Collection Baccara Band 334

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DAS HEIßE VERSPRECHEN DES MILLIARDÄRS von MERLINE LOVELACE
Der sinnlich-süße Duft von Lavendel liegt in der Luft, die Nächte sind wie gemacht für erotische Flitterwochen … wenn es nur sein dürfte! Doch leider gibt es in der jungen Ehe von Grace und dem Milliardär Blake Dalton ein großes Tabu: Liebe …

VERFÜHRT IM NAMEN DER EHRE von MAUREEN CHILD
Oh nein! Wie ist sie bloß in dieses Bett gekommen? Was ist nach dem Ball geschehen? Hat sie etwa mit Jack Harris geschlafen? Donna kann sich an nichts erinnern! Und es kommt noch schlimmer: Plötzlich stürmt ihr Vater - Jacks Vorgesetzter - wutentbrannt ins Zimmer …

NUR EINE AFFÄRE IN LAS VEGAS? von JOAN HOHL
"Heirate mich." Hawk glaubt, sich verhört zu haben: Kate macht ihm einen Antrag! Dabei kennen sie sich kaum, haben nur diese kurze Affäre in Las Vegas … Und warum liest er in Kates schönen Augen nicht nur Hoffnung und Leidenschaft - sondern auch Angst?


  • Erscheinungstag 12.11.2013
  • Bandnummer 0334
  • ISBN / Artikelnummer 9783733722180
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Merline Lovelace, Maureen Child, Joan Hohl

COLLECTION BACCARA BAND 334

MERLINE LOVELACE

Das heiße Versprechen des Milliardärs

„Du wirst meine Frau.“ Blake Dalton sagt es so bestimmt, dass Grace weiß: Widerspruch ist zwecklos. Und vielleicht ist eine Vernunftehe mit dem Milliardär nicht das Schlechteste. So kann sie mit ihrer kleinen Nichte, Blakes Tochter, zusammen sein! Ideal ist diese kühle Verbindung jedoch nicht. Denn Blake weckt in Grace eine nie gekannte Sehnsucht …

MAUREEN CHILD

Verführt im Namen der Ehre

Wie weit geht man für die Ehre einer schönen Frau – und für den eigenen Job? Sergeant Jack Harris geht weit, sehr weit: Er heiratet Donna, die Tochter seines Vorgesetzten, die nach dem Battalion Ball in seinem Bett gelandet ist. Doch je länger er sich auf dieses falsche Spiel einlässt, desto richtiger fühlt es sich an …

JOAN HOHL

Nur eine Affäre in Las Vegas?

Als Hawk McKenna ihr Restaurant betritt, weiß Kate sofort: Diesen Mann hat ihr der Himmel geschickt. Sein Sex- Appeal ist unglaublich, aber er strahlt auch Kraft aus, wie jemand, der sie beschützen kann. Genau, was sie braucht! Dann erfährt sie, dass Hawk nur kurz in Las Vegas ist. Wird es ihr trotzdem gelingen, diesen Traummann zu erobern?

1. KAPITEL

Blake Dalton hatte die Hände in den Taschen seiner Smokinghose zu Fäusten geballt. Aber er zwang sich trotzdem zu einem Lächeln, als er inmitten der Hochzeitsgäste im schwarz-weiß gefliesten Foyer der Villa seiner Mutter in Oklahoma City stand. Endlich näherte sich der pompöse Empfang dem Ende. Die Frischvermählten schritten feierlich die breite Marmortreppe herunter und hielten in der Mitte an, damit die Braut ihren Strauß in die Menge werfen konnte. Gleich danach würde sich das Paar in die Flitterwochen verabschieden.

Blake dachte nicht im Traum daran, den beiden ihre Hochzeitsreise nach Italien zu verderben. Sein Zwillingsbruder hatte einen langen, aufregenden Eroberungsfeldzug hinter sich, bis die emanzipierte Pilotin schließlich heute mit ihm vor den Altar getreten war. Alex verdiente diese zwei Wochen in der Toskana wirklich, denn als geschäftsführendes Vorstandsmitglied von Dalton International trug er eine Menge Verantwortung.

Es machte Blake auch nichts aus, Alex eine Weile zu vertreten. Dafür war er als Betriebswirt und Wirtschaftsjurist mit zehn Jahren praktischer Erfahrung als Finanzchef von DI bestens gerüstet. Wenn einer der Dalton-Brüder auf Dienstreise ging, übernahm der andere stets allein die Führung des Firmenimperiums.

Die Geschäftsleitung war also keineswegs Blakes Problem. Ebenso wenig war es seine Mutter Delilah, die sich jetzt schon über ein Jahr lang sehr resolut darum bemühte, dass ihre beiden Söhne endlich den Hafen der Ehe ansteuerten.

Blakes Blick streifte die Matriarchin des Dalton-Clans. Sie war eine elegante, selbstbewusste Erscheinung in ihrem Dior-Kleid aus pfirsichfarbener Spitze. Ihr tiefschwarzes Haar zeigte nur an den Schläfen schon einen Hauch von Silber. Als Blake das zufriedene Lächeln sah, mit dem sie das Brautpaar betrachtete, wusste er genau, was sie dachte. Endlich habe ich den einen Sohn verheiratet, der andere kommt hoffentlich auch bald an die Reihe.

Es war das sechs Monate alte Baby, das mit großen Augen über Delilahs Schultern lugte, das Blakes Herz rührte und ihn seine Fäuste noch heftiger zusammenballen ließ. Seit jemand die kleine Molly vor ein paar Wochen auf die Türschwelle von Blakes Mutter gelegt hatte, bestimmte das Kind sein Leben und das der ganzen Familie.

Denn ein DNA-Test hatte mit fast hundertprozentiger Sicherheit ergeben, dass das kleine blauäugige Mädchen eine Dalton war. Unglücklicherweise konnte der Test jedoch nicht genau ermitteln, wer von den Dalton-Brüdern der Vater war. Aber mit großer Wahrscheinlichkeit war es Alex. Hundertprozentige Gewissheit würde es erst geben, wenn das Labor die Daten mit der DNA der Mutter vergleichen könnte.

Folglich hatten die Dalton-Brüder nach Mollys Auftauchen alle Beziehungen zum schönen Geschlecht hinterfragt, die sie beide Anfang letzten Jahres gehabt hatten.

Alex’ Liste möglicher Kandidatinnen war beträchtlich länger als Blakes. Aber bilang kam keine der Frauen, einschließlich der frisch angetrauten Mrs Julie Dalton, als Mutter des Babys infrage.

Jetzt hallten laute Abschiedsgrüße und gute Wünsche durch die Luft, sodass Blake den Blick von dem Baby abwandte. Er brauchte nicht lange, um seinen Bruder in der Menge zu entdecken, der seinerseits nach ihm Ausschau hielt. Blake sah sozusagen sein eigenes Spiegelbild. Mit über einem Meter achtzig Größe und muskulösem Körperbau kamen die Brüder nach ihrem Vater Big Jake Dalton. Sie hatten beide auch die stahlblauen Augen ihres Vaters geerbt und sein mittelblondes Haar, das, ausgebleicht von der heißen Sonne Oklahomas, in lebhaften Goldtönen schimmerte.

Nachdem Blake Blickkontakt mit Alex aufgenommen hatte, schüttelte er nur ganz langsam und unauffällig den Kopf. Das musste genügen, weil Blake seinen Bruder vor der Hochzeitsreise nicht beunruhigen wollte. Die ganze Wahrheit sollten Alex und seine Frau Julie erst nach ihrer Rückkehr aus Italien erfahren. Bis dahin würde Blake die Sache auch geregelt und den Schock und seine Wut überwunden haben.

Solange das Brautpaar noch nicht auf dem Weg zum Flughafen war, bemühte Blake sich, die negativen Gedanken auszublenden. Die Zwillingsbrüder standen sich nämlich so nah, dass er eine Art Gedankenübertragung nicht ausschließen konnte. Auch nach ihrer Abfahrt hatte Blake sich fest im Griff und mischte sich scheinbar unbekümmert unter die Gäste, bis auch die letzten gegangen waren. Niemand, nicht einmal seine Mutter, ahnte, wie aufgewühlt er tatsächlich war.

„Puh!“ Erschöpft streifte Delilah Dalton ihre High Heels ab. „Es hat wirklich Spaß gemacht, nur jetzt bin ich froh, dass alles vorbei ist. Es war ein gelungenes Fest, nicht wahr?“

„Perfekt“, pflichtete Blake ihr bei.

„Ich sehe nur noch rasch nach Molly.“ Die Schuhe in der Hand, steuerte sie auf Strümpfen die Marmortreppe an. „Danach springe ich erst einmal in die Wanne, und vor einer Stunde bekommt mich niemand da heraus. Bleibst du eigentlich über Nacht hier?“

„Nein, ich will noch nach Hause fahren.“ Mit äußerster Kraftanstrengung gelang es Blake, seine Stimme ruhig klingen zu lassen. „Würdest du Grace bitte zu mir herunterschicken? Ich habe vorher noch etwas mit ihr zu bereden.“

Erstaunt hob seine Mutter die Augenbrauen, als sie hörte, dass er ausgerechnet jetzt die junge Frau sprechen wollte, die sie vorläufig als Nanny eingestellt hatte.

Seit dieses Baby vor ein paar Wochen im Leben der drei Daltons aufgetaucht war, hatte Grace Templeton sich schnell unentbehrlich gemacht und wurde schon fast als Familienmitglied betrachtet. So hatte sie heute auch die Rolle von Julies Brautjungfer übernommen, während Blake der Trauzeuge seines Bruders war.

In der kurzen Zeit hatte sie sogar schon Delilahs mütterliche Fantasie angeregt, und Delilah schwärmte ihrem Sohn vor, was für eine liebenswerte Person und Super-Nanny Grace war. Heute am Altar hätten sie beide ein sehr schönes Bild abgegeben.

Die Tatsache, dass Blake selbst schon ähnliche Gedanken gekommen waren, ließ seine Wut jetzt nur heftiger brodeln.

„Sag Grace bitte, dass ich sie in der Bücherei erwarte.“

Im Moment war Delilah zu müde, um nach dem Grund zu fragen. „Das mache ich“, rief sie ihrem Sohn, schon auf der Treppe, zu. „Aber halte sie bitte nicht so lange auf. Grace wird genauso fertig wie ich sein.“

Sie wird gleich noch viel fertiger sein, dachte Blake, während er durch die Halle zur mit Eichenholz vertäfelten Bibliothek stapfte. Das warme, indirekte Licht, das ihn dort umfing, stand in krassem Gegensatz zu seiner düsteren Stimmung. Erneut überflog er den Bericht, den er vor zwei Stunden erhalten hatte, und konnte immer noch nicht fassen, was darin stand.

Gleich darauf tauchte Grace im Türrahmen auf. „Hallo, Blake! Delilah sagte, dass du mich sprechen willst.“

Er musterte die schlanke Blondine argwöhnisch, weil er sie plötzlich in einem ganz anderen Licht sah. Grace hatte sich schon umgezogen und das lilafarbene schulterfreie Kleid gegen Jeans und eine sportliche weiße Bluse getauscht. Sie trug auch nicht mehr die elegante Hochsteckfrisur, sondern ließ ihr hellblondes Haar offen über die Schultern fallen.

„Entschuldige meine nasse Bluse“, sagte sie mit einem warmen Lächeln, begleitet von einem Funkeln in ihren großen bernsteinfarbenen Augen. „Ich habe Molly gerade gebadet, sie hat mich ganz schön nass gespritzt.“

Als Blake nicht reagierte, sondern nur stocksteif dastand, fragte sie ihn leicht verunsichert: „Worüber wolltest du mit mir sprechen? Stimmt etwas nicht?“

Er antwortete mit einer Gegenfrage. „Hast du den Mann bemerkt, der auf der Feier auftauchte, kurz bevor Alex und Julie aufbrachen?“

„Du meinst den Mann in dem braunen Anzug?“ Sie nickte stirnrunzelnd. „Ja, ich habe mich schon gefragt, wer das wohl war. Er passte so gar nicht zu den anderen Hochzeitsgästen.“

„Sein Name ist Del Jamison.“

Offensichtlich dachte Grace darüber nach, ob sie den Namen kannte, kam aber zu keinem Ergebnis.

„Jamison ist Privatdetektiv“, erklärte Blake unwirsch. „Alex und ich haben ihn damit beauftragt, Mollys Mutter zu suchen.“

Sie kann sich wirklich gut verstellen, dachte er, denn Graces Blick flackerte nur kurz. Zu Blakes Genugtuung konnte sie jedoch nicht verhindern, dass sie erblasste.

„Ach ja, er hatte eine Spur in Südamerika verfolgt, nicht wahr?“

„Richtig, aber danach führte ihn eine andere Spur nach Kalifornien.“

Jetzt konnte Grace ihre Angst nicht mehr verbergen. „Kalifornien?“, fragte sie atemlos.

„Ich werde den Bericht des Privatdetektivs zusammenfassen.“ Blake schlug einen kühlen, sachlichen Ton an. „Jamison hat herausgefunden, dass die Frau, die angeblich bei einem Busunfall ums Leben gekommen ist, überhaupt nicht darin verwickelt war. Sie starb erst ungefähr ein Jahr später.“

Mit dieser Frau hatte Blake eine kurze Affäre gehabt. Bis heute konnte er sich jedoch nicht erklären, warum sie ohne ein Abschiedswort ganz plötzlich aus seinem Leben verschwunden war. Aber er wusste jetzt, dass es eine Verbindung zwischen ihr und der charmanten Blondine mit den sanften Augen gab, die sich das Vertrauen seiner Mutter erschlichen hatte. Noch schlimmer fand er, dass Grace auch ihn sehr beeindruckt hatte.

„Ich verstehe nicht, warum du ausgerechnet mir das alles erzählst, Blake.“

Er musste sich sehr zusammenreißen, um nicht die Beherrschung zu verlieren. „Laut Jamisons Bericht hat diese Frau ein paar Wochen vor ihrem Tod ein Mädchen geboren.“

Molly ist meine Tochter, schoss es ihm wieder durch den Kopf, während er sich drohend dicht vor Grace aufbaute. „Kurz vor ihrem Tod wurde sie im Krankenhaus noch von einer Freundin besucht.“ Nach einer bedeutungsvollen Pause fügte er hinzu: „Diese Freundin hatte auffallend blondes Haar.“

„Blake!“ Graces bernsteinfarbene Augen, von denen er sich schon vorgestellt hatte, wie sie vor Lust erglühen würden, blickten ihn angstvoll an. „Hör mir zu!“

„Nein, Grace, oder wie immer du heißt.“ Seine Stimme bekam einen zornigen Unterton. „Du hörst mir jetzt zu. Ich weiß nicht, was du vorhattest, wie du uns erpressen wolltest, aber das Spiel ist aus.“

„Das ist kein Spiel.“ Grace schüttelte heftig den Kopf.

„Nein?“

„Nein, ich will kein Geld von euch.“

„Was willst du dann?“

„Ich möchte nur …“ Sie versuchte, Blake mit den Handflächen wegzuschieben. „Verdammt, es ist nur wegen P… Lass mich gehen.“

Blake wich jedoch keinen Zentimeter von ihr zurück. „Was möchtest du?“

Darauf wurde sie richtig wütend, ballte die Hände zu Fäusten und trommelte gegen seine Brust. Auf einmal war ihre Angst verflogen. „Ich wollte nur sicher sein, dass Molly es gut haben würde.“

Jetzt machte Blake zwar einen Schritt zurück, sodass Grace aufatmete, blieb jedoch mit vor der Brust verschränkten Armen immer noch nah genug vor ihr stehen und schaute ihr schonungslos in die Augen. „Jetzt erzählst du mir alles, aber ganz von vorn. Wer bist du?“

Graces Gedanken überschlugen sich. Nach allem, was sie durchgemacht hatte, nach tiefer Trauer und Angst um das Baby, kam jetzt auch das noch. Gerade hatte sie begonnen, wieder freier zu atmen und so etwas wie Zuversicht in ihrem Leben zu spüren. Ja, sie hatte sogar das Gefühl gehabt, dass zwischen ihr und diesem Mann …

„Wer bist du?“ Als Blake die Frage wiederholte, hatte er zu seinem beherrschten, geschäftsmäßigen Tonfall zurückgefunden. In den letzten zwei Monaten, seit Grace bei den Daltons lebte, hatte sie Blakes ausgleichendes Temperament schätzen gelernt. Er blieb immer so bewundernswert ruhig und sachlich, wenn er zwischen seinem weniger diplomatischen Bruder und seiner eigenwilligen Mutter vermitteln musste.

Oh Gott, Delilah! schoss es Grace durch den Kopf. Bei der Vorstellung, dass sie ihrer Chefin die Wahrheit gestehen musste, wand sie sich. Aber dann riss sie sich zusammen, hob energisch das Kinn und erwiderte Blakes starren Blick.

„Ich habe nicht gelogen. Ich heiße Grace, Grace Templeton, und bin Lehrerin, das heißt …“ Sie musste sich räuspern. „… ich war bis vor ein paar Monaten Lehrerin und habe Geschichte und Sozialkunde an der Highschool in San Antonio unterrichtet.“

Sie versuchte, nicht an ihr schönes früheres Leben als Lehrerin zu denken und daran, wie viel Freude ihr der Umgang mit den Kindern gemacht hatte.

„Bis vor ein paar Monaten“, wiederholte Blake. „Dann hast du um eine längere Beurlaubung gebeten, angeblich, um eine kranke Verwandte zu pflegen. Diese Geschichte hast du uns und deinem Schuldirektor doch erzählt, nicht wahr?“

„Es war keine Geschichte.“

Grace hörte Blake abfällig schnaufen. Seine sexy blauen Augen, die sie in der letzten Zeit oft mehr als nur freundlich angelächelt hatten, blickten nun abweisend. „Du warst mit Anne Jordan verwandt?“

Anne Jordan, Emma Lang oder Janet Blair. Das waren alles Decknamen. Grace hatte von Anne so viele panische Anrufe bekommen, hatte so viele ihrer verzweifelten Fluchten miterlebt, dass sie sich gar nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern konnte.

„Anne war meine Cousine.“

Tatsächlich verband die beiden Frauen aber viel mehr. Sie waren zusammen aufgewachsen und schon immer die besten Freundinnen gewesen, hatten zusammen mit Puppen gespielt und später all die großen und kleinen Geheimnisse ihrer Jugend miteinander geteilt.

Erbarmungslos fragte Blake weiter. „Warst du bei Anne, als sie starb?“

„Ja.“ Grace konnte nur flüstern. Die Erinnerung war zu schmerzhaft.

„Und was weißt du über das Baby? Über Molly?“

„Sie ist deine Tochter. Deine und … Annes.“

Darauf wandte Blake den Kopf ab, sodass Grace nur auf sein Profil starren konnte. Am liebsten hätte sie ihm ihr Herz ausgeschüttet, hätte ihm gesagt, wie leid es ihr tat, dass sie die Familie angelogen hatte. Aber sie hatte keine andere Wahl gehabt.

„Anne rief mich an und erzählte mir, sie sei sehr krank“, fuhr sie fort. „Sie flehte mich an, sofort zu ihr zu kommen. Noch am selben Nachmittag hatte ich mich ins Flugzeug gesetzt. Aber kurz nachdem ich im Krankenhaus ankam, lag sie schon im Koma, und in der Nacht ist sie gestorben.“

Während Grace erzählte, hatte Blake ihr sein Gesicht wieder zugewandt, und sie sah in seinen Augen die unausgesprochene Frage, die sie ihm prompt beantwortete.

„Anne konnte dich nicht mehr offiziell als Mollys Vater benennen. Sie war so mit Medikamenten vollgepumpt, dass sie kaum noch sprechen konnte. Aber sie hat mir noch den Namen Dalton zugeflüstert. Und weil ich wusste, dass sie hier für die Firma gearbeitet hatte, habe ich …“ Grace hatte keine Kraft mehr weiterzusprechen.

„So hast du Molly nach Oklahoma City gebracht“, ergänzte Blake, „und meiner Mutter vor die Haustür gelegt. Gleich da­rauf hast du Delilah angerufen, du hättest gehört, dass sie dringend eine Nanny sucht.“

„So war es doch auch.“

Jetzt ließ Blake Grace seine ganze Verachtung spüren. „Hattest du deinen Spaß, als mein Bruder und ich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt haben, um herauszubekommen, wer Mollys Vater ist?“

„Nein, ich habe dir doch schon gesagt, dass ich es selbst nicht ahnte, zumindest nicht, bis ich dich näher kennenlernte.“

Auch danach war Grace sich nicht hundertprozentig sicher gewesen. Die Dalton-Zwillinge hatten eben auch außer ihrem blendenden Aussehen und ihrer Intelligenz vieles gemeinsam. Sie hatte sich gut vorstellen können, dass ihre Cousine damals dem Charme von Alex erlegen war. Grace schien das sehr plausibel zu sein, ehe sie den ruhigeren, verlässlichen Blake Dalton besser kannte.

Blakes zurückhaltendes Wesen hatte es Grace jedoch sehr schwer gemacht, ihre Schlüsse zu ziehen, denn er behielt Privates für sich. Dass er eine Affäre mit einer Angestellten gehabt hatte, hätte er, wenn überhaupt, höchstens seinem Zwillingsbruder anvertraut.

Vergeblich hatte Grace gehofft, dass die DNA-Tests das Rätsel um Mollys Vater lösen würden. Sie war über die verbleibende Unsicherheit ebenso unglücklich wie die Daltons selbst.

Als dann eine Detektei mit der Suche nach Mollys Mutter beauftragt wurde, hatte es Grace mit der Angst zu tun bekommen, denn sie hatte ihrer Cousine ihr Wort gegeben, das Geheimnis für sich zu behalten. An dieses Versprechen fühlte sie sich gebunden, weil Mollys Zukunft davon abhing. Obwohl Blake dem Geheimnis auf die Spur gekommen war, durfte Grace ihm nicht die Wahrheit sagen. Sie wollte ihm jedoch eine andere Lösung anbieten.

„Soviel ich weiß, kann Mollys Vater nur zweifelsfrei ermittelt werden, wenn auch die DNA der Mutter vorliegt“, begann sie. „Anne wollte verbrannt werden, und ich besitze nichts von ihr, das ihre DNA enthalten könnte. Aber du kannst meine DNA testen lassen, Blake. Ich habe gelesen, dass die mitochondriale DNA ausschließlich über die weibliche Linie vererbt wird.“

Offensichtlich leuchtete auch Blake diese Logik ein. „Dann gib mir sofort eine DNA-Probe. Aber solange ich das Testergebnis nicht habe, hältst du dich von Molly fern.“

„Wie bitte?“

„Du hast richtig gehört, Grace. Ich will, dass du dieses Haus unverzüglich verlässt.“

„Das kann nicht dein Ernst sein.“

Aber dass es ihm ernst war, merkte sie im nächsten Moment, als er sie mit eisernem Griff am Arm packte und in Richtung Tür zog.

„Um Gottes willen, Blake.“ Kaum hatte sich Grace von ihrer Überraschung erholt, wurde sie sehr ärgerlich und versuchte, Blakes Hand abzuschütteln. „Ich bin seit Wochen für Molly verantwortlich. Du kannst doch nicht wirklich denken, dass ich ihr schaden will.“

„Ich denke“, erwiderte er mit frostiger Stimme und eiskaltem Blick, „dass es jede Menge Lücken in deiner Story gibt. Und solange diese Lücken nicht gefüllt sind, will ich dich Tag und Nacht unter Kontrolle haben.“

2. KAPITEL

„Steig ein!“ Blake öffnete Grace die Beifahrertür seines zweisitzigen Mercedes Cabrio.

Nicht die Schwüle des Juliabends, sondern Bestürzung und Angst schnürten Grace fast die Kehle zu. „Wohin fahren wir?“, presste sie mühsam heraus.

„Ins Stadtzentrum.“

„Aber ich muss vorher noch mit Delilah sprechen, und ich brauche noch ein paar Sachen.“

„Ich sage meiner Mutter Bescheid. Du sollst jetzt nur deinen Hintern ins Auto bewegen.“

Wäre Grace nicht schon verstört genug gewesen von den Geschehnissen der letzten halben Stunde, Blakes rüder Ton hätte sie zusammenzucken lassen. Das war nicht Blake, der höfliche, immer um Ausgleich bemühte Dalton-Bruder. In den vergangenen Wochen, seit sie bei Delilah Arbeit und Aufnahme gefunden hatte, hatte sie ihn niemals ungeduldig erlebt im Umgang mit seiner manchmal sehr eigenwilligen Mutter. Er verhielt sich auch dem Personal gegenüber stets freundlich und ging unbeschreiblich sanft und zärtlich mit Molly um.

„Steig ein!“

Es blieb Grace nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Das blassgraue Leder der Sitze fühlte sich von der Sonne immer noch unangenehm warm an, und Graces Sicherheitsgurt rastete so laut ein, als würde ein Gewehr abgefeuert.

Während Blake das Cabrio vom Anwesen fuhr, versuchte Grace, sich zu beruhigen und ihre Gedanken zu ordnen. Eigentlich war sie chaotische Überraschungen in ihrem Leben gewohnt. Es begann meistens mit einem Telefonanruf, einem Hilferuf von ihrer Cousine Hope. Aber Grace durfte sie nicht so nennen, selbst jetzt, wo Hope tot war. Ihr letzter Name war Anne.

Sie muss Anne sein und für die Nachwelt bleiben, nahm sich Grace fest vor und wiederholte es auf der Weiterfahrt immer wieder wie ein Mantra, bis der Wagen in die Tiefgarage der DI-Firmenzentrale von Oklahoma City einfuhr.

Obwohl Blakes Wagen durch die Elektronik erkannt wurde und die Schranke sich automatisch öffnete, grüßte der Hausmeister überschwänglich aus seiner Loge. „Oh, guten Abend, Mr Dalton!“

„Hallo, Roy!“

„Ich hoffe, dass es eine schöne Feier war und Ihr Bruder mit seiner Braut jetzt auf dem Weg in die Flitterwochen ist.“

„Ja, danke, die beiden sind schon unterwegs.“

„Auch ich wünsche dem Paar alles Gute.“ Dann nickte der Hausmeister Grace zu. „Wie geht es Ihnen, Ms Templeton?“

„Danke, sehr gut.“

Der freundliche Empfang verwunderte Grace keineswegs. Sie war schon oft mit Delilah und Molly in die Firma gefahren. Zwar hatte die verwitwete Mrs Dalton die Firmenleitung ihren Söhnen übertragen, aber das hieß nicht, dass sie sich aus allem heraushielt. Was in der Firma vorging, interessierte sie fast ebenso brennend wie das Privatleben ihrer Söhne. Also tauchte Delilah, mit Molly und der Nanny im Gefolge, nicht selten in den Büros und Konferenzräumen von Dalton International auf. Sie ließ es sich auch nicht nehmen, in die abgeschirmte oberste Etage zu fahren, wo ihre beiden Söhne ihre privaten Penthouse-Apartments unterhielten.

Dort gab es auch eine luxuriöse Gästesuite für ausgesuchte Geschäftsfreunde. In dieser wollte Blake Grace wohl unterbringen, denn er ließ sich am Empfang in der Lobby eine Schlüsselkarte ausstellen. Danach ging es im verglasten Lift hinauf.

Bald erreichte der Lift eine Höhe, aus der man auf die Stadt herunterblicken konnte. Bei früheren Besuchen hatte Grace die Aussicht auf Oklahoma City, die von Stockwerk zu Stockwerk atemberaubender wurde, immer sehr genossen. Aber heute Abend interessierte sie das beleuchtete Panorama kaum. Vielmehr beschäftigte sie der Mann, der vor ihr stand.

Am Anfang hatte sie die Daltons nicht auseinanderhalten können. Beide waren mit ihrem dichten blonden Haar, den markanten Gesichtszügen und ihrer schlanken, athletischen Figur überaus attraktiv. Zudem beeindruckten sie das weibliche Geschlecht im Doppelpack umso mehr.

Durch den näheren Umgang mit der Familie hatte Grace jedoch schnell gelernt, wie die beiden sich unterschieden. Alex war offener, und mit seinem schelmisch-charmanten Lächeln konnte er das Herz jeder Frau höherschlagen lassen. Blake machte auf den ersten Blick einen eher zurückhaltenden Eindruck. Aber wenn er lächelte, so strahlte er so viel Wärme und Charisma aus, dass er noch verführerischer auf Frauen wirkte.

Das Geräusch des Lifts holte Grace in die Realität zurück. Sobald sich die Tür öffnete, ergriff Blake fest Graces Arm und zog sie über den dicken Teppich in Richtung einer Tür aus dunklem Edelholz.

Das reicht, schoss es Grace durch den Kopf. Sie verlor nicht schnell die Beherrschung, aber jetzt war sie nicht mehr eingeschüchtert, sondern nur noch furchtbar wütend.

„Lass mich los!“ Mit einem Ruck befreite sie sich aus Blakes Griff und blieb stehen. „Was soll das? Erst scheuchst du mich aus dem Haus deiner Mutter, als hätte ich euer Tafelsilber gestohlen. Dann verfrachtest du mich in deinen Flitzer und zerrst mich mitten in der Nacht in deine Firma. Ich weigere mich, auch nur noch einen Schritt weiter zu gehen, wenn du nicht aufhörst, dich wie ein Geheimagent zu benehmen.“

Mit hochgezogenen Augenbrauen schob Blake demonstrativ den Ärmel seines blütenweißen Smokinghemdes hoch und schaute auf seine goldene Rolex. „Es ist zweiundzwanzig Minuten nach neun“, bemerkte er gelassen. „Also wohl kaum mitten in der Nacht.“

Am liebsten hätte Grace ihm eine Ohrfeige verpasst. Dieser beherrschte Ausdruck seiner makellosen Züge regte sie furchtbar auf. Sie hätte es wahrscheinlich auch gewagt, wenn sie nicht befürchtet hätte, dass es keinen Zweck hatte und sie sich nur die Finger an seinem harten Kiefer brechen würde.

Irgendwie verstand sie ihn auf einmal auch. Der Bericht des Detektivs hatte ihn offensichtlich aufgewühlt, und Blake suchte verzweifelt nach Antworten auf die vielen offenen Fragen. Vermutlich hatte er ihre Cousine geliebt.

Die Wut, die Grace gerade noch erfüllt hatte, ließ sofort nach und verwandelte sich in eine traurige Mattigkeit. „Okay“, flüsterte sie. „Ich werde dir alles sagen, was ich kann.“

Ein kurzes Nicken, schon war Blake an der polierten Holztür und öffnete sie mit der Schlüsselkarte.

Obwohl Grace die Suite bereits kannte, war sie erneut überwältigt, als sie eintrat. Die breite Fensterfront, die vom Boden bis zur Decke reichte, bot dem Betrachter einen grandiosen Blick über die Stadt. Am Tag reichte die Sicht über die moderne City bis hin zur Kuppel des altehrwürdigen Kapitol-Gebäudes und zum Oklahoma River mit den bunten Touristen­booten.

An einem klaren Sommerabend wie diesem fand Grace die Aussicht noch beeindruckender. Die modernen Bürotürme erschienen ihr wie sanft glühende Säulen, die sich zum Himmel reckten. Dazwischen wand sich der Fluss, gesäumt von hohen, mit Lichtern bekränzten Bäumen. Aber es war die monumentale Bronzestatue auf dem in Flutlicht getauchten Kapitol-Gelände, die Graces Aufmerksamkeit fesselte.

Zwar war Grace in Texas aufgewachsen, sie kannte als Geschichtslehrerin aber auch die historischen Wurzeln des Nachbarstaates. Außerdem hatte ihr Delilah, die im Spendenkomitee für die Statue gesessen hatte, weitere interessante Informationen gegeben.

Grace musste an ihren Besuch in Oklahoma in ihren ersten Semesterferien denken. Hope und ich, nein, Anne und ich, wir waren von der Stadt und dem Museum sehr beeindruckt. Kurz darauf hat die arme Anne dann Jack Petrie kennengelernt.

Seufzend wandte Grace sich vom Anblick des Denkmals ab. Sie musste die Vergangenheit ruhen lassen, durfte nicht mehr an Annes unglückliches Schicksal denken.

„Blake, ich kann dir leider nichts über Annes Vergangenheit erzählen“, begann sie unvermittelt. „Ich habe geschworen, dass sie ihr Geheimnis mit ins Grab nimmt. Aber ich versichere dir, dass du der einzige Mann seit vielen Jahren warst, zu dem sie Vertrauen gefasst hatte.“

„Glaubst du wirklich, dass ich mich damit zufriedengebe?“

„Du hast keine andere Wahl.“

„Das werden wir sehen.“

Nach diesen Worten entledigte Blake sich lässig seiner Fliege und seiner Smokingjacke. Der Kummerbund über seiner Hose betonte seine schmale Taille. Mit seinem Aussehen kann er es mit den meisten Hollywood-Stars aufnehmen, ging es Grace durch den Kopf.

Dann erinnerte sie sich schmunzelnd daran, wie Delilah ihr erzählt hatte, dass ihre beiden Söhne schon auf dem College ausgesprochen eitel gewesen waren und daher alle möglichen Sportarten getrieben hatten. Das Resultat konnte sich durchaus sehen lassen. Die Zwillinge hatten immer noch eine super Figur mit schlanken Hüften, einem kräftigen Brustkorb und muskulösen Schultern.

Im Moment kam Grace Blakes breite Brust aber wieder bedrohlich nah, was sie sehr nervös machte.

„Wie viele Cousinen magst du schätzungsweise haben?“, wollte Blake auf einmal wissen. „Was meinst du, wie lange Jamison braucht, um sie alle zu überprüfen?“

„Nicht lange“, konterte sie. „Er wird nur nichts finden außer Annes Geburtsurkunde, ihrer Fahrerlaubnis und ein paar Fotos in den Highschool-Jahrbüchern. Dafür hat sie gesorgt.“

„Aber ein Mensch kann nicht sein ganzes Leben nach der Highschool ausradieren.“

„Oh doch, das geht.“

Jetzt setzte sich Grace auf das schwarze Wildledersofa vor der Fensterfront und Blake über Eck auf das Gegenstück.

„Es ist weder leicht noch billig“, fuhr Grace fort und musste an ihr geplündertes Bankkonto denken. „Aber mit einem Freund, der einen Freund hat, der einen noch viel clevereren Freund hat, der es versteht, sich in jedes Computersystem einzuloggen, ist es machbar.“

Natürlich erklärte sie Blake nicht, wie und wo der Hacker sogar den Eintrag der Eheschließung zwischen Hope Patricia Templeton und Jack David Petrie gelöscht hatte.

Wieder überkam Grace tiefe Trauer. Ihre Cousine hatte daran geglaubt, dass Petrie sein Eheversprechen ernst meinte, sie lieben, achten und für sie sorgen würde. Aber schon nach ein paar Monaten hatte er ihr die Kreditkarte abgenommen und das Bankkonto gesperrt. Sie durfte auch nicht arbeiten, ja sollte noch nicht einmal wählen gehen.

Mehrere Jahre hatte sie wie eine Sklavin an seiner Seite gelebt, finanziell abhängig, seelisch und sexuell misshandelt und völlig vereinsamt. Sie durfte das Haus nur verlassen, wenn Petrie mit seiner hübschen Frau angeben wollte, um sie danach wieder brutal in sein Bett zu zerren.

Von Anfang an hatte er ihr den Kontakt zu ihrer Familie und ihren Freunden verboten, nur Grace hatte sich nicht von ihm einschüchtern lassen. Das stellte sich jedoch als sehr gefährlich heraus.

Nachdem Grace das Horrorerlebnis hatte, dass die Bremsen an ihrem Auto nach einem Besuch bei der Cousine versagten, wurden die Frauen vorsichtiger. Sie strichen ihre Besuche, Briefe und Telefongespräche von Haus zu Haus. Nur von einem Telefon in dem Geschäft, wo Hope einkaufen durfte, rief sie Grace noch an. Trotz guten Zuredens hatte es noch fast ein Jahr gedauert, bis Hope den Mut fand, vor ihrem Ehemann zu flüchten.

Danach folgte eine Zeit voller Angst und Verzweiflung. Immer wieder musste Hope umziehen und sich falsche Papiere besorgen, um unter einem anderen Namen Arbeit zu suchen, weil ihr Ehemann sie aufgespürt hatte. Als texanischer Sheriff reichte sein Einfluss sehr weit.

Aber schließlich glaubte sie, all ihre Spuren gelöscht zu haben. Unter dem Namen Anne Jordan fing sie ein neues Leben an und bekam eine Anstellung bei Dalton International. Dort war sie einfach nur eine von Hunderten Büroangestellten. Nicht im Traum hätte sie geahnt, den Finanzchef und Firmenmitinhaber privat kennenzulernen.

Für eine Weile schwieg Grace und dachte nach. Aber als Blake sie auffordernd ansah, riss sie sich von ihren Gedanken los. „Bitte, glaub mir, dass Anne ihre Vergangenheit aus gutem Grund für immer auslöschen wollte. In den letzten klaren Momenten vor ihrem Tod flehte sie mich jedoch an, dafür zu sorgen, dass Molly ihren Vater kennenlernt.“

Dadurch wollte die Mutter ihr Kind natürlich vor Jack Petrie schützen. Aber das konnte Grace Blake leider nicht offenbaren. Sie hoffte inständig, dass er sich mit dem, was sie ihm erzählt hatte, zufriedengeben würde. Eigentlich hätte sie wissen müssen, dass der Jurist in ihm sich dagegen sträubte, der Geschichte nicht gänzlich auf den Grund zu gehen.

Zunächst behielt er das jedoch für sich, sodass Grace beruhigt war. „Darf ich dich etwas fragen, Blake?“

„Nur zu.“

„Wie habt ihr euch kennengelernt, du und Anne? Sie war doch sehr schüchtern, was Männer anging.“ Als er ihr nicht gleich antwortete, fügte sie hinzu: „Bitte, es wäre tröstlich für mich zu erfahren, dass sie vor ihrem Tod doch noch ein wenig Glück gefunden hat.“

Blake seufzte. „Ich glaube schon, dass sie glücklich war während der wenigen Wochen, die wir zusammen hatten. Offen gestanden, ganz schlau bin ich nie aus ihr geworden. Sie hat es mir erst sehr schwer gemacht, Kontakt zu ihr zu bekommen. Auch später wollte sie sich mit mir nicht in der Öffentlichkeit zeigen. Wir gingen weder zusammen essen noch ins Theater. Das gäbe bei DI nur Gerede, meinte sie. Also trafen wir uns nur in ihrer Wohnung oder in einem Hotel.“

Grace wunderte das keineswegs. Ihre Cousine hatte nicht riskieren wollen, dass ein Klatschreporter darüber schrieb, dass der begehrte Junggeselle Blake Dalton eine neue Liebe hatte, oder gar ein Foto von ihnen beiden veröffentlichte.

Allein die Tatsache, dass Hope sich mit Blake getroffen hatte, zeigte, wie sehr sie ihm vertraute. Aber nachdem sie schwanger geworden war, musste sie ihn verlassen. Sie freute sich zwar auf das Baby, konnte ihm jedoch nichts davon sagen, weil Blake dem Kind offiziell seinen Namen hätte geben wollen. Aber dann wäre Hopes falsche Identität ans Licht gekommen und Petrie wieder auf ihrer Spur.

„Hast du sie geliebt?“ Grace hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Wieso wollte sie das so genau wissen? War sie etwa eifersüchtig auf ihre tote Cousine?

„Ich weiß es nicht“, gestand Blake. „Auf jeden Fall fand ich sie sehr anziehend, sonst hätte ich sie nicht überredet, mit mir ins Bett zu gehen. Aber als sie mich ohne ein Wort verlassen hatte, war ich schon verärgert und auch sehr verletzt.“ Sein Blick verfinsterte sich. „Dann hörte ich von diesem Busunglück …“ Er schaute Grace vorwurfsvoll an.

„Ich war nicht bei ihr, als es passierte“, verteidigte sie sich. „Anne war allein in ihrem Wagen. Der Bus ist direkt vor ihr ins Schleudern gekommen und gegen einen Brückenpfeiler geprallt. Obwohl sie unter Schock stand, stieg sie aus, um den Verletzten zu helfen.“

„Und sie ließ ihre Brieftasche am Unfallort?“

„Ja.“

„Hat sie das mit Absicht getan? Warum nur?“, wollte Blake wissen.

„Ich kann es dir leider nicht sagen. Du weiß doch, ich habe Anne versprochen, dass ihre Vergangenheit mit ihr sterben wird.“

„Aber das geht nicht. Molly ist der lebende Beweis.“

Verzweifelt ließ sich Grace vom Sofa gleiten und flehte Blake auf den Knien an. „Sei doch glücklich, dass du eine Tochter hast. Mehr brauchst du nicht zu wissen.“

Danach schwieg Blake so lange, dass Grace schon glaubte, er würde nicht mehr mit ihr sprechen. Als er sich dann doch noch an sie wandte, klang seine Stimme wieder eiskalt. „Bis jetzt habe ich nur dein Wort, dass Anne mein Kind ausgetragen hat. Erst einmal werde ich deine DNA zur Prüfung ins Labor geben. Wenn wir das Ergebnis haben, können wir überlegen, was zu tun ist.“

„Aber jetzt musst du mich zurück zu deiner Mutter ins Haus lassen, sie braucht meine Hilfe!“, rief Grace eindringlich. „Heute Abend hat sie mir gestanden, dass sie jedes ihrer Jahre spürt. Sie ist zu erschöpft, um allein für Molly zu sorgen.“

„Ich werde ihr helfen, und wenn es sein muss, finde ich schon Unterstützung“, erwiderte er mit unbewegter Miene. „Du bleibst auf jeden Fall hier.“

Nach diesen Worten stand Blake auf und ging zu der in der Wand eingebauten Bar. Für einen Moment dachte Grace, er wollte ihnen beiden einen Drink einschenken, damit sie die Bitternis der letzten halben Stunde herunterspülen könnten. Er nahm jedoch nur ein Whiskyglas aus dem verspiegelten Regal und stellte es vor sie auf den Tisch.

„Jetzt spuck!“, befahl er ihr barsch.

3. KAPITEL

Das melodische Läuten der Türglocke ließ Grace aus unruhigem Schlaf erwachen. Als gleich darauf ungeduldiges Klopfen folgte, stützte Grace sich auf den Ellbogen auf und schaute blinzelnd auf den Wecker neben dem Bett.

Oh Gott, schon zwanzig nach sieben, schoss es ihr durch den Kopf, ich habe Mollys erstes Fläschchen verschlafen.

Erst als sie die Decke zurückgeschlagen hatte und aus dem Bett springen wollte, holte sie die Wirklichkeit ein. Sie war ja gar nicht in ihrem Zimmer in Delilahs Villa. Daher hatte Grace auch kein Nachthemd, sondern nur ihren lila Spitzenslip an. Und Mollys Nanny war sie auch nicht mehr.

Während die Erinnerungen an den vergangenen Abend auf sie einstürmten, hämmerte es weiter an der Tür. Hastig zog Grace sich ihre Jeans über und die inzwischen hoffnungslos zerknitterte weiße Bluse, die sie auf dem Weg zur Tür schnell zuknöpfte.

Sie konnte sich schon denken, wer da so ungeduldig klopfte. Schließlich lebte sie seit einigen Wochen bei Blakes eigenwilliger, leicht aufbrausender, aber herzensguter Mutter. Wichtige Angelegenheiten erledigte die Matriarchin des Dalton-Imperiums am liebsten immer noch selbst.

Grace hatte jedoch nicht damit gerechnet, dass Delilah das Kind mitbringen würde. Molly kuschelte sich in ihrem Tragetuch zufrieden an die Brust der Großmutter, als Grace die Tür öffnete.

„Delilah, ich …“

„Nenn mich nicht noch einmal so.“ In ihren modischen Hightop-Sneakers betrat Delilah die Suite. „Ich bin nicht mehr Delilah für dich.“

Grace schloss die Tür und folgte ihr ins Wohnzimmer. Hätte sie sich doch wenigstens die Haare gebürstet und Wasser übers Gesicht laufen lassen vor diesem Tribunal. Außerdem brauchte sie einen Kaffee, ganz dringend.

Vergangene Nacht hatte sie sich nur von einer Seite auf die andere gewälzt. Und in den wenigen Stunden unruhigen Schlafs hatte sie von Anne geträumt … und von Blake. Aus irgendeinem Grund hatte sich seine Wut auf sie plötzlich in Leidenschaft verwandelt, er hatte sie eng umschlungen. Dann war Grace aufgewacht, atemlos und glühend vor Sehnsucht.

Sie stand noch immer unter dem Eindruck dieses erotischen Traums, als sie jetzt zusah, wie Delilah die zebragestreifte Babytasche abstellte und Molly aus dem Tuch nahm.

Vom Kleidchen der Kleinen grinsten Grace lustige, in Lianen schwingende Affen an. Auch sonst hatte es Delilah heute mit Dschungeltieren. Ihre dreiviertellangen Leggings zierte ein Tigermuster, und darüber trug sie ein schwarzes T-Shirt mit neongrüner Aufschrift, die für das Gorillagehege des Zoos warb. Grace wusste, dass Delilah höchstpersönlich die Spenden dafür aufgetrieben hatte.

„Guck nicht so entgeistert!“ Offensichtlich dachte Delilah trotz allem nicht daran, Grace wieder zu siezen. „Nimm lieber mal die Decke aus der Babytasche.“

Auf der Decke prangten knallbunte Dschungelblumen, fiel Grace auf, als sie sie in einem sicheren Abstand vom Glastisch auf dem Boden ausbreitete. Molly hatte gerade Krabbeln gelernt. Während sie sich auf Händen und Knien wenig elegant fortbewegte, hielt sie das Köpfchen stets hoch und betrachtete ihre Umgebung mit leuchtenden blauen Augen.

Nachdem Delilah die Kleine auf die Decke gesetzt hatte, zeigte sie auf Grace. „Du setzt dich auch hin.“

„Soll ich uns nicht einen Kaffee machen?“, fragte Grace hoffnungsvoll, denn die Suite war sogar mit einer kleinen Küche ausgestattet. „Das geht ganz schnell.“

„Vergiss den Kaffee. Jetzt sagst du mir erst einmal die Wahrheit.“

Seufzend fuhr Grace sich mit den Fingern durch ihr ungebürstetes Haar. „Ich weiß nicht, wie weit Blake dich informiert hat.“

Als keine Reaktion von Delilah kam, fuhr sie fort: „Okay, hier ist die Kurzfassung. Mollys Mutter war meine Cousine. Als Anne für DI arbeitete, hatte sie eine kurze Affäre mit einem deiner Söhne. Sie starb leider, bevor sie mir sagen konnte, mit welchem. Also brachte ich Molly zu dir und wollte als Nanny an ihrer Seite bleiben, bis Alex und Blake die Vaterschaft geklärt hätten.“

Darauf schaute Delilah sie jedoch nur verächtlich an. „Wenn einer meiner Söhne deine Cousine geschwängert hat, hätte es sich gehört, dass sie es dem Vater selbst sagt. Meinst du nicht auch?“

Sogleich ging Grace in Abwehrstellung und fühlte sich verpflichtet, Hope zu verteidigen. Niemand ahnte, was ihre Cousine durchgemacht hatte. Deswegen duldete Grace auch nicht, dass jemand schlecht von ihr sprach. Dieses Recht räumte sie selbst Delilah Dalton nicht ein.

„Wie ich Blake schon sagte, hatte Anne gute Gründe, so zu handeln, und sie wollte, dass ihr Motiv auch nach ihrem Tod geheim bleibt. Aber es war ihr größter Wunsch, dass ihr Kind wenigstens seinen Vater kennenlernt, wenn es schon keine Mutter mehr hat.“

„Komm mir nicht mit der Mitleidsmasche, Mädchen.“

Delilahs barscher Ton ließ das Baby zusammenzucken. Während die Kleine ihren Kopf erstaunt zur Großmutter drehte, verlor sie fast das Gleichgewicht und drohte umzufallen, sodass beide Frauen sich gleichzeitig zu ihr beugten.

Danach nahm sich Delilah zwar im Ton zurück, nicht aber in ihrer Kritik. „Ich habe dir deine Geschichte von der arbeitslosen Lehrerin abgenommen, dich in mein Haus aufgenommen, erinnerst du dich? Verdammt, ich habe dir vertraut.“

Grace äußerte sich nicht zu ihrer beruflichen Situation. Aber sie musste zu dem Vorwurf, dass sie Delilahs Vertrauen missbraucht hatte, Stellung nehmen. „Es tut mir sehr leid, dass ich dir nicht gleich sagen konnte, was für eine Beziehung ich zu Molly habe.“

„Ha!“

„Ich habe meiner Cousine sozusagen am Sterbebett versprochen, dafür zu sorgen, dass ihr Kind bei liebevollen Menschen aufwachsen wird.“ Graces Blick wanderte von dem zufrieden glucksenden Krabbelkind zurück zu Delilah. „Das ist zum Glück auch der Fall. Ich konnte mich davon überzeugen, dass Molly geliebt und gehegt wird.“

Bis auf ein leises Schnaufen gab Delilah zunächst keinen Laut von sich. Erst nach einer Weile erwiderte sie: „Ich habe mir immer eingebildet, eine gute Menschenkenntnis zu haben. Selbst der Macho, den ich als junge Frau heiratete, entwickelte sich so, wie ich es mir gedacht hatte.“

Grace ging lieber nicht darauf ein, denn Delilah hatte mehr als einmal durchblicken lassen, dass Big Jake es mit der ehelichen Treue nicht so genau genommen hatte.

Wieder fühlte sie sich von Delilahs Blick durchbohrt. „Ist es auch wirklich wahr, dass du die Großcousine von Molly bist?“

„Jawohl.“

„Den Beweis dafür werden wir hoffentlich bald schwarz auf weiß bekommen. Dieses Labor muss ein Vermögen an uns verdienen, wenn wir so viele eilige DNA-Tests durchführen lassen.“

Nach diesen Worten schürzte Delilah die Lippen, wiegte den Kopf und verkündete Grace dann, zu welchem Schluss sie gekommen war. „Ich habe beobachtet, wie du mit Molly umgehst. Daher kann ich mir nicht vorstellen, dass du geplant hast, uns abzuzocken. Aber Blake ist immer noch misstrauisch. Den wirst du noch überzeugen müssen.“

„Leider kann ich ihm nicht mehr sagen, als ich ihm schon gesagt habe.“

„Glaub mir, als Mutter kenne ich ihn besser als du. Er bekommt am Ende immer, was er will.“ Delilah stand auf und warf sich das Tragetuch wieder um. „Komm, Molly, wir gehen zurück zu deinem Daddy.“

Grace war spontan aufgesprungen, nahm das Baby auf und küsste es herzlich auf die Wangen, bevor sie seine kleinen Füßchen durch die Tuchschlingen steckte. Während Delilah das Tuch stramm zog, verstaute Grace die bunte Decke in der Babytasche und reichte sie Mollys Großmutter.

„Schade, dass Blake mir nicht mehr erlaubt, dir mit Molly zu helfen.“

„Bis sich die Angelegenheit geklärt hat, schaffen wir das schon allein.“

Grace wartete nun schon den dritten Tag ungeduldig darauf, dass sich die Angelegenheit klären würde.

Inzwischen hatte Blake ihr ihre persönlichen Sachen samt Ausweis und Geld bringen lassen. Sie nahm es als gutes Zeichen. Zumindest verdächtigte er sie nicht, dass sie wie ihre Cousine einfach verschwinden würde. Aber dass Blake nicht persönlich vorbeigekommen war, bekümmerte Grace schon sehr.

Seit er sie aus dem Haus seiner Mutter verbannt hatte, war ihr erst richtig bewusst geworden, wie wohl sie sich bei den Daltons gefühlt hatte. Ja, sie mochte Mutter und Sohn, und vor allem vermisste sie natürlich Molly. Grace war ganz darin aufgegangen, das süße Baby zu umsorgen, es zu wickeln, zu füttern und im Arm zu halten.

Natürlich war Grace immer klar gewesen, dass die Zeit kommen würde, sich aus Mollys Leben zu verabschieden. Je länger sie in Oklahoma City blieb, desto größer wurde auch das Risiko, dass Jack Petrie sie aufspürte.

Dann meldete sich Blake am späten Nachmittag doch telefonisch bei Grace an. „Ich muss mit dir reden. Kann ich gleich hochkommen?“

„In Ordnung.“ Sie hoffte, dass er ihr nicht angehört hatte, wie aufgeregt sie war.

Aber wenigstens war sie besser als beim letzten Mal auf ein persönliches Gespräch mit Blake vorbereitet. Sie hatte ihr Haar hübsch aufgesteckt und auch etwas Lipgloss aufgetragen. Ob ich mich noch schnell umziehen soll? fragte sie sich. Nein, sie entschied sich, ihre Jeans und das rote T-Shirt anzubehalten und lieber noch ein wenig tief durchzuatmen. Es nutzte jedoch kaum etwas.

Als sie Blake die Tür öffnete, flatterten ihre Nerven, zumal ein ganz anderer Blake Dalton vor ihr stand. Sie hatte ihn im Haus seiner Mutter praktisch nur im smarten Business-Look mit Hemd und Krawatte gesehen. Ganz zu schweigen von seinem umwerfend eleganten Smoking, den er bei der Hochzeit seines Bruders getragen hatte.

Jetzt stand er vor ihr in verwaschenen Jeans und einem schlichten schwarzen T-Shirt, das sich über seinen breiten Schultern leicht spannte. Er war auch nicht frisch rasiert, sodass auf Wangen und Kinn blonde Bartstoppeln schimmerten.

Im Ganzen machte er auf Grace einen einschüchternden und sehr entschlossenen Eindruck. Ihr fiel jedoch auf, dass er sie mit seinen stahlblauen Augen nicht ganz so eiskalt musterte wie beim letzten Treffen.

„Der Laborbericht ist da.“

Schweigend führte sie ihn ins Wohnzimmer. Wegen der grellen Sonne waren die Jalousien automatisch heruntergefahren. Der Raum wirkte ohne den weiten Ausblick kleiner und intimer. Zu intim, dachte Grace, als sie sich umwandte und Blakes imposante Gestalt dicht vor sich bemerkte.

„Bist du nicht an dem Resultat interessiert?“, wollte er wissen.

„Ich kenne es doch schon.“ Grace zuckte die Schultern. „Wenn das Labor die Proben nicht verwechselt hat, wird es bestätigen, dass ich mit Molly verwandt bin.“

„Das Labor hat die Proben nicht verwechselt.“

Grace nickte und kreuzte die Arme über der Brust. „Was nun?“

Offensichtlich war Blake von ihrer Reaktion sehr überrascht. Er sah sie mit großen Augen an.

„Was hast du erwartet?“, fragte sie ihn, das Kinn angriffslustig vorgestreckt. „Soll ich dir vor Freude um den Hals fallen, nur weil jetzt bewiesen ist, dass ich die Wahrheit gesagt habe?“

Blake wirkte zwar immer noch erstaunt, aber es entging Grace nicht, dass sein Blick jetzt an ihrem Mund hing. Seine Augen schimmerten auf einmal wärmer, dunkler, sehr intensiv. So als wäre es für Blake keine unangenehme Vorstellung, wenn sie sich umarmen würden, sondern eher etwas, das er ernsthaft in Erwägung zog.

Nachdem Grace das bewusst geworden war, erschien ihr die Idee selbst auch ganz verlockend. Sie brauchte nur einen kleinen Schritt nach vorn zu wagen, ihre Arme um seinen muskulösen Nacken zu legen und sich an Blakes starken Körper zu schmiegen.

Ihre Cousine hatte dieser Versuchung doch auch nicht widerstehen können.

Aber bei dem Gedanken an Hope bekam Grace sofort ein schlechtes Gewissen, sodass sie anstatt des Schritts nach vorn einen zurück machte. Blake war schließlich Hopes Geliebter gewesen und der Vater ihres Kindes. Grace spielte in seinem Leben nur eine vorübergehende, untergeordnete Rolle.

„Jedenfalls hast du jetzt Gewissheit, dass du Mollys Vater bist“, bemerkte sie betont sachlich. „Ich konnte mich davon überzeugen, dass sie bei dir ein liebesvolles Heim gefunden hat. Also wird es für mich Zeit, meine Sachen zu packen und nach San Antonio zurückzukehren. Aber vorher möchte ich noch einmal bei euch vorbeifahren, um mich von der Kleinen zu verabschieden.“

„Das ist alles?“, fragte Blake stirnrunzelnd. „Du willst so einfach aus ihrem Leben verschwinden?“

„Ich werde sie besuchen, wenn es geht.“

„Aber wir müssen noch einiges mit den Behörden regeln“, wandte Blake ein. „Ich brauche Mollys Geburtsurkunde und auch die Sterbeurkunde ihrer Mutter.“

Beide Dokumente waren auf Hopes letzten falschen Namen ausgestellt. Hoffentlich würde das den Behörden in Oklahoma nicht auffallen. Aber die Daltons sind eine einflussreiche Familie, beruhigte sich Grace, Blake wird schon keine Schwierigkeiten bekommen, und wenn, dann weiß er sich zu wehren.

„Ich schicke dir Kopien“, versprach sie.

„Gut.“ Blake schien zu überlegen und fügte dann hinzu: „Du weißt hoffentlich, dass ich Anne auf keinen Fall im Stich gelassen hätte.“

„Ja“, antwortete Grace leise. „Das weiß ich.“

Er schaute ihr in die Augen. „Anne hat es nicht fertiggebracht, sich mir anzuvertrauen, aber du kannst es, Grace.“

Wie gern hätte sie das getan. Es wäre so eine Erleichterung gewesen, sie fühlte sich jedoch keineswegs dazu berechtigt.

Also schluckte sie den Kloß, den sie plötzlich im Hals spürte, tapfer herunter. „Ich vertraue dir Molly an, Blake, weil ich weiß, dass du ein wunderbarer Vater bist.“

Der Abschied von Molly war Grace unsagbar schwergefallen. Aber mit aller Kraft hatte sie es geschafft, sich zusammenzureißen, bis sie in ihrem Leihwagen saß und auf dem Highway Richtung Süden fuhr.

Erst dann hatte sie ihren Tränen freien Lauf gelassen. Achtzig Kilometer lang musste sie so heftig weinen, dass sich ihre Kehle rau anfühlte und ihr Gesicht entsetzlich aufgequollen war. An der Grenze zum Bundesstaat Texas machte sie halt, um sich die Haut mit eiskaltem Wasser zu kühlen.

Nach weiteren sechs Stunden Fahrt hatte sie ihre Heimatstadt San Antonio erreicht, wo sie zusammen mit ihrer Cousine aufgewachsen war.

Als Grace ihr in einem Vorort gelegenes Apartment betrat, kam es ihr klein und stickig vor. Dabei hatten ihr das in warmen Terrakottatönen gehaltene Wohnzimmer und die kleine Küche immer gefallen. Aber es war kein Wunder, dass sie sich erst wieder daran gewöhnen musste, denn ihre vollständige Wohnung hätte allein ins Foyer von Delilahs hochherrschaftlicher Villa gepasst.

Nachdem Grace ihre Sachen ausgepackt hatte, setzte sie sich gleich an den Computer, scannte die benötigten Dokumente für Blake ein und mailte sie ihm zu.

In den folgenden zwei Wochen blieb ihr nicht mehr zu tun, als sich wieder in ihrem bescheidenen Zuhause einzurichten. Bis zu den Weihnachtsferien hatte ihr Schulleiter eine Vertretung für sie eingestellt, sodass ihr nicht nur die Arbeit fehlte, sondern auch das Geld knapp wurde. Aber das Schlimmste war ihre Sehnsucht nach Molly, denn sie hatte die Kleine furchtbar lieb gewonnen.

Nur in ihren schwachen Momenten gestand Grace sich ein, dass sie Mollys Vater beinah ebenso sehr vermisste. Wie jeden, der den Dalton-Clan näher kennenlernte, hatten sie Delilahs starke Persönlichkeit und Alex’ verwegener Charme sehr beeindruckt.

Aber wenn sie die Familie jetzt aus der Distanz betrachtete, wurde ihr bewusst, dass es in erster Linie Blake war, der die Familie zusammenhielt. Er half seiner Mutter, wenn sie mit einer Charity-Aktion mal wieder Geld für irgendeinen guten Zweck sammeln wollte. Er sorgte dafür, dass bei Dalton International alles rundlief, wenn sein Bruder Alex um die Welt jettete, um sich mit Kunden und Lieferanten zu treffen.

Jeden Tag musste Grace an Blake denken. Sie sah seine imposante Gestalt vor sich und hörte sein begeistertes Lachen, wenn er mit Molly spielte.

Der einzige Lichtblick für Grace in diesen zwei scheinbar endlosen Sommerwochen war die Tatsache, dass sie nichts von Jack Petrie hörte. Wenn er sich nicht meldet, muss er meine Spur verloren haben, dachte sie erleichtert.

Als es jedoch an einem regnerischen Nachmittag bei ihr läutete, kehrte die Angst schnell zurück. Misstrauisch schaute sie durch ihren Türspion.

Sie fühlte sich wie vom Blitz getroffen. Der Anblick des Besuchers vor ihrer Tür ließ ihre Hände zittern, sodass sie kaum das Schloss öffnen konnte. Dann aber riss sie die Tür schwungvoll auf.

„Blake!“

Als er nun vor ihr stand mit aufgekrempelten Hemdsärmeln, das Haar durchnässt vom Regen, ergriff sie schon wieder Angst. „Ist etwas mit Molly?“

„Nein.“

Aber Grace spukten auf einmal Horrorszenen im Kopf herum. „Oh Gott, was ist passiert?“

„Molly vermisst dich eben.“

„Wie meinst du das?“

„Nun, sie ist ziemlich quengelig, seit du weg bist. Mutter meint allerdings, dass sie zahnt.“

Allmählich begriff Grace, dass ihrer süßen Kleinen nichts Böses passiert war, sie war weder schwer krank noch gekidnappt worden. Von einer Tonnenlast befreit, atmete sie auf. „Dafür bist du nach San Antonio gekommen, um mir zu sagen, dass Molly zahnt?“

„Ja, und außerdem hat sie ihr erstes Wort ausgesprochen.“

Jammerschade, dass ich das nicht miterlebt habe, ging es Grace durch den Kopf. Sie bemerkte gar nicht, dass Blake etwas ungeduldig in ihre Wohnung spähte. „Darf ich hereinkommen?“

„Oh ja, natürlich.“

Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie barfuß war und ihr knappes T-Shirt kaum bis zur Taille reichte. Dazu trug sie uralte kurze Shorts, die ihren Po eng umschlossen. Schön bequem für zu Hause, aber nicht für die Straße oder Besuch geeignet.

Schon bemerkte sie, dass Blake ihre langen Beine musterte und sein Blick dann höher wanderte. Sie verstand selbst nicht, warum ihr heiß wurde. Um sich abzulenken, brachte sie das Gespräch auf Molly. „Was hat die Kleine denn gesagt?“

„So etwas wie ga-ga“, antwortete er mit verhaltenem Lächeln. „Aber am Ende klang es mehr wie ein Zischen.“

Grace strahlte über das ganze Gesicht. „Du meinst, sie wollte Gace sagen? Meinen Namen?“

„Genau, Gace wie Grace. Das R ist natürlich noch zu schwer. Aber sie hat das Wort schon mehrmals wiederholt.“

„Huh, ich …“ Plötzlich fehlten ihr die Worte, so sehr bedauerte sie, dass sie das erste Babywort verpasst hatte.

Blakes Stimme riss sie aus ihren Gedanken. „Wir möchten, dass du zurückkommst, Grace.“

Zunächst traute sie ihren Ohren nicht und blickte Blake erschrocken an. „Wer ist ‚wir‘?“

„Wir alle – Mutter, ich und Julie und Alex.“

„Die beiden sind also aus den Flitterwochen zurück?“

„Ja, sie sind gestern Abend gelandet.“

„Und du …“ Sie hielt inne, weil sie erst einmal Luft holen musste. „Du meinst, dass ich wieder nach Oklahoma kommen soll als Mollys Nanny?“

„Nicht als Nanny. Als meine Frau.“

4. KAPITEL

Blake konnte gut verstehen, dass Grace perplex war. Während des Fluges nach San Antonio hatte er sich ja selbst immer wieder gesagt, dass es eigentlich verrückt war, eine Frau heiraten zu wollen, die ihm beharrlich die Wahrheit verschwieg.

Aber noch verrückter fand er, dass er Grace so entsetzlich vermisste. Schließlich hatte sie sich ins Haus seiner Mutter eingeschlichen und Mollys Herz gestohlen. Sie hatte ihn und die ganze Familie angelogen, zumindest hatte sie nicht die volle Wahrheit gesagt. Aber trotz alldem kam Blake die Lücke, die sie hinterlassen hatte, mit jedem Tag, jeder Stunde größer vor.

Allein dass die kleine Molly so unerwartet aufgetaucht war, hatte sein wohlgeordnetes Leben durcheinandergebracht. Aber durch die sanftmütige Blondine war seine Welt vollkommen aus den Fugen geraten. Deshalb spürte er auch jetzt eine gewisse Genugtuung, als er sah, in welches Gefühlschaos er Grace offensichtlich gestoßen hatte.

„Bist du von allen guten Geistern verlassen? Du kannst mich nicht heiraten!“

„Warum nicht?“

„Weil …“ Sie stotterte hilflos. „Weil …“

Einen Moment lang hoffte Blake, dass sie ihm endlich die volle Wahrheit anvertrauen würde, aber Grace verstummte.

„Warum setzen wir uns nicht?“ Seine Stimme klang viel selbstsicherer, als er tatsächlich war. „Bereden wir die Sache in aller Ruhe.“

„In aller Ruhe bereden?“ Plötzlich brach sie in fast hysterisches Gelächter aus. „Ich bekomme zum ersten Mal in meinem Leben einen Heiratsantrag, und du willst die Sache in aller Ruhe bereden.“ Sie machte eine einladende Handbewegung. „Okay, komm mit ins Wohnzimmer.“

Blake nahm auf dem beigebraunen Samtsofa Platz, das mit den Terrakottatönen der Wände und der gerahmten Fotodrucke von antiken Stätten harmonierte, während Grace sich ihm gegenüber in einen Sessel setzte.

Als sich ihre Blicke begegneten, bemerkte Blake, dass sich Graces Erstaunen in Zorn verwandelt hatte. Unter dem dünnen T-Shirt konnte er sehen, dass sie ihre Schultern straffte. Gern hätte er auch den Streifen nackter Haut unterhalb des T-Shirts näher betrachtet und Graces lange, schlanke Beine, aber das ließ er lieber.

Besser, ich konzentriere mich darauf, warum ich hierhergekommen bin, ermahnte er sich im Stillen. Als Jurist wollte er auch diese delikate Sache kühl und logisch angehen.

„Seit du fort bist, hatte ich genug Zeit, um nachzudenken, Grace. Du kannst so gut mit Kindern umgehen, mit Molly. Sie und auch meine Mutter kommen nur schlecht ohne dich aus.“

Das galt jedoch noch viel mehr für Blake selbst. Er war äußerst verunsichert, dass er diese Frau nicht aus dem Kopf bekam, obwohl sie sich weigerte, ihm die Wahrheit anzuvertrauen. „Und außerdem bist du ja auch Mollys nächste Blutsverwandte mütterlicherseits“, fuhr er fort.

„Ja, das stimmt“, erwiderte sie. „Annes Eltern sind tot, und Geschwister hatte sie keine.“

Schweigend wartete Blake ab, ob sie freiwillig noch mehr Informationen preisgeben würde. Er musste an Anne denken, doch die Erinnerung, die ihm von ihr geblieben war, war erstaunlich blass. Sie war etwas kleiner gewesen als Grace, und sie hatte dunklere Augen gehabt, die nicht so schön bernsteinfarben schimmerten wie die ihrer Cousine. Er verspürte ein schlechtes Gewissen, weil sich all seine Gedanken nur noch um Grace drehten.

Dann räusperte er sich. „Im Moment bist du auch etwas knapp bei Kasse, nicht wahr?“

„Aha, dein Detektiv hat also auch schon meine Finanzen überprüft“, bemerkte sie bissig.

„Ja“, gab Blake unumwunden zu. „Ich vermute, dass du deine Ersparnisse gebraucht hast, um Anne und Molly zu helfen. Das möchte ich wiedergutmachen, Grace.“

„So sehr, dass du mich heiraten willst?“

„Damit hat es auch zu tun, aber das ist nicht die Hauptsache“, erklärte er. „Anne hatte aus irgendeinem Grund so große Angst, dass sie unter falschem Namen lebte. Du hast dich auch davor gefürchtet und tust es immer noch.“

Damit hatte Blake den Nagel auf den Kopf getroffen. Er merkte es schon daran, dass Grace seinem Blick auswich. Wie leid es ihm tat, dass er Anne nicht hatte beistehen können. Jetzt war er fest entschlossen, Grace zu beschützen – wenn sie ihm nur vertrauen und ihm alles sagen würde. Er hatte schließlich Macht und Geld.

„Ich werde gut auf dich achtgeben, Grace“, versprach er. „Auf dich und Molly.“

An ihrem Gesicht sah er, wie erleichtert sie war, und er gratulierte sich schon, dass er endlich ihr Vertrauen gewonnen hatte.

Dann schüttelte Grace jedoch den Kopf. „Ich schätze dein Angebot, Blake, sehr sogar. Aber ich kann auf mich selbst achtgeben.“

Erst jetzt wurde ihm klar, dass er fest mit ihrer Zustimmung gerechnet hatte, und insgeheim war er sehr verärgert. Er entschloss sich, noch eine andere Trumpfkarte auszuspielen. „Hast du schon einmal daran gedacht, dass du überhaupt kein Anrecht auf den Umgang mit Molly geltend machen kannst?“

Plötzlich saß Grace kerzengerade da. „Willst du damit etwa sagen, dass ich die Kleine nicht mehr sehen darf, wenn ich dich nicht heirate?“

„Nein, natürlich nicht, aber offiziell bist du nicht mit ihr verwandt. Mutter ist nicht mehr die Jüngste, und wenn mir und Alex etwas passieren würde …“

Blake konnte wirklich äußerst geschickt argumentieren. Was er nur angedeutet hatte, verfehlte nicht die Wirkung auf Grace. Sie liebte Molly abgöttisch und hatte schon verstanden. Wenn sie nicht riskieren wollte, Molly zu verlieren, musste sie das Spiel nach Blakes Regeln spielen.

Aber ihn heiraten? Sollte sie sich nur wegen der Kleinen so fest an ihn binden?

„Was hältst du von Liebe, Blake? Und von Sex? Und was sonst noch alles zu einer Ehe dazugehört?“, rief sie verzweifelt.

Als er darauf abrupt vom Sofa aufstand, sprang Grace ebenfalls auf, und sie standen sich dicht gegenüber.

„Was hältst du denn davon?“, fragte er mit festem Blick.

„Sehr viel.“

Jetzt fiel Grace auf, dass sich zum ersten Mal für heute so etwas wie Humor in seinem Blick zeigte. „Dann haben wir kaum ein Problem“, konterte Blake. „Sex ist sofort realisierbar, an Liebe müssen wir noch arbeiten, nicht wahr?“

Verdammt, er hat schon wieder das letzte Wort, schoss es ihr durch den Kopf. Kein Wunder, ich kann mich überhaupt nicht konzentrieren, wenn er so dicht vor mir steht.

Plötzlich hatte sie Herzklopfen. Es muss Sauerstoffmangel sein, dachte sie noch, bevor sie über ihren eigenen Schatten sprang und Blake antwortete.

„Okay, du hast gewonnen. Weil ich bei Molly sein möchte, bin ich bereit, dich zu heiraten.“

Zu Graces Erstaunen reagierte Blake nur mit einem leichten Kopfnicken. Etwas mehr hatte sie schon von ihm erwartet. Und warum zog er die Augenbrauen zusammen, als bereute er seinen Antrag schon? Egal, sagte sie sich dann im Stillen, jetzt können wir nicht mehr zurück.

„Ich habe nur noch eine Bedingung“, schob sie nach.

„Und die wäre?“

„Wir feiern unsere Hochzeit nicht groß. Ich möchte keine Ankündigung und keine festlichen Empfänge, auf denen die Presse Fotos für die Klatschspalten macht.“

Jetzt begann Grace, im Zimmer auf und ab zu gehen, während sie angestrengt überlegte, wie sie ihre Deckung am besten aufrechterhalten konnte. Bisher hatte Petrie sie in Oklahoma City nicht aufgespürt, und das sollte auch so bleiben.

„Wenn jemand danach fragt, wir haben uns vor ein paar Monaten kennengelernt“, erklärte sie Blake. „Es war Liebe auf den ersten Blick, aber wir wollten uns Zeit nehmen, um ganz sicher zu sein. Dieses Wochenende hast du dich ins Flugzeug gesetzt und bist zu mir gekommen, um mich spontan zu heiraten. Punkt, aus. Das ist die ganze Geschichte.“

Danach blieb sie stehen und wartete gespannt auf Blakes Kommentar. Als er sich jedoch nicht äußerte, wurde sie ungeduldig. „Was ist jetzt? Wollen wir das vereinbaren oder nicht?“

Wortlos streckte Blake seine Hand aus. In diesem Moment wurde ihr bewusst, was sie da eigentlich vorhatte. Sie hatte alle romantischen Vorstellungen vom Heiraten über Bord geworfen und würde sozusagen ein Geschäft mit Blake machen.

Aber als sie nach kurzem Zögern ihre Hand ausstreckte, um einzuschlagen, ignorierte Blake das. Stattdessen legte er seinen Arm um ihre Taille und zog Grace an sich. „Wenn wir ein verliebtes Paar spielen wollen, üben wir jetzt mal besser für die Kameras.“

„Nein, keine Kameras! Ich habe doch gesagt …“

Grace konnte nicht weitersprechen, weil sein Mund ihre Worte erstickte. Blakes Kuss war heißer und leidenschaftlicher, als er hätte sein müssen. Ja, Blake küsste sie genau so, wie sie es sich erträumt hatte. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, aber sie genoss es sehr, dass Blake sie an sich drückte und sie seinen starken männlichen Körper spürte, zumindest für einige Momente.

Dann kamen Grace jedoch die heftigsten Bedenken. Er spielt doch nur mit mir. Sie vermutete, dass es sozusagen seine Rache war, weil sie ihm nicht alles erzählen wollte. Vielleicht war es auch seine Absicht, sie mit Sex dazu zu überreden.

Noch ehe sie sich aus seiner Umarmung lösen konnte, ließ Blake seinen Arm sinken. „Es tut mir leid“, hörte sie ihn sagen.

„Das sollte es auch. Du kannst nicht einfach so über mich verfügen.“

„Entschuldigung! Es war nicht mit dir abgestimmt, dass wir uns küssen.“

Natürlich war es das nicht. Seltsamerweise irritierte Grace Blakes Entschuldigung mehr als sein Kuss. „Brauchen wir ein Zusatzprotokoll?“, fragte sie spitz. „Etwa so, dass körperlicher Kontakt zwischen uns nur im gegenseitigen Einvernehmen erfolgen darf?“

Auf einmal wurde Blake tatsächlich rot. „Das Zusatzprotokoll ist akzeptiert. Bleibt es bei unserer Vereinbarung?“

„Von mir aus ja.“

„Ausgezeichnet.“ Strahlend musterte er Grace von oben bis unten. „Du solltest dich jetzt aber umziehen.“

„Wieso?“

„Du hast doch das Drehbuch entworfen. Ich besuche dich übers Wochenende, wir entscheiden uns spontan zu heiraten und suchen uns einen Friedensrichter, der uns traut. Punkt, aus. Das ist die ganze Geschichte.“

Zunächst verschlug es Grace die Sprache, und sie starrte atemlos auf das Fenster, wo der Regen gegen die Scheibe prasselte. Entferntes Donnern war zu hören. „Du willst heute noch heiraten?“

„Warum nicht? Was spricht dagegen?“

Sofort fielen ihr hundert Gründe ein. Und schließlich musste sie sich auch noch von dem Kuss erholen. Aber das konnte sie unmöglich anführen.

„Man muss doch erst das Aufgebot bestellen und dann zweiundsiebzig Stunden warten, oder?“

„Ach was, wenn man die richtigen Leute kennt, kann auf die Wartezeit verzichtet werden.“

Typisch Blake Dalton, schoss es Grace durch Kopf, er kennt natürlich die richtigen Leute.

„Wir können im Bexar County Courthouse heiraten“, fuhr er eifrig fort. „Ein alter Freund meines Vaters ist dort Friedensrichter. Ich werde ihn anrufen und fragen, ob er bereit ist, uns zu trauen.“ Prompt zog Blake sein Handy aus der Hosentasche. „Pack schon mal das Wichtigste ein, das du in Oklahoma brauchst. Den Rest bringt dir dann das Umzugsunternehmen.“

Grace konnte nur staunen über die Perfektion, mit der Blake alles vorbereitet hatte. Ihr schwirrte der Kopf. „Warst du dir denn so sicher, dass ich deinen Antrag annehmen würde?“

Ihr zukünftiger Mann antwortete mit ernster Miene: „Ich war mir sicher, dass du Molly sehr liebst und sie nicht allein lassen würdest.“

Gut drei Stunden später machten sich die beiden auf den Weg. Blake fuhr eine seiner Luxuslimousinen, die er sich vorsorglich hatte kommen lassen. Als Grace durch die regenverhangene Frontscheibe schaute, kam ihr die Situation reichlich unwirklich vor.

Wie alle kleinen Mädchen hatten sie und ihre Cousine sich früher als Braut verkleidet und mit einer alten Spitzentischdecke um die Schultern stundenlang Hochzeit gespielt. Wenn die eine bei der anderen übernachtete, dachten sie sich verschiedene Versionen ihres Hochzeitstages aus. Graces Lieblingsvorstellung war eine nach Blumen und Kerzen duftende Kirche, in der sie als strahlende Braut ganz in Weiß in Gegenwart all ihrer Freunde vor den Altar trat.

Sie hatte sich auch noch eine intimere Version ausgedacht. Da waren nur sie mit ihrer Cousine als Brautjungfer, ein attraktiver Bräutigam und ein Priester in einem offenen Pavillon inmitten grüner Hügel, während der engere Familienkreis, davor auf weißen Plastikstühlchen sitzend, die Zeremonie verfolgte. Manchmal hatte Grace auch mit dem Gedanken gespielt, sich in einer der Hochzeitskapellen von Las Vegas von „Elvis“ zum Traualtar führen zu lassen. Aber das war ihr eigentlich zu kommerziell und nicht romantisch genug.

Erst als sie angekommen waren und Grace mit Blake über den nassen Parkplatz zum Bexar County Courthouse stiefelte, wurde ihr richtig bewusst, wie real die Situation war. Bei dem dunklen, wolkenverhangenen Himmel sah das Sandsteingebäude mit den durch die Feuchtigkeit schmutzig grau verfärbten Türmchen wie ein Gefängnis aus. Es machte einen düsteren, ja unheilvollen Eindruck, als die beiden die Granitstufen zum Eingang hinaufstiegen.

Auf der Milchglasscheibe der Tür hieß ein Schriftzug die Besucher zwar willkommen, aber der unfreundliche Schalterbeamte zeigte wenig Interesse für ihr Anliegen. Gelangweilt gähnend, reichte er dem Brautpaar das Bewerbungsformular. Fünf Minuten später und um fünfunddreißig Dollar ärmer, betraten sie dann die Räumlichkeiten von Richter Victor Honeywell. Wenigstens dessen Vorzimmerdame war begeistert.

Die wohlbeleibte ältere Frau sprang sogleich auf und begrüßte Grace und Blake herzlich. „Ich kann mich nicht erinnern, wann wir hier das letzte Mal eine spontane Trauung hatten. Heutzutage brauchen die Bräute anscheinend ein ganzes Jahr, nur um sich für ein Kleid zu entscheiden.“

Das traf auf Grace wirklich nicht zu. Sie war aus ihren Shorts geschlüpft und hatte ein luftiges weißes Leinenkleid übergeworfen, das sie kürzlich im Ausverkauf erstanden hatte.

Blake hingegen war gut vorbereitet auf alle Eventualitäten einschließlich einer Hochzeit angereist. Während Grace ein paar Sachen zusammengepackt hatte, hatte er seinen Kleidersack aus dem Wagen geholt. Für die Trauung trug er einen dunklen Anzug aus feinstem Tuch und dazu eine exklusive Seidenkrawatte, die sicher mehr gekostet hatte, als Grace in einer Woche verdiente. Der Blick der Vorzimmerdame blieb für ein Weilchen mit sichtlichem Wohlgefallen an Blakes Schultern haften, bevor sie sich an die Braut wandte.

„Diese Blumen hier sind gerade für Sie gekommen.“

Sie bückte sich und zauberte aus einem offenen Schränkchen einen elegant gebundenen Strauß weißer Rosen hervor. Um die Stiele war ein handbreites blaues Band geschlungen.

„Das Band kommt von mir, es ist der Gürtel meines Regenmantels“, erklärte sie augenzwinkernd. „Sie kennen ja sicher den alten amerikanischen Brauch. Die Braut sollte etwas Geborgtes und etwas Blaues tragen.“

Plötzlich fühlte Grace einen Kloß im Hals, den sie jedoch tapfer herunterschluckte, als sie den Strauß in Empfang nahm und die edlen Rosen bewunderte. „Besten Dank.“

„Gern geschehen. Und das ist für Sie, junger Mann.“ Mit leuchtenden Augen befestigte die Dame eine weiße Rose an Blakes Revers. „Perfekt. Nun bringe ich Sie zu Richter Honeywell.“

Der Raum des Richters war von der Decke bis zum Boden mit dunklem Holz vertäfelt und mit weinrotem Brokat dekoriert. Zu beiden Seiten eines riesigen Schreibtisches standen die Fahnen der Vereinigten Staaten von Amerika und des Bundesstaates Texas. An der Wand im Hintergrund prangten mächtige Büffelgeweihe.

Autor

Merline Lovelace
Als Tochter eines Luftwaffenoffiziers wuchs Merline auf verschiedenen Militärbasen in aller Welt auf. Unter anderem lebte sie in Neufundland, in Frankreich und in der Hälfte der fünfzig US-Bundesstaaten. So wurde schon als Kind die Lust zu reisen in ihr geweckt und hält bis heute noch an.
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