Bianca Extra Band 155

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WIEDERSEHEN AUF DER CHRISTMAS RANCH von RAEANNE THAYNE

Über Nacht wird die schüchterne Bibliothekarin Celeste mit einem Kinderbuch über die Christmas Ranch berühmt! Ihr Erfolg schenkt ihr neues Selbstvertrauen – genug, um dem Single-Dad Flynn Delaney endlich zu gestehen, dass sie ihn schon lange heimlich liebt?

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  • Erscheinungstag 15.11.2025
  • Bandnummer 155
  • ISBN / Artikelnummer 9783751531344
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

RaeAnne Thayne, Judy Duarte, Brenda Harlen, Allison Leigh

BIANCA EXTRA BAND 155

RaeAnne Thayne

1. KAPITEL

Am liebsten wäre Celeste Nichols einfach in ihren kleinen SUV gestiegen und losgefahren, weg von der Bibliothek in Pine Gulch. Aber sie musste sich ja gleich um dreißig Kinder kümmern.

Das ständig klingelnde Telefon klemmte sie sich zwischen Ohr und Schulter, um die Bücher in der Kiste nach demjenigen zu durchsuchen, das sie für die Vorlesestunde verwenden konnte.

„Ich sagte dir doch schon, dass ich das noch nicht entscheiden kann.“

Joan Manning, ihre und Hopes Literaturagentin, seufzte. „Wir können sie nicht länger hinhalten. Sie wollen nach den Feiertagen in die Produktion gehen und brauchen dafür deine und Hopes Unterschrift.“

Celeste blickte auf das Cover von Wie der Grinch Weihnachten gestohlen hat. Sie fühlte sich selbst wie der Grinch. Hope war begeistert von dem Angebot einer führenden Zeichentrickfilmfirma für die Rechte an ihrem Buch Sparkle und der magische Schneeball.

Aber Celeste war nicht glücklich mit der Vorstellung, dass jemand die Kontrolle über ihr Werk übernehmen und Sparkle in einen Animationsfilm verwandeln würde, komplett mit Marketing und allem drum und dran. Sogar eine Fast-Food-Kette war schon an Merchandise interessiert. Die letzten zwölf Monate fühlten sich wie ein irrer Traum an.

Vor einem Jahr hatte sie genau gewusst, wer sie war: eine unauffällige Bibliothekarin für Kinder im kleinen Ort Pine Gulch in Idaho.

Und jetzt war sie eine gefeierte Kinderbuchautorin mit Deadlines bis in die nächsten Jahre hinein. Sie hätte sich auch nie vorgestellt, mal eine Website, einen Verlag und eine Literaturagentin zu haben, als sie angefangen hatte, ihre Geschichten für ihre Nichte und ihren Neffen zu schreiben.

„Nur noch ein paar Tage, Celeste“, drängelte Joan. „Du musst dich entscheiden. Hollywood hat wenig Geduld. Willst du, dass deine Geschichte zum Film wird oder nicht?“

Für Joan musste immer alles sofort entschieden werden. Celeste bekam Kopfschmerzen, und ihre Schultern fühlten sich an wie in einem Schraubstock. „Ich weiß. Ich muss mir nur sicher sind, dass es für Sparkle das Richtige ist.“

„Sparkle ist eine ausgedachte Figur. Hier geht es um dich und deine Schwester. Ich weiß wirklich nicht, wie ich dich noch überzeugen soll, dass ihr kein besseres Angebot bekommen werdet.“

„Ich weiß. Du hast toll verhandelt. Aber ich brauche noch Zeit.“

„Ein paar Tage, mehr nicht.“

„Ich weiß, danke. Ich melde mich morgen oder übermorgen wieder.“

„Denk dran, für die meisten wäre das ein Traum.“

Aber Celeste war nicht die meisten. Sie legte das Telefon auf den Schreibtisch und kämpfte erneut gegen den Fluchtimpuls an. Ihre Schwester Hope tat das immer, sie wanderte von Ort zu Ort, wie sie es in der Kindheit gewohnt waren. Celeste bevorzugte Sicherheit und Beständigkeit. Normalität.

Die letzten zwölf Monate waren alles andere als normal gewesen. Letztes Weihnachten war ihre Schwester Hope zwischen zwei Lehraufträgen im Ausland zu einem kurzen Besuch nach Hause gekommen. Als sie hörte, wie Celeste Louisa und Barrett vorlas, war sie auf die Idee gekommen, die Geschichte zu illustrieren und in der Christmas Ranch ihrer Familie im Geschenkeladen zu verkaufen.

Eines Tages wurde das Buch über ein mutiges kleines Rentier namens Sparkle unerwarteterweise in einem der nationalen TV-Morgenmagazine vorgestellt, und die Verkaufszahlen explodierten, sogar international. Sie retteten am Ende nicht nur die krisengeschüttelte Christmas Ranch, sondern auch die Viehzucht ihrer Familie, die Star N Ranch.

Celeste war unglaublich dankbar, dass so viele Menschen ihre Geschichte und Hopes Illustrationen mochten. Aber ein Teil von ihr sehnte sich nach der Zeit zurück, als sie nur über die Vorlesestunde in der Bibliothek hatte entscheiden müssen.

Sie checkte immer noch die Bücher, als ihre Chefin, Frankie Vittori, den Kopf hereinstreckte. „Scheint eine große Gruppe zu sein. Ich hoffe, der Platz reicht.“

„Ach, wie schön!“, rief Celeste aus. Sie liebte es, Kinder an Bücher heranzuführen.

In ihrer eigenen Kindheit hatten Bücher sie aus der Angst gerettet. Sie wusste nicht, wie sie ohne Freunde wie Anne von Green Gables, Bilbo Beutlin, Matilde, Harry Potter, Hermine und Ron überlebt hätte.

„Es kommt mir so vor, als ob die Zahl der Kinder im Projekt jeden Monat wächst.“

Frankie lächelte. „Weil jeder in der Stadt hofft, etwas über die neue Geschichte um Sparkle zu erfahren, bevor sie herauskommt. Du bist eine Berühmtheit.“

Celeste war nicht gern berühmt. Einerseits war es natürlich sehr befriedigend, denn wer hätte je gedacht, dass Menschen ihr, der introvertierten Celeste Nichols, einmal aufmerksam zuhören würden?

Andererseits war es angsteinflößend. Sie fürchtete den Tag, an dem jemand fragen würde, woher das Getue um ihre schlichten Geschichten überhaupt kam.

Frankie freute sich jetzt erst mal, dass sie viele Kinder in der Bibliothek zu Gast hatten. Celestes Chefin und Freundin vibrierte vor Energie und hibbelte wie immer herum. Sie war ständig in Bewegung. Ihr Mann Lou war das genaue Gegenteil von ihr. Sie waren ein wundervolles Paar und hatten zwei Kinder, die eine Mischung aus beiden waren.

„Ich weiß ja, dass es Mehrarbeit für dich ist. Die Idee ist trotzdem genial; eine Runde für die Kleineren am Morgen und eine für die Größeren nach der Schule.“

Celeste lächelte. Seit Frankie vor zwei Jahren aus New York hergezogen war, setzte sie sich mit Leidenschaft für Bibliotheken ein, die vor allem im digitalen Zeitalter gebraucht wurden. Celeste beneidete sie um ihr Selbstbewusstsein, mit dem sie immer neue Gelder akquirierte. Sie selbst würde nie so draufgängerisch werden, auch wenn sie ihren Beruf genauso leidenschaftlich ausübte wie die Leiterin der Kinderbibliothek. Sie blieb gern im Hintergrund, außer in der Vorlesestunde, die sie liebte.

Sie schaute auf die Uhr. „Oh, ich muss.“

Sie griff nach der Kiste mit den Bastelmaterialien und ging zu dem großen Besprechungssaal, in dem sie die Lesestunden abhielten.

„Eh ich’s vergesse …“ Frankie grinste. „Schau dir auf jeden Fall den heißesten Dad an, in der Gruppe um zehn Uhr.“

Frankie hatte immer ein Auge auf Männer, in Restaurants bei ihrem wöchentlichen Essen oder auf den wenigen Ausflügen, die sie nach Jackson Hole oder Idaho Falls machten. Sie sagte immer, sie halte nach möglichen Dates für Celeste Ausschau, was diese mit verdrehten Augen registrierte. Ihr letztes Date lag Monate zurück.

„Kenne ich ihn?“

„Ich jedenfalls nicht. Entweder ist er neu oder ein Tourist. Du kannst ihn nicht verfehlen. Er trägt eine Uhr und eine Jacke, mit denen du unser gesamtes Jahresbudget für Sachbücher bezahlen könntest. Jedenfalls kein Cowboy mit Pferdemist an den Sporen.“

Celeste hatte von keinem Neuzugang in der Kleinstadt gehört, erst recht von keinem so vermögenden. Manchmal kauften sich Reiche ein Zweit- oder Drittheim in der Gegend, als Ruhepunkt in den Bergen. Sie bauten schöne Häuser im alpinen Setting und kamen dann ein- oder zweimal im Jahr her.

„Na, ich halte mal die Augen offen.“

Frankie hatte recht, der Saal war voll. Vielleicht dreißig Kinder zwischen sechs und sieben Jahren saßen auf dem Boden, ihre Eltern auf den Stühlen am Rand.

Kurz hatte sie Lampenfieber, unterdrückte es aber sofort. Sie würde doch nicht nervös werden, wenn sie Kindern vorlas. Sie tat einfach so, als wären die Eltern nicht da.

Sie wurde mit Applaus begrüßt. Ein paar Freunde und Nachbarn erkannte sie. Joey Santiago, Neffe ihres Schwagers Rafe saß neben seinem Vater und winkte lebhaft. Sie lächelte und winkte ihm zu. Rafe hätte der heiße Dad sein können, aber den kannte Frankie ja.

Sie mochte Rafe sehr, aus vielen Gründen. Sie war sich sicher, dass sie ohne ihn nicht hier stehen und dreißig Kinder mit der Magie der Bücher bespielen würde.

Sie sah noch ein paar andere heiße Daddys. Justin Hartford, ehemaliger Filmstar, hatte sich seit Jahren in Cold Creek Canyon als Rancher etabliert. Ben Caldwell, der Tierarzt, war heiß, außerdem der Feuerwehrchef Taft Bowmann mit seinen Stiefkindern. Aber sie alle kannte Frankie gut.

Na gut. Sie würde versuchen, das Geheimnis später zu lösen, wenn die Kinder Schneemänner bastelten.

„Vielen Dank, dass ihr alle gekommen seid. Wir fangen mit einer meiner liebsten Weihnachtsgeschichten an.“

„Sparkle und der magische Schneeball?“, fragte Alex, Taft Bowmans Stiefsohn.

„Nein, heute nicht. Wir lesen über Weihnachten, Schnee und Schneemänner.“

Bens Sohn meldete sich. „Kommt Sparkle heute her, Ms. Nichols?“

Waren deshalb so viele da? Hofften sie alle, sie hätte den echten Sparkle von der Christmas Ranch mitgebracht? Letztes Jahr hatte Hope sie dazu überredet, das geliebte Rentier ihrer Familie, Namengeber ihrer Geschichten, zu einem kurzen Gastauftritt auf den Parkplatz zu bringen.

„O nein, er hat auf der Christmas Ranch zu viel zu tun.“

Sie versuchte, die Enttäuschung der Kinder und einiger Eltern zu ignorieren. „Ich habe aber schöne andere Dinge für euch. Beginnen wir mit Wie der Grinch Weihnachten stahl.“

Sie fing an zu lesen, und kurz darauf lag gespannte Ruhe im Raum. Die Kinder waren von der Geschichte gefangen. Sie verlor sich auch selbst darin. Als sie sich dem Höhepunkt näherte, blickte sie kurz auf und sah die gespannte Erwartung in den Gesichtern der Kinder. Sie sah zu den Eltern und entdeckte einen Mann mit einem kleinen Mädchen neben sich. Er hatte braunes Haar mit einigen helleren Strähnen, ein kantiges Kinn und tiefblaue Augen. Er musste der heiße Dad sein.

Ihr Herz klopfte so laut, dass sie fürchtete, man könnte es durchs Mikro hören. Sie kannte den Mann, auch wenn sie ihn seit Jahren nicht gesehen hatte.

Flynn Delaney. Sie würde ihn überall erkennen. Schließlich hatte sie in ihrer Jugend von ihm geträumt.

Warum war er hier? Wohnte er im Haus seiner Großmutter, die vor sieben Monaten verstorben war? Das Haus lag unterhalb der Star N Ranch. Dann fiel ihr ein, was Flynn in den letzten Monaten zugestoßen war, und sie blickte das kleine Mädchen neben ihm an. Sie war blond und ätherisch wie ein Weihnachtsengel.

Celestes Herz schmolz. Das musste seine Tochter sein, das arme, arme Mädchen. Sie sah gespannt mit zusammengelegten Händen Celeste an und wartete, wie alle Kinder, auf das Ende der Geschichte.

Celeste bemerkte, dass sie mitten in der Geschichte aufgehört hatte zu lesen, und mit brennenden Wangen räusperte sie sich und zwang sich zur Konzentration. Die letzten Seiten las sie mit noch mehr Hingabe als die ersten. Das war schließlich ihre Aufgabe: den Kindern die Freude nahezubringen, die in guten Geschichten lag.

Flynn hatte sich noch nie so fehl am Platz gefühlt, nicht einmal auf dem roten Teppich mit Elise bei der einen oder anderen Hollywoodpremiere.

Alle kannten sich, und er fühlte sich wie der eigenbrötlerische Außenseiter. Sie schienen ihn auch verstohlen anzuschauen und sich zu fragen, wer er war. Immerhin kannte er eine Person, und er war sich sicher, dass er in Celeste Nichols’ Augen Wiedererkennen gesehen hatte, was ihn ehrlicherweise überraschte. Vor vielen Jahren waren sie sich nur ein paar Mal begegnet.

Vor Ewigkeiten hatte sie mal einen Fahrradunfall vor dem Haus seiner Großmutter gehabt, als er zu Besuch war. Er hatte ihre Wunden versorgt, weil Charlotte nicht da gewesen war. So etwas blieb in der Erinnerung haften. Sonst hätte er wahrscheinlich nie die Verbindung zwischen dem schüchternen Mädchen mit Brille und langen Haaren zu der Autorin des Lieblingsbuchs seiner Tochter hergestellt.

Er war auch nur wegen Celeste in der Bibliothek. Er hatte so viel mit dem Ausräumen des Hauses zu tun, und auf die Geschichte von Dr. Seuss hätte er gern verzichtet, so toll sie auch war. Aber seit sie das Krankenhaus verlassen hatten, war Olivia nur noch ein Schatten des wagemutigen und fröhlichen Mädchens von früher. Jetzt hatte sie Angst vor Lärm, vor Fremden, vor Menschenmengen.

Seit Olivia herausgefunden hatte, dass hier in Pine Gulch die Autorin ihres Lieblingsbuchs lebte und als Bibliothekarin eine wöchentliche Lesestunde für Kinder veranstaltete, hatte sie den nächsten Termin in den Kalender eingetragen und von nichts anderem mehr gesprochen. Endlich würde sie die Sparkle-Autorin sehen. Vor einem Besuch beim Weihnachtsmann hätte sie nicht aufgeregter sein können.

Zum ersten Mal seit Wochen hatte sie sich für etwas begeistert, also hatte er diese Gelegenheit dankbar ergriffen. Jetzt ließ seine Tochter Celeste nicht mehr aus den Augen. Sie vergötterte sie wie eine Heldin und war sichtlich hingerissen.

Celeste war aber auch bezaubernd mit ihren grünen Augen hinter der Brille und dem glänzenden dunklen Haar, das ihr in Wellen ums herzförmige Gesicht fiel. Sie war wohl etwa vier Jahre jünger als er. Heutzutage schien das nicht viel zu sein, aber bei dem Fahrradunfall war sie ihm mit ihren dreizehn Jahren gegenüber seinen siebzehn wie ein kleines Mädchen vorgekommen.

Während er ihrer Stimme lauschte, erinnerte er sich zurück und war erstaunt, denn seitdem war doch so viel passiert.

Damals mähte er gerade den Rasen, als sie stürzte. Flynn war zu ihr gerannt. Sie versuchte, nicht zu weinen, obwohl sie einen tiefen Riss im Knie hatte, der genäht werden musste, und in ihrem Handballen steckten Kieselsteine.

Er half ihr ins Haus seiner Großmutter und rief ihre Tante Mary an, und während sie warteten, versorgte er die Wunden notdürftig und versuchte, Celeste mit Witzen abzulenken. Als Mary sie zur Notaufnahme gebracht und er den Rasen fertig gemäht hatte, reparierte er das Fahrrad. Später brachte er es zum Star N, und sie war vor Dankbarkeit fast sprachlos gewesen.

Er war noch ein paar Wochen bei seiner Großmutter geblieben, und jedes Mal, wenn sie sich begegneten, beim Einkaufen zum Beispiel, lächelte sie ihm schüchtern zu und wurde feuerrot dabei. Jetzt beobachtete er sie intensiv und hoffte auf einen Hauch des damaligen Lächelns, aber sie war hochkonzentriert bei der Sache.

Nach dem Lesen führte sie die Kinder zu ein paar Tischen an einer Seite des großen Raums. „Setzt euch bitte alle hin“, sagte sie in einem formalen Ton, den er unpassenderweise sexy fand. „Wir basteln Schneemänner für den Weihnachtsbaum. So sollen sie aussehen.“

Sie hielt eine ausgestopfte weiße Socke mit Knöpfen als Augen und Mund und einem Stück Filz als Schal hoch.

„Oh, wie süß“, rief Olivia aus. „Darf ich einen machen, Dad?“

Wie könnte er da widerstehen? „Klar, wenn genug Material da ist.“

Die Eltern standen auf, sodass alle Kinder sich setzen konnten, und Olivia hüpfte auf einen Stuhl. Celeste und eine andere Bibliothekarin teilten Bastelsachen aus und gaben Anweisungen. Zuerst sah Olivia ein bisschen hilflos aus, dann legte sie los. Sie vergaß ganz, dass sie die linke Hand normalerweise nicht benutzte, sondern hielt damit die Socke, um sie mit Watte zu füllen.

Celeste ging um die Tische herum und redete mit den Kindern. „Gut gemacht“, sagte sie zu seiner Tochter und lächelte sie mit diesem süßen, unbedachten Lächeln an, das ihr Gesicht strahlen ließ und sie von einer durchschnittlichen Frau in eine Schönheit mit leuchtend grünen Augen verwandelte. Er konnte den Blick nicht von ihr wenden.

„Du bist die Frau mit Sparkle, oder?“, hauchte Olivia.

Celestes Wangen röteten sich, sie lachte überrascht. „So könnte man es wohl nennen.“

„Das ist mein allerliebstes Buch.“

„Das freut mich aber!“ Sie lächelte wieder, etwas unbehaglich. „Sparkle liegt mir auch sehr am Herzen.“

„Dad hat mir ein Neues gekauft, als ich im Krankenhaus war, obwohl ich zu Hause schon eins hatte.“

Sie sagte es so dahin, als wäre es keine große Sache gewesen. Dabei hatte sie zwei Wochen auf der Intensivstation um ihr Leben gekämpft, und sein eigenes Leben hatte nur noch aus dem Zählen jedes einzelnen Atemzugs bestanden, den die Maschinen für sie machten. Die meiste Zeit konnte er seine hilflose Wut bezähmen, aber manchmal überlief ihn die Ungerechtigkeit dessen, was seiner kleinen Tochter angetan worden war, wie ein Buschfeuer.

„Stimmt das?“ Celeste warf ihm einen Blick zu.

„Es ist mein Lieblingsbuch“, wiederholte Olivia. „Immer, wenn ich was Doofes machen lassen musste, Blut abnehmen oder so, habe ich mir das letzte Bild angeschaut, von Sparkle und seinen Freunden, und es ging mir gleich besser.“

Celestes Augen füllten sich mit Tränen. „Oh, das ist … toll. Danke, dass du mir das sagst.“

„Gern geschehen.“ Olivia lächelte ernst. „Am schönsten finde ich es, wo Sparkle den Tieren bei der Weihnachtsfeier hilft. Den Igel mag ich am liebsten.“

„Er ist niedlich, nicht?“

Sie strahlten einander an, bevor ein Junge mit blondem Haar sich meldete.

„Ms. Nichols, hey, Ms. Nichols, wie kleben wir den Hut fest?“

„Ich zeige es dir sofort.“ Sie wandte sich noch mal an Olivia. „Es war schön, dich kennenzulernen. Du bastelst sehr schön. Und Danke fürs Erzählen, dass du das Buch magst.“

Als sie weiterging, sprach die Frau neben Flynn ihn an. „Sie sind neu in der Stadt. Ich glaube, wir kennen uns noch nicht.“ Sie war blond und klassisch hübsch, auf der Hüfte hielt sie ein Baby. „Ich bin Caroline Dalton. Das ist meine Tochter Lindy, dort hinten sitzt mein Sohn Cole.“

Die Daltons kannte er; sie besaßen den oberen Teil von Cold Creek Canyon. Mit welchem der Brüder sie wohl verheiratet war?

„Ich bin Flynn Delaney, das ist meine Tochter Olivia. Wir sind nicht neu, und wir bleiben nicht hier. In ein paar Wochen kehren wir nach Kalifornien zurück.“

„Das ist eine schöne Gegend für den Urlaub.“

„Sicher, aber wir sind auch nicht richtige Touristen. Ich räume das Haus meiner Großmutter aus, damit ich es verkaufen kann.“

„Delaney. Ach, Charlotte! Sie muss Ihre Großmutter gewesen sein.“

„Richtig.“

Ihre Züge wurden traurig. „Alle haben Ihre Großmutter geliebt, sie war der Knaller. Ohne sie ist Pine Gulch nicht mehr das Gleiche.“

Sein Leben war auch nicht mehr das Gleiche. In den letzten paar Jahren war er nur alle sechs Monate zu Besuch gewesen, aber sie war in seinem Leben eine stetige Quelle der Zuneigung und Wärme gewesen. Und er hatte nicht zu ihrer Beerdigung kommen oder richtig um sie trauern können! Er hatte bei seiner kleinen Tochter auf der Intensivstation gesessen.

„Ich vermisse sie auch.“

Sie sah ihn freundlich an. „Wenn Sie Hilfe brauchen, sagen Sie nur Bescheid. Ich bin sicher, viele hier würden gern helfen.“

Knapp eine Woche vor Weihnachten? Das bezweifelte er. Alle hatten viel zu tun.

Trotzdem sagte er: „Danke.“

„Ich hoffe, Sie spüren trotzdem etwas vom Geist der Weihnacht.“

Er war aus mehreren Gründen kein Fan der Feiertage, sagte aber nichts.

„Daddy, kannst du mir mit dem Schal helfen?“, fragte Olivia.

Sie konnte den linken Arm und die Hand benutzen, er hatte es in der Therapie und wenn sie selbstvergessen spielte, gesehen. Aber die meiste Zeit ließ sie den Arm nutzlos herunterhängen, und er konnte sie nicht zwingen.

„Versuch es noch mal“, sagte er.

„Ich kann nicht, es ist zu schwer“, jammerte sie. Er seufzte, beugte sich vor und half ihr, als Celeste gerade wieder zu ihnen kam.

„Ich mag den Schneemann, er sieht so freundlich aus“, sagte sie.

Olivias Lächeln wirkte spontan und ehrlich, und am liebsten hätte Flynn Celeste umarmt, obwohl er seit fast zwei Jahrzehnten nicht mit ihr gesprochen hatte.

Sein kleines Mädchen hatte seit Monaten nichts mehr zu lächeln gehabt, und vielleicht war das gerade ein Wendepunkt. Wenn Celeste seiner Tochter helfen konnte, dass sich ihr gebrochenes Herz erholte, würde er sogar jeden Tag zur Bibliothek kommen.

2. KAPITEL

Sie war spät dran.

Bis sie alle Kinder rausgescheucht und die Bastelmaterialien aufgeräumt hatte, war es schon vierzig Minuten später, als sie ihren Schwestern gesagt hatte. Sie würden es sicher verstehen. Hope würde vielleicht lästern, aber Faith würde wahrscheinlich nichts sagen. Die älteste Schwester sparte sich ihre Energie für wichtige Dinge auf, wie die Viehzucht und ihre Kinder.

Sie hielt am Häuschen des Vormanns an, gleich an der Einfahrt zum Haupthaus. Im letzten Jahr war sie nach dem Tod ihres Schwagers Travis auf der Farm eingezogen, um Faith und Tante Mary mit den Kindern und im Haus zu helfen. Inzwischen wohnte sie wieder allein.

Hope hatte kurz im Haus des Vormanns gewohnt, bis sie im Herbst Rafe geheiratet hatte und ausgezogen war. Faith und Mary hatten Celeste dann zur Seite genommen und ihr gesagt, dass sie sich etwas Eigenes aufbauen müsse. Sie war Bestsellerautorin und musste nicht bis zu ihrem Lebensende auf der Ranch leben.

Also war sie etwas widerstrebend in das Häuschen gezogen, eigentlich ein hübscher Kompromiss. Sie schätzte den Raum und die Ruhe, die sie zum Schreiben brauchte, aber sie war auch nahe genug, um mehrmals am Tag in der Ranch vorbeizuschauen.

Als sie hineinging, erwartete sie schon ihr Yorkshireterrier Linus. Sie lächelte, obwohl sie vom langen Tag, dem Anruf von Joan und dem Wiedersehen mit Flynn Delaney erschöpft war.

„Wie war dein Tag?“, fragte sie den kleinen Hund und setzte sich kurz aufs Sofa. „Meiner war irre. Der seltsamste Tag seit Langem, und dabei war das ganze Jahr schon surreal.“

Als sie den Hund knuddelte, streckte eine seidig glänzende schwarze Katze den Kopf um die Ecke. Lucy, die seit Collegetagen bei ihr war, kam hochnäsig heran und sprang auf das Sofa, um mit einem Kopfstupser ebenfalls ihre Streicheleinheiten einzufordern.

Die beiden Tiere vertrugen sich gut, weshalb es ihr auch leichter fiel, sie tagsüber allein zu lassen. Celeste entspannte sich, als die Lichter am Weihnachtsbaum automatisch angingen. Warum konnte sie nicht den ganzen Abend hierbleiben?

Linus bellte leise, was er nur selten tat.

„Ja, ich weiß, ich bin spät dran. Ich muss nur Tante Marys Geschenk holen. Sekunde.“

Sie holte das Geschenk aus dem Schlafzimmerschrank, wo sie es eingeschlossen hatte, damit Lucy nicht das Seidenpapier aus der Geschenktasche ziehen konnte.

„Fertig. Los geht’s.“

Linus wedelte fröhlich mit dem Schwanz, aber Lucy rollte sich auf dem Sofa zusammen. „Gut, bleib hier“, sagte sie und machte für den Hund die Tür auf. Sie gingen durch sanft fallenden Schnee zum Ranchhaus, einem Blockhaus mit einem Steildach und drei Spitzgiebeln an der Front. Als sie die Tür öffnete, empfing sie der appetitliche Geruch von Roastbeef, Kartoffeln und Apfelkuchen mit Zimt.

Wie erwartet, war ihre ganze Familie da. Tante Mary rührte am Herd in der Soße, Faith holte ein Blech mit Brötchen heraus, und Hope half den Kindern beim Tischdecken, während ihr Mann Rafe sich am Tisch mit dem Nachbarn Chase Brannon unterhielt.

Die Kinder entdeckten Linus als Erste. Sie halfen Celeste, ihn zu betreuen, wenn sie aus der Schule kamen und mit ihm Gassi gingen.

„Da bist du ja endlich“, rief Faith aus.

„Sorry, ich habe dir eine Nachricht geschickt.“

Faith verzog das Gesicht. „Mein Akku ist leer, ich habe es eben erst gesehen. Ist alles in Ordnung?“

Das war es nicht, aber sie war sich nicht sicher, was sie mehr nervte – die Entscheidung über den Film, die sie in den nächsten Tagen treffen musste, oder das Auftauchen von Flynn Delaney. Irgendwie konnte sie das Gefühl nicht abschütteln, dass ihre sichere, komfortable Welt sich ändern würde.

„Klar“, sagte sie ausweichend. „Ich hoffe, ihr habt mit dem Essen nicht gewartet.“

„Nein, wir waren sowieso spät dran. Ich habe mit Chase an Rechnungen für die Ranch gesessen.“

„Gib mir nur die Schuld, ich halte es aus“, sagte Chase.

„Das tun wir immer.“ Hope lächelte neckend.

Chase war für sie alle eine große Hilfe gewesen, als Faiths Mann gestorben war.

„Solange ich nur nicht für die Verspätung von Tante Marys Geburtstagsfeier verantwortlich gemacht werde“, sagte Celeste, ging lächelnd zu ihrer Großtante und küsste sie auf die vertraut duftende Wange. „Herzlichen Glückwunsch! Du bist noch genauso umwerfend wie immer.“

Marys Augen strahlten. „Na, die Doppel-Sieben sollte Glück bringen, nicht?“

„Unbedingt.“

„Ich brauche kein Glück, denn ich habe meine Familie um mich.“

Sie lächelte sie alle an, und Celeste umarmte sie nochmals, voller Dankbarkeit für ihre Großtante und ihren Großonkel Claude, die drei trauernden und traumatisierten Mädchen ein warmes Nest und ihre Liebe geschenkt hatten.

„Wir sind diejenigen mit dem Glück“, murmelte sie.

Seit Celestes elftem Geburtstag war Mary ihr eine wunderbare Mutter gewesen. Celeste war nur zu bewusst, dass ohne sie und Claude nach dem Tod ihrer Eltern alles ganz anders gelaufen wäre. Wahrscheinlich wären sie getrennt worden und zu Pflegefamilien gekommen.

Kurz wünschte sie, ihre Mutter könnte sie alle vereint hier sehen, nur für einen Moment. Im Dezember war ihr immer ein bisschen sentimental zumute, was wahrscheinlich kein Wunder war, da sie, ihre Schwestern und ihre Eltern in einem Dezember Geiseln einer Rebellengruppe in Kolumbien gewesen waren. Ihr Vater war bei der Rettung durch ein Team von US Navy SEALs ums Leben gekommen. Rafe Santiago, ihr Schwager, war Teil des Teams gewesen.

Aber daran wollte sie jetzt nicht denken. Sie griff nach einer Schüssel mit Oliven, warf sich eine schwarze in den Mund und ging zum Tisch.

„Ich habe mit Joan gesprochen“, sagte sie zu Hope.

„Ich weiß, sie hat mich auch angerufen. Ich habe ihr gesagt, dass wir das gemeinsam entscheiden und jede von uns Vetorecht hat. Keine Angst, CeCe, ich habe klargestellt, dass ich dich nicht drängen werde. Du hast Sparkle erschaffen, er gehört dir.“

Das stimmte nicht ganz, da Hope ihm sein Aussehen gegeben hatte.

„Ich weiß nicht, was wir tun sollen“, sagte sie, als Faith und Mary mit Schüsseln an den Tisch kamen.

„Du hast immer schon alles überanalysiert“, stellte Mary fest. „Du weißt, dass es irgendwann einen Sparkle-Film geben wird, das ist so unausweichlich wie Weihnachten. Die Leute lieben die Geschichte und die Figuren. Wenn du diese Produktionsfirma magst und für gut hältst, weiß ich nicht, warum du zögerst.“

Mary hatte ja recht. Celeste hasste ihre Ängstlichkeit, die auf das Trauma ihrer Kindheit zurückging. Aber keine ihrer Schwestern hatte diese Probleme. Hope reiste furchtlos in der ganzen Welt herum, zuerst als Mitglied des Friedenscorps, dann als Englischlehrerin. Faith widmete sich ganz ihrer Familie, der Ehe, den Kindern, der Ranch.

Celestes Leben bestand aus der Bibliothek und aus den Geschichten, die sie schuf. In gewisser Weise war sie wohl immer noch eine Geisel von Juan Pablo und seiner Rebellenmiliz.

„Alles ist fertig, und ich verhungere“, sagte Mary fröhlich. „Lasst uns essen.“

Es war locker und chaotisch, alle redeten durcheinander.

„Wie war die Vorlesestunde?“, fragte Faith irgendwann.

Celeste erinnerte sich sofort an den Moment, als sie vom Grinch aufgeschaut und Flynn und seine Tochter gesehen hatte. „Gut. Charlotte Delaneys Enkel Flynn ist mit seiner Tochter hier, um Charlottes Haus auszuräumen.“

„Flynn Delaney.“ Hope seufzte. „Ich mochte es, wenn er Charlotte besuchte. Wisst ihr noch, wie er ohne Oberteil den Rasen gemäht hat?“

Celeste ließ klappernd die Gabel fallen.

„Ach?“ Rafe zog die Brauen hoch. „Also hätte ich die ganze Zeit zum Mähen immer mein Hemd ausziehen sollen?“

Hope grinste. „Das hast du gar nicht nötig. Du bist sogar im Parka umwerfend. Aber ich war noch ein Teenie. Heute benutze ich meine Vorstellungskraft.“

Amüsiert schüttelte er den Kopf, bekam aber rote Ohrläppchen.

„Flynn war mit seiner Tochter in der Bibliothek“, sagte Faith. „Wie geht es der armen Kleinen?“

Celeste dachte an Olivias große, unruhige Augen und ihre traurige Nervosität. „Schwer zu sagen. Sie humpelt ein bisschen und hat beim Basteln den linken Arm nicht benutzt, ansonsten wirkte sie gesund.“

„Wer ist Flynn Delaney, und was ist mit seiner Tochter passiert?“, fragte Rafe.

„Es war vor drei oder vier Monaten in den Nachrichten“, sagte Chase. „Ungefähr zur selben Zeit, als Charlotte gestorben ist.“

„Du weißt doch noch“, bekräftigte Hope, „er war mit Elise Chandler verheiratet.“

„Elise Chandler, die Schauspielerin.“ Er hielt inne. „Oje, das arme Kind.“

Hope runzelte die Stirn. „Ich habe in einem Magazin im Supermarkt gelesen, dass er ihr im Krankenhaus nicht von der Seite gewichen ist.“

„Was ist mit ihr passiert?“, fragte Louisa. Mit ihren elf Jahren interessierte sie sich sehr für die Welt um sich herum.

Ihre Mutter antwortete: „Elise Chandler war eine berühmte Schauspielerin. Du kennst sie aus diesem Superhero-Film, den du so magst. Sie hatte eine Beziehung mit einem Typen, der sich als ziemlich kaputt herausstellte. Vor ein paar Monaten hat er nach einem schlimmen Streit auf Elise und ihre Tochter geschossen und sich dann selbst getötet. Obwohl Olivia verletzt war, konnte sie zum Telefon ihrer Mutter krabbeln und die 911 anrufen.“

Celeste hatten diesen Notruf gehört, der kurz nach dem Schusswechsel öffentlich gemacht worden war. Die panische, schwache Stimme hatte ihr das Herz zerrissen.

„Es scheint ihr jetzt gut zu gehen. Sie hat nicht viel gelächelt, sagte mir aber, dass sie Sparkle liebt und ihr Dad ihr das Buch im Krankenhaus immer wieder vorgelesen hat.“

„Ach, wie schön!“, rief Hope aus. „Dann solltest du ihr einen der Original-Plüsch-Sparkles schenken, die ich genäht habe. Ein paar habe ich noch. Es hätte Charlotte das Herz gebrochen, wenn sie gesehen hätte, was Flynns kleines Mädchen durchmachen muss. Das musst du ihnen bringen, und wie wäre es mit einem signierten Buch? Und dem neuen auch gleich?“

Celestes Herz klopfte schon bei dem bloßen Gedanken, ihn wiederzusehen. „Warum bringst du es nicht rüber? Du bist die Illustratorin und hast ihn genäht.“

„Ich kenne ihn und seine Tochter nicht mal.“

„Als hätte dich das je aufgehalten.“

„Ich packe ein Küchlein ein“, sagte Tante Mary. „Das kannst du auch mitnehmen.“

Den ganzen Tag hatten Leute sie zu Dingen drängen wollen, die sie nicht tun wollte. Kurz dachte sie wieder daran, einfach in ihren SUV zu springen und davonzubrausen, vielleicht nach Südkalifornien, in die Sonne. Aber sie liebte ihre Familie zu sehr.

Sie wollte schon Nein sagen, da fiel ihr Olivia mit den traurigen Augen ein. „Das ist eine sehr gute Idee“, sagte sie schließlich. „Ich gehe nach dem Essen. Linus wird die Bewegung auch nicht schaden.“

„Perfekt. Ich suche einen Sparkle heraus.“

Was würde Flynn denken, wenn sie mit einem Plüschtier und einem Arm Bücher bei ihm auftauchte?, fragte sie sich. Aber es war egal, schließlich tat sie es für das arme kleine Mädchen.

3. KAPITEL

„Bist du sicher, dass du nicht helfen willst? Das Lametta fliegt nicht von allein auf den Baum.“

Olivia saß auf dem Fensterplatz und blickte zwischen ihm und dem fallenden Schnee draußen hin und her. Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht. Mein Arm tut zu weh.“

Er versuchte, seinen frustrierten Seufzer mit einem Hüsteln zu verstecken. Olivias Physiotherapeutin hatte ihm aufgetragen, sie in Idaho mit kreativen Aufgaben zu beschäftigen, die sie zwingen würden, den Arm mehr zu benutzen.

Er hatte viele Sachen ausprobiert, vom Einkaufswagenschieben bis zum Gemüseschnippeln. Es machte ihn wahnsinnig; manchmal ging es ihr gut, dann weigerte sie sich wieder, den Arm überhaupt zu benutzen. Nach dem Ausflug in die Bibliothek war ihm aufgefallen, dass das Haus seiner Großmutter gar nicht weihnachtlich geschmückt war. Olivia hatte einen Schneemannanhänger gebastelt, und sie hatten nichts gehabt, um ihn aufzuhängen.

Seine Hoffnung, sie für das Dekorieren ihres Übergangsheimes begeistern zu können, verlor sich rasch. Sie zeigte genauso wenig Begeisterung wie für alles andere in letzter Zeit, mit Ausnahme von Celeste Nichols und ihrer Geschichte des kleinen Rentiers.

Sie hatte nur ihren kleinen Schneemann an den künstlichen Baum gehängt, den er im Keller gefunden hatte, und seitdem beobachtete sie seine Bemühungen. Sie sagte, sie habe Schmerzen.

Er wusste nicht, wie er eine fast Siebenjährige dazu bringen sollte, die Schmerzen durchzustehen, wenn sie den Arm je wieder richtig benutzen wollte.

„Komm schon, hilf mir, das macht Spaß.“

Sie schüttelte nur den Kopf. Seit der Schießerei kamen diese Stimmungsschwankungen wie aus dem Nichts. In einem Moment noch gut drauf, war sie im nächsten voller Angst, zog sich zurück und wollte allein sein. Die Beraterin sagte, das sei normal bei dem Trauma, das sie erlebt hatte, aber er litt darunter, dass sie jeder Besserungsschritt physisch und emotional so viel kostete.

Schließlich gab er auf. Es war doch sinnlos, wenn sie ihm nicht helfen wollte. Er mochte Lametta sowieso nicht. Sein Vater hatte es auch nicht gemocht, fiel ihm ein. Seine Eltern hatten sich einmal heftig darüber gestritten. Diane hatte Lametta genauso geliebt wie über den roten Teppich zu schreiten, ob bei eigenen Filmpremieren oder denen ihrer Freundinnen.

Sein Vater hatte Lametta nur für Sondermüll gehalten. Ein paar Jahre vor ihrer Scheidung, als Flynn sieben oder acht Jahre alt gewesen war, hatte sein Vater das gesamte pinkfarbene Lametta, das Diane sorgfältig aufgehängt hatte, heimlich wieder abgenommen. Es hatte einen lauten und tränenreichen Krach gegeben, und danach war seine Mutter für mehrere Tage verschwunden.

Ach, Erinnerungen. Er wandte sich wieder seiner Tochter zu. „Wenn du kein Lametta mehr aufhängen willst, sind wir wohl fertig. Willst du das Licht ausmachen, damit wir uns den Baum anschauen können?“

Sie antwortete nicht, sondern schaute angestrengt aus dem Fenster. „Da kommt jemand.“ Sie sprang von der Fensterbank. „Ich gehe in mein Zimmer.“

Unangekündigte Besucher mochte sie genauso wenig wie große Menschenmengen. Er bemühte sich um eine begütigende Stimme. „Du brauchst nicht in dein Zimmer zu gehen. Ich bin doch hier. Alles ist gut.“

Widerstrebend setzte sie sich wieder auf die Fensterbank. Als es klingelte, sah er, wie sie zusammenzuckte.

Er hoffte, dass der Besucher, der hier einfach so aufkreuzte, eine verdammt gute Entschuldigung hatte. Überrascht sah er die hübsche Bibliothekarin vor der Tür, eine Tasche in der Hand und einen schwarzbraunen Hund an einer Leine. Ihre Nase und die Wangen waren von der Kälte gerötet; auf dem langen, glänzenden Haar saß eine Beanie, und sie trug keine Brille, sodass das hübsche Grün ihrer Augen leuchtete.

„Hallo.“ Sie lächelte schüchtern.

„Celeste. Ms. Nichols. Hallo.“

Erneut lächelte sie flüchtig, dann versuchte sie, an ihm vorbei auf Olivia zu schauen, die sich genähert hatte. Sie sah freudig überrascht aus, nicht mehr ängstlich.

„Und hallo, Miss Olivia“, sagte sie. „Wie geht es dir heute Abend?“

Ihre Stimme war sanft, ruhig und angenehm freundlich.

„Hi. Danke, gut“, sagte sie schüchtern. „Ist das Ihr Hund?“

Celeste lächelte, als der Hund an Olivias Füßen schnupperte. „Das ist Linus. Er ist ein Yorkshire-Terrier, und seine beste Freundin ist eine Katze namens Lucy.“

„Wie in Charlie Browns Weihnachten!“, stellte Olivia begeistert fest.

„Genau, nur dass Linus und Lucy Geschwister sind.“

Olivia sah sich den Hund genauer an. „Beißt er?“

Celeste lächelte. „Er liebt Menschen, vor allem blonde Mädchen mit hübschen roten Pullovern.“

Olivia kicherte und streckte dem Hund die Hand hin. Er leckte ihr dreimal darüber, worauf sie noch mehr kicherte. „Hi Linus“, sagte sie sanft. „Hi, ich bin Olivia.“

Der Hund wedelte mit dem Schwanz, und Olivia kniete sich hin und begann, den Hund zu streicheln, und zwar mit ihrem verletzten linken Arm.

„Er mag mich!“, rief Olivia aus, und ihr Gesicht sah so froh und aufgeregt aus wie lange nicht mehr.

„Aber sicher.“ In Celestes Augen lag eine Sanftheit, die Flynn berührte.

„Entschuldigung, dass ich einfach so hereinplatze, aber ich musste den ganzen Abend an das denken, was du mir erzählt hast, dass dir Sparkle im Krankenhaus geholfen hat.“

„Es ist mein Lieblingsbuch. Ich lese es immer wieder.“

„Das macht mich so froh. Ich habe es meiner Schwester erzählt, die die Bilder gezeichnet hat, und sie hat sich auch gefreut. Wir möchten dir gern etwas schenken.“

„Für meinen Geburtstag in drei Tagen? Ich werde sieben.“

„Ich wusste nicht, dass du in drei Tagen Geburtstag hast!“, rief Celeste aus. „Aber das können wir als verfrühtes Geburtstagsgeschenk betrachten. Perfekt!“

Sie griff in die Tasche und zog ein kleines Plüschtier heraus.

„Das ist ja Sparkle!“ Olivia stand auf, um es genauer anzuschauen.

„Ja, meine Schwester hat ihn gemacht, als sie letztes Weihnachten die Bilder für das erste Buch gemalt hat. Wir haben nur noch ein paar davon, und ich habe mich gefragt, ob du ihn möchtest.“

„Wirklich? Darf ich ihn behalten?“

„Wenn du magst.“

„O ja!“ Fast misstrauisch griff sie nach dem kleinen Plüschtier. Dann drückte sie es sich an die Brust. Sie sah aus wie jedes kleine Mädchen, das sich über ein Geschenk freut. Plötzlich wurde ihm die Kehle eng vor lauter Rührung.

„Er ist so süß! Ich liebe ihn, danke!“

Olivia drückte sich an Celeste, die sie umarmte. Flynn wusste nicht, ob ihn die impulsive Geste mehr überraschte oder, dass sie den linken Arm dabei benutzte. Normalerweise schrak Olivia vor jeder Berührung zurück wie ein geprügeltes Tier.

Ihre Therapeutin sagte, es sei auch eine Reaktion auf das Trauma, und sie könne sich irgendwann auch bei anderen Menschen wieder entspannen und wieder das süße, warmherzige Mädchen von früher sein.

Celeste ahnte sicher nicht, was für ein seltenes Geschenk sie gerade von Olivia bekommen hatte, aber sie sah erfreut aus. „Sehr gern. Du musst mal zur Christmas Ranch kommen. Dort lebt der echte Sparkle.“

Olivia trat zurück, die Augen groß. „Der echte Sparkle lebt in der Nähe?“

„Nur die Straße hoch.“ Celeste machte eine Bewegung mit dem Arm. „Wir haben eine Rentierherde. Sparkle ist der Liebling meiner Nichte und meines Neffen – eigentlich der ganzen Familie. Daher habe ich die Inspiration für die Geschichten.“

„Können wir sie besuchen, Dad? Können wir?“

Er zuckte die Achseln. „Wüsste nicht, weshalb nicht. Bestimmt können wir das vor den Feiertagen noch unterbringen.“

Weihnachten stand vor der Tür, und er war noch völlig unvorbereitet. Er feierte es auch nicht gern. Erst recht wollte er nicht bei einem kommerziellen Weihnachtsevent den Geist der Weihnacht wie billigen Bourbon runterkippen. Aber er liebte seine Tochter. Wenn sie zum Mond wollte, würde er auch das ermöglichen.

„Euer Baum gefällt mir“, sagte Celeste und blickte sich im überladenen Wohnzimmer seiner Großmutter um. „Vor allem das Lametta. Hast du deinem Dad beim Schmücken geholfen?“

„Ähm, nein. Mein Dad hat es fast allein gemacht. Ich habe einen wehen Arm.“

Sie ließ den Arm baumeln, aber Celeste fragte nicht, wieso sie damit den Hund streicheln oder ein Plüschrentier halten konnte.

„Zu schade“, sagte sie nur. „Du bist bestimmt gut im Lametta-Aufhängen.“

„Ziemlich, aber an die oberen Zweige komme ich nicht ran.“

„Damit hilft dir dein Dad, nicht?“

„Schon.“

Celeste griff nach dem Beutel mit dem Lametta, den Flynn abgelegt hatte. „Kann ich euch helfen, den Rest auf der Seite aufzuhängen, zu der ihr noch nicht gekommen seid? Da ich auf der Christmas Ranch aufgewachsen bin, bin ich quasi Expertin.“

Olivia blickte vom Baum zu ihrem Vater, dann zu Celeste. „Okay“, sagte sie skeptisch.

„Das macht Spaß, du wirst sehen. Sparkle kann helfen.“

Wie sie aus einem halb geschmückten Baum hatte schließen können, dass er versucht hatte, seine Tochter zum Dekorieren zu animieren, war ihm schleierhaft. Aber er freute sich, als Olivia ihrer neuen Heldin gehorchte, zum Baum ging und eine Handvoll Lametta nahm.

„Kann ich Ihren Mantel nehmen?“, fragte er.

„Oh, ja, danke.“ Sie lachte nervös. Unter dem Mantel trug sie einen roten Rollkragenpullover, der im Gegensatz zu dem Hoody von heute Nachmittag ihre Figur betonte. Er schluckte.

Er ahnte, dass sie eine der Frauen war, die nicht wussten, wie sie auf Männer wirkten. Als er ihren Mantel neben die Tür hängte, schob er seine völlig unangemessene Reaktion entschlossen beiseite. Sie wollte nur seinem Kind helfen.

Als er ins Wohnzimmer zurückkam, saß der kleine Hund mitten im Raum und beobachtete, wie die beiden nebeneinander einträchtig die restlichen Zweige mit Lametta schmückten. Flynn lehnte sich an den Türrahmen und tat das Gleiche.

Eigenartig, dass Olivia auf eine ruhige Kinderbibliothekarin stärker reagierte als auf die Kinderpsychologin, die Physiotherapeutin und die Pflegenden im Krankenhaus. In der Gegenwart dieser Frau blühte sie regelrecht auf. Obwohl sie ihren linken Arm noch schonte, schien sie ab und zu vergessen, dass er wehtat, und benutzte ihn, ohne nachzudenken. Alles in allem war es ein angenehmer Zeitvertreib für einen Dezemberabend. In Grandma Charlottes Kamin flackerte ein Gasfeuer, und draußen fiel der Schnee.

Kurz darauf war das Lametta am Baum, und Celeste trat einen Schritt zurück, um ihn zu bewundern. „Perfekt!“, rief sie aus.

Olivias Lächeln sah fast wie früher aus. Sie hob Sparkle hoch. „Er hat geholfen.“

„Ich mache mal das Licht aus“, sagte Flynn. „Wir können ihn erst richtig bewundern, wenn es dunkel ist.“

Er legte den Lichtschalter um, und der Baum erstrahlte. Das Lametta reflektierte die Lichter. Damit hatte seine Mutter damals recht gehabt.

„O wie schön! Das ist der hübscheste Baum aller Zeiten“, erklärte Olivia.

„Ich stimme zu“, sagte Flynn. „Habt ihr beide toll gemacht.“

„Du auch“, erklärte Olivia. „Wir haben ja nur die Lücken aufgefüllt.“

„Das stimmt. Wir sind anscheinend alle drei hervorragend mit Weihnachtsbäumen.“

Celeste sah ihn an und lächelte. Er erwiderte ihr Lächeln und war erneut angetan von ihrer Schönheit. Dann bemerkte er, dass er sie anstarrte, und sah weg, bevor sich die zarte Röte auf ihren Wangen weiter vertiefte. Sicher nur wegen der Lichter.

„Oh, beinahe hätte ich vergessen, dass ich noch ein Geburtstagsgeschenk für dich habe. Zwei sogar.“

„Wirklich?“

„Es ist ja noch nicht dein Geburtstag, also verstehe ich es, wenn du noch warten magst. Ich gebe sie deinem Vater, und er kann sie bis zum großen Tag aufbewahren.“

Wie er hätte voraussagen können, war Olivia nicht sehr begeistert von dem Vorschlag. „Ich mache sie lieber auf, wenn du dabei bist.“

„Ich glaube, ich hätte deinen Dad zuerst fragen sollen.“

Er zuckte die Schultern. „Nur zu.“

Mit einem reuevollen und entschuldigenden Lächeln gab sie Olivia die Tasche wieder. „Es ist nicht eingepackt, weil ich nicht wusste, dass du Geburtstag hast. Sorry.“

Das störte seine Tochter offensichtlich nicht. Sie griff in die Tasche und zog ein Buch mit Illustrationen auf dem Cover hervor.

„Oh! Noch ein Buch Sparkle und der magische Schneeball.“

„Meine Schwester und ich haben es signiert. Sie hat die Bilder gezeichnet. Ich dachte, da es dein Lieblingsbuch ist, solltest du eines mit unseren Unterschriften besitzen.“

„Toll! Danke!“

„Es ist noch etwas drin“, sagte Celeste, als seine Tochter Anstalten machte, sich sofort hinzusetzen und das Buch zum hundertsten Mal zu lesen.

Olivia griff in die Tasche und zog ein zweites Buch heraus. Dieses war in den Farben etwas gedeckter, und anstatt Weihnachtsmotiven hatte es Herzchen am Rand.

„Das habe ich noch gar nicht gesehen. Sparkle und die Valentinsüberraschung.“

„Es ist brandneu. In den Läden bekommt man es noch gar nicht. Es erscheint in ein paar Wochen.“

„Dad, schau nur!“

Sie eilte zu ihm, fast ohne zu humpeln.

„Sehr schön. Wir können es beim Schlafengehen lesen.“

„So lang kann ich nicht warten. Darf ich es jetzt lesen?“

„Klar. Willst du zuerst nicht noch etwas zu Ms. Nichols sagen?“

Olivia himmelte sie an. „Danke, danke, danke! Ich liebe die Bücher und den Plüsch-Sparkle.“ Erneut überraschte sie ihn und umarmte Celeste fest, dann lief sie zu dem Fensterplatz, den sie sich sofort erobert hatte, als sie angekommen waren.

Er wandte sich Celeste zu. „Wie haben Sie das nur gemacht?“, fragte er leise.

Sie blinzelte verwirrt. „Was denn?“

„Es ist das erste Mal, dass sie jemanden außer mir umarmt. Seit Monaten.“

„Oh.“ Ihre leise, traurige Stimme verriet ihm, dass sie wusste, was geschehen war.

„Ich nehme an, Sie wissen, dass vor drei Monaten auf meine Tochter geschossen wurde und ihre Mutter ums Leben kam.“

Ihre Züge wurden angespannt, und Trauer trat in ihre Augen. „Ja. Ich habe es gelesen. Nicht, weil ich über so etwas Schreckliches lesen wollte, sondern weil … Früher habe ich Sie gekannt.“ Erneut stieg ihr Röte in die Wangen.

„Sie hat sich wegen des Traumas sehr zurückgezogen. Seit es passiert ist, ist sie noch mit keinem anderen Menschen so schnell warm geworden.“

„Oh.“ Mit weichem Blick sah sie zu Olivia. „Das bin nicht ich. Sparkle ist ein magisches kleines Rentier. Er hat etwas Tröstendes an sich.“

Er war sich sicher, dass Celeste diejenige war, die etwas Tröstendes an sich hatte, aber das sagte er nicht.

„Was auch der Grund ist, ich bin froh darüber. Ich hatte gehofft, dass sie sich hier in Idaho, fernab vom Rampenlicht, ein paar Wochen erholen und gesund werden kann. Anscheinend hatte ich recht.“

Die Fürsorge und Liebe waren in seiner Stimme deutlich zu hören. Flynn war offensichtlich ein hingebungsvoller Vater. Celestes Hals wurde eng. Dieses arme kleine Mädchen hatte gesehen, wie das Leben aus ihrer Mutter gewichen war. „Sie hat eine furchtbare Qual erlebt. Es kann Jahre dauern, bis die Albträume nachlassen.“

„Sie klingen, als wüssten Sie einiges über Albträume.“ Er betrachtete sie.

Sie wollte ihm nicht sagen, dass sie sogar jetzt noch Albträume von den schrecklichen Wochen in Gefangenschaft und der Rettung mit den furchtbaren Folgen hatte. Damals hatte sie sich wochenlang in den Schlaf geweint, und dann, nachdem die Trauer über ihren Vater ein kleines bisschen erträglicher geworden war, hatte sie ihre Mutter in einem kurzen, heftigen Kampf an den Krebs verloren. Danach waren sie zu Onkel Claude und Tante Mary gezogen. Das konnte sie ihm nicht sagen; er hatte seine eigenen Dämonen zu bekämpfen.

„Jeder hat Albträume“, sagte sie. „Wie John Irving sagte, man sucht sie sich nicht aus, sondern es ist genau umgekehrt.“

„Das stimmt.“

Linus winselte; er musste wahrscheinlich raus. „Ich muss mit Linus nach Hause. Nochmal sorry, dass ich einfach so hereingeplatzt bin.“

Er lächelte. „Sie machen Witze. Das ist das Beste, was uns seit Langem passiert ist. Sie ist so begeistert.“

„Schön. Wenn Sie noch etwas brauchen, meine Familie ist nicht weit weg. Ach, das habe ich fast vergessen. Das ist noch für Sie.“

Sie griff in die Tasche und zog das Törtchen heraus, das Tante Mary in eine Dose gepackt hatte.

„Was ist das?“

„Meine Tante macht umwerfende Beerentörtchen. Sie hatte eins übrig und wollte, dass Sie es bekommen.“

„Das ist aber liebenswürdig. Richten Sie meinen Dank aus.“

„Mache ich.“ Sie wollte nach dem Mantel greifen, aber er kam ihr zuvor und half ihr hinein. Sie war sich seiner Nähe, seiner Wärme und Stärke bewusst, und in ihrem Bauch wurde alles aufgewirbelt. Lächerlich, sagte sie sich. Sie war doch kein dreizehnjähriger, schwärmender Teenie.

Sie schob rasch die Arme in den Mantel und machte einen Schritt zur Seite, um den Schal umzulegen.

„Sind Sie sicher, dass Sie zu Fuß gehen wollen? Der Schnee scheint stärker geworden zu sein. Ich hole meinen Schlüssel und fahre Sie.“

„Nicht nötig. Es ist nicht weit. Ich laufe gern, auch im Schnee, und Linus muss noch ein bisschen Energie loswerden. Aber danke.“

Er sah nicht überzeugt aus, aber sie ging zur Wohnzimmertür und winkte seiner Tochter. „Tschüs, Olivia. Ich wünsche dir Spaß mit dem Buch.“

Sie sah mit diesem abwesenden Blick auf, der noch halb in der Geschichte hing, und den Celeste von sich selbst kannte. „Ich bin fast fertig. Es ist supergut.“

Es war gleichzeitig surreal, erfüllte sie mit Dankbarkeit und mit Unbehagen, wenn sie sah, dass jemand sich ganz in ihrer Geschichte verlor. „Oh, das freut mich.“

Olivia bemerkte, dass sie ihren Mantel trug. „Musst du wirklich schon weg?“

„Ja, leider. Ich muss Linus nach Hause bringen, sonst ist Lucy ganz einsam.“

Da sprang Olivia von ihrem Platz herunter und kam zu ihr, um sie zu umarmen. „Noch mal danke für die Bücher. Das war der schönste Geburtstag überhaupt. Und dabei war er ja noch gar nicht!“

„Das freut mich so.“

„Tschüs, Linus.“ Olivia kniete sich hin, um den Hund noch mal zu kraulen. Er leckte ihr durchs Gesicht, worauf sie kichern musste.

Als sie sich umdrehte, um zu gehen, sah sie die Überraschung auf Flynns Zügen, und er schüttelte den Kopf. Ihr fiel ein, dass er gesagt hatte, seit dem Tod ihrer Mutter würde Olivia nur schwer mit anderen Menschen warm. Sie freute sich, dass sie sich die kleine Mühe gemacht hatte und hergekommen war.

„Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder“, sagte er.

Oh, sie wünschte sich, dass er es hoffte, nicht nur für seine Tochter. „Ganz bestimmt. Pine Gulch ist ein Kaff. Gute Nacht.“

Sie ging hinaus in die schneeerfüllte Dezembernacht. Erst als sie schon auf halbem Wege war, bemerkte sie, dass sie die Kälte gar nicht spürte.

4. KAPITEL

Am Wochenende versuchte sie, nicht an Flynn und seine kleine, zarte Tochter zu denken. Es war nicht einfach, obwohl sie mit einer Extraschicht in der Bibliothek und einer Aushilfsschicht in der Christmas Ranch voll ausgelastet war.

Auch mehrere Telefonate mit Hope wegen der Filmrechte konnten sie nicht ganz von den Gedanken an die beiden ablenken. Sie wusste nur grobe Fakten über Elise Chandler und ihre Tochter. Um etwas mehr zu finden, musste sie im Internet recherchieren. Sie vergoss Tränen für alle Beteiligten, sogar den Täter und seine Familie.

Brandon Lowell hatte offenbar einen Monat vor der Tat aufgehört, seine Medikamente gegen seine bipolare Störung zu nehmen, das hatten die Ermittlungen ergeben. Er hatte gesagt, die Medizin störe ihn bei der Arbeit als Schauspieler. Er hätte aufgrund seiner Krankheit keinen Zugang zu einer Waffe haben dürfen, hatte aber dem Leibwächter von Elise ein paar Tage vor der Tat die Waffe gestohlen.

Was für eine Ironie, dass Elise draußen immer von einem Bodyguard beschützt wurde, dann aber im privaten Umfeld mit genau der Waffe, die sie hätte schützen sollen, getötet wurde.

Die ganze Geschichte machte Celeste traurig. Es berührte sie aber auch, dass Flynn als aufopferungsvoller Vater die Leitung seiner Baufirma in die Hände vertrauenswürdiger Angestellter gelegt hatte, um seine Tochter bei ihrer Genesung begleiten zu können.

Die ganze Zeit spukte er durch ihre Gedanken. Am Montagnachmittag hatte sie es endlich geschafft, nicht mehr so viel an ihn zu denken – sie konzentrierte sich auf ihre Arbeit, bis Frankie nach einem Morgen voller Onlineseminare zu ihr kam.

„Ich habe herausgefunden, wer er ist.“

„Wer?“

„Du weißt schon. Der heiße Dad, der letzte Woche bei der Vorlesestunde da war. Heute beim Haarewaschen ist es mir eingefallen. Ich dachte an eine Duschszene in Forbidden, in der der Held der H...

Autor

Judy Duarte
<p>Judy liebte es schon immer Liebesromane zu lesen, dachte aber nie daran selbst welche zu verfassen. „Englisch war das Fach in der Schule, was ich am wenigsten mochte, eine Geschichtenerzählerin war ich trotzdem immer gewesen,“ gesteht sie. Als alleinerziehende Mutter mit vier Kindern, wagte Judy den Schritt zurück auf die...
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Brenda Harlen
<p>Brenda ist eine ehemalige Rechtsanwältin, die einst das Privileg hatte vor dem obersten Gerichtshof von Kanada vorzusprechen. Vor fünf Jahren gab sie ihre Anwaltskanzlei auf um sich um ihre Kinder zu kümmern und insgeheim ihren Traum von einem selbst geschriebenen Buch zu verwirklichen. Sie schrieb sich in einem Liebesroman Schreibkurs...
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Allison Leigh
<p>Allison Leigh war schon immer eine begeisterte Leserin und wollte bereits als kleines Mädchen Autorin werden. Sie verfasste ein Halloween-Stück, das ihre Abschlussklasse aufführte. Seitdem hat sich zwar ihr Geschmack etwas verändert, aber die Leidenschaft zum Schreiben verlor sie nie. Als ihr erster Roman von Silhouette Books veröffentlicht wurde, wurde...
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