Bianca Exklusiv Band 308

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DAS WUNDER, DAS SICH LIEBE NENNT von KARA LENNOX
Natalie ist völlig aufgewühlt. Jahrelang hat sie als Säuglingsschwester Neugeborene betreut, während sie sich vergeblich ein eigenes Kind wünschte. Und nun, nach einer Nacht mit ihrem Ex-Mann, erwartet sie ein Baby! Schaffen sie und Josh es dieses Mal mit der Kraft der Liebe doch noch ins Glück?

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  • Erscheinungstag 29.03.2019
  • Bandnummer 0308
  • ISBN / Artikelnummer 9783733737016
  • Seitenanzahl 236
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kara Lennox, Shirley Jump, Kaitlyn Rice

BIANCA EXKLUSIV BAND 308

1. KAPITEL

Natalie Briggs hängte sich ihr Namensschild um. Gelangweilt überflog sie die Namen auf den Schildern, die vor ihr auf dem Tisch lagen.

Als ihr Blick auf das von Josh Carlson fiel, zuckte sie zusammen. Rasch wandte sie sich ab und versuchte, sich die plötzlich aufkommende Panik nicht anmerken zu lassen. Wie konnte das sein?

Melissa hatte ihr versichert, dass Josh nicht kommen würde. Vor einigen Jahren war er in der Anwaltskanzlei in Houston, für die er seit dem Examen arbeitete, zum Partner aufgestiegen. Da hatte er unmöglich Zeit für ein albernes Klassentreffen. Das zumindest hatte Melissa behauptet.

Natalie hegte keinen Groll mehr gegen Josh. Dennoch verspürte sie keine Lust, ihn nach all den Jahren wiederzusehen.

„Natalie!“

Noch bevor sie sich umdrehen konnte, fand Natalie sich in einer stürmischen Umarmung wieder. Auch ohne das Gesicht zu sehen, wusste Natalie, dass die kräftigen Arme zu Melissa Bailey Pelton gehörten – dem einzigen Menschen im winzigen Camden in Texas, zu dem sie nach der Schulzeit Kontakt gehalten hatte.

Mit ihrem leuchtend roten Haar und den schelmischen grünen Augen strahlte Melissa eine Jugendlichkeit aus, die sie vermutlich auch mit Hundert nicht verlieren würde.

„Natalie, du siehst toll aus! Ich kann nicht glauben, dass du tatsächlich gekommen bist!“

„Aber ich habe doch gesagt, dass ich komme!“ Natalie senkte die Stimme zu einem Flüstern. „Aber du hast mir gesagt, dass Josh auf keinen Fall kommt!“

„Er hat in letzter Minute auf die Einladung geantwortet“, erwiderte Melissa achselzuckend. „Also, ich freue mich. Wir haben die letzten Jahre hin und wieder telefoniert und E-Mails geschrieben, aber gesehen habe ich ihn nicht mehr, seit ihr zwei euch getrennt habt. Wie lange ist das jetzt her? Zwanzig Jahre?“

„In diesem Monat sind es genau zwanzig Jahre, ja.“

„Aha, du zählst also noch.“

Bevor Natalie antworten konnte, zog Melissa sie zu einem Tisch, an dem einige Mitschüler von damals saßen. Sie tranken Bier und knabberten an Chicken Wings. „Seht mal, wen ich gefunden habe!“

„Hey, das ist ja Bohnenstange!“

Fröhliches Stimmengewirr kam auf, und Natalie begrüßte ihre Freunde von damals. In der Highschool waren sie die Klugen gewesen. Diejenigen, die in Englisch die Bücher wirklich lasen und sogar Spaß daran hatten. Die aufs College wollten, auch wenn später nicht alle studiert hatten.

„Du siehst gut aus, Bohnenstange“, sagte Tommy. Er war es, der ihr damals den wenig schmeichelhaften Spitznamen verpasst hatte, weil sie so mager gewesen war.

„Ich habe zugenommen“, entgegnete Natalie lächelnd.

Sie umarmte ihre ehemaligen Klassenkameraden und schüttelte den Ehepartnern die Hände. Erinnerungen an die Schulzeit kamen auf. Da war Diane Helms, die in der Marschkapelle Flöte gespielt hatte. Bud Conklin, der Bücher über theoretische Physik verschlungen hatte. Tommy Garrett, der Streiche liebte. Obwohl sie weniger Haare, einen runderen Bauch oder mehr Lachfalten hatten, erkannte Natalie alle sofort wieder.

Inmitten ihrer Freunde bereute es Natalie, dass sie die Verbindung hatte abreißen lassen. Aber nach dem Tod ihrer Mutter hatte sie keinen Grund mehr gesehen, hierher zurückzukehren.

Camden und ihre alten Freunde hätten sie nur schmerzhaft daran erinnert, wie glücklich sie alle gewesen waren – wie glücklich sie und Josh gewesen waren, bevor die Wirklichkeit sie eingeholt hatte.

Ein anderer ehemaliger Mitschüler trat vor, um Natalie zu begrüßen – und plötzlich fand sie sich Nase an Kinn mit Josh Carlson wieder.

Ihrem Exmann.

Natalie machte einen Schritt zurück.

„Natalie.“ Seine Stimme war warm, sexy und fast ein wenig herausfordernd. „Melissa hat behauptet, du würdest nicht kommen.“

Natalie brachte kein Wort heraus. Stattdessen warf sie ihrer Freundin einen vernichtenden Blick zu. Aber Melissa tat so, als ob sie es nicht bemerkte.

„Ich habe mich erst in letzter Minute entschieden“, sagte Natalie ein wenig atemlos. Du meine Güte, warum war er nicht so gealtert wie ihre Freunde – wie sie selbst? Josh Carlson in Fleisch und Blut war … ein Angriff auf ihre Sinne.

Er war kräftiger als früher, aber, soweit sie erkennen konnte, ohne auch nur ein einziges Gramm Übergewicht. Das Haar war so dunkel und dicht wie eh und je, auch wenn er es jetzt etwas kürzer trug. Die leicht ergrauten Schläfen schmälerten seine Attraktivität kein bisschen.

Natalies Knie wurden weich.

„Du siehst großartig aus“, sagte Josh. „Die Männer werden Schlange stehen, um mit dir zu tanzen, genau wie früher.“

Natalie lachte. Das Kompliment war natürlich übertrieben. Aber es tat gut, und sie entspannte sich. Das hier war der Josh von damals, auch wenn er jetzt ein erfolgreicher Anwalt war. Und er schien sie nicht zu hassen. Vielleicht hatte sie davor am meisten Angst gehabt.

„Setzt euch, ihr zwei!“, befahl Melissa. „Hier, nehmt ein Bier.“

Jemand hatte ein paar Flaschen aus der Kühlbox geholt. „Hey, das ist ja wie auf den Schulbällen, nur dass wir den Alkohol nicht mehr reinschmuggeln müssen.“

Natalie spürte, wie sie errötete. Jede Klasse der Camden High veranstaltete ihren Ball in der Halle des Veteranenvereins. Nur die war groß genug für so viele Gäste. Natalie erinnerte sich gut an ihren ersten Ball. Es war der Abend, an dem sie und Josh zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten, am Ende der elften Klasse.

Natalie warf ihm einen Blick zu und bemerkte, dass er sie nachdenklich betrachtete. Dachte er auch gerade daran?

Viele ihrer Freunde waren auf dem Parkplatz gewesen, um härtere Sachen zu trinken, oder sie nippten heimlich an mitgebrachten Flachmännern. Natalie und Josh brauchten keine anregenden Substanzen, sie waren auch so high genug.

Sie waren erst ein paar Monate zusammen, wussten aber schon, dass ihre Beziehung etwas Besonderes war. Deshalb hatten sie beschlossen, bis zum Schulball zu warten.

Über eine Stunde war Natalie bis nach Austin gefahren, um sich die Antibabypille verschreiben zu lassen. Was für eine Ironie, dachte sie jetzt, denn sie hatte sie gar nicht gebraucht. Sie würde die Pille niemals brauchen.

Als wäre die Stimmung nicht schon nostalgisch genug, hatten die Organisatoren des Klassentreffens auch noch die Band engagiert, die auf den Schulbällen aufgetreten war. Kaum zu glauben, dass sie noch zusammen spielten. Einige der Musiker waren inzwischen ergraut und standen kurz vor der Rente, aber ihre Musik war noch so gut wie vor fünfundzwanzig Jahren. Zu einem Plattenvertrag hatten sie es zwar nie gebracht, aber sie waren laut, ihre Songs waren die Hits von früher und weckten Erinnerungen.

„Lasst uns tanzen!“

Josh stand auf, und Natalie erstarrte.

„Komm schon! Du tanzt für dein Leben gern.“ Melissa zog an ihrem Arm.

„Aber …“

„Sei kein Trauerkloß“, unterbrach ihre Freundin sie. „Trink dein Bier, dann ab auf die Tanzfläche.“

„Komm schon, Nat“, sagte Josh. „Es ist doch nur ein Tanz.“

„Na gut.“ Wenn sie nicht mitmachte, würde Melissa sie nicht in Ruhe lassen. Außerdem würden sie in einer großen Gruppe tanzen, die Mädchen wie früher miteinander, während die Jungs herumstanden und nur die Füße bewegten.

Es war voll auf der Tanzfläche. Melissa erkämpfte ihnen eine Stelle am Rand, und bald fielen die Jahre von ihnen ab. Es war, als wären sie wieder siebzehn – bloß, dass keiner um Mitternacht zu Hause sein musste.

Unweigerlich wechselte die Band zur Countrymusic, und fast ohne es zu bemerken, landete Natalie zu einem Twostepp in Joshs Armen. Er lächelte. „Ich freue mich, dich wiederzusehen, Nat. Du hast mir gefehlt.“

Natalies Mund wurde trocken. Sie suchte nach einem unverfänglichen Gesprächsthema, möglichst einem, das sie beide daran erinnerte, wie gewaltig die Kluft zwischen ihnen war. „Und wie geht’s deinen Jungs?“

Joshs Lächeln wurde breiter. „Den Jungs geht’s großartig. Sean kommt in die zwölfte Klasse. Er spielt Football und Gitarre und hat eine Freundin, was mir höllische Angst macht.“

„Dass er mit ihr durchbrennt und heiratet?“ Genau das hatten Josh und Natalie getan, gleich nach der Highschool.

„Ja. Oder dass sie von ihm schwanger wird. Die beiden schlafen schon miteinander.“

„Hat dein Sohn dir das erzählt?“

„Ich habe es ihm entlockt. Ich wollte sicher sein, dass er verantwortungsvoll damit umgeht.“

Natalie wusste, dass auch sie bald solche Sorgen haben würde. Ihre Tochter Mary war letzten Monat sechzehn geworden.

„Und was ist mit deinem jüngeren Sohn? Doug, richtig?“, fragte sie.

Erstaunt sah Josh sie an.

„Hey, ich lese den Rundbrief.“

„Doug ist der Ernstere und etwas schüchtern, hat aber viele Freunde. Und er ist ein Musterschüler.“

„Ich wette, sie sehen beide gut aus.“

„Sie kommen nach ihrer Mutter. Blondes Haar, blaue Augen.“ Josh zögerte. „Du hast eine Tochter, habe ich gehört.“

Von Melissa zweifellos. Und bestimmt fand er es nicht gut, dass Natalie ein Kind adoptiert hatte, ohne einen Ehemann zu haben. Aber sie hatte auch als alleinerziehende Mutter gute Arbeit geleistet. „Ja. Mary ist sechzehn und in jeder Hinsicht perfekt“, antwortete sie lächelnd.

„Kein Teenager ist perfekt.“

„Nein, das stimmt.“

„Meine Kinder sind auch toll, aber ich habe permanent Angst um sie.“

„Das verstehe ich. Obwohl Mary mir noch nie einen Grund dazu gegeben hat.“

„Du wärst nicht normal, wenn du dir keine Sorgen machen würdest.“

Damit war das Thema Kinder abgehakt. „Und deine Eltern? Geht’s ihnen gut?“

Joshs Eltern hatte die Camden National Bank gehört. Vor einigen Jahren hatten sie sie verkauft und waren an den Golf von Mexiko gezogen. Sie hatten Natalie nie gemocht, trotzdem fühlte sie sich verpflichtet, nach ihnen zu fragen.

„Sie wohnen direkt am Strand, und mein Vater spielt jeden Tag Golf. Das mit deiner Mum tut mir leid. Ich wollte zur Beerdigung kommen, aber …“

„Melissa hat mir erzählt, dass du mich nicht in Verlegenheit bringen wolltest. Die Blumen, die du geschickt hast, waren wunderschön.“

„Deine Mutter war immer freundlich zu mir.“

„Bist du gern Rechtsanwalt?“ Noch ein harmloses Thema.

„Sehr gern, obwohl ich noch immer viele Überstunden machen muss. Was einem alleinerziehenden Vater das Leben nicht gerade erleichtert.“

„Ich weiß, was du meinst.“

„Arbeitest du immer noch als Krankenschwester?“

„Ja.“

„Wenn ich ins Krankenhaus müsste, würde ich dich als Krankenschwester haben wollen.“

Du meine Güte, er flirtete mit ihr. „Dazu bist du etwas zu alt.“

„Wie bitte?“

„Ich arbeite auf der Säuglingsstation.“

Josh lachte. „Ich kann mir vorstellen, dass dir das gefällt.“

Natürlich konnte er das. Seit sie laufen und sprechen konnte, fand Natalie Babys faszinierend. Wie oft hatte Josh auf sie warten müssen, während sie in irgendeinem Einkaufszentrum ein Baby bewunderte?

Sie hatte sich riesig auf den Tag gefreut, an dem sie ihr eigenes Neugeborenes in den Armen halten würde.

Nach der Heirat hatte sie die Pille abgesetzt. Josh war einverstanden gewesen. Obwohl sie beide weder Geld noch große Zukunftspläne hatten, wussten sie beide, dass sie Kinder wollten.

Doch Natalie war nie schwanger geworden.

Sie gingen zu einem Spezialisten, der bei Natalie eine Unterfunktion der Eierstöcke feststellte. Wenn es überhaupt zum Eisprung kam, dann äußerst unregelmäßig. Sie versuchten es mit einer Hormontherapie, die nicht wirkte, und für den nächsten Schritt, eine künstliche Befruchtung, hatten sie nicht genug Geld.

Die dauernde Anspannung und die Enttäuschung, wenn der Schwangerschaftstest wieder negativ ausfiel, belasteten ihre Ehe. Finanzielle Engpässe setzten sie zusätzlich unter Druck. Sie studierten beide noch und hatten nebenher mehrere Jobs. Hinzu kam, dass Joshs Eltern sie nicht unterstützten, denn sie waren von Anfang an gegen ihre Beziehung gewesen.

Natalie gab nicht auf. Sie wollte ein Baby und war bereit, alles dafür zu tun. Sie entschied sich, ein Kind zu adoptieren, und ließ sich und Josh auf eine Warteliste setzen. Aber Josh wollte ein eigenes Kind und bestand darauf, dass sie es weiter versuchten – in der Hoffnung, dass doch noch ein Wunder geschah.

Inzwischen verstand sie, warum er gegen eine Adoption gewesen war. Damals hatte sie ihn einfach nur für engstirnig gehalten.

Als das Licht gedämpft wurde und die Band mit einem langsamen Titel begann, kehrte Natalie abrupt in die Gegenwart zurück.

„Vielleicht sollten wir diesen Tanz auslassen“, sagte sie nervös.

„Ach, komm schon, Nat, bleib locker. Das hier ist ein fünfundzwanzigjähriges Klassentreffen. So etwas gibt es nur einmal im Leben. Da darf man ruhig ein wenig verrückt sein.“

„Sagt wer?“, entgegnete sie, protestierte jedoch nicht, als er die Arme fester um sie legte.

Als der Song zu Ende ging, hatte Natalie sich weit genug entspannt, um den Kopf an Joshs Schulter zu legen und an Dinge zu denken, die eigentlich tabu sein sollten.

Es war lange her, dass sie mit einem Mann intim gewesen war. Nach der Scheidung hatte sie ein paar Affären gehabt, aber sobald daraus etwas Ernstes zu werden drohte, machte Natalie Schluss.

Die Vorstellung, sich in einen Mann zu verlieben und ihm zu sagen, dass sie keine Kinder bekommen konnte, war ihr unerträglich.

Dann hatte sie die kleine Mary adoptiert und keine Zeit mehr für eine Beziehung gehabt. Das war nicht schlimm, denn es war kein Gerücht, dass die meisten Männer alleinerziehende Mütter scheuten wie der Teufel das Weihwasser. Aber das hatte Natalie nichts ausgemacht – sie brauchte keinen Mann in ihrem Leben.

Oder doch?

Natalie hatte vergessen, wie gut Josh duftete. „Oh“, entfuhr es ihr.

„Was denn?“

„Du trägst Stetson.“

„Stimmt.“ Sie hörte an seiner Stimme, dass er lächelte.

Das Aftershave war eins ihrer ersten Geschenke für ihn gewesen. Mit siebzehn war ihr der Duft unglaublich maskulin erschienen. Erst nach einigen Jahren hatte Josh ihr gestanden, dass er am liebsten einfach nur nach Seife duftete.

Aber heute Abend nicht. „Ist das immer noch die Flasche, die du von mir bekommen hast?“

„Die hat sich in Terpentin verwandelt. Ich habe mir eine neue gekauft.“

„Aber du magst Aftershave doch gar nicht.“

„Doch.“

Nein, ganz sicher nicht. „Lass uns etwas trinken.“

Auf dem Weg zu ihrem Tisch baute sich Bobby Salazar vor ihnen auf. Er war betrunken. „Ich dachte, ihr zwei habt euch scheiden lassen.“

Josh klopfte ihm auf die Schulter. „Hey, Bobby, ich dachte, du bist nüchtern geworden.“

Grinsend wankte Bobby davon.

„Ich glaube, wir sorgen hier für große Verwirrung“, sagte Natalie.

„Das kann sein, aber da wir unsere Klassenkameraden frühestens in zwanzig Jahren wiedersehen, stört es uns nicht, oder?“

Natalie zuckte mit den Schultern. „Nein.“

„Ich hole uns ein Bier.“

Kaum war Natalie allein, eilte Melissa zu ihr. „Sieht aus, als würdet ihr euch glänzend verstehen.“

Natalie warf ihr einen wütenden Blick zu. „Du hast uns beide angelogen!“

„Nat, ihr gehört zusammen, das habe ich dir immer gesagt. Und jetzt gibt es nichts mehr, das euch trennt. Er ist seit einer Ewigkeit von Beverly geschieden, und du bist Single.“

„Uns trennt eine ziemlich schmerzhafte Vergangenheit“, erinnerte Natalie ihre Freundin.

„Ihr wart jung. Jetzt würdet ihr es besser machen.“

Würden sie das? Natalie war reifer geworden. Sanfter. Für sie war nicht mehr alles entweder schwarz oder weiß.

„Jeder führt sein eigenes Leben“, sagte Natalie leise.

„Na und? Euer großes Problem hat sich doch mittlerweile erledigt.“

Warnend runzelte Natalie die Stirn. „Hör auf.“

Ihre Freundin seufzte. „Du lässt dir eine großartige Gelegenheit entgehen.“

Josh kehrte mit dem Bier zurück, und damit war das Gespräch beendet. Natalie schwitzte und hatte Durst. Die Klimaanlage in der Halle kam gegen die Hitze nicht an. Längst hatten die Männer Jacketts und Krawatten abgelegt. Natalie war froh, nur ein leichtes Sommerkleid angezogen zu haben.

Sie trank einen Schluck und sah verstohlen zu Josh. In seinem weißen Oberhemd sah er verteufelt gut aus.

Es dauerte nicht lange und Melissa lotste sie alle wieder auf die Tanzfläche. Erleichtert stellte Natalie fest, dass die Band einen Line Dance anstimmte. Als Teil einer Formation kam sie Josh nicht so nahe.

Doch als sie nach einigen Takten ein Paar bilden mussten, legte Josh den Arm um ihre Taille und ließ die Hand kurz auf die Hüfte gleiten.

Es kribbelte bis in die Zehenspitzen. „Josh!“

„Entschuldigung.“ Aber Josh sah nicht aus, als würde er sich schuldig fühlen.

Und wenn Natalie ehrlich war, tat es auch ihr nicht leid. Im Gegenteil, sie wollte, dass er sie wieder berührte.

Nach zwanzig Minuten auf der Tanzfläche sehnte sich Natalie nach etwas frischer Luft. Als die Band eine Pause machte, schlüpfte sie durch eine Seitentür auf den Parkplatz.

Es war Anfang Juni und in Texas nicht gerade kühl. Immerhin wehte eine leichte Brise, und Natalie hielt das Gesicht in den Wind. Sie überlegte, ob sie einfach zu Melissa fahren sollte, wo sie übernachtete. Aber das Bier war ihr zu Kopf gestiegen, also musste sie noch ein paar Stunden bleiben.

„Hier bist du.“

Natalie zuckte zusammen. „Josh!“

Wie er es beim Tanzen getan hatte, legte Josh den Arm um ihre Taille. Aber diesmal waren sie allein und im Dunkeln.

„Ich bin froh, dass es dir gut geht“, sagte er. „Jahrelang habe ich mir Sorgen gemacht, weil du ganz allein in der Großstadt lebst.“

Wie selbstverständlich schlenderten sie zu den Picknicktischen hinter der Halle.

„Ich bin nie allein gewesen“, widersprach Natalie. „Meine Schwester ist in Dallas.“ Deshalb hatte sie dort und nicht in Houston die Ausbildung zur Krankenschwester gemacht. Außerdem hatte sie nicht in Versuchung geraten wollen, zu Josh zurückzukehren. Sich scheiden zu lassen war die schmerzhafteste Entscheidung ihres Lebens gewesen, und sie wollte nicht riskieren, sich ein zweites Mal trennen zu müssen.

„Ja, aber mich hattest du nicht.“

„Das ist wahr. Aber wie durch ein Wunder habe ich es ohne dich geschafft. Und ohne irgendeinen anderen Mann.“

Josh nahm ihre Hand und zog sie zu einem der Tische. Suchend beugte er sich über die Tischplatte.

„Was tust du da?“, fragte Natalie erstaunt.

„Da sind sie.“ Josh holte sein Schlüsselbund heraus, an dem eine winzige Taschenlampe befestigt war.

Das Licht fiel auf ein Herz, das die Buchstaben J.C. und N.B. umschloss. Josh hatte sie ins Holz geschnitzt, als sie das erste Mal zusammen ausgegangen waren.

„Verunstaltung öffentlichen Eigentums. Schäm dich.“

„Alle sollten wissen, dass du zu mir gehörst.“ Er strich ihr das Haar zurück. „Du siehst noch genauso aus, wie ich dich in Erinnerung hatte. Nein … besser.“

„Das liegt am weichen Licht“, scherzte Natalie, aber ihre Stimme zitterte.

Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen, wenn er sie berührte. Sie wusste, dass es einen guten Grund gab, hier draußen nicht mit Josh Carlson allein zu sein. Aber ihr fiel keiner ein.

Alles, was sich in ihr regte, war ein Verlangen, wie sie es seit ihrer Jugend nicht mehr verspürt hatte.

Dann küsste er sie, und sie hörte ganz auf zu denken.

2. KAPITEL

Josh konnte nicht fassen, wie herrlich es war, Natalie in den Armen zu halten und zu küssen. Er hatte gewusst, dass sie zum Klassentreffen kommen würde. Melissa hatte ihn vorgewarnt. Aber für ihn war es keine Warnung gewesen. Er hatte sehen wollen, was aus ihr geworden war. Als sie sich getrennt hatten, waren sie gerade mal dreiundzwanzig gewesen.

Insgeheim hatte Josh gehofft, dass Natalie heute dick und matronenhaft war, mit vielen Falten und grauem Haar. Aber äußerlich war sie so, wie er sie in Erinnerung hatte. Sicher, sie hatte ein wenig zugenommen – aber das war gut so. Als Teenager war sie viel zu dünn gewesen.

Sie hatte dieselben vollen Lippen, dasselbe dichte, dunkle und leicht wellige Haar, das ihr locker bis auf die Schultern fiel.

Und sie küsste noch immer leidenschaftlich. Josh fragte sich, ob er sie auch jetzt noch so leicht erregen konnte wie damals. Er wusste, wo er sie berühren musste.

Aber selbst nach einigen Flaschen Bier war er nicht sicher, ob es klug wäre, in ihr ein Feuer zu entfachen. Sie waren erwachsen, Sex war kein Spiel mehr.

Trotzdem konnte er nicht aufhören sie zu küssen.

Eine Tür wurde geöffnet, und wilde Rockmusik drang nach draußen. Josh nahm die Hand von Natalies Brust, wohin sie auf rätselhafte Weise gewandert war.

„Wir sollten das hier wirklich nicht tun.“

„Warum nicht?“, fragte Josh, obwohl er die Antwort kannte.

„Weil man manche Erinnerungen besser in Ruhe lässt.“

„Und manche sollten überprüft werden“, entgegnete er. „Um festzustellen, ob es wirklich so schön war, wie man es in Erinnerung hat.“

Natalie lächelte matt. „Und, war es das?“

„Das weiß ich nicht. Die Überprüfung ist noch nicht abgeschlossen.“

Natalie erlaubte ihm, sie wieder zu küssen. Küssen war harmlos. Schließlich konnten sie einander hier nicht die Kleider vom Leib reißen und auf einem Picknicktisch miteinander schlafen.

Aber genau das ging Josh durch den Kopf. „Ich habe ein Zimmer im Holiday Inn“, flüsterte er und rechnete damit, dass sie ihn empört zurechtwies. Aber sie blieb erstaunlich ruhig.

„Das geht nicht. Ich übernachte bei Melissa.“

„Glaubst du wirklich, sie hätte etwas dagegen, wenn wir ins Hotel gingen? Seit unserer Scheidung will sie, dass wir wieder zusammenfinden.“

„Ja. Zusammenfinden, heiraten und glücklich alt werden.“

Natalie zog sein Hemd aus der Hose und strich über den Rücken. Die Berührung ließ ihn vor Verlangen zittern.

„Sie fände es nicht gut, was wir hier … worüber wir reden“, wand Natalie ein.

„Es ist ein Klassentreffen.“

„Das sagst du dauernd.“ Sie nahm seine Hand und legte sie wieder auf ihre Brust. „Als wäre das ein Freibrief, sich gehen zu lassen.“

Josh küsste die rosige Haut auf ihrem Schlüsselbein. „Tun wir doch gar nicht. Noch nicht.“

Aber wenn sie sich nicht bald etwas einfallen ließen, würden sie hier und jetzt für einen Skandal sorgen. Josh hatte ganz vergessen, wie verrückt Natalie ihn machen konnte.

Er zwang sich, sie loszulassen, und schob den Träger ihres Sommerkleids zurück auf die Schulter. „Mein Wagen steht nur zwanzig Schritte entfernt von hier. Du kannst Melissa auf dem Handy anrufen. Oder noch besser, hinterlass ihr zu Hause eine Nachricht.“

„Bei einem ihrer Kinder? ‚Sag deiner Mummy, dass ihre hemmungslose Freundin Natalie nicht nach Hause kommt, weil sie mit einem Mann ins Bett will.‘“

Josh schmunzelte. „Komm schon, Nat. Ich habe heute extra dein Lieblings-Aftershave aufgetragen. Das Zeug fasse ich normalerweise nicht an.“ Aber der Duft hatte viele Erinnerungen geweckt. Schöne Erinnerungen.

Als er sah, dass Natalie noch immer zögerte, küsste er sie, bis ihre Muskeln sich einer nach dem anderen entspannten. Schließlich schmiegte sie sich eng an ihn.

„Na gut“, gab Natalie schließlich mit blitzenden Augen nach. „Vergiss Melissa. Ich bin ihr ohnehin böse, weil sie mich angelogen hat.“

Josh schnappte nach Luft. Sie hatte Ja gesagt. Natalie und er würden miteinander schlafen.

Er war nicht hergekommen, um sie zu verführen. Sicher, er hatte das Aftershave benutzt, aber nur weil er wissen wollte, ob sie sich erinnerte – nicht nur an die schlechten Zeiten, sondern auch an die guten.

Aber dann hatte er sie gesehen und festgestellt, wie sehr sie auch jetzt noch dem jungen Mädchen ähnelte, in das er sich damals verliebt hatte. Und seitdem wollte er sie in seinem Bett haben.

One-Night-Stands hatte Josh schon vor langer Zeit aufgegeben. Und da zwei gescheiterte Ehen bewiesen, dass er kein guter Ehemann war, kam eine Heirat auch nicht mehr infrage.

Aber das hier war anders. Das hier war Natalie, die Frau, die er mal geliebt hatte, vermutlich mehr als jeden anderen Menschen. Eine Nacht mit ihr wäre mit irgendeinem schnellen, flüchtigen Abenteuer nicht zu vergleichen.

Es wäre ein Ausflug in die Vergangenheit, eine nostalgische Oase in einem Leben, in dem es nur noch Arbeit und Kindererziehung gab, in dem er nie Zeit für sich selbst hatte.

Josh öffnete die Beifahrertür des Jaguars und half ihr auf den Ledersitz.

„Hübsch.“

Josh schaute auf ihr Bein, von dem viel zu sehen war, während Natalie einstieg. „Ja, sehr hübsch“, erwiderte er.

Natalies lange Beine hatten ihn immer um den Verstand gebracht. Vor zwanzig Jahren waren sie wie Fohlenbeine gewesen. Jetzt waren sie kräftig, elegant und wohlgeformt.

Josh lief um den Wagen herum und stieg rasch ein. Er wollte jetzt keine Zeit mehr vergeuden.

Doch bevor er den Motor startete, legte er die Hand in Natalies Nacken und zog sie rasch zu sich heran, um sie zu küssen. Er musste unbedingt verhindern, dass sie zur Vernunft kam und einen Rückzieher machte. Anstatt das zu tun, was sie beide wollten.

Aber kaum schmeckte er ihre Lippen, konnte er nicht mehr aufhören, sie zu küssen. Seine Hände glitten über ihren Körper, und bevor er sich versah, war sie über den Schalthebel geklettert und saß auf seinem Schoß.

Sex im Auto war für sie nichts Unbekanntes. Im letzten Schuljahr hatte Josh einen alten Pick-up besessen. Er war noch enger als der Jaguar, aber bequem genug.

Josh schob den Fahrersitz nach hinten und legte die Rückenlehne um, bis sie fast waagerecht war.

„Hübsch“, wiederholte Natalie. Sein Hemd hatte sie schon aufgeknöpft, und da sie mit beiden Händen über seine Brust strich, wusste Josh nicht, ob sie den Wagen oder ihn meinte.

Er ließ eine Hand unter den Rock gleiten, um erst den Oberschenkel, dann den Po zu streicheln, der mit etwas sehr Seidigem – und Winzigem – bedeckt war. „Wirklich sehr hübsch“, flüsterte er und tastete nach dem Bund des Slips. „Den möchte ich sehen.“

„Dazu musst du ihn mir ausziehen“, murmelte Natalie und küsste ihn noch leidenschaftlicher.

Josh widersprach nicht.

Mit einer Geschmeidigkeit, die sie vor vielen Jahren perfektioniert hatten, beugte Natalie sich vor, bis ihre wundervollen Brüste ihn berührten. Dann schwang sie die Beine zur Seite. Als sie mit dem Rücken zur Seitenscheibe auf seinem Schoß saß, konnte er ihr mühelos den Slip ausziehen.

„Noch so beweglich wie immer“, lobte Josh lächelnd.

„Du redest zu viel. Und du hast noch viel zu viel an.“

Das ließ sich ändern. In Rekordzeit entledigte er sich der Hose. Als Natalie in seinen Slip griff, hielt er die Luft an. Lange würde er sich nicht beherrschen können, wahrscheinlich kaum länger als früher. Was kein Wunder war, denn im Moment benahmen sie sich wie Teenager.

Plötzlich kam ihm ein entsetzlicher Gedanke. „Verdammt, ich habe nichts dabei.“

Natalie lachte. „Keine Panik, Josh. Hast du vergessen, wer ich bin?“

„Oh. Richtig.“

„Es hat schon mit zwanzig nicht geklappt, und inzwischen bin ich dreiundvierzig.“

„Natürlich. Entschuldige, Nat.“ Wie hatte er nur so dumm sein können, sie an das zu erinnern, was sie damals auseinandergebracht hatte?

„Ich glaube, ich habe mich in die Zeit versetzt gefühlt, zu der wir uns darum noch Sorgen machen mussten. Wer du bist, habe ich keine Sekunde vergessen.“

Sie lächelte. „Dass der Sex mit mir dich vergessen lässt, welches Jahr wir haben, ist wohl ein Kompliment.“

„Wir haben keinen Sex“, widersprach Josh.

„Noch nicht.“

Als er in sie eindrang, spürte er, wie eine geheime Sehnsucht in Erfüllung ging. Mit Natalie zusammen zu sein war, als wäre er nach einer sehr langen Abwesenheit heimgekehrt. Nein, er würde sie ganz bestimmt mit keiner anderen Frau verwechseln.

Josh wollte sich Zeit lassen, schaffte es aber nicht. Zum Glück reichte seine Selbstbeherrschung, um ihr einen Höhepunkt zu bescheren. Danach folgte er ihr zu dem Ort, an dem es nur die berauschende Erfüllung eines lange nicht mehr erlebten Verlangens gab. Gern wäre er für immer dort geblieben, aber es war viel zu schnell vorbei.

Erst danach merkte er, dass sie beide schweißnass waren. Das hatte man davon, wenn man in Texas an einem Sommerabend in einer Limousine miteinander schlief. Noch dazu bei geschlossenen Fenstern.

Josh legte den Arm um Natalie, setzte sich auf und tastete nach dem Zündschlüssel. Der Motor sprang an, und die Klimaanlage schaltete sich ein.

„Gute Idee“, sagte Natalie.

Josh lachte. Und als er sie betrachtete, mit halb ausgezogenem Kleid und zerwühltem Haar, musste er erneut lachen. Er selbst sah auch nicht präsentabler aus.

„Wir können es noch, was?“

Sie klopfte auf seinen Arm. „Mehr hast du nicht zu sagen?“

Okay, das Gespräch danach war noch nie seine Stärke gewesen. „Natalie, das war fantastisch.“

„Ja, wir können es noch. Wir sind noch immer verrückt. Was, wenn unsere Kinder uns so sehen könnten?“

„Psst. Unsere Kinder sind nicht hier. Wir sind erwachsen und haben nichts Schlimmes getan.“ Im Gegenteil, dachte er.

Natalie legte die Wange an seine Brust und seufzte. „Ich bin froh, dass dein Wagen getönte Scheiben hat.“

„Hier draußen ist niemand.“

„Josh, warum haben wir das getan?“

Gute Frage. Wollte er von vorn anfangen? Aber das war unmöglich. Sie wohnten ja nicht mal in derselben Stadt. Von Dallas nach Houston waren es mit dem Auto mindestens vier Stunden.

Aber selbst wenn da nicht die räumliche Distanz gewesen wäre, es hatte zu viel Schmerz zwischen ihnen gegeben. Jedes Mal, wenn Natalie wieder nicht schwanger geworden war, war ihre Frustration, ihre Enttäuschung, ihr Zorn größer geworden. Bis die negativen Gefühle jeden Winkel ihres Lebens infiziert hatten.

Natürlich war auch Josh für das Scheitern ihrer Ehe verantwortlich. Er hatte auf ihre Verunsicherung nicht gerade feinfühlig reagiert. Für ihn war der unerfüllte Kinderwunsch ein Problem gewesen, das sich lösen ließ. Sie mussten sich nur mehr Mühe geben …

Josh begriff nicht, dass Natalie ihre nicht richtig funktionierenden Eierstöcke als persönliches Versagen ansah. Noch weniger verstand er, welche emotionalen Turbulenzen sie durchmachte.

Manchmal, wenn sie ihm besonders launisch vorkam, zog er sich zurück, anstatt sie zu trösten und das zu sagen, was sie hören wollte – dass er sie auch ohne Baby immer lieben würde.

Die Uneinigkeit über eine Adoption hatte ihrer Ehe schließlich den Rest gegeben.

Jetzt schwelgten sie in der Erinnerung an die guten Zeiten, an die unbeschwerten Tage an der Highschool, bevor das wahre Leben sie auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt hatte. Sie schwebten auf einer rosa Wolke der Nostalgie, die sich bald auflösen würde.

Aber nicht in dieser Nacht.

„Lass uns ins Hotel fahren“, schlug Josh vor. „Ich möchte richtig mit dir schlafen, in einem bequemen Bett, mit Klimaanlage.“

„Nein, besser nicht.“

„Warum?“

„Wir müssen zurück zum Klassentreffen. Es gibt so viele Leute, mit denen ich noch nicht gesprochen habe …“

„Nat, das ist doch nur eine Ausrede. Was ist der wahre Grund?“

Sie glitt von seinem Schoß. Dabei vermied sie es nur knapp, ihm einen unbeabsichtigten Kniestoß zu verpassen. „Ich bereue es nicht, Josh, aber ich finde, wir sollten wieder vernünftig sein.“

„Ich halte die Idee, mit dir die Nacht in einem Doppelbett zu verbringen, für äußerst vernünftig.“ Josh richtete seine Kleidung und knöpfte das Hemd zu.

Natalie angelte nach ihrem Slip, schlüpfte hinein und schob die Füße in die High Heels.

„Außerdem weiß ich nicht, ob ich mich so, wie ich aussehe, wieder in der Halle blicken lassen will“, fügte Josh hinzu.

„Warum?“ Natalie klappte die Sonnenblende herunter und schaute in den Spiegel. „Oh mein Gott, ich sehe aus, als hätte ich gerade Sex in einem Auto gehabt. Melissa ist nicht blind.“

In der Halle war keiner blind, aber das sprach Josh nicht aus.

Natalie nahm Kamm und Lippenstift aus der kleinen Handtasche und machte sich hastig zurecht.

„Sinnlos! Und ich bin völlig verschwitzt“, verkündete sie. Sie schnupperte erst an ihrem Haar, dann an der Schulter. „Ich rieche nach deinem Aftershave! Na gut, bring mich in dein Hotelzimmer. Ich muss duschen und das Kleid auslüften.“

Das war nicht ganz das, was Josh vorschwebte, aber vielleicht konnte er sie ja doch noch überreden. „Ich gehe schnell in den Waschraum. Was soll ich Melissa sagen? Sie wird fragen, wo du bist.“

„Sag ihr, wir drehen eine kleine Runde durch den Ort.“

Natalie saß in Joshs schickem Wagen und befahl sich, endlich zur Ruhe zu kommen. Sie musste unbedingt herunterspielen, was sie gerade getan hatten, sonst würde er merken, wie sehr der Sex mit ihm sie aufgewühlt hatte.

Sie hatte nicht geahnt, wie sehr ihr das gefehlt hatte. Hin und wieder – wahrscheinlich häufiger, als für sie gut war – hatte sie alte Erinnerungen hervorgeholt und an die glücklichen Zeiten mit Josh gedacht. Aber ganz offenbar hatte sie wichtige Dinge dabei ausgespart – zum Beispiel, was er mit einer einzigen Berührung bei ihr auslösen konnte.

So in Fahrt wie eben waren ihre Hormone schon lange nicht mehr geraten. Aber es war mehr als rein körperliche Erregung. Aus allen Richtungen stürmten die Erinnerungen auf sie ein. Erlebnisse, an die sie seit zwanzig Jahren nicht mehr gedacht hatte.

Der Abend, an dem er das Herz mit ihren Namen in den Picknicktisch geschnitzt hatte – der erste Hinweis darauf, dass er für sie mehr empfand als nur Verlangen oder flüchtige Zuneigung. All die Male, die sie zur Cemetery Road hinausgefahren waren und in seinem Pick-up miteinander geschlafen hatten.

Sie hatten es immer auf dem Beifahrersitz getan. Ein einziges Mal hatten sie eine Wolldecke auf der Ladefläche ausgebreitet, und ausgerechnet da war ein Streifenwagen aufgetaucht.

Halb nackt hatte der Deputy sie ertappt, sie jedoch nicht festgenommen und auch nicht ihre Eltern angerufen. Er hatte ihnen nur befohlen, sich anzuziehen und nach Hause zu fahren.

Danach hatte Natalie Deputy Klegg nie wieder in die Augen sehen können.

Es hatte so viele gute Zeiten gegeben – sie hatten gepicknickt, bei Melissa zu MTV getanzt, das Boot von Joshs Eltern genommen, um mit Freunden auf dem See Wasserski zu laufen. So viel Liebe.

Dass sie so jung heirateten, löste bei vielen Leuten Kopfschütteln aus. Aber die meisten glaubten, dass sie es schaffen würden, eine glückliche Ehe zu führen.

Die Einzigen, die nicht überrascht waren, als sie sich scheiden ließen, waren Joshs Eltern. Sie waren zwar immer höflich zu ihr gewesen, aber Natalie wusste, dass sie sich für ihren Sohn eine bessere Partie vorgestellt hatten.

Ein paar Minuten später kam Josh zurück, Jackett und Krawatte in einer Hand. „Gute Nachricht“, verkündete er beim Einsteigen. „Melissa war auf der Tanzfläche. Ich brauchte ihr nichts zu sagen.“

Glück gehabt, dachte Natalie. Vielleicht konnte sie ja rechtzeitig wieder in der Halle sein und so tun, als wäre nichts Ungewöhnliches passiert.

Melissa und sie hatten sich früher alles erzählt, aber wozu sie sich heute Abend hatte hinreißen lassen, ging niemanden etwas an.

Bis zum Holiday Inn waren es etwa zwanzig Minuten Fahrt. Josh stellte die Klimaanlage aus und öffnete das Schiebedach. Ihr Haar wehte im Wind.

„Das ist ein toller Wagen“, brach Natalie schließlich das Schweigen.

„Danke. Aber irgendwie klischeehaft, findest du nicht? Ein Typ wird vierzig und kauft sich teures Spielzeug, um den Verlust seiner jugendlichen Männlichkeit auszugleichen …“

„Glaub mir, du hast nichts verloren. Vorhin kamst du mir vor wie siebzehn.“

„Ich hoffe, seitdem hat sich meine Technik verbessert.“

„Willst du jetzt ein Kompliment hören?“

Natalie musste lächeln, als sie an ihre unbeholfenen Anfänge dachte. Es war für sie beide das erste Mal gewesen. Versuch macht klug, das war ihr Motto gewesen. Zusammen hatten sie viel ausprobiert und dabei gelernt. Und noch mehr ausprobiert und noch mehr gelernt.

Natalie rutschte auf dem Beifahrersitz hin und her und befahl sich, an etwas anderes zu denken. Sie wollte sich im Hotel nur etwas frisch machen, mehr nicht. Hoffentlich respektierte Josh ihren Wunsch, aufs Klassentreffen zurückzukehren.

Das Hotel war neu und stilvoll eingerichtet. In Joshs Zimmer lag der Koffer geöffnet auf dem Bett. Über einer Stuhllehne hingen verwaschene Blue Jeans und ein Polohemd. Vermutlich die Sachen, in denen er hergefahren war.

Das Federbett war schneeweiß, die Kissen lehnten am Kopfteil. Unwillkürlich malte Natalie sich aus, wie Josh mit nacktem Oberkörper darauf lag, einen Arm hinter dem Kopf, und durch die Fernsehprogramme surfte.

Ihr Mund wurde trocken. Kurz blickte sie zu Josh, der in der Tür lehnte, dann warf sie die Handtasche aufs Bett und streifte die Schuhe ab. „Ich sollte mich besser beeilen. Du hast mich ganz schön zerzaust.“

„Ich finde, du siehst besser aus als je zuvor.“

Der Blick, den er ihr zuwarf, ließ ihre Knie weich werden.

Nein, nein, nein, dachte sie, erstarrte jedoch, als Josh ihr folgte, ganz langsam und zielsicher, mit einem verräterischen Funkeln in den blauen Augen.

Doch anstatt sie an sich zu ziehen, griff er nach ihrer Handtasche, nahm das Handy heraus und hielt es ihr hin. „Sprich Melissa auf die Mailbox, dass du erst morgen früh nach Hause kommst.“

Eine ganze Nacht mit Josh? Traute sie sich? Durfte sie sich diese Chance entgehen lassen? Wie viel Spaß erlaubte sie sich denn noch? Ihr Leben gehörte der Arbeit und ihrem Kind. Nicht, dass sie und Mary keinen Spaß hatten. Aber Natalie tat selten etwas nur für sich.

Eine Nacht mit Josh. Melissa würde sich denken, wo sie war, aber was machte das schon? Selbst wenn sie es ihren Freundinnen erzählte, und das würde sie bestimmt, konnte es Natalie egal sein. Schließlich wohnte sie nicht mehr hier.

Sie klappte das Handy auf, fand Melissas Nummer und wählte sie.

3. KAPITEL

„Also, was ist es?“, fragte Natalie ihre Frauenärztin und zog den Pullover fester um sich, als wäre ihr kalt. „Du sagst nichts. Ich komme verfrüht in die Wechseljahre, richtig?“ Als ihre Ärztin noch immer nicht antwortete, wurde Natalie unruhig. „Ist es etwas Schlimmeres? Krebs? Sterbe ich nächste Woche? Sag doch etwas!“

„Oh nein, Honey. Ich wollte dir keine Angst machen. Es ist nichts dergleichen. Ich weiß nur nicht, wie ich es dir sagen soll. Am besten ich sage es dir ganz direkt: Du bist schwanger.“

Natalie lachte. „Du weißt besser als jeder andere, dass das unmöglich ist.“

Bestimmt machte Celia Brewster nur einen Scherz. Einen nicht sehr gelungenen, wie Natalie fand. Seit fast zwanzig Jahren war Celia ihre Ärztin, und im Laufe der Zeit waren die beiden Freundinnen geworden.

Natalies Lachen verklang, als Celia ihr ernst in die Augen schaute. „Das muss ein Irrtum sein. Eine Verwechslung im Labor. Ich kann nicht schwang…“ Sie brachte das Wort nicht zu Ende.

„Es ist kein Irrtum. Du bist eindeutig schwanger.“

Natalie konnte es nicht glauben. Sie war dreiundvierzig. Und angeblich unfruchtbar. In den letzten Jahren hatte sie exakt einmal Sex gehabt – na schön, mehr als einmal, wenn man es genau nahm. Sie hatte nicht gezählt, wie oft sie und Josh in der verrückten Nacht des Klassentreffens vor zwei Monaten miteinander geschlafen hatten. Aber trotzdem …

„Wie kann das sein, Celia? Was ist mit der Unterfunktion meiner Eierstöcke? In meinem Alter werden Frauen nicht so einfach schwanger, auch normale Frauen nicht!“

„Du würdest dich wundern, wie viele Frauen über vierzig Kinder bekommen. Und ich habe eine Theorie, wieso du plötzlich fruchtbar geworden bist. Weißt du noch, wie du das erste Mal als Patientin bei mir warst? Du warst sehr dünn, und hattest praktisch keine Periode. Bei extrem untergewichtigen Frauen findet der Eisprung oft nicht statt.“

Natalie konnte sich nicht an Celias Besorgnis erinnern, aber sie wusste, dass sie immer vernünftig gegessen hatte. Sie hatte nur nicht zugenommen, in jeder anderen Hinsicht war sie völlig gesund.

„Du hast über die Jahre ein paar Pfunde zugelegt“, fuhr Celia fort. „Das finde ich gut – vorher hast du ein wenig unterernährt ausgesehen. Jetzt siehst du toll aus. Und bist gesund wie ein Pferd. Ist dein Zyklus, abgesehen von den letzten Monaten, regelmäßiger gewesen?“

Natalie hatte nie darauf geachtet. Seit sie Mary adoptiert hatte, hatte sie nicht mehr daran gedacht, ein Kind zur Welt zu bringen. Daher war ihre Regel für sie unwichtig gewesen.

Aber jetzt, da sie daran dachte … Sie hatte sie tatsächlich pünktlicher bekommen.

Wie benommen nickte sie.

„Meine Theorie ist, dass dein Körpergewicht, als du um die zwanzig warst, zu gering war, um einen regelmäßigen Eisprung zu haben. Außerdem hast du unter erheblichem Stress gestanden.“

„Weil ich Josh unbedingt ein Baby schenken wollte, meinst du?“

„Und weil du so jung und schon verheiratet warst und ihr beide nebenbei Geld verdienen musstet, um eure Ausbildung abzuschließen.“

„Meine Ärztin hat mir damals geraten, mich ein wenig zu schonen“, gab Natalie zu. „Aber ich dachte damals, das sei nur etwas, was Ärzte besorgten jungen Frauen immer empfehlen.“

Celia lachte. „Da hast du recht. Aber in diesem Fall trifft es zu. Auch Stress verhindert einen Eisprung. Aber irgendwann, als dein Gewicht einen bestimmten Punkt erreichte, haben die Eierstöcke sich normalisiert. Ohne den Zwang, unbedingt schwanger werden zu müssen, bist du wieder fruchtbar geworden. Du hast es nur nicht gemerkt, weil du nie ungeschützten Sex hattest.“

„Ich hatte überhaupt keinen Sex.“

„Na ja, mit irgendwem musst du Sex gehabt haben.“

Natalie stöhnte auf. Was sollte sie Josh sagen? Und Mary?

„Dann gibt es noch die Eins-zu-einer-Million-Theorie. Sicher, die Chance, dass eine Frau in deinem Alter schwanger wird, ist gering. Aber sie besteht. Die Wahrscheinlichkeit ist in etwa so groß wie bei einem Lotteriegewinn.“

„Großartig. Ein Lotteriegewinn wäre mir lieber gewesen.“

Aber dann wurde Natalie bewusst, dass das nicht stimmte. Das hier war viel besser.

Natalie bekam ein Baby. In ihr wuchs neues Leben heran. Sie legte eine Hand auf den Bauch, und aus Schock und Angst wurde ein fast andächtiges Erstaunen.

„Wird es gesund sein?“, fragte sie leise, während ihre Augen feucht wurden.

„Du kennst das Risiko so gut wie ich“, erwiderte Celia. „In deinem Alter kann es immer Probleme geben. Aber ich werde dich und das Baby genau beobachten. Als Erstes besorgen wir dir ein paar Vitamine.“

Celia erzählte ihr von den notwendigen Untersuchungen und worauf sie sonst noch achten musste, aber Natalie hörte kaum zu.

Ein Baby.

Mary Briggs gab noch eine Prise Curry zu der Sauce, die sie gerade zubereitete, und probierte sie. „Ja! Ich bin so gut!“

Als sie das Garagentor hörte, schaute sie auf die Uhr. Zufrieden stellte sie fest, dass ihre Mutter pünktlich war. Mary nahm die Flasche Chablis aus dem Kühlschrank und goss ein Glas ein. Sie wusste, wie gern ihre Mutter nach einem langen Tag auf der Säuglingsstation die müden Beine hochlegte und sich mit einem Schluck Weißwein entspannte.

Als Natalie die Küche betrat, begrüßte Mary sie mit einem strahlenden Lächeln und hielt ihr das beschlagene Glas hin. Erschrocken hielt Mary inne, denn sie sah ihrer Mutter an, dass etwas passiert war. Ihr Blick wirkte fast ein wenig benommen.

„Mum, was ist los?“, fragte Mary besorgt.

„Wie kommst du darauf, dass etwas los ist?“

„Du siehst komisch aus. Hattest du einen Unfall oder so was?“

„Nein, nein, kein Unfall. Jedenfalls kein Autounfall.“

„Also ist doch etwas Schlimmes passiert?“

„Nein, nichts Schlimmes. Nur etwas Überraschendes.“ Natalie legte die Handtasche auf den Frühstückstresen und setzte sich auf einen der Hocker.

Mary stellte den Wein vor sie hin. „Du siehst aus, als könntest du den gebrauchen.“

Sehnsüchtig starrte Natalie das Glas an, bevor sie es entschlossen von sich schob. „Nein. Kein Wein mehr. Mary, deine Mutter hat etwas sehr Dummes getan. Aber zugleich … na ja, irgendwie ist es ein Wunder.“

Besorgt musterte Mary ihre Mutter, die verträumt und überwältigt aussah. „Bekommen wir endlich einen Hund?“

Natalie lachte. „Besser als das. Ich bekomme ein Baby.“

Verblüfft starrte Mary sie an.

„Du bist schwanger?“ Sie hätte von selbst darauf kommen sollen. Schließlich hatte ihre Mutter von einem Wunder gesprochen. Das tat sie oft, wenn sie von ihrer Arbeit erzählte.

Es war kaum zu glauben. Mary hatte nicht gewusst, dass ihre Mutter überhaupt noch Sex hatte.

Sie ging um die Kochinsel herum und umarmte Natalie. „Das ist ja so cool! Ich bekomme eine Schwester!“

Als Mutter und Tochter sich voneinander lösten, hatten beide Tränen in den Augen. Natalie nahm sich ein Papiertuch und trocknete sich die Augen, aber es kamen immer neue Tränen. „Ich komme mir so albern vor. Meine Tochter ist ein Teenager, und ich muss ihr sagen, dass ich schwanger bin. Normalerweise läuft es umgekehrt.“

Mary zog sich einen Hocker heran. „Ich dachte, das kannst du gar nicht. Schwanger werden, meine ich.“

„Das dachte ich auch. Und deshalb haben wir kein Kondom verwendet.“

„Das hättest du auf jeden Fall tun sollen“, erwiderte ihre Tochter streng. „Aus anderen Gründen. Ach, was macht das schon? Das ist so cool. Also, wer ist er? Du musst ihn doch nicht heiraten, oder? Das wäre absolut mittelalterlich.“

„Nein, ich heirate nicht.“ Natalie sah ihre Tochter an. „Aber würde dich das denn stören?“

Mary dachte darüber nach. Sie wusste, dass es egoistisch war, aber sie hatte ihre Mutter schon so lange ganz für sich allein. Die Vorstellung, dauernd einen Kerl im Haus zu haben, der sie herumkommandierte, gefiel ihr nicht.

Trotzdem zwang sie sich, nett zu sein. „Mum, wenn du dich in jemanden verliebt hast und ihn heiraten willst, ist das für mich okay. Du hast ein Recht, glücklich zu sein. Aber ich will nicht, dass du jemanden heiratest, nur weil du von ihm schwanger bist. Das muss einfach nicht sein.“

„Stimmt, das muss es nicht. Aber ich sollte es ihm sagen. Das ist nur fair.“

Mary war da nicht so sicher. Wenn ein neues Baby ins Haus kam, wollte sie es nicht mit irgendeinem Mann teilen. Und ihre Mutter auch nicht. „Er will doch wohl nicht etwa das Sorgerecht oder so?“

Natalie schüttelte den Kopf. „Das kann ich mir nicht vorstellen.“

„Wer ist es denn?“

„Ich nehme an, du wirst es früher oder später ohnehin erfahren.“ Natalie seufzte. „Es ist Josh.“

Damit hatte Mary am allerwenigsten gerechnet. „Josh? Du meinst Josh Carlson, dein Exmann?“

„Genau der, Honey.“ Natalie schnupperte. „Was riecht denn hier …“

„Oh, meine Sauce!“

Mary eilte an den Herd, stellte die Flamme aus und rührte im Topf. Die Sauce war zwar ein wenig dick, sah aber noch gut aus. „Nichts passiert. Hast du Hunger? Was rede ich, natürlich hast du. Du isst für zwei.“

Natalie lächelte. „Ich bin am Verhungern.“

Selbstsicher bewegte sich ihre Tochter durch die Küche und rührte in diversen Töpfen. Das war leichter gewesen, als Natalie befürchtet hatte. Sie hatte erwartet, dass Mary entsetzt über ihre Mutter sein würde und eifersüchtig auf das Baby. Aber sie schien sich sogar zu freuen.

Mary und sie standen einander näher als die meisten Mütter und Töchter. Vielleicht weil sie immer zu zweit gewesen waren. Natalie hatte Mary viel von sich erzählt, auch über ihre frühe Ehe und dass sie keine Kinder bekommen konnte.

Vielleicht hatte sie zu viel mit ihrer Tochter geteilt, aber es war so selbstverständlich gewesen, dass sie keine Geheimnisse voreinander hatten.

„Josh war beim Klassentreffen?“, fragte Mary, als sie ihrer Mutter einen Teller hinstellte.

„Zu meiner großen Überraschung. Ich fürchte, wir haben uns von der Nostalgie mitreißen lassen.“

„Das finde ich irgendwie süß“, sagte Mary und setzte sich zu ihrer Mutter.

Es war alles Mögliche, aber süß hätte Natalie es nicht genannt. Als sie am Morgen danach in Joshs Hotelzimmer erwacht war, war ihr als Erstes das Wort hemmungslos eingefallen.

Was um alles in der Welt haben wir uns dabei gedacht? Das war das Erste gewesen, das sie gesagt hatte. Jetzt kam es ihr unüberlegt vor.

Josh war gekränkt gewesen, aber Natalie hatte sich nicht davon abbringen lassen, dass sie einen schrecklichen Fehler begangen hatte. Das war wenig schmeichelhaft gewesen, und der Abschied war nicht gerade harmonisch verlaufen.

Erneut stieg Panik in Natalie auf, als sie sich ausmalte, wie sie ihm beichtete, dass er Vater wurde.

„Mum? Ist das Curry zu scharf?“

„Oh nein, Honey, es ist wunderbar. Du hast wirklich Talent.“ Sie aß einen Bissen von dem Hühnchen und schmeckte es erst jetzt richtig.

„Ich kann dir helfen, wenn das Baby kommt“, sagte Mary. „Ich passe darauf auf, damit du dich mal ausruhen kannst.“

„Das ist wirklich lieb von dir, Honey.“

Natalie streichelte die Wange ihrer Tochter und strich über das schimmernde schwarze Haar. Mary war so schön, innen wie außen.

„Bestimmt werde ich viel Hilfe brauchen. Aber ich will nicht, dass du dauernd Babysitter spielen musst.“

„Wir werden uns schon einig“, erwiderte Mary. Manchmal wirkte sie beunruhigend erwachsen. „Wann willst du es ihm erzählen?“

Natalie legte die Gabel ab. „Ich bringe es besser bald hinter mich.“ Und zwar persönlich. Eine solche Nachricht telefonisch zu überbringen, wäre nicht in Ordnung.

Sie musste nach Houston fahren und dort übernachten. „Nächste Woche.“

So lange würde sie brauchen, um sich zu überlegen, wie sie es ihm sagen wollte.

Hi, Josh. Weißt du noch, wie ich mich über dich lustig gemacht habe, weil du dir wegen der Verhütung Sorgen gemacht hast? Der Spaß ging auf meine Kosten.

„Ich meine es sogar sehr ernst, Monty“, rief Josh ins Telefon. Er sprach mit einem Anwaltskollegen und pokerte hoch – das tat er immer. „Zehn Millionen plus Behandlungskosten sind eine vollkommen vernünftige Forderung. Mein Mandant wird nie wieder sein altes Leben führen können.“

Sein Mandant war ein Klassenkamerad seines Sohns, ein siebzehnjähriger Junge, der von einem Rottweiler angegriffen und schwer verletzt worden war.

Der wohlhabende Halter des Hundes behauptete, dass das Opfer das Tier provoziert hatte. Aber dann stellte sich heraus, dass das Tier zu Hause schon mindestens drei Besucher attackiert hatte. Der Hundehalter hatte keine Chance.

Leider half das Joshs Mandant nur wenig. Der Biss hatte mehrere Sehnen im Bein des Jungen durchtrennt. Er musste dringend operiert werden, und danach würde er selbst mit Physiotherapie vielleicht nie wieder richtig laufen können.

Der Junge würde jahrelang leiden, und das Baseball-Stipendium fürs College konnte er auch vergessen.

Es war ein Fall, wie Josh ihn liebte – mit einem eindeutigen Bösewicht als Gegner. Fast freute er sich darauf, vor Gericht zu gehen. Die Geschworenen würden für den Schuldspruch nicht lange brauchen.

„Mein Mandant bietet eine Million“, sagte der andere Anwalt. „Keinen Penny mehr.“

Josh lachte. „Rufen Sie mich zurück, wenn Sie ernsthaft verhandeln wollen.“

Ohne auf Montys Antwort zu warten, legte er auf. Er machte sich keine Sorgen. Der Fall war so gut wie entschieden.

Josh liebte seinen Beruf. Selbst nach all den Jahren machte es ihm Spaß, für die Schwächeren einzutreten. Jetzt, da er Partner in seiner Kanzlei war, konnte er sich aussuchen, welche Fälle er übernahm. Bei diesem tat er einem Freund einen Gefallen, aber er hätte den Jungen auch so vertreten.

Seine Sekretärin meldete sich. „Mr. Carlson, Sie haben eine Besucherin. Sie hat keinen Termin und sagt, es sei etwas Privates.“

Josh runzelte die Stirn. „Wie heißt sie?“

„Natalie Briggs, aus Dallas.“

Natalie. Was um alles in der Welt wollte sie hier? Josh war überrascht, aber auch erfreut. Seit ihrer verrückten Nacht im Juni dachte er oft an sie. Sehr oft.

Er hatte nicht verstanden, warum sie am Morgen danach so panisch gewesen war. Im Gegenteil, er hatte versucht, sie zum Bleiben zu bewegen, denn er hatte noch lange nicht genug von ihr gehabt.

Aber sie hatte ihn angesehen, als wären ihm plötzlich Schuppen und Hörner gewachsen. Nicht, dass sie ihm die Schuld an allem gegeben hatte. Nein, sie hatte sich Selbstvorwürfe gemacht, weil sie so impulsiv und verantwortungslos gewesen war – und nicht mehr die vernünftige Frau, zu der sie sich entwickelt hatte.

Josh sah das anders. Sie hatten sich keineswegs verantwortungslos benommen. Und was war denn schlimm daran, ein paar schöne Erinnerungen aufzufrischen? Aber welcher Mann verstand schon, wie Frauen tickten …

„Mr. Carlson?“

Hastig kehrte Josh ins Hier und Jetzt zurück. „Ja, Rachel. Sie soll hereinkommen.“

Er war gespannt, was sie ihm zu sagen hatte.

Kurz darauf führte die Sekretärin Natalie in sein Büro. Sie trug eine beigefarbene Leinenhose mit einer darauf abgestimmten Jacke, darunter ein fliederfarbenes Top. Das Haar war nach hinten gekämmt, das Gesicht blass, die braunen Augen voller Zweifel.

Josh lächelte ihr aufmunternd zu. „Natalie. Es ist schön, dich wiederzusehen.“ Das war sein Ernst. Den etwas unterkühlten Abschied nahm er ihr nicht übel. Sie war verwirrt gewesen. Und überwältigt von ihrem eigenen Verlangen.

„Möchtest du etwas trinken?“

Natalies Lächeln fiel zaghaft aus. „Gern. Ein Wasser, bitte. Ich bin wie ausgedörrt. Es ist glutheiß draußen.“

„Ich bringe es Ihnen“, sagte Rachel. „Mr. Carlson, für Sie auch etwas?“

„Ich habe noch Kaffee, danke.“

Die Sekretärin ging hinaus, und Josh kam um den Schreibtisch herum. „Wäre eine Umarmung sehr unpassend?“

Natalie machte einen Schritt zurück. „Ich kann nicht denken, wenn du mir zu nahe kommst, Josh. Und im Moment brauche ich einen klaren Kopf.“

„Ist etwas nicht in Ordnung?“, fragte er besorgt.

„In gewisser Weise. Na ja, eigentlich ist es durchaus in Ordnung. Nachdem ich den ersten Schock überwunden habe, freue ich mich jetzt sogar. Aber ich weiß nicht, ob es dir genauso gehen wird.“

„Setzen wir uns doch.“

Im Büro standen eine Couch und zwei bequeme Sessel. Josh ging mit Natalie zur Couch, holte sich seinen Kaffeebecher und nahm in einem der Sessel Platz. Rachel brachte Natalie eine Flasche Wasser und ein Glas mit Eis und verschwand wieder.

Natalie ließ sich Zeit, als sie die Flasche öffnete und das Wasser eingoss. Josh sah ihr an, dass sie überlegte, was sie sagen sollte, und drängte sie nicht. In seinem Beruf hatte er gelernt, dass Schweigen oft mehr ausdrückte als Worte.

Sie nahm einen großen Schluck und stellte das Glas geräuschvoll ab. „Ich will nicht lange drum herumreden“, begann sie schließlich. „Also, für mich war es ein gewaltiger Schock, weil ich wirklich überzeugt war … Ich meine, nach dem, was wir beide durchgemacht haben …“

Oh Gott, war sie etwa krank? Brauchte sie Geld für die Behandlung? Ging es um ihre Tochter? Oder ihre Schwester?

„Natalie, was immer das Problem ist, ich helfe dir, wenn ich kann.“

„Ich dachte, du bist mir vielleicht böse, weil ich mich beim Klassentreffen so … unmöglich benommen habe.“

Unmöglich? Josh lächelte. „Hey, wenn eine Frau einem Mann die schönste Nacht seines Lebens bereitet, ist er ihr nicht böse.“

Errötend senkte Natalie den Blick. „Ich war danach nicht ganz fair zu dir. Das wollte ich nicht.“

„Schon gut. Ich kenne mich mit den Gefühlen von Frauen nicht besonders aus und werde es wohl auch nie. Aber ich sehe ein, dass du einen verdammt guten Grund gehabt haben musst, Hals über Kopf aus dem Hotel zu rennen, als wäre deine Unterwäsche in Flammen geraten.“

„Nein, das war am Abend davor.“ Natalie lächelte verlegen, aber dann wurde sie wieder ernst. „Das hier fällt mir nicht leicht.“

„Nat, ich bin’s, Josh. Erinnerst du dich? Wir haben einander mal alles erzählt.“

Sie nickte. „An dem Abend hast du irgendwann gesagt, dass ich nicht mehr so schmal bin. Dass ich fraulicher geworden bin.“

„Du hast immer toll ausgesehen, aber die paar zusätzlichen Pfunde machen dich noch hübscher.“

„Offenbar hat sich die Tatsache, dass ich so dünn war, damals auf meine … na ja, auf meine Fruchtbarkeit ausgewirkt.“

Es dauerte etwa eine Minute, bis bei Josh der Groschen fiel. „Oh mein Gott.“

Natalie nickte erneut. „Ja.“ Dann nagte sie an ihrer Unterlippe und wartete auf seine Reaktion.

„Bist du sicher?“, fragte er.

„Ich bin in der achten Woche. Bisher verläuft alles normal.“

„Bist du sicher, dass es von mir ist?“ Kaum hatte Josh die Frage ausgesprochen, hätte er sich ohrfeigen können. Was für eine taktlose Frage!

„Josh! Natürlich ist es von dir. Glaubst du etwa, ich schlafe mit allen Ärzten im Krankenhaus?“

„Entschuldige. Aber ich weiß nicht viel darüber, wie du jetzt lebst. Ich meine, es ist so viele Jahre her. Ich will mich nicht vor der Verantwortung drücken, ich will nur alle Fakten kennen.“

Schwanger. Natalie war mit seinem Kind schwanger. Wie oft hatten sie beide von diesem Moment geträumt.

Während der fünf Jahre ihrer Ehe hatten sie fast dauernd davon geredet. Am Ende war der Sex kein Vergnügen mehr, sondern nur noch Stress gewesen.

Sie hatten sich beide so sehr ein Kind gewünscht. Nie hätte er gedacht, dass sie zwanzig Jahre später eins bekommen würden.

„Wie konnte das passieren?“, fragte Josh. „Können ein paar Kilo so viel ausmachen?“

„Meine Ärztin hat mir erklärt, dass das damals vielleicht eine Kombination aus Untergewicht plus Stress war. So etwas verhindert eine Empfängnis. Einige Kurven mehr zu haben und entspannt zu sein, fördert sie. Und mein Alter … Es kommt vor, dass Frauen über vierzig schwanger werden. Wir … hatten einfach nur Glück.“

„Glück?“

Ihre Augen blitzten. „Ja, Glück. Verdammtes Glück sogar. Das finde ich jedenfalls.“ Natalie lächelte. „Zugegeben, der Zeitpunkt ist ungünstig, aber inzwischen freue ich mich darauf. Mary ist fast so aufgeregt wie ich. Sie hat sich immer einen Bruder oder eine Schwester gewünscht. Aber wenn du von alledem nichts wissen willst, Josh … das würde ich verstehen. Ich meine, deine Kinder sind schon fast aus dem Haus, und du willst deine neue Freiheit genießen. Viel reisen, ein Boot kaufen, was auch immer. Ein Baby passt nicht dazu. Du sollst wissen, dass ich von dir nichts verlange oder erwarte. Wenn du in das Leben des Babys gehören willst, ist das wunderbar. Aber wenn nicht …“

„Natürlich will ich das!“ Josh explodierte fast. „Wie kannst du nur glauben, ich könnte mich vor der Verantwortung drücken und dich mit unserem Kind sitzen lassen?“

Natalie presste die Fingerspitzen an die Stirn. „Es tut mir leid, Josh. Nein, das habe ich nicht geglaubt. Du hast deine Verantwortung immer sehr ernst genommen.“

Verantwortung. Was für ein nüchternes Wort. Es klang fast wie eine Strafe.

„Ich will nicht nur verantwortlich sein, Nat. Ich liebe Kinder, und ich bin ein verdammt guter Vater. Ich werde auch diesem Kind ein guter Vater sein, ob es dir nun gefällt oder nicht.“

Natalie setzte sich auf. „Ich wollte dich nicht …“

„Aber du hast es gehofft. Ich habe meine Kinder ohne ihre Mutter großgezogen. Sie haben sich ganz gut entwickelt, auch wenn es manchmal für alle schwer war. Trotzdem glaube ich, dass ein Kind zwei Eltern braucht.“

„Okay, Josh! Ich finde auch, zwei Eltern sind besser.“

„Aber du warst allein, als du deine Tochter adoptiert hast.“

Erneut wurde ihm bewusst, dass er das Falsche gesagt hatte. Was war bloß los mit ihm? Normalerweise überlegte er, bevor er sprach.

„Weil ein Elternteil immer noch besser ist als ein überfülltes Waisenhaus“, rief Natalie empört.

Waisenhaus? Gab es die überhaupt noch? „Warte, warte. Ich wollte dich nicht kritisieren. Ich bin sicher, du bist Mary eine großartige Mutter. Und unserem Baby wirst du ebenfalls eine großartige Mutter sein.“

„Ich werde mir jedenfalls die größte Mühe geben.“

„Aber da ist noch ein kleines Problem, weißt du. Wir wohnen vier Stunden voneinander entfernt“, wandte Josh ein.

„Wir finden eine Lösung. Wochenenden, Ferien …“

„Ich will kein Wochenendvater sein. Ich will jeden Tag mit dem Kind verbringen.“

„Wir können nicht alles haben“, sagte Natalie so ruhig wie möglich.

„Doch, das können wir. Indem wir nahe beieinander wohnen. Im Idealfall sogar in der derselben Straße.“

„Du bist gerade Partner in deiner Kanzlei geworden. Du kannst nicht einfach alles hinwerfen und nach Dallas umziehen. Und ich …“

„Für dich wäre ein Umzug einfacher“, unterbrach Josh sie. „Du bist Krankenschwester. Die werden überall dringend gebraucht. Mit deiner Erfahrung könntest du in jedem Krankenhaus in Houston anfangen.“

„Ich kann nicht umziehen!“, protestierte Natalie laut und sprang auf. „Ich habe ein Haus in Dallas. Meine Familie lebt dort. Mary fühlt sich in ihrer Schule wohl und hat Freunde, die sie schon ihr ganzes Leben kennt.“

Ihr Ausbruch erstaunte Josh nicht. Auch er würde weder sein Leben noch das seiner Kinder auf den Kopf stellen wollen. Aber sie würde sich an den Gedanken gewöhnen. Er hatte schon viele Verhandlungen geführt und konnte sehr überzeugend sein. Außerdem wusste er genau, wo er bei Natalie ansetzen musste.

„Ich kann dich nicht zwingen, nach Houston umzuziehen. Aber ich weiß, letzten Endes wirst du tun, was für unser Kind am besten ist.“

Auf der Fahrt nach Hause kochte Natalie vor Wut. Wie konnte Josh verlangen, dass sie ihr Leben und ihren Job aufgab, Mary aus der Schule nahm und sie damit von ihren Freunden trennte?

Sie hatte ihm einen Gefallen getan, indem sie ihm von dem Baby erzählte und ihm anbot, am Leben ihres Kindes teilzunehmen – so viel oder so wenig er wollte. Sie hatte nicht mal angedeutet, dass er sich finanziell am Unterhalt beteiligen sollte, obwohl er wahrscheinlich fünfmal so viel wie sie verdiente.

Alles in allem war sie vernünftig und großzügig gewesen. Und wie hatte er darauf reagiert? Er hatte ihr quasi befohlen, ihre Sachen zu packen und mit Mary nach Houston umzuziehen.

Natalie hatte schon einmal in Houston gewohnt, während ihrer Ehe mit Josh, und es hatte ihr nicht gefallen. Dort war es zu heiß und schwül, und es gab Küchenschaben, die so groß wie ihr Fuß waren.

Zugegeben, nirgendwo lebte es sich besonders gut, wenn man kein Geld für eine Klimaanlage hatte. Und das wäre jetzt wahrscheinlich anders …

Nein, nein, nein. Es war unvorstellbar. Sie konnte es Mary nicht antun, auf halbem Weg durch die Highschool die Schule zu wechseln.

Als Natalie daheim eintraf, ging es ihr schlechte. Die lange Fahrt nach Houston und zurück – insgesamt vierhundert Meilen an einem einzigen Tag – hatten sie völlig erschöpft. Aber nach dem Streit mit Josh hatte sie nicht mehr in Houston übernachten wollen.

Jetzt war sie müde und missmutig. Das war sie in letzter Zeit häufig. Genau deshalb hatte sie Celia aufgesucht – und erfahren, dass sie schwanger war. Die Ärztin hatte ihr gesagt, dass sich ihre Laune so bald nicht verbessern würde. Mit dreiundvierzig war eine Schwangerschaft wesentlich anstrengender als mit fünfundzwanzig.

Der verführerische Duft von frischem Maisbrot ließ Natalie lächeln. Ihre Tochter stand mal wieder in der Küche.

Mary begrüßte sie mit einer Umarmung und schaffte es, dabei das zwischen Ohr und Schulter geklemmte Handy nicht fallen zu lassen. „Meine Mum ist gekommen. Ich rufe dich zurück“, sagte sie und unterbrach die Verbindung. „Oh, arme Mum, du siehst kaputt aus. Wie war es?“

„Nicht so schön“, gab Natalie zu. „Was immer du kochst, ich brauche eine Riesenportion davon. Ich bin am Verhungern. Und ich bin dir unendlich dankbar. Ich habe dir länger nicht mehr gesagt, wie toll ich es finde, dass du kochst und einkaufst.“

„Kein Problem. Ich habe Grapefruitsaft mit Kohlensäure gekauft, damit kannst du so tun, als würdest du Sekt trinken.“

„Das ist süß von dir.“

„Und? Hat Josh sich mies benommen? Hat er dir gesagt, du sollst bleiben, wo der Pfeffer wächst?“, fragte Mary.

„Nein, im Gegenteil. Er war ein wenig zu begeistert. Plötzlich spielt er den Super-Dad.“

„Oh.“ Zwischen Marys Augenbrauen erschien eine kleine Falte. „Das ist schlecht.“

Natalie seufzte. „Nicht unbedingt. Es ist nur so, dass ich seit vielen Jahren alles allein entschieden habe. Jetzt will mir jemand sagen, was ich zu tun und zu lassen habe … Das bin ich nicht gewöhnt, und es gefällt mir nicht. Aber wir finden schon eine Lösung.“

Sie wollte nicht, dass Mary sich Sorgen machte. Ihre Tochter war noch ein Kind, auch wenn sie für ihre sechzehn Jahre schon ziemlich reif war.

Mary servierte ihr einen Teller Chili, eine Scheibe Maisbrot und grünen Salat. Dann nahm sie sich selbst etwas.

Nach dem Mahl fühlte Natalie sich bereits besser. Das Schlimmste war vorüber. Die beiden Menschen, für die sich durch ihre Schwangerschaft am meisten änderte, wussten Bescheid.

Jetzt konnte sie anfangen, das Leben mit dem Baby zu planen. Sie würde das freie Zimmer in ein Kinderzimmer verwandeln müssen, aber das war machbar. Im Moment war es nur ein Abstellraum.

Je länger Natalie darüber nachdachte, was sie alles tun musste, desto mehr freute sie sich darauf. Marys Zimmer einzurichten, hatte ihr großen Spaß bereitet. Mit ihr zusammen alles für das Baby vorzubereiten, würde sogar noch mehr Spaß machen.

Sie half ihrer Tochter beim Abwasch. Dann entschied sie sich gegen ein langes Bad mit einem guten Buch und checkte stattdessen ihre E-Mails. Drei davon stammten von Josh.

Gespannt rief sie die erste auf und überflog sie.

Natalie,

tut mir leid, wenn ich dich enttäuscht habe. Die Neuigkeit hat mich auf dem falschen Fuß erwischt, und ich habe einfach falsch reagiert. Ich bin dir dankbar, dass du den weiten Weg nach Houston gefahren bist, um es mir persönlich mitzuteilen. Jetzt, da ich über alles nachgedacht habe, freue ich mich riesig. Lass uns bald reden.

Josh

Natalie seufzte vor Erleichterung. Also hatte er das mit ihrem Umzug nach Houston nicht ernst gemeint. Gott sei Dank.

Trotzdem wusste Natalie genau, dass es für ein Kind besser zwar, zwei Eltern zu haben. Und es wäre schön, Josh in der Nähe zu haben.

Sie öffnete die zweite E-Mail.

Natalie,

ich dachte mir, du findest diese Anzeigen vielleicht interessant. Bitte pass gut auf dich und das Baby auf.

Josh

Mehrere Stellenanzeigen hatte er aus dem Internet kopiert. In einer suchte die Kinderklinik in Westwood, einem Vorort von Houston, eine Krankenschwester. Flexible Arbeitszeit, stand darin. Der Berufserfahrung entsprechendes Gehalt.

Ein anderes Krankenhaus suchte für seine Säuglingsstation eine leitende Pflegekraft mit mindestens fünf Jahren Berufserfahrung. Natalie arbeitete seit weit mehr als fünf Jahren, aber das Gehalt war wesentlich höher als ihr jetziges.

In der dritten Anzeige suchte ein angesehenes Lehrkrankenhaus eine Kinderschwester. Attraktives Gehalt, umfangreiche Zusatzleistungen, Aufstiegschancen.

Oh, wow. Natalie liebte ihren Job, aber manchmal fragte sie sich, ob sie nicht anderswo mehr verdienen würde. Und jetzt, da das Baby kam, brauchte sie jeden Cent, den sie bekommen konnte.

Natürlich waren die freien Stellen, die Josh ihr geschickt hatte, alle in Houston.

Danke für den Wink mit dem Zaunpfahl, Josh. Fast hatte Natalie Angst davor, die dritte E-Mail zu lesen, aber sie tat es trotzdem.

Natalie,

du glaubst ja nicht, was für günstige Immobilien gerade in meiner Nachbarschaft zum Verkauf stehen. Ganz in der Nähe hat ein großes Unternehmen dicht gemacht, deshalb sind viele Häuser auf dem Markt. Hier ist eine kleine Auswahl.

Josh

Nur aus Neugier schaute Natalie sich die Anzeigen an, vor allem die Fotos. Du meine Güte, was für Villen, dachte sie. Vermutlich wohnte Josh in so etwas. Aber offenbar hatte er keine Ahnung, wie viel eine Krankenschwester verdiente. Schnäppchen oder nicht, ein solches Haus konnte sie sich nicht leisten.

Obwohl … die Preise sie ein wenig überraschten. Sie waren niedriger, als sie erwartet hatte. Wenn sie ihr Haus in Dallas verkaufte … Nein, nein und nochmals nein! Sie würde auf keinen Fall nach Houston ziehen.

Natalie schaltete den Computer aus und ging ins Schlafzimmer. Von all den abrupten Veränderungen und notwendigen Entscheidungen, die jetzt auf sie einstürmten, tat ihr der Kopf weh. Sie schaute kurz bei Mary vorbei, um ihr eine gute Nacht zu wünschen, und beschloss dann, sich das Schaumbad doch noch zu gönnen.

Aber Natalie konnte sich einfach nicht entspannen, nicht einmal im warmen, nach Lavendel duftenden Wasser. Wenn Josh nun recht hatte? Natürlich war es wichtig, dass ein Baby zwei Eltern hatte, wenn das irgendwie möglich war.

Aber war das wichtiger als das Leben, das sie sich hier aufgebaut hatte?

Sie konnte von Josh schlecht erwarten, dass er umzog, nachdem er in seiner Kanzlei gerade Partner geworden war. Eine vergleichbare Position würde er in Dallas nicht in einer Million Jahren bekommen.

Außerdem hatte er einen Sohn, der kurz vor dem Abschluss der Highschool stand. Ihn und seinen jüngeren Bruder aus der gewohnten Umgebung zu reißen, wäre ebenso ungeschickt, wie Mary nach Houston zu verfrachten.

Aber Natalie konnte den Job wechseln und sich dabei finanziell verbessern. Jemand wie sie wurde auch in Houston gebraucht – wo ihr Baby einen Vater hätte. Und Natalie wäre froh, ihre jetzige Vorgesetzte loszuwerden. Die Frau machte allen auf der Station das Leben unnötig schwer.

Eine echte Nervensäge, so würde Melissa sie nennen. Natalie musste lächeln, als sie an ihre Freundin dachte. Sie hatte ihr noch nicht von der Schwangerschaft erzählt und freute sich schon darauf.

„Also, Mary“, begann Natalie, „was hältst du davon, wenn wir in ein größeres Haus ziehen?“

Verwirrt sah Mary sie an. Natalie fuhr ihre Tochter gerade zu dem Restaurant, in dem sie in den Sommerferien in der Küche aushalf. „Du willst aus unserem Haus ausziehen?“

„Na ja, für uns beide ist es genau richtig, aber jetzt, da wir Zuwachs bekommen, dachte ich mir, wir brauchen mehr Platz.“ Mit angehaltenem Atem wartete Natalie auf Marys Antwort.

„Könnten wir in dieser Gegend bleiben?“, fragte Mary. „Ich meine, wir würden doch nicht von hier wegziehen, oder? Dann müsste ich nämlich die Schule wechseln, und das will ich nicht.“

„Ich habe mir ein paar Stellenanzeigen angesehen. Für Jobs in Houston.“

„Was?“, rief ihre Tochter. „Das kann nicht dein Ernst sein! Was wird aus meinem Kochkurs?“

„Ich habe mich noch nicht entschieden, weil ich erst mit dir darüber reden wollte.“

„Dann vergiss es einfach!“ Mary klang fast hysterisch. „Ich ziehe auf keinen Fall nach Houston.“

Genau das hatte Natalie befürchtet. Mary hatte so gelassen auf die Schwangerschaft ihrer Mutter reagiert. Unnatürlich gelassen. Natalie hatte geahnt, dass sich in dem Mädchen etwas aufstaute. Etwas, das nur auf einen Auslöser wartete, um sich Luft zu machen.

„Lass uns in Ruhe darüber reden“, sagte sie.

„Meinetwegen kannst du den ganzen Tag darüber reden. Ich ziehe nicht nach Houston.“

„Wir müssen uns nicht jetzt entscheiden. Wir lassen …“

„Nein.“

„Mary, du erstaunst mich. Du warst noch nie so unvernünftig.“

„Ich, unvernünftig? Du willst mein ganzes Leben ruinieren und wirfst mir vor, dass ich unvernünftig bin?“, schrie Mary fast.

Als Natalie an einer roten Ampel hielt, nahm Mary ihre Handtasche, schnallte sich los und öffnete die Beifahrertür. „Ich gehe den Rest zu Fuß.“

„Mary, warte …“ Aber Natalies Bitte stieß auf taube Ohren. Mary war schon ausgestiegen und stand mit hochrotem Kopf an der Straßenecke.

Natalie legte den Kopf aufs Lenkrad. Ihre Tochter hatte jedes Recht, sich aufzuregen, aber eine so hysterische Reaktion hatte sie nicht erwartet.

Als die Ampel grün wurde und sie nicht sofort losfuhr, hupte hinter ihr jemand. Natalie hob den Kopf und gab Gas.

Sie war Mary gegenüber nicht ehrlich gewesen. Im Grunde hatte sie sich bereits entschieden. Sie hatte einen Job gefunden, in dem sie dreißig Prozent mehr verdiente als jetzt. Und ein Haus, das sie sich leisten konnte und das zudem nur einige Blocks von Joshs Haus entfernt lag.

Eigentlich hatte Josh es gefunden. Ein Freund von ihm zog es beruflich in eine andere Stadt. Weil die Immobilienpreise gerade einen Tiefpunkt erreicht hatten, wollte er sein Haus jedoch nicht verkaufen. Daher suchte er einen verantwortungsvollen Mieter und war bereit, ihm ein günstiges Angebot zu machen. Wenn Natalie es mietete, blieb ihr genug Zeit, sich nach einem Haus umzusehen, das sie bezahlen konnte.

Und während der wichtigen ersten Monate im Leben ihres Babys wäre Josh nur ein paar Minuten entfernt.

Natalie hatte sich erst ganz sicher sein wollen, bevor sie es Mary sagte. Außerdem hatte sie es ihr schonend beibringen und ihr das Gefühl geben wollen, dass sie an der Entscheidung beteiligt war.

Aber dazu war ihre Tochter zu intelligent. Sie wusste, wenn ihre Mutter umziehen wollte, würden sie es auch tun. Mary hatte den Braten gerochen und auf stur geschaltet.

Auf dem Weg zum Krankenhaus überlegte Natalie, was sie ihren Kollegen erzählen sollte. Noch wusste niemand, dass sie fortziehen wollte, aber alle hatten gemerkt, dass sie etwas belastete. Sie würde bald kündigen müssen.

Autor

Kara Lennox
Kara Lennox hat mit großem Erfolg mehr als 50 Liebesromanen für Harlequin/Silhouette und andere Verlage geschrieben.
Vor ihrer Karriere als Liebesromanautorin verfasste sie freiberuflich Hunderte Zeitschriftenartikel, Broschüren, Pressemitteilungen und Werbetexte. Sogar Drehbücher hat sie geschrieben, die das Interesse von Produzenten in Hollywood, New York und Europa weckten.
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