Julia Ärzte zum Verlieben Band 210

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

DR. DAVIS’ VERBOTENE SEHNSUCHT von JULIETTE HYLAND

Nach einem spontanen One-Night-Stand will Dr. Jessie Davis ihre gute Freundschaft mit Krankenpfleger William nicht riskieren. Beide beschließen: Es war nur ein Ausrutscher! Bis Jessie die süßen Folgen ihrer Liebesnacht entdeckt – und plötzlich verbotene Sehnsucht spürt …

EINE FAMILIE MIT DEM FEIND? von RACHEL DOVE

Ausgerechnet mit dem arroganten Notarzt Jackson Denning soll Lucy sich um das Baby ihrer verstorbenen Schwester kümmern? Unmöglich! Aber deren Testament lässt keine Wahl. Während Lucy mit ihrem Erzfeind Familie spielt, knistert es immer stärker zwischen ihnen …

HAB MUT ZUR LIEBE, SCHWESTER ISLA! von LOUISA HEATON

Der Liebe hat OP-Schwester Isla nach einem Schicksalsschlag für immer abgeschworen. Ihr Herz schlägt allein für ihren neuen Job bei Starchirurg Gabe Newton. Doch als sie in einer Notlage in seinem Haus unterschlüpfen muss, kommt sie ihm unerwartet nah. Viel zu nah …


  • Erscheinungstag 15.11.2025
  • Bandnummer 210
  • ISBN / Artikelnummer 9783751533553
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Juliette Hyland, Rachel Dove, Louisa Heaton

JULIA PRÄSENTIERT ÄRZTE ZUM VERLIEBEN BAND 210

Juliette Hyland

PROLOG

Feurig und einzigartig.

William hatte die Frage, wie Jessie wohl küsste, stets abgewehrt. Jahrelang bremste er diese Gedanken, wenn ihn das Verlangen packte. Sie war seine beste Freundin, und als solche wollte er sie nie verlieren. Also verdrängte er seine Sehnsüchte in den hintersten Winkel seines Bewusstseins, in der Hoffnung, dass sie dort bleiben würden. Was nicht der Fall war.

Und jetzt hatte sie seine Frage beantwortet. Für den Rest seines Lebens würde er wissen, wie Jessies Küsse waren: feurig und einzigartig.

„William …“

Es erregte ihn, wie sie seinen Namen hauchte.

Ihre Fingernägel zogen sanfte Kreise auf seinem Bauch, glitten aber nicht tiefer.

Sie war Notärztin, er Fachkrankenpfleger in der Notaufnahme. Sie hatten sich etwas zum Abendessen geholt und es geteilt. Ein höllischer Tag lag hinter ihnen. Sie verloren einen Minderjährigen durch Selbstmord und eine junge Frau, die nach einem Streit mit ihrem Freund betrunken nach Hause gefahren und gegen einen Baum geprallt war.

Ja, der zweite Fall war eine schmerzliche Erinnerung an seine eigene Vergangenheit. Aber das erklärte immer noch nicht, warum sie in Jessies hellblauer Bettwäsche gelandet waren.

Er strich mit dem Finger über ihren Rücken und genoss die leisen Lustlaute, die sie dabei ausstieß.

„Du bist so schön.“ William drehte sich auf die Seite, zog ihr Bein über seins, sodass er ihren empfindlichsten Punkt streicheln konnte.

„Das sagst du ständig.“ Jessie küsste ihn wieder, neckend erst, dann leidenschaftlicher.

Die Intensität ihres ersten Zusammenseins war abgeklungen. Seine Befürchtung, sie könnte aus dem Bett springen, ihm sagen, es sei ein Fehler gewesen, und ihn aus dem Haus werfen, schien sich nicht zu bewahrheiten. William wusste nicht, wie lange dieser Traum noch anhielt, doch er wollte jede einzelne Minute davon genießen.

Seine Hand glitt über ihre Hüfte, verharrte auf den feinen Narben darauf.

„Das war vor VA.“ Jessie nahm seine Hand und führte sie dorthin, wo sie sie haben wollte.

Vor Anchorage. VA. Ihr Kennwort für tabu.

Es bildete die Basis ihrer Freundschaft. Jessie fing damals nach ihrer Assistenzarztzeit in Colorado am Anchorage Memorial Hospital an. Gleich beim ersten gemeinsamen Dienst mit den üblichen Fragen nach Herkunft und Werdegang hatte er sich darüber lustig gemacht, indem er sie nach ihrem Lieblingsfisch fragte.

Zu seiner Überraschung hatte sie sofort Guppys genannt und ihm von ihrer Liebe zum Wandern erzählt. Er liebte es auch, und schon war eine neue Freundschaft entstanden.

Aber über ihre Vergangenheit wollte Jessie offenbar nicht reden.

Das begriff er ziemlich schnell.

William war nach Anchorage geflüchtet, nachdem seine Verlobung in die Brüche gegangen war. Bis vor ein paar Wochen, als seine Sandkastenfreundin Georgia als Ärztin ans Anchorage Memorial kam, kannte niemand den Namen seiner Heimatstadt.

Jessie und er wussten fast alles über den anderen. Lieblingsessen. Lieblingsfarbe. Wanderschuhgröße.

Nun wusste er auch, welche erregenden Laute sie von sich gab, bevor er sie um Höhepunkt brachte. Mit dem Daumen fuhr er erneut über das Geflecht winziger Narben.

Jessie erstarrte kurz. Dann nahm sie sein Gesicht in beide Hände und küsste ihn. Sie rollte sich auf ihn, drückte ihn aufs Bett. Ihre roten Haare bedeckten seine Brust, als sie seine Wangen küsste, sein Kinn, seinen Bauch, und tiefer glitt.

Diese Narben waren VA. Sie wollte nicht, dass er danach fragte. Aber die Frage ging ihm nicht aus dem Kopf.

Bis sie begann, ihn mit dem Mund zu verwöhnen. Als sich ihre Lippen um ihn schlossen, konnte er nur noch an eins denken.

An Jessie und ihre einzigartigen feurigen Küsse.

1. KAPITEL

Alle Räume der Notaufnahme waren belegt, und es war noch nicht einmal fünf Uhr. Keine guten Vorzeichen für die nächste Schicht, die in einer Stunde begann. Seit Dienstbeginn vor zehn Stunden war Dr. Jessica Davis ununterbrochen auf den Beinen. Bis jetzt hatte sie zwei gebrochene Arme eingegipst, einer alten Frau, die wegen einer Mageninfektion dehydriert war, Flüssigkeit zugeführt und bei unachtsamen Wanderern, die die Warnschilder ignoriert hatten, Wunden genäht. Danach wurde sie bei Verletzten eines Autounfalls gebraucht und bei einem Herzstillstand.

Mit anderen Worten, von allem etwas. Genau deswegen liebte Jessie die Arbeit in der Notaufnahme. Sicher, ihre Füße schmerzten, allmählich spürte sie die Erschöpfung, und nicht nur einmal sah sie bedrückende Dinge. Aber hier fühlte sie sich zu Hause, auch wenn es sonderbar klingen mochte.

„Du bist etwas blass um die Nase“, meinte William. Er war Notfallpfleger, ihr bester Freund und der Mann, mit dem sie vor sechs Wochen das Bett geteilt hatte. Er drückte ihr einen Müsliriegel in die Hand. „Komm, iss das.“

„Danke.“ Jessie lächelte und riss die Verpackung auf. Ihre Finger berührten sich, und am liebsten hätte sie William gefragt, ob er nicht mit zu ihr kommen wollte. Aber sie beherrschte sich.

Sechs Wochen waren seit der Horror-Schicht vergangen. Der junge Mann, der ihrem Bruder Brandon so ähnlich sah, hatte dem Druck seiner Familie nicht mehr standgehalten und eine Entscheidung getroffen. Niemand in der Notaufnahme konnte sie rückgängig machen. Sie hoffte inständig, dass Brandon ihn im Jenseits trösten konnte.

Die Trauer, die Vergangenheit, die Wärme von Williams Körper neben ihr im Auto, das Gefühl seiner Finger, als sie nach dem vietnamesischen Pho-Gericht aus dem Drive-In griffen und sich dabei berührten. Sie hatten es mitgenommen, um die schreckliche Schicht zu vergessen. All das kam zusammen …

Sie hatte sich zu ihm hingebeugt und ihn geküsst. Es stürzte ihre langjährige Freundschaft, die sie so sehr schätzte, ins Chaos. Nur weil es ihr nicht gelungen war, die Verliebtheitsgefühle, die sie für ihren besten Freund entwickelt hatte, in den Griff zu bekommen.

William war ihr sicherer Hafen, der Mensch, den sie nicht verlieren wollte. Das wusste sie, aber sie konnte ihre Gefühle für ihn immer noch nicht beiseiteschieben.

Bis vor sechs Wochen hatte sie nicht gewusst, dass er wie ein Gott küsste, nicht gewusst, dass es ihn erregte, wenn er seine Partnerin erregte, sodass schon das Vorspiel einfach unfassbar war.

Eine einzige Nacht. Ein spontaner Augenblick, an den sie sich für immer erinnern würde. Nach jenem schrecklichen Tag in der Notaufnahme hatten sie eng umschlungen dagelegen, als wüssten sie, was der andere wollte. Noch nie hatte sie sich einem Mann, einem Liebhaber, so nahe gefühlt.

Am Morgen waren sie sich einig: Es war ein Fehler gewesen. Ihre Freundschaft war ihnen zu wichtig, um sie von Hormonen und Gelegenheiten abhängig zu machen.

Es spielte keine Rolle, dass sie nachts immer wieder mit der Erinnerung aufwachte, wie er ihren Körper mit Küssen bedeckte. Es spielte keine Rolle, dass die tiefen Gefühle, die sie kaum zu kontrollieren vermochte, sich weigerten, in die sorgsam gehütete mentale Kiste zurückzukehren, die sie vor Jahren für sich konstruiert hatte.

William war der einzige Mensch, der ihr wirklich nahestand. In Anchorage angekommen, fühlte sich Jessie wie von der Welt abgeschnitten. Während alle noch damit beschäftigt waren, sie kennenzulernen, war er in diesem ersten gemeinsamen Dienst ihre Rettung gewesen. Durch seine simple Frage nach ihrem Lieblingsfisch. Wahrscheinlich hatte er nicht erwartet, dass sie sie beantworten würde. Aber mit Fischen kannte sie sich aus.

Ihr Bruder Bran hatte Fische geliebt. Sie hatten Fachbücher gewälzt und geplant, Fische zu züchten. Aber daraus wurde nichts. Sie sprach nicht über Bran. Über nichts vor Anchorage – VA, wie William es nannte.

Sie hatte sich hier ein neues Leben aufgebaut. Wenn sie eine Beziehung begannen und diese scheiterte … Jessie war nicht gewillt, ein solches Risiko einzugehen. Und William gab ihr recht. Auch wenn ein Teil von ihr sich wünschte, er hätte wenigstens ein paar Einwände gehabt, als sie vorschlug, die gemeinsame Nacht einfach wieder zu vergessen.

Leider nicht.

Er hatte nur wie ein Papagei die gleichen Gründe wiederholt, die sie genannt hatte. Es waren genau die richtigen Gründe gewesen, auch wenn sie sie eigentlich gar nicht hören wollte.

„Hilft der Müsliriegel?“ Williams Stimme holte sie in die Gegenwart zurück, und ihr wurde unwillkürlich heiß.

Beachte es nicht, Jessie. Einfach ignorieren …

„Ja, danke.“

William sah sie an, aber diesmal mit dem Blick des Profis. Keine Hitze. Kein Verlangen. Als würde er einen Patienten begutachten.

Es ging ihr gut. Meistens jedenfalls. Sie biss sich auf die Lippen und versuchte, die aufsteigende Übelkeit zu unterdrücken.

Bei einem Zehn-Stunden-Dienst war ein einziger Müsliriegel zu wenig. Aber in den letzten Tagen lag ihr alles, was sie aß, bleischwer im Magen. Vielleicht hatte sie sich die Mageninfektion eingefangen, die gerade grassierte. In einem Krankenhaus nicht ungewöhnlich. Ärzte und Pflegekräfte waren dagegen nicht immun.

William beugte sich vor, seine breiten Schultern berührten ihre fast.

Sofort wurde ihr wieder warm.

„Wenn dir nicht gut ist, geh besser nach Hause.“

Wie immer sah er viel zu viel.

„Alles okay. Ich hätte tagsüber mehr essen sollen.“ Leichter gesagt als getan. Die Wirklichkeit in der Notaufnahme sah anders aus. Sie hasteten durch ihre Dienste und ernährten sich, wenn überhaupt, von Snacks. Allein Koffein und Adrenalin ließen sie durchhalten.

William zog eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts weiter.

„Hi, ich habe eine Siebzehnjährige mit Schmerzen im Unterbauch in Raum 4.“ Dr. Georgia Sumter kam zur Stationszentrale. „Ich kann sie nicht dazu bringen, offen mit mir zu reden“, fügte sie seufzend hinzu.

„Glaubst du, sie ist schwanger?“, fragte William.

„Ich weiß nicht.“ Georgia blickte Jessie an. „Irgendetwas stimmt nicht mit dem Typen, der sie hergebracht hat. Er sagt, er sei ihr Bruder …“

„Aber?“, fragte Jessie, als Georgia nicht weitersprach.

„Mein Gefühl sagt mir, dass da etwas nicht stimmt. Ich hätte gern eine zweite Meinung dazu, bevor ich etwas entscheide. Vielleicht ziehe ich am Ende einer langen Schicht voreilige Schlüsse. Ich bin ziemlich müde.“

Oder etwas stimmt tatsächlich nicht.

Georgia war eine von Jessies Lieblingskolleginnen. Sie und William waren zusammen in Kodiak aufgewachsen. Als sie vor einigen Monaten ans Anchorage Memorial zurückkehrte, brachte sie eine Brise frischer Energie mit. Wenn die engagierte dunkelhaarige Ärztin glaubte, dass etwas nicht stimmte, dann war auch Jessie alarmiert. Erst recht bei einer minderjährigen Patientin.

„Irgendeine Ahnung, was es sein könnte?“ William schaute auf sein Tablet, studierte wohl die Krankenakte.

„Nein.“ Georgia verschränkte die Arme, eine steile Falte auf der Stirn. „Normalerweise finde ich schnell heraus, ob etwas faul ist und was. Aber …“ Sie blickte zum Untersuchungszimmer und seufzte. „Die beiden spüren mein Misstrauen und sind verschlossen wie zwei Austern.“

„Okay“, sagte Jessie. „Ich versuche, mehr herauszufinden.“

„Ich komme mit.“ William kam um den Tresen herum. „Man behauptet von mir, dass man leicht mit mir reden kann.“

Und wenn wir nicht sicher sind, was dahintersteckt, sollte niemand allein dort drinnen sein.

William brauchte das nicht zu erwähnen. Er beschützte das Team – und er beschützte Jessie sehr. Es war ein seltsames und beruhigendes Gefühl.

Ihre Eltern hatten sie geschützt und so sehr abgeschirmt, dass sie wie in einer Blase gelebt hatte. Hätten sie sie in Watte packen können, sie hätten es getan. Aber all die Sorge galt nicht ihr. Sie wurde gesund gehalten für ihren Bruder, den Erstgeborenen, den einzigen Jungen. Er war ihr Goldkind, das sie über alles auf der Welt liebten. Und sollte Jessie ernsthaft erkranken, könnte sie Bran nichts mehr geben.

Diese traurige Wahrheit, dass Brandon mehr zählte als sie, war ihr schon bewusst, noch bevor sie ihren Namen schreiben konnte. Sie war auf der Welt, weil Bran wichtig war. Und sie hatte ihn nicht beschützt, hatte versagt.

Jessie und William begaben sich zum Untersuchungsraum, klopften an und gingen hinein.

„Warum die neuen Gesichter?“ Der junge Mann, der nicht viel älter sein konnte als das junge Mädchen im Bett, hielt dessen Hand. Er drückte sie dreimal, sie seine daraufhin zweimal.

Ein Geheimcode? Sie und Bran hatten einen gehabt. Allerdings wegen eher unwichtiger Dinge. Einmal drücken bedeutete: Mum hat schlechte Laune. Zweimal: Dad ist stinkwütend. Eine Drei bedeutete, dass man sofort ein Eis brauchte. Viermal: Ich hab dich lieb, Schwesterherz.

„Dr. Sumter dachte, dass Sie mit ihr vielleicht einen schlechten Start hatten. Also schickt sie Dr. Davis und mich. Hauptsächlich, weil ich sehr einfühlsam bin.“ William zwinkerte ihnen zu und lächelte breit. Aber Jessie wusste, das war nur gespielt.

Wahrscheinlich hatte er die geheime Kommunikation auch mitbekommen.

„Wir brauchen nur etwas gegen ihre Magenbeschwerden. Gegen die Schmerzen. Wir sind auf der Durchreise und müssen bald weiter.“

„Ich gebe Ihnen gern etwas“, erwiderte Jessie. „Aber vorher sind ein paar Untersuchungen nötig. Ich will sichergehen, dass es die richtige Behandlung ist. Alles andere nützt nichts.“ Schmerz war immer schwer einzuschätzen, aber er war ein Symptom und keine Diagnose.

Die junge Frau sah Jessie an, biss sich dabei auf die Unterlippe. Immerhin wich sie ihrem Blick nicht aus.

„Beginnen wir mit den Namen. Also, ich bin Dr. Jessica Davis, und dies ist Pfleger William Harris.“ Sie trat näher ans Bett. „Ich weiß, dass Sie Angst haben. Wovor, weiß ich nicht, doch erst einmal ist das auch nicht nötig. Aber hier sind Sie sicher.“

Der Teenager schaute den jungen Mann an und atmete einmal durch. „Ich bin Katie. Das ist mein Bruder Ian.“

„Bruder – nicht der Freund?“ Williams Frage war berechtigt. Leider kam es manchmal vor, dass sich jemand als Verwandter ausgab, um beim Patienten bleiben zu dürfen.

„Bäh …“

Katies Reaktion kam spontan und wirkte echt.

Ihr Bruder lächelte sie an. „Geht mir auch so, Schwesterchen.“

Jessie fühlte plötzlich so etwas wie Neid auf das Geschwisterpaar. Sie und Bran hatten sich sehr nahegestanden. Er war ihr einziger Vertrauter gewesen.

Dann war er nicht mehr da und sie allein mit der wütenden Trauer ihrer Eltern. Damit nicht genug, bedrückte sie bis heute, dass sie den einzigen Menschen, den sie geliebt hatte, im Stich gelassen hatte. Noch wochenlang nach seinem Tod sprachen ihre Eltern kaum ein Wort mit ihr. Als wäre sie mit Brandon fortgegangen.

„Katie, beschreiben Sie mir Ihre Beschwerden.“ Jessie trat näher ans Bett.

„Ich bin nicht schwanger.“ Katie schloss die Augen, und eine Träne lief ihr über die Wange. „Auch wenn das alle denken, weil ich Bauchschmerzen habe.“

„Alle?“, fragte William. „Hat Dr. Sumter nach einer Schwangerschaft gefragt?“

„Nicht direkt.“ Katie zuckte die Schultern. „Aber sie hat sich sofort nach meiner letzten Periode erkundigt, und als ich erzählte, dass sie unregelmäßig sei …“ Sie biss sich erneut auf die Lippe und sah ihren Bruder an.

„Sie wollte noch mehr Details über ihre Periode wissen. Da hat Katie eben dichtgemacht.“

Und ihr Bruder auch. Das hatte Jessie verstanden. Vielleicht war es nicht besonders klug gewesen, aber sie und Brandon hätten wohl genauso gehandelt.

„Meine Mom sagte, ich hätte zugenommen, und als die Schmerzen anfingen, vermutete sie …“ Katie schluchzte und schlug die Hände vors Gesicht.

„Und unser Stiefvater hat meiner Schwester seine Enttäuschung mit dem Gürtel gezeigt.“ Ian holte tief Luft, und in seinen Augen stand kaum unterdrückte Wut.

„Ich verstehe.“ Jessie machte sich Notizen. „Wann haben die Bauchschmerzen angefangen?“

„Vor sechs Wochen. Zuerst nur leicht, wie Krämpfe. Ich habe Schmerztabletten genommen und ein Wärmekissen auf den Bauch gelegt. Aber das hat kaum gewirkt.“ Sie bewegte sich, zuckte zusammen und wurde blass.

William sah Jessie an, und sie nickte. Katie hatte stärkere Schmerzen, als sie zugeben wollte.

„Auf beiden oder nur auf einer Seite?“

„Links. Ich weiß, dass der Blinddarm auf der rechten Seite ist. Also …“

„Haben Sie selbst nach der Ursache gesucht?“ Selbstdiagnosen waren normal und störten Jessie nicht. Sie gaben ihr erste Hinweise, wenn Patienten einen Verdacht hatten. Andere Ärzte hatten jedoch etwas dagegen. Dr. Mueller zum Beispiel. Der beschwerte sich regelmäßig, dass die Patienten mehr zu wissen glaubten als er. Zum Glück hatte er gerade Urlaub und blieb Katie erspart.

„Katie, ich würde gern Ihren Bauch untersuchen. Darf ich?“

Katie nickte und schob ihr Hemd hoch. Wenn sie wirklich zugenommen hatte, musste sie vorher ausgesprochen mager gewesen sein. Sie hatte kaum Muskeln und Fettgewebe am Bauch. Das hatte den Vorteil, dass man die Organe leichter tasten konnte.

Sie versteifte sich, noch bevor Jessie überhaupt die Hand auf ihren Bauch legte.

„Ich kann nicht versprechen, dass es nicht wehtut, Katie. Aber ich bemühe mich, schnell fertig zu sein.“

William hielt Katie eine Hand hin. „Drücken Sie sie so fest wie möglich, wenn es sein muss.“

Auch ihr Bruder streckte seine Hand aus.

Katie ergriff beide, atmete bebend durch und nickte Jessie zu. „Ich bin bereit.“

Es kam zittrig heraus, doch Jessie wagte nicht länger zu warten.

Als sie die Finger gegen den Eierstock auf der linken Seite presste, gellte Katies Schmerzensschrei durch den Raum. Der Eierstock war mindestens dreimal so groß wie der rechte.

„Ich brauche einen Gynäkologen. Sag ihnen, wir benötigen umgehend einen transvaginalen Ultraschall.“

William eilte zur Tür.

„Ich bin nicht schwanger. Bin ich wirklich nicht.“ Katie schluchzte auf und starrte zur Decke.

Ian hatte Tränen in den Augen, als er Jessie anblickte. „Wenn sie sagt, dass sie es nicht ist, glaube ich ihr. Katie lügt nicht.“

„Ich glaube nicht, dass Sie schwanger sind. Ohne Bluttest kann ich es zwar nicht ausschließen, aber ich lasse den Gynäkologen nicht kommen, um einen Schwangerschaftstest zu machen. Ich vermute eine Ovarialtorsion. Das bedeutet, dass sich Ihr Eierstock und vielleicht auch die Eileiter verdreht haben. Das ist sehr schmerzhaft.“

„Und wie wird das behandelt?“ Ian sah seine Schwester und dann Jessie an. Er war sichtlich besorgt, bemühte sich aber, tapfer zu sein.

„Sie muss operiert werden. Und zwar sofort. Wir müssen uns mit Ihren Eltern in Verbindung setzen.“

„Nein!“, riefen beide wie aus einem Munde.

„Ich verstehe, dass Sie das nicht wollen, aber da Sie noch minderjährig sind, Katie …“

„Wir sind weggelaufen.“ Katie zitterte am ganzen Körper. „Ian ist volljährig, aber mich können sie zurückholen. Bitte nicht, ich kann nicht zurück …“

Jetzt war klar, was mit den beiden nicht stimmte, wie Georgia vermutet hatte. Die Geschwister hatten Angst. Und Jessie bezweifelte, dass Katie zum ersten Mal mit dem Gürtel gezüchtigt worden war.

„Sie werden nicht zustimmen.“ Ian trat gegen den Hocker unter dem Bett. „Sie hassen Krankenhäuser und Ärzte und … die meisten anderen Menschen.“

„Katie, Sie sind unter achtzehn. Deswegen bin ich normalerweise gesetzlich verpflichtet, Ihre Eltern zu informieren, dass Sie operiert werden müssen. Andererseits handelt es sich um einen Notfall. In einem solchen Fall benötige ich keine Einwilligung.“

„Sie operieren sie auch so?“ Tiefe Erleichterung malte sich auf Ians Gesicht.

„Ja.“

„Hier kommt der Ultraschall.“ Dr. Padma Lohar, eine der Gynäkologinnen der Klinik, kam herein, gefolgt von einer Röntgenassistentin. William hielt ihnen die Tür auf.

Padma blickte Jessie fragend an, und diese informierte sie über die Symptome und ihre Befürchtungen.

„Wenn es sich um eine Eierstocktorsion handelt, müssen wir jetzt die Diagnose stellen und die Operation vorbereiten. Katie, möchten Sie, dass Ihr Bruder während der Untersuchung hierbleibt?“

„Nein.“ Katie nickte. „Ruf du Mom an und erzähle es ihr, bevor die Klink es tut.“

Ian ging hinaus, und William schloss die Tür.

Ohne Zeit zu verlieren, begann Padma mit der Ultraschalluntersuchung. „Torsion des linken Ovars“, bestätigte sie. „Der Zustand besteht schon eine Weile. Sie sind eine sehr tapfere junge Frau, dass Sie den Schmerz so lange ertragen haben. Aber jetzt müssen Sie operiert werden. Umgehend.“

Sie nickte Jessie zu. „Kannst du ihr alles erklären?“

Ohne Jessies Antwort abzuwarten, hastete sie hinaus, um sich auf den Eingriff vorzubereiten. In einem Fall wie diesem kam es auf jede Minute an.

Jessie deutete auf die Türen. „Sie werden gleich in den Operationssaal geschoben, wo Sie in Narkose versetzt werden. Das Operationsteam wird laparoskopisch vorgehen. Das heißt, sie machen nur einen relativ kleinen Schnitt, drehen den Eierstock und geben ihr Bestes, um ihn zu retten.“

Angesichts der Größe des Eierstocks und wie lange Katie schon Schmerzen hatte, befürchtete Jessie allerdings, dass die Mühe vergeblich sein würde.

„Sollte er bereits so geschädigt sein, dass man ihn entfernen muss, haben Sie noch den zweiten und können trotzdem Kinder bekommen.“

„Ich will keine Kinder.“ Katie lehnte sich ins Kissen zurück.

„Okay.“ Jessie hätte gern Kinder gehabt. Wollte sie immer noch. Als kleines Mädchen hatte sie stundenlang mit Babypuppen gespielt. Nun, nicht alle Wünsche gingen in Erfüllung.

Sie hatte ihr Leben Bran gewidmet. Alles drehte sich nur um seine Gesundheit. Schließlich nahm ihr das Schicksal den geliebten Bruder doch noch. Seinetwegen war sie auf der Welt und hatte versagt.

Eine Schuld, die sie ihr Leben lang begleiten würde.

„Wir sind so weit!“ Eine OP-Schwester eilte herein. „Freut mich, Sie kennenzulernen, Katie. Mein Job ist es, Sie so rasch wie möglich in den OP zu bringen. Mein gegenwärtiger Rekord liegt bei einer Minute und sechzig Sekunden. Aber ich denke, das können wir noch toppen!“

Sie löste die Bettbremse, und fort waren sie.

„Geh ruhig nach Hause, ich bleibe hier“, bot William Jessie an. „Katie wacht frühestens in einer Stunde aus der Narkose auf. Sie ist verdammt knapp an einer Sepsis vorbeigeschrammt.“

Er setzte sich neben Jessie aufs Sofa. Sie wirkte erschöpft. Was sie niemals zugeben würde. Ebenso wenig, dass sie durstig oder hungrig war oder ihr sonst etwas fehlte. Diese Frau gab alles für ihre Patienten.

Nur um ihre eigenen Bedürfnisse kümmerte sie sich nicht.

Fast alle im medizinischen Bereich Tätigen neigten dazu, den Bedürfnissen anderer den Vorrang zu geben, bis ihre Körper sie zwangen, sich selbst an die erste Stelle zu setzen. Jessie schaffte es, auch die Warnsignale ihres Körper zu ignorieren.

Sie setzte sich nie an die erste Stelle. Vielleicht wusste sie gar nicht, wie das ging. Deshalb hatte William einen unerschöpflichen Vorrat an Müsliriegeln, Nüssen und Trockenfrüchten in seinem Spind. Von denen er selbst niemals aß. Er nannte sie Jessie-Reserve.

„Alles okay. Mir geht’s gut.“ Jessie gähnte und rollte die Schultern. „Wenn ihre Eltern hier auftauchen …“ So wie sie das Wort Eltern aussprach, würde sie Katie und ihren Bruder beschützen wie eine Mutterglucke.

„Sie kommen nicht.“ William war hin- und hergerissen. Einerseits wünschte er, die Eltern würden sich zeigen. Viele auf der Station hätten ein Wörtchen mit ihnen zu reden … bevor die Polizei übernahm. Andererseits wusste er, dass es für Katie und Ian besser war, wenn sie sich nicht blicken ließen. Zwar erwartete die beiden, auf sich allein gestellt, kein einfaches Leben, doch ihr bisheriges war schon hart genug. Sie würden klarkommen.

Seine eigene Kindheit war ein Traum gewesen, bis er entdeckte, dass alles nur vorgetäuscht war. Das falsche Gefühl der Sicherheit hatte ihn auf die Realität schlecht vorbereitet, und er musste erst ein paarmal auf die Nase fallen, ehe er seinen Platz im Leben fand.

„Ich habe vor ein paar Minuten mit Ian gesprochen. Da sie von zu Hause abgehauen ist, sollte sie sich auch allein um ihr Leben kümmern, meinten ihre Eltern.“ Sie gaben Katie für alles die Schuld. William vermutete, dass sie in Wirklichkeit Angst hatten, dass die Klinik die Misshandlungen melden würde. Aber die Jugendbehörde würde sich auf jeden Fall darum kümmern. Die Striemen auf Katies Rücken waren immer noch deutlich zu sehen.

In einem halben Jahr wurde sie achtzehn. Ihr Bruder, selbst erst einundzwanzig, versuchte seit fast einem Jahr, das Sorgerecht für sie zu bekommen. Nach diesem Notfall würde er es bekommen, bis sie volljährig war.

„Du musst dich ausruhen.“ William legte den Arm auf die Sofalehne. Wären sie bei ihm oder ihr zu Hause, würde sie den Kopf an seine Schulter lehnen. Vielleicht auch einschlafen.

Oder auch nicht, nachdem er sie vor fünfundvierzig Tagen geküsst hatte. Technisch gesehen hatte sie ihn zuerst geküsst, aber das spielte keine Rolle.

Seine Beziehungsgeschichte war von gebrochenen Herzen durchzogen … eines für immer gebrochen. Die Harris-Männer waren nicht gut in der Liebe, und er wollte Jessie auf keinen Fall gefährden. Dafür war sie ihm zu wichtig.

Jeden Morgen schwor er sich, dass dies der letzte Tag sein würde, an dem er die Tage seit dem Kuss zählte. Der Tag, an dem er diese beunruhigenden Gefühle für immer vertreiben und wieder nur ihr Freund sein würde.

Und jeden Morgen erschien ihm eine neue Zahl, und seine Gefühle weigerten sich einfach, ihm zu gehorchen.

„Du schläfst zu wenig. Entspannst nie. Und du isst auch nicht richtig.“

„William …“ Jessie tätschelte sein Knie, und die sanfte Berührung ließ sein Herz erbeben, erinnerte ihn, wie ihre Finger ihn woanders berührt hatten.

Er war nicht gut genug für Jessie. Er war für niemanden gut genug, aber vor allem nicht für Jessie. Auf der männlichen Seite der Familie Harris gab es viele gescheiterte Beziehungen.

Sein Großvater hatte sich eine Jüngere gesucht, als seine Frau vierzig wurde. Sein Vater spielte den perfekten Ehemann und Vater. Meistens. Im Großen und Ganzen schienen sie eine harmonische Familie zu sein.

Die Fassade fiel in sich zusammen, als William sechzehn war. Er erfuhr, dass er einen Halbbruder hatte, der ebenfalls William hieß, weil dieser sich über die sozialen Medien bei ihm meldete.

William!

Sein Vater tat die Sache mit einem Achselzucken ab. Seine Mutter verließ ihn nicht – das hätte nur noch mehr Gerede gegeben. Aber sie machte William sehr deutlich, wie moralisch verkommen die Männer der Familie waren.

Einst hatte William gedacht, er sei anders.

Hatte sich verlobt, eine Hochzeit geplant, ein gemeinsames Leben … und seiner Ex-Verlobten den ersehnten Traum zerstört.

Die unheilvolle Reihe der Frauen, die das Pech hatten, einen Harris zu lieben, sollte ein für alle Mal bei ihm enden. Das hatte William sich geschworen.

„Jessie …“ Er drückte sie fest. Wie ein guter Freund, der sich Sorgen um sie machte. In der vergangenen Woche sah sie viel zu oft blass und erschöpft aus.

„Mir geht’s gut. Ich hatte nur reichlich zu tun.“

Das hatte sie immer. In der Klinik arbeitete sie so viel, wie es das Arbeitsschutzgesetz zuließ. Und half in ihrer Freizeit ehrenamtlich aus, las den Kindern auf der Pädiatrie Geschichten vor.

Das war ein weiterer Grund, warum sie nur Freunde sein konnten. Jessie würde eine großartige Mutter sein. Sie war fürsorglich und aufmerksam selbst bei den banalsten Geschichten, die die Kleinen erzählten. Sie verdiente einen Partner ohne den Ballast, den William immer mit sich herumschleppen würde.

Padma kam in den Personalraum, schleuderte die benutzte OP-Kleidung in den Schmutzwäschebehälter und lehnte sich mit einem Schluchzer an die Wand.

Jessie sprang auf, noch ehe William reagieren konnte.

„Du hast großartige Arbeit geleistet.“ Jessie massierte ihr den Rücken. „Sie wird wieder ganz gesund. Du hast alles richtig gemacht. Einfach alles.“

„Das Mädchen hätte schon vor Wochen herkommen sollen. Man hätte sich um sie kümmern müssen.“ Padma seufzte schwer. „Noch vor zwei Tagen hätte ich den Eierstock retten können. Sogar noch vor zwölf Stunden! Aber nein, ihre Eltern vermuten, dass sie schwanger ist. Als wäre das das Schlimmste auf der Welt. Verdammt!“

„Und selbst wenn sie es gewesen wäre, hätte sie einen Arzt gebraucht.“ Jessie sprach aus, was William dachte. Es gab keine Entschuldigung für das Verhalten der Eltern.

„Glaubt mir, viele verwechseln die ersten Symptome einer Schwangerschaft viel häufiger mit einer Grippe oder einem Magen-Darm-Virus als mit einer Blinddarmentzündung oder starken Unterleibsschmerzen. Hat jemand eine Woche lang keinen Appetit? Oder kommt morgens nicht aus dem Bett? Dann schlage ich doch vor, auf einen Teststreifen zu pinkeln!“ Padma atmete bebend durch. „Hast du solche Schmerzen, als würde dir gleich der Bauch platzen? Fahr in die Notaufnahme. Kann das denn so schwer sein?“

Sie ging zu ihrem Spind und holte ihren Rucksack heraus. „Ich ziehe mich um, gehe nach Hause, dusche und weine in mein Kissen. Danke, dass ich hier Dampf ablassen durfte.“

„Bitte sehr.“ Jessie nickte William zu und trat an ihren Spind. „Mehr können wir hier nicht tun. Ihr Bruder ist bei ihr. Sie wird ihn bei sich haben wollen, wenn sie aufwacht. Morgen sehe ich wieder nach ihr. Und jetzt sollten wir uns alle ein wenig ausruhen.“

Das war Musik in seinen Ohren. Jessie musste hier raus und schlafen. Vielleicht hatte sie morgen dann nicht mehr diese dunklen Schatten unter den Augen.

William nahm seinen Rucksack und folgte ihr zum Aufzug. Er drückte auf den Knopf und lehnte sich an die Wand, betrachtete Jessie.

„Geht’s dir gut?“, fragte er, bevor er sich zurückhalten konnte.

Sie verdrehte nur die Augen.

Vor ein paar Wochen hätte sie bei einer solchen Frage gelacht und ihn damit aufgezogen, dass er sich zu viele Sorgen mache. William wünschte sich die Unbeschwertheit zurück, die ihre Freundschaft ausgemacht hatte.

Nein. Er wünschte sich etwas, das er nicht haben konnte. Und wenn ein Leben an Jessies Seite keine Option war, so wollte er sie wenigstens als beste Freundin. Doch seit er ihren Kuss erwidert hatte, schienen sie sich von Tag zu Tag mehr voneinander zu entfernen.

„Komm schon, Jessie. Ich mache mir Sorgen um dich. Du wirkst erschöpft und isst kaum etwas. Du klagst über Übelkeit. Alles Symptome, die Padma vorhin für eine Schwangerschaft aufgezählt hat.“

Der Witz kam nicht gut an. Wie dumm, so etwas zu sagen. Sie wollten doch die Nacht vergessen.

Außerdem konnte sie nicht schwanger sein. Sie hatten verhütet. Kein Kind würde ihn je Daddy nennen.

Bei der Erinnerung daran, wie er sie in seinen Armen gehalten hatte, erwachte plötzlich das Verlangen, sie an sich zu ziehen. Das Unbehagen wegzuküssen, das er gerade verursacht hatte.

Als ob ein Kuss alles wieder in Ordnung bringen kann.

„Tut mir leid. Blöder Scherz.“ Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. „Es ist nur schwer, so zu tun, als wäre nichts gewesen.“

„Ich weiß.“ Jessie sah ihn an. Er hatte sie noch nie so blass gesehen.

„Jessie …“

Bevor er mehr sagen konnte, öffnete sich die Fahrstuhltür, und sie stiegen aus.

Jessie ging in Richtung ihres Wagens.

„Jessie, warte.“ William wollte sie noch nicht gehen lassen.

Ihre Hand landete auf seiner Brust, als sie sich umdrehte. Ihm wurde bei der Berührung heiß und kalt zugleich. Was, wenn sie sich abwandte und ihm sagte, dass sie ruiniert hatten, was sie hatten?

Er holte tief Luft. „Du bist meine beste Freundin.“ In diesen fünf Worten lag so viel Wahrheit.

„Und du mein bester Freund.“ Jessie seufzte und blickte auf ihre Füße. „Ich will dich nicht verlieren, William.“

Sie will mich nicht verlieren! Sie konnten es durchstehen. Sie würden es durchstehen. „Wirst du auch nicht.“ Er schloss sie in die Arme, war dankbar, dass sie es zuließ. „Du und ich, Jessie, wir sind Seelenverwandte. Haben nur eine kleine Differenz. Aber das kommt in allen Freundschaften vor. Du wirst mich nicht verlieren, Jessie. Du bist meine beste Freundin“, wiederholte er.

Es war praktisch Freundschaft auf den ersten Blick gewesen, gleich an ihrem ersten Tag im Anchorage Memorial. Sie, die neue Ärztin, so verschlossen, dass niemand wusste, woher sie kam. Sie war in Panik geraten, als Leute sie danach fragten. Er hatte sich eingemischt, das Gespräch auf Hobbys gebracht. Als Nächstes schmiedeten sie Pläne, zusammen wandern zu gehen, und bald verbrachten sie so gut wie jede freie Minute miteinander. Alles, worüber sie nicht reden wollte, verschwand hinter VA – vor Anchorage.

Die anderen kannten nur die Stationen ihrer beruflichen Karriere. Medizinstudium an der University of Colorado School of Medicine. Assistenzarztzeit an der Indiana Health University.

Aber William wusste von ihrer Leidenschaft für Süßes, die ihresgleichen suchte. Oder dass sie bei Filmen weinte, die nicht traurig waren. Und dass sie einen grünen Daumen hatte, sodass ihre Wohnung wie ein kleiner Dschungel wirkte, wo sie sich um ihre Pflanzen kümmerte wie andere um ihr Haustier. Das waren für ihn die wichtigen Details aus Jessies Leben.

„Fernsehabend bei mir? Übermorgen?“ Das war ihr Standardritual, wenn sie beide am Samstag freihatten. In letzter Zeit allerdings nicht mehr so oft. „Willst du lieber weinen oder lachen?“

Er zwinkerte ihr zu und lächelte, als sie in einer für sie typischen Geste nachdenklich den Finger ans Kinn legte. Vielleicht war der Abgrund, den er befürchtete, doch nicht so nah.

„Hm. Mal sehen, wie der nächste Dienst läuft. Wenn es wieder so ein Tag wird wie heute, muss ich weinen. Ich habe gehört, der neue Kinderfilm soll eine richtige Schnulze sein.“

„Nur für dich, Jessie. Ich glaube, alle anderen finden den Zeichentrickfilm süß und witzig.“

Er lehnte sich gegen ihren Wagen und bereute es augenblicklich, als ihm der Erdbeerduft ihres Shampoos in die Nase stieg.

Besten Freunden war es egal, ob dieser Duft aus dem lockeren Haarknoten ihrer besten Freundin aufstieg. Sie dachten nicht darüber nach, wie betörend sie rochen oder wie es war, wenn sie sich nackt aneinanderschmiegten …

„Du bist mit deinen Gedanken woanders.“ Ihre Hand war wieder auf seiner Brust. Und sein Herz verlangte, dass er den Kopf senkte, um zu sehen, ob Jessie ihm ein wenig entgegenkam und ihn küsste wie an jenem Abend.

Aber das war nicht das, was sie vereinbart hatten.

„Es war ein langer Tag.“ Das war nicht gelogen. Er musste jetzt nach Hause, heiß duschen und sich daran erinnern, dass er nicht für eine Beziehung geschaffen war. Schon gar nicht für eine mit Jessie.

Sie hatte den besten Mann verdient – er war es eindeutig nicht.

Jessie klopfte ihm leicht auf die Brust, dann zog sie die Hand zurück. „Ja, es war ein langer Tag. Wir sehen uns morgen.“

Sie stieg in ihren Wagen. Er trat einen Schritt zurück, hob grüßend die Hand und zwang sich davonzugehen. Er war nur ein bester Freund, der eine müde Kollegin zum Auto begleitet hatte.

Er blieb nicht stehen, um sie wegfahren zu sehen, und wünschte sich doch, jetzt neben ihr zu sitzen.

2. KAPITEL

Zwei rosa Streifen. Zwei rosa Streifen. Ein Pluszeichen. Und eine Anzeige, auf der einfach Schwanger stand.

Fünf Tests.

Zusätzlich zu den beiden Tests von gestern Abend. Auch diese hatten eine Schwangerschaft angezeigt, und die Bedienungsanleitung hatte den Test besser für den Morgen empfohlen.

Der einzige Unterschied war, dass sie nun schneller anzeigten. Jessie starrte auf den Schwung Teststreifen, als würde das etwas ändern können.

Langsam strich sie über ihren noch flachen Bauch. Sie wusste genau, wie weit sie war. Im letzten Jahr hatte es nur eine einzige Möglichkeit gegeben.

Sie schickte Padma eine Nachricht und bat sie, sich mit ihr vor Dienstbeginn auf einen Kaffee in der Cafeteria zu treffen.

Padma antwortete mit einem Fragezeichen. Verständlich. Niemand wusste etwas über Jessies Vergangenheit. In ihrer gesamten Jugend hatte sie keine Freunde haben dürfen. Sie hätten irgendwelche Keime in sich tragen können, mit denen Jessie ihren Bruder hätte infizieren können. Eine einfache Erkältung hätte für ihn eine Woche Krankenhausaufenthalt oder länger bedeutet, seit die Chemo seine Immunkräfte zerstört hatte.

Deshalb war sie nicht gut darin, Freunde zu finden. Sie und William standen sich nur deshalb so nahe, weil er die ganze Vorarbeit geleistet hatte. Warum, hatte sie ihn einmal gefragt und vermutet, dass er Mitleid mit der neuen Ärztin hatte, die an seinem ersten Arbeitstag bei einfachen Fragen zum gegenseitigen Kennenlernen erstarrt war.

Weil sie einen Freund brauchte, hatte er nur geantwortet. Und recht gehabt. Ihr war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr sie sich nach Freundschaft sehnte. Nach jemandem, dem sie sich anvertrauen konnte. Durch William war es ihr klar geworden.

Und weil er ihr Freund war, wusste sie, wie er auf die Schwangerschaft reagieren würde. Nicht sehr positiv. Bestimmt nicht.

So viele seiner Freundinnen hatte sie im Laufe der Jahre kennengelernt. Wenn er in letzter Zeit wieder etwas mit einer anderen anfing, war sie ein wenig eifersüchtig. Was natürlich Unsinn war, denn er war ihr Freund … und wollte nicht das, was sie wollte. Tief in ihrem Herzen wünschte sie sich einen festen Partner und Kinder.

Sie war sich nicht sicher, warum er sich nicht binden wollte. Aber klar war, er würde nicht vor den Altar treten und auch keine Familie gründen. Wie hatte er sich ausgedrückt? Er wollte seine Gene nicht weitergeben. „Es ist Zeit, dass sie ihre Ruhe bekommen.“

Sicher, jede Frau, mit der er ausging, schien zu glauben, dass sie diejenige sein würde, die den heißen Pfleger zähmen würde. Aber er war immer ehrlich zu ihnen gewesen.

Einmal hatte sie nachgefragt, aber er hatte nur mit den Schultern gezuckt und gesagt: „VA.“

Der Wink genügte. Schließlich setzte sie auch Grenzen, was ihre Vergangenheit anging. Und hatte sie nicht oft genug auch mit einem Schulterzucken reagiert, wenn die üblichen Fragen kamen?

Woher hast du die Narben an Armen und Hüften?

Es war einfacher, mit den Schultern zu zucken, als erklären zu müssen, dass sie als Kind viele Spritzen bekommen hatte. Das würde nur zu weiteren Fragen führen.

Warum hast du Hausunterricht?

Wieder nur Schulterzucken. Besser, als erklären zu müssen, warum ihre Eltern nicht wollten, dass sie zu viel versäumte, wenn sie zu Untersuchungen ins Krankenhaus musste. Um sicherzugehen, dass das Körperteil, das Bran benötigte, in Ordnung war.

Was ist ein Retter-Geschwister?

Diese Frage hatte sie nur einmal beantwortet. Der entsetzte Blick der Assistenzärztin bestätigte, was sie aus ihrer Kindheit wusste. Es war eine Horrorgeschichte. Vielleicht wäre es keine gewesen, wenn Bran weitergelebt hätte. Oder das Grauen wäre später gekommen.

Während Jessie auf ihr Handy blickte, überlegte sie, was sie Padma antworten sollte.

Ich habe ein paar Fragen zum Thema Schwangerschaft.

Ein prüfender Blick auf die Worte, dann schickte sie die Nachricht ab.

Zurück kamen zwei Emojis: ein erhobener Daumen und eine Kaffeetasse.

Großartig.

„Dass du Emojis benutzt, hätte ich nie gedacht.“ Jessie stellte sich hinter Padma in die Warteschlange. „Der Kaffee geht auf mich. Danke, dass du Zeit hast.“

Padma drehte sich zu ihr um. „Keine Ursache. Und meinen Kaffee bezahle ich selbst. Ich freue mich, dass du gefragt hast. Wir sollten das öfter machen, auch ohne, dass du etwas brauchst.“ Sie grinste. „Und mit Emojis ist es einfacher, etwas rüberzubringen.“ Padma bestellte und trat zur Seite.

„Einen Pfefferminztee, bitte.“ Pfefferminztee war im Moment das Einzige, was ihren Magen beruhigte.

Sie nahm den Becher entgegen und ging zu einem Tisch in der Ecke.

„Wie weit bist du?“, fragte Padma mit gesenkter Stimme, als sie sich Jessie gegenübersetzte und sie prüfend musterte.

Jessie wusste, was sie sehen würde: eine müde, erschöpfte Kollegin, die bereits Probleme mit Morgenübelkeit hatte. Bei den meisten Schwangeren tauchten diese Symptome nicht so früh auf, und es könnte ein Hinweis darauf sein, dass sich daraus eine Hyperemesis gravidarum entwickelte – eine schwere Form der Morgenübelkeit, die nicht selten zu Dehydrierung führte und im Krankenhaus behandelt werden musste.

„Nachdem du gestern Dampf abgelassen und dabei einige Informationen fallen lassen hast, bin ich zur Apotheke gegangen und habe Schwangerschaftstests gekauft. Von jeder Sorte einen, Padma.“

„Und?“

„Sechs Wochen und vier Tage.“ Immerhin wusste sie genau, wann sie schwanger geworden war. Sie hatten verhütet. Aber Verhütung war nie hundertprozentig sicher. „Meine Periode war eineinhalb Wochen überfällig. Doch in der Notaufnahme war es so hektisch, dass es mir nicht aufgefallen ist.“

Bis zu Padmas Bemerkungen gestern Abend.

„Weiß William es schon?“

„Nein. Und ich habe nicht gesagt, wer der Vater ist.“

„Na, hör mal.“ Padma zog eine Augenbraue hoch. „Krankenhaustratsch ist das eine. Aber ihr zwei geht seit Wochen anders miteinander um als sonst. Ein One-Night-Stand?“

Sprachlos starrte Jessie sie an. Ihr Gehirn hatte das Gebäude verlassen. Padma war direkt, ein Wesenszug, den sie an ihr schätzte. So offen allerdings …

Vielleicht waren William und sie doch nicht so vorsichtig gewesen, wie sie dachten.

„Ich muss wissen, welche Optionen ich habe.“

„Die kennst du.“ Padma sah sie an. „Du warst eine Zeit lang Assistenzärztin in der Gynäkologie.“

„Wie sind hier in Alaska die Gesetze?“ Jessie atmete einmal tief durch. Sie wusste, was sie ihren Patientinnen sagte. Aber nun, da sie selbst in einer solchen Situation war, wollte sie es von jemand anderem hören.

„Bis zur 20. Woche ist ein Abbruch erlaubt, ganz gleich, aus welchem Grund. Du hast also Zeit.“

„20. Woche.“ Jessie nickte. „Kann das unter uns bleiben?“

„Natürlich. Lass uns besprechen, wie es mit dir weitergeht, Jessie. Selbst an den besten Tagen bedeutet die Arbeit in der Notaufnahme Dauerstress. Und die meisten Tage sind selten die besten.“

„Mir geht es gut.“ Jessie griff nach dem Becher, aber Padma hielt ihre Hand fest.

„Solch einen Blödsinn will ich nicht hören. Du bist noch nicht einmal in der 8. Woche. So früh merken die wenigsten Frauen überhaupt etwas.“

Jessie zuckte mit den Schultern. „Ich hatte schon immer ein Gefühl für meinen Körper.“ Das stimmte. Brans Krebs kehrte zurück, als sie drei Jahre alt gewesen war. Die Stammzellen, die sie ihm als Baby gespendet hatte, hatten ihm ein paar schöne weitere Jahre verschafft. Aber sie war damals zu jung gewesen, um sich an die guten Zeiten zu erinnern.

Ihre Erinnerungen begannen erst mit dem Krankenhaus. Lächelnde Krankenschwestern in komischer Kleidung … und besorgt blickende Ärzte. Die Tränen ihrer Mutter … und das versteinerte Gesicht ihres Vaters.

Eine weitere Knochenmarktransplantation, Bluttransfusionen und Chemotherapie hatten Bran fast zehn weitere Jahre geschenkt. Doch im letzten Jahr litt er nur noch, schaffte gerade noch seinen sechzehnten Geburtstag. Bran hatte gewusst, dass er niemals den Führerschein machen, niemals einen eigenen Wagen haben, niemals nachts mit Freunden um die Häuser ziehen würde.

Padma trank ihren Kaffee aus. „Selbst wenn du deinen Körper so gut kennst, sind diese frühen Symptome kein gutes Zeichen. Wenn du das Kind bekommen willst, brauchst du genügend Schlaf. Du musst in der Klinik kürzertreten.“

„Was meinst du?“, fragte sie spontan, denn sie hatte keine Mutter, keine Tante, keinen besten Freund, der nicht Vater dieses Kindes war, die sie fragen konnte.

Padma griff nochmals nach ihrer Hand und drückte sie. „Du solltest wissen, was du willst, bevor du mit William sprichst. Seine Unterstützung ist wichtig, aber es geht um deinen Körper. Also ist es allein deine Entscheidung.“

Jessies Hand glitt zum Bauch. Sie hatte immer Mutter werden wollen. Im Krankenhaus, zwischen Brans Terminen, schob sie ihren Puppenwagen durch die Flure, liebte ihre Puppe, die sie Baby nannte, heiß und innig.

Die Schwestern kümmerten sich um Baby, wenn Jessie Spritzen bekam. Die Puppe wurde so bandagiert wie sie. Und später legte sie sie zu Bran in den Sarg. Das Einzige, was sie ihm mitgeben konnte.

Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie wollte dieses Kind. Unbedingt.

Aber wie sollte sie das William beibringen?

„Guten Morgen.“ Georgia, einen Kaffeebecher in der Hand, ließ sich auf den Stuhl neben sie sinken.

„Guten Morgen.“ Jessie lächelte sie an, versuchte, all ihre Gedanken in eine Kiste zu verbannen, damit sie den Tag überstand. Mäßig erfolgreich. Arbeit. Konzentrier dich auf die Arbeit. „Katie geht es besser.“ Sie hatte gleich am Morgen nach ihr gesehen.

„Dank dir und William.“ Georgia trank einen Schluck. „Wie geht’s euch Mädchen heute Morgen?“

„Ich bekomme ein Kind.“ Jessie öffnete den Mund, schloss ihn wieder. Damit hatte sie eigentlich nicht herausplatzen wollen. William sollte es zuerst erfahren. Oder als Zweiter, da Padma es ja bereits wusste. Nun würde er der Dritte sein.

Georgia blinzelte, blickte von einer zur anderen, wusste sichtlich nicht, was sie sagen sollte. „Oh …“

„Bereust du es schon, dich auf diesen Stuhl gepflanzt zu haben?“, fragte Jessie. „Meine Gefühle sind völlig durch den Wind. Mein Kopf absolut leer. Eigentlich zu früh, die Hormone dafür verantwortlich zu machen. Liegt wohl am Schock.“

Georgia lachte, aber es klang etwas gequält. „Ich dachte, ich leiste euch beim Kaffee Gesellschaft. Jetzt habe ich mich aufgedrängt. Ich kann auch wieder verschwinden.“

„Nein, bitte bleib. Aber du musst versprechen, William nichts zu erzählen. Noch nicht.“

„Versprochen.“

„Und wir sollten mal zusammen einen Kaffee trinken, irgendwo außerhalb der Arbeit“, schlug Padma vor. „Oder essen gehen. Oder uns zu Dessert und Drinks treffen.“ Sie wandte sich Jessie zu. „Allerdings keinen Alkohol für dich, ist ja klar.“

„Willst du jetzt, da du das Baby bekommst, Geschichten aus der Zeit vor Anchorage hören?“ Seit ihrer Ankunft hatte Georgia versucht, ein paar Andeutungen über Williams Kindheit zu machen. Und sie konnte nicht glauben, dass Jessie nicht weiter nachgefragt hatte.

Jessie schüttelte den Kopf. Wenn William ihr etwas erzählen wollte, würde er es von sich aus tun.

„Na schön.“ Georgia zwinkerte ihr zu.

„Da du jetzt Bescheid weißt, erwarte ich von dir, dass du ein Auge auf sie hast, Georgia.“ Padma deutete auf Jessie. „Ernsthaft. Sie wird übertreiben. Du kennst sie doch.“

Georgia salutierte. „Wird gemacht.“ Dann wandte sie sich Jessie zu. „Ich habe meine Befehle, und ich werde sie befolgen. Vor ihr habe ich mehr Angst als vor dir. Reichlich mehr!“

„Stimmt.“ Padma grinste und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Wenn du noch Fragen hast, schick mir eine Nachricht oder ruf an.“

„Wirst du mit Emojis antworten?“ Jessie war glücklich. So glücklich. Besorgt, verwirrt, mehr als nur ein wenig verängstigt. Aber glücklich.

„Garantiert! Eins der besten Dinge in meinem Fach ist, dass ich für alle Bedeutungen Katzen-Emojis verwenden kann.“ Sie miaute wie eine Katze.

Jessie lachte, und Padma stand auf, winkte ihnen zu und ging.

„Du hörst dich glücklich an.“

Jessies Hand glitt automatisch zum Bauch, als sie sich umdrehte und William sah.

„Guten Morgen. Wie ich sehe, hattet ihr bereits euer Morgengetränk.“ William beugte sich vor, als wollte er Jessie küssen, richtete sich dann aber wieder auf.

„Ich … muss jetzt los.“ Georgia verschwand fluchtartig.

„Sie hat’s aber eilig.“ William blickte seiner Sandkastenfreundin nach. „Schmeckt dir der schwarze Tee?“

„Tatsächlich ist es Pfefferminztee, mir war danach.“ Sie stand auf. „Holst du dir noch einen Kaffee?“

„Noch einen?“ William legte die Hand aufs Herz und grinste schief.

„Wir beide wissen, dass du morgens mindestens drei Tassen trinkst. Den To go im Auto nicht mitgezählt.“ Einen besten Freund zu haben, hieß, auch seine Gewohnheiten zu kennen. Allerdings wusste sie auch, dass er definitiv keine Kinder wollte. Dabei liebten ihn seine kleinen Patienten, und er liebte sie. Er wollte nur keine eigenen.

„Der To go im Auto ist der Grund dafür, dass ich voller Elan meinen Dienst beginne.“ William zwinkerte ihr zu, schaute hinüber zum Tresen und schüttelte den Kopf. „Nein. Mein Herz wird es mir danken, wenn ich mir den nächsten Koffeinschub später gönne.“

Er folgte Jessie den Flur entlang zum Raum mit den Personalspinden. „Geht es Padma besser?“

Oh … sie hatte gar nicht gefragt. Wie konnte sie das nur vergessen? „Ich … weiß es nicht.“

William zog eine Augenbraue hoch. „Oh.“ Er schüttelte den Kopf und öffnete seinen Spind. „Also nur ein morgendliches Koffeintreffen. Nett.“

„Nein.“ Jessie! Wie einfach wäre jetzt ein schlichtes Ja gewesen. Aber ihr Kopf hatte sich geweigert, eine schnelle Antwort zu geben. Und es war noch zu früh, dies auf die Schwangerschaft zu schieben.

„Jessie …?“

„Ich bin schwanger.“ Sie stieß einen Seufzer aus. „Wir können nachher darüber reden. Ich wollte nur ein paar Sachen von Padma wissen … Tut mir leid.“ Sie schnappte sich ihr Stethoskop und eilte zur Tür.

Was für ein Desaster!

William wurde in der Notaufnahme gebraucht, das wusste er. Aber seine Beine wollten ihm nicht gehorchen.

Schwanger. Jessie ist schwanger. Schwanger!

„William? William!“ Dr. Georgia Sumter stieß ihn gegen die Schulter. „Bist du da?“

„Ja.“ Er räusperte sich.

Georgia schien nicht überzeugt, runzelte die Stirn.

Sie waren zusammen aufgewachsen, sie kannte seine Vergangenheit. Zumindest einen Teil davon. Niemand wusste, was hinter verschlossenen Türen vor sich ging, aber Georgia wusste, dass er seit seinem achtzehnten Lebensjahr nicht mehr zu Hause gewesen war.

„Ich wollte dir nur wegen gestern danken. Ich weiß nicht, ob Katie mir gegenüber so offen gewesen wäre. Nein, bestimmt nicht. Ich dachte, er wäre ihr Freund oder Schlimmeres.“ Georgia atmete tief durch. „Letzte Woche hatte ich so einen Fall, und fürchtete, so etwas noch mal zu erleben.“

„Ich verstehe. Wir bekommen … ziemlich viel mit.“ William rollte die Schultern, doch die Anspannung blieb.

Georgia reichte ihm ein Tablet mit einer Patientenakte. „Alles in Ordnung? Ich weiß, Jessie und du, ihr habt im Moment ein paar Probleme.“

„Wir haben uns nicht gestritten.“ Es kam schon mal vor, dass sie verschiedener Meinung waren. Welchen Film sie sehen wollten. Übers Essen. Ihren letzten Freund hatte er nicht ausstehen können. Der Kerl war für William wie ein rotes Tuch.

Ganz ehrlich? Er war eifersüchtig gewesen. Dabei war er nicht mit Jessie zusammen. Sie wünschte sich das Leben, das sich auch seine Ex-Verlobte erträumt hatte. Und das würde keine Frau von ihm bekommen.

„Von Streit habe ich auch nicht gesprochen. Allerdings streitet sich jeder mal, William.“ Georgia verdrehte die Augen.

„Selbst du und Eli?“ Er streckte ihr die Zunge aus, eine kindische Geste. Aber im Moment schien ihm sein Körper nicht zu gehorchen.

Georgia und Dr. Eli Jacobson waren seit ihrer Rückkehr ans Anchorage Memorial vor ein paar Monaten wieder zusammen. Und praktisch unzertrennlich.

Er freute sich für sie. Und verachtete sich ein wenig dafür, dass er leisen Neid verspürte, wenn er sie zusammen sah. Ihre Beziehung schien perfekt zu sein. Und auch wenn er wusste, so etwas würde er niemals haben können, so sehnte er sich doch danach.

...

Autor

Gefahren

  • Dieses Produkt enthält keine bekannten Gefahren.

Kontakt zum Herausgeber für weitere Informationen zur Barrierefreiheit

  • Weitere Informationen zur Barrierefreiheit unserer Produkte erhalten Sie unter info@cora.de.

Navigation

  • Dieses E-Book enthält ein Inhaltsverzeichnis mit Hyperlinks, um die Navigation zu allen Abschnitten und Kapiteln innerhalb dieses E-Books zu erleichtern.