ich mein Tablet mitbringen, um Notizen zu machen?“

Er schüttelte den Kopf. „Nicht nötig.“

Mit gerunzelter Stirn folgte sie ihm in sein Büro. Dieses Mal schloss er die Tür hinter ihnen.

Er beschloss, aufrichtig ihr gegenüber zu sein. „Ich nehme an, Sie sind nicht besonders glücklich darüber, dass ich vorübergehend quasi zum Aufseher über den Hort ernannt worden bin. Doch ich möchte Ihnen noch einmal versichern, dass Sie ausgezeichnete Arbeit leisten. Ich bin nur wegen der Dinge hergekommen, die sich hier ereignet haben.“

„Ich weiß“, murmelte sie.

„Wirklich?“ Er schaute ihr direkt in die Augen, ohne mit der Wimper zu zucken.

„Es liegt nicht an Ihnen“, antwortete sie schließlich, „sondern an mir. Ich möchte keinen Fehler machen. Ich möchte die Existenz der Kinderkrippe nicht gefährden.“

„Das verstehe ich. Bis gestern war ich auch der Ansicht, dass wir gut miteinander klarkommen. Jedenfalls hatten wir ein nettes Gespräch.“

Dazu sagte sie nichts.

„Und gestern habe ich geglaubt, dass wir uns endlich ein bisschen besser kennenlernen. Ich bin froh, dass Sie mir einiges über Ihre Kindheit erzählt haben.“

„Das hätte ich besser nicht getan“, entgegnete sie rasch.

„Warum nicht?“

„Weil Jamie und ich nicht gerne darüber sprechen. Wir wollen noch nicht einmal darüber nachdenken. Es waren für uns beide sehr schwere Zeiten, und wir möchten uns auf keinen Fall gegenseitig bemitleiden.“

„Und Sie glauben jetzt, dass ich Sie bemitleide?“

„Vielleicht.“

Hudson schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid, dass Sie und Ihr Bruder das durchmachen mussten. Und es tut mir leid, dass Ihre Großeltern Sie nicht wie das Geschenk behandelt haben, das Sie und Ihr Bruder gewesen sein müssen.“ Er fand Gretas Worte vollkommen passend für ihre Situation.

Überrascht schaute Bella ihn an.

Sie standen sich an seinem Schreibtisch gegenüber. Nun trat er ein paar Schritte auf sie zu. Der leichte Blumenduft ihres Parfüms stieg ihm in die Nase. Er sah die kleine Linie über ihrer Nase, die jedes Mal tiefer wurde, wenn sie lachte oder lächelte. Sie benutzte nie viel Make-up, aber das wenige, das sie benutzte, war perfekt – einen Hauch von Lippenstift und Wimperntusche. Wenn er Bella nur sah, wurde ihm ganz heiß. Derartige Gefühle hatte er schon lange nicht mehr empfunden.

Dennoch bemühte er sich um einen neutralen Ton, als er fortfuhr: „Ich finde es gut, wenn Menschen, die zusammenarbeiten, auch etwas von sich selbst erzählen. Sie haben dann mehr Verständnis füreinander. Können Sie nachvollziehen, was ich meine?“

Sie dachte darüber nach. „Ich nehme an, meine eigene Kindheit hat mich gelehrt, andere Kinder mit Respekt, Freundlichkeit und Liebe zu behandeln.“

„Das sehe ich.“

„Und warum behandeln Sie die Kinder, als wären Sie eines von ihnen?“ Sie schien die Antwort wirklich hören zu wollen.

„Weil ich nie erwachsen geworden bin.“ Er sagte es halb im Ernst und halb im Spaß.

Jetzt musste Bella doch lächeln. Sie musterte Hudson von Kopf bis Fuß – von den kurzen braunen Haaren bis zu seinem Dreitagebart, von seinem offenen Hemdkragen bis zu seinen Jeans und Stiefeln. Schließlich antwortete sie: „Das glaube ich gern, wenn ich Sie mit den Kindern zusammen sehe. Aber es ist nur schwer zu glauben, wenn ich Sie als Chef der Kindertagesstätte betrachte. Und diese Rolle steht Ihnen sehr gut.“

„Es ist bloß eine Rolle, Bella, glauben Sie mir! Ich bleibe nur so lange, bis die Kinderkrippe ihren guten Ruf wiederhergestellt hat. Dann verschwinde ich wieder und widme mich anderen Aufgaben. Das ist mein Job. Und deshalb habe ich gesagt, dass ich nie erwachsen geworden bin.“

Verständnislos schüttelte sie den Kopf. „Aber was wollen Sie erreichen?“

„Was ich erreichen will?“

„Bevor Sie diesen Job angenommen haben – was hat Sie veranlasst, jeden Morgen aufzustehen und es mit dem neuen Tag aufzunehmen?“

„Ein neues Abenteuer. Ich habe Abenteuer förmlich gesucht. Mal habe ich wilde Mustangs in Wyoming eingefangen, mal einem Freund beim Aufbau seiner Ranch geholfen. Ich habe ein paar Talente, und ja, ich möchte etwas erreichen, obwohl ich mich nicht festlegen will. Ich entdecke meine Ziele an den Orten, an die ich fahre.“

„Ohne jegliche Verpflichtungen oder Verantwortung?“

„Keine Verpflichtung und keine Verantwortung. Das ist ein ziemlich unkompliziertes Leben.“

„Ach, mein Leben ist voller Komplikationen“, seufzte sie. „Wahrscheinlich wüsste ich auch gar nicht, was ich ohne sie anfangen sollte. Doch die Verantwortung für Jamie und die Drillinge ist wohl der Sinn meines Lebens. Und natürlich meine Zukunft. Das alles ist ein Work in progress, wenn Sie verstehen, was ich damit meine. Das wird mich in den nächsten Jahren beschäftigen. Ihr Lebensinhalt erscheint mir dagegen eher – nun ja, ein wenig wackelig zu sein … oder etwas ziellos …?!“

Oh ja, er war oft ziellos gewesen – etwa wenn er zwischen zwei Jobs hing oder wenn er unterwegs gewesen war und sich regelrecht treiben ließ. Bella schien diese Haltung allerdings für etwas Negatives zu halten – im Gegensatz zu ihm.

Sie schauten sich in die Augen. Was ihm wie eine Ewigkeit vorkam, dürfte höchstens ein paar Sekunden gedauert haben. Er ertappte sich dabei, dass er gerne mit den Fingern durch ihr Haar gefahren wäre oder ihr näher gerückt wäre. Da war ein Funkeln in ihren Augen, wenn sie ihn anschaute, woraus er schloss, dass sie ihn vielleicht attraktiv fand. Doch er war ihr Vorgesetzter, jedenfalls gewissermaßen, und sie glaubte bereits, dass er alles beurteilte, was sie tat. Es wäre einerseits äußerst dumm, sich mit ihr einzulassen. Andererseits war er es, der hier die Regeln bestimmte. Falls er und Bella tatsächlich etwas miteinander anfangen würden …

Plötzlich musste er sich räuspern. „Ich mach mal besser die Tür auf. Sonst denken die anderen noch, hier geht wer weiß was vor. Ich möchte nicht, dass Sie in der Gerüchteküche schmoren müssen.“

Ein Schatten fiel über ihr Gesicht. Er war nicht zu übersehen. Was hatte er wohl zu bedeuten?

Aber sie würde ihm nichts mehr sagen, das war ihm klar. Sie machte bereits Anstalten zu gehen.

Autor

Karen Rose Smith
<p>Karen Rose Smith wurde in Pennsylvania, USA geboren. Sie war ein Einzelkind und lebte mit ihren Eltern, dem Großvater und einer Tante zusammen, bis sie fünf Jahre alt war. Mit fünf zog sie mit ihren Eltern in das selbstgebaute Haus „nebenan“. Da ihr Vater aus einer zehnköpfigen und ihre Mutter...
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