Bianca Gold Band 52

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MÄRCHENPRINZ SUCHT ASCHENPUTTEL von PADE, VICTORIA
Journalistin Tanya recherchiert über die reichen McCords. Aber Vorsicht: Tate McCord, erfolgreicher Chirurg, ist ein Märchenprinz - verlobt mit einer Society-Schönheit. Tanya dagegen, Tochter seiner Haushälterin, ist nur das arme Aschenputtel. Doch manchmal werden Märchen wahr …

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  • Erscheinungstag 19.07.2019
  • Bandnummer 0052
  • ISBN / Artikelnummer 9783733737467
  • Seitenanzahl 447
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Victoria Pade, Cathy Williams, Jen Safrey

BIANCA GOLD BAND 52

1. KAPITEL

„Manchmal verstehe ich dich einfach nicht, Blake. Letzte Woche erzählst du mir, dass McCord Jewelers rote Zahlen schreiben, dass du aber glaubst, wir könnten den Santa-Magdalena-Diamanten finden und damit alle Probleme lösen. Und jetzt reißt du mir fast den Kopf ab, nur weil ich mich nach deinen Fortschritten erkundige.“

Tanya Kimbrough zuckte erschrocken zusammen.

Es war nach elf Uhr abends, und sie hatte hier in der Bibliothek nichts zu suchen. Der vornehm eingerichtete Raum mit den hohen Bücherregalen gehörte zum Anwesen der McCords, der Familie, für die ihre Mutter als Haushälterin arbeitete.

Doch Tanya war nun einmal neugierig. Ihre Mutter schlief schon längst, und die McCords befanden sich auf einem Wohltätigkeitskonzert. Angeblich. Warum Tate McCord und sein älterer Bruder Blake nun trotzdem nebenan im Salon standen und sich stritten, wusste sie nicht.

Wie ertappt stand sie in der Bibliothek. Sie hatte sogar die Deckenbeleuchtung eingeschaltet, weil sie dachte, sie wäre ganz allein im Haus.

Verschwinde auf demselben Weg, den du gekommen bist, schoss es ihr durch den Kopf.

Das Licht konnte sie auf keinen Fall ausmachen, das wäre nebenan sofort aufgefallen, denn die Tür zum Salon stand einen Spalt offen. Gekommen war sie durch die Terrassentür, die in den Garten führte – und sie hatte den Generalschlüssel ihrer Mutter benutzt, um sie zu öffnen. Wenn sie sich jetzt aus dem Staub machte, würde das nie jemand erfahren.

Sie musste einfach nur zur Terrasse schleichen und …

Doch dann gab Blake McCord seinem Bruder endlich eine Antwort, und Tanya blieb, wo sie war. Wenn sie dieses Gespräch belauschte, verhalf ihr das zu viel mehr nützlichen Informationen als die Aktenmappe, die sie auf dem Lesepult gefunden hatte.

„Die Suche nach dem Santa-Magdalena-Diamanten läuft“, erklärte Blake. „Und wir sind dabei, gelbe Diamanten aufzukaufen, die dazu passen, um eine neue Schmuckkollektion herauszubringen. Zeitgleich haben wir eine Werbekampagne gestartet, um die Kunden neugierig zu machen und das Geschäft anzukurbeln. Mehr brauchst du nicht zu wissen. Wir haben schließlich mal abgemacht, dass ich das Unternehmen leite und dich – genau wie die anderen – nur über das wirklich Wichtige informiere. Du solltest dich lieber mehr um deine Verlobte kümmern. Finde ich jedenfalls.“

„Das geht dich überhaupt nichts an“, gab Tate zurück.

Sein scharfer Tonfall überraschte Tanya. Normalerweise verstanden sich die beiden Brüder gut, und Tate war sowieso der umgänglichere. Doch Tanyas Mutter hatte schon mehrmals erwähnt, dass Tate sich verändert hatte, seit er aus dem Irak zurückgekehrt war. Jetzt verstand Tanya, wie sie das meinte.

„Es geht mich vielleicht nichts an, aber ich sage trotzdem, was ich denke“, beharrte Blake. „Einer muss es ja tun. Du benimmst dich Katie gegenüber ziemlich gleichgültig. Wenn du ihr nicht bald mal zeigst, dass sie dir etwas bedeutet, hat sie irgendwann genug von dir.“

Katie, das war Katerina Whitcomb-Salgar, die Tochter einer befreundeten Familie aus der High Society. Alle, die mit den McCords zu tun hatten, rechneten schon lange damit, dass sie Tate demnächst heiraten würde.

„Du wirst Katie verlieren“, erklärte Blake aufgebracht. „Und das geschieht dir dann ganz recht!“

„Sorg du dafür, dass wir aus den roten Zahlen kommen. Wenn ich deinen Rat hören will, frage ich dich einfach, okay?“, erwiderte Tate heftig.

Damit schien das Gespräch beendet zu sein, denn Tanya hörte Schritte. Doch nur ein Bruder verließ den Salon. Der andere …

… kam direkt auf die Tür zur Bibliothek zu.

Jetzt war es zu spät, um unauffällig zu verschwinden.

Tanya ging hinter dem Lesepult in Deckung und hoffte, dass es sie verdeckte, wenn er die Tür weiter öffnete, um das Licht auszuschalten.

Dann durchfuhr sie ein heißer Schreck. Was hatte ihre Mutter noch erzählt? „Tate will nicht mal mehr im Hauptgebäude wohnen, seit er aus dem Irak zurück ist. Er hat sich im Gästehaus einquartiert …“

Und das stand im Garten. Also wollte Tate – wenn er es denn war – möglicherweise nicht nur das Licht ausmachen, sondern durch die Bibliothek nach draußen gehen …

Tanyas Herz hatte schon schneller geschlagen, seit sie die Stimmen der McCords gehört hatte. Doch jetzt raste ihr Puls geradezu. Dass sie sich zu so später Stunde in der Bibliothek aufhielt, hätte sie ja vielleicht noch erklären können. Aber gab es einen vernünftigen Grund, weshalb sie sich hinter dem Pult versteckte?

Ganz abgesehen davon, dass sie die Papiere, in denen sie geschnüffelt hatte, noch in der Hand hielt. Das fiel ihr allerdings erst jetzt auf.

Bitte, bitte, komm nicht rein …

„Was ist denn hier los?“

Oh nein …

Tanya hatte sich so klein wie möglich gemacht, doch als Tate McCords Stimme in ihren Ohren dröhnte, hob sie den Kopf und merkte, dass er sich über das Pult beugte und sie sehen konnte.

Diese Situation war weitaus schlimmer als damals, als sie dabei erwischt worden war, wie sie von der Geburtstagstorte seiner Schwester naschte. Seine Mutter Eleanor hatte damals sehr verständnisvoll reagiert und gelächelt. Tate McCord dagegen sah in diesem Moment alles andere als freundlich aus.

So würdevoll wie möglich stand sie auf, die Blätter noch immer in der Hand. Sie und Tate hatten sich sieben Jahre lang nicht gesehen, weil sie in Kalifornien aufs College gegangen war. Und selbst davor, als sie bei ihrer Mutter in dem kleinen Dienstbotenhaus auf dem Gelände gewohnt hatte, hatten sich ihre Wege nicht oft gekreuzt. Schließlich war sie hier nur die Tochter der Haushälterin. Die McCords sahen sie zwar hin und wieder, nahmen sie aber gar nicht richtig wahr.

Da sie nicht wusste, ob Tate McCord sie überhaupt wiedererkannte, sagte sie zögernd: „Wahrscheinlich erinnerst du dich nicht an mich …“

„Du bist Tanya, JoBeths Tochter. Aber was zum Teufel machst du hier mitten in der Nacht?“

Er warf einen Blick auf die Papiere, die sie hielt, streckte schweigend die Hand danach aus und blätterte sie durch. Es handelte sich um Entwürfe für Anzeigen, die eine neue Schmuckkollektion mit gelben Diamanten bewarben. Tanya hatte sie aus der Mappe genommen, die aufgeschlagen auf dem Lesepult lag.

Während Tate sich mit den anderen Entwürfen in der Mappe beschäftigte, dachte Tanya darüber nach, warum sie ihren kleinen Ausflug ausgerechnet in einem alten, verwaschenen, viel zu großen Sweatshirt und schwarzer Schlafanzughose mit aufgedruckten Comicfiguren gemacht hatte. Hätte sie sich wenigstens die Wimpern getuscht und ihr schulterlanges dunkelbraunes Haar nicht zu einem achtlosen Pferdeschwanz gebunden!

Dass sie aussah, als käme sie gerade aus dem Bett, machte die Situation auch nicht besser. Als sie merkte, dass ihr der weite Ausschnitt des Sweatshirts über die Schulter gerutscht war, zupfte sie ihn so unauffällig wie möglich wieder zurecht.

Tate McCord sah es trotzdem, weil er ausgerechnet in diesem Moment aufblickte. Überrascht stellte Tanya fest, dass seine Augen viel blauer waren, als sie sie in Erinnerung hatte.

Leider wirkte er noch immer ärgerlich.

„Ich frage noch mal: Was machst du hier um diese Zeit, und was fällt dir ein, in Papieren herumzuschnüffeln, die dich nichts angehen?“

Er warf die losen Blätter zurück in die Mappe.

„Ich weiß, dass das nicht gut aussieht“, murmelte sie zerknirscht.

Ganz im Gegensatz zu ihm. Er sah sogar noch besser aus als früher. Groß und schlank war er schon immer gewesen, doch jetzt wirkten seine Schultern breiter und sein Körper muskulöser. Seine Gesichtszüge waren klarer, mit einem kantigen Kinn und hohen Wangenknochen. Die Lippen hatte er im Moment streng zusammengepresst, was zusammen mit seiner schmalen Nase und dem durchdringenden Blick etwas Furcht einflößend wirkte. Trotzdem bemerkte sie, wie gut es ihm stand, dass er das dunkelblonde Haar jetzt länger trug als früher.

Aber er wartete auf ihre Antwort.

„Meine Mutter hat heute bei der Arbeit ihre Strickjacke hier liegen lassen“, erklärte sie und deutete auf das Kleidungsstück, das über der Stuhllehne hinter ihr hing. „Sie friert leicht, wenn sie morgens durch den Park zum Haus hinübergeht, und da wollte ich sie ihr heute noch holen.“

Das war nicht gelogen, klang allerdings angesichts der Tatsachen sehr fadenscheinig.

„Da du gerade schon mal hier warst, hast du dir gedacht, du schaust dich mal um. Und zwar nach Dingen, die dich absolut nichts angehen. Dann hast du dich hinter dem Pult versteckt, damit Blake und ich nicht merken, dass du uns belauschst? Oder willst du mir erzählen, du hättest nichts gehört?“

Sein Tonfall war schneidend und ironisch. Dass er mit allen Anschuldigungen recht hatte, machte die Sache nicht besser.

Vielleicht war Angriff hier die beste Verteidigung …

„Ich habe jedenfalls genug gehört. An den ganzen Gerüchten, dass es mit McCord Jewelers bergab geht, ist ja offenbar etwas dran. Und anscheinend stimmt es sogar, dass ihr den Santa-Magdalena-Diamanten sucht.“

„Also hast du eine ganze Menge gehört.“

„Ich gebe zu, dass ich neugierig geworden bin, als ich zufällig die Mappe sah“, fuhr sie fort. „Sie lag nämlich schon offen da …“

Jetzt fing Tanya an, Märchen zu erzählen. Erstens hatte sie die Mappe selbst aufgeschlagen, und zweitens hatte sie sich nur deshalb auf die Suche nach der Strickjacke ihrer Mutter gemacht, weil sie hoffte, in der Bibliothek auf interessante Informationen zu stoßen. Schließlich hielten die McCords hier manchmal geschäftliche Besprechungen ab.

„Aber wo ich das nun alles weiß, kann ich es ja vielleicht für eine spannende Reportage nutzen“, schloss sie.

„Ist das der Dank dafür, dass ich deiner Mutter den Gefallen getan habe und deinen Lebenslauf an meinen Freund beim Regionalfernsehen geschickt habe?“

„Ich wusste nicht, wer mir das Bewerbungsgespräch vermittelt hatte, aber trotzdem nochmals vielen Dank dafür.“

„Oh, keine Ursache, gern geschehen“, erwiderte er bissig.

„Aber die Sache ist die …“, fuhr sie ungerührt fort, „… als Neuling fängt man bei so einem Sender ganz unten an. Soll heißen, bei den langweiligen Sachen, zu denen die anderen Reporter keine Lust haben.“

„Ah, ich hätte also dafür sorgen sollen, dass du gleich eine Führungsposition bekommst?“

„Darum geht es doch gar nicht. Was ich sagen will, ist, dass … na ja, die McCords und die Foleys, ihre ewige Fehde – und jetzt noch die Sache mit dem Diamanten, der vielleicht auf Foley-Land versteckt ist … Das sind für einen Regionalsender wie meinen alles Top-News, und wenn ich darüber etwas bringen kann, ist das für mich eine echte Karrierechance.“

Ganz zu schweigen von den anderen Gerüchten, die sich die Hausangestellten erzählten, und die bisher der Öffentlichkeit noch nicht bekannt waren. Zum Beispiel, dass Tates Mutter Eleanor eine Affäre mit Rex Foley gehabt hatte und Tates jüngster Bruder in Wahrheit dessen Sohn war …

Tates Blick war schon vorher grimmig gewesen, aber jetzt wurde er eisig.

Tanyas Anspannung wuchs. War sie zu weit gegangen? Schließlich arbeitete ihre Mutter hier …

„Wie wäre es denn mit einem Bericht darüber, dass die Tochter der Haushälterin wegen Hausfriedensbruchs, Einbruchs und Diebstahls verhaftet wurde, falls etwas fehlt?“, donnerte Tate McCord.

Der letzte Punkt kam ihr äußerst ungerecht vor. Na gut, sie steckte ihre Nase in Dinge, die sie nichts angingen, um an eine gute Story zu kommen, aber eine Diebin war sie nicht!

„Falls etwas fehlt?“, wiederholte sie entrüstet. „Na, dann schau doch nach, wenn du willst. Außer der Strickjacke meiner Mutter und der Aktenmappe habe ich hier nichts angerührt. Ich habe mir fast nichts zuschulden kommen lassen.“

„Fast nichts?“ Tate lachte trocken. „Glaub mir, bei unseren guten Beziehungen kannst du auch wegen ‚fast nichts‘ verhaftet werden. Und was, meinst du, sagt deine Mutter dazu, dass du das Vertrauen, das wir in sie haben, so missbrauchst?“

„Soll das eine Drohung sein? Das sage ich aber deiner Mami?“ Tanya schaffte es, ihre Stimme sarkastisch klingen zu lassen, obwohl ihr der Gedanke an ihre Mutter weitaus unangenehmer war als der an die Polizei.

Tate ging gar nicht auf ihre Bemerkung ein, sondern klappte die Mappe zu und legte die Hand darauf, als wolle er sie vor ihren Blicken schützen.

„Jedenfalls können die McCords im Moment keinen Verräter in ihrer Mitte dulden“, erklärte er kühl.

„Das bin ich ja auch nicht“, widersprach Tanya hitzig. Dieser Vorwurf traf sie hart, härter als alles, was er bisher gesagt hatte.

„Ach, dann bist du aus lauter Loyalität hier?“

Sein schneidend-ironischer Tonfall war schwer zu ertragen.

„Ich wollte nur einen Insiderbericht. Seit das Schiffswrack entdeckt wurde, von dem der Santa-Magdalena-Diamant angeblich stammt, ist das Interesse an der Sache wieder gestiegen, und ich dachte …“

„… dass du die Vertrauensstellung deiner Mutter hier zum Herumschnüffeln ausnutzen kannst.“

So langsam machte sich Tanya wirklich Sorgen, dass ihr Handeln Folgen für ihre Mutter haben könnte. Das hatte sie auf keinen Fall gewollt. „Es tut mir leid, okay?“, gab sie nach. „Ich hätte nicht …“

„Aber du hast es nun mal getan, und …“

„Na schön, wenn du die Polizei holen willst, nur zu. Aber lass meine Mutter aus dem Spiel. Sie schläft tief und fest und hat keine Ahnung, dass ich hier bin. Oder dass ich vorhatte, herzukommen.“

Daraufhin schwieg er nachdenklich, und Tanya malte sich aus, wie ihre Schlafanzughose und das Flashdance-T-Shirt auf die Polizei wirken würden. Doch dann sagte er: „Was hältst du von einem Deal?“

Tanya hob die Augenbrauen und wartete.

„Ich werde niemandem etwas von deinem kleinen Ausflug heute Nacht erzählen – wenn du das, was du heute erfahren hast, für dich behältst.“

Lieber ging sie im Schlafanzug ins Gefängnis. „Du erwartest, dass ich nichts davon verwende? Ich soll so tun, als wüsste ich nicht, dass ihr glaubt, den Diamanten finden zu können? Dass dein Bruder sogar die Zukunft der Firma davon abhängig macht?“

„Ja, genau das erwarte ich von dir.“

„Das finde ich aber sehr unfair!“, rief sie aufgebracht. „Endlich habe ich mal etwas, was meiner Karriere wirklich nützlich sein könnte, und da verlangst du, dass ich es nicht einsetze! Wir wissen doch beide, dass es früher oder später sowieso herauskommt. Und dann schnappt sich jemand anders die Story. Ich gebe ja zu, dass es nicht in Ordnung war, mich hier reinzuschleichen, aber warum sollte ich dafür bestraft werden, dass meine Mutter hier arbeitet?“

Tate McCord sah sie durchdringend an. Aber wenn er glaubte, dass sie deshalb klein beigeben würde, hatte er sich getäuscht.

Anscheinend wurde ihm das auch klar, als sie seinen Blick furchtlos erwiderte, denn er nahm die Hand von der Mappe und richtete sich auf. „Na schön, die Sache sieht so aus: Ob wir den Diamanten haben oder nicht, ob wir wissen, wo er ist, und ob wir ihn finden können, sind alles völlig offene Fragen. Blake spielt ein riskantes Spiel. Aber wenn – und das ist ein großes Wenn – wir den Diamanten wirklich finden und alles gut läuft, dann bekommst du die Exklusivrechte an der Story.“

„Du willst also Zeit schinden“, bemerkte sie sachlich.

Er hob eine Augenbraue und schwieg.

„Da musst du mir schon etwas mehr bieten“, fuhr Tanya fort. Wenn sie schon alles auf eine Karte setzte, sollte es sich am Ende wenigstens lohnen.

„Bieten?“

Offenbar überraschte ihn ihre Dreistigkeit, doch davon ließ sie sich nicht beirren. „Ich will die ganze Geschichte – und damit meine ich alles von Anfang an. Damit ich, wenn der Diamant sich als Legende erweist, trotzdem etwas habe, was mich beim Sender voranbringt. Wie gesagt, was die McCords und Foleys machen, landet immer in den Nachrichten. Aber es gibt eine Menge Details und Hintergründe, von denen ich nichts weiß. Und wenn nicht mal ich die ganze Familiengeschichte kenne, obwohl ich hier auf dem Anwesen aufgewachsen bin, dann geht es den meisten anderen Menschen bestimmt auch so. Diese Fakten werden am Ende meinen Bericht über den Fund des Diamanten abrunden – wenn es so weit kommt. Oder aber ich mache daraus ein spannendes Gesellschaftsporträt über die beiden berühmtesten und einflussreichsten Familien in Dallas. Und warum sie sich so hassen.“

„Von welchen Details und Hintergründen reden wir hier?“, fragte Tate im Verhandlungston.

„Insiderinformationen über die Familie. Die persönlichen Dinge, die nicht in den offiziellen Pressemitteilungen stehen. Ich will alles über die Fehde mit den Foleys wissen. Die ganze Wahrheit. Und alles über das Schmuckimperium, einschließlich der Bilanz. Das komplette Paket, damit es auch dann noch ein guter Bericht wird, wenn sich die Sache mit dem Diamanten als Windei herausstellt.“

„Du willst uns ausschlachten“, stellte Tate fest.

„Nein, ich will nur die Wahrheit, und zwar über das hinaus, was alle wissen. Und das Ganze hat sogar noch einen Vorteil – du hast mir einen Job bei einem Nachrichtensender verschafft, der nicht den Foleys gehört. Also kann mich niemand zwingen, euch schlecht aussehen zu lassen. Meine Mutter arbeitet für euch, und ich bin hier aufgewachsen – das ist doch schon fast eine Garantie dafür, dass ihr in dem Bericht gut wegkommt.“

„Ich kann dich immer noch verhaften lassen und dafür sorgen, dass du deinen Job verlierst.“

„Und dann könnte ich mich an einen Sender wenden, der den Foleys gehört, und den Bericht aus ihrer Sicht verfassen.“

Wieder bedachte Tates sie mit einem eisigen Blick. „Ich mag deine Mutter.“

Was wohl heißen sollte, dass Tanya ihm nicht besonders sympathisch war. Eigentlich hätte ihr das egal sein können, aber das war es nicht. Doch sie ließ sich nichts anmerken und hob trotzig den Kopf.

Zu ihrer Überraschung lachte er laut auf. „Und ich soll dann wohl deine Quelle sein?“

„Du hast den Deal ja auch vorgeschlagen.“

Sie war sich nicht sicher, ob ihm das nun gefiel oder nicht, aber immerhin lächelte er und sagte: „Einverstanden. Du behältst das, was du heute gehört hast, noch eine Weile für dich, und ich weihe dich in die Familiengeheimnisse ein und verschaffe dir die Exklusivrechte, wenn wir den Diamanten finden.“

Er streckte ihr die Hand entgegen.

Tanya schüttelte sie fest, um zu zeigen, dass sie sich nicht so leicht einschüchtern ließ. Allerdings war sie nicht darauf gefasst, dass sie die Berührung so intensiv empfinden würde. Sie spürte seine weiche Haut, angenehme Wärme, ein Kribbeln, das ihren Arm hinauf schoss. Plötzlich hörte der Körperkontakt auf, und sie ertappte sich dabei, dass sie das bedauerte.

Aber das ging ja wohl gar nicht …

„Dann sage ich jetzt mal besser Gute Nacht.“ Nun hatte sie es wirklich eilig, hier herauszukommen. Bevor noch etwas anderes total Verrücktes passierte. Oder sie etwas total Verrücktes tat …

„Gute Idee.“

Tanya kam hinter dem Pult vor, griff nach der Strickjacke auf der Stuhllehne und verschwand durch die Flügeltüren in den Garten. Sie achtete darauf, hoch erhobenen Hauptes und langsam zu gehen, denn Tate McCord hatte sie bis zur Terrasse begleitet und blickte ihr nach. Wahrscheinlich, um sich zu überzeugen, dass ich nicht zurückkomme, dachte sie.

Auf dem schmalen Weg, der durch den weitläufigen, baumreichen Park zu dem kleinen einstöckigen Häuschen führte, in dem ihre Mutter wohnte, dachte sie daran, was die anderen Hausangestellten über Tate erzählt hatten. Aber das stimmte alles gar nicht! Auf sie hatte er nicht düster, in sich gekehrt und niedergeschlagen gewirkt. Sondern im Gegenteil sehr lebendig und temperamentvoll.

Und zwar so sehr, dass sogar bei einem einfachen Händedruck ein Funke auf sie übergesprungen war.

2. KAPITEL

Seit anderthalb Jahren schlief Tate McCord nicht mehr besonders gut, und die letzte Nacht war auch keine Ausnahme gewesen. Gegen Viertel vor sieben setzte er sich mit seinem Kaffee an einen der Gartentische beim Pool. Edward, der Butler, hatte ihm schon die Zeitung vor die Tür gelegt – wie er es jeden Morgen tat, seit Tate aus dem Nahen Osten zurückgekehrt und ins Gästehaus gezogen war.

Allerdings interessiert ihn die Zeitung nicht besonders. Er wusste ja, was drinstand – Berichte über den Irak und Afghanistan. Als Buzz noch dort im Einsatz gewesen war, hatte Tate alle Neuigkeiten sofort besorgt gelesen, doch Buzz war tot. Und seit er selbst ein Jahr im Irak verbracht hatte, vermied er lieber alles, was ihn daran erinnerte.

Jetzt nimm dich aber mal zusammen, Kumpel!

Das würde Buzz sagen, wenn er Tate so sehen könnte. Buzz hätte kein Verständnis für die düstere Stimmung gehabt, die Tate seit dem Tod seines besten Freundes beherrschte.

Bentley „Buzz“ Adams, den er von klein auf kannte … Er war der Nachkomme einer angesehenen Reihe von Generälen, von denen einige sogar als Berater im Weißen Haus gedient hatten. Um seinem Sohn das ständige Umziehen zu ersparen, was eine Karriere beim Militär nun einmal mit sich brachte, hatte Buzz’ Vater ihn bei seinen Großeltern aufwachsen lassen, die gleich um die Ecke vom McCord-Anwesen wohnten.

Und so waren Tate und Buzz zusammen zur Schule gegangen und hatten danach dasselbe College besucht. Sie hatten gemeinsam Medizin studiert und sich an derselben Klinik um eine Assistenzarztstelle beworben. Doch dann hatte sich Tate für eine Facharztausbildung in Chirurgie entschieden, und Buzz war der Familientradition gefolgt und hatte sich als Militärarzt zum Einsatz gemeldet.

Es war das erste Mal, dass sie getrennte Wege gingen.

Und Buzz war dabei umgekommen.

Seitdem war Tate nicht mehr unbeschwert und sorglos. Er wusste, dass sich alle Menschen in seinem Umkreis fragten, was mit ihm los war, doch er konnte diese trübe Stimmung nicht so einfach abschütteln.

Seit Buzz’ Tod war ihm alles egal.

Zum Beispiel die Tatsache, dass Katie vorgeschlagen hatte, die Verlobung zu lösen. Er war sofort einverstanden gewesen, denn sie hatte in allem recht: Sie hatten sich nur verlobt, weil sie sich seit Ewigkeiten kannten und jeder aus ihrem Umfeld damit rechnete, dass sie irgendwann heiraten würden. Vor allem ihre Eltern.

Doch nun hatte Katie ihm gestanden, dass sie zwar tiefe Freundschaft für ihn empfand, aber keine Leidenschaft. Und er verstand sofort, was sie meinte, denn es ging ihm umgekehrt genauso.

Es machte ihm also nichts aus, dass er jetzt nicht mehr verlobt war. Auch nicht, dass Katie ihn gebeten hatte, diese Neuigkeit geheim zu halten, bis sie in Florida mit ihren Eltern gesprochen hatte.

Seit Buzz’ Tod und vor allem seit seiner Rückkehr vor sechs Monaten aus Bagdad ließen Tate die meisten Dinge, die anderen Menschen wichtig waren, völlig kalt.

Er trank einen Schluck Kaffee, stellte die Tasse zurück auf die Untertasse und starrte auf das dampfende Getränk. Da er seinen Kaffee stark und ohne Milch trank, erinnerte ihn die Farbe an Tanya Kimbroughs Augen. Die waren auch so dunkelbraun gewesen, als sie ihm gestern Abend die Stirn geboten hatte.

Und das ließ ihn absolut nicht kalt. Als er sie in der Bibliothek überrascht hatte, war er im Geist sein Gespräch mit Blake durchgegangen – und hatte festgestellt, dass sie Dinge gehört haben musste, die absolut niemanden etwas angingen.

Dazu kamen noch die Anzeigenentwürfe, die sie gesehen hatte. Zwar handelte es sich nicht um die endgültigen Layouts, aber trotzdem waren sie nicht für die Augen von Außenstehenden bestimmt.

Nicht auszudenken, wenn Tanya vorzeitig darüber berichtete, dass die McCords den Santa-Magdalena-Diamanten suchten! Zum Glück hatte Blake nichts von dem entscheidenden Hinweis erwähnt, den sie letztens gefunden hatten. Trotzdem wäre es eine Katastrophe, wenn der Diamant zu diesem Zeitpunkt wieder ins Interesse der Öffentlichkeit rückte. Unzählige Schatzjäger würden sich aufmachen und die Suche der McCords erschweren. Oder den Diamanten möglicherweise zuerst finden.

Das durfte auf keinen Fall geschehen.

Genauso schlecht war es, wenn Tanya erwähnte, dass Blake gelbe Diamanten aufkaufte, um eine neue Schmuckkollektion herauszubringen. Die Konkurrenz würde sofort versuchen, gleichzuziehen oder gegenzusteuern, und damit den Marktvorteil zunichtemachen.

Das waren alles andere als gute Aussichten.

Ganz zu schweigen davon, dass McCord Jewelers empfindliche Einbußen erlitten hatten. Das durfte auf keinen Fall bekannt werden.

Und da sein Bruder sowieso schon alle Hände voll damit zu tun hatte, das Unternehmen zu retten, hatte Tate beschlossen, sich um die allzu neugierige Tochter der Haushälterin selbst zu kümmern.

Nur deshalb hatte er ihr den Deal vorgeschlagen. Er konnte sie schließlich nicht einfach so mit den vertraulichen Informationen davonziehen lassen. Besser, er behielt sie ganz genau im Auge, auch wenn das bedeutete, dass er ihr in den nächsten Wochen kaum von der Seite weichen konnte.

Da bringst du ja wirklich ein großes Opfer, du Armer …

Das hätte Buzz gesagt. Zugegeben, es gab gewiss Schlimmeres, als darauf zu achten, dass eine schöne Frau keine Dummheiten machte.

Und Tanya war unbestritten eine schöne Frau.

Das magere, schlaksige Mädchen von damals hatte sich zu einer wahren Schönheit entwickelt.

Ihr Haar war so dunkelbraun wie ihre Augen und glänzte wie Seide. Mit ihrem hellen Teint, der keinerlei Make-up brauchte, um zu strahlen, war sie die hübscheste Einbrecherin, die er je gesehen hatte. Ihre hohen, zarten Wangenknochen und die schmale Nase betonten die großen Augen, und die vollen Lippen standen im reizvollen Gegensatz zu dem etwas kantigen Kinn, das ihr Durchsetzungsvermögen unterstrich.

Im Gegensatz zu ihrer Mutter, die groß, aber ein bisschen pummelig war, wirkte Tanya zierlich. Obwohl gertenschlank, hatte sie an den richtigen Stellen verführerische Kurven – das nahm er jedenfalls an, denn das übergroße Sweatshirt war nicht sehr körperbetont gewesen. Dafür hatte es einen Moment lang den Blick auf ihre Schulter freigegeben. Bevor sie es bemerkt und das Shirt wieder zurechtgezogen hatte.

Doch der Anblick ihrer zarten, hellen Haut hatte seinen Puls beschleunigt. Was äußerst bemerkenswert war, denn in letzter Zeit hatte ihn ja alles kaltgelassen. Und dann kam etwas so Unschuldiges wie eine nackte Schulter …

Dabei sah er als Arzt ja ständig unbekleidete Körperteile. Wieso brachte also gerade Tanya Kimbroughs Schulter seinen Herzschlag aus dem Takt?

Vielleicht lag es am Adrenalinschub. Zuerst hatte er natürlich gedacht, ein Fremder verstecke sich in der Bibliothek, und bestimmt hatte sein Körper darauf entsprechend reagiert.

Und wenn es etwas ganz anderes gewesen war?

Müßig, darüber zu spekulieren.

Jedenfalls empfand er es nicht als unangenehm, ein Auge auf Tanya zu haben.

Im Gegenteil, er freute sich sogar darauf.

Wenn er darüber nachdachte, hatte ihm der kleine Schlagabtausch mit ihr sogar Spaß gemacht. Und er hatte nichts dagegen, wenn sich so etwas wiederholte.

Dass sie ihm furchtlos die Stirn geboten hatte, obwohl sie in einer lächerlichen Schlafanzughose und einem übergroßen Sweatshirt gesteckt hatte, und dass er den Impuls verspürt hatte, ihren Pferdeschwanz zu lösen, damit er das seidige Haar über ihre Schultern fallen sah, dass er sich sogar kurz gefragt hatte, wie ihre Lippen sich anfühlen würden … All das tat überhaupt nichts zur Sache, denn schließlich ging es hier nur darum, seine Familie und das Unternehmen vor ihr zu beschützen.

Trotzdem …

Er freute sich wirklich darauf, sie wiederzusehen.

„Was machst du denn hier?“

Offensichtlich war Tate ziemlich überrascht, Tanya zu begegnen, als er am Samstagabend um acht aus einem der Operationssäle des Meridian General Hospital kam.

„Ich habe doch gesagt, dass wir miteinander reden müssen – ob es dir nun gefällt oder nicht“, erklärte sie.

„Wann hast du mir das gesagt?“

„Am Schluss der sechzehnten Voicemail, die ich dir heute hinterlassen habe.“

„Ich wurde heute Morgen zu einem Notfall gerufen und stehe jetzt seit …“ – er warf einen Blick auf die große Wanduhr – „… elf Stunden und zwanzig Minuten ununterbrochen im OP. Da habe ich nicht viel Zeit, meine Nachrichten abzuhören.“

„Na gut, dann hast du eben elf Stunden und zwanzig Minuten operiert, aber wir müssen trotzdem miteinander reden“, beharrte sie.

„Nach sechzehn Voicemails sollten wir das wohl“, gab er trocken zurück. „Aber zuerst muss ich der Familie des Patienten Bescheid sagen, dass alles gut verlaufen ist, und dann die Anweisungen für seine Weiterbehandlung geben. Und danach wollte ich eigentlich im Bistro gegenüber eine Kleinigkeit essen, bevor ich das zweite Unfallopfer operiere. Wenn du also unbedingt mit mir reden willst, kannst du entweder hier auf mich warten oder schon mal ins Bistro vorgehen. Jedenfalls habe ich nur ein paar Minuten Zeit, bevor ich wieder in den OP muss.“

Dass er ihr vorschrieb, was sie tun sollte, ärgerte sie zwar, aber was blieb ihr anderes übrig? „Ich warte hier“, erklärte sie kühl.

Jetzt, da sie ihn endlich gefunden hatte, würde sie ihn ganz gewiss nicht wieder entwischen lassen. Daher setzte sie sich auf den Plastikstuhl und beobachtete, wie Tate mit der Familie seines Patienten redete. Anschließend ging er zum Schwesternzimmer und sprach mit einer der Krankenschwestern, und während er darauf wartete, dass sie seinen Auftrag ausführte, ließ Tanya ihn nicht aus den Augen.

Dabei fiel ihr auf, dass sie Tate McCord über die Jahre schon in allen möglichen Outfits vom Smoking bis zum Tennisdress gesehen hatte – aber noch nie in grüner OP-Kleidung, die sie an einen Schlafanzug erinnerte. Unglaublich, wie sexy er darin aussah.

Zu allem Überfluss rollte er jetzt auch noch die Schultern, drückte den Rücken durch und bewegte den Kopf hin und her, bis sie es knacken hörte. Offenbar war es nicht gerade entspannend, stundenlang am OP-Tisch zu stehen.

Doch obwohl seine Bewegungen einen unwiderstehlichen Reiz auf sie ausübten, änderte das nichts daran, wie wütend sie auf ihn war. Gleich würde er erfahren, wie wütend. Auch wenn er der attraktivste Mann war, den sie jemals gesehen hatte, gab ihm das noch lange nicht das Recht, in ihrer Karriere herumzupfuschen!

Als die Schwester mit einer Patientenakte zurückkam, trug er seine Anordnungen ein und wandte sich endlich wieder Tanya zu.

„Wollen wir?“, fragte er.

„Musst du dich nicht umziehen?“, fragte sie. Wenn er erst wieder Straßenkleidung trug, würde er hoffentlich nicht mehr so unerhört attraktiv wirken.

„Nein, das spare ich mir. Wie gesagt, ich habe gleich die nächste OP. Und in dem Bistro sind sie an den Anblick gewöhnt. Oder stört dich das?“

„Mir ist es völlig egal, was du anhast“, log sie.

„Dann lass uns gehen, bevor ich verhungere.“

Tatsächlich saßen in dem Bistro noch andere Ärzte in OP-Kleidung, doch seltsamerweise hatte keiner von ihnen eine ähnliche Wirkung auf sie wie Tate. Während er „das übliche Sandwich“ bestellte, versuchte sie, sich auf ihr eigentliches Anliegen zu konzentrieren. Seine Einladung zum Essen schlug sie aus, wählte aber ein Glas Limonade. Er trug sein Tablett zu einem Tisch an der hinteren Wand.

Offenbar war er eher müde als hungrig, denn er rührte sein Sandwich nicht an und setzte sich so, dass er die Füße auf der Sitzbank hochlegen konnte. Den Kopf an die Wand gelehnt, schloss er die Augen. Wahrscheinlich war es seine Art, sich zu entspannen, aber Tanya hatte ihm etwas zu sagen und konnte darauf keine Rücksicht nehmen.

„Wenn du wirklich elf Stunden lang operiert hast, wie konntest du da eigentlich noch die Zeit finden, zwischendurch mein Leben zu ruinieren?“, platzte sie heraus.

Ihr Vorwurf schien ihn nicht weiter zu stören, ganz im Gegenteil, er lächelte in sich hinein, bevor er langsam die Augen öffnete. „Ich habe dein Leben ruiniert?“, wiederholte er. „Das musst du mir genauer erklären.“

„Heute Morgen um neun hat mich der Besitzer vom Sender angerufen – nicht der Redaktionsleiter, der mich eingestellt hat, sondern der Besitzer …“

„Chad Burton.“

„Dein Freund“, sagte Tanya verächtlich.

„Na ja, wir sind eher Bekannte als enge Freunde. Ich bin mit seinem Sohn Chad junior zur Schule gegangen und habe ihm bei den Chemie- und Physikhausaufgaben geholfen. Dafür ist Chad senior mir heute noch dankbar.“

„Jedenfalls seid ihr eng genug miteinander befreundet, dass du ihn irgendwann zwischen gestern Abend um elf und heute Morgen um neun anrufen konntest, um ihm zu sagen, dass er mich freistellen soll …“

„Eine bezahlte Freistellung“, betonte Tate. Er versuchte nicht mal, sich herauszureden.

„Ob mit oder ohne Bezahlung, auf alle Fälle bin ich ab heute auf unbestimmte Zeit freigestellt, um an der McCord-Geschichte zu arbeiten. Das bedeutet, dass ich nicht mehr auf Sendung bin. Ich bekomme keine anderen Aufträge und habe keine Gelegenheit, mich irgendwie zu beweisen oder an meiner Karriere zu arbeiten. Und das nach nur zwei Wochen, die ich überhaupt dort arbeite. Mir wurde gesagt, ich solle mich erst wieder im Sender blicken lassen, wenn ich die ganze McCord-Story im Kasten habe.“

„Aber du bekommst Gehalt dafür, also …“

„Mir geht es doch nicht ums Geld!“ Tanya musste sich sehr beherrschen, um nicht laut zu werden. „Wenn ich nicht mit einer sensationellen Story zurückkomme – wie dem Fund des Santa-Magdalena-Diamanten –, kann ich mich danach glücklich schätzen, wenn ich noch die Wettervorhersage um vier Uhr morgens moderieren darf. Außerdem werden sie wahrscheinlich für meinen Job in der Zwischenzeit jemand anders einstellen – und der kann mich dann nahtlos ersetzen, wenn die McCords den Diamanten nicht finden und ich nur eine schlappe Gesellschaftsstory in der Tasche habe. Du hast ja vielleicht ein gutes Wort für mich eingelegt, damit sie meine Bewerbung lesen, aber bekommen habe ich den Job wegen meiner Abschlüsse und Fähigkeiten. Und du hast kein Recht, ihn mir einfach so wieder wegzunehmen, wenn es dir in den Kram passt!“

Tate setzte sich aufrecht hin, stellte die Füße auf den Boden, biss von seinem Sandwich ab und kaute in aller Ruhe. Erst nach einem großen Schluck Eistee erwiderte er: „Ich musste sichergehen, dass du es dir nicht anders überlegst und doch etwas veröffentlichst, was noch geheim bleiben soll.“

„Das kann ich nach wie vor machen. Ich könnte zu einem Sender gehen, der den Foleys gehört.“

Die Drohung schien ihn nicht zu beeindrucken. „Klar könntest du das. Aber in unserem Gespräch gestern ging es ja auch um Loyalität. Außerdem war Chad begeistert von der Idee, einen Insiderbericht über die McCords zu bekommen. Vom Diamanten selbst habe ich ihm natürlich nichts erzählt, aber ich habe angedeutet, dass es zusätzlich zu der Gesellschaftsstory möglicherweise auch noch große Neuigkeiten geben wird. Die Aussicht, dass sein Sender die Exklusivrechte bekommt, hat ihn richtig heiß gemacht. Das könnte wirklich deinen Durchbruch bedeuten.“

„Ich verliere an Boden, wenn ich nicht dort bin und mein Gesicht bei jeder Gelegenheit in eine Kamera halte“, widersprach sie. „Ich sehe nicht ein, warum ich nicht ganz normal dort arbeiten und gleichzeitig die McCord-Geschichte recherchieren kann.“

„Aber es ist viel besser, wenn du dich auf nichts anderes konzentrieren musst.“

„Ihr seid doch nicht der Mittelpunkt des Universums!“, rief Tanya. Ein Ehepaar am Nebentisch sah neugierig herüber.

„Ich bin bloß vorsichtig“, beharrte Tate gelassen.

„Du versuchst, mich zu kontrollieren.“

„Stimmt. Aber nur in diesem Fall, weil es das Beste für uns alle ist.“

„Und deshalb findest du es völlig legitim“, warf sie sarkastisch ein.

„War es denn in Ordnung, dass du in unser Haus eingebrochen bist, um uns auszuspionieren, und versucht hast, an Informationen zu kommen, die uns schaden können, wenn sie vorzeitig veröffentlicht werden?“

„Also ist das deine Rache dafür?“

„Nein, ganz und gar nicht. Du hast noch immer deinen Job und dein Gehalt. Und du hast die Chance, einen Exklusivbericht über die McCords zu schreiben und die Reporterin zu sein, die der Welt berichtet, dass wir den Diamanten gefunden haben. In den nächsten Wochen wirst du dich eben mit nichts anderem beschäftigen.“

Tanya runzelte die Stirn. „Dann musst du mir aber eine wirklich gute Story liefern.“

„Und du solltest deine Aufmerksamkeit auf mich konzentrieren, damit sie auch gut wird“, gab er zurück.

„Auf dich? Wieso sollte ich mich auf dich konzentrieren?“

Er lächelte verschmitzt, was ihn noch unwiderstehlicher machte. „Weil ich der Geschichtenerzähler bin. Und je glücklicher du mich machst, desto besser wird die Geschichte.“

„Vergiss es“, gab sie zurück, als sie merkte, dass er sie nur auf den Arm nahm.

„Schade“, erwiderte er gespielt geknickt.

„Mir ist es ernst, Tate.“ Es war das erste Mal, dass sie seinen Namen aussprach, seit sie erwachsen war.

„Ja, das sehe ich, Tanya“, erwiderte er und unterdrückte ein Lächeln. „Es ist dir sehr ernst.“

„Du musst mir schon etwas wirklich Gutes bieten, um mich für meine Zwangspause zu entschädigen.“

Die Doppelbedeutung ihrer Worte fiel ihr erst auf, als Tate anzüglich grinste. Doch bevor er etwas sagen konnte, meldete sich sein Pager.

„Ich muss los“, erklärte er nach einem Blick auf das Display, biss noch einmal von seinem Sandwich ab und wickelte den Rest wieder in die Klarsichtfolie, um es mitzunehmen. Dabei kam er auf ihr Gespräch zurück. „Ich habe doch vorher nur gemeint, dass du etwas Zeit mit mir verbringen solltest, um deine Story zu bekommen. Das gehört mit zu deinem Job.“

Er stand auf, trank den Rest seines Eistees in einem Zug und stellte das Glas wieder ab. „Und damit könnten wir ja morgen bei einem richtigen Abendessen anfangen, oder nicht? Ich lade dich ein, und dann können wir beide in Ruhe essen.“

„Tja, wenn das jetzt mein Job ist …“

„Um acht? Wir treffen uns am Pool und machen uns von dort aus auf den Weg, okay?“

Als sie nickte, verabschiedete er sich und eilte aus dem Bistro.

Sie blickte ihm nach und merkte, dass ihr Ärger langsam verrauchte. Vielleicht lag es ja daran, dass Tate in OP-Kleidung so attraktiv aussah. Sicher, er hatte seinen Einfluss geltend gemacht, um sie unter Kontrolle zu halten. Offenbar bestand ihr Job jetzt hauptsächlich darin, Zeit mit ihm zu verbringen.

Natürlich hätte sie sich darüber ärgern können. Doch wenn sie ganz ehrlich war, fand sie diese Aussicht ganz schön aufregend …

3. KAPITEL

„Das gefällt mir nicht, Tanya. Es ist keine gute Idee.“

„Ach was, mach dir keine Sorgen, JoBeth.“

Normalerweise musste ihre Mutter lachen, wenn Tanya sie in diesem liebevoll spöttelnden Ton mit Vornamen ansprach, doch diesmal verzog sie keine Miene, sondern blieb ernst.

Als Tanya am Sonntagmorgen nicht zur üblichen Frühschicht zur Arbeit gegangen war, hatte JoBeth natürlich wissen wollen, warum. Deshalb musste Tanya von ihrem neuen Spezialauftrag erzählen – wobei sie ihren „Einbruch“ in die Bibliothek aber ausließ.

„Die McCords haben uns immer gut behandelt und unterstützt“, sagte JoBeth vorwurfsvoll. „Als dein Vater uns verlassen hat und ich mit dir allein dastand, ohne Geld, ohne Ausbildung, da hat Mrs. McCord …“

„… dir nicht nur einen Job gegeben, sondern auch das Häuschen auf dem Grundstück, damit wir ein Dach über dem Kopf hatten“, vollendete Tanya den Satz. Sie hatte das alles schon oft gehört, seit sie klein war. „Sie hat dich vom Hausmädchen zur Haushälterin befördert, und mir hat sie das Empfehlungsschreiben fürs Stipendium geschrieben. Ich weiß, ich weiß.“

„Und jetzt willst du dir auf Kosten der McCords einen Karrierevorteil verschaffen? Das finde ich nicht gerade anständig von dir.“

Sie saßen zusammen am Frühstückstisch, beide noch im Bademantel. JoBeth hatte sonntags frei, und es tat Tanya leid, dass sie sich jetzt über die Neuigkeiten aufregte, statt sich zu entspannen.

„Ich tu das nicht auf ihre Kosten“, versicherte sie. „Außerdem kam der Vorschlag von Tate. Er hat auch mit dem Besitzer des Senders gesprochen, sodass ich jetzt freigestellt bin.“

Doch all das schien JoBeth nicht zu überzeugen. „Du sprichst hier von meinen Arbeitgebern“, betonte sie. „Ohne sie würde ich auf der Straße stehen.“

„Deshalb werde ich auch nichts tun, was deinen Job gefährden könnte“, versprach Tanya. Abgesehen von ihrem kleinen Ausflug in die Bibliothek, der hoffentlich vergeben und vergessen war.

Doch als sie ihre Mutter ansah, wusste sie, dass es JoBeth nicht nur um irgendeinen Job ging. Sie liebte ihre verantwortungsvolle Stellung und das Drei-Zimmer-Häuschen, in dem sie wohnte. So sehr, dass sie sich geweigert hatte, mit ihrer Tochter nach Kalifornien zu ziehen, als diese dort aufs College ging.

Tanya musste wirklich aufpassen, dass JoBeth nicht ihretwegen in Ungnade fiel. „Ich bin doch hervorragend geeignet, um die Story zu schreiben“, sagte sie. „Die Informationen, die Tate mir versprochen hat, werde ich fair und ehrlich weitergeben – und er wird schon selbst darauf achten, dass nicht zu viel Negatives dabei ist.“

„Du solltest dich Tate nicht aufdrängen“, warnte ihre Mutter. „Er hat es im Moment schwer genug. Wenn du ihn ständig mit Fragen nervst …“

„Er kam mir doch selbst mit dem Vorschlag“, widersprach Tanya.

„Und wieso?“ JoBeth hob die Augenbrauen.

Sofort war Tanya klar, dass sie sich jetzt nicht mehr um die McCords Sorgen machte, sondern um ihre Tochter.

„Du bist ein hübsches Mädchen“, fuhr JoBeth fort. „Und Tate hat Augen im Kopf.“

„Er ist verlobt, das weißt du doch. Und außerdem kennst du mich besser. Ich würde mich nie mit einem McCord einlassen. Nein, hier geht es einfach nur um meinen Job. Und er weiß das auch.“

„Na hoffentlich“, murmelte JoBeth wenig überzeugt. „Ich will nicht, dass du verletzt wirst.“ Sie warf ihrer Tochter noch einen besorgten Blick zu, nahm die Sonntagszeitung mit dem Kreuzworträtsel und ging ins Wohnzimmer.

Tanya blieb am Frühstückstisch sitzen und trank ihren Kaffee aus. Sie hatte JoBeth nicht angelogen, ihr ging es hier wirklich nur um ihren Job. Am Leben der McCords reizte sie nichts. Sie standen ständig im Rampenlicht und blieben unter ihresgleichen. Kein Wunder, dass Tate mit der Tochter der engsten Freunde seiner Eltern verlobt war. Einer Frau, die er schon von klein auf kannte, und die sich in denselben etablierten Kreisen bewegte wie er.

Allerdings wusste sie auch, dass die Beziehung der beiden nicht besonders eng war. Katie und er hatten sich mehrmals getrennt und waren wieder zusammengekommen. Daher bedeutete die Verlobung nicht zwangsläufig, dass sie auch heiraten würden. Einer der beiden konnte immer noch beschließen, sich wieder zu trennen.

Und wenn das passierte und Tate sich dann doch für Tanya interessieren sollte? Er konnte sehr charmant sein. Allerdings würde ihn eine andere Frau höchstens für eine Weile fesseln, bevor er wieder zu seiner Katie zurückkehrte. So war es jedenfalls bisher immer gewesen.

Tanya wusste, dass sich JoBeth darüber Sorgen machte, aber das war unnötig. Sie würde sich niemals mit jemandem einlassen, der mit einer anderen Frau zusammen war, und sie würde Tate McCord keinesfalls als willkommene Abwechslung zwischendurch dienen.

Nein, von so etwas ließ sie schön die Finger.

Auch wenn Tate in seiner OP-Kleidung noch so sexy aussah …

Entschlossen verdrängte sie diese Bilder.

Der Mann war für sie nur Mittel zum Zweck. Sie wollte lediglich eine gute Story, und die würde sie von ihm bekommen. Dass er gut aussah, charmant, intelligent und reich war, musste sie dabei einfach übersehen.

Schließlich war sie auf dem besten Weg, ein Profi in ihrem Job zu werden.

„Das hätte ich mir ja denken können, dass ein Abendessen mit dir im Country Club stattfindet“, bemerkte Tanya, als sie vor dem besten Restaurant der Stadt auf Tates Wagen warteten. „Allerdings hatte ich mir eher ein etwas ruhigeres Lokal vorgestellt, damit wir zur Sache kommen können.“

Ein Angestellter fuhr Tates Wagen vor und öffnete ihm die Fahrertür, während ein zweiter für Tanya den Schlag aufhielt.

Erst als sie allein waren und losfuhren, antwortete Tate: „Wir können jederzeit zur Sache kommen, aber ich dachte, vielleicht wäre vorher ein freundschaftliches Abendessen genehm.“ Die Anspielung war offensichtlich. Er hatte ihre Worte absichtlich missverstanden.

Tanya ging nicht auf diesen Flirtversuch ein, schlug aber einen freundlichen Tonfall an. „Ich meinte damit, dass wir uns an die Arbeit machen, für die ich bezahlt werde – die Geschichte über deine Familie.“

Als Tate sich schweigend in den Verkehr einfädelte, fuhr sie fort: „Wir haben überhaupt nichts geschafft. Eigentlich hast du mehr mit deinen Spezis gesprochen als mit mir. Geschweige denn, mir nützliche Informationen über die McCords gegeben.“

„Meinen Spezis?“, fragte Tate amüsiert.

„Na ja, den Rest der Country-Club-Clique. Oder war das der Sinn der Sache – dich um dein Versprechen herumzudrücken und mir stattdessen zu zeigen, dass die McCords der Mittelpunkt der High Society sind?“

„Traust du mir so etwas zu?“, fragte er unschuldig.

Sie konnte nicht heraushören, ob sie mit ihrer Vermutung recht hatte oder nicht. „Und in Zukunft solltest du deine Begleitung vielleicht vorher warnen“, fuhr sie immer noch im Plauderton fort. „Ich war die einzige Frau, die keine Perlen trug.“

Außerdem war sie für den Anlass mit ihrer Leinenhose und der schlichten Bluse viel zu lässig gekleidet gewesen – ganz im Gegensatz zu Tate, der einen dunkelbraunen Anzug mit cremefarbenem Hemd und brauner Krawatte trug.

„Perlen sind keine Pflicht“, erklärte er, als sie den Country Club hinter sich ließen.

Aber Tanya wusste sehr wohl, dass die Mitgliedschaft dort hauptsächlich vom Vater auf den Sohn vererbt wurde und sich über die Jahre nur die Vornamen auf der Mitgliederliste änderten.

Etwas verwundert sah er sie von der Seite an. „Habe ich das jetzt richtig verstanden – du bist sauer auf mich, weil wir einen anregenden Abend hatten?“

„Ich bin nicht sauer“, erwiderte sie, und das stimmte auch. „Das Essen war fantastisch, und die Kellner haben mich wie eine Königin behandelt.“

Und nach dem üblichen Hallo und Small Talk, wo Tanya sich ziemlich überflüssig vorgekommen war, hatte Tate sich als aufmerksamer und angenehmer Gesprächspartner gezeigt.

„Aber ich war davon ausgegangen, dass wir heute mit der Story anfangen. Wieso sollten wir sonst essen gehen? Es ist eben frustrierend, wenn ich mit der Arbeit nicht weiterkomme.“

Außerdem hatte nichts sie davon abgelenkt, wie attraktiv sie Tate fand. „Du musst mir nicht zeigen, was für ein Teufelskerl du bist“, fügte sie hinzu.

„Autsch, war das eine Beleidigung?“

„Ich will damit nur sagen, dass dieses Country-Club-Image nichts Neues ist. Davon steht doch jeden Tag etwas in den Klatschspalten. Du hast mir Einblick in die private Seite der McCords versprochen – und darum ging es heute Abend jedenfalls nicht.“

„Nein, heute Abend wollte ich mich dafür entschuldigen, dass du in der nächsten Zeit nicht auf Sendung sein kannst“, gab er zu. „Ist das so schlimm?“

„Nein, aber es war eben nur ein tolles Abendessen …“

„Und das ist ein Verbrechen?“

„Ich soll über dich berichten, nicht mit dir ausgehen“, betonte sie.

„Wir sind nicht miteinander ausgegangen, sondern haben nur zusammen gegessen.“

Und an der Stelle musste sie wirklich aufpassen. Ihr war es wie ein Date vorgekommen, aber für ihn war es nur ein ganz normales Abendessen …

„Muss es sich denn unbedingt wie Arbeit anfühlen?“, fragte er. „Sollen wir uns lieber zu Bürozeiten an einem Schreibtisch gegenübersitzen?“

Ihrer Mutter hatte sie erklärt, dass es hier ausschließlich um die Arbeit ging. Das durfte sie nicht aus den Augen verlieren. Aber wenn sie sich wirklich an einem Schreibtisch gegenübersaßen, würde sie niemals ein so akkurates Bild bekommen, als wenn ihr Interviewpartner sich entspannte und redete, wie es ihm in den Sinn kam. Und außerdem machte es so wie heute viel mehr Spaß.

„Nein, ich will auch nicht an einem Schreibtisch sitzen“, antwortete sie bedächtig. „Aber ich will eine Seite der McCords sehen, die nichts damit zu tun hat, dass der Senator dich begrüßt und jeder dir zu Füßen liegt. Ich weiß, dass ihr in Texas zu den ganz Großen gehört – aber ich setze darauf, dass darüber hinaus noch mehr in euch steckt. Etwas, was euch aus eurer heilen Welt herausholt und euch auf eine Ebene mit dem Rest der Gesellschaft stellt – du weißt schon, den ganz normalen Menschen.“

Sie hatten jetzt das Anwesen erreicht, doch Tate war nicht zu den Garagen gefahren, sondern hatte das Grundstück umrundet, um so nah wie möglich an JoBeths Häuschen heranzukommen. Hier stellte er den Motor ab und wandte sich Tanya zu. „Und wie weit bist du schon aus deiner heilen Welt herausgekommen? Wo sind deine Berührungspunkte – als ganz normaler Mensch – mit den anderen? Denn so weltgewandt kommst du mir mit deinen … dreiundzwanzig? … Jahren nicht gerade vor.“

Offenbar hatte er nichts gegen ein kleines Streitgespräch.

„Nein, weltgewandt bin ich vielleicht nicht“, gab sie zu. „Aber ich glaube, vieles von dem, was für die meisten Menschen Alltag ist, kennst du gar nicht.“

„Ach ja?“ Es klang herausfordernd, doch ihre Debatte schien ihm Spaß zu machen. Seine Augen glänzten, und er unterdrückte ein Lächeln.

Und da sie ihn anscheinend nicht provozieren konnte, legte sie noch eins drauf. „Wenn du darauf anspielst, dass du im Nahen Osten warst und ich nicht … stimmt, solche Erfahrungen habe ich nicht. Ich weiß nicht, warum du dorthin gegangen bist, und was du dort gemacht hast, aber das ist auch nicht der Punkt. Ich meinte eher, dass du keine Ahnung hast, wie sich das Leben für ganz normale Menschen abspielt, außerhalb deiner gesicherten Existenz. Und da ist es natürlich kein Wunder, dass das Leben dort drüben für dich schwer zu ertragen war. Ich meine, wenn du vorher nicht immer in Watte gepackt worden wärst …“

Tanya unterbrach sich, weil sie plötzlich merkte, dass sie weit über das Ziel hinausgeschossen war. „Tut mir leid, das hätte ich nicht sagen dürfen“, entschuldigte sie sich schnell. „Es ist nur, weil alle Leute darüber reden, dass du depressiv bist und dich verändert hast …“

Sie machte alles nur noch schlimmer. „Ich glaube, ich halte jetzt lieber den Mund“, schloss sie.

„Du denkst also, dass der Irak mich überfordert hat, weil ich vorher immer in Watte gepackt war?“

Oh verflixt, warum hatte sie sich so weit aus dem Fenster gelehnt?

„Ich weiß gar nicht mehr, wie wir darauf gekommen sind. Also lass uns noch mal anfangen. Selbst als ich noch klein war, habe ich von den McCords vor allem ihren Reichtum, ihren Status und ihren Einfluss erlebt. Aber darüber will ich nicht berichten. Du hast mir mehr versprochen. Was in dir persönlich vorgeht, hat damit allerdings nichts zu tun. Das geht mich nichts an, und ich hätte den Mund halten sollen.“

„Aber in deinen Kreisen reden alle Leute darüber, dass ich depressiv bin?“

Warum hatte sie nur davon angefangen? Jetzt musste sie schleunigst Schadensbegrenzung betreiben. „Es ist dir vielleicht nicht klar, aber die Hausangestellten, die schon so lange wie meine Mutter bei euch arbeiten, machen sich eben Gedanken um dich. Sie sehen, dass es dir nicht gut geht. Meine Mutter hat mir Vorwürfe gemacht, dass ich dir auf die Nerven gehe, statt dich in Ruhe zu lassen. Das hat nichts mit Tratsch zu tun.“

Tate sah sie lange an, doch sie konnte nicht erkennen, was in ihm vorging. Außer, dass er sich noch immer amüsierte – anscheinend über sie. Schließlich sagte er: „Du kannst deinen Leuten ausrichten, dass sie sich keine Sorgen machen müssen. Ich bin nicht depressiv.“

„Gut zu wissen“, erwiderte Tanya, doch erleichtert war sie deshalb nicht.

Sie hoffte, er würde noch mehr sagen – irgendeine Bemerkung machen, die darauf hindeutete, dass diese Sache für die Hausangestellten kein Nachspiel hatte.

Doch stattdessen stieg Tate jetzt aus, ging um den Wagen und öffnete ihr die Tür. Das fühlte sich wirklich seltsam an, denn schließlich waren sie nur bei einem Arbeitsessen gewesen – auch wenn sie nicht wirklich gearbeitet hatten.

Und dann lief er neben ihr auf dem schmalen Pfad, der zu JoBeths Häuschen führte.

„Willst du auf Dauer bei deiner Mutter wohnen bleiben?“, fragte Tate im Plauderton.

„Nein, langfristig suche ich eine eigene Wohnung. Aber im Moment ist die Wohnsituation ganz praktisch, und ich kann ein paar Dollar zur Seite legen, weil ich die Miete spare.“

„Hast du einen Stift und Notizblock bei dir?“, fragte er, als sie vor der Tür angekommen waren.

Tanya zog ihren Arbeitsblock mit Kuli aus der Handtasche.

Tate schrieb eine Adresse auf und reichte ihr beides zurück.

Wollte er ihr damit bei der Wohnungssuche helfen?

„Wir treffen uns dort morgen um neun“, befahl er.

Sie sah ihn fragend an. „Ich muss noch ein paar Monate sparen, bevor ich mir eine eigene Wohnung leisten kann“, sagte sie. „Allein die Einrichtung …“

„Das ist keine Wohnung.“

„Oh. Was ist es dann?“

„Das wirst du dann schon sehen. Perlen sind nicht erforderlich. Zieh dir etwas Bequemes an, und stell dich darauf ein, mit anzufassen.“

„Brauche ich Arbeitshandschuhe?“, witzelte sie.

„Nein.“

Da er offenbar nicht mehr verraten wollte, wechselte sie das Thema. „Danke für den schönen Abend.“

Er lachte leise. „Obwohl wir nicht gearbeitet haben?“

„Trotzdem war das Essen toll.“

„Vielleicht kann ich den Koch ja für nächsten Sonntag überreden, uns etwas zum Mitnehmen einzupacken, damit wir nicht in diesem schrecklichen Country Club herumsitzen müssen“, erwiderte Tate trocken.

Jetzt musste sie auch lachen.

„Wow, du kannst es also doch“, sagte er in gespieltem Erstaunen.

„Was kann ich?“

„Lächeln. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht. Wer hätte gedacht, dass Miss Ernst so ein hübsches Lächeln hat …“

„Miss Ernst?“

„Na ja, als wir uns in der Bibliothek begegnet sind, war das nicht gerade ein erfreulicher Anlass. Gestern hast du mir fast den Kopf abgerissen, weil ich den Sender angerufen hatte. Und heute warst du ganz auf die Arbeit konzentriert, obwohl wir gar nicht gearbeitet haben. Außerdem hast du selbst schon mehrmals gesagt, dass es dir ernst ist …“

„Aber doch nur mit der Story. Ich will eine gute Story abliefern.“

„Trotzdem bist du die meiste Zeit sehr ernst. Vielleicht sollten deine Mutter und ihre Truppen sich mehr Sorgen um dich als um mich machen.“

Sehr fröhlich war es bei ihren bisherigen Treffen wirklich nicht zugegangen.

„Für mich ist das hier mein Job“, erinnerte sie ihn.

Wieder lächelte er, und das gefiel ihr viel zu sehr. „Da bin ich ja froh, dass du Job gesagt hast und nicht Arbeit. Ich möchte nämlich nicht für jemanden zur Arbeit werden.“

„Dann sorg dafür, dass ich in Zukunft meinen Job machen kann“, gab sie zurück.

„Morgen um neun.“

Sie begann sich zu fragen, ob das eine Büroadresse war, wo sie Tate an einem Schreibtisch antreffen würde, um sich dann für den Rest des Tages seine Lebensgeschichte diktieren zu lassen.

Bei diesem Mann musste man mit allem rechnen.

Aber sie ahnte, dass er kein Wort mehr darüber sagen würde. Deshalb bestätigte sie nur: „Morgen um neun.“

Damit schien er zufrieden zu sein, denn er lächelte breit. „Und du kannst deiner Mutter ausrichten, dass sie sich keine Gedanken zu machen braucht.“

„Warum?“

Er lachte. „Warum was? Für eine Journalistin sind deine Fragen ganz schön unpräzise.“

„Warum braucht sie sich keine Gedanken zu machen?“, wiederholte Tanya. Sein Lachen – und der Gedanke, dass sie es ausgelöst hatte – waren äußerst angenehm.

„Weil du mir ganz bestimmt nicht auf die Nerven gehst. Im Gegenteil, du bist ein kleiner Hitzkopf, und das macht mir Spaß.“

„Ein kleiner Hitzkopf? Du weißt aber schon, dass das ziemlich herablassend klingt, oder?“, gab sie zurück, obwohl sie es eher als Kompliment auffasste.

„Na und? Ich bin doch nur ein verwöhnter, in Watte gepackter, in einer heilen Welt lebender reicher Mann. Was weiß ich denn schon vom wirklichen Leben?“, witzelte er.

Wieder musste Tanya lachen. Und anscheinend überraschte es ihn wirklich, dass sie Humor hatte, denn er sah sie ein paar Momente lang nur forschend an.

So lange und intensiv, dass ihr ein verwerflicher Gedanke kam: Zwei Menschen, die einen schönen Abend miteinander verbracht hatten und sich im Halbdunkel vor der Haustür voneinander verabschiedeten, küssten sich oft.

Aber in diesem Fall wird das natürlich nicht passieren, sagte sie sich sofort energisch.

Und es passierte tatsächlich nicht. Stattdessen sagte Tate „dann bis morgen um neun“ und wandte sich ab, um zu seinem Wagen zurückzugehen.

Tanya blickte ihm hinterher und hielt sich dabei eine innere Standpauke. Sie durfte niemals, aber auch niemals daran denken, Tate McCord zu küssen. Das kam absolut nicht infrage.

Und genauso verwerflich war es, darüber nachzudenken, wie sich ein Kuss von ihm wohl anfühlen würde.

4. KAPITEL

„Tanya, darf ich dir Rosa Marsh vorstellen? Sie sorgt dafür, dass der Laden hier läuft.“

Tate wandte sich an die rundliche Krankenschwester und fuhr fort: „Tanya wird uns heute hier aushelfen. Ich weiß, dass du sie gut gebrauchen kannst.“

Dann beugte er sich so weit zu Tanya hinunter, dass er ihr ins Ohr flüstern konnte und nur sie seine Worte hörte. „Heute wirst du sehen, wie einer der McCords seine Montage verbringt. Und da du ja mit beiden Beinen im richtigen Leben stehst, dachte ich mir, du möchtest vielleicht mehr tun, als mir bloß nachzulaufen und dir Notizen zu machen.“

Es war deutlich zu sehen, dass er die Situation genoss. Mit hochzufriedenem Gesichtsausdruck überließ er sie Schwester Rosa.

Die Adresse, die Tate ihr gegeben hatte, lag in einem sehr heruntergekommenen Viertel von Dallas. Es handelte sich um eine Notfallklinik, wo Menschen ohne Krankenversicherung eine kostenlose Behandlung bekommen konnten.

Tanya hatte schon herausgefunden, dass Tate dort nur als Dr. Tate bekannt war. Falls irgendjemand wusste, dass er ein McCord war, spielte das keine Rolle.

Und er hatte Tanya als freiwillige Helferin eingeschleust.

Es machte ihr nichts aus. Von klein auf hatte sie gelernt, mit anzupacken, wo es nötig war, und so folgte sie einfach den Anweisungen von Schwester Rosa und machte sich an die Arbeit.

Die kleine Klinik in der Innenstadt hatte keine Ähnlichkeit mit dem Meridian General Hospital, wo Tate sonst praktizierte. Hier wie dort war alles blitzsauber, aber damit hörten die Gemeinsamkeiten auch schon auf.

Die ganze Einrichtung war alt, das Bettzeug fadenscheinig und geflickt. An manchen Stellen war das graue Linoleum so durchgetreten, dass der Beton durchschien, und Wände und Decken hatten Wasserflecken.

Nie im Leben hätte Tanya damit gerechnet, dass Tate hier arbeitete. Die beiden Assistenzärzte und vier Schwestern gingen ganz ungezwungen mit ihm um und sagten, was sie dachten. Umgekehrt sah sie keine Anzeichen dafür, dass er sich für etwas Besseres hielt. Es herrschte ein freundschaftliches, gleichberechtigtes Verhältnis, abgesehen davon, dass Tate als Oberarzt die wichtigen Entscheidungen traf.

Auch die Patienten waren andere als im Meridian General. Viele waren obdachlos, und keiner verfügte über eine Krankenversicherung. Einige sprachen kein Englisch.

Doch Tate begegnete ihnen allen mit Respekt und Mitgefühl – und er behandelte sie nicht nur als Patienten, sondern auch als Menschen. Ihm schien wirklich daran zu liegen, dass es ihnen auch weiterhin gut ging, wenn sie die Klinik wieder verlassen hatten.

Tanya sah ihn mehrmals Anrufe machen, die sicherstellten, dass die Patienten zusätzliche Hilfe bekamen. Immer wieder steckte er denen, die es ganz offensichtlich brauchen konnten, Geld zu. Dabei hatte sie nie das Gefühl, dass er das nur tat, weil sie ihn beobachtete, und weil er vor ihr gut dastehen wollte. Die meiste Zeit bemerkte er ihre Anwesenheit nicht einmal, weil sie beide so beschäftigt waren. Und von einigen seiner zahlreichen guten Taten erfuhr sie durch die Krankenschwestern, die Tate ganz selbstverständlich auch die sozialen Probleme der Patienten schilderten. Offenbar waren sie daran gewöhnt, dass er sich darum kümmerte.

Ein Heiliger war er allerdings nicht. Wer nicht zu seinen Patienten gehörte, bekam auch mal seine andere Seite zu spüren. Fehler oder Nachlässigkeiten kritisierte er, und bei Angehörigen oder Freunden der Kranken gab er sich oft kurz angebunden, wenn sie ihm zu sehr in den Ohren lagen.

Trotzdem musste Tanya zugeben, dass Tate ganz anders war, als sie erwartet hatte. So hatte sie ihn noch nie gesehen. Offenbar hatte sie sich all die Jahre, die sie in seiner Nähe aufgewachsen war, ein falsches Bild von ihm gemacht.

Und damit hatte sie ein Problem. Denn ihn in seiner OP-Kleidung sexy zu finden, war die eine Sache. Aber von ihm als Mensch beeindruckt zu sein, Tiefe und Charakter an ihm zu entdecken, war etwas ganz anderes. Es machte ihn auf eine Weise attraktiv, die ihr wirklich gefährlich werden konnte.

Gegen acht Uhr abends ging der letzte Patient aus der Klinik, und dann dauerte es noch eine Weile, bis die Schwestern alles für den nächsten Tag vorbereitet hatten.

Sie verließen das Gebäude alle zusammen, und Tate achtete darauf, dass seine Kolleginnen sicher zu ihren Autos kamen – schließlich befanden sie sich nicht gerade in der besten Gegend.

Als alle anderen losgefahren waren, brachte er Tanya zu ihrem Wagen.

„Was hältst du davon, wenn wir uns in einer Stunde am Gästehaus treffen und ich dich für deine Arbeit heute mit einem kleinen Abendessen entschädige?“, schlug er vor.

Nach dem langen Tag war sie ziemlich erschöpft, doch bei seinem Vorschlag vergaß sie sofort ihre Müdigkeit – was ein eindeutiges Warnzeichen war. Trotzdem fragte sie: „Abendessen?“

„Nichts Aufwendiges, nur schnelles Gemüse aus dem Wok. Hast du Lust?“

Tate McCord besaß einen Wok?

„Ich kann kaum glauben, dass du selbst kochst. Das muss ich mit eigenen Augen sehen.“

„Wunderbar, dann treffen wir uns in einer Stunde.“ Er öffnete ihr die Autotür und wartete, bis sie eingestiegen war.

Etwas verspätet erinnerte sich Tanya an ihre guten Manieren. Sie ließ den Wagen an und öffnete das Fenster. „Soll ich irgendetwas mitbringen?“, rief sie ihm hinterher, als er schon auf dem Weg zu seinem Auto war.

„Nur gute Laune.“

Nichts deutete darauf hin, dass es für ihn mehr als eine freundliche Einladung war. Keine Zwischentöne, keine Anspielungen. Also brauchte sie sich keine Sorgen zu machen, dass sie zugesagt hatte. Was sollte schon passieren, wenn Tate gar nicht an ihr interessiert war?

Außerdem musste sie an ihre Story denken. Erst wenn sie ihn besser kennenlernte, konnte sie wirklich etwas Gutes schreiben. Und jetzt hatte sie gesehen, dass noch viel mehr in ihm steckte.

Nur deshalb freute sie sich auch so darauf, den Rest des Abends mit ihm zu verbringen. Es ging ihr nicht um den Mann, sondern um ihren Job. Sie würde dem Geheimnis der McCords auf die Spur kommen, indem sie mehr über Tate erfuhr.

Und wenn sie sich das auf dem Heimweg ununterbrochen einredete, glaubte sie es am Ende vielleicht sogar selbst …

Um neun klopfte Tanya an die Tür des Gästehauses. Sie hatte geduscht, sich die Haare gewaschen und eine bequeme weiße Baumwollhose und ein ärmelloses pfirsichfarbenes T-Shirt angezogen. Weil sie fand, dass sie nach dem langen Tag blass und müde aussah, hatte sie etwas Rouge, Wimperntusche und Lipgloss aufgelegt.

Natürlich nicht, um Tate zu gefallen, sondern weil sie sich so besser fühlte. Das hatte sie zumindest ihrer Mutter erklärt, die von einem erneuten Abendessen mit Tate, für das sich ihre Tochter auch noch hübsch machte, nicht begeistert gewesen war.

„Du kommst genau richtig“, begrüßte sie Tate, als er ihr öffnete.

Auch er hatte geduscht und sich rasiert. Sein Haar war noch etwas feucht, und er roch nach einem frischen, herben Rasierwasser, dessen Duft Tanya genüsslich einatmete.

Er trug ein schlichtes weißes T-Shirt und Jeans, die sowohl JoBeth als auch seine Mutter weggeworfen hätten, weil sie ausgefranst und verwaschen waren. Ihm standen sie jedoch fantastisch.

Das solltest du besser übersehen, ermahnte sie sich, als sie ihm ins Haus folgte.

„Neben dem Kühlschrank steht eine offene Flasche Wein“, erklärte er und deutete mit dem Kopf in die Richtung, während er selbst zum Frühstückstresen zurückkehrte, um Gemüse zu schneiden.

Und wieder bemerkte sie seinen freundschaftlichen, lockeren Ton, der keinerlei Flirtversuch verriet.

Ein Glück. Wenn sie sich beide daran hielten, konnte überhaupt nichts passieren.

Tanya blickte sich in dem Gästehaus um, das in etwa so groß war wie das Häuschen ihrer Mutter. Auch hier waren die offene Küche und das Wohnzimmer nur durch den Frühstückstresen getrennt, der mit seiner Oberfläche aus Granit auch als Arbeitsplatte diente.

Die ganze Einrichtung war geschmackvoll, aber nicht exklusiv. Wie seltsam, dass Tate freiwillig hier wohnte, wo er doch im luxuriösen Haupthaus ebenfalls Platz genug hatte.

„Du wohnst jetzt also hier draußen?“, fragte sie im Plauderton, schenkte sich ein Glas Wein ein und gesellte sich dann zu ihm.

„Ja, seit ein paar Monaten.“

„Und warum?“

Er lächelte geheimnisvoll und zuckte die Achseln, ohne von den Paprika aufzuschauen, die er geschickt in schmale Streifen schnitt.

„Schwer zu sagen“, antwortete er. „Die einfachste Antwort ist wohl, dass ich zurzeit nicht besonders gut schlafe. Ich stehe oft mitten in der Nacht auf und laufe herum, versuche wieder einzuschlafen, stehe erneut auf und so weiter und so fort. Hier draußen brauche ich mir keine Sorgen zu machen, dass ich damit die ganze Familie wecke. Und ich brauchte auch ein bisschen Zeit für mich allein.“

Mehr wollte er dazu wohl nicht sagen, denn er deutete auf das Sieb voller Gemüse, das in der Spüle stand, und bat: „Könntest du das für mich abtrocknen?“

„Gern.“ Tanya stellte ihr Glas ab – der Rotwein war fantastisch –, riss ein Papiertuch von der Küchenrolle ab und tupfte das Gemüse trocken.

„Wann und wo hast du kochen gelernt?“, versuchte sie es mit einem neuen Thema.

„Vor einigen Jahren. Es war aus purer Notwendigkeit. Während unserer Zeit am Krankenhaus hat Buzz – erinnerst du dich an Buzz?“

„Natürlich. Ihr beiden wart unzertrennlich. Und ich habe gehört, dass er im Irakkrieg getötet wurde. Das tut mir sehr leid.“

Tate nickte, ging aber nicht auf ihre Beileidsbekundung ein.

„Als wir beide am Krankenhaus anfingen, haben wir uns eine Wohnung geteilt. Wir mussten fast rund um die Uhr arbeiten, hatten ständig Bereitschaftsdienst und kamen kaum zum Schlafen. Deshalb wollten wir so nah wie möglich beim Krankenhaus wohnen, sodass wir wenigstens die Fahrtzeit sparten. Das bedeutete aber auch, dass wir uns selbst ums Essen kümmern mussten, und irgendwann hatten wir genug von Fertiggerichten. So haben wir gelernt, schnelle und einfache Gerichte selbst zu kochen.“

Über seinen toten Freund zu sprechen, schien gemischte Gefühle in ihm hervorzurufen, deshalb wusste Tanya nicht sofort, was sie antworten sollte. Sie war froh, als Tate nach kurzem Schweigen fragte: „Und du? Kannst du kochen?“

„Ein bisschen. Als ich nach Kalifornien aufs College ging, habe ich erst im Wohnheim gelebt und mir dann so schnell wie möglich eine eigene Wohnung gesucht. Essen gehen konnte ich mir selten leisten, und Fertiggerichte waren auch nicht nach meinem Geschmack, deshalb musste ich mir etwas ausdenken. Aber ich habe eine Zeit lang in Restaurants gearbeitet und ein paar nützliche Dinge aufgeschnappt.“

„Auf welchem College warst du?“

„Auf der Universität von Südkalifornien in Los Angeles. Deine Mutter hat ein Empfehlungsschreiben für mich verfasst und mir geholfen, ein Stipendium zu bekommen.“

„Das wusste ich nicht. Was genau hast du studiert?“

„Fernsehjournalismus.“

Er griff nach einem Bund Möhren. „Ist das nicht ziemlich riskant, sich auf so einen speziellen Bereich einzuschränken? Was fängst du damit an, wenn …?“

„… wenn jemand dafür sorgt, dass ich vom Sender freigestellt werde?“, unterbrach sie ihn.

Tate hatte immerhin den Anstand, etwas zerknirscht zu lächeln. „Davon abgesehen, was machst du, wenn du plötzlich eine riesige Warze auf der Nase bekommst, die sich nicht entfernen lässt? Dann würde dich kein Fernsehsender vor die Kamera lassen – und was willst du dann mit einem Abschluss in Fernsehjournalismus?“

„Es gibt genügend Jobs hinter der Kamera, die ich dann noch machen könnte“, erklärte sie. „Aber ich will auf Sendung, und zwar so oft wie möglich“, setzte sie mit Nachdruck hinzu.

„Und wieso bist du hierher zurückgekommen? Dallas ist ja nicht gerade eine Kleinstadt, aber hättest du bei einem Sender in Los Angeles, New York oder Washington nicht größere Aufstiegschancen?“

„In Los Angeles habe ich ein Praktikum gemacht und nach meinem Abschluss für kurze Zeit bei dem Sender gearbeitet. Aber dafür, dass die Sender landesweit ausgestrahlt werden, ist auch die Konkurrenz viel größer. Ich hatte nicht den Eindruck, dass ich dort so schnell weiterkomme, wie ich es mir erhofft habe. Außerdem war meine Mutter nie begeistert davon, dass ich so weit weg von ihr entfernt wohnte, aber sie wollte auch nicht nach Kalifornien ziehen. Also habe ich es erst mal hier versucht.

Ich habe immerhin die Chance, Korrespondentin für einen nationalen Sender zu werden und mich von da zu einer Festanstellung bei einer der großen Anstalten hochzuarbeiten. Aber das alles ist rein hypothetisch, wenn ich nicht mal beim Lokalfernsehen auf Sendung gehen kann“, fügte sie mit Betonung hinzu.

„Schon kapiert – ich bin ein hinterhältiger, mieser Kerl, weil ich deine Karriere sabotiere. Aber vergiss bitte nicht, dass ich nur auf das reagiert habe, was du angezettelt hast.“

„Na gut, dann sind wir wohl quitt“, gab sie nach, als hätte sie das zu entscheiden.

Damit brachte sie Tate wieder zum Lächeln. Er schnitt die letzten Möhren, holte eine Schüssel mit Geschnetzeltem aus dem Kühlschrank und gab alles in den vorgeheizten Wok, wo es laut zischte.

Es machte Tanya Spaß, ihm zuzusehen. Heute zeigte er sich in allem von einer ganz anderen Seite. Man konnte völlig vergessen, dass er einer der reichsten Männer in Texas war.

Als das Essen fertig war, häufte Tate Reis aus dem Reiskocher auf zwei Teller und stellte sie auf einen kleinen, bereits gedeckten Tisch. In der Mitte stand ein Teller mit Soßenschälchen.

„Süßsauer, scharf und Soja“, erklärte er und deutete auf die verschiedenen Soßen.

Tanya sah allerdings nur auf seine Hand. Sie war kräftig und feingliedrig zugleich, mit langen, schmalen Fingern. Verführerisch. Sexy …

Nachdem Tate den Wein geholt hatte, setzten sie sich einander gegenüber, und Tanya verbot sich energisch weitere gedankliche Abschweifungen.

„Hast du gekellnert oder in einem Fast-Food-Restaurant gearbeitet?“, fragte Tate, nachdem sie probiert und seine Kochkünste gelobt hatte.

Sie war überrascht, dass er sich an ihre Bemerkung über den Nebenjob erinnerte.

„Sollten wir nicht eher über die McCords, den Diamanten und die Schmuckbranche reden?“, konterte sie, bevor ihr noch zu Kopf stieg, dass Tate ihr so genau zuhörte.

„Du hast doch schon den ganzen Tag Material gesammelt. Die Klinik wird von einer Stiftung meiner Mutter unterstützt, außerdem bekommt sie Spenden von McCord Jewelers. Ich arbeite dort und stelle sicher, dass die Patienten die bestmögliche Behandlung bekommen. Aber nun haben wir beide Feierabend.“

Na gut, das war fair. Bis jetzt hatte sich Tate ganz normal mit ihr unterhalten. Er konnte ja nichts dafür, dass sich ihre Gedanken nicht an die Regeln hielten. Natürlich hätte Tanya gern noch mehr recherchiert. Aber sie merkte auch deutlich, dass er nach dem langen Tag müde war und sich einfach nur ein entspanntes Abendessen mit unverfänglichem Small Talk wünschte.

„Okay“, sagte sie nach einem weiteren Bissen. „Ja, ich habe in einer Fast-Food-Kette gearbeitet. In einem Sandwich-Laden, wo alle Aufgaben aufgeteilt waren. Mein Job war es, die Butter aufs Brot zu streichen. Außerdem habe ich mal in einem Frühstückscafé gekellnert. Und dann habe ich in einem richtig guten Restaurant die Gäste begrüßt und an die Tische geführt.“

„Also hast du dir den gesamten Lebensunterhalt in der Gastronomie verdient.“

„Fast. Am Anfang habe ich auch mal als Zimmermädchen in einem Motel gearbeitet. Aber nur für drei Tage.“

„Drei Tage?“

„Länger habe ich es nicht ausgehalten. Du kannst dir nicht vorstellen, was Leute in Motelzimmern alles anrichten. Und an dem Morgen, als ich die Leiche fand, habe ich gekündigt …“

„Die Leiche“, sagte er halb amüsiert, halb ungläubig.

„Er war im Schlaf gestorben. Herzinfarkt. Aber da reichte es mir endgültig, und ich habe mich nur noch in der Gastronomie beworben. Und sobald ich einen Job bei einem Sender bekommen konnte, habe ich natürlich den angenommen, obwohl ich nur Kaffee holen durfte.“

„Dann war das Stipendium wohl nicht so hoch?“, fragte er bedauernd.

„Doch, doch, das war schon okay“, versicherte sie schnell. Sie wollte auf keinen Fall undankbar klingen. „Ich beklage mich nicht. Es hat die gesamten Studiengebühren gedeckt, aber ich brauchte auch noch Geld für Miete, Essen und Lehrbücher.“

„Ich weiß, dass du dich nicht beklagst. Aber ich habe ein schlechtes Gewissen bekommen, weil ich mich während meiner Collegezeit nur darum kümmern musste, was ich in meiner Freizeit mache, und wo die nächste Party ist.“

„Das war auf der Highschool auch schon so“, erinnerte sie ihn.

Er lächelte etwas verlegen. „Stimmt. Ich habe gestern Nacht noch drüber nachgedacht, woran ich mich von früher erinnere. Im Zusammenhang mit dir, meine ich.“

„Na, das wird sicher nicht viel sein“, sagte sie leichthin. Sicher hatte er sie damals kaum wahrgenommen. Schließlich war sie nur das Kind einer Dienstbotin gewesen. Und das bin ich immer noch, ermahnte sie sich vorsichtshalber.

Doch er lächelte breit und schob seinen leeren Teller von sich. „Oh doch. Mir ist wieder eingefallen, dass du das ‚Tu-das-lieber-nicht-Kind‘ warst.“

„Ich habe keine Ahnung, was du meinst.“ Wovon redete er nur?

„Das sind meine lebhaftesten Erinnerungen an dich. Immer wenn Buzz und ich irgendwelchen Blödsinn vorhatten, tauchte aus dem Nichts dieses Mädchen mit den großen Augen auf, schüttelte ernst den Kopf und meinte zu mir ‚tu das lieber nicht‘.“

Tanya lachte. „Daran erinnere ich mich gar nicht mehr.“

„Aber ich. Und leider hattest du meistens auch noch recht. Ich war natürlich genervt, weil du deine Nase in Sachen stecktest, die dich gar nichts angingen. Als Buzz und ich unsere Mountainbikes auf den Hügelbeeten ausprobiert haben … Wir waren dreizehn, also warst du …“

„Sechs.“

„Du bist plötzlich aufgetaucht und hast gesagt ‚tu das lieber nicht, der Gärtner wird böse‘ …“

„Und ihr habt es trotzdem gemacht.“

Autor

Victoria Pade

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