Brennend heiße Sehnsucht

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Ein unbeschwertes Leben im Luxus? Was erwartet Nell wirklich, wenn sie zu dem attraktiven Millionär Carreras zieht? Zwischen ihr und dem viel umschwärmten Spanier herrscht eine verheißungsvolle Spannung. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis ihre Sehnsucht stärker als jede Vorsicht ist …


  • Erscheinungstag 01.07.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733717865
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Bitte ruh dich jetzt aus“, sagte Raul Carreras und drückte seine Mutter sanft in die Kissen zurück. Besorgt betrachtete er ihr aschfahles Gesicht. Sie schien kurz vor einem Zusammenbruch zu stehen, was allerdings auch nicht verwunderlich war. Es ging ihr gesundheitlich nicht gut, und sie hatte erst vor kurzem ihren Mann und ihren Sohn verloren. Raul hatte Angst, dass sie sich von diesem furchtbaren Schicksalsschlag nicht wieder erholen würde.

„Ich will mich aber nicht ausruhen“, protestierte Aria Carreras und schob die Decke zur Seite, die ihr Sohn fürsorglich über sie gebreitet hatte. „Hör auf, mich wie ein Kind zu behandeln! Meine Enkel sind entführt worden, und niemand weiß, ob sie noch am Leben sind.“ Tränen traten ihr in die Augen, und sie bebte am ganzen Körper.

Rauls Miene wurde hart, als er sah, wie seine Mutter litt. Im Moment war er nicht in der Lage, ihren Schmerz zu lindern, doch eines Tages würde er sich für all das Leid rächen, was seiner Familie zugestoßen war!

„Bitte beruhige dich, Mutter“, erwiderte er. „Wir wissen doch noch gar nicht, ob die Kinder wirklich entführt worden sind.“

„Was denn sonst?“, antwortete Aria Carreras aufgebracht. „Was für ein Unglück! Wenn doch nur dein Vater noch lebte! Er hätte genau gewusst, was zu tun wäre. Warum nur weilt er nicht mehr unter uns! Das Ganze wäre niemals geschehen …“ Sie blickte auf und sah, wie sehr ihre Worte Raul getroffen hatten, denn normalerweise zeigte er seine Gefühle nie. Sofort tat es ihr Leid, und sie nahm die Hand ihres Sohnes. „Bitte verzeih mir, das war nicht fair. Du hast alles getan, damit so etwas nicht passiert.“

Raul rang sich ein Lächeln ab. Ihr war genau bewusst, dass die von ihm angeordneten Sicherheitsvorkehrungen nicht ausreichend gewesen sein mussten. Wieso sonst konnten zwei Kinder nachts einfach so verschwinden, ohne dass der Alarm ausgelöst worden war?

„Wenn dein Vater noch leben würde, hätte er sich jetzt schon lange mit der Polizei überworfen und außerdem noch einen diplomatischen Zwischenfall verursacht“, sagte Aria Carreras nun.

„Das glaube ich nur zu gern“, antwortete Raul und setzte sich neben seine Mutter aufs Bett. „Vertrau mir einfach. Ich werde Katerina und Antonio zurückholen, koste es, was es wolle.“

Aria Carreras nickte zufrieden. Ihr Sohn versprach nie etwas, das er später nicht halten konnte. Sie strich ihm sanft über die Wange und spürte, wie entschlossen er war. „Das weiß ich doch“, erwiderte sie und entspannte sich etwas.

„Dann nimmst du also das Beruhigungsmittel, das der Arzt dir gegeben hat?“

Aria Carreras seufzte. „Wenn es denn unbedingt sein muss.“

Ihr Sohn küsste sie auf beide Wangen und versprach wiederzukommen, sobald er etwas Neues in Erfahrung gebracht hätte. Dann stand er auf, schenkte seiner Mutter ein beruhigendes Lächeln und ging hinaus.

Wenig später betrat er das Wohnzimmer, in dem der mit dem Fall betraute Chief Superintendent Alan Pritchard und seine Kollegin bereits auf ihn warteten. Die beiden drehten sich um, als er hereinkam, und betrachteten ihn interessiert. Raul war der Einzige im aufgeschreckten Carreras-Haushalt, der ruhig zu sein schien. Er trug einen maßgeschneiderten dunklen Anzug, ein genau dazu passendes Hemd und eine Seidenkrawatte.

„Wie geht es Mrs. Carreras?“, fragte der Beamte höflich.

„Sie schläft jetzt. Der Arzt hat ihr ein Beruhigungsmittel gegeben.“ Rauls Blick war eiskalt, und der Polizist nahm schnell die Hand weg, die er Raul auf die Schulter gelegt hatte.

Chief Superintendent Pritchard beobachtete schweigend, wie der große, attraktive Spanier mit den dunklen Haaren sein Jackett auszog und über die Lehne eines teuren antiken Stuhls hängte. Der Polizeibeamte hatte schon öfter mit Entführungsfällen zu tun gehabt, und ihm war bewusst, wie schnell eine Familie unter einem solchen Druck zerbrechen konnte. Normalerweise würde er jetzt die Angehörigen trösten und beruhigen, doch in diesem Fall schien sein Mitgefühl völlig fehl am Platze zu sein.

Natürlich reagierte jeder Mensch anders, aber Chief Superintendent Pritchard hatte noch nie einen Mann getroffen, der in solch einer Situation so ruhig war. Raul Carreras schien seine Gefühle völlig unter Kontrolle zu haben, und der Beamte fragte sich, ob der gut aussehende Spanier vielleicht immer so kalt war.

„Wie geht es jetzt weiter?“, fragte Raul kurz angebunden.

„Wir haben in so einem Fall unsere Richtlinien, Sir.“

Raul spürte, wie er beinahe die Beherrschung verlor. Noch nie in seinem Leben war er so hilflos gewesen, und er hätte am liebsten irgendetwas an die Wand geworfen. Ich muss ruhig bleiben, dachte er, der Tag der Abrechnung kommt noch! Wenn die Entführer gefunden waren, würden sie es bereuen, sich je mit Raul Carreras angelegt zu haben! Er atmete tief durch und ballte die Hände zu Fäusten. Wichtig war jetzt, dass sein Neffe und seine Nichte gesund wieder nach Hause zurückkamen. Wenn er jetzt die Beherrschung verlor, würde er alles nur noch schlimmer machen. „Sie kennen sich in solchen Fällen aus“, meinte er schließlich ruhig, „und ich werde selbstverständlich das tun, was Sie mir raten.“

Der Polizeibeamte betrachtete ihn skeptisch. Er traute dem Frieden nicht so ganz, beschloss aber, nichts zu sagen. „Sie haben das Verschwinden der Kinder als Erster bemerkt, Mr. Carreras?“, fragte er.

Raul nickte. „Ich sehe immer nach ihnen, bevor ich ins Bett gehe“, antwortete er leise.

„Das muss ein großer Schock für Sie gewesen sein“, sagte der Beamte mitfühlend.

„Ja. Wie viele Entführer waren es, Superintendent? Was hat die Auswertung der Überwachungskameras ergeben?“

Der Polizist schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid, Mr. Carreras, die Bänder sind leer.“

Raul glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. „Leer?“

Alan Pritchard nickte.

„Por Dios!“

„Wir müssen in diesem Fall davon ausgehen, dass jemand aus Ihrem Haushalt bei der Entführung geholfen hat“, fuhr der Beamte fort.

„Sie können gern das Personal befragen“, erwiderte Raul kühl, „aber Sie sollten wissen, dass ich für jeden Mitarbeiter meine Hand ins Feuer legen würde. Unsere Angestellten sind uns gegenüber loyal.“

Superintendent Pritchard wechselte das Thema. Er hatte nicht vor, diesem eiskalten Mann zu erzählen, was er schon alles erlebt hatte. Den Glauben an das Gute im Menschen hatte der Polizist schon lange verloren. „Ihr Sicherheitssystem ist computergesteuert?“

„Selbstverständlich.“

„Vielleicht hat sich jemand daran zu schaffen gemacht.“

„Unmöglich“, erwiderte Raul. „Das System ist das beste auf dem Markt und nicht zu knacken.“

„So etwas gibt es nicht“, erklärte Alan Pritchard unbeeindruckt. „Die Sache ist von langer Hand vorbereitet worden, Sir, und es handelt sich nicht um Amateure, das können Sie mir glauben. Es handelt sich um Leute, die genau gewusst haben, was sie tun.“

Raul warf ihm einen kühlen Blick zu. „Und Sie wissen auch, was Sie tun, Superintendent?“, fragte er spöttisch.

Der Polizist ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Einen Mann wie Raul Carreras durfte man nie unterschätzen. Er war Millionär und konnte ohne Weiteres eine ganze Privatarmee nach den Kidnappern aussenden. Und genau das wollte Superintendent Pritchard vermeiden. „Ich habe sehr viel Erfahrung mit Entführungsfällen, Sir.“

Raul nickte. „Gut. Also, was geschieht jetzt?“

„Wir warten auf eine Nachricht der Entführer. Natürlich haben wir schon einige Spuren, aber …“ Er zuckte die Schultern.

„… die Verbrecher haben genau gewusst, was sie tun“, beendete Raul den Satz.

„Jeder macht Fehler, Mr. Carreras“, erwiderte der Beamte. „Ich gehe einmal davon aus, dass es eine Lösegeldforderung geben wird. Wie sieht es finanziell bei Ihnen aus? Können Sie schnell eine hohe Summe aufbringen?“

„Ich werde alles tun, was notwendig ist … natürlich nur streng im Rahmen des Gesetzes.“

Der Superintendent presste die Lippen zusammen. Die Ironie war ihm natürlich nicht entgangen. „Sie dürfen nicht die Geduld verlieren und etwas Unüberlegtes tun, Mr. Carreras“, sagte er schnell. Alan Pritchard war ein guter Menschenkenner und war sich sehr wohl bewusst, dass Männer wie Raul Carreras kein Problem damit hatten, Selbstjustiz zu üben. „Zum jetzigen Zeitpunkt ist es noch sehr wahrscheinlich, dass Sie Ihren Neffen und Ihre Nichte gesund und munter zurückbekommen.“

„Und natürlich werden die Verbrecher ihrer gerechten Strafe zugeführt“, fügte Raul mit finsterer Miene hinzu.

Alan Pritchard verspürte plötzlich sogar Mitleid mit den Entführern. Sie hatten sich mit dem falschen Mann angelegt. Raul Carreras würde die Schuldigen jagen, bis sie zur Strecke gebracht waren – und wenn es das Letzte war, was er tat!

Mit Antonio hatte es keine Schwierigkeiten gegeben, denn der erschöpfte kleine Junge war innerhalb von wenigen Minuten in Nells Bett eingeschlafen. Katerina zu beruhigen hatte fast eine Stunde gedauert, und Nell hatte schon befürchtet, der hysterische Teenager würde seine Drohung wahr machen und davonlaufen – wie schon zuvor!

Nell hatte dem jungen Mädchen Gelegenheit gegeben, sich all ihre Sorgen von der Seele zu reden. Katerina übertrieb zwar gewaltig, aber trotzdem war es klar, dass ihr Onkel Raul Carreras das Feingefühl eines Zehntonners hatte! Er war nach dem Tod seines Bruders im vorigen Monat zum Vormund der Kinder ernannt worden und schien völlig damit überfordert zu sein.

Der Mann ist wirklich ein Dummkopf! dachte sie aufgebracht, als Katerina ihr erzählte, wie sich ihr Onkel am Wochenende zuvor aufgeführt hatte. Er war auf einer Party aufgetaucht und hatte seine Nichte gegen ihren Willen nach Hause geholt. Ihre Freunde lachten heute noch darüber! Außerdem hatte er ihr verboten, Make-up aufzulegen, weil sie sich damit angeblich zum Narren machte!

Das war natürlich der völlig falsche Weg, um einen sowieso schon rebellischen Teenager zu zähmen – vor allem, wenn dieser bis jetzt wesentlich mehr Freiheiten genossen hatte.

Trotz allem war Nell mit ihren Gedanken aber nur halb bei der Sache. Ihr war genau bewusst, dass der Carreras-Haushalt inzwischen in heller Aufregung sein musste. Das Verschwinden der Kinder war sicherlich schon entdeckt worden. Es war sowieso erstaunlich, dass die beiden das so gut bewachte Anwesen hatten verlassen können. Katerina hatte sich schon lange über das strenge Sicherheitssystem beschwert, das ihr Onkel hatte installieren lassen. Davonlaufen schien unmöglich zu sein, aber es war den beiden trotzdem gelungen.

„Die Sicherheitskameras haben doch bestimmt alles aufgezeichnet“, sagte Nell jetzt.

Katerina zuckte die Schultern. „Ich habe sie ausgetrickst“, erwiderte sie stolz, „das war ein Kinderspiel.“

Nell hatte keine Ahnung von Computern und war deshalb sehr beeindruckt von Katerinas Können – obwohl sie es dem Mädchen natürlich nicht zeigte.

„Ich habe die Alarmanlage nach unserer Flucht natürlich sofort wieder eingeschaltet“, fuhr Katerina fort, „das Familiensilber ist also nicht in Gefahr.“

Nell schüttelte den Kopf. „Deine Familie sorgt sich sicher mehr um euch als um ihre Schätze.“

„Meinst du?“, fragte der Teenager spöttisch.

„Sie haben bestimmt große Angst um euch.“

„Das ist mir so etwas von egal!“, entgegnete Katerina erregt.

„Das glaube ich nicht“, erwiderte Nell ruhig.

„Sie gehören doch gar nicht zu meiner Familie“, erwiderte das Mädchen und schrieb dann aber doch die Telefonnummer der Carreras auf einen Block, den Nell ihr reichte. „Du bist unsere Familie. Sie haben Dad gehasst, weil er die Frau geheiratet hat, die er liebte. Er hat keinen Kontakt mehr zu ihnen gehabt, und sie haben sich auch nicht bei ihm gemeldet, als Mum gestorben war.“

„Nachtragend zu sein bringt nichts, Kate. Das hätte dein Vater nie gewollt.“

Zum ersten Mal lächelte Katerina. „Er war nie lange auf jemanden böse“, erklärte sie leise.

Ganz besonders nicht auf seine Tochter, die er hoffnungslos verwöhnt hat, dachte Nell und reichte dem Mädchen ein Taschentuch. „Dein Onkel Raul war noch sehr jung, als dein Vater den Kontakt zu seiner Familie verloren hat. Er kann also nichts dafür, was geschehen ist.“ Obwohl Nell diesen Mann verachtete, musste sie doch um Katerinas willen einen ruhigen Kopf bewahren. Vielleicht war er ja gar nicht so schlimm, wie das Mädchen ihn darstellte! „Gib ihm noch eine Chance, Kate“, bat sie.

„Hast du eine Ahnung, was das für mich bedeutet? Er will sogar, dass ich Spanisch lerne!“

„Das klingt doch ganz vernünftig“, antwortete Nell lächelnd. „Immerhin war dein Vater Spanier, und ich weiß zufällig, dass er dich gern zweisprachig erzogen hätte.“

„Und was ist mit Antonio? Er will den Kleinen auf irgendein teures Internat schicken. Findest du das vernünftig?“ Katerina lachte triumphierend, als sie sah, wie Nells Miene sich verfinsterte. „Da siehst du es! Antonio braucht mich. Damit ist es entschieden. Wenn du zu Hause anrufst, kannst du ihnen gleich mitteilen, dass wir nicht mehr zurückkommen.“ Sie sprang auf, lief ins Badezimmer und verriegelte die Tür hinter sich.

Nell hörte, wie Katerina zu schluchzen begann, und das Mädchen tat ihr unendlich leid. Sie wählte die Nummer, die auf dem Block stand, und hoffte, dass alles ein gutes Ende finden würde. Wenn sie Javiers Kindern irgendwie helfen konnte, würde sie das sofort tun.

„Verzeihen Sie die Störung“, entschuldigte sie sich, als sich jemand am anderen Ende der Leitung meldete, „ich weiß, es ist schon spät, aber es handelt sich um einen Notfall. Kann ich bitte mit Mrs. Carreras sprechen?“ Zuerst hatte sie Katerinas Onkel anrufen wollen, aber eine Frau verstand das Problem vielleicht eher. Oder lag es daran, dass Raul Carreras ihr Angst einjagte?

Inzwischen hatte Katerina das Badezimmer verlassen und setzte sich jetzt wieder aufs Sofa. „Das bringt auch nichts“, erklärte sie, „meine Großmutter tut genau das, was er sagt! Alle machen das!“

Nell war bewusst, was sie damit meinte, denn sie hatte Raul Carreras bei der Beerdigung seines Bruders Javier kennengelernt. An diesen Tag erinnerte sie sich noch sehr gut. Der Spanier hatte wirklich Eindruck auf sie gemacht! Er war ein Mann, den man so leicht nicht vergaß.

Die Carreras-Familie hatte den Friedhof in ihren großen, glänzenden schwarzen Limousinen bereits verlassen, und auch Javiers Künstlerfreunde hatten sich verabschiedet und waren gegangen. Nur ein großer, muskulöser Mann stand mit gesenktem Kopf noch am Grab und schien die Kälte und die großen Schneeflocken nicht zu spüren, die vom Himmel herabfielen.

Nell hatte sich im Schutz der Bäume befunden und war sich sicher, dass der Mann sie nicht entdeckt hatte. Doch dann hob er den Kopf und blickte sie an.

Er hatte große Ähnlichkeit mit seinem Bruder Javier, der genauso groß, von der Sonne gebräunt und dunkelhaarig gewesen war. Javier war ja schon attraktiv gewesen, aber sein Bruder war einfach umwerfend! Er war der aufregendste Mann, den Nell je gesehen hatte. Seine markanten Gesichtszüge, die dunklen Augen und der interessante Mund faszinierten sie, und sie konnte den Blick nicht von ihm abwenden.

Raul Carreras betrachtete sie lange, und Nell errötete. Schnell ging sie auf ihn zu. „Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht erschrecken.“

„Das haben Sie nicht“, erwiderte er höflich, doch seine Stimme klang kalt.

„Mein Name ist …„

„Ich weiß, wie Sie heißen.“

Sein Blick war feindselig, und Nell zuckte zusammen. „Wie geht es den Kindern?“, fragte sie, als sie sich wieder gefasst hatte.

„Den Umständen entsprechend“, erwiderte er kurz angebunden.

„Entschuldigen Sie, das war eine dumme Frage“, sagte Nell schnell.

„Stimmt.“

Nell atmete tief durch. Das war mehr als unhöflich! Warum war er so aufgebracht? Was hatte sie ihm getan?

„Ich würde die Kinder gern sehen. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mit Ihnen nach Hause fahre?“

„Ja.“

Er hatte sie bestimmt nur falsch verstanden. Nell konnte sich nicht vorstellen, dass er ihr diesen Wunsch wirklich abschlagen wollte. Doch dann machte er einen Schritt auf sie zu, und sie wich erschrocken zurück. Raul Carreras war für einen Spanier sehr groß, und sein muskulöser Körper mit den breiten Schultern und langen athletischen Beinen war beeindruckend.

„Nur Freunde und natürlich die Familie sind eingeladen“, sagte er und wandte sich ab.

Und Sie gehören nicht zu diesem Kreis. Das hatte er zwar nicht laut ausgesprochen, doch es war Nell auch so klar, was Raul Carreras dachte. Traurig und verletzt blickte sie ihm noch lange nach.

2. KAPITEL

Es dauerte einen Moment, bis Nell wieder in die Wirklichkeit zurückfand, denn die Erinnerungen an diesen kalten, traurigen Tag waren einfach überwältigend. Sie legte eine Hand auf die Muschel des Telefonhörers und blickte Katerina an. „Die Verbindung ist sehr schlecht“, sagte sie, „sei bitte leise, denn sonst kann ich nichts verstehen.“

„Mrs. Carreras ist nicht zu sprechen“, sagte der Unbekannte am anderen Ende der Leitung, „soll ich vielleicht Mr. Carreras holen?“

Verdammt! dachte Nell verzagt. Was für ein Pech! Mit diesem Mann wollte sie ja eigentlich nichts zu tun haben. Aber jetzt hatte sie ja wohl keine Wahl mehr. „Wenn es sein muss“, erwiderte sie und seufzte leise. Plötzlich fiel ihr auf, dass man sie nicht nach ihrem Namen gefragt hatte. Doch bevor sie noch darüber nachdenken konnte, meldete sich Katerinas Onkel.

„Raul Carreras“, meldete sich der Multimillionär kühl.

Nell spürte, wie ihr ein Schauder über den Rücken lief. Sie hatte diesen eiskalten, rücksichtslosen Mann noch gut vor Augen. „Sie erinnern sich wahrscheinlich nicht mehr an mich, Mr. Carreras“, antwortete sie dann mit bebender Stimme. „Es geht um die Kinder, Antonio und Katerina …“ Sie schloss schnell die Augen. Wie dumm von ihr! Er wusste doch genau, wie die beiden hießen! Dann atmete sie tief durch. „Vielleicht haben Sie noch nicht gemerkt, dass die beiden verschwunden sind. Sie sind bei mir, und es geht ihnen gut.“

„Das möchte ich gern selbst überprüfen. Holen Sie Katerina bitte an den Apparat.“

Nell war erleichtert. Sie hatte Vorwürfe oder Drohungen erwartet, doch Raul Carreras schien ganz ruhig zu sein. Sie hielt Katerina den Hörer hin, doch das Mädchen schüttelte starrsinnig den Kopf und verschränkte die Arme.

„Es tut mir leid, Mr. Carreras, aber es geht im Augenblick nicht“, erwiderte Nell schnell.

„Ich bestehe aber darauf“, befahl er, und sie spürte genau, dass er kurz davor war, in die Luft zu gehen. Katerina hatte ihr verraten, dass ihr Onkel über Leichen ging. Damals hatte Nell gelacht, doch jetzt war sie sich nicht mehr sicher, ob das Mädchen nicht vielleicht doch recht hatte.

„Wie ich schon sagte, Mr. Carreras, es ist im Moment leider nicht möglich“, antwortete sie.

„Es wird nie möglich sein“, rief Katerina, „ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben!“

Nell seufzte. „Wir waren uns doch einig, Katerina, die ganze Sache ruhig und vernünftig anzugehen. Entschuldigen Sie, Mr. Carreras“, sagte sie dann zu dem Mann am anderen Ende der Leitung, „lassen Sie uns jetzt eine Lösung finden.“

„Was soll ich tun?“, fragte Katerinas Onkel sofort.

Das überraschte Nell über alle Maßen. Sie hätte nie gedacht, dass der Multimillionär Raul Carreras jemanden um Rat fragte. Vielleicht war er ja doch nicht so ein Unmensch, wie Katerina ihn beschrieben hatte. Es konnte ja sein, dass er sich, genau wie Katerina und Antonio, erst an die neue Situation gewöhnen musste. Von heute auf morgen zwei Kinder im Haus zu haben war bestimmt nicht ganz einfach.

„Was wollen Sie?“, fragte er jetzt. „Sagen Sie es mir, und es gehört Ihnen.“

„Was ich will?“, wiederholte sie verwirrt. „Darum geht es doch gar nicht.“

„Dann geben Sie mir den Verantwortlichen, und verschwenden Sie nicht meine Zeit“, unterbrach er sie kurz angebunden.

Wollte er sie auf den Arm nehmen? Anders konnte sich Nell seine Reaktion nicht erklären. „Bitte sehen Sie es doch ein, Mr. Carreras, die Kinder sind im Moment sehr aufgeregt und verletzlich. Der Tod ihres Vaters hat sie schwer getroffen und ihr Leben völlig auf den Kopf gestellt. Hören Sie, ich will mich nicht in Ihre Erziehungsmethoden einmischen …“ Obwohl das nicht schaden könnte, dachte sie, denn dieser Mann macht alles nur noch viel schlimmer! „Sie sollten sich die Zeit nehmen und mit den beiden sprechen.“

„Ich dachte, das darf ich nicht?“, fragte er erstaunt.

„Ich bin mir bewusst, das alles muss sehr frustrierend für Sie sein“, erwiderte sie beruhigend, „aber Sie müssen Geduld haben.“

„Sie sorgen gerade dafür, dass ich genau die verliere.“

„Wieso denken Sie eigentlich immer zuerst an sich selbst?“, erwiderte sie erregt. „Können Sie sich denn nicht vorstellen, was die Kinder empfinden? Ihr ganzes Leben ist nur noch ein Scherbenhaufen …“

„Bitte regen Sie sich nicht auf“, unterbrach er sie.

„Ich bin doch ganz ruhig!“, entgegnete sie und warf Katerina einen wütenden Blick zu, denn diese schien das Ganze äußerst lustig zu finden.

„Ich kann sehr großzügig sein“, fuhr Raul Carreras fort.

Nell seufzte entnervt. Was glaubte dieser Mann eigentlich? Dachte er, dass er mit seinem Vermögen alle Probleme lösen könnte? „Es geht hier nicht um Geld“, antwortete sie ernst.

„Worum dann? Um Rache?“

„Natürlich nicht. Wie kommen Sie nur auf einen solchen Unsinn!“ Sofort taten ihr die harten Worte Leid, aber sie konnte sie nicht mehr zurücknehmen. „Es ist nur … Javier war ein so guter Vater …“ Nell war plötzlich nicht in der Lage, den Satz zu beenden, denn die Erinnerung an den Mann, den sie so gern gehabt hatte, schmerzte sie. Sie vermisste seinen Humor und sein liebevolles Lächeln, außerdem war er immer noch Teil ihres Lebens.

Sie erinnerte sich noch zu gut daran, wie sie ihn damals im Supermarkt getroffen hatte. Er versuchte vergeblich, seine beiden quengelnden Kinder in den Griff zu bekommen, und sie, Nell, erkannte ihn sofort wieder. Er hatte als Gastprofessor für Kunst einige Vorlesungen an ihrem College gehalten und war ein hervorragender, weit über die Grenzen des Landes berühmter Maler gewesen. Natürlich wusste Nell auch vom tragischen Tod seiner jungen Frau, denn in vielen Zeitungen war darüber berichtet worden.

Javier war ihr sehr dankbar, dass sie Antonio und Katerina beruhigte, und wenn Nell nicht so verzweifelt gewesen wäre, hätten sie sich wahrscheinlich nicht wieder gesehen. So aber suchte Nell ihn am nächsten Morgen auf und unterbreitete ihm ein Angebot. „Ich bin kurz davor, aus meiner Wohnung geworfen zu werden“, begann sie, „und Sie brauchen jemanden, der sich um Ihre Kinder kümmert. Dafür bin ich die richtige Frau und verlange im Gegenzug nur freie Kost und Logis.“

Zuerst nahm Javier sie nicht ernst, aber Nell trat so bestimmt auf, dass sie sich auf eine einmonatige Probezeit einigten. Und diese verlief besser, als sie angenommen hatte.

„Meine Familienangelegenheiten gehen Sie nichts an“, sagte Raul Carreras in diesem Moment kalt und holte Nell wieder in die Gegenwart zurück. „Ich habe keine Lust mehr auf Ihre Spielchen. Mit wem spreche ich überhaupt, verdammt noch mal?“

Nell zuckte zusammen. Er hatte sich bisher sehr gut unter Kontrolle gehabt, schien jetzt aber endgültig die Geduld zu verlieren. „Mein Name ist Nell Rose, ich war eine Freundin Ihres Bruders …“

Autor

Kim Lawrence
<p>Kim Lawrence, deren Vorfahren aus England und Irland stammen, ist in Nordwales groß geworden. Nach der Hochzeit kehrten sie und ihr Mann in ihre Heimat zurück, wo sie auch ihre beiden Söhne zur Welt brachte. Auf der kleinen Insel Anlesey, lebt Kim nun mit ihren Lieben auf einer kleinen Farm,...
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