Bianca Extra Band 131

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UM MITTERNACHT BEGINNT DAS GLÜCK von MICHELLE MAJOR

Emmaline kann Brian Fortunes Kuss in der Silvesternacht nicht vergessen! Dabei spricht alles in ihrem Leben gegen die Liebe: Sie erwartet als Single Mom ein Baby, und außerdem bleibt Brian nicht lange in Rambling Rose. Und doch verspürt sie diese brennende Sehnsucht …

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  • Erscheinungstag 13.01.2024
  • Bandnummer 131
  • ISBN / Artikelnummer 9783751523448
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Michelle Major, Jo McNally, Mona Shroff, Catherine Mann

BIANCA EXTRA BAND 131

PROLOG

Heiligabend

„Noch mal, Onkel Brian, noch mal!“

Lächelnd hob Brian Fortune erst seinen Neffen Toby, dann den schüchterneren Zwilling Tyler über seinen Kopf, damit die Jungen so tun konnten, als wären sie Santas Rentiere beim Abflug in ihre lange Heiligabendreise.

„Das wirst du bereuen, wenn der zweite Cupcake, den jeder der beiden sich nach dem Essen geschnappt hat, wieder zum Vorschein kommt.“ Brady, Brians Zwillingsbruder und Adoptivvater der Zwillinge, legte den Arm um Harper Radcliffe, seine Verlobte und Adoptivmutter der Jungen.

„Keiner hat gesehen, wie wir die Cupcakes genommen haben“, sagte Toby mit großen Augen.

Brian setzte Tyler auf den weichen Teppich des Konferenzraums im Hotel der Fortunes, wo sich die erweiterte Familie zum Schrottwichteln der Erwachsenen getroffen hatte. Auch jedes Kind hatte etwas bekommen, obwohl Bradys fünfjährige Zwillinge lautstark nach mehr verlangten.

„Wir haben sie unter dem Tisch gegessen, also hat niemand es gesehen“, flüsterte Tyler seinem Bruder zu.

„Ich habe es gesehen“, widersprach Brady. „Und wisst ihr, wer noch? Santa Claus. Habt ihr vergessen, dass der fröhliche alte Knabe alles sieht?“

Brian unterdrückte ein Lächeln, als Tyler ein langes Gesicht zog. „Kommen wir jetzt auf die Liste der unartigen Kinder?“

„Natürlich nicht“, antwortete Harper und ging in die Hocke, um die beiden zu trösten. Brian fragte sich, wie sie das mit ihrem Babybauch schaffte. Sie war im achten Monat, aber darauf nahmen die Jungen keine Rücksicht, sondern warfen sich zwischen ihre ausgebreiteten Arme. „Ihr seid die Besten von allen, und Santa weiß das.“

„Harper hat recht.“ Brady zerzauste Tylers braunes Haar. „Aber vielleicht solltet ihr vorsichtshalber helfen, das Papier und die Schleifen aufzusammeln, um noch ein paar Pluspunkte zu machen.“

„Okay“, sagte Toby und zog seinen Bruder zu dem hohen Tannenbaum in der Ecke.

Außer Brady und Harper waren noch mehrere andere glückliche Paare da. Ihr älterer Bruder Kane und die jüngere Schwester Arabella hatten in Rambling Rose die Liebe gefunden. Die zwei würden zusammen mit Brady, ihrer Cousine Megan Fortune und Wiley Fortune an Silvester ihre gemeinsame Hochzeit feiern, und alle freuten sich darauf.

„Das mit Santas schwarzer Liste war ein Scherz.“ Brady hob besänftigend die Hand, als Harper sich mit hochgezogenen Brauen zu ihm umdrehte. „Ich wollte den beiden keine Angst machen.“

„Die beiden müssen nach Hause und ins Bett“, sagte sie sanft und legte eine Hand auf den Bauch. „Und das Kleine und die Mama auch.“

Brian nickte, als ihr Blick ihn erfasste. „Ein Baby zu bekommen, ist harte Arbeit, was?“

„Ein Baby ist kein Kaffee oder Glas Guinness“, erwiderte sein Zwillingsbruder und verdrehte die Augen.

Harper küsste ihren zukünftigen Ehemann auf die Wange. „Ich weiß, wie Brian es gemeint hat.“

Brady entspannte sich und zog Harper an seine Seite. Seit seiner Ankunft in der kleinen Stadt Rambling Rose in Texas war Brian aufgefallen, wie sehr sein Bruder sich verändert hatte. Er war sanfter und zärtlicher geworden und schien die Hände nicht von ihr lassen zu können.

Ihre Zuneigung war natürlich und ungezwungen, und Brian freute sich für seinen Bruder. Er hatte nicht erwartet, dass Brady so selbstverständlich in die Vaterrolle finden würde. Die ganze Familie war überrascht gewesen, als Brady zum Vormund der Zwillinge seines besten Freundes ernannt worden war, nachdem ein Unfall Tobys und Tylers Eltern das Leben gekostet hatte.

„Harper hat recht, wie immer“, sagte Brady. „Die Jungs sind morgen in aller Frühe wach, also müssen sie jetzt ins Bett.“ Er zeigte auf Brian. „Du hast alles für heute Abend?“

„Die größten Beutel Glitzer und Schokoriegel, die du je gesehen hast“, erwiderte er. „Und alles, was ich für die Rentierspuren im Haus brauche.“

„Das ist eine so süße Idee, Brian.“ Harper lächelte. „Die Jungs werden fasziniert sein, wenn sie die Rentieräpfel im Garten entdecken. Du bist ein guter Onkel.“

„Keine große Sache.“ Verlegen zuckte Brian mit den Schultern.

„Und du wirst auch ein guter Patenonkel sein“, warf Brady ein.

„Ja.“ Brian schaute sich im Raum um. Er würde in Texas bleiben, bis das Baby kam. Er war sich noch immer nicht sicher, ob er unter Bradys fünf Geschwistern die beste Wahl war. Fünfjährige Zwillinge waren einfach zu unterhalten, aber ein Neugeborenes war für ihn ein unbekanntes Wesen.

„Daddy, da ist noch ein Geschenk“, rief Toby plötzlich, als er mit Tyler zurückkehrte, zwischen ihnen einen großen Karton. Brady strahlte, und Brian wusste, wie viel es ihm bedeutete, dass die beiden ihn „Daddy“ und Harper „Mommy“ nannten. Sie waren eine richtige Familie. „Onkel Kane hat es unter dem Baum gefunden.“

Brian beobachtete, wie sein Zwillingsbruder den Karton mit einem Stirnrunzeln entgegennahm. Harper sah Brady an, und der warf Kane einen fragenden Blick zu. Ihr ältester Bruder hob beide Hände, als hätte er keine Ahnung, woher das Geschenk stammte.

„Das Papier ist nicht sehr festlich, und es ist an Brady und mich adressiert“, stellte Harper fest und berührte die große Schleife.

„Hochzeitstorten und Champagnerflöten. Sieht aus wie ein verfrühtes Hochzeitsgeschenk“, ergänzte Brian.

Brady stellte den Karton auf einen Tisch. „Warum sollte jemand ein Geschenk ins Hotel schicken?“

„Na ja, das große Ereignis findet hier statt“, sagte Brian.

„In einer Woche“, erwiderte Brady.

„Können wir es aufmachen?“, fragte Toby. „Es ist so schwer. Vielleicht ist es ein Schatz.“

„Oder ein Toaster“, schlug Brian vor.

„Wir haben einen Toaster“, sagte Tyler und zupfte an Brians Pullover. „Erinnerst du dich? Du hast gestern zwölf gefrorene Waffeln verbrannt.“

„Guter Punkt, Ty.“ Brian legte eine Hand auf die schmale Schulter des Jungen, der ihn so sehr an ihn selbst in dem Alter erinnerte.

„Wir können es aufmachen“, sagte Harper und setzte sich an den Tisch. Als die Zwillinge sich auf das Paket stürzten, hob sie eine Hand. „Wenn ihr versprecht, danach friedlich nach Hause zu gehen. Wir müssen Milch und Kekse herausstellen und zu Bett gehen, bevor Santa kommt.“

„Okay“, antworteten die Jungen wie aus einem Mund.

Es war süß, wie aufgeregt die beiden beim Auswickeln waren. Sie hatten für jeden geklatscht, der ein Geschenk bekam, egal, ob es eine Flasche Wein oder ein Paar Socken war.

Harper zog an der Schleife. „Oh, das geht schwer. Könnt ihr zwei mir helfen?“

Toby und Tyler ließen sich nicht zweimal bitten. Sie attackierten den Karton, als würden sie tatsächlich einen Schatz ausgraben.

Harper lachte, wurde aber ernst, als sie das Geschenkpapier zur Seite schoben und … ein Pferd enthüllten.

Die Büste eines Pferdekopfs, um genau zu sein.

„Vielleicht hätte der Absender doch besser bei einem Toaster bleiben sollen“, murmelte Brady.

Harper nahm die Skulptur aus dem Karton und zeigte sie allen, bevor sie sie Brady gab. Dann wühlte sie im Papier. „Keine Karte. Klebt an der Skulptur etwas?“

„Nein.“ Brady schüttelte den Kopf. „Am Sockel ist ein Schild, aber darauf steht nur ‚Wahre Schönheit kommt von innen.‘“

„In diesem Fall stimmt das.“ Brian schmunzelte. „Das Pferd ist nämlich hässlich.“

Harper verzog das Gesicht. „Ich möchte keine undankbare Braut sein, aber Brian hat recht.“

„Vielleicht sollten wir froh sein, dass wir nicht wissen, wer er es geschickt hat.“ Brady drehte die Skulptur, um in die leeren Augenschlitze zu schauen. „Es ist unheimlich.“ Der Pferdekopf war aus Kupfer, das eingefärbt worden war, damit er alt aussah. Oder er war wirklich antik. Die Mähne war windzerzaust, und die verzerrten Gesichtszüge ließen das Pferd verhext wirken.

„Vielleicht ist es besessen“, flüsterte Brian.

„Oder verflucht.“ Brady wackelte mit den Augenbrauen. „Wie aus einem Horrorfilm.“

Tyler wich zurück, bis er gegen Brians Beine stieß. „Das gefällt mir nicht“, sagte er mit zittriger Stimme. „Leg es zurück. Bitte, Dad. Leg es in den Karton. Ich will es nicht in unserem Haus haben.“ Der Junge wurde immer lauter und klang panisch.

„Keine Angst, Schatz“, sagte Harper beruhigend.

Tyler schüttelte den Kopf und packte Brians Bein.

„Lasst den zukünftigen Patenonkel das Ding loswerden“, sagte Brian und streckte die Hände aus, als Brady den Pferdekopf zurück in den Karton stopfte.

„Das kannst du nicht“, wandte Harper ein. „Nicht bevor wir wissen, von wem es ist.“

„Von jemandem mit einem grauenhaften Geschmack“, sagte Brady.

„Aber wir sollten uns wenigstens bedanken“, beharrte sie und stand auf.

„Ich hasse das Ding“, wisperte Tyler.

Brian wusste nicht, warum der Junge so heftig darauf reagierte, aber es war alles andere als ein schönes Geschenk.

„Alles gut, Ty.“ Toby täschelte den Arm seines Bruders. „Nehmen wir uns noch einen Keks, während Onkel Brian sich um das Pferd kümmert.“

„Einen Keks für beide“, sagte Harper.

Brady und Brian wechselten einen Blick, und Brian verstand. „Ich erledige das.“

Brady nickte. „Danke, Bri.“

„Bitte wirf es nicht weg“, fügte Harper hinzu. „Wir müssen herausfinden, vom wem es stammt.“

„Stimmt.“ Brady rieb sich das Kinn, und Brian sah ihm die Anspannung an. „Obwohl das Ding niemals einen Ehrenplatz bekommt.“

„Vielleicht hält es die Jungen davon ab, sich aus dem Haus zu schleichen, wenn sie älter sind.“ Brian zwinkerte ihm zu. „Stell das Pferd als Türwächter auf.“

„Gute Idee“, antwortete Brady. „Bis dahin sollten wir es im Keller verstecken. Du findest heraus, woher das Ding kommt. Genau der richtige Job für meinen Trauzeugen.“

„Ich dachte, ich bin für die Stripperinnen zuständig.“ Brian schmunzelte, als Harper ihm einen Klaps auf den Arm verpasste. „War nur ein Scherz, Harper. Wir alle wissen, dass mein Bruder im Herzen schon ein alter, verheirateter Mann ist.“

„Und stolz darauf.“ Brady küsste Harper aufs Haar.

Brian ging mit dem Karton nach draußen, atmete die saubere texanische Luft ein und schaute zu den funkelnden Sternen hinauf. Und als ein heller Lichtpunkt über den Himmel huschte, war er versucht, sich etwas zu wünschen. Seine Geschwister so glücklich verliebt zu erleben, ließ ihn daran zweifeln, ob sein Singledasein wirklich so erstrebenswert war.

Dann fiel sein Blick auf das Pferdeohr, das aus dem Papier herausragte. Unrealistische Ideen waren nichts für Männer wie Brian. Er knallte den Kofferraumdeckel seines schnittigen BMW zu und ging zum Hoteleingang. In ein paar Wochen würde er Rambling Rose verlassen, in sein normales Leben zurückkehren und seine Gefühle wieder unter Kontrolle bekommen.

1. KAPITEL

Das neue Jahr begann in zwanzig Minuten, aber Brian kam es vor, als würde der Countdown in Zeitlupe ablaufen. Auf dem Weg zur Bar rieb er sich den Nacken und versuchte zu ignorieren, wie sehr ihm die Wangen vom andauernden Lächeln schmerzten. In der Mitte des Raums wurde getanzt, andere Gäste unterhielten sich angeregt. Die Hochzeit der fünf Paare war ohne Panne verlaufen, und stärker als zuvor empfand Brian die Leere, die sich in ihm ausbreitete. Sein Zwillingsbruder war jetzt glücklich verheiratet, und er selbst wurde das Gefühl nicht los, dass er allein zurückgelassen worden war.

An der Bar setzte er sich zu dem einzigen Bruder, der wie er noch Single war und sich gerade mit Stefan Mendoza unterhielt, dessen Bruder Brians Cousine geheiratet hatte. Sofort schob Joshua ihm ein Glas Whiskey hinüber, und Brian trank es aus. Als der Alkohol in der Kehle brannte, war er fast dankbar dafür. Zweifellos waren alle frisch verheirateten Paare – Megan und Mark, Arabella und Jay, Wiley und Grace, Kane und Layla sowie Brady und Harper – überglücklich, aber Brian fiel es gerade schwer, ihre Freude zu teilen.

Als er dem Barkeeper nach einer weiteren Runde winkte, erfasste er im Augenwinkel etwas Rotes. Es gehörte zu einer Frau, die sich auf dem Weg zu den Waschräumen durch die Menge schob. Ihr kupferfarbenes Haar türmte sich auf dem Kopf und kontrastierte auffallend mit der hellen Haut im Ausschnitt des Kleids.

Sie kehrte Brian den Rücken zu, aber das flammende Haar, das im Licht des Ballsaals zu glitzern schien, faszinierte ihn sofort.

„Schneidet die Fliege dir den Blutstrom zum Gehirn ab?“, fragte Josh und stieß ihn an.

Brian blinzelte. „Nein, aber der unausgesprochene Druck, ein Paar zu werden, nimmt mir die Luft zum Atmen“, murmelte er.

„Darauf trinke ich.“ Josh hob das Glas, das der Barkeeper ihm hinstellte. Stefan tat es ihm nach, und die drei Männer tranken schweigend.

„Man sollte meinen, dass alle jetzt zufrieden sind“, sagte Brian nach einem Moment. „Aber Mom scheint entschlossener denn je zu sein, uns alle unter die Haube zu bringen. Sie ist wie eine Tigerin, die auf den Geschmack gekommen und wieder auf Beutejagd ist.“

Schmunzelnd zeigte Josh auf ihre Eltern, die mit den anderen Brautpaaren tanzten. Gary und Catherine Fortune waren seit über drei Jahrzehnten verheiratet. „Eine ‚Tigerin auf Beutejagd‘ ist vielleicht etwas übertrieben“, sagte er.

„Finde ich nicht.“ Stefan stieß mit der Faust gegen Brians und nickte zu seinem Bruder Mark hinüber, der gerade seine frisch gebackene Ehefrau küsste. „Die Mendozas haben schon immer Fortunes geheiratet, und irgendwie fühle ich mich gerade wie Frischfleisch auf dem Markt.“

„Ohne eine einzige Vegetarierin in Sicht“, ergänzte Brian.

Josh verdrehte die Augen, aber Stefan nickte. „Keine Frage, hier ist gerade Jagdsaison.“ Er stöhnte leise auf, als Brians Cousine Belle Fortune auf sie zusteuerte. Sie war eine der letzten Fortune-Singles, und das Leuchten in ihren Augen ließ sich nur als räuberisch beschreiben.

Jagdsaison, eindeutig.

„Na, wenn das kein herzerweichendes Trio ist“, sagte Belle fröhlich, den Blick auf Stefan gerichtet.

„Hier wird kein Herz weich“, widersprach Stefan rasch und leerte nervös sein Glas.

Belle strahlte ihn an, und Josh stieß Brian unauffällig an, als sie noch einen Schritt auf den dunkelhaarigen Mendoza zumachte. Der arme Kerl sah aus wie ein Kaninchen, das von einem Wolf im Seidenkleid in die Ecke gedrängt wurde. Tiger … Wölfe … vielleicht brachte Brian seine Raubtiere durcheinander, aber er war heilfroh, dass ihr Interesse nicht ihm, sondern Stefan galt.

Ein Blick in die Runde zeigte, dass mehrere Mendoza-Männer sie beobachteten und sich ebenso darüber amüsierten wie Brian und Josh.

„Ich weiß, du hast ein Herz, Stefan“, säuselte Belle praktisch und legte eine zierliche Fingerspitze an seine Smokingjacke. „Chaz hat mir Geschichten über dich erzählt. Innerlich bist du ein großer Softie.“

„Chaz lügt“, brachte Stefan mit gepresster Stimme heraus.

Ihm war anzusehen, dass er nicht unhöflich sein wollte, aber nicht wusste, wie er mit ihrem unverhohlenen Flirtversuch umgehen sollte.

Brian kam ihm zu Hilfe. Als die Musik zu einer langsamen Ballade wechselte, stand er auf und reichte Belle die Hand.

„Hey, Cousine, darf ich um diesen Tanz bitten?“

Belle kniff kurz die Augen zusammen, aber dann lächelte sie. „Ich tanze für mein Leben gern.“ Bevor sie sich umwandte, zeigte sie auf Stefan. „Merk dir das, okay?“

Er nickte und warf Brian einen dankbaren Blick zu. Auf dem Weg zur Tanzfläche beugte Brian sich zu Belle. „Weißt du, Stefan hatte gerade gesagt, dass Mendozas immer Fortunes heiraten. Und ihr seid beide Singles. Was für ein Zufall.“

Belle drückte seine Hand. „Glaub mir, ich weiß.“

Beim Tanzen unterhielten sie sich über die Hochzeit und diverse Mitglieder der erweiterten Familie.

„Für die Bräute war es ein Fulltime-Job, bei all den Geschenken nicht den Überblick zu verlieren“, erzählte Belle lachend.

Sofort musste Brian an den Pferdekopf in seinem Kofferraum denken. Vielleicht hatte Belle eine Idee, von wem er stammen konnte. Sie zog eine Grimasse, als er die Skulptur beschrieb, wurde aber nachdenklich, als er die Karte ohne Unterschrift erwähnte.

„Ich hatte ein Geschenk in meinem Zimmer, als ich hier ankam“, sagte sie. „Das gerahmte Bild einer Rose. Erst dachte ich, alle Gäste hätten es bekommen, aber ich war die Einzige.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die zwei Geschenke miteinander zu tun haben, aber sie sind beide antik und wirken wie zufällig ausgewählt.“

„Stimmt.“ Brian nickte. „Obwohl ein Rosenbild Kindern weniger Angst macht als ein dämonischer Pferdekopf. Wer weiß, vielleicht hast du einen heimlichen Verehrer.“

Automatisch schaute sie sich zu Stefan um. Lachend drehte Brian sie in die andere Richtung. „Das war ein Scherz“, versicherte er ihr, noch während sein Blick die Frau mit dem rotbraunen Haar erfasste, die ihm vorhin schon aufgefallen war. Sie stand am Rand der Tanzfläche und starrte gedankenverloren vor sich hin.

Er hätte gern gewusst, woran sie gerade dachte. Das war ein ungewöhnlicher Wunsch für jemanden, dem seine College-Liebe das Herz gebrochen hatte. Denn danach hatte er festgestellt, dass Frauen ihn interessanter fanden, je weniger er ihr Interesse erwiderte. Seitdem behielt er seine Gefühle für sich und hatte auch jetzt nicht vor, daran etwas zu ändern.

„Und wenn?“ Belle seufzte. „Wäre das nicht romantisch? Ausgerechnet in diesem Hotel und während der Hochzeit?“

Brian konzentrierte sich wieder auf seine Cousine. „Irgendwann wirst du einen Mann sehr glücklich machen, Belle, aber du solltest dein Herz nicht auf der Zunge tragen, wenn du nicht willst, dass jemand es schäbig behandelt.“ Er zwang sich, nüchtern und sachlich zu klingen. „Glaub mir.“

„Irgendwo dort draußen wartet jemand auf jeden von uns“, erwiderte sie. „Das weiß ich einfach.“

Als die Musik endete, wanderte sein Blick wie von selbst wieder zu der hübschen Fremden. „Das ist ein schöner Gedanke, aber manche Leute warten …“

„Sogar auf dich“, unterbrach sie ihn lachend. „Vielleicht ist dies dein Jahr, Brian. Aber du musst es zulassen. Fang einfach jetzt damit an.“ Sie nahm seine Hand und zog ihn von der Bar fort.

„Was tust du?“ Er ging langsamer, aber sie ließ nicht locker, sondern zwinkerte ihm zu.

Kurz darauf standen sie vor der Frau mit dem rotbraunen Haar. Ihre blauen Augen wurden noch größer und sie wirkte so überrascht wie er. Belle machte sie miteinander bekannt, und die Fremde schenkte ihm ein Lächeln, das ihm buchstäblich den Atem raubte.

So sehr, dass er ihren Namen nicht mitbekam. Erst als Belle ihm einen Rippenstoß verpasste, registrierte er, dass sie ihm eine Frage gestellt hatte.

„Uff.“ Verzweifelt versuchte er, seinen Verstand wieder in Gang zu setzen, als die Fremde ihn amüsiert musterte. Vielleicht waren die Drinks mit Josh und Stefan doch nicht ohne Wirkung geblieben.

„Das hier macht Spaß“, sagte Belle fröhlich. Zu fröhlich.

Brian schüttelte den Kopf, während er mit sich rang. Ein Teil von ihm wollte sich auf Belles Spiel einlassen, ein anderer drängte ihn dazu, schleunigst das Weite zu suchen. Er verstand nicht, warum er so heftig auf eine Frau reagierte, der er gerade erst begegnet war. Er wusste nur, dass es nicht nur am Alkohol lag.

„Es ist fast Mitternacht“, rief Belle aufgeregt. „Ich suche mir jetzt jemanden …“, sie atmete tief durch, „der mir hilft, das neue Jahr einzuläuten. Viel Spaß euch beiden.“

Spaß.

Wovon zum Teufel redete sie?

Bevor er sie fragen konnte, verschwand seine Cousine im Gewühl.

Brian gab einen frustrierten Laut von sich, bevor er einen Blick auf sein Gegenüber riskierte. Die Frau wirkte, als wünschte sie, der Boden würde sich auftun und sie verschlucken.

Er war vielleicht nicht so charmant und charismatisch wie sein Bruder, aber er war höflich genug, sie nicht noch mehr in Verlegenheit zu bringen.

„Ich habe deinen Namen nicht verstanden“, sagte er und rang sich ein freundliches Lächeln ab.

„Emmaline“, antwortete sie leise. Ihre Stimme war ein Schnurren, das ihm unter die Haut ging. Sie klang so faszinierend, wie sie aussah.

„Freut mich, dich kennenzulernen. Ich bin Brian.“

„Ja.“ Sie betrachtete ihn. „Ich weiß.“

Ihr forschender Blick machte ihn so nervös, dass er sich verzweifelt umsah, als Callum Fortune auf der Bühne mit dem Countdown ins neue Jahr begann. Ein Kellner kam mit einem Tablett vorbei, und Brian nahm sich zwei Gläser. Eins davon reichte er Emmaline. Sie nahm es, trank aber nicht.

Er dagegen gönnte sich einen kräftigen Schluck. Was war los mit ihm? Warum schlug sein Herz so schnell? Er hatte genug Countdowns mitgemacht, um zu wissen, was von ihm erwartet wurde. Ein Kuss zum Jahreswechsel bedeutete nichts. Es war eine Tradition. Mehr nicht.

Aber als alle jubelten, „Happy New Year“ riefen und Glocken läuteten, fühlte er in sich etwas aufsteigen, das nichts mit dem Champagner zu tun hatte.

Emmaline stand neben ihm, reglos wie eine Statue, und hielt ihr Glas so fest, als wollte sie den Stiel abbrechen.

Er war nicht mehr der unbeholfene Teenager in Bradys Schatten. Er war ein Mann. Dreißig Jahre alt und mit zu viel Erfahrung, um sich von einem harmlosen Kuss aus der Fassung bringen zu lassen.

„Happy New Year“, sagte er zu Emmaline und wehrte sich gegen das Gefühl, das ihn durchströmte. Er schenkte ihr ein geübtes Lächeln. Das Lächeln, das die Frauen in Buffalo regelmäßig dazu brachte, ihm ihr Herz – und ihr Bett – zu öffnen.

Emmalines Wangen verfärbten sich, bevor sie mit ihm anstieß. „Happy New Year, Brian.“

Seine Name klang aus ihrem Mund … irgendwie richtig, also tat er, was um Mitternacht in der Gesellschaft einer attraktiven Frau von ihm erwartet wurde. Einer Frau, in deren Augen er einen endlosen Sommerhimmel wahrzunehmen schien.

Er beugte sich vor, um sie zu küssen.

Emmaline zuckte zusammen, und ihr Champagner spritzte auf seinen Smoking, als sie das Gesicht abwandte. Brians Kuss landete auf ihrer Wange. Hatte er die Situation wirklich so falsch interpretiert?

Vielleicht änderten manche Dinge sich nie.

War sie die größte Idiotin auf dem Planeten?

Das war die Frage, die durch Emmalines Kopf huschte wie ein aufgeregtes Eichhörnchen. Brian Fortune, der attraktivste Mann, dem sie seit Langem begegnet war, hatte sie zum Jahreswechsel küssen wollen – und sie hatte es verdorben.

Gründlich.

Hastig nahm sie eine Serviette von einem Tisch und tupfte seine feuchte Smokingjacke ab. Ihr Gesicht brannte, gleichermaßen vor Verlegenheit und von der Berührung seiner Lippen an der Wange.

„Es tut mir leid“, sagte sie, den Blick auf seine Fliege gerichtet. Sie wagte nicht, ihm in die Augen zu sehen.

Ihr blamabler Auftritt ließ sich nicht auf den Alkohol schieben. Sie hatte den ganzen Abend keinen Tropfen angerührt, und der Champagner, den Brian ihr gereicht hatte, befand sich auf ihm und dem Fußboden.

„Du musst dich nicht entschuldigen“, wehrte er mit tiefer Stimme ab, und fast hätten ihre Knie vor Verlangen nachgegeben. Warum löste dieser Mann so etwas in ihr aus?

Alle Fortune-Männer sahen sehr gut aus, aber keiner von ihnen wirkte auf Emmaline so wie Brian. Das konnte nur an den Hormonen liegen, aber das ging ihn nichts an.

„Mir tut es leid“, sagte er, während er eine Hand auf ihre legte und ihr das leere Glas abnahm. Er trat um sie herum und stellte beide Gläser ab.

Die anderen Gäste tanzten, lachten und schienen die ersten Minuten des neuen Jahres zu genießen. Es war noch lauter geworden, aber als Brian wieder vor ihr stand, schien es um sie herum ganz still zu werden.

„Ich wollte, dass du mich küsst“, platzte sie heraus. Nahm die Peinlichkeit denn kein Ende?

Brians dichte Augenbrauen hoben sich. Sie wusste, dass er und sein Zwillingsbruder angeblich identisch waren. Beide hatten kastanienbraunes Haar und dunkle Augen. Aber während Brady Zuversicht und lässigen Charme ausstrahlte, wirkte Brian etwas reservierter. Sein kräftiges Kinn war kantig, und seine Augen verrieten nicht, was er fühlte. Er war geheimnisvoll und schwer zu entschlüsseln.

Emmaline war als einziges Kind einer allein erziehenden Mutter aufgewachsen, die lange Stunden arbeitete. Sie hatte sich oft allein beschäftigen müssen und war sehr gut darin, Rätsel zu lösen.

„Weil es Mitternacht an Silvester war“, erklärte sie und fühlte, wie ihre Wangen sich wieder erwärmten. „Tradition und Glück und all das. Ich habe reagiert, ohne nachzudenken. Schade, dass dies kein Flim ist, in dem wir die Zeit zurückdrehen können.“ Was plapperte sie da?

Sie presste die Lippen zusammen und rang sich ein unbeschwertes Lächeln ab.

Leider war Emmaline rothaarig, und viele Rothaarige erröteten so sehr, dass die Farbe ihrer Wangen der ihres Haares glich. Ihre Verlegenheit ließ sich nicht verbergen, sondern stand ihr ins Gesicht geschrieben.

Es entging Brian nicht, und sie erwartete, dass er hämisch grinste oder sich über sie lustig machte. Die meisten Leute taten das. Er nicht. Seine Augen verdunkelten sich zur Farbe eines kräftigen Espresso. Eine Sekunde lang war er kein Rätsel mehr, sondern ein offenes Buch. Und was sie in seinem Blick las, war Verlangen.

Nach ihr.

„Ich habe keine Kotrolle über die Zeit“, erwiderte er mit dem Hauch eines Lächelns. „Aber ich habe das Gerücht gehört, dass Mitternachtsküsse an Silvester stark überschätzt werden.“

Enttäuschung durchzuckte Emmaline, aber er fuhr fort. „Aber ein Kuss in den ersten Minuten des neuen Jahres ist eine ganz andere Geschichte.“

„Ist das so?“ Sie schluckte und befeuchtete sich instinktiv die Lippen.

Seine Miene veränderte sich nicht, aber die Luft zwischen ihnen schien sich aufzuladen, als er nickte. „Es ist ein frischer Start, eine Welt voller Möglichkeiten.“

„Das klingt gut.“

„Finde ich auch. Darf ich dich küssen, Emmaline?“

Wow. Da war es. Er fragte sie tatsächlich, ob er sie küssen durfte.

Sie war hingerissen. So sehr, dass sie sich fragte, ob er ihr Herz klopfen hörte. Als wäre ihr Vorfreude etwas Greifbares.

Nach einem Moment nickte sie, denn ihrer Stimme traute sie nicht.

Brians warme Hände näherten sich ihrem Gesicht und legten sich um ihre Wangen, als wäre sie wertvoll. Sie fühlte sich wertvoll.

Er beugte sich vor und streifte ihre Lippen mit seinen, federleicht und beherrscht. Die Berührung erzeugte bei ihr eine Gänsehaut und sie stöhnte leise auf, zugleich zufrieden und frustriert. Sie genoss die Empfindungen, die in ihr aufstiegen, und wollte mehr.

Brian musste den Laut gehört haben – noch etwas, das sie verlegen machte. Aber er schien daran nichts falsch zu finden.

Im Gegenteil, es stachelte ihn an. Er vertiefte den Kuss und zog sie in eine Nische, damit sie ungesehen waren.

Sanft umschloss er ihre Wangen, die zarte Berührung ein klarer Kontrast zur festen Brust, die sie unter ihren Händen fühlte. Aber als er eine Hand an ihren Rücken gleiten ließ, um sie an sich zu drücken, wich sie zurück.

Sie durfte es nicht zulassen. Nicht jetzt. Nicht ohne … zu viel zu verraten.

Er starrte sie an und wirkte so benommen, wie sie sich fühlte.

„Ich muss gehen“, flüsterte sie, mehr zu sich selbst als zu ihm.

Bevor er antworten konnte, drehte sie sich um und rannte davon.

2. KAPITEL

„Du betrachtest das Ding wie ein verliebtes Schulmädchen“, sagte Brian, als er sich einige Tage später der Rezeption des Hotel Fortune näherte.

Brady hob die linke Hand, um seinen neuen Ehering zu präsentieren. Dann nahm er eine Broschüre, damit keiner der Gäste in der Halle mitbekam, wie er Brian den Mittelfinger zeigte.

„Du bist nur neidisch“, antwortete er.

„Soll das ein Scherz sein? Ich würde der Hälfte aller Frauen in Buffalo das Herz brechen, wenn ich heirate.“

„Richtig.“ Brady lächelte. „Aber glaub mir, es lohnt sich.“

„Das merke ich mir.“ Obwohl Brian nicht vorhatte, sesshaft zu werden. Es war nicht sein Stil. Irgendwann einmal hatte er gedacht, er könnte eine Familie gründen. Anders als Brady hatte er auf dem College die ganze Zeit nur eine Freundin gehabt. Er war in Tammy verliebt gewesen. Oder er hatte es für Liebe gehalten.

Jetzt waren die Gefühle für seine Ex so sehr verblasst, dass er sich nicht mehr sicher war.

Klar war allerdings gewesen, dass sie ihr Leben nicht mit ihm verbringen wollte. Kurz nach ihrem Abschluss war er nach Hause gekommen und hatte ihre gepackten Taschen vor der Tür ihrer gemeinsamen Wohnung vorgefunden. Sie erzählte ihm, dass sie nach Chicago umziehen wollte, und er schlug vor, dass er mit ihr dorthin wechseln konnte. Sie wollte nichts davon hören.

Offenbar hatte sie ein aufregenderes Leben führen wollen, als Brian ihr bieten konnte.

Brady kam hinter dem Tresen hervor, um mit Brian zu Mittag zu essen, bevor er und Harper am nächsten Tag in die Flitterwochen aufbrachen. Sie traten in den warmen Wind hinaus, der die Weihnachtsdekoration an den meisten Geschäften der malerischen Hauptstraße schwanken ließ, und steuerten das Restaurant an, das ihre Drillingscousinen Megan, Ashley und Nicole betrieben.

„Vermisst du manchmal den Schnee?“, fragte Brian.

Sein Bruder schmunzelte. „Nein. Es fehlt mir überhaupt nicht, auf glatten Straßen zu fahren, die Auffahrt freizuschaufeln oder mir den Hintern abzufrieren.“

„Ja, das verstehe ich. Fehlt dir irgendetwas an Buffalo?“

Brian hatte gelernt, so zu tun, als machte es ihm nicht aus, zurückgelassen worden zu sein. Je besser er darin wurde, je besser es in seinem Beruf lief, desto attraktiver wurde er für Frauen und desto mehr Verantwortung gab sein Chef in der Agenur ihm.

Er war verdammt gut in seinem Job und verstand es, erfolgreiche Marken zu schaffen und Marketingkampagnen für verschiedenste Firmenkunden zu gestalten. Das lag auch daran, dass er sein ganzes Leben lang Menschen beobachtet hatte. Mühelos las er die Stimmung in einem Raum. Er hörte sich die Vision eines Kunden an und setzte sie gekonnt in eine Kampagne um.

Die Arbeit bedeutete ihm mehr, als er sich anmerken ließ, und der Eigentümer der Agentur belohnte ihn dafür mit einem satten Gehalt und der Freiheit, sich seine Zeit selbst einzuteilen und sie nicht immer im Büro verbringen zu müssen.

Bis zu dieser Reise nach Rambling Rose hatte er keinen Grund gehabt, diese Freiheit zu nutzen.

„Ich wünschte, ich könnte jede Woche mit dir essen.“ Brady zog die schwere Holztür des Restaurants auf.

„Du würdest nur fett werden“, scherzte Brian. Als sie beide in New York gelebt hatten, waren sie einmal in der Woche in ihre Lieblingssportsbar gegangen, um zu quatschen und sich gegenseitig auf den neuesten Stand zu bringen.

Noch nie waren sie so lange getrennt gewesen wie in dem Jahr, seit Brady nach Texas gezogen war. „Außerdem bist du jetzt ein langweiliger Familienmensch und störst mich in meiner Entfaltung. Seit du weg bist, beachten die Kellnerinnen mich deutlich mehr.“

„Lunch ohne eisige Temperaturen ist noch besser“, sagte Brady, als Ashley ihnen vom Empfang zuwinkte.

„Habt iht zwei die Leute auch mal hereingelegt?“, fragte sie lächelnd. „Nicole, Megan und ich haben immer so getan, als wären wir die andere. Aber wir sind dreieiig, deshalb hat es selten geklappt.“

„Bei genauerer Betrachtung sehe ich wesentlich besser aus“, erwiderte Brady augenzwinkernd.

Wie immer stieß Brian ihn an. „Dafür bin ich der Intelligentere.“

Ashley lachte fröhlich. Die beiden neckten sich schon immer. Als sie Kinder gewesen waren, hatte ihre Mutter aufgehört, ihnen das Gleiche anzuziehen, weil es einfach zu verwirrend war.

Selbst als Erwachsene konnten sie die meisten Leute täuschen, nur Harper nicht. Nach Brians Ankunft in Rambling Rose hatten sie es ausprobiert und Kleidung und Autos getauscht und waren zu Bradys und Harpers Haus gefahren. Brian hatte die Küche als Erster betreten. Harper hatte ein einziger Blick gereicht.

„Guter Versuch, Jungs“, sagte sie. „Aber Brady sollte sich besser nicht an deinen schicken Sportwagen gewöhnen. Dazu wird er zu viele Kinder haben. Die würden das Gefährt in Rekordzeit zu Schrott fahren.“

Seitdem zweifelte Brian nicht mehr daran, dass Harper genau die Richtige für seinen Bruder war.

Sie unterhielten sich noch eine Weile mit Ashley. Brian erzählte von seiner Werbekampagne für eine angesagte Bostoner Restaurantkette, und sie bat ihn zaghaft, ihnen ein paar Vorschläge für ihr eigenes Restaurant zu machen.

Sie tauschten Nummern aus. Er liebte es, über seinen Job zu reden. Das fiel ihm wesentlich leichter, als persönliche Dinge zu offenbaren. Und je länger er in Rambling Rose war, desto reizvoller fand er die kleine Stadt. Er konnte gut verstehen, warum seine Familie hier investierte.

„Bist du bereit für ein paar freie Tage?“, fragte er seinen Bruder, nachdem sie das Taco-Special bestellt hatten.

Brady strich sich durchs Haar. „Ehrlich gesagt, ich erinnere mich kaum noch daran, wie Entspannen geht. Toby und Tyler lassen es nicht mehr zu.“

„Ich hatte meine Zweifel, aber du bist ein großartiger Vater geworden. Gord wäre stolz auf dich.“

Bradys verstorbener bester Freund hatte ihn zum Vormund seiner Zwillinge gemacht. „Ich hatte selbst Zweifel“, gestand er. „Aber die beiden Raubauken sind die Besten.“ Er lachte. „Ich weiß, wir bleiben nur ein paar Tage weg, aber sie werden mir fehlen.“

„Genieß die Ruhe, solange du kannst“, riet Brian. „Onkel Brian weiß, wie er mit den beiden fertig wird. Donuts zum Frühstück. Jeden Tag.“

„Das wirst du bereuen.“ Brady zeigte mit dem Finger auf ihn. „Ich weiß nicht, was bei den Kids schlimmer ist. Der Zuckerrausch oder der Tiefpunkt danach.“

„Kümmere du dich um deine Braut, ich übernehme deine Jungs.“ Brian wartete, bis ihre Tacos auf dem Tisch standen. „Ich könnte dir ja empfehlen, die Flitterwochen zu nutzen, um wieder Vater zu werden, aber in romantischer Hinsicht warst du schon immer ein Streber.“

„Nur bei Harper“, entgegnete Brady. „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich vor ihr je eine Frau angesehen habe.“

Brian hatte gerade in seinen Taco gebissen, schluckte hastig und griff nach seinem Wasserglas. „Du hast immer Glück gehabt.“

„Da wir von Glück reden …“ Brady zog die Augenbrauen hoch. „Ich weiß aus aonymer Quelle, dass du um Mitternacht vielleicht auch Glück hattest? Verheimlichst du mir was, Bro?“

Brian zuckte mit den Schultern. Was sollte er sagen? Er hatte ein Mädchen geküsst, und sie war davongerannt wie aus einem brennenden Haus. Nicht gerade ein Beleg für seine Verführungskünste.

Aber insgeheim wusste er, dass sein Stolz nicht der einzige Grund war, aus dem er das kurze Zwischenspiel für sich behielt. Er brauchte nur an sie zu denken, schon klopfte sein Herz. Dabei kannte er nicht mal ihren Nachnamen.

„Es gibt nichts zu erzählen“, sagte er wie beiläufig und nahm sich einen Kartoffelchip. „Deine Quelle ist Belle, nehme ich an, denn sie ist diejenige, dich mich praktisch gegen die fremde Frau geschoben hat. Sie ist romantischer, als gut für sie ist.“

„Wer war die Frau?“, fragte Brady. „Mochtest du sie? Rambling Rose ist klein. Ich wette, jemand kennt sie.“

„Es hat nichts zu bedeuten“, beharrte Brian und fragte sich, wen er überzeugen wollte.

Zu seiner großen Erleichterung kam Ashley an den Tisch und erkundigte sich, ob es ihnen schmeckte. Das ersparte es ihm, mit Brady über Emmaline sprechen zu müssen. Sicher, er hätte herausfinden können, wer sie war. Aber wozu?

Sie war offenbar nicht an ihm interessiert, und er würde mit den Zwillingen genug um die Ohren habe. Es war ein simpler Neujahrskuss, der schon bald zu einer blassen Erinnerung werden würde.

Jedenfalls wollte er das glauben.

Nach dem Essen machten sie sich auf den Rückweg zum Hotel. Brians BMW stand davor, und plötzlich fiel ihm ein, dass die Pferdeskulptur noch im Kofferraum lag.

„Während du weg bist, versuche ich mal herauszufinden, wer das bizarre Geschenk geschickt hast“, sagte er zu Brady. „Hast du im Hotel herumgefragt?“

„Ohne Ergebnis“, erwiderte sein Bruder. „Aber Grace hat vorgeschlagen, Kontakt mit dem Eigentümer dieses Antiquitätengeschäfts aufzunehmen.“ Er reichte Brian eine Karte von Rosebud Antiques, auf der ein E. Lewis als Inhaber genannt wurde. „Von dort hat sie viele dekorative Stücke fürs Hotel. Vielleicht ist das Pferd auch daher. Alt ist es jedenfalls.“

„Alt und unheimlich.“ Brian sah auf die Uhr. „Ich habe noch eine Stunde frei, also gehe ich gleich hin.“

„Gute Idee.“ Brady klopfte ihm auf die Schulter. „Denn wenn du dich erst mal um die Zwillinge kümnmerst, bist du zu nichts anderem mehr fähig.“

„So anstrengend sind sie nicht“, widersprach Brian. „Mich wirft so schnell nichts um. Was du kannst, kann ich besser.“

„Berühmte letzte Worte“, sagte Brady lachend.

Lächelnd machte Brian sich auf den Weg zu Rosebud Antiques.

Emmaline hörte die Glocke über der Eingangstür, als sie gerade hinter der Kasse auf dem Boden hockte. „Bin gleich bei Ihnen“, rief sie und tastete nach dem Schubladengriff, der unter den Tresen gerollt war.

Leider war ihr Arm nicht lang genug, zumal es im Moment nicht gerade bequem war, sich falsch auf den Bauch zu legen.

Sie nahm sich vor, es später mit einem Besen zu probieren, richtete sich auf und klopft den Staub von dem Denim-Overalll, bevor sie sich zu dem neuen Kunden umdrehte. Bei seinem Anblick stockte ihr der Atem. Brian Fortune starrte sie an, als hätte er gerade ein Gespenst gesehen. Als sein Blick an ihr hinabwanderte, widerstand Emmaline dem Bedürfnis, die Hände auf den Bauch zu legen.

Dabei war es unwahrscheinlich, dass jemand, den sie erst ein Mal getroffen – und geküsst – hatte, ihr ansah, dass sie schwanger war. Selbst im sechsten Monat, obwohl der Babybauch sich immer schwerer verbergen ließ.

Sie war es leid, ihren Zustand zu verheimlichen, aber sie hatte es ihrer Mutter versprochen. Emmaline hatte sie schon dadurch enttäuscht, dass sie nach Rambling Rose zurückgekehrt war, anstatt in Houston zu bleiben und das Großstadtleben zu führen, das ihrer Mutter verwehrt worden war.

„Hallo, Emmaline“, sagte Brian und kam näher.

Das Herz hämmerte in ihrer Brust, und ihre Handflächen wurden feucht, als sie daran dachte, wie seine Lippen sich an ihren angefühlt hatten.

„Hi.“

Sie legte die Hände auf den Tresen, um sich etwas abzukühlen. Seine Reaktion verriet, dass er nicht ihretwegen hier war. Sie wehrte sich gegen die Enttäuschung. Schließlich war sie diejenige, die davongerannt war.

Er runzelte die Stirn. „Arbeitest du hier?“

„Ja. Kann ich dir helfen?“ Sie zeigte auf den Karton in seinen Händen.

„Na ja … ich … es ist schön, dich wiederzusehen. Das habe ich nicht erwartet … Du siehst …“

Sie lachte leise. „Wie ein Schmuddelkind, verglichen mit dem Abend im Hotel“, sagte sie.

„Der Overall steht dir.“ Wieder legte er die Stirn in Falten. „Nicht, dass du in dem schicken Kleid nicht hübsch ausgesehen hast. Aber …“ Er zögerte. „Jetzt siehst du noch hübscher aus.“

„Oh.“

„Ist dein Chef da?“

Ihr Lächeln wurde breiter. „Ich bin die Chefin“, erwiderte sie stolz.

Er nahm den Karton auf einen Arm und zog eine Karte aus der Tasche seiner Canvas-Jacke. In einem lässigen Henley-Shirt, dunklen Jeans und der braunen Jacke sah er mindestens so gut aus wie im Smoking.

Soviel dazu, dass ihre erste Reaktion auf ihn nur an der romantischen Stimmung am Silvesterabend gelegen hatte.

„E. Lewis“, las er auf der Karte, die sie vor einem Monat hatte drucken lassen.

Sie hatte Rosebud Antiques nach dem Tod ihres Großvaters im letzten Jahr übernommen. Aber erst seit sie mit Grace bei der Einrichtung des Hotels zusammengearbeitet hatte, fühlte sie sich wirklich wie die Inhaberin.

„Emmaline Lewis“, erklärte sie Brian.

„Richtig.“ Er nickte. „Ich habe deinen Nachnamen nicht mitbekommen.“

„Der ist nicht wichtig“, sagte sie, obwohl es sie ein wenig traf. Sie war es gewohnt, übersehen zu werden. Trotz ihres roten Haars, das das einzig Bemerkenswerte an ihr war.

„Ich war abgelenkt. Von dir.“ Er lächelte verlegen, als hätte er wieder zu viel gesagt.

Für Emmaline dagegen schien Brian genau das zu sagen, was sie hören wollte.

„Ich brauche Hilfe bei einer Antiquität.“ Er stellte die Schachtel auf den Tresen und öffnete sie.

Emmaline beugte sich vor. Brian schob das Papier zur Seite und nahm die Bronzebüste eines Pferdekopfs heraus, der man das Alter ansah, die aber noch in bemerkenswert gutem Zustand war.

Sie berührte die Ohrspitze in genau dem Moment, in dem Brian mit der Hand darüberstrich. Ihre Finger berührten sich, und Emmalin registrierte erstaunt, dass sie es wie einen Stromstoß fühlte.

„Der ist wirklich etwas. Woher hast du ihn?“, fragte sie, als sie beide zurückwichen.

„Etwas.“ Er schmunzelte. „Das ist eine politisch korrekte Beschreibung, Ms. Lewis. Mein Bruder und Harper haben ihn zur Hochzeit geschenkt bekommen, aber er ist kurz vor Weihnachten eingetroffen. Harper dachte, er stammt vielleicht von Mariana’s Market, aber sie hat dort angerufen, und die wussten nichts davon. Es gab keine Karte mit dem Absender, und ehrlich gesagt, der Kopf hat seinen Jungs Angst gemacht.“

Sie hob die Skulptur heraus und drehte sie. Das Gewicht und die kunstvolle Machart ließen vermuten, dass es eine authentische Antiquität und keine massenhaft produzierte Kopie war.

„Du bist nicht gruselig“, sagte sie zum Pferd. „Du hast nur einiges mitgemacht, und das sieht man. Ich hoffe, so ein Stück landet nicht auf einem Flohmarkt, auch nicht auf Marianas. Jemand mit Talent hat dich geschaffen, nicht wahr, mein Schatz?“

Das war der Teil ihres Jobs, den sie am meisten liebte. Die Geschichte eines Objekts und die Suche nach der Herkunft. Wer hatte diese Skulptur geschaffen und wie konnte sie den Künstler und die Entstehungszeit herausfinden? Emmaline genoss es, solche Rätsel zu lösen.

Brian räusperte sich. Erschrocken hob sie den Blick. Sie hatte sich ganz auf die Skulptur konzentriert und ihn vergessen.

„Redest du mit all deinen Antiquitäten?“, fragte er lächelnd.

„Mit den meisten“, gab sie zu und schaute sich im Laden um. „Sogar mit den Möbeln. Sie antworten nicht, aber …“

Wie konnte sie es erklären, ohne sich lächerlich zu machen? Ihr Ex hatte sich darüber lustig gemacht. Robert wäre es lieber gewesen, wenn sie lebende Freunde gefunden und in ihre Zukunft investiert hätte, anstatt sich für tote Gegenstände aus der Vergangenheit zu begeistern.

„Aber?“, wiederholte Brian sanft.

Sie sah ihn an und festigte den Griff um die Skulptur, aber in seinen whiskeyfarbenen Augen las sie nicht Verachtung oder auch nur Kritik, sondern nichts als Neugier.

„Ich liebe die Geschichte und die Jagd nach genau den richtigen Stücken für mein Geschäft. Jedes davon erzählt etwas, und mir ist wichtig, das zu achten. Die meisten Kunden schätzen wie Grace im Hotel die Qualität, aber auch die Verbindung zur Vergangenheit.“ Sie schüttelte den Kopf. „Wahrscheinlich mache ich mehr daraus, als es ist.“

„Nein.“ Brian legte kurz die Hand auf ihre. „Ich verstehe, was du meinst. Ich arbeite in Buffalo im Marketing und Branding, und was mich so gut in meinem Job macht, ist die Fähigkeit, zu erspüren, was die Kunden erzählen wollen. Die Geschichte einer Firma oder wie sie in Erinnerung bleiben wollen. Viele Leute denken, beim Marketing geht es nur daraum, Produkte zu verkaufen, aber für mich ist es mehr. Genau wie die Antiquitäten für dich.“

In Emmaline löste sich die Anspannung, und sie lächelte zu ihm hinauf. Sie hatte nicht erwartet, eine so wichtige Gemeinsamkeit mit diesem Mann zu haben, und sie freute sich riesig darüber.

„Also bist du der Beste bei dem, was du tust?“, scherzte sie, um davon abzulenken, wie hingerissen sie von Brian war.

„Natürlich.“ Er zwinkerte. „Aber das hast du dir vermutlich gedacht.“

„Selbstverständlich“, bestätigte sie lachend. „In Rambling Rose wissen alle, was für eine großartige Familie die Fortunes sind. Das erwarte ich auch von dir.“

Sein Blick wurde nachdenklich. „Da bin ich mir nicht so sicher. Ich bin ganz gut in meinem Job, aber in meinem Zweig der Fortune-Familie bin ich der Langweilige.“

Emmaline fand das schwer zu glauben.

„Was hältst du von dem Pferd?“, fragte er, bevor sie widersprechen konnte.

„Mein Großvater hat Rosebud Antiques gegründet und sich auf europäische Möbel konzentriert, aber er hatte auch großen Respekt für texanische Künstler. Ich habe das Gefühl, dass dieses Pferd von jemandem aus diesem Staat geschaffen wurde.“ Sie strich über den Sockel, und dabei fiel ihr eine Vertiefung am Rücken auf. „Sieh mal.“ Sie hielt es hoch. „Da ist so etwas wie ein Fach.“

„Ist etwas drin?“ Er klang skeptisch. „Ich glaube nicht, dass jemand dort eine Hochzeitskarte verstecken würde.“

„Es ist verschlossen.“ Emmaline suchte nach einem Hebel oder Knopf und schaute zur Tür, als die Glocke ertönte.

„Hi, Mr. Truman“, rief sie dem Mann zu, der hereinkam. „Bin gleich bei Ihnen.“ Sie legte das Pferd in den Karton zurück. „Er ist einer meiner besten Kunden“, sagte sie leise zu Brian. „Er hat ein paar Dutzend Autowaschanlagen in Houston und baut sich hier ein zweites Haus. Ich helfe ihm beim Einrichten. Wir sind heute Nachmittag verabredet.“

„Dann musst du los.“

„Kann ich das Pferd ein paar Tage behalten?“ Vorsichtig schloss sie den Deckel des Kartons. „Ich würde gern einige Nachforschungen anstellen.“

„Klar.“ Brian lächelte. „Dann habe ich eine Ausrede, dich wiederzusehen.“

Sie fühlte ein Kribbeln im Bauch. Warum reagierte sie so auf ihn? Sie wollte antworten, dass er dazu keine Ausrede brauchte, aber Mr. Truman räusperte sich ungeduldig.

Brian nahm einen Stift aus dem Becher und schrieb seine Telefonnummer auf den Karton. „Falls du mich erreichen musst“, erklärte er. „Sonst melde ich mich wieder.“

Sie nickte und schaute ihm nach, als er hinausging. Einen Mann, den sie kaum kannte, sollte sie nicht vermissen, aber sie tat es trotzdem. Schon jetzt.

3. KAPITEL

„Was um alles in der Welt hast du da an?“

Emmaline lächelte matt und ließ ihre Mutter in die Wohnung über dem Geschäft.

„Hi, Mom. Schön, dich zu sehen. Es geht mir gut. Wie geht es dir?“

Krista Lewis ignorierte den Wink mit dem Zaunpfahl. „Zieh ein Sweatshirt an, Emmaline. Das Teil ist …“

„Sag jetzt nicht unanständig“, warnte Emmaline, schloss die Tür und zählte stumm bis zehn, bevor sie über das weiche T-Shirt strich. „Es ist ein Babybauch, kein gewagter Ausschnitt.“

„Vor dem hier hättest du im Ausschnitt nichts zu zeigen gehabt“, erinnerte ihre Mutter sie.

Lächelnd schaute Emmaline an sich hinunter. Ihre Brüste waren jetzt deutlich voller als zuvor. Es störte sie nicht, denn es repräsentierte das Leben, das in ihr wuchs. Ein kleines Mädchen, das hatte sie beim Ultraschall erfahren. Eine Tochter, die sie schon jetzt über alles liebte.

„Ich will mich nicht mehr verstellen“, erklärte sie ihrer Mutter. „Irgendwann merken die Leute es sowieso.“

„Glaub mir“, Krista seufzte, „je später es herauskommt, desto besser für dich.“

Emmaline wandte sich ab, um zu verbergen, wie sehr die Worte sie verletzten. Sie füllte den Wasserkessel und stellte ihn auf den Herd. Sie und ihre Mom tranken gern zusammen Tee. Das war eins ihrer Rituale, und Emmaline hoffte, dass es die Stimmung etwas entspannen würde, wenigstens für ein paar Minuten.

Sie hatte nicht geplant, eine allein erziehende Mutter zu werden, aber bisher war in ihrem Leben sehr wenig nach Plan verlaufen. Doch sie machte das Beste daraus und war glücklich. Nur die permanenten Vorwürfe ihrer Mutter warfen einen Schatten auf das Glück.

„Die Hochzeit war wunderschön“, schwärmte sie, während sie zwei Becher aus dem Schrank holte.

„Ich verstehe noch immer nicht, warum du eingeladen wurdest.“ Krista setzte sich an den kleinen antiken Kirschholztisch. „Als hätten die Fortunes nicht schon genug Leute, mit denen sie angeben können. Die ganze Familie ist größenwahnsinnig, wenn du mich fragst.“

Was Emmaline natürlich nicht getan hatte.

„Ich habe sie kennengelernt, als ich bei der Einrichtung des Hotels geholfen habe. Es sind gute Menschen. Freundlich und bodenständig, und sie haben viele neue Besuchr in die Stadt gebracht.“ Sie hob zwei Dosen mit Teebeuteln. „Kamille oder Pfirsich?“

Krista runzelte die Stirn. „Hast du Apfel-Zimt?“

„Im Moment nicht.“

„Dann muss Pfirsich gehen.“

Wenn es etwas gab, worauf Emmaline sich verlassen konnte, war es die Fähigkeit, ihre Mutter zu enttäuschen. Sie hängte die Teebeutel in die Becher und wartete darauf, dass der Kessel pfiff.

„Ich habe gerade an den Monatszahlen gearbeitet.“ Sie zeigte auf den Laptop auf dem Tisch. „Der Laden hatte im Dezember tollen Umsatz. Das war der fünfte Monat hintereinander mit einem Aufwärtstrend. Ich wünschte, Papa hätte das erlebt.“

„Dein Großvater hat das Geschäft nie so geführt, wie es nötig war. Er hat die Sachen viel zu billig verkauft.“

„Er wollte, dass die Leute sich schöne Dinge leisten können … Stücke mit Geschichte … für ihr Zuhause. Das war sein Geschenk an die Welt.“

Ihre Mutter rümpfte die Nase, aber was immer sie murmelte, wurde vom schrillen Pfeifen des Kessels übertönt. Emmaline war dankbar dafür. Es tat gut, den Tee einzugießen, den Pfirsichduft einzuatmen und die beruhigende Wärme zu fühlen.

Es war nicht nur Krista, die sie aus der Fassung brachte. So ging es ihr, seit Brian gestern im Rosebud gewesen war. Seit dem Kuss hatte sie immer wieder an den gut aussehenden Fortune denken müssen.

Sie hatte sogar von ihm geträumt, in aufregenden Bildern, und wusste, dass es nur zu Frustration führen würde. Emmaline war kein naives Schulmädchen. Das Baby, das sie gerade austrug, war Beweis genug. Es war sinnlos, auf etwas zu hoffen, das niemals passieren würde.

Sie stellte ihrer Mutter den Becher hin und nahm ihr gegenüber Platz.

„Das hätte ich fast vergessen.“ Ihre Mutter wühlte in ihrer riesigen Handtasche. „Ich bin vorbeigekommen, um dir etwas zu geben, das ich in den Sachen deines Großvaters gefunden habe.“

Nach ihrer Rückkehr nach Rambling Rose hatte sie zunächst mit ihrer Mutter in dem kleinen Haus am Stadtrand gewohnt, in dem sie aufgewachsen war. Es war schlicht, aber hübsch und ordentlich, und seit sie schwanger war, wusste sie zu schätzen, wie hart Krista gearbeitet hatte, um ihr ein gutes Leben zu bescheren. Das wollte sie auch für ihr Baby tun.

Aber die Spannungen zwischen ihnen hatten rasch zugenommen, weil Krista keinen Hehl daraus machte, was sie von Emmalines Schwangerschaft hielt.

Angesichts der langen Stunden im Geschäft war es einfacher gewesen, die alte Wohnung ihres Großvaters zu beziehen. Die war voller Kartons mit Papieren und Erinnerungsstücken gewesen, und sie und ihre Mutter hatten sie aufgeteilt, um alles in Ruhe durchzugehen.

Emmaline hatte vor allem alte Rezepte und Artikel aus Zeitungen und Zeitschriften gefunden, aber auch ein Bündel Briefe, die ihr Großvater ihrer Großmutter geschickt hatte, die gestorben war, als Emmaline ein Baby gewesen war. Liebesbriefe aus seiner Zeit bei der Navy in Übersee, ein wertvoller Beweis für die tiefe Liebe zwischen den beiden.

Ihrer Mutter war die wahre Liebe versagt geblieben, aber Emmaline glaubte noch immer daran. Selbst wenn sie im Moment keine Zeit hatte, sich romantische Gedanke zu machen.

Eines Tages würde ihr Prinz erscheinen.

Oder sie würde losgehen und ihm begegnen.

Jetzt stand ihr Baby an erster Stelle. Und das bedeutete, dass sie mit dem Geschäft genug verdienen musste, um für ihr Kind zu sorgen. Die Vorstellung belastete sie nicht, sondern spornte sie an. Wie ihr Großvater wollte sie Wurzeln schlagen. Rosebud Antiques und ihr Leben in Rambling Rose waren ein großer Teil davon.

„Ich dachte mir, das hier hättest du vielleicht gern.“ Ihre Mutter schob ein Schwarz-Weiß-Foto über den Tisch.

Es war alt und verblasst, aber Emmalines Großvater war deutlich zu erkennen. Albert als junger Mann, stolz unter dem Ladenschild von Rosebud Antiques.

„Dreh es um“, sagte ihre Mutter. „Es stammt vom Tag der Eröffnung.“

Emmaline schluckte vor Rührung und bezweifelte, dass es nur an den Hormonen lag. „Er sieht so glücklich aus.“

„Er war glücklich in seinem Laden“, sagte ihre Mutter leise. „Genau wie du jetzt. Ich weiß, du findest mich lächerlich, weil ich dich ermutige, deine Schwangerschaft zu verheimlichen.“

„Es gibt einen feinen Unterschied zwischen Ermutigen und Erwarten.“ Emmaline lachte.

„Die Zeiten mögen sich geändert haben, seit ich in deiner Situation war“, fuhre ihre Mutter fort, als hätte Emmaline nichts erwidert. „Aber diese Stadt ist in vieler Hinsicht noch so wie damals, trotz all der sogenannten Verbesserungen, die deine Fortune-Freunde mitgebracht haben. Ich habe dich geliebt, seit ich das erste Mal auf das Stäbchen gepinkelt habe.“

Emmaline lachte wieder, und ihre Mutter ergriff ihre Hände. „Zum Härtesten, was ich je durchgemacht habe, gehörte die Grausamkeit und Verachtung, die ich als unverheiratete Mutter ertragen musste. Bis heute gibt es in dieser Stadt Frauen, die mir demonstrativ ihren Ehering unter die Nase halten. Ich will nicht, dass es dir auch so ergeht.“

„Das muss es nicht“, beharrte Emmaline.

„Bei einigen“, gestand ihre Mutter zu, „aber nicht bei allen. Dein Papa ist in dem Bewusstsein gestorben, das sein geliebtes Geschäft in deinen fähigen Händen war, Em. Der Himmel weiß, das ist nicht die Zukunft, die ich für dich ausgesucht hätte. Und ich gebe zu, ich hatte eigentlich vor, mir mit dem Geld, das wir für einen Verkauf dieses alten Gebäudes bekommen hätten, einen wohlverdienten Urlaub zu gönnen.“

„Ich hasse es, dass mein Traum dich deinen gekostet hat.“ Emmaline drücke die Hände ihrer Mutter. Deren Knöchel waren geschwollen von den Jahren, in denen sie in Privathäusern und Firmen geputzt hatte. Es waren Hände, die von einem Leben voll harter Arbeit erzählten.

„Ich will, dass du glücklich bist“, sagte Krista. „Du und dein Großvater, ihr habt die Liebe zu Antiquitäten und dieser Stadt geteilt. Dieses Foro hat mich daran erinnert. Ich möchte, dass du weißt, dass ich nur dein Bestes will. Pass auf dich und dein Herz auf, Emmaline. Dann beschützt du auch dein Kind.“

Emmaline wusste, dass es im Leben ihrer Mutter einige Männer gegeben hatte. Aber es war immer etwas dazwischengekommen.

Vor allem Emmaline. Krista war nie bei jemandem geblieben, vom dem sie glaubte, dass er Emmaline nicht wie eine Tochter lieben konnte.

Das hatte keiner gekonnt, und Emmaline fragte sich, warum nicht einmal ihr leiblicher Vater ihr ein richtiger Vater hatte sein wollen. Ihr Baby sollte sich das niemals fragen müssen.

„Das vergesse ich nicht, Mom“, versprach sie. „Ich bin dir dankbar für alles, was du für mich getan hast.“

Ihre Mutter lehnte sich zurück. „Du warst ein einfaches Kind, Em. Die Leute haben mich oft gefragt, ob du nicht sprechen konntest, weil du so still warst. Machmal haben wir vergessen, dass du auch im Zimmer warst.“

Emmaline wusste, dass ihre Mutter es scherzhaft meinte, aber plötzlich musste sie an einige der Männer denken, mit denen sie selbst ausgegangen war. Natürlich hatte sie die besser kennenlernen wollen, aber sie war immer so nervös gewesen, dass sie kaum ein Wort herausgebracht hatte. Genau wie am Silvesterabend, als sie das Gesicht weggedreht hatte, als Brian sie küssen wollte. Und dann war sie einfach davongerannt, als der Kuss sie aus der Fassung brachte.

„Wollen wir Eis essen und uns Gilmore Girls ansehen?“, fragte sie, als ihre Mutter sich zur Haustür wandte. Früher hatten sie das immer getan, und Emmaline hatte sich ausgemalt, wie Rambling Rose sich für sie in eine Stadt wie Stars Hollow verwandelte. In mancher Hinsicht hatte es das, dank des neuen Lebens, das die Fortunes ihm eingehaucht hatten.

Sie musste einfach daran glauben, dass ihre Heimatstadt der richtige Ort war, um ihr Kind großzuziehen.

Langsam drehte Krista sich um und warf einen Blick auf den uralten Fernseher in der Ecke. „Hat das Ding überhaupt einen Kanelanschluss?“

„Ich habe sie auf DVD.“

„Ja, ich weiß.“ Ihre Mutter lächelte. „Ich habe sie dir gekauft.“ Sie legte ihre Tasche auf die Theke. „Bei welcher Staffel bist du?“

„In der zweiten. Jess ist gerade in die Stadt gekommen.“

„Die Folgen liebe ich“, murmelte Krista. „Leg die DVD ein, ich hole das Eis.“

Emmaline atmete auf. Ihr Leben war vielleicht nicht perfekt, aber wenn sie sich auf die wichtigen Dinge konzentrierte, konnte sie es zum bestmöglichen für sie und ihre Tochter machen.

Am Abend darauf strich Brian sich auf dem Weg in die Waschküche durchs Haar und blickte sehnsüchtig zum Kühlschrank seines Bruders. Brady hatte ein Sixpack von Brians Lieblingsbier darin deponiert, bevor er am Morgen mit Harper aufgebrochen war. Er hatte vorhergesagt, dass Brian dringend ein Bier brauchen würde, bevor die vier Tage allein mit den Zwillingen vorbei waren.

Es hatte keine vierundzwanzig Stunden gedauert, aber Brian fehlte die Energie, um sich zu entspannen und einen Drink zu genießen.

Wie wurden Harper und Brady bloß mit den beiden liebenswerten Rabauken fertig? Wie hatte seine Mom es überlebt, außer ihren anderen Kindern auch noch Zwillinge zu haben? Besaßen sie übermenschliche Fähigkeiten oder war Brian einfach nur komplett unfähig?

„Erdnussbutter“, murmelte er resigniert und nahm einen Stapel sauberer Handtücher vom Trockner. Die Zwillinge warteten in der Badewanne auf ihn, nachdem das Kaugummi in Tylers Haar irgndwie dafür gesorgt hatte, dass sie über und über mit klebriger Erdnussbutter bedeckt waren. „Damit kann man das Kaugummi wegmachen, Onkel Brian.“ Was für eine geniale Idee.

Er zuckte zusammen, als es über ihm polterte, und rannte zur Treppe. Toby und Tyler stritten sich, als er ins Badezimmer stürmte. Die beiden standen klitschnass auf dem Wannenrand.

Der Fußboden war mit Plastikklötzen übersät.

„Er hat das Raumschiff, das ich gebaut habe, fallen lassen, und jetzt ist es kaputt.“ Toby verpasste seinem Bruder einen unsanften Stoß.

Tyler verlor das Gleichgewicht und fiel um. Noch mehr Wasser ergoss sich aus der Wanne.

„Toby, du darfst deinen Bruder nicht in die Wanne schubsen.“ Brian eilte hinüber. „Er könnte sich den Kopf stoßen.“

„Gut“, murmelte Toby. „Dann ist er so kaputt wie mein Schiff.“

Brian zog Tyler hoch, bis er saß. „Alles okay?“

Der Junge nickte und wischte sich den Schaum von den Wimpern. „Das Schiff ist mir aus den Händen gerutscht.“

„Wir bauen es wieder zusammen“, sagte Brian und zeigte auf Toby. „Setz dich hin. Auf dem Rand zu stehen, ist gefährlich.“

Toby gehorchte. Brian schob die Klötze zur Seite und kniete sich vor die Wanne. Sein Sweatshirt war nass. Er hatte die Jungen von der Schule abgeholt, mit ihnen Baseball gespielt, ihnen einen Snack serviert und sie vor den Fernseher gesetzt, bevor er mit seiner Agentur telefoniert hatte. Ein Notfall. Der CEO eines ihrer größten Kunden – einer Wellness-Kette mit familienfreundlichem Image – hatte sich einen Riesenskandal eingebrockt.

Brady und Harper gaben ihren Kindern strikte Fernsehzeiten vor, deshalb hatte er gedacht, die Jungen würden sich über ihren Lieblingszeichentrickfilm vor dem Abendessen freuen und eine Weile beschäftigt sein.

Er hatte sich geirrt.

Als er seinen Chef und den panischen CEO endlich beruhigt hatte, war die Tiefkühl-Lasagne zu einer qualmenden Masse verbrannt. Er hatte Türen und Fenster aufgerissen und erst dann gemerkt, dass die Zwillinge nicht mehr im Wohnzimmer saßen. Und im Haus war es still gewesen. Unheimlich still.

Er hatte die beiden im Badezimmer gefunden, von Kopf bis Fuß voller Erdnussbutter. Sie hatten sich nicht zum ersten Mal Kaugummi ins Haar geklebt und wussten, dass man es mit Erdnussbutter entfernen konnte. Leider hatte die Aktion zum Streit geführt, bis beide damit bedeckt waren und der Raum wie eine Nussfabrik roch.

Im Moment nahmen sie ihr zweites Bad. Nach dem ersten hatte er d...

Autor

Michelle Major
Die USA-Today-Bestsellerautorin Michelle Major liebt Geschichten über Neuanfänge, zweite Chancen - und natürlich mit Happy End. Als passionierte Bergsteigerin lebt sie im Schatten der Rocky Mountains, zusammen mit ihrem Mann, zwei Teenagern und einer bunten Mischung an verwöhnten Haustieren. Mehr über Michelle Major auf www.michellemajor.com.
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