Romana Extra Band 167

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ZWEI HERZEN ZWISCHEN FEUER UND EIS von VIVIEN JENNINGS

Polarlichter und Winterpracht: Katie freut sich auf den Urlaub mit ihrer Freundin in Spitzbergen. Stattdessen empfängt sie deren wortkarger Bruder Magnus und bringt sie zu ihrer abgeschiedenen Hütte. Sie will sofort weg! Da zieht ein Schneesturm auf – und es knistert heiß zwischen ihnen …

UNTER DEN STERNEN DER SEHNSUCHT von MILLIE ADAMS

Als Pilotin Stevie einen sexy Fremden durch ein Unwetter fliegt, stranden sie in den Rocky Mountains. In der Wildnis kommen sie sich näher, und Stevie lässt sich zu einer magischen Liebesnacht verführen. Sie fühlt sich wie verzaubert. Bis sie erfährt, wer ihr Passagier wirklich ist …

EIN HAPPY END FÜR DREI von ANN MCINTOSH

Elise stockt der Atem, als vor Weihnachten im mondänen Skiort Banff plötzlich ihre große Liebe Rohan vor ihr steht. Jahrzehnte hielt sie ihn für tot! Doch Rohan erkennt sie nicht – ein Unfall hat seine Erinnerungen gelöscht. Kann sie sein Herz ein zweites Mal erobern?


  • Erscheinungstag 20.12.2025
  • Bandnummer 167
  • ISBN / Artikelnummer 9783751533188
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Vivien Jennings, Millie Adams, Ann McIntosh

ROMANA EXTRA BAND 167

Vivien Jennings

1. KAPITEL

Sanfte Flocken fielen langsam auf die kleine Hütte, die einsam am Fuß eines Berges in der tief verschneiten Winterlandschaft stand. Nur fahles, silbriges Mondlicht ließ den Schnee glitzern.

Katie seufzte sehnsüchtig und nippte an ihrem heißen Tee. Der aromatische Darjeeling wärmte sie angenehm und verstärkte noch das behagliche Gefühl, das der Anblick der animierten Schneeflocken in ihr ausgelöst hatte. Sie wickelte sich gedankenverloren eine brünette Strähne um den Finger.

Nur sehr widerstrebend riss sie sich von der stimmungsvollen Szenerie auf ihrem großen PC-Monitor los und wandte den Kopf wieder ihrem Laptop zu, auf dem ein leeres Word-Dokument sie vorwurfsvoll anstarrte.

Sie kam einfach nicht voran. Ihr Kopf war total leer.

Die schöne Schneelandschaft war Teil einer Ambiente-Software, die sie gestern erst heruntergeladen hatte. Angeblich sollte es die Arbeitsproduktivität erhöhen, wenn man es im Hintergrund laufen ließ.

Nun, bei ihr schien es wohl nicht zu funktionieren. Sie würde viel lieber weiter stundenlang dem Tanz der Schneeflocken in der Winterlandschaft zusehen, als am anderen Gerät konzentriert zu arbeiten.

Sie fand einfach keinen Einstieg in die neue Geschichte. Verflixt. Das war ihr noch nie passiert.

Seit Waynes Anruf gestern Abend war sie wie vor den Kopf gestoßen.

Sie wandte langsam das Kinn nach rechts und links, um ihre verspannten Nackenmuskeln ein wenig zu lockern. Als ihr Blick dabei zufällig auf das große Fenster fiel, welches ihrem überquellenden Schreibtisch direkt gegenüberlag, verzog sie missmutig den Mund. Der Blick nach draußen war auch nicht gerade dazu geeignet, einen aufzuheitern. London schien in trübem Novemberregen geradezu zu ertrinken, und das nun schon seit Wochen.

Sie zog die oberste Schublade ihres Schreibtisches auf und griff tastend hinein. Hatte sie darin nicht noch irgendwo eine Tafel Schokolade versteckt? Die war zwar nur für Notfälle gedacht. Aber wenn das kein Notfall war, was denn bitteschön dann?

Ihre suchende Hand fand nichts. Mist.

Sie hatte es nicht kommen sehen. Absolut nicht. Waynes Mitteilung hatte sie kalt erwischt.

Ihre Freundin Suzie hatte ihr immer prophezeit, dass ihr kleines Arrangement mit Wayne nicht dauerhaft funktionieren würde. Aber Katie war fest davon überzeugt gewesen, dass die Vereinbarung zwischen Wayne und ihr geradezu perfekt war. Immerhin drei Jahre hatte ihre etwas ungewöhnliche Beziehung gedauert. Sie hasste es, wenn Suzie recht behielt. Was zugegebenermaßen auch nicht besonders häufig vorkam. Suzie war eine spontane Lebenskünstlerin, die stets von einem Chaos ins nächste zu stolpern schien. Go-with-the-flow schien ihr persönliches Mantra zu sein, während Katie selbst eher der Typ perfektionistische Planerin war, die eigentlich nie etwas dem Zufall überließ.

Kein Wunder, dass wir seit der ersten Klasse beste Freundinnen sind, dachte Katie lächelnd. Wir ergänzen einander perfekt.

Jetzt wurde es aber höchste Zeit, dass sie endlich mit der Arbeit weiterkam.

Doch zuerst brauchte sie noch den passenden Sound. Sie tippte in der Musik-App ihres Handys auf ihre Weihnachtsplaylist. Die ersten Takte von Last Christmas erklangen, und sofort besserte sich ihre Laune schlagartig. Ihre Mundwinkel hoben sich, und sie begann leise mitzusummen.

Viel besser. Mit ein wenig Weihnachtsstimmung würde es bestimmt klappen. Weihnachten war ihrer Meinung nach einfach die beste Zeit des Jahres.

Zuversichtlich legte sie die Hände auf die Tastatur und wartete darauf, dass sich in ihrem Kopf die ersten Worte ihres neuen Romans bildeten.

Plötzlich brach die Musik abrupt ab, und ein schrilles Piepen kündigte eine Nachricht an.

Katie sah auf das Handy. Insgeheim war sie ganz froh über die Ablenkung.

Thyra, eine sympathische Norwegerin aus ihrer Internet-Schreibgruppe bedankte sich für die Hilfe bei ihrem Plot gestern und schrieb, sie sei schon neugierig auf Katies neuen Roman.

Ich auch, dachte Katie mit etwas Galgenhumor und seufzte schwer. Sie blickte besorgt auf das immer noch gähnend leere Dokument.

Wieder piepte es.

Kommst du gut voran?

Katie schüttelte mit dem Kopf, auch wenn Thyra das natürlich nicht sehen konnte.

Wem wollte sie etwas vormachen? Unter Kolleginnen konnte man ruhig ehrlich sein, auch wenn Thyra erst vor Kurzem mit dem Schreiben begonnen hatte und Katie das Schreiben von Romanen, das anfangs auch nur ein Hobby war, seit einem Jahr erfolgreich zu ihrem Hauptberuf gemacht hatte. Im Sommer war ihr neuester Roman erschienen, der auf Anhieb Erfolg hatte und in mehrere Sprachen übersetzt worden war. Sie liebte das Schreiben. Das Schreiben von Liebesromanen genauer gesagt. Damit war sie so viel glücklicher als in ihrem alten Job als Reisejournalistin! Das war irgendwann nur noch eine Last gewesen, und die Anforderungen ihres Chefs waren ihr zunehmend gegen den Strich gegangen, so dass sie nach fünf Jahren sicherer Festanstellung von einem Tag auf den anderen den Schritt ins kalte Wasser gewagt und gekündigt hatte. Seitdem schrieb sie freiberuflich ihre Liebesromane und hatte es noch keinen Tag bereut. Auch wenn sie im Moment leider etwas feststeckte.

Schreibblockade, schrieb sie Thyra zurück.

Vielleicht brauchst du Urlaub?

Katie grinste schief. Oh ja, den brauchte sie ganz sicher. Der dauernde Regen machte sie völlig fertig.

Geht leider nicht, muss schreiben. Hab eine Deadline. Aber stecke irgendwie fest.

Es dauerte einen Moment, bis Thyras Antwort kam.

Hast du vielleicht Lust, mich auf Spitzbergen zu besuchen? Ich wollte für eine Woche in unsere Hütte zum Schreiben. Sie liegt mitten in der Wildnis. Komm doch einfach mit, und wir machen zusammen eine gemütliche Schreibwoche. Es gibt auch eine Sauna und jede Menge Glühwein :)

Völlig verdutzt starrte Katie auf ihr Handy.

Wow. Das kam unerwartet.

Sie merkte, dass ihr verblüfft der Mund offen stand und schloss ihn wieder. Mit so etwas hatte sie überhaupt nicht gerechnet. Passierte das gerade wirklich? Ihr Magen flatterte etwas nervös. Sie atmete tief ein und aus, um sich wieder zu beruhigen.

Thyra lud sie tatsächlich nach Spitzbergen ein!

Die abgelegene arktische Inselgruppe im höchsten Norden stand schon lange auf der Liste ihrer heimlichen Wunschziele. Als Reisejournalistin war sie natürlich immer viel gereist – jedoch meist an Orte, die ihr vorgegeben worden waren, in ihrem Fall hauptsächlich glitzernde Metropolen und bekannte Luxushotels. Dabei träumte sie insgeheim von Reisen in wilde, unberührte Landschaften und sehnte sich nach Naturerlebnissen, hatte aber nie Zeit dazu gefunden. Aber für ihr neues selbstbestimmtes Leben ohne berufliche Reisen hatte sie schon mal eine Liste mit ihren persönlichen Sehnsuchtsorten erstellt. Sie war eben gerne gut vorbereitet.

Seit Katie herausgefunden hatte, dass Thyra, die ebenfalls um die dreißig sein musste, auf Spitzbergen lebte, hatte sie sie mit zahlreichen Fragen über das Leben dort gelöchert. Im Gegenzug hatte Thyra sich von ihr einige Schreibtipps geben lassen. In den letzten Wochen hatten sie sich richtig angefreundet und zahlreiche Nachrichten hin und her geschickt und lustige Zoom-Abende mit Wein verbracht. Sie hätte große Lust, die nette Ärztin einmal persönlich zu treffen, die in dem kleinen Ort Longyearbyen in einem Krankenhaus arbeitete und das Schreiben eher als Hobby sah.

Katies Blick fiel wieder auf die Schneelandschaft ihres Ambiente-Programms auf dem anderen Bildschirm.

Auf Spitzbergen war jetzt tiefster Winter und sicher alles ebenfalls ganz romantisch verschneit. Immerhin lag es auf halber Strecke zwischen Norwegen und dem Nordpol! Bestimmt war es das reinste Winterwunderland.

Ihre Mundwinkel hoben sich unwillkürlich.

Sollte sie das wirklich tun?

Ist das dein Ernst, tippte sie.

Thyras Antwort ließ nicht lange auf sich warten.

Ja, natürlich. Ich würde mich riesig freuen, wenn du mitkommst!!!

Für Katies Geschmack war das alles ein wenig kurzfristig, ihre Gedanken rasten, und sie bekam ganz feuchte Hände vor Aufregung.

Sie plante Reisen normalerweise immer mindestens ein halbes Jahr im Voraus. Mindestens! Und dann hatte sie meistens alles minutiös durchorganisiert. Ihr Fachgebiet waren Städtereisen gewesen. An so einen außergewöhnlichen Ort wie Spitzbergen war sie noch nie gereist.

Aber die unerwartete Einladung klang sehr verlockend.

Wann willst du denn in die Hütte fahren?, tippte sie hastig, bevor der Mut sie vielleicht wieder verließ.

Ja, sie zog es ernsthaft in Betracht!

Prickelnde Ungeduld ließ ihren Magen flattern, während sie auf die Antwort wartete. Für ihre Verhältnisse wäre das ein ungewöhnlich spontanes Abenteuer. Suzie würde über sie staunen. Und dann vermutlich begeistert in die Hände klatschen.

Aber vielleicht brauchte sie wirklich einen Tapetenwechsel. Ein ganz gemütlicher Mädelsurlaub in einer idyllischen Hütte in der Arktis war möglicherweise genau das Richtige für sie. Sie würde es sich mit Thyra ein paar Tage lang richtig gutgehen lassen. Dann bekam sie bestimmt jede Menge neue Energie und konnte sich auch ein wenig von dem Schreck mit Wayne erholen.

Es war nicht so, als hätte er ihr Herz gebrochen. Aber er hatte ihr sorgsame Lebensplanung erheblich durcheinandergebracht. Und sie würde den Sex vermissen, zwischen ihnen war es immer nett gewesen. Naja, sie kam auch ganz gut ohne aus.

Ab Samstag nächste Woche habe ich ein paar Tage frei. Passt dir das?

Katie blickte auf den Kalender an der Wand. Das war in neun Tagen, und nächste Woche war bereits Dezember. Eine Reise nach Spitzbergen in der Vorweihnachtszeit!

Perfekt! Ich gucke gleich nach Flügen!

Jetzt schlug ihr Magen vor Aufregung Purzelbäume.

2. KAPITEL

Das kleine Flugzeug, das sie vor gut vier Stunden in Oslo bestiegen hatte, landete auf dem Flughafen von Longyearbyen in tiefster Dunkelheit.

Die Anreise war bis jetzt überaus angenehm gewesen. Da sie ohnehin in Oslo umsteigen und übernachten musste, hatte sie für den Freitag extra einen Vormittagsflug von London Heathrow ausgewählt, so dass sie gestern bequem Zeit für eine kleine geführte Stadtrundfahrt und sogar für eine tolle Massage im Spa ihres schicken Osloer Stadthotels gehabt hatte. Heute Morgen hatte sie entspannt gefrühstückt und dann ein Taxi zum Flughafen genommen. Bis jetzt war ihre spontane Reise ein voller Erfolg. Sie hatte sich ganz beschwingt gefühlt und bereits viel entspannter als im Home Office in London.

Beim Blick aus dem Fenster während des Landeanfluges wurde ihr jetzt jedoch ein wenig mulmig. Es war stockfinster, dabei war es erst früher Nachmittag. Nur das Flutlicht des winzigen Flughafens schien die Dunkelheit zu erhellen, und im Lampenschein sah sie, wie das dichte Schneetreiben vom Wind verwirbelt wurde.

Das Flugzeug setzte stolpernd auf der weiß verschneiten Rollbahn auf, machte noch einen kleinen Hopser und kam zum Stehen.

Etwas überrascht stellte sie fest, dass alle Passagiere direkt über den Flugplatz gehen mussten. Sobald sie auf der Außentreppe im Freien stand, spürte sie, wie ein eisiger Wind schmerzhaft über ihre empfindliche Gesichtshaut strich. Es kam ihr schrecklich kalt vor!

Minus zwanzig Grad wurden heute in Longyearbyen gemessen, hatte der Pilot vorhin durchgegeben. Aber bei dem starken Wind fühlte es sich noch erheblich kälter an.

Während sie mit den anderen Mitreisenden über den dick vereisten und schneebedeckten Boden zur Ankunftshalle stapfte, versuchte sie hektisch ihren weinroten Schal höher über die schmerzenden Wangen zu ziehen, was mit ihrer schweren Handtasche auf der einen Schulter und der großen Laptoptasche auf der anderen Schulter gar nicht so leicht war. Plötzlich rutschte sie aus, verlor das Gleichgewicht und wäre fast auf den vereisten Boden gestürzt, wenn nicht ein Mitpassagier sie geistesgegenwärtig im letzten Moment gestützt hätte. Sie war leider noch nie besonders trittfest gewesen. Sehr vorsichtig trippelte sie die nächsten Schritte in ihren hochhackigen roten Lederstiefeln über das Eis.

Doch in der Halle empfing sie zum Glück sofort eine wunderbare Wärme, und Katie atmete erleichtert auf. Sie schob ihren Schal hinunter und sah sich neugierig um.

Menschen strömten herein und gingen hinaus, dies schien gleichzeitig Ankunftsbereich und Check-in zu sein. Die Halle war nicht groß, und es schien im Moment auch kein weiteres Flugzeug abgefertigt zu werden, aber es herrschte fröhliche Betriebsamkeit.

Über dem einzigen Gepäckband, an dem sich jetzt die Passagiere aus Oslo versammelten, thronte ein großer ausgestopfter Eisbär. Er war cremeweiß mit einem verhältnismäßig kleinen Kopf, einem kräftigen Körper und riesigen Tatzen. Er schien die Ankommenden in seinem Reich in der hohen Arktis willkommen zu heißen.

Das Tier war wunderschön, aber es schüchterte sie auch ein wenig ein. Ihr lief ein kleiner verzagter Schauer über den Rücken. Ob da draußen in der Finsternis wohl überall hungrige Eisbären lauerten?

„Katie Harper?“

Überrascht drehte sie sich um.

Ein sehr großer und sehr breitschultriger Mann mit aschblondem, leicht gelocktem Haar stand vor ihr. Er trug einen einteiligen schwarzen Schneeanzug, und seine Füße steckten in gewaltigen, klobigen schwarzen Stiefeln. Sie sahen aus, wie für einen Riesen. So groß konnten doch unmöglich seine Füße sein, überlegte Katie.

Jetzt erst bemerkte sie, dass er einer Hand er einen Helm hielt. Sein Gesicht war markant mit einer hohen Stirn, ausgeprägten Wangenknochen und einem kantigen Kinn mit einem kleinen Grübchen in der Mitte. Finster blickte er sie aus grünen Augen an.

Katie schluckte.

„Äh, ja?“ Ganz wohl fühlte sie sich nicht. Er wirkte irgendwie bedrohlich.

Er musterte sie kritisch von oben bis unten, und sein Gesichtsausdruck schien allmählich sogar noch finsterer zu werden. Sein Blick glitt enervierend langsam an ihrem Körper herunter. Von ihrem offenen hellbraunen Haar, das ihr über eine Schulter fiel, über den weinroten Kaschmirschal, zu dem sie auch die passenden Handschuhe trug, zu dem dunkelbraunen Wollmantel und den schicken roten Stiefeln. Sein Blick schien an ihren Stiefeln hängenzubleiben, und zwischen seinen dichten Brauen bildete sich eine steile Falte.

Seinem verkniffenen Gesichtsausdruck nach zu schließen, schien ihm ausgesprochen zu missfallen, was er sah, wie sie etwas verblüfft feststellte.

Das war ihr ja noch nie passiert! Normalerweise fing sie eher bewundernde Blicke vom anderen Geschlecht auf.

Kate biss wütend die Zähne aufeinander. Nun, sie war definitiv auch kein Fan von ihm. Was dachte dieser ungehobelte Klotz sich eigentlich? Und was wollte er von ihr?

Es war ihr ausgesprochen unangenehm, von ihm im wahrsten Sinne so von oben herab begutachtet zu werden. Mit eins fünfundsechzig hatte sie sich immer für mittelgroß gehalten. Doch neben dem breit gebauten Hünen kam sie sich winzig vor.

Seine Augen verengten sich, und er stieß einen Laut aus, den sie nur als missbilligendes Schnauben interpretieren konnte.

„Thyra schickt mich.“

„Oh.“ Ihre Schultern entspannten sich ein klein wenig. Sollte er sie vielleicht abholen? Obwohl es ihr schwerfiel sich vorzustellen, dass die feinfühlige und fröhliche Ärztin mit einem Klotz wie ihm befreundet war. Aber vielleicht war er ja nur der Taxifahrer oder so was in der Art.

Ihr bronzefarbener Koffer rollte auf dem Gepäckband an ihr vorbei. Sie wollte schon hastig danach greifen, aber er war schneller und schnappte sich das schwere Gepäckstück mühelos mit einer Hand.

„Gehen wir“, knurrte er und strebte mitsamt ihrem Koffer zum Ausgang.

Katie blieb nichts anderes übrig, als eilig hinterherzulaufen, so schnell ihr das mit den hohen Absätzen möglich war. Missmutig biss sie auf ihrer Unterlippe.

Nein, er und sie würden in diesem Leben sicher keine Freunde mehr werden. So ein Rüpel. Was stimmte eigentlich nicht mit ihm?

So behandelte man doch keinen Gast!

Wütend murmelte sie leise vor sich hin. „Herzlich Willkommen, Ms. Harper. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise. Wenn Sie mir bitte folgen würden.“ Das hätte er sagen sollen!

Hoffentlich lieferte er sie einfach nur schnell bei Thyra ab. Dann musste sie ihn nie wiedersehen. Trinkgeld konnte er vergessen.

Hektisch folgte sie ihm durch die großen Glastüren des Flughafengebäudes ins Freie. Als sie unversehens wieder von der eisigen Luft umgeben war, stockte ihr kurz der Atem.

Der mürrische Fremde hievte wortlos ihren Rollkoffer auf den Anhänger eines vor der Tür parkenden Schneemobils. Dann griff er nach ihrer Laptoptasche und der Handtasche, doch Katie protestierte.

„Die behalte ich lieber bei mir.“

„Geht nicht“, beschied er ihr unwirsch, nahm ihr umstandslos die Taschen von den Schultern und verstaute beides in eine silberne Transportbox, die auf dem Anhänger festgeschnallt war. Der Deckel schnappte mit einem metallischen Klicken zu.

„Ziehen Sie Ihre Sachen aus.“

Wie bitte? Sollte das ein Witz sein?

Er beugte sich über eine weitere Box und fischte ein paar Kleidungsstücke heraus. Schließlich hielt er ihr einen schwarzen Schneeanzug und dicke, fast quadratische Schneestiefel vor die Nase, die eine kleinere Ausgabe seiner eigenen Stiefel zu sein schien.

Katie schluckte. Beides wirkte robust und gut isoliert. Es würde sie sicher gut vor dem kalten Wind schützen, viel besser als ihre eigene Kleidung. Jetzt war ihr auch klar, warum Thyra sie vor ein paar Tagen nach ihren Größen gefragt hatte.

Aber wie stellte er sich das vor?

„Ich kann mich doch hier nicht ausziehen“, wandte sie verzagt ein.

Er warf ihr einen langen Blick zu, den sie nicht deuten konnte. Dann schloss er die Augen kurz und atmete ein, als flehe er innerlich um Geduld.

Als er sie wieder öffnete, fiel ihr auf, dass seine Augenfarbe ein interessantes helles Grün war. Augen in so intensivem Grün hatte sie noch nie gesehen.

„Ziehen Sie den Mantel und die Schuhe aus. Den Rest können Sie anbehalten.“

Katie spürte Hitze in ihren Wangen. Natürlich behielt man die Sachen an. Darauf hätte sie auch selbst kommen können. Wie peinlich. Irgendwie fühlte sie sich gerade etwas fehl am Platz und unbehaglich unwissend.

„Setzen Sie sich da hin.“ Er zeigte auf den Sitz des Schneemobils. Das Gefährt sah aus, wie ein sehr großes Motorrad auf Kufen.

Widerstandslos folgte sie seiner Anweisung. Sie hüpfte auf den breiten Sitz, und zu ihrer Überraschung kniete er sich mitten in den Schnee vor sie hin und zog ihr sanft einen Stiefel von den Füßen. Dann schob er ein Bein des Schneeanzuges sehr langsam über ihren bestrumpften rechten Fuß und die rechte Wade. Seine Bewegungen waren so bedächtig, als fürchte er, seine Hände wären zu groß und grob für ihre zarten Knöchel.

Elektrisierende Wärme breitete sich an den Stellen aus, die er berührte.

Irritiert biss sich Katie auf die Lippe. Wo kam das denn her? War sie verrückt geworden?

Er zog das rechte Bein des Anzuges über ihre dunkelbraune Stoffhose bis zu ihrem Knie. Dann zog er ihr die unförmigen schwarzen Stiefel an, die viel zu groß für ihre Füße wirkten, aber perfekt zu passen schienen und tat dasselbe mit dem linken Bein. Er arbeitete langsam und methodisch.

Katie versuchte, die unwillkommenen prickelnden Gefühle zu unterdrücken, die sie bei jeder kleinen Berührung verspürte.

War sie jetzt etwa schon so verzweifelt, dass die bloße Berührung durch diesen Hinterwäldler das Blut schneller durch ihre Adern fließen ließ? Das war ja lächerlich.

Als er fertig war, forderte er sie auf, aufzustehen.

Gehorsam rutschte sie von dem Sitz und ließ sich den Mantel, Schal und Handschuhe abnehmen.

Sobald sie den dick gefütterten Thermoanzug hochzog und den Reißverschluss schloss, spürte sie, eine behagliche Wärme, die sich langsam ausbreitete. Der arktische Wind würde ihr jetzt nichts mehr anhaben können.

Er reichte ihr einen Mund-Nasen-Schutz aus weichem Kunstfaserstoff, dicke Thermo-Handschuhe und eine dünne Mütze, danach einen Helm.

Katie beeilte sich, alles anzulegen. Je schneller er sie jetzt zu Thyra brachte und sie sich verabschieden konnten, desto besser.

„Es ist jetzt ja schon so dunkel“, meinte sie leichthin. Es war erst kurz nach zwei Uhr am Nachmittag.

Seine Antwort bestand wieder nur aus einem abfälligen Schnauben.

Sie versuchte es noch mal: „Wann geht denn die Sonne auf und unter?“

Er atmete tief ein. „Das nächste Mal im März.“

Katie schwieg verblüfft. Meinte er das ernst?

In gelangweiltem Ton fügte er hinzu: „Das ist die lange Polarnacht, Lady. Seit Ende November ist es komplett dunkel, und erst Ende Januar wird ein wenig Licht zurückkehren. Die Sonne sehen wir in Longyearbyen erst wieder im März. Dafür ist es ab Ende April dann monatelang vierundzwanzig Stunden hell. Sie wissen wohl nicht viel über Spitzbergen, wie?“ Es war keine Frage, sondern eher eine etwas herablassende Feststellung.

Katie spürte, dass sie errötete. Nein, offenbar wusste sie wirklich nicht viel über Spitzbergen.

Neben ihnen stand ein wartender Flughafenbus, während sich andere Passagiere mit dem Auto oder einem Taxi auf den Weg machten. Bestimmt fuhren sie alle in die kleine Stadt Longyearbyen, die nur wenige Kilometer vom Flughafen entfernt war.

Vermutlich hatte er sie deshalb so warm ausstaffiert, weil dies nicht ihr Ziel war, sondern sie sich stattdessen sofort auf den Weg zur Hütte machen würden, überlegte sie.

Schade, sie hätte sich auch Longyearbyen gerne angesehen. Aber vielleicht war dazu am Ende ihres Aufenthaltes noch etwas Zeit. Jetzt freute sich erst einmal auf die bestimmt sehr behagliche Hütte und noch mehr auf das Treffen mit Thyra! Es wurde wirklich Zeit, dass sie sich endlich persönlich kennenlernten.

Er schwang sich auf das Schneemobil und forderte sie auf, sich hinter ihn zu setzen.

„Bringen Sie mich jetzt in die Hütte? Zu Thyra?“, wollte sie sich vergewissern. Ihr Chauffeur könnte für ihren Geschmack ruhig etwas mitteilsamer sein.

Er drehte den Kopf halb zu ihr um, aber sie konnte sein Gesichtsausdruck in dem Helm nicht sehen.

„Halten Sie sich fest“, knurrte er nur und fuhr los.

3. KAPITEL

Magnus hatte gedacht, seine Laune könnte heute gar nicht schlechter werden. Anscheinend hatte er sich geirrt.

Was hatte er sich da bloß eingebrockt? Er konnte es immer noch nicht fassen, dass Thyra es tatsächlich geschafft hatte, ihm ihre Freundin aufzuhalsen! Aber wenn seine Schwester einmal anfing zu bitten und zu betteln, gab man meistens am besten einfach nach. Gegen sie kam man sowieso nicht an.

Sie hatte ihm Katie als „total unkompliziert“ und „Spitzbergen-begeistert“ beschrieben. Entsprechend hatte er sich eine sportliche Frau mit Outdoor- und Arktiserfahrung vorgestellt.

Pah, von wegen! Ein Blick auf ihre albernen hochhackigen Stiefel und den dünnen Wollmantel hatte genügt, um ihm das Gegenteil zu beweisen. Wer zog denn so etwas an, wenn er im Winter in die Polargebiete flog? Ihr Outfit schrie geradezu laut und deutlich „Modezicke aus der Großstadt“. Katie Harper hatte ganz offensichtlich keinen Schimmer von den Bedingungen hier oben; und er musste sich jetzt mit ihr abplagen! Verflixt noch mal.

Als ob ich nicht schon genug Ärger am Hals habe im Moment, dachte er wütend.

Routiniert lenkte er das laut brummende Schneemobil durch die Ebene die nördlich von Longyearbyen zum Sassenfjord führte. Die Bedingungen waren gut, es hatte kräftig geschneit in den letzten Wochen. Was ihm jedoch Sorgen bereitete, war der immer weiter auffrischende Wind und der starke Schneefall. Dabei hatte es am Vormittag noch so ruhig ausgesehen. Er hoffte, dass sie es noch bis zur Hütte schafften, bis der Schneesturm richtig losbrach.

Seine Passagierin klammerte sich ängstlich an ihn. Zu Beginn ihrer Fahrt hatte sie nur eine Hand leicht auf seiner Schulter platziert, die andere auf dem seitlichen Haltegriff, als wolle sie es möglichst vermeiden, ihn überhaupt zu berühren. Aber schon die erste kleine Bodenwelle hatte sie eines Besseren belehrt. Furchtsam schlang sie ihre Arme nun ganz fest um ihn und schmiegte sich eng an seinen Rücken.

Er grinste und hatte den teuflischen Impuls, sie ein wenig zu ärgern. Die Versuchung war zu groß, er konnte nicht widerstehen, es ein wenig auszureizen. Die nächste Kurve nahm er eine Spur schärfer, als es notwendig gewesen wäre. Das Schneemobil neigte sich wie beabsichtigt etwas zur Seite, als könne es jeden Moment kippen.

Ihr entfuhr ein erschrockenes Keuchen, und sie umklammerte ihn sofort mit beiden Armen so fest sie nur konnte.

Plötzlich stiegen ungebetene Bilder in ihm auf von ihrem feingeschnittenen Gesicht mit dem störrischen Kinn und ihrem langen, karamellfarbenen Haar. Sie war zweifellos eine Schönheit. Die sich jetzt mit aller Kraft an ihn presste.

Sein Körper reagierte augenblicklich lustvoll auf diesen Gedanken. Er wurde hart.

Verdammt. Unbehaglich bewegte er die Hüften ein wenig, um eine bequemere Sitzposition zu finden, was in voller Fahrt auf dem Schneemobil kaum möglich war.

Geschah ihm ganz recht, er hatte sie ja unbedingt provozieren wollen. Er sollte sich besser ganz auf das Fahren konzentrieren und sich nicht unangemessenen Fantasien über das verlockend karamellfarbene Haar und die atemberaubende, zierliche Figur von Thyras Freundin hingeben. Überhaupt sollte er sie einfach soweit es ging ignorieren, das wäre für alle das Beste.

Die Fahrt durch die dunkle Schneelandschaft schien eine Ewigkeit zu dauern. Katie sah nur Eis und Schnee und einige schemenhafte dunkle Schatten, wo wohl Berge und Felsen sein mussten. Das Schneemobil vibrierte und dröhnte kraftvoll, immer wieder holperte es über den unebenen Untergrund und machte einen kleinen Satz. In jeder Kurve neigte es sich bedrohlich zur Seite, so dass sie mehrmals voller Panik befürchtete, sie würden jeden Moment stürzen.

Katie hatte sich die ganze Zeit über ängstlich und konzentriert an dem Fahrer festgehalten. Erst im Nachhinein war ihr aufgefallen, dass er sich ihr gar nicht vorgestellt hatte. Aber eigentlich brauchte sie seinen Namen auch nicht zu wissen. Hauptsache, er brachte sie schnell zu ihrer Freundin.

Als er das Gefährt nun endlich schwungvoll vor einer verschneiten kleinen Holzhütte zum Stehen brachte, atmete sie erleichtert auf.

Sie war von der abenteuerlichen Fahrt auf dem unheimlichen Schneeungetüm völlig erschöpft. Hoffentlich war das endlich ihr Ziel, und sie waren bei Thyras Hütte angekommen. Sie brauchte dringend ein heißes Bad und ein nettes Glas Wein, um sich von der Strapaze zu erholen.

Ihr Chauffeur war bereits abgestiegen, und Katie tat es ihm nach. Überrascht stellte sie fest, dass der weiße Boden unter ihren Füßen nicht etwa weicher und fluffiger Schnee war, in dem sie einsank, wie sie sich vorgestellt hatte, sondern vollkommen hart gefroren. Zögernd und vorsichtig ging sie ein paar Schritte auf die Hütte zu, an deren Eingang er sich jetzt zu schaffen machte. Immerhin rutschte sie in den klobigen Stiefeln wirklich nicht mehr.

Gleich würde Thyra sicher die Tür öffnen und ihnen einen heißen Glühwein in die Hand drücken zum Aufwärmen.

Sie seufzte bereits vorfreudig, wenn sie nur daran dachte.

Der Mann schimpfte auf Norwegisch vor sich. Es klang, als würde er fluchen. Dann ging er zurück zum Schneemobil und begann in den Packkisten zu wühlen.

„Was ist los? Gibt es ein Problem?“ Sie verstand nicht, warum er nicht einfach anklopfte.

Er hob nicht mal den Kopf. „Die Tür ist eingeschneit.“

Er kramte weiter in der Kiste und schien sie zu ignorieren.

„Können wir den Schnee nicht einfach mit den Händen wegschieben?“, fragte sie konsterniert. Sie verstand das Problem nicht so ganz.

Er hielt inne. Immer noch trugen sie beide den schützenden Helm, so dass sie sein Gesicht nicht sehen konnte. Aber seine Stimme drückte recht unmissverständlich aus, was er von ihr hielt.

Mürrisch antwortete er: „Der Schnee ist gefroren. Hier ist es kalt im Winter, Lady.“

Er zog ein großes, bedrohlich aussehendes Beil aus der Kiste und begann, den vereisten Schnee am Eingang mit kräftigen Hieben aufzuhacken.

Katie schluckte. Irgendwie hatte sie sich ihre Ankunft ganz anders vorgestellt. Warum öffnete Thyra ihnen nicht? Oder konnte sie das vielleicht einfach nicht, wenn außen alles fest vereist war?

Erst jetzt fiel ihr auf, dass die Hütte vollkommen dunkel war. Im Inneren schien kein Licht durch die vielen Fenster, dabei war es jetzt vermutlich Spätnachmittag. Alles lag nur still in schwarzer Düsternis da.

Ein ungutes Gefühl beschlich sie, und ihre Augen weiteten sich.

„Ist Thyra nicht in der Hütte?“ Sie selbst konnte die Panik in ihrer schrillen Stimme deutlich heraushören. Ihr Herz begann nervös zu klopfen.

Auch er schien es gehört zu haben, denn er hielt jetzt kurz in seiner Tätigkeit inne, stützte das Beil auf den Boden und drehte sich halb zu ihr um.

„Thyra ist in Longyearbyen“, beschied er ihr knapp.

Was? Das konnte doch nicht sein! Was hatte das zu bedeuten? Ihre Gedanken wirbelten wild durcheinander. Warum hatte er sie denn dann hierhergebracht?

Misstrauisch sah sie ihn an, und ihre Angst wuchs.

„Ich verlange, dass Sie mich sofort zu Thyra bringen!“, schrie sie ihn an. „Sofort!“

Jetzt legte er das Beil ab und ging langsam auf sie zu.

Beunruhigt wich sie ein paar Schritte zurück.

Er blieb abrupt stehen und hielt in einer beschwichtigenden Geste die Hände nach oben.

„Hey, ganz ruhig. Ich will Ihnen doch nichts tun.“ Er nahm den Helm ab und warf ihn achtlos in den Schnee, damit sie sein Gesicht sehen konnte.

Betroffen sah er sie an.

„Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe. Es war Thyras Idee, dass ich Sie herbringe, damit Sie zur Hütte kommen, wie es geplant war. Ich kann Ihnen alles erklären. Bitte beruhigen Sie sich.“

Okay, sie fand die Lage jetzt etwas weniger bedrohlich, auch wenn sie immer noch nicht genau verstand, was hier los war. Sein besorgter Gesichtsausdruck war eindeutig besser für ihre aufgewühlten Nerven als der düstere Helm, bei dem man kaum etwas erkennen konnte.

Aber falls es stimmte, warum sollte Thyra sie mit diesem raubeinigen Kerl zur Hütte schicken, wenn sie selbst nicht dort war? Wie auch immer, sie wollte nur so schnell wie möglich von hier weg.

„Bringen Sie mich auf der Stelle zu Thyra“, wiederholte sie energisch.

„Nichts lieber als das“, brummte er lakonisch. „Aber gucken Sie sich mal das Wetter an. Es gibt hier gleich einen fürchterlichen Schneesturm. Und jetzt schlage ich vor, Sie regen sich ab und lassen mich weiter das Eis aufhacken, damit wir endlich in die Hütte kommen und nicht während des Sturms immer noch hier draußen rumstehen und diskutieren.“ Er wandte sich brüsk ab, nahm das Beil wieder auf und hieb damit kraftvoll weiter auf das Eis ein.

Katie blieb nichts übrig, als müßig zu warten, dass er erfolgreich die Tür freilegte. Erst jetzt merkte sie selbst auch, dass der Schneefall immer heftiger geworden war und der Wind noch erheblich lauter zu brausen schien als zuvor.

„Wie lange wird es ungefähr dauern, bis Sie fertig sind?“, erkundigte sie sich leise. Auf einmal erschien ihr die schützende Hütte sehr verlockend. Selbst wenn dieser merkwürdige Typ auch mit dabei sein würde.

Er würdigte sie keiner weiteren Antwort, sondern fluchte nur immer wieder. Es schien recht mühselig zu sein, das Eis aufzubrechen, selbst für einen kräftig wirkenden Mann wie ihn. Auf seiner Stirn sah sie trotz der Kälte kleine Schweißperlen.

Ihr selbst hingegen wurde allmählich trotz des dicken Schneeanzuges ziemlich kalt. Ungeduldig ging sie auf dem vereisten Boden auf und ab, um ihre Blutzirkulation anzuregen. Der Schnee und der Wind kamen ihr bereits jetzt ziemlich heftig vor. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, was dann ein Schneesturm, der selbst ihn zu beunruhigen schien, bedeuten mochte.

Endlich schien er es geschafft zu haben. Die Tür war vollständig freigelegt, und mit einer Schaufel, die außen an der Wand gehangen hatte und vor wenigen Minuten noch fest im Eis gefroren gewesen war, entfernte er die letzten abgeschlagenen Eisstücke.

„Kommen Sie“, rief er ihr barsch zu.

Bloß kein freundliches Wort zu viel, dachte Katie missmutig. Einem übellaunigeren Kerl als ihm war sie noch nie begegnet! Sie folgte ihm zum Eingang der Hütte, nahm den schweren Helm ab und spähte hinein.

Drinnen war es finster, verlassen, und zu ihrem Entsetzen schien es genauso kalt wie draußen zu sein. Es wirkte kein bisschen so kuschelig und gemütlich, wie sie es sich die ganze Zeit ausgemalt hatte!

Katie schluckte, und in ihren Augen brannten plötzlich heiße Tränen. Warum war sie bloß hierhergekommen an diesen schrecklichen Ort? Sie war so unglaublich müde. Von wegen, heißes Bad, kuschelige Wärme und Glühwein. Die Hütte wirkte auf sie im Moment einfach nur düster und abstoßend. Sie konnte kaum etwas erkennen, aber das war eindeutig nicht das, was sie erwartet hatte.

„Klopfen Sie sich so gut es geht den Schnee draußen ab, und dann gehen Sie in den Vorraum und warten dort“, ordnete er an. „Ich mache derweil Feuer in den beiden Öfen und bringe dann unsere Sachen rein.“

Katie hatte nicht die geringste Lust, in der kalten dunklen Hütte abzuwarten. Wenn sie sich einfach den Helm wieder aufsetzte, war es vielleicht gar nicht so unangenehm noch eine Weile im Schneetreiben draußen zu warten. Drinnen schien es auch nicht besonders gemütlich und einladend.

„Ich bleibe lieber noch hier draußen, bis es in der Hütte etwas wärmer geworden ist“, rief sie ihm entschieden zu.

Er war bereits auf dem Weg ins Innere der Hütte gewesen und kam jetzt zurück. Seine grünen Augen funkelten erbost.

„Tun Sie, was ich Ihnen sage. Das war keine Bitte“, bellte er sie an.

„Es klang auch nicht wie eine“, rief sie wütend zurück. So ein Blödmann! Erwartete er wirklich, dass sie sich von ihm herumkommandieren ließ?

„Muss man Ihnen eigentlich alles zweimal sagen? Da draußen gibt es jede Menge hungrige Eisbären, die sich über einen Leckerbissen wie Sie sehr freuen würden. Also Nein, ohne bewaffneten Schutz können Sie nicht allein draußen bleiben, während ich in der Hütte beschäftigt bin und nicht auf Sie aufpassen kann. Und jetzt bewegen Sie auf der Stelle ihren Hintern hier rein, oder ich komme Sie holen!“

Katie erschrak. Die Eisbären hatte sie ja völlig vergessen! Ängstlich sah sie sich nach allen Seiten um. Der Schnee leuchtete bläulich weiß, aber ansonsten war um sie herum alles schwarz. Irgendwo in diesen Schatten lauerten vielleicht riesige Raubtiere, die sie fressen wollten! In panischer Angst hastete sie zur Hütte. Dann kamen ihr wirklich die Tränen.

Magnus ärgerte sich immer noch, während er mit geübten Griffen erst ein Feuer in dem Kaminofen im Wohnraum und dann in dem zweiten Ofen im Flur entfachte, von wo die Schlafzimmer abgingen. Bald fraßen muntere Flammen an den sorgfältig geschichteten Holzscheiten. Bis die Hütte sich spürbar erwärmte, würde es allerdings noch ein Weilchen dauern, schätzte er.

Schlimm genug, dass diese Katie Harper keine Ahnung zu haben schien, wie man sich in diesen Breitengraden zu verhalten hatte. Aber musste sie obendrein auch noch so störrisch und widerspenstig sein? Sie war die reinste Nervensäge.

Magnus seufzte müde. Und definitiv das Letzte, was er gerade gebrauchen konnte.

Er hatte sich sehr auf ein paar ungestörte Tage allein in der Hütte der Familie gefreut, nicht ahnend, dass seine Schwester die gleiche Idee gehabt hatte. Aber als sie ihm unversehens ihre englische Freundin aufhalsen wollte, hatte er ihr gleich gesagt, dass es ein wirklich schlechter Einfall war und spontan abgelehnt. Er wollte schließlich nichts weiter als seine Ruhe haben. Deshalb fuhr man doch in eine Hütte in der Wildnis!

Natürlich hatte ich recht, dachte er verdrossen. Er hatte es ja vorher gewusst. Es war eine furchtbare Idee von seiner Schwester gewesen. Er fragte sich wirklich, was in ihrem Kopf vorgegangen war.

Aber dann hatte sie angefangen zu betteln, und er hatte sich mal wieder breitschlagen lassen. Nein zu sagen, wenn sie ihn so innständig anflehte, hatte er einfach nicht über das Herz gebracht.

Thyra konnte ihn mit Leichtigkeit dazu bringen, Dinge zu tun, die er eigentlich gar nicht tun wollte.

Genau wie Astrid, schoss es ihm durch Kopf, und seine Laune wurde prompt noch schlechter.

Er erhob sich, um im Vorraum nach seinem unerwünschten Gast zu sehen. Sie hatten häufiger Besucher in der Familienhütte. Aber niemand schien sich hier bisher so offensichtlich fehl am Platz gefühlt zu haben wie Katie Harper. Normalerweise waren alle immer begeistert von der pittoresken Hütte am Sassenfjord.

Zähneknirschend wurde ihm bewusst, dass er vielleicht zumindest dafür sorgen sollte, dass sie sich ein wenig wohler fühlte. Seine Mutter würde das ganz sicher von ihm erwarten, und Thyra zählte auch darauf.

Er fand sie im Vorraum, wo sie in sich zusammengesunken auf einer Holzbank saß und auf ihn wirkte, wie ein kleines Häufchen Elend. Ihre großen blauen Augen glitzerten, als hätte sie geweint. Sie sah zu ihm auf, und der ängstliche, verlorene Anblick erinnerte ihn an eine verschreckte, traurige Babykatze. Sie schlang die Arme um ihren Körper, als wäre ihr furchtbar kalt.

Wieder seufzte er.

Mitleid und ein winziger Anflug von schlechtem Gewissen regten sich in ihm. Gleichzeitig wurde seine eigene Wut neu entfacht. Vor sich sah er schon wieder eine Frau, die ihn dazu bringen würde, Dinge zu tun, die er eigentlich gar nicht tun wollte. Zum Kuckuck mit allen Frauen!

Aber gegen diese Babykatzenaugen konnte er sich einfach nicht wehren.

„Ziehen Sie die Stiefel aus und kommen Sie mit ins Wohnzimmer an den Ofen, da wird Ihnen bestimmt bald wärmer“, schlug er vor, angestrengt bemüht um einen halbwegs freundlichen Tonfall.

Widerstandslos und erfreulicherweise zur Abwechslung auch einmal ganz ohne Widerworte trottete sie hinter ihm her.

Er zeigte auf einen Schaukelstuhl, der einladend direkt neben dem knisternden Ofen stand, und sie setzte sich, immer noch stumm.

Aus seinem Rucksack fischte er eine Thermoskanne. Etwas Warmes zu trinken, würde ihr sicher guttun.

Er hielt ihr den dampfenden Becher hin.

„Hier bitte, trinken Sie einen Schluck Kaffee.“

„Ich trinke eigentlich lieber Tee“, murmelte sie vor sich hin und sah reglos in die Flammen.

Er starrte sie einen Moment an. Ihm lag schon eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, aber er riss sich mühsam zusammen. Sonst noch was? Vielleicht mit Sahne und drei Stück Zucker? Sie sollte froh sein, dass er gerade überhaupt etwas Warmes anbieten konnte! Die Frau kostete ihn buchstäblich den letzten Nerv. Entweder sie war eine verwöhnte Zimtzicke, oder sie war gerade so erschöpft, dass sie nicht mehr klar denken konnte.

Vermutlich eine Mischung aus beidem, dachte er gereizt.

„Trinken Sie das, währenddessen hole ich unser Gepäck“, beschied er ihr eine Spur barscher, als es notwendig gewesen wäre.

Die nächsten Tage würden die reinste Zumutung werden, dessen war er sich jetzt schon sehr sicher. Er konnte es gar nicht abwarten, Katie Harper endlich wieder loszuwerden!

4. KAPITEL

Katie erwachte aus tiefem Schlummer in einem dunklen Raum und wusste zunächst gar nicht, wo sie war. Sie lag in einem bequemen großen Bett unter einer kuscheligen Daunenbettdecke. Ein schwacher Lichtschein kam unter der geschlossen Tür hindurch, so dass sie schemenhaft die Umrisse im Raum erkennen konnte. Das Fenster direkt neben ihrem Bett schien eingeschneit zu sein. An der dem Bett gegenüberliegenden Wandseite befand sich eine ausladende Kommode. Dann erkannte sie ihre Sachen. Ihr Rollkoffer stand an die Kommode gelehnt an der Wand, daneben auf einem Stuhl waren ihre Handtasche und ihre Laptoptasche. An einem Haken an der Tür hingen Kleidungsstücke von ihr.

Plötzlich fiel ihr alles wieder ein.

Die Reise nach Oslo und weiter nach Spitzbergen. Die Landung auf dem kleinen verschneiten Flugplatz. Die abenteuerliche Fahrt auf dem Schneemobil durch die vereiste Landschaft zur Hütte.

Jetzt hörte sie ein Geräusch, das sich eindeutig nach dem Klappern von Geschirr anhörte.

Ihr überaus schlecht gelaunter Begleiter.

Katie rümpfte missmutig die Nase, als ihr der unfreundliche Norweger wieder in den Sinn kam. Dann streckte sie sich noch einmal ausgiebig und schwang ihre Beine aus dem Bett. Sie hatte keine Ahnung, wie spät es sein mochte, aber offenbar war er auch wach, und jetzt wollte sie endlich ein paar Antworten von ihm. Es war höchste Zeit.

Sie griff nach der Kleidung von gestern und glättete schnell mit den Fingern ihr langes Haar. Fürs Erste musste das genügen, duschen würde sie später.

Gestern Abend war sie vielleicht zu erschöpft gewesen und auch etwas zu überwältigt von all den fremden Eindrücken, um noch viele Fragen zu stellen. Aber jetzt fühlte sie sich wunderbar ausgeschlafen und wieder ganz wie sie selbst. Es war höchste Zeit, dass sie herausfand, wie sie am schnellsten von hier wegkommen konnte.

Sie fand ihn im Wohnraum der Hütte, wo sie gestern im Schaukelstuhl vor dem großen Kaminofen gesessen hatte, um sich aufzuwärmen und sofort eingenickt war. Irgendwann hatte er sie dann in ihr Schlafzimmer getragen, auf ihr Bett gelegt und war wieder verschwunden, was sie alles nur undeutlich mitbekommen hatte. Sie hatte es gerade noch geschafft, sich auszuziehen und unter die Daunendecke zu schlüpfen, dann war sie sofort wieder fest eingeschlafen.

Er hantierte mit dem Rücken zu ihr an der kleinen Küchenzeile.

Wohlige Wärme hatte sich inzwischen in der ganzen Hütte ausgebreitet, und in den Öfen knisterte das Feuer.

Neugierig sah sie sich um, gestern war sie dafür viel zu müde gewesen.

Der Wohnraum hatte große Panoramafenster, vor denen zwei große hellbeige Sofas platziert waren. Sie wurden ergänzt durch zwei bequem aussehende blaue Sessel und den gemütlichen Schaukelstuhl vor dem prasselnden Kamin. Zahlreiche blaue und beige Kissen und zusammengefaltete Wolldecken verbreiteten eine behagliche Atmosphäre. Gegenüber der Küchenzeile befand sich eine hübsche Essecke aus weißgestrichenem Holz mit einer Eckbank, auf der blaue Sitzkissen lagen.

Während ihr die Hütte gestern noch abweisend düster vorgekommen war, war jetzt alles in freundliches, warmes Licht getaucht. An den beiden Stirnseiten des Wohnraumes und über dem Esstisch verbreiteten altmodische, aber hübsche grüne Petroleumleuchter ihr gedämpftes Licht.

Erst jetzt nahm sie den einladend für zwei Personen gedeckten Frühstückstisch wahr, mit zwei blauen Tellern, Servietten, zwei großen blauen Bechertassen, Butter, Marmelade, Käse und einer brennenden Kerze in der Mitte.

Fast hätte sie gegrinst, aber sie biss sich schnell auf die Lippe. Er mochte zwar ein rauer Kerl sein, aber offenbar hatte er sich Mühe gegeben, um ein ansprechendes Frühstück vorzubereiten, wie sie anerkennend feststellte.

Ihr Fahrer stand immer noch mit dem Rücken zu ihr vor der Küchenzeile und schien sie noch nicht bemerkt zu haben.

Er trug heute einen grau und weiß gemusterten Norwegerpullover, eine enganliegende schwarze Trekkinghose, die seine muskulösen Beine betonte und dazu dicke schwarze Wollsocken.

Er kam ihr immer noch sehr groß vor. Er war mindestens ein Meter neunzig, vielleicht sogar noch größer, und seine Schultern wirkten ausgesprochen breit und athletisch. Aber immerhin erschien er ihr nicht mehr so bedrohlich und einschüchternd, wie gestern in dem unförmigen, schwarzen Schneeanzug.

Außerdem konnte sie nicht umhin festzustellen, dass er einen wirklich knackigen Po in der engen Stoffhose hatte.

Verlegene Hitze stieg in ihre Wangen, und sie sah schnell woanders hin.

Dann räusperte sie sich vernehmlich. „Guten Morgen.“

Er drehte sich überrascht zu ihr um. „Guten Morgen.“ Offensichtlich hatte er noch nicht mit ihr gerechnet.

Er kniff die Augen etwas zusammen und schien sie misstrauisch zu betrachten.

„Kaffee?“

Seine Stimme klang etwas herausfordernd, fast als wäre das ein Test.

Sie erinnerte sich an ihr blamables Verhalten gestern, als sie sich völlig übermüdet über den angebotenen Kaffee beklagt und Tee verlangt hatte. Dabei war sie gar nicht undankbar gewesen, sondern nur total erschöpft und verwirrt.

Katie musste sich ein Lachen verkneifen. Er sah sie so vorsichtig abwartend an, als wäre sie bissig.

„Das wäre wunderbar“, sagte sie mit einem strahlenden Lächeln und reichte ihm hilfsbereit die beiden Tassen vom Frühstückstisch. Wenn er sich Mühe gab, konnte sie das schließlich auch.

Aber ihr Lächeln schien seine Wirkung auf ihn zu verfehlen, denn er starrte sie nur einen Wimpernschlag lang konsterniert an, nahm ihr dann die Tassen ab und drehte sich schnell wieder um.

„Brot oder Haferbrei?“, murmelte er unwirsch, und es klang keinen Deut freundlicher als er gestern gewesen war.

Sie zuckte hinter seinem Rücken mit den Schultern.

Nun ja, was kümmerte es sie? Dann eben nicht. Sie mussten keine Freunde werden. Immerhin hatte sie es versucht. Vermutlich konnte sie schon dankbar sein, dass er ihr überhaupt etwas zum Frühstück anbot.

„Brot, bitte.“

Sie sah ihm zu, wie er Brotscheiben von einem knusprig aussehenden Laib abschnitt und hielt es vor Ungeduld nicht länger aus. Sie wollte jetzt endlich wissen, was hier los war.

„Warum haben Sie mich hierhergebracht, wenn Thyra in Longyearbyen ist? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn!“

Zu ihrer Überraschung nickte er nur zustimmend und atmete tief aus, als fände er das alles höchst ärgerlich.

„Genau das habe ich ihr auch gesagt, aber sie wollte ja nicht auf mich hören“, brummte er.

Er hatte das Brot in einen kleinen Korb gelegt und drückte ihr einen dampfenden Kaffeebecher in die Hand. Dann wies er auf den Esstisch, und sie setzen sich.

„Wissen Sie, Thyra kann wahnsinnig dickköpfig sein, wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat. Aber so war meine Schwester schon immer, schon als kleines Kind.“

„Thyra ist Ihre Schwester?“ Katie starrte ihn fassungslos mit weit aufgerissenen Augen an.

„Ja, habe ich das nicht erwähnt? Ich bin Magnus Larsen, Thyras älterer Bruder.“

Heiße Wut stieg in ihr auf. Am liebsten hätte sie ihn kräftig vors Schienbein getreten.

„Nein, haben Sie nicht“, murmelte sie mit zusammengebissenen Zähnen. Hätte er sich ihr gleich von Anfang an vernünftig vorgestellt, hätte er ihr gestern einen erheblichen Teil ihrer Beunruhigung und Verwirrung nehmen können. Vielleicht hätte er sie rein körperlich immer noch eingeschüchtert, groß und wortkarg wie er war, aber sie hätte sich dennoch erheblich besser gefühlt, wenn sie gewusst hätte, dass er und Thyra verwandt waren!

Was sie, bei Lichte betrachtet, ziemlich schwer vorstellbar fand, obwohl sie ihre Freundin nie persönlich getroffen hatte. Er war sicher das schwarze Schaf der Familie, mutmaßte sie grollend.

„Und warum hat sie das von Ihnen verlangt?“ Sie verstand es einfach nicht.

Er zuckte mit den Schultern.

„Meine Schwester wollte mit Ihnen hier eine Woche Urlaub verbringen, hat sie mir erzählt.“

Katie nickte nur bestätigend.

„Ich wollte zufällig in der gleichen Zeit zur Hütte, was fast nie vorkommt. Normalerweise kommen wir uns mit der Planung nicht in die Quere. Dann kam ganz kurzfristig bei ihr im Krankenhaus ein personeller Engpass dazwischen, aber Sie waren schon auf dem Weg nach Spitzbergen. Da sie Ihnen trotzdem den Urlaub in der Hütte ermöglichen wollte, hat sie mich gebeten, Sie einfach mitzunehmen. Ich soll Sie übrigens herzlich grüßen und Ihnen sagen, wie leid es ihr tut. Sie hofft, dass sie in der Familienhütte trotzdem gut zum Schreiben kommen, und würde Sie gerne noch nächste Woche in Longyearbyen treffen, bevor Sie zurückfliegen.“

Er seufzte schwer.

Katie wurde plötzlich klar, was für eine Zumutung ihre Anwesenheit für ihn vermutlich war. Er hatte allein ein paar freie Tage in der Hütte verbringen wollen, und dann hatte seine Schwester ihn dazu verdonnert, sie mitzunehmen und sich um sie zu kümmern …

Fast hätte sie sich bei ihm entschuldigt, aber sie hielt sich gerade noch rechtzeitig zurück. Sie hatte sich fest vorgenommen, sich nicht mehr ständig für alles Mögliche zu entschuldigen. Außerdem konnte sie ja gar nichts dafür. Schließlich war es allein Thyras Idee gewesen, auch wenn ihr schleierhaft war, wie ihre Autorinnen-Freundin darauf gekommen war.

Katie hätte erheblich lieber eine Woche in einem komfortablen Hotel in Longyearbyen verbracht und ab und zu Thyra zum Abendessen getroffen, als ihren geplanten Schreiburlaub hier mit diesem Miesepeter in der Wildnis zu verbringen!

Sie bestrich nachdenklich ein Brot mit Butter und verteilte die leuchtend orangene Marmelade darauf, die kein Etikett hatte und offenbar hausgemacht war. Als sie abbiss, breitete sich ein wunderbar süßsäuerlicher und unglaublich aromatischer Geschmack in ihrem Mund aus.

„Hm, wie lecker!“, rief sie aus. „Was ist denn das für eine Sorte? So etwas habe ich noch nie gegessen. Die schmeckt köstlich!“

Zum ersten Mal seit sie ihn getroffen hatte, schienen sich seine Züge zu entspannen, und er lächelte tatsächlich. Dabei hätte sie zuvor fast gewettet, dass er gar nicht wusste, wie man das machte.

„Das ist eine selbstgemachte Marmelade aus Moltebeeren von meiner Mutter. Sie macht sie jedes Jahr, sie sammelt auch die Beeren selbst eimerweise und hält das Rezept streng geheim. Aber die ganze Familie liebt die Marmelade.“

Unwillkürlich lächelte Katie auch und betrachtete ihn neugierig.

Wenn er lachte, wirkten seine Züge viel weicher und freundlicher. Die Brauen schienen nicht länger missmutig verzogen, sondern ganz entspannt. Seine hellen grünen Augen leuchteten, und das attraktive Grübchen, das in apartem Kontrast zu seinen kraftvollen, markanten Gesichtszügen stand, verlieh ihm fast etwas Jungenhaftes.

Er war ein zweifellos ausgesprochen attraktiver und anziehender Mann, wenn man auf den kraftvollen, großen Wikingertyp stand. Was sie eindeutig nicht tat, ihr Fall waren mehr die sensiblen Intellektuellen. Aber trotzdem war sie ja auch nicht blind.

„Sammelt Ihre Mutter die Beeren auf Spitzbergen?“, erkundigte sie sich neugierig, froh, dass sie ein scheinbar neutrales Gesprächsthema gefunden hatte.

„Nein“, antwortete er knapp und bedachte sie wieder mit diesem langen, genervten Blick, den sie inzwischen schon kannte und der ihr deutlich zu verstehen gab, dass sie von nichts eine Ahnung hatte.

„Die Beeren wachsen ausschließlich auf dem Festland in Norwegen und geographisch ähnlichen nordischen Ländern. Auf Spitzbergen gibt es nur hocharktische Tundra, hier ist es viel zu kalt. Keine Beeren, Büsche oder Bäume, dafür liegt es zu weit nördlich. Wir sind hier immerhin kurz vor dem Nordpol.“ Sein Ton klang äußerst oberlehrerhaft und brachte sie gleich wieder auf die Palme.

Schon gut, dachte sie ungeduldig. Woher sollte sie das denn wissen, woher solche Beeren kamen? Sie hatte nur etwas Konversation machen wollen. Der Mann war unmöglich und unfassbar arrogant!

„Ach so“, sagte sie freundlicher, als sie eigentlich gerade empfand. Aber eine Weile musste sie es wohl oder übel noch hier mit ihm aushalten. Was sie gleich zu ihrer nächsten Frage brachte.

„Was glauben Sie, wann wir von hier wieder wegfahren können?“ Sie blickte aus dem Fenster, an das immer wieder Flocken gewirbelt wurden. Das Schneesturm schien anzuhalten. Doch er hatte mehr als deutlich gemacht, dass er sie auch nicht hier haben wollte. Es konnte nur in seinem Interesse sein, sie möglichst schnell nach Longyearbyen zurückzubringen und wieder los zu sein. Wenn Sie richtig schätzte, hatte die Fahrt gestern etwa zwei Stunden gedauert. Sicher würde er es liebend gerne auf sich nehmen, zwei Stunden hin und zurück zur Siedlung fahren zu müssen, wenn er dafür die Hütte dann endlich wie geplant für sich allein hatte.

Er blickte aus dem Fenster und zuckte mit den Schultern. „Das ist schwer zu sagen. So ein Sturm kann ein paar Stunden oder schlimmstenfalls auch ein paar Tage dauern, das weiß man nie so genau. Im Augenblick ist das Wetter jedenfalls noch zu schlecht, um es zu versuchen. Das wäre Wahnsinn.“

Plötzlich spannten sich seine Kiefernmuskeln an, und im selben Moment meinte Katie draußen eine Bewegung in der Dunkelheit gesehen zu haben.

Beunruhigt sah sie aus dem Fenster, aber sie konnte nichts erkennen außer der abs...

Autor

Millie Adams
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Ann Mc Intosh
<p>Ann McIntosh kam in den Tropen zur Welt, verbrachte einige Jahre im kalten Norden und lebt jetzt mit ihrem Ehemann im sonnigen Florida. Sie ist stolze Mutter von drei erwachsenen Kindern, liebt Tee, Basteln, Tiere (außer Reptilien!), Bacon und das Meer. Sie glaubt fest an die heilenden und inspirierenden Kräfte...
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