Collection Baccara Band 347

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

IM BETT MIT MEINEM ERZRIVALEN von MANN, CATHERINE
Ruhige Weihnachten? Nicht für Rowan. Erst verirrt sich seine Erzrivalin Mari aus Versehen in sein Hotelzimmer, dann entdecken sie auch noch ein ausgesetztes Baby! Um das will sich Rowan gern kümmern - aber nur gemeinsam mit Mari, die ihn insgeheim schon lange reizt …

BEWEIS MIR, DASS ES LIEBE IST! von HOHL, JOAN
Männer: Fehlanzeige. Job: gekündigt. Für Jen Gründe genug, Dallas zu verlassen. Ausgerechnet bei Frauenheld Marshall fängt sie als Assistentin ihr neues Leben an - mit ungeahnten Folgen. Denn sein Charme trifft sie ebenso unvorbereitet wie sein verführerisches Angebot …

(K)EIN PLAYBOY FÜR EINE NACHT von ANDERSON, SARAH M.
"Dann heiraten wir eben." Stella ist sprachlos. Sicher, der One-Night-Stand mit dem attraktiven Playboy Bobby war unglaublich. Aber sie zweifelt: Will er wirklich sie? Oder steckt ihr Vater dahinter? Der ist mächtig genug, Bobbys gesamte Karriere zu ruinieren …


  • Erscheinungstag 11.11.2014
  • Bandnummer 347
  • ISBN / Artikelnummer 9783733722425
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Catherine Mann, Joan Hohl, Sarah M. Anderson

COLLECTION BACCARA BAND 347

CATHERINE MANN

Im Bett mit meinem Erzrivalen

Heiraten, eine Familie gründen – das erwartet Maris Familie von ihr. Doch die eigensinnige Wissenschaftlerin widmet sich lieber ihrer Karriere. Bis ihr unausstehlicher Rivale Rowan sie um Hilfe bittet: Sie soll sich um ein Findelkind kümmern – zusammen mit ihm! Während die beiden das sorgende Paar nur spielen, wachsen in Mari echte Gefühle für ihren Feind …

JOAN HOHL

Beweis mir, dass es Liebe ist

Der Traum eines jeden Mannes! Jen haut den reichen Geschäftsmann Marshall um. Schon nach dem ersten Kuss weiß er: Sie ist die Richtige, um ihm den Sohn zu schenken, der einmal sein Vermögen erben soll. Doch trotz des erotischen Knisterns zwischen ihnen weist Jen seinen Antrag ab! Dass sie leidenschaftlich umworben werden will, fordert Marshalls Ehrgeiz heraus …

SARAH M. ANDERSON

(K)ein Playboy für eine Nacht

Er sollte Stella besser vergessen! Seit einer heißen Nacht bekommt Bobby die aufregende Schönheit nicht mehr aus dem Kopf. Ihr herrischer Vater ist jedoch sein Chef – und definitiv kein Mann, mit dem man sich anlegen möchte. Doch als Stella plötzlich mit unerwarteten Neuigkeiten vor seiner Tür steht, beschließt Bobby: Er muss um sie kämpfen!

1. KAPITEL

Dr. Mariama Mandara war im Sportunterricht immer die Letzte gewesen, die in eine Mannschaft gewählt wurde. Aus gutem Grund, denn Sport war nicht ihr Ding. Wenn es dagegen um Mathematikwettbewerbe oder Wissenschaftsprojekte ging, hatte sie reihenweise Preise gewonnen.

Leider halfen ihr die akademischen Fähigkeiten jetzt wenig. Schnelligkeit und Kondition wären eher gefragt, um den lästigen Beobachtern zu entkommen, die sie auf Schritt und Tritt durch das Hotelressort auf Santiago, der Hauptinsel der Kapverden vor der Westküste Afrikas, verfolgten.

Ganz egal, wo sie sich versteckte, überall gab es Horden von Fans, die darauf brannten, ein Foto von einer Prinzessin zu schießen. Warum konnten die Leute nicht akzeptieren, dass sie nicht aus gesellschaftlichen Gründen, sondern wegen einer wissenschaftlichen Tagung hier war?

Mari schnappte nach Luft, während sie durch den luxuriösen Hotelflur spurtete. Hartnäckige Verfolger loszuwerden war längst nicht so leicht, wie es in Filmen immer aussah. Der nächstliegende Zugang zum Treppenhaus wurde von zwei Touristen versperrt, die in die Lektüre eines Reiseführers vertieft waren. Ein Putzwagen blockierte einen weiteren Fluchtweg. Sie konnte nur geradeaus laufen.

Das dumpfe Geräusch ihrer Schritte auf dem weichen Teppich erklang im Takt mit einer Instrumentalversion von „Jingle Bells“, die aus den Lautsprechern drang. Mari wünschte sich nichts mehr, als den Medizinerkongress hinter sich zu bringen und in ihr Forschungslabor zurückzukehren, wo sie den Feiertagswahnsinn in Ruhe überstehen konnte.

Für die meisten Menschen war Weihnachten ein Fest der Liebe, der Freude und der Familie, doch auch zwanzig Jahre nach der Scheidung ihrer Eltern verband sie mit „seliger Weihnachtszeit“ hauptsächlich erbitterte Familienstreitigkeiten. Die Festtage wären vielleicht nicht ganz so kompliziert gewesen, wenn ihre Mutter und ihr Vater wenigstens auf demselben Kontinent gelebt hätten. So musste sie in ihrer Kindheit zwischen Afrika und Amerika pendeln. Sie hatte an den Feiertagen mehr Zeit auf Flughäfen verbracht als unter dem Weihnachtsbaum. Einmal hatten sie und ihre Nanny sogar im Hotel feiern müssen, weil ihr Anschlussflug wegen Schneefalls ausgefallen war.

Mittlerweile zog sie es vor, das Weihnachtsfest in aller Ruhe und allein zu verbringen – ein hart erkämpftes Privileg für jemanden, der in ein Königshaus hineingeboren worden war. Ihre Mutter war am Druck des Hofzeremoniells zerbrochen. Sie hatte sich von ihrem Traumprinzen in Westafrika scheiden lassen und war in ihre Heimat nach Atlanta, Georgia, zurückgekehrt.

Bedauerlicherweise konnte man sich von seiner Herkunft jedoch nicht scheiden lassen.

Wenn ihr Vater nur begreifen würde, dass sie ihrem Land mit ihrer Forschungsarbeit besser diente als damit, unentwegt Zeremonien durchzustehen und lächelnd irgendwelche Bänder zu zerschneiden. In ihren Laborkitteln fühlte sie sich ohnehin viel wohler als in den eleganten Kleidern, die sie bei Fototerminen notgedrungen trug.

Endlich entdeckte sie eine unbeobachtete Tür zum Treppenhaus. Vorsichtig schaute sie hinein. Es war leer. Jetzt musste sie es nur noch unbemerkt vom Erdgeschoss bis zu ihrem Zimmer im fünften Stock schaffen, wo sie sich die Nacht über verkriechen konnte. Nach mehrstündiger Präsentation ihrer Forschungsarbeit über antivirale Medikation fühlte sie sich zu erschöpft, um nett in Handykameras zu lächeln oder neugierige Fragen zu beantworten, zumal alles, was sie sagte, innerhalb von Sekunden im Internet verbreitet wurde.

Mari umklammerte das Treppengeländer und rannte Stufe für Stufe nach oben. Ihr Puls hämmerte in ihren Ohren. Auf der vierten Etage hielt sie einen Moment inne, um nach Luft zu schnappen, dann quälte sie sich die letzte Treppe hoch. Als sie durch die Tür ins fünfte Stockwerk trat, wäre sie beinahe mit einer Frau und deren Tochter zusammengestoßen, die gerade aus ihrem Zimmer kamen. Das Mädchen sah sie neugierig an. Mari wandte sich hastig ab und ging weiter. Leider genau in die falsche Richtung. Verflixt.

Einfach umzukehren war unmöglich, solange die Luft nicht rein war, doch sie konnte auch nicht ewig im Flur herumstehen. Wenn sie bloß eine Verkleidung hätte, irgendetwas, das die Meute von ihrer Fährte ablenken würde. Hinter einem riesigen Blumenkübel mit afrikanischem Federgras entdeckte sie einen offensichtlich stehen gelassenen Servierwagen. Über dem Griff hing die Jacke einer Hoteluniform.

Das war die perfekte Lösung. Kein Zimmermädchen weit und breit, nur eine Frau, die sich mit einem Handy am Ohr in anderer Richtung entfernte. Mari überlegte eine halbe Sekunde lang, dann lief sie zu dem Wagen hinüber, der fast bis zum Boden mit weißem Leinenstoff verhüllt war.

Auf einem kleinen Kärtchen stand, dass die Bestellung für Suite 5A bestimmt war. Sie warf einen Blick unter die silberne Servierhaube. Der verlockende Duft von geschmortem Wüstenlamm in Safran ließ ihr das Wasser im Munde zusammenlaufen. Nach einem langen Tag mit endlosen Vorträgen und nicht viel mehr als einer Kaffeepause hätte sie am liebsten vom Tiramisu genascht, das es zum Dessert gab, doch sie schob den Gedanken beiseite. Je schneller sie es in ihr Zimmer schaffte, desto eher konnte sie diesen anstrengenden Tag mit einer heißen Dusche und einem eigenen Tablett voller Köstlichkeiten beenden.

Das Geräusch der Aufzugtür, die sich hinter ihr öffnete, trieb sie zur Eile, und sie zog die große, tannengrüne Jacke über ihr graues Tweedkostüm. Eine rote Weihnachtsmannmütze fiel zu Boden. Eine noch bessere Tarnung. Mari setzte sich die Mütze auf und schob den schwer beladenen Servierwagen in Richtung der Suite am Ende des Flurs.

„Siehst du sie? Du hast gesagt, sie wäre hier hochgelaufen“, hörte sie eine piepsige Teenagerstimme hinter sich.

„Bist du sicher, dass es nicht doch der vierte Stock war?“, fragte ein anderes Mädchen.

„Ganz sicher“, erwiderte eine dritte Stimme. „Haltet eure Handys bereit. Mit den Fotos können wir ein Vermögen machen.“

Das könnte euch so passen.

Mari schob den Servierwagen weiter, das Ding war schwerer, als es aussah. Sie stemmte ihre Absätze in den Teppich und drückte fester. Schritt für Schritt näherte sie sich der Suite 5A.

Das verschwörerische Trio kam näher. „Vielleicht sollten wir das Zimmermädchen da drüben fragen, ob sie gesehen hat, wohin sie gegangen ist.“

Mari schluckte. Sie durfte sich auf keinen Fall erwischen lassen. Ein Foto in dieser Verkleidung wäre nur noch demütigender. Sie musste so schnell wie möglich in die Suite hineinkommen. Ein Messingschild an der Tür verriet ihr, dass sie richtig war. Sie drückte zweimal auf die Türklingel.

„Zimmerservice“, rief sie.

Sekunden vergingen.

Gerade, als sie in Panik ausbrechen wollte, öffnete sich die Tür. Endlich. Sie trat eilig und mit gesenktem Kopf ins Zimmer und nahm als Erstes den männlich herben Duft von Seife wahr. Ihr Lieblingsduft – sauber und frisch, kein aufdringliches Männerparfum.

Welcher Typ Mann, der eine solche Luxussuite bewohnte, würde einen so schlichten Duft wählen? Trotz der unangenehmen Situation war ihre Neugier geweckt. Dennoch wagte sie nicht, einen Blick auf ihn zu riskieren, da sie fürchtete, sonst über ihre eigenen Füße zu stolpern.

Sie war immer schon tollpatschig gewesen. Sehr zur Enttäuschung des Pressereferenten ihrer Familie, der von ihr erwartete, dass sie sich elegant und würdevoll präsentierte.

Obwohl auf dem Servierwagen nur eine Mahlzeit stand, sah Mari sich nach einer weiteren Person um, doch das Zimmer wirkte leer. Das Licht war gedämpft. Ausladende Ledersofas und ein massiver Holztisch beherrschten das Zentrum des Raumes. Die Fensterläden standen offen und gaben den Blick auf den mondbeschienenen Strand draußen vor dem Panoramafenster frei. Palmen säumten das Ufer. Die Positionslichter von Fischerbooten am Horizont funkelten mit den Sternen um die Wette.

Mari räusperte sich und schob den ratternden Servierwagen auf einen Tisch am Fenster zu. „Möchten Sie Ihr Dinner hier einnehmen, Sir?“

„Danke, aber Sie können den Wagen einfach da am Kamin stehen lassen.“

Eine vertraute Stimme, bei deren Klang sie mitten in der Bewegung erstarrte. Mari brauchte weniger als eine Sekunde, um den tiefen Bariton zu erkennen. Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinunter. Sie musste sich nicht erst umdrehen, um zu wissen, dass das Schicksal sich einen bösen Scherz mit ihr erlaubte. Sie war vom Regen in die sprichwörtliche Traufe geraten. Von allen Zimmern dieses riesigen Hotels war sie ausgerechnet in der Suite von Dr. Rowan Boothe gelandet.

Ihr Erzfeind.

Sie kannte das Tagungsprogramm und hätte schwören können, dass sein Vortrag erst zum Ende der Woche auf dem Terminplan stand.

Boothe war Arzt, und sie hatte seine Erfindung in aller Öffentlichkeit verspottet. Wenn sie an ihre letzte Begegnung vor fünf Monaten bei einer Konferenz in London dachte, stieg ihr die Schamesröte ins Gesicht.

Die Tür, offenbar die zu einem der Schlafzimmer, fiel klickend hinter ihr ins Schloss, er kam langsam näher. Mari hielt den Kopf gesenkt, den Blick fest auf seine Schuhe und den Saum seiner ausgeblichenen Jeans gerichtet. Verzweifelt klammerte sie sich an die Hoffnung, er werde sie nicht erkennen. „Dann lasse ich Ihr Essen gleich hier stehen“, sagte sie leise. „Einen schönen Abend noch.“

Sie wollte gehen, doch er trat ihr in den Weg. Gütiger Himmel, sie saß in der Falle. Langsam hob sie den Blick bis zu seiner Brust. Eine sehr muskulöse Brust in einem weißen Hemd, das locker über seine Hose hing, die Ärmel hatte er hochgekrempelt. Mari erinnerte sich an jeden einzelnen irritierenden Zentimeter seines Körpers.

Ebenso wie an sein viel zu gut aussehendes, leicht sonnengebräuntes Gesicht. Für einen seriösen Arzt und Wissenschaftler trug er das sandblonde Haar eigentlich zu lang, aber anscheinend störte sich niemand daran. Offensichtlich erwartete man von einem großen Wohltäter nicht, dass er sich mit etwas so Banalem wie einem Friseurbesuch abgab.

Man nannte ihn „Dr. Wundervoll“, doch sie billigte nicht, wie er die Regeln umging.

„Ma’am“, sagte er und senkte den Kopf tiefer, um sie anzusehen. „Gibt es ein Problem?“

Ganz ruhig bleiben. Sie konnte nur beten, dass er sie mit der verdammten Weihnachtsmannmütze nicht erkannte. Eine große Hand mit einem zusammengefalteten Geldschein kam in ihr Blickfeld.

„Fröhliche Weihnachten.“

Wenn sie das Trinkgeld nicht annähme, würde sie sich verdächtig machen. Darum bemüht, ihn nicht zu berühren, nahm sie den Schein entgegen. „Danke, sehr großzügig, Sir.“

„Keine Ursache.“

Seine tiefe Stimme war viel zu anziehend für einen so unausstehlichen Mann. Schnell schob Mari sich an ihm vorbei. Fast hatte sie es geschafft, sie streckte bereits die Hand nach der Messingtürklinke aus.

„Wollen Sie wirklich schon wieder gehen, Dr. Mandara?“, fragte er da mit unverkennbarer Ironie.

Verdammt! Wahrscheinlich grinst der Mistkerl auch noch unverschämt.

Er trat einen Schritt näher, sein warmer Atem streifte sanft ihre Wange.

„Und ich dachte beinah, Sie hätten sich all diese Mühe gemacht, um sich in mein Zimmer einzuschleichen und mich zu verführen.“

Rowan Boothe gab seinen Worten Zeit, zu wirken. Die reizvolle Aussicht auf ein Duell mit der sexy Prinzessin und Wissenschaftlerin jagte einen Schauer der Erregung durch seine Adern. Er wusste nicht, was sie an sich hatte, das ihn dermaßen um den Verstand brachte, und hatte es schon vor langer Zeit aufgegeben, sich Gedanken darüber zu machen. Die Faszination für Mariama Mandara war mittlerweile eine unbestreitbare Tatsache in seinem Leben.

Ebenso unbestreitbar wie ihre Abneigung gegen ihn. Möglicherweise war es genau das, was ihn an ihr reizte.

Es langweilte ihn, dass ihn die ganze Welt als eine Art Heiligen ansah, bloß weil er das lukrative Angebot einer kalifornischen Privatpraxis ausgeschlagen hatte, um stattdessen eine Klinik in Westafrika aufzubauen. Geld war ihm gleichgültig. Er hatte ohnehin genug davon. Das computergestützte medizinische Diagnoseprogramm, das er entwickelt hatte, war ein Riesenerfolg – auch wenn Mari es bei jeder sich bietenden Gelegenheit als unzulänglich abtat. Die Ausstattung der Klinik hatte seine Finanzen kaum geschmälert, daher sah er keinen Anlass für all das Tamtam. Echte Heilige waren bereit, Opfer zu bringen, es lag jedoch nicht in seiner Natur, sich die Dinge zu versagen, die er begehrte.

Und gerade jetzt wollte er Mari.

Allerdings ließ ihr entsetzter Gesichtsausdruck nicht vermuten, dass seine scherzhafte Bemerkung besonders gut angekommen war.

Sie war ausnahmsweise einmal sprachlos. Von ihm aus gern. Ihm genügte es, einfach nur ihren Anblick zu genießen. Er lehnte sich an die Bar und betrachtete ihre hochgewachsene, elegante Silhouette und die zarten Kurven, die man unter ihrem unförmigen Tweedkostüm nur erahnen konnte. Wie sehr er sich danach sehnte, ihr die Kleider vom Leib zu streifen und jeden Zentimeter ihrer kaffeebraunen Haut zu erkunden …

Mari erwachte aus ihrer Schockstarre. „Machen Sie Witze? Sie können doch nicht ernsthaft glauben, dass ich mich an Sie heranmachen würde. Erst recht nicht auf eine so plumpe Art und Weise.“

Sie war süß und sexy in ihrer Empörung, vor allem mit dieser unpassenden Weihnachtsmannmütze auf dem Kopf. Er konnte nicht aufhören zu grinsen.

„Wagen Sie es ja nicht, mich auszulachen.“ Wütend riss sie sich die Mütze herunter und warf die Uniformjacke beiseite. „Wenn ich gewusst hätte, dass Sie hier drin sind, hätte ich ganz bestimmt nicht dieses Zimmer ausgesucht, um mich zu verstecken.“

„Um sich zu verstecken?“ Ihr Anblick erregte ihn. Seit über zwei Jahren kämpfte er nun schon gegen diese völlig unpassende Reaktion in ihrer Gegenwart an, seit sie in einem voll besetzten Hörsaal ans Podium getreten war, um unerbittlich seine Arbeit zu attackieren. Sie fand sein Diagnoseprogramm mangelhaft und beschuldigte ihn, das persönliche Element der Medizin zu vernachlässigen. Rowan biss die Zähne zusammen, sein Lächeln verblasste.

Wenn hier jemand unpersönlich war, dann war sie es. Nur zu gern würde er ihre starre Haltung erschüttern und sehen, wie sich Leidenschaft in ihren bernsteinbraunen Augen spiegelte.

Verdammt.

Er war nur fünf Sekunden von einer offensichtlichen Erektion entfernt. Um sich abzulenken, wandte er sich einem anderen Thema zu – dem Grund für ihr unerwartetes Auftauchen. „Ist das hier so eine Art Spionageversuch?“

„Wovon zur Hölle reden Sie?“ Sie strich sich den zerknitterten Rock glatt.

Wer hätte gedacht, dass Tweed so aufreizend sein könnte? Rowan ertappte sich dabei, wie er sich vorstellte, ihr die Schuhe von den Füßen zu streifen. Er wollte mit seinen Lippen ihre Beine entlangstreichen, bis unter den Rocksaum, wollte die seidige Haut an der Innenseite ihrer Schenkel spüren …

Schnell konzentrierte er sich auf ihr hübsches Gesicht. „Sich dumm zu stellen steht Ihnen nicht.“ Er wusste sehr gut, dass ihr IQ weit oberhalb des Durchschnitts lag. „Hatten Sie gehofft, sich Insiderinformationen über das neueste Update meines Programms beschaffen zu können?“

Sie lächelte spöttisch. „Ich hätte nie vermutet, dass Sie zu Verschwörungstheorien neigen. Sie, als Mann der Wissenschaft … na ja, wenn man so will.“

Rowan ignorierte ihre spitze Bemerkung. „Warum sollten Sie sich sonst in meine Suite einschleichen? Das müssen Sie mir wohl erklären, Mari.“ Er hätte sie vermutlich besser Dr. Mandara nennen sollen. Zu spät.

Sie seufzte. „Na gut. Ich werde es Ihnen erzählen. Aber Sie müssen versprechen, nicht zu lachen.“

„Großes Pfadfinderehrenwort.“ Er hob die rechte Hand.

„Sie waren bei den Pfadfindern? Das war ja klar.“

Das war allerdings, bevor man ihn auf eine Besserungsanstalt unter Leitung der U.S. Army geschickt hatte. Er sprach nicht gern über diese Zeit und die Dinge, die er damals getan hatte. Dinge, die er niemals wiedergutmachen konnte, selbst wenn er auf jedem Kontinent der Erde Kliniken eröffnete.

„Sie wollten mir erzählen, was Sie in meiner Suite zu suchen haben.“

Mari deutete in Richtung Tür. „Eine Horde Teenager hat mich mit ihren Handykameras verfolgt, um Fotos zu machen, die sie an die Presse verkaufen können. Man jagt mich hier auf Schritt und Tritt.“

Sein Beschützerinstinkt regte sich. „Stellt Ihnen Ihr Vater denn keine Bodyguards zur Verfügung?“

„Ich habe entschieden, auf Leibwächter zu verzichten.“

Die Art, wie sie das Kinn hob, machte deutlich, dass sie keine weitere Erklärung abgeben wollte.

„Mein Fluchtversuch lief allerdings nicht besonders gut. Das Zimmermädchen, das Ihnen das Essen servieren sollte, wurde wohl von einem Telefonanruf abgelenkt. Da habe ich die Gelegenheit ergriffen, mich unauffällig aus dem Staub zu machen.“

Der Gedanke, dass sie allein da draußen herumlief, machte ihn zornig. Sie wollte keine Leibwächter? Und wenn schon. Ihr Vater hätte darauf bestehen müssen.

„Ich weiß, ich sollte einfach in die Kameras lächeln und weitergehen“, fuhr Mari fort. „Aber die Bilder, die die Leute machen, sind nicht … professionell, und in meiner Position muss ich darauf achten, wie ich mich öffentlich präsentiere.“ Für einen Moment senkte sie den Blick. „Ich habe mir das nicht ausgesucht.“

Ihre Resignation berührte ihn. Am liebsten hätte er ihr die Hände auf die Schultern gelegt und ihre angespannten Muskeln gelockert. Doch da er fürchtete, sie würde ihm dafür eins mit der silbernen Servierglocke überziehen, entschied er sich für eine sicherere Variante, um sie abzulenken. Er stieß sich von der Bar ab und ging auf sie zu. „Arme, kleine, reiche Prinzessin.“

Langsam richtete sie sich auf. „Sie sind nicht sehr nett.“

„Sie sind anscheinend die Einzige, die so denkt.“

„Oh, bitte entschuldigen Sie, dass ich kein Mitglied Ihres Fanclubs bin“, bemerkte sie trocken.

Er blieb nur Zentimeter entfernt von ihr stehen. „Haben Sie wirklich nicht gewusst, dass das hier meine Suite ist?“

„Nein, habe ich nicht. Auf der Karte auf dem Servierwagen stand nur die Zimmernummer, aber kein Name.“

Er sah, wie der Pulsschlag an ihrem Hals sich beschleunigte.

„Wenn Sie vorher gewusst hätten, dass es mein Zimmer ist …“, er nahm die Uniformjacke und die Mütze in die Hand, „… hätten Sie sich dann lieber der kamerabewaffneten Meute da draußen ergeben, als mich um Hilfe zu bitten?“

Ihre Lippen deuteten zum ersten Mal ein winziges Lächeln an. „Ich schätze, die Antwort darauf werden wir wohl nie erfahren.“ Sie griff nach der Jacke. „Ich wünsche guten Appetit.“

Er hielt die Kellnerjacke fest. „Es gibt reichlich zu essen. Sie könnten sich noch ein Weilchen hier verstecken und mir Gesellschaft leisten.“

„Haben Sie mich gerade zum Abendessen eingeladen, oder wollen Sie mich nur vergiften?“

Ihre Augen blitzten auf, und plötzlich schien die Luft zwischen ihnen zu knistern. Er hätte schwören können, dass sie sich ein wenig in seine Richtung neigte. Wenn er die Hand nach ihr ausstreckte, könnte er sie in seine Arme ziehen.

Stattdessen strich er ihr nur eine Locke ihres schwarzen Haars hinters Ohr, die sich aus dem strengen Knoten gelöst hatte. „Es gibt eine Menge Dinge, die ich gern mit Ihnen tun würde, Mari, doch ich kann Ihnen versichern, vergiften steht nicht auf der Liste.“

Ihr Gesicht verriet ihre Anspannung, aber weder lachte sie ihn aus noch rannte sie davon. Er glaubte sogar, zurückhaltendes Interesse zu erkennen. Genug, dass er sich fragte, was geschehen würde, wenn …

Ein leises Wimmern riss ihn aus seinen Gedanken.

Mari blickte über seine Schulter, und auch er drehte sich in Richtung des Geräuschs, das nun lauter wurde.

Ein herzerweichendes Wehklagen drang … unter dem Servierwagen hervor?

Er sah Mari fragend an. „Was zum Teufel …?“

Sie hob abwehrend die Hände. „Schauen Sie nicht mich so an.“

Rowan durchquerte den Raum, zog den Leinenstoff beiseite, der den Wagen verhüllte, und fand dort ein weinendes Baby.

2. KAPITEL

Die Schreie des Säuglings hallten durch die Suite. Erschrocken starrte Mari auf das weinende Baby in einer Tragschale aus Plastik, die im Servierwagen versteckt war. Kein Wunder, dass er so schwer gewesen war. Wenn sie gleich nachgesehen hätte, hätte sie das Kind sofort gefunden.

Der Gedanke, dass sich das arme kleine Ding die ganze Zeit da unten befunden hatte, war entsetzlich. So winzig. So wehrlos. Der Säugling mochte etwa zwei oder drei Monate alt sein und trug nur eine Windel und ein weißes T-Shirt. Eine Decke war um seine strampelnden Beinchen gewickelt.

Mari war völlig perplex. „Gütiger Himmel. Ist das ein Baby?“

„Es ist ganz sicher kein Hündchen.“

Rowan hockte sich vor den Servierwagen, unter dem der Kindersitz eingeklemmt war, und hob das Kind vorsichtig hoch. Das kaffeebraune Baby strampelte, kam in seinen Armen jedoch zur Ruhe.

„Was in aller Welt macht ein Säugling da drin?“ Mari folgte ihm zum Sofa.

„Ich bin nicht derjenige, der den Wagen hereingefahren hat.“

„Aber ich habe das Baby sicher nicht da hineingelegt.“

War es ein Junge oder ein Mädchen? Sie konnte es nicht sagen. Das quirlige Bündel trug weder Blau noch Rosa, und es gab auch keine Spange in den krausen schwarzen Löckchen.

Rowan setzte sich, legte das Baby auf seinen Schoß und begann, es zu untersuchen.

Mari verschränkte die Arme hinter dem Rücken. „Ist es ein Er oder eine Sie?“

„Eine Sie“, sagte er nach einem Blick in die Windel. „Es ist ein Mädchen. Ich schätze sie auf etwa drei Monate.“

„Wir sollten die Behörden informieren. Was, wenn sich die Person, die sie ausgesetzt hat, immer noch im Gebäude befindet?“ Unwahrscheinlich, wenn man bedachte, wie lange sie schon hier drin war. „Da war eine Frau, die sich vom Wagen entfernt hat. Ich habe angenommen, dass sie nur ein Telefonat auf ihrem Handy führen wollte, aber vielleicht war das die Mutter des Babys.“

„Das muss auf jeden Fall überprüft werden. Hoffentlich haben die Überwachungskameras sie aufgenommen. Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen?“

„Geben Sie mir die Schuld daran?“

„Natürlich nicht.“

Trotzdem fühlte sie sich schlecht. „Was, wenn es doch meine Schuld ist? Vielleicht ist das Baby gar nicht ausgesetzt worden. Vielleicht hat die Mutter ihr Kind nur heimlich mit zur Arbeit genommen und ist jetzt außer sich vor Sorge.“

„Oder vor Angst, dass sie Ärger bekommt“, entgegnete er nüchtern.

Mari griff nach dem Telefon, das auf der Bar stand. „Ich muss dringend beim Empfang anrufen.“

„Könnten Sie mir vorher bitte den Kindersitz herbringen? Vielleicht findet sich darin ein Hinweis auf ihre Familie.“

„Natürlich. Einen Augenblick.“

Sie zog den leicht ramponierten Plastiksitz unter dem Servierwagen hervor und schickte ein stilles Dankgebet zum Himmel, weil dem Kind dort draußen im Flur nichts zugestoßen war. Sie stellte den Tragesitz neben Rowan auf das Sofa.

Ohne die Augen von ihm und dem Baby zu wenden, wählte sie die Nummer der Rezeption es klingelte viermal, bevor jemand abnahm.

„Könnten Sie bitte einen Moment, in der Leitung bleiben? Vielen Dank“, sagte eine gestresst klingende Telefonistin.

Mari hatte keine Gelegenheit zu widersprechen. Sie wurde in die Warteschleife mit Weihnachtsmusik gestellt. „Süßer die Glocken nie klingen“, säuselte es in ihr Ohr.

Seufzend lehnte sie sich an die Bar. „Sie haben mich weggedrückt.“

Rowan blickte verärgert hoch. „Wer immer die Konferenz zu dieser Jahreszeit anberaumt hat, muss verrückt geworden sein. Das Hotel ist mit Feiertagstouristen ohnehin schon völlig überfüllt. Und jetzt auch noch die ganzen Tagungsteilnehmer. Was für ein Irrsinn.“

„Wenigstens darin sind wir hundertprozentig einer Meinung.“ Sie beobachtete, wie Rowan das Kind in seinen Armen wiegte, und fand ihn sogar noch attraktiver als sonst. Schnell wandte sie sich ab und betrachtete stattdessen die malerische Aussicht draußen vor dem Fenster.

Die Feiertagsstimmung hatte die Insel fest im Griff. Drüben auf dem Festland wurde eine Vielzahl von Religionen praktiziert. Die Kapverden hingegen waren ursprünglich portugiesisch besiedelt gewesen, daher gab es eine tief verwurzelte christliche Weihnachtstradition.

Seit sie von zu Hause ausgezogen war, versuchte sie das übliche Feiertagschaos zu meiden, doch auch ihr bedeutete die Botschaft von Hoffnung und Liebe etwas, die mit dieser Jahreszeit verbunden war. Kaum zu glauben, dass jemand sein Kind gerade an Weihnachten aussetzte.

Am liebsten hätte sie das Baby in die Arme geschlossen, aber sie hatte keinerlei Erfahrung mit Kindern und Angst, etwas falsch zu machen. Bei Rowan war die Kleine in besseren Händen.

Er hielt den Säugling in einer Armbeuge, während er den Kindersitz absuchte. Nach einer Weile hörte sie ihn leise fluchen und bedeckte die Sprechmuschel des Telefons. „Was ist los?“

„Ich habe das hier im Sitzbezug gefunden.“ Er hob ein Blatt Papier in die Höhe. „Die Mutter des Kindes hat das Baby absichtlich unter diesem Servierwagen versteckt, damit man es in mein Zimmer bringt.“ Er reichte ihr den Zettel. „Lesen Sie selbst.“

Dr. Boothe, Sie sind für Ihre Wohltätigkeit und Großzügigkeit bekannt. Bitte passen Sie gut auf meine kleine Tochter Issa auf. Mein Ehemann ist bei Kämpfen im Grenzgebiet gestorben, und ich kann Issa nicht geben, was sie zum Leben braucht. Sagen Sie ihr, dass ich sie liebe und immer an sie denken werde.

Mari schüttelte ungläubig den Kopf. „Kommt es öfter vor, dass Leute Babys vor Ihrer Tür ablegen?“

„In meiner Klinik ist das schon vorgekommen, aber so etwas habe ich auch noch nicht erlebt.“ Er hielt ihr die Kleine hin. „Nehmen Sie sie. Ich habe ein paar besondere Kontakte, an die ich mich wenden kann. Die können sich darum kümmern, während wir in diesem verdammten Hotel darauf warten, dass jemand ans Telefon geht.“

Mari wich erschrocken zurück. „Ich habe nicht viel Erfahrung mit Babys. Eigentlich überhaupt keine.“

„Haben Sie in Ihrer Schulzeit nie als Babysitter gejobbt?“ Er wiegte das Kind in einem Arm, während er nach seinem Handy griff. „Oder dürfen Prinzessinnen nicht babysitten?“

„Ich habe die Highschool ausgelassen und bin gleich aufs College gegangen.“ Mit dem Ergebnis, dass ihre sozialen Fähigkeiten ebenso unterentwickelt waren wie ihr Sinn für Mode, aber das hatte ihr nie viel ausgemacht. Bis jetzt. „Sieht doch ganz so aus, als ob Sie alles gut im Griff hätten.“

Er stellte sich geschickt an – auf eine sehr verführerische Art. Kein Wunder, dass er in Zeitschriften als einer der begehrtesten Junggesellen gehandelt wurde. Natürlich war ihr nicht entgangen, dass er ein attraktiver Mann war, bis zu diesem Moment war ihr die volle Wirkung seiner Ausstrahlung jedoch nicht bewusst gewesen.

Plötzlich waren all ihre Sinne auf ihn gerichtet, und ihr Körper begann zu kribbeln. Ausgerechnet Dr. Rowan Boothe. Der letzte Mann auf der Welt, von dem sie fasziniert sein sollte.

Das musste irgend so eine urzeitliche Hormonsache sein. Ihre biologische Uhr tickte. Sicher hätte sie das Gleiche bei jedem anderen mit einem Baby auf dem Arm gefühlt.

Oder nicht?

Die Musik der Warteschleife brach ab. „Kann ich Ihnen helfen?“, meldete sich die Empfangsdame des Hotels.

Allerdings, Sie dummes Ding, hätte Mari am liebsten gerufen. Sie musste dafür sorgen, dass Issa sicher untergebracht wurde. Und sie musste Distanz zwischen sich und diesem verführerischen Mann bringen.

Sie musste unbedingt von hier weg. So bald wie möglich.

„Ja, Sie können helfen. Vor Dr. Boothes Zimmer, Suite 5A, ist ein Baby ausgesetzt worden.“

Rowan rechnete nicht mit einer schnellen Lösung. Jedenfalls nicht mehr für diesen Abend. Die Mutter des Babys war mittlerweile vermutlich längst über alle Berge.

Er lief mit der Kleinen im Zimmer auf und ab und klopfte ihr sanft auf den Rücken, damit sie nach ihrem ersten Fläschchen ein Bäuerchen machte. Maris Miene war angestrengt, während sie die Anleitung auf der Milchpulverdose las, die sie sich mit ein paar anderen Babypflegeartikeln von der Rezeption hatten hochschicken lassen.

Den Behörden zufolge gab es keine Vermisstenmeldung, die auf dieses Kind passte. Und da sich niemand in unmittelbarer Lebensgefahr befand, legte die Polizei keine besondere Eile an den Tag. Auch der Sicherheitsdienst des Hotels hatte bisher keine verwertbaren Aufnahmen der Überwachungskameras finden können, nur Bilder von der Rückenansicht einer Frau, die sich fortbewegte, kurz bevor Mari den Servierwagen an sich genommen hatte.

Irgendwann würde jemand vom Jugendamt vorbeischauen, doch der Gedanke, dass dieses Baby in die Räder eines überlasteten Fürsorgesystems geriet, gefiel ihm ganz und gar nicht. Natürlich wusste er, dass er nicht jeden retten konnte, der seinen Weg kreuzte, aber irgendetwas an diesem Kind ging ihm besonders nahe.

Er konzentrierte sich auf die Gegenwart. Issa krähte zufrieden, trotzdem glaubte er nicht, dass sie schon satt war, so schnell, wie sie die erste Flasche geleert hatte. „Issa wäre dann für die nächsten hundert Milliliter bereit“, verkündete er.

Mari schüttelte das abgemessene Pulver in destilliertem Wasser, damit es sich auflöste. Sie wirkte angespannt.

„Ich glaube, ich habe es hinbekommen. Aber vielleicht sollten Sie es noch einmal überprüfen.“

„Ich vertraue darauf, dass Sie in der Lage sind, eine Mischung zwei zu eins richtig herzustellen.“ Er musste grinsen. Zum ersten Mal erlebte er sie so nervös. Ob sie wusste, wie süß sie dabei aussah? „Betrachten Sie es einfach als ein Laborexperiment.“

Sie wischte sich mit dem Handgelenk die Schweißperlen von der Stirn. „Wenn ich mich beim Mischverhältnis geirrt habe …“

„Das haben Sie nicht.“ Er streckte die Hand aus. „Vertrauen Sie mir.“

Widerwillig reichte sie ihm die frische Flasche.

„Die Kleine sieht so zerbrechlich aus.“

„Eigentlich macht sie einen gesunden, wohlgenährten und gepflegten Eindruck.“ Ihre Mutter mochte sie verlassen haben, doch bis dahin hatte sie sich anscheinend gut um ihr Kind gekümmert. Ob sie ihre Entscheidung bereits bereute? Er hoffte es. Es gab viel zu viele verlassene Kinder in diesem Land.

„Sie sieht so knuddelig aus“, bemerkte Mari und lächelte sehnsüchtig.

„Sind Sie sicher, dass Sie sie nicht halten möchten, solange ich telefoniere?“

Sie schüttelte schnell den Kopf. „Mit Ihren Spezialkontakten?“

Er schmunzelte über ihren jämmerlichen Versuch, ihn abzulenken. „Es wäre wirklich leichter, wenn ich nicht gleichzeitig mit dem Kind und der Flasche herumhantieren müsste.“

„Na gut, wenn Sie sicher sind, dass ich sie nicht kaputt mache“, sagte sie zweifelnd. „Aber ich setze mich lieber erst hin.“

Mari so verunsichert zu sehen war ungewohnt. Normalerweise beherrschte sie einen Raum mit ihrer Selbstsicherheit und ihrem Sachverstand. Jetzt hatte sie etwas Verletzliches an sich.

Er legte ihr das Baby in die Arme. Dabei nahm er einen Hauch ihres Parfums wahr – überraschend blumig für so eine praktisch denkende Frau.

„Babys mögen körperliche Nähe. Sehen Sie, wie sie ihr Ohr an Ihr Herz drückt?“ Als er sich über sie beugte, bemerkte er den Puls an ihrem schlanken Hals. Der Anblick weckte bei ihm den Wunsch, sie genau dort zu küssen und ihren Duft einzuatmen. „Der Herzschlag ist eine sichere Konstante im Leben eines Kindes im Mutterleib. Und auch nach der Geburt gibt er Trost und Geborgenheit.“

Ihre Blicke trafen sich, und sie senkte ihren. Offenbar machte es sie verlegen, dass sie drei beieinandersaßen wie eine Kleinfamilie.

„Ähm, Rowan …“, sagte sie etwas atemlos. „Bitte erledigen Sie Ihren Anruf.“

Er tat ihr den Gefallen, ging ins Schlafzimmer, öffnete die Balkontür und trat hinaus. Die Nachtluft war angenehm warm. Ein Hauch von Salz lag in der Luft, an einem normalen Abend hätte er wohl mit einem Drink hier gesessen.

Er nahm sein Handy aus der Tasche und lehnte sich an das Balkongeländer. So konnte er Mari durch das Panoramafenster im Wohnzimmer nebenan sehen, ohne dass sie sein Gespräch mithörte. Seine Kontakte waren etwas ungewöhnlich; je weniger die Leute darüber Bescheid wussten, desto besser. Diese Verbindungen reichten weit zurück, bis in seine Schulzeit.

Als Teenager war er eine Zeit lang völlig aus der Bahn geworfen gewesen. Nachdem er betrunken einen Autounfall verursacht hatte, war er in einer Besserungsanstalt gelandet – mit ein paar Typen, die genauso verkorkst waren wie er. Unter ihnen hatte er Freunde fürs Leben gefunden.

Erst Jahre später hatten sie zu ihrer aller Überraschung erfahren, dass ihr ehemaliger Schuldirektor für Interpol arbeitete. Er hatte einige von ihnen als freie Agenten rekrutiert, nachdem sie es in ihren Jobs zu beachtlichem Erfolg und Reichtum gebracht hatten. Ihre schwierige Vergangenheit und ihr außergewöhnlicher Lebensstil boten ihnen die perfekte Tarnung, wenn sie sich in mächtigen und zum Teil zwielichtigen Kreisen bewegten.

Rowan erhielt nur etwa ein- bis zweimal im Jahr einen Auftrag, aber es fühlte sich verdammt gut an, in der kriminellen Unterwelt aufzuräumen. Zu oft musste er die Auswirkungen mit ansehen, wenn Kämpfe zwischen rivalisierenden Banden in unmittelbarer Nachbarschaft seiner Klinik aufbrandeten.

Am anderen Ende der Leitung hörte er eine vertraute Stimme. „Was gibt’s, Boothe?“

„Colonel, ich brauche Ihre Hilfe.“

Colonel John Salvatore lachte leise. „Erzähl mir was Neues. Welcher deiner Patienten steckt diesmal in Schwierigkeiten? Oder geht es um …?“

„Sir, es geht um ein Baby.“

Rowan hörte das Quietschen eines Bürostuhls, als sich sein ehemaliger Schuldirektor aufrichtete.

„Du hast ein Baby?“

„Es ist nicht mein Baby.“ Er erwartete nicht, jemals eigene Kinder zu haben. Sein Leben war ganz und gar seiner Arbeit gewidmet. Sein Blick ruhte auf Mari, die Issa so angestrengt in ihren Armen hielt, als befürchte sie immer noch, sie fallen zu lassen. „Jemand hat einen Säugling vor meiner Suite ausgesetzt. Dabei lag eine Notiz, in der die Mutter mich bittet, mich um die Kleine zu kümmern.“

„Ein kleines Mädchen? Ich habe mir immer ein Mädchen gewünscht.“

Die leichte Wehmut in der Stimme des Colonels passte so gar nicht zu dem strengen Bild, das er nach außen präsentierte.

„Aber zurück zu deinem Problem. Was sagen denn die örtlichen Behörden?“

„Niemand hat ein Kind als vermisst gemeldet, weder bei der Hotelleitung noch bei der Polizei. Die Überprüfung der Überwachungskameras hat bisher nichts ergeben. Die Polizei lässt sich ganz schön Zeit, den Fall zu untersuchen, daher habe ich mir was überlegt.“

„Und das wäre?“

„Wir wissen doch, dass das Fürsorgesystem hier völlig überlastet ist.“ In seinem Kopf entwickelte sich ein Plan. Ein verrückter Plan, aber einer, der sich richtig anfühlte. „Ich möchte das vorübergehende Sorgerecht für das Kind, so lange, bis die Behörden entweder die Mutter ausfindig gemacht oder einen Platz in einer Pflegefamilie gefunden haben.“

Er mochte vielleicht nicht der beste Elternersatz für das Baby sein, er war jedoch ganz sicher besser als ein völlig überfülltes Kinderheim. Vor allem, wenn er Hilfe hätte …

Der Plan war ihm in den Sinn gekommen, als er überlegt hatte, wie er Mari dazu bewegen könnte, etwas Zeit mit ihm zu verbringen.

„Entschuldige, dass ich frage, aber wie zur Hölle willst du Papa spielen und gleichzeitig die Welt retten?“

„Es wäre ja nur vorübergehend“, erwiderte er. „Außerdem hätte ich Hilfe von … jemandem.“

„Ah, jetzt verstehe ich.“

„Was verstehen Sie?“

„Nach meiner Scheidung hatte ich jedes Mal, wenn mein Sohn übers Wochenende bei mir war, Probleme, ihm passende Klamotten anzuziehen. Ich habe mein Bestes getan, aber offensichtlich passen grün karierte Hosen, ein Hemd mit orangefarbigen Streifen und Cowboystiefel nicht zusammen.“

„Was Sie nicht sagen.“ Bei der Vorstellung musste Rowan grinsen. Er fragte sich, wohin Salvatore mit dieser Geschichte wollte, der Colonel gewährte nur selten Einblicke in sein Privatleben. Dies war ein besonderer Moment, und er ließ ihn einfach weiterreden.

„Natürlich wusste ich, dass die Sachen nicht zusammenpassten“, fuhr Salvatore fort. „Aber ich hatte keine Ahnung, wie ich es besser machen könnte. Das hat mich immerhin eins gelehrt: Wenn man mit einem Kind durch den Supermarkt läuft, dessen Outfit förmlich ‚Mein Vater ist Single‘ schreit, hat man auf einen Schlag einen ganzen Schwarm hübscher Frauen um sich herum.“

„Sie haben Ihren Sohn benutzt, um Frauen aufzureißen?“

„Nicht mit Absicht, aber genau das ist passiert. Mir kommt es ein wenig so vor, als würdest du gerade die gleiche Strategie anwenden.“

Erwischt. „Ich würde Sie auch dann um Hilfe bitten, wenn Mari nicht hier wäre“, verteidigte er sich.

„Mariama Mandara?“, fragte Salvatore ungläubig. „Du stehst auf die Prinzessin?“

Seltsamerweise vergaß Rowan diese Kleinigkeit meistens. Er sah in ihr die Wissenschaftlerin, die Berufskollegin – und manchmal eine Konkurrentin, doch mehr als alles andere sah er in ihr eine begehrenswerte Frau.

Er fühlte sich unbehaglich dabei, mit Salvatore über sie zu sprechen. „Könnten wir wieder zur Sache kommen? Helfen Sie mir, herauszufinden, wer die Eltern dieses Kindes sind oder nicht?“

„Selbstverständlich werde ich mich darum kümmern.“

„Vielen Dank, Sir. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr ich das zu schätzen weiß.“ Unabhängig von seinen Gefühlen für Mari verlor er nicht aus dem Blick, dass hier die Zukunft eines hilflosen Kindes auf dem Spiel stand.

„Schick mir ein Foto, Finger- und Fußabdrücke und alle anderen Informationen, die du auftreiben kannst.“

„Geht klar. Ich kenne den Ablauf.“

„Und viel Glück mit der Prinzessin.“ Salvatore lachte leise und legte auf.

Rowan atmete tief die frische, salzige Seeluft ein. Er vermisste seine Klinik, die offene Weite, die sie umgab, und die Menschen, denen er dort ganz konkret helfen konnte, doch wenn er in einer Woche wieder nach Hause fuhr und in den normalen Alltagstrott zurückkehrte, wäre auch die Zeit mit Mari vorbei.

Als er das Wohnzimmer betrat, war Mari so auf das Baby konzentriert, dass sie nicht einmal aufblickte. Sie so ungezwungen zu erleben war eine seltene Gelegenheit.

Diese Frau, die oft ein wenig kühl und kratzbürstig wirkte, wiegte das Baby sanft in ihren Armen und sah aus, als wolle sie es mit ihrem ganzen Körper beschützen. Mari glaubte vielleicht, dass sie keine Ahnung von Kindern hatte, aber ihre Instinkte funktionierten tadellos. Er hatte im Laufe der Jahre genügend junge Mütter gesehen, um das beurteilen zu können.

Der Anblick erinnerte ihn an eine Madonna mit Kind. Vermutlich machte ihn die Feiertagsstimmung ein wenig sentimental. Wenn er wollte, dass sein verwegener Plan klappte, musste er einen klaren Kopf behalten.

„Wie geht es Issa?“

Mari blickte auf. „Die Fütterung ist beendet.“

„Dann möchten Sie jetzt sicher gehen. Ihre Fans haben längst die Verfolgung aufgegeben. Der Weg zu Ihrem Zimmer dürfte frei sein.“

„Die Polizei wird mit mir sprechen wollen. Es ist einfacher, wenn ich hierbleibe.“ Mari streichelte mit einem Finger die Pausbäckchen des Babys. „Außerdem fühle ich mich für sie verantwortlich.“

„Ihnen ist schon klar, dass die Chancen, ihre Eltern noch heute Abend zu finden, sehr gering sind, oder?“, begann er vorsichtig, das Fundament für seinen Plan, sie zum Bleiben zu überreden, zu bereiten.

„Natürlich weiß ich das. Trotzdem hoffe ich, dass es bald gute Neuigkeiten für unsere Kleine gibt.“

„Sie wirken sehr vertraut im Umgang mit ihr. Sagten Sie nicht, Sie hätten keine Erfahrung mit Babys?“

Sie zuckte verlegen die Achseln.

„Gab es denn gar keine kleinen Kinder in Ihrer Umgebung?“ Er ließ sich neben ihr nieder und atmete ihr blumiges Parfum ein.

„Meine Eltern haben beide keine Geschwister. Ich bin ein Einzelkind von Einzelkindern.“

Noch nie hatten sie eine solche Unterhaltung geführt, ein Gespräch, in dem es nicht um ihre Arbeit ging, in dem sie nicht stritten. Natürlich konnte er sich ihr nicht nähern, solange das Baby im selben Raum war, aber er spürte, wie sie sich langsam entspannte. Er wollte mehr davon, mehr von ihr – von dieser aufregenden Frau, die ihn nicht zur Ruhe kommen ließ.

Sie sah ihn an, und er erwiderte ihren Blick. Was würde sie tun, wenn er lässig einen Arm auf der Rücklehne des Sofas ausstreckte? Er wollte jedoch nicht riskieren, diesen Moment der Nähe zu zerstören.

Lautes Telefonklingeln zerriss die Stille.

Sie fuhr erschrocken zusammen, und das Baby protestierte.

Rowan lächelte. Dieser spezielle, intime Augenblick mochte zu Ende sein, aber er hatte nicht vor, sein Vorhaben, Mari näherzukommen, aufzugeben.

3. KAPITEL

Mari ging auf und ab und wiegte das Baby an ihrer Schulter, während Rowan mit der Polizei telefonierte. Er schätzte Issa auf etwa drei Monate, doch wenn sie sie in den Armen hielt, kam sie ihr viel jünger vor.

So zerbrechlich. So hilflos.

Dabei gab es vieles, das nicht zusammenpasste. Das Baby war ausgesetzt worden, es sah jedoch aus, als hätte man es zuvor gut versorgt. Die Kleine war wohlgenährt, und ihre winzigen Fingernägel waren ordentlich geschnitten. Ihre Kleidung war schlicht, aber sauber. Sie roch wie frisch gebadet. Konnte sie womöglich entführt worden sein?

In ihrer Kindheit hatte man sie ständig vor Menschen gewarnt, die ihr gefährlich werden und ihr wehtun könnten. Ebenso vor Menschen, die versuchen könnten, über sie näher an ihren Vater heranzukommen. Das hatte es ihr unmöglich gemacht, vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen.

Sie schüttelte den beängstigenden Gedanken ab und streichelte Issas Köpfchen. Runde, schokoladenbraune Augen blickten voller Vertrauen zu ihr auf. Mari spürte, wie sich ihr Herz zusammenzog. Sie hatte die Kleine gerade erst kennengelernt, trotzdem sehnte sie sich danach, sie auf die Stirn zu küssen.

Sie schaute kurz in Rowans Richtung, um zu sehen, ob er ihren schwachen Moment bemerkt hatte, doch er war zu sehr in sein Gespräch vertieft.

Sogar in einer verwaschenen Jeans sah er unglaublich heiß aus. Ihr Blick fiel auf seine breiten Schultern, und sie registrierte das Spiel seiner Beinmuskulatur, wenn er sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte. Seine Schuhe sahen teuer, aber abgetragen aus. Er strahlte Erfolg und Reichtum aus, ohne verschwenderisch oder genusssüchtig zu wirken. Wie konnte jemand ein so guter Mensch und zugleich so nervtötend sein?

Als er das Telefonat beendete und sich zu ihr umdrehte, ertappte er sie dabei, wie sie ihn beobachtete. Obwohl ihr Körper vor Anspannung kribbelte, zwang Mari sich, seinen Blick arglos zu erwidern.

„Was sagt die Polizei?“, fragte sie betont lässig.

Er trat zu ihr. „Sie werden jeden Moment hier sein, um sie abzuholen.“

Mari schloss Issa fester in ihre Arme. „Haben sie gesagt, wohin sie gebracht werden soll? Ich habe auch ein paar Beziehungen. Vielleicht kann ich helfen.“

„Wir wissen beide, was mit ihr geschehen wird“, sagte er ernst. „Sie wird in ein Waisenhaus eingeliefert, während die Polizei mit ihren begrenzten Mitteln versuchen wird, ihre Herkunft zu ermitteln. Neben zahllosen anderen Fällen von verlassenen Kindern, deren Akten sich bei ihnen stapeln. Es klingt hart, doch so ist es nun einmal.“

„Ich verstehe“, sagte sie leise.

Rowan nahm ihr das Baby ab, legte sich die Kleine an die Schulter und strich ihr mit kreisenden Bewegungen über den Rücken. „Aber diesmal müsste es nicht so sein.“ Er sah sie ernst an. „Wir könnten etwas dagegen tun.“

„Was denn?“ In ihr keimte Hoffnung auf, dass er eine bessere Lösung gefunden hatte.

„Wir haben nur noch wenige Minuten, bis sie hier sind, also müssen wir uns beeilen.“ Er holte tief Luft. „Wir könnten anbieten, dass wir uns um Issa kümmern.“

Mari war für einen Moment wie benommen. „Äh … was sagten Sie gerade?“

„Wir beide sind qualifizierte und vertrauenswürdige Erwachsene“, erklärte er mit ruhiger Stimme. „Es wäre im Interesse des Kindes, wenn wir sie behalten würden.“

Sie behalten?

„Wie bitte?“ Ihr wurden die Knie weich, und sie ließ sich aufs Sofa sinken.

Rowan setzte sich neben sie, sie spürte seinen Oberschenkel warm und fest an ihrem.

„Wir könnten vorübergehend das Sorgerecht für sie beantragen, nur für ein paar Wochen, bis die Polizei herausfindet, ob sie eine Familie hat, die für sie sorgen kann.“

„Haben Sie den Verstand verloren?“

„Keineswegs.“

Sie konnte nicht fassen, dass er es ernst meinte. „Aber … das ist eine schwerwiegende Entscheidung. Etwas, worüber man sorgfältig nachdenken muss.“

„Als Arzt habe ich nicht immer die Möglichkeit zu einer ausführlichen Untersuchung. Ich muss oft schnell und aus dem Bauch heraus entscheiden. Und mein Bauchgefühl sagt mir, dass es richtig ist.“

Sie dachte über seine Worte nach. Vielleicht war sie diejenige, die den Verstand verloren hatte, denn sein verrückter Plan klang tatsächlich irgendwie gut. Ihr gefiel die Vorstellung, dass Issa bei ihm blieb, statt in einem Heim untergebracht zu werden. „Dann wären Sie ihr Vormund?“

„Unsere Chancen wären besser, wenn wir das Angebot gemeinsam unterbreiten würden. Und denken Sie an die positive Publicity, die Ihnen so ein humanitärer Akt einbringen würde. Der Pressestab Ihres Vaters wird außer sich sein vor Begeisterung.“

„So einfach ist das nicht. Die Medien verdrehen gern die Tatsachen. Es würde Spekulationen über uns beide geben.“ Was, wenn sie glaubten, Issa sei ihr Baby? Sie stand vom Sofa auf. „Ich brauche mehr Zeit.“

Die Türglocke läutete. Mari schlug das Herz bis zum Hals. Sie spürte, wie Rowan hinter sie trat, spürte die Hitze seines Körpers.

„Issa hat keine Zeit mehr, Mari. Sie müssen sich entscheiden. Jetzt.“

Als sie sich umdrehte, stand er dicht vor ihr. „Sie könnten sie doch allein nehmen und …“

„Vielleicht lassen die Behörden sich darauf ein, vielleicht auch nicht. Wir sollten kein Risiko eingehen. Ihr zuliebe.“ Er legte eine Hand um das Köpfchen des Babys. „Wir haben uns das nicht ausgesucht, aber wir sind nun einmal hier.“

Kleine Fältchen um seine Augen zeugten von jahrelanger Sorge um seine Patienten.

„Wir mögen ja in vielen Dingen uneinig sein, wir sind jedoch beide Menschen, die helfen, wenn es darauf ankommt“, fügte er hinzu.

Die Luft zwischen ihnen knisterte förmlich.

„Sie wollen mir Schuldgefühle einreden“, bemerkte sie trotzig, doch es funktionierte. Was war schon die Sorge um ihren Ruf angesichts des Schicksals dieses Kindes?

„Ich habe gelernt, jedes Mittel zu nutzen, das mir zur Verfügung steht. Sind Sie dabei?“

Sein Lächeln vertiefte die Fältchen um seine Augen.

Sooft sie Rowan auch kritisiert hatte, Mari wusste, dass sich hinter seinem arroganten Charme viele gute Eigenschaften verbargen. Sie kannte seine humanitäre Arbeit und hatte keine Zweifel an der Selbstlosigkeit seiner Motive. Als sie sah, mit welchem Gespür er das Baby in den Schlaf wiegte, war sie endgültig überzeugt.

Zumindest dieses eine Mal spielten sie im selben Team.

Drei Stunden später beobachtete sie, wie Rowan die Tür hinter den Polizeibeamten schloss. Auf dem Tisch türmten sich Berge von Formularen, die die Sache offiziell machten. Sie und Rowan hatten das vorübergehende Sorgerecht für das Baby, während die Polizei ermittelte.

Issa schlief in ihrem Kindersitz. Fürs Erste war sie in Sicherheit.

Mari ließ sich erschöpft aufs Sofa fallen. Sie hatte es wirklich getan. Und mehr noch, sie hatte ihre Position als Prinzessin ausgespielt und den Polizisten geradezu befohlen, ihrer „Bitte“ nachzukommen, für das Baby sorgen zu dürfen. Wenigstens für die kommenden zwei Wochen bis Weihnachten oder bis man Issas Eltern gefunden hatte. Sie hatte angeboten, sich gemeinsam mit dem renommierten Arzt und Wohltäter Dr. Rowan Boothe um das Kind zu kümmern.

Die Polizeibeamten hatten erleichtert gewirkt, dass sich das Problem auf diese Art löste. Sie hatten Fotos von dem Baby gemacht und Fingerabdrücke genommen. Allerdings spiegelte sich in ihren Gesichtern wenig Hoffnung, schnelle Antworten zu finden.

Vielleicht sollten sie zusätzlich einen Privatdetektiv engagieren, doch mittlerweile war es fast Mitternacht. Alle weiteren Pläne mussten bis zum nächsten Tag warten.

Rowan legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Würden Sie mir meine Arzttasche holen, damit ich Issa eingehender untersuchen kann? Sie steht in meinem Schlafzimmer, neben meinem Rasierzeug. Ich möchte gern ihr Herz abhören.“

Mari sprang auf. „Die Arzttasche. Ja, natürlich, sofort.“

Sie ging in sein Schlafzimmer und blickte sich um. Über der Lehne eines Rattanstuhls hing ein Anzug. Die Schiebetür zum Balkon stand offen. Sie stellte sich vor, wie es wäre, dort draußen mit ihm unter den Sternen zu sitzen …

Gütiger Himmel, was war bloß los mit ihr? Dieser Mann hatte sie jahrelang fuchsteufelswild gemacht, doch auf einmal fantasierte sie von einem romantischen Rendezvous mit ihm. Einem Rendezvous, das schließlich im Schlafzimmer enden würde.

Sie betrachtete das ausladende Himmelbett, das von einem hauchzarten Moskitonetz verhüllt war. Ein gefährlicher Anblick. Vor ihren Augen tauchte das Bild auf, wie er ausgestreckt in diesem riesigen Bett lag, arbeitete oder las – intime Vorstellungen von einem Mann, dem sie bisher erfolgreich aus dem Weg gegangen war. Schnell wandte sie den Blick ab und öffnete die Tür zum Bad. Dort war sein Duft noch stärker, und sie konnte nicht widerstehen, das seifige Aroma, das in der Luft hing, tief einzuatmen. Ihre Haut prickelte vor Erregung.

Das leise Wimmern des Babys erinnerte sie daran, weshalb sie hier war, und sie schnappte sich die alte, abgewetzte Arzttasche von der Kommode neben dem Waschtisch. Auf einem kleinen Messingschildchen stand sein Name. Sie presste die Tasche an sich und ging ins Wohnzimmer zurück.

Als sie Rowan mit dem Baby auf dem Arm sah, wurde ihr ein wenig schwindelig.

Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie etwas völlig Irrationales getan. Der Gedanke, dass Rowan Boothe solche Macht über sie hatte, war beängstigend. Von jetzt an musste sie sich besser im Griff behalten. Sie musste aufhören, ihn anzuschwärmen und sein verführerisches Aftershave zu erschnuppern.

Es war höchste Zeit, diesen Tag zu beenden.

Rowan hatte das Wunder fertiggebracht, sich etwas Zeit mit Mari zu erkaufen. Vielleicht eine Woche, womöglich mehr, vielleicht auch weniger. Er zweifelte nicht an seiner Entscheidung, auch wenn seine Motive zum Teil selbstsüchtig waren. Dieses Baby bot ihm die perfekte Gelegenheit, Mari näherzukommen, sie besser kennenzulernen und herauszufinden, wie sie tickte. Dann würde sie ihn hoffentlich nicht länger um den Verstand bringen.

Er saß vor seinem Laptop und ging die Daten zu Issas Fall durch. Er hatte die gesamte Akte eingescannt und eine Kopie aller Unterlagen an Colonel Salvatore geschickt. Obwohl es noch zu früh war, Ergebnisse zu erwarten, hoffte er bald auf Neuigkeiten.

Nachdenklich klickte er die Datei mit der eingescannten Notiz an, die er bei dem Baby gefunden hatte.

Dr. Boothe, Sie sind für Ihre Wohltätigkeit und Großzügigkeit bekannt. Bitte passen Sie gut auf meine kleine Tochter Issa auf. Mein Ehemann ist bei Kämpfen im Grenzgebiet gestorben, und ich kann Issa nicht geben, was sie zum Leben braucht. Sagen Sie ihr, dass ich sie liebe und immer an sie denken werde.

Er bemerkte, wie Mari hinter ihn trat. Ihr blumiger Duft hüllte ihn ein, als sie über seine Schulter hinweg ebenfalls den Text las.

„Sie liebt sie?“ Mari schüttelte den Kopf. „Die Frau hat ihr Kind einem Fremden überlassen, von dem sie nichts weiß als das, was die Presse über ihn schreibt.“

„Heißt das, sie tut Ihnen nicht leid?“ Er schloss den Laptop und drehte sich zu ihr um.

„Die Kleine tut mir leid.“ Sie deutete in Richtung des schlafenden Babys. „Wie soll es mit Issa weitergehen, falls wir keine Antworten finden?“

„Ich bin sicher, dass meine Kontakte schnell konkrete Informationen liefern werden.“ Was, wenn sich Salvatore schon morgen mit Neuigkeiten meldete? Er musste die Zeit, die ihm mit Mari blieb, unbedingt nutzen. „Lassen Sie uns besprechen, wie wir in den nächsten Tagen vorgehen wollen.“

„Jetzt?“, fragte sie entsetzt. „Es ist bereits nach Mitternacht.“

„Es gibt einiges zu regeln. Wir brauchen weitere Babyausstattung. Während der Konferenz benötigen wir tagsüber den Babysitterservice des Hotels. Außerdem sollten wir uns eine Geschichte für die Presse überlegen.“ Er zählte jeden Punkt an den Fingern ab. „Ich versuche nur, einen Plan zu entwerfen.“

Mari sah müde aus, dunkle Ringe lagen unter ihren Augen. Sie ließ sich erschöpft aufs Sofa sinken.

„Hoffentlich haben wir keinen Fehler gemacht.“

Er setzte sich neben sie. Am liebsten hätte er sie in die Arme gezogen, damit sie sich an seiner Brust ausruhen konnte. „Ich bin durchaus in der Lage, für ein Kind zu sorgen“, versicherte er ihr. „Und es ist ja nur für kurze Zeit, bis wir mehr über ihre Herkunft in Erfahrung gebracht haben. Das kriegen wir schon hin.“

„Wie können Sie da so sicher sein?“, fragte Sie zweifelnd.

„Es steht Ihnen frei, zu gehen, wenn sie möchten.“

Mari schüttelte den Kopf. „Ich habe Issa hierhergebracht, also bin ich auch für sie verantwortlich.“ Sie dachte kurz nach. „Vielleicht sollte ich eine Kinderfrau einstellen.“

„Ach ja, natürlich. Sie sind ja eine Prinzessin“, neckte er sie.

„Wollen Sie behaupten, dass ich verwöhnt bin?“

„Ich würde es nie wagen, Sie zu beleidigen, Prinzessin.“ Er griff nach ihrer Hand und strich mit dem Daumen sanft über ihr Handgelenk. Sie blickte ihn überrascht an, doch sie zog die Hand nicht zurück.

„Okay, wie lautet Ihr Plan?“, fragte sie schließlich.

„Wir tun so, als wären wir ein Paar. Und als Paar, das ohnehin die Feiertage zusammen verbringt, haben wir entschieden, diesem Kind zu helfen. Wie finden Sie das?“

„Wie bitte?“ Sie starrte ihn fassungslos an. „Glauben Sie wirklich, die Leute kaufen uns ab, dass wir von einem Moment auf den anderen von Konkurrenten zum Liebespaar geworden sind?“

Er sah den Puls an ihrem Hals schneller schlagen und fühlte, wie sein eigenes Herz raste. „Liebespaar? Klingt irgendwie gut.“

„Sie haben doch selbst gesagt …“

„Ich sagte ein Paar.“ Er drückte ihre Hand. „Aber Ihr Plan gefällt mir besser.“

„Das ist kein Plan.“ Sie befreite sich aus seinem Griff und wich zurück. „Das ist Wahnsinn.“

„Es ist ein Plan, und er wird funktionieren. Die Leute werden uns die Story nicht nur abkaufen, sie werden sie verschlingen. Sie werden alles über die edle Prinzessin erfahren wollen, die zur Weihnachtszeit die barmherzige Samariterin spielt und dabei die Liebe findet. Wenn wir der Presse eine so rührende Geschichte bieten, stochern sie wenigstens nicht überall herum und denken sich keine eigene aus.“

In ihren Augen spiegelte sich Panik, aber sie lief nicht davon. Noch nicht. Er musste aufpassen, dass er die Sache nicht zu weit trieb. Morgen war schließlich ein weiterer Tag.

Er stand auf. „Es ist Zeit, ins Bett zu gehen.“

„Bett?“, fragte Mari irritiert. „Äh, ja …“ Sie erhob sich ebenfalls.

Rowan hatte keinerlei Zweifel, woran sie gerade gedacht hatte, doch er wollte nichts überstürzen. Er hatte vor, geduldig auf eine Gelegenheit zu warten, wenn sie weniger scheu und ängstlich war – und ebenso sehr darauf brannte wie er, diesem verrückten Verlangen nachzugeben.

„Ich sehe heute Nacht nach dem Baby.“

„Sind Sie sicher? Morgen ist ein anstrengender Konferenztag.“

„Ich bin Arzt. Aus der Klinik bin ich an lange Arbeitszeiten und wenig Schlaf gewöhnt. Ich komme schon zurecht. Aber wir können uns mit den Nachtschichten gern abwechseln.“

„Gut. Dann werde ich an der Rezeption um eine Suite für mich bitten, damit ich genügend Platz für die Kleine habe, wenn ich dran bin.“

„Nicht nötig. Hier ist ausreichend Platz für uns alle.“

Sie starrte ihn ungläubig an. „Wie bitte?“

„Sie können hier wohnen“, erklärte er ruhig. Er musste sie überzeugen. Das war seine einzige Chance. „Es ist viel effizienter, wenn wir uns gemeinsam um das Baby kümmern. Die Empfangsdame hat bereits jemanden auf Ihr Zimmer geschickt, um Ihre Sachen zu packen. Ein Hotelpage wird Ihr Gepäck in Kürze herbringen.“

Mari schnappte nach Luft. „Hierher? Wir hier zusammen? In einer Suite?“

Sie wirkte entgeistert, hatte aber noch nicht Nein gesagt. Der Sieg war zum Greifen nahe.

„Hier gibt es jede Menge Platz für das Baby, und Sie hätten Ihr eigenes Schlafzimmer. Es sei denn, Sie möchten lieber in meinem schlafen.“ Er grinste herausfordernd. „Sie sollten wissen, dass ich dagegen keine Einwände hätte.“

4. KAPITEL

Als sie am nächsten Morgen ihr marineblaues Businesskostüm zuknöpfte, konnte Mari immer noch nicht glauben, dass sie die Nacht in Rowan Boothes Hotelsuite verbracht hatte. Zwar nicht in seinem Zimmer, doch nur durch eine Wand von ihm getrennt.

Sie steckte sich das Haar mit ein paar Haarnadeln nach hinten und warf einen prüfenden Blick in den Spiegel. Auch wenn sie in Bezug auf Männer nicht völlig unschuldig war, so war sie nicht gerade der wilde, leichtsinnige Typ, der sich darauf einließ, die Nacht in der Suite eines Mannes zu verbringen, den sie kaum kannte. Sie konnte nicht fassen, dass sie tatsächlich zugestimmt hatte.

Trotz all ihrer Zweifel hatte sie unerwartet gut geschlafen. Vielleicht deshalb, weil die Chance, dass sie hier aufgespürt wurde, verschwindend gering war. Ihr langjähriger beruflicher Streit mit Rowan war allgemein bekannt, und noch waren sie mit ihrem Vorhaben, das gemeinsame Sorgerecht für ein verlassenes Baby zu übernehmen, nicht an die Öffentlichkeit gegangen.

Die Welt würde jedoch schon bald davon erfahren. Wahrscheinlich würde irgendjemand vom Hotelpersonal etwas an die Presse durchsickern lassen. Früher oder später würden die Kameras zu klicken beginnen. Was würde passieren, wenn die Reporter die knisternde Spannung zwischen ihr und Rowan bemerkten?

Noch konnte sie abspringen. Sie verspürte den starken Drang, sich aus dem Staub zu machen. Am liebsten hätte sie sich vor der Öffentlichkeit in die friedliche Ruhe ihres Labors verkrochen. Dort beherrschte sie ihr Fach. Hier, in Rowans Suite, fühlte sie sich dagegen völlig hilflos und ausgeliefert.

Fröhliches Babyglucksen erinnerte sie daran, dass sie sich beeilen musste. Sie wandte sich vom Spiegel ab und schlüpfte in ihre dunkelblauen Pumps. Doch als sie aus dem Schlafzimmer trat, ließ sie das Bild, das sich ihr bot, innehalten. Der Anblick, wie Issa in ihrem niedlichen rosa Schlafanzug vergnügt in Rowans Armen strampelte, war einfach bezaubernd.

Leider war diese Idylle eine Illusion. In Wirklichkeit war die Kleine völlig schutzlos. Sie hatte niemanden, der für sie kämpfte, wenn Rowan und sie es nicht taten.

Ihre Bekanntheit als Prinzessin – die sie so verabscheute – könnte Issas Rettung sein. Durch sie würde dem Kind eine Aufmerksamkeit zuteil, die die Polizei allein niemals erreichen konnte. Daher kam Davonlaufen nicht infrage.

Wenn man all die verstreuten Babysachen sah, hatte man fast den Eindruck, man sei in einem echten Kinderzimmer gelandet. Rowan hatte eine komplette Ausstattung angefordert. In einer Ecke des Wohnzimmers stand ein Stubenwagen. Er hatte eine Babywippe, einen Autositz sowie Kleidung, Milchpulver und Windeln kommen lassen, die für einen ganzen Monat gereicht hätten.

Sie hoffte, er hatte an einen Babysitter gedacht, denn sie hatte an diesem Tag Vorträge zu halten, und auch er war seinen Verpflichtungen entsprechend gekleidet. Er trug einen dunklen Zweireiher mit roter Krawatte. Sein feuchtes Haar war zurückgekämmt. Die Bartstoppeln an seinem Kinn ließen ihn lässig und sexy aussehen, ohne dass er ungepflegt wirkte.

Gütiger Himmel, er sah umwerfend gut aus. Dabei hatte er sich die ganze Nacht um ein Baby gekümmert. Gab es irgendeine Situation, die dieser Mann nicht meisterte?

Außerdem verfügte er anscheinend über die unheimliche Gabe, ihre Gedanken zu lesen. Er hatte gewusst, sie würde es nicht zulassen, dass das Kind in einem Heim untergebracht wurde. Sie konnte Issa zwar nicht die Mutter ersetzen, aber sie konnte dafür sorgen, dass die Kleine in Sicherheit war und liebevoll betreut wurde.

Allerdings musste sie achtgeben, dass ihr der Mann, der nur wenige Schritte von ihr entfernt stand, dabei nicht völlig den Kopf verdrehte.

Sein Blick begegnete ihrem, und ein Schauer durchrieselte sie.

„Guten Morgen. Der Kaffee steht schon bereit.“

Beim Anblick des Frühstücks lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Sie nahm sich eine Tasse Kaffee und atmete das intensive Aroma der afrikanischen Bohnen ein. „Hat sie gut geschlafen?“

„Gut genug. Gerade so viel, wie ich von einem Baby erwarten würde“, antwortete er und setzte die Kleine mit geübtem Griff in die Babywippe. „Die Hotelleitung schickt uns eine Babysitterin. Das heißt, dass wir uns während unserer Vorträge keine Sorgen zu machen brauchen. Heute Abend werden wir uns mit Issa die Zeit vertreiben. Wenn die Polizei bis morgen nichts herausgefunden hat, wenden wir uns an die Öffentlichkeit.“

Bei dem Gedanken schlug ihr das Herz bis zum Hals hinauf, aber es war zu spät, um jetzt noch abzuspringen.

Bevor sie die Medien informierten, würde sie ihren Vater anrufen und ihn über ihre seltsame Partnerschaft mit Rowan in Kenntnis setzen müssen. Sie musste sich genau überlegen, wie sie die Sache drehen sollte, damit er keine falschen Schlüsse zog – oder versuchte, sich einzumischen. Hier ging es um das Wohl des Babys und nicht um gute Presse für das Königshaus.

Womöglich war Issa aber auch schon vor dem Abendessen zurück bei ihrer Familie. Das wäre gut, dachte sie, oder nicht?

„Ich werde in der Mittagspause nach Issa sehen und schauen, wie der Babysitter zurechtkommt“, bot sie an.

„Das ist eine gute Idee. Danke.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Kein großes Opfer. Tagungsbuffets sind ohnehin ungenießbar.“

„Ich weiß es sehr zu schätzen, dass Sie mich in dieser Sache unterstützen.“

„Sie haben mir kaum eine Wahl gelassen.“

Sein Lächeln zauberte Grübchen in seine Wangen.

„Wollen Sie etwa behaupten, ich hätte Sie gezwungen?“ Er tippte ihr auf die Nasenspitze. „Man hat immer eine Wahl.“

Natürlich hatte er recht. Sie konnte jederzeit gehen und wollte lieber nicht darüber nachdenken, wieso der Drang zu bleiben so groß war. Sie trat ans Fenster. Das Wasser des Ozeans glitzerte in der Morgensonne. „Ich tue das Issa zuliebe. Mit Ihnen hat das nicht das Geringste zu tun.“

„Ach ja? Ich dachte, wir wollten keine Spielchen spielen.“

Sie mied seinen Blick. „Ich weiß nicht, was Sie meinen.“

„Na gut, dann muss ich wohl deutlich werden.“ Er trat neben sie. „Sie haben es sich zur Lebensaufgabe gemacht, mich und meine Forschungsarbeit anzugreifen. Trotzdem sind Sie hier. Sie und ich, wir wissen beide, dass mehr dahintersteckt. Oder wollen Sie die Spannung leugnen, die zwischen uns herrscht?“

„Ich dachte, wir unterhalten uns darüber, was das Beste für Issa ist.“ Sie warf einen Blick zu dem kleinen Mädchen, das friedlich in der Babywippe schlummerte.

„Wir sind wegen Issa hier, aber das bedeutet nicht, dass wir nicht auch über anderes reden können, also versuchen Sie nicht, das Thema zu wechseln. Wenn wir in den kommenden Tagen miteinander auskommen wollen, sollten wir lieber ein paar Dinge zwischen uns klären.“

„Wenn Sie auf unsere Meinungsverschiedenheiten anspielen …“

„Meinungsverschiedenheiten? Sie haben öffentlich meine Arbeit niedergemacht.“

Wollte er das wirklich jetzt diskutieren? Vielleicht gehörte er zu den Menschen, die sich an den Feiertagen gerne versöhnten, auch wenn sie das ganze Jahr über stritten. Das kannte sie zur Genüge. „Es geht dabei ebenso um meine Arbeit“, erwiderte sie angriffslustig. „Ich bin Wissenschaftlerin, doch Sie wollen mir nicht zugestehen, dass ich die Dinge aus einem anderen Blickwinkel betrachte. Stattdessen haben Sie jeden sachlichen Hinweis, den ich zu Ihrer technologischen Erfindung beizutragen habe, ignoriert.“

„Und was genau missfällt Ihnen so sehr an meinem Diagnoseprogramm?“

„Das Programm liefert eine viel zu kurz gegriffene Diagnose. Das ist Fast-Food-Medizin. Zu viele Faktoren bleiben unberücksichtigt.“ Sie holte tief Luft und wartete auf die Explosion, doch die kam nicht. Stattdessen überlegte Rowan einen Moment, bevor er antwortete.

„Ich sehe, was Sie meinen. Und bis zu einem bestimmten Punkt stimme ich Ihnen zu. Ich würde gern jedem Patienten die beste medizinische Behandlung zukommen lassen, aber in meiner Klinik muss ich mit einem provisorischen Ärzteteam unzählige Menschen behandeln. Dieses Computerprogramm hilft uns, Behandlungspläne in der halben Zeit zu erstellen.“

„Und was ist mit den Ärzten, die Ihr Programm nur einsetzen, um mehr Profit zu machen?“

Rowan runzelte die Stirn. „Was meinen Sie damit?“

„Sie können doch nicht ernsthaft annehmen, dass die ganze Welt so selbstlos ist wie Sie. Was ist mit den Kliniken, die das Programm benutzen, um Patienten durchzuschleusen und noch mehr Geld zu verdienen?“

„Ich kann nicht das Gewissen der Welt sein“, entgegnete er ruhig, sein Blick verriet jedoch Anspannung. „Ich kann mich nur um das Problem kümmern, das vor mir liegt. Ich schufte unentwegt, um meinen Patienten zu helfen. Hätte ich gern mehr Ärzte, mehr Krankenschwestern, mehr Pfleger und Hebammen in meiner Klinik? Zur Hölle, ja. Aber ich muss mit dem Personal zurechtkommen, das mir zur Verfügung steht, und ich tue, was ich kann, damit diejenigen, die da sind, so effizient wie möglich arbeiten können – unter Bedingungen, auf die uns im Studium niemand auch nur annähernd vorbereitet hat.“

„Dann räumen Sie also ein, dass das Programm nicht optimal ist?“

Er strich sich durchs Haar. „Ist das wirklich die einzige Erkenntnis, die Sie aus meiner Ansprache ziehen? Ich versuche, praktische Lösungen zu finden, während Sie mich vom Elfenbeinturm der Forschung aus kritisieren. Tut mir leid, falls ich Ihren hohen Ansprüchen nicht genüge.“

„Jetzt seien Sie nicht gleich eingeschnappt. Ich analysiere nur die Fakten, um meine Gedanken besser zu strukturieren.“

Er trat dichter zu ihr. „Wirklich schade, denn Sie sind viel bezaubernder, wenn Sie durcheinander sind.“

„Glauben Sie tatsächlich, dass dieser Spruch funktioniert?“, fragte sie spöttisch.

„Ich habe ihn noch nie ausprobiert.“ Er beugte sich näher, bis sein Mund fast ihren berührte. „Sag du’s mir.“

Ehe sie Luft holen konnte, ließ er seine Lippen über ihre gleiten. Auf den ersten Schock folgte schnell ein berauschendes Gefühl, ein köstliches Prickeln strömte heiß durch ihren Körper. Dieser unerwartete Kuss brannte sich unmittelbar in ihre Erinnerung.

Sie legte Rowan eine Hand auf die Brust und spürte den gleichmäßigen, starken Schlag seines Herzens. Sein Kuss war so ganz anders, als sie es sich vorgestellt hatte. Sie hatte etwas Leidenschaftliches und Wildes erwartet, stattdessen hielt Rowan sie so sacht in seinen Armen, als wäre sie zerbrechlich wie Glas. Seine Berührungen waren feinfühlig. Er schien genau zu wissen, an welchen Stellen er sie streicheln und liebkosen musste. Sie erschauerte, als er seine Hände über ihre Wirbelsäule tiefer gleiten ließ, ihren Po umfasste und sie an sich zog.

Es war, als risse ein Strudel sie fort, sie wollte mehr davon, mehr von ihm. Nur noch ein Augenblick und sie würde ihm die Kleider vom Leib reißen, doch plötzlich löste Rowan sich von ihr.

Wie beschämend, dass er es war, der den Kuss beendete. Eigentlich hätte sie diejenige sein müssen, die einen klaren Kopf behielt. Die Situation war viel zu riskant, nicht zuletzt deshalb, weil die Möglichkeit bestand, entdeckt zu werden.

Mari war erschüttert. Noch nie hatte sie so schnell die Kon­trolle verloren. Mit nur einem einzigen Kuss hatte er ihr komplett den Boden unter den Füßen weggezogen. Sie blickte zu ihm auf, doch er hatte ihr bereits den Rücken zugewandt und ging zur Tür.

„Rowan?“

Er drehte sich zu ihr um. „Es hat geläutet, der Babysitter ist da.“

Klang seine Stimme ein wenig heiser? Mari presste die Finger auf ihre brennenden Lippen und fragte sich, ob ein Tag getrennt von ihm ausreichen würde, um sich gegen die Gefahren zu wappnen, die ein Abend mit ihm mit sich brachte.

Am Abend schlenderten er und Mari mit Issa im Kinderwagen über den belebten Marktplatz des Küstenortes. Ein halbes Dutzend gut ausgebildeter Bodyguards bildete einen unauffälligen Schutzwall um sie, die Männer waren gerade nah genug, um bei Bedarf eingreifen zu können. Obwohl Mari keine Leibwächter mochte, hatte Rowan umgehend ein Team engagiert, das sowohl für ihre als auch für Issas Sicherheit sorgte. Schließlich war er für beide verantwortlich.

Er hielt selbst sorgsam Ausschau nach möglichen Gefahren. Zwar hatten ihnen ein paar Leute neugierig nachgesehen, doch bisher hatte sich ihnen niemand offen genähert.

Mari trug noch ihr Businesskostüm, allerdings ohne Jacke, nur den Rock und die Bluse. Sie hatte sich zur Tarnung ein Tuch um den Kopf gebunden und eine große Sonnenbrille aufgesetzt. Damit sah sie aus wie ein Filmstar aus den Vierzigerjahren.

Rowan war froh, dass es ihm gelungen war, sie zu diesem Ausflug zu überreden. Gemeinsam betrachteten sie das üppige Angebot der Händler, deren Marktstände die engen Straßen säumten. Bunte Stoffe, Keramikschüsseln und Körbe voll exotischer Früchte reihten sich dicht an dicht. In die salzige Meeresbrise mischte sich der Duft von gebratenem Truthahn und Ziegenfleisch. Einheimische und Touristen schoben sich durch das Gedränge, und neben dem Stimmengewirr aus Kreolisch, Portugiesisch, Englisch und unzähligen anderen Sprachen erklangen rhythmische Trommelschläge von Straßenmusikern, die Weihnachtslieder spielten.

Mari hatte den Kuss am Morgen mit keinem Wort erwähnt, doch er betrachtete es schon als Sieg, dass sie nicht gleich fortgerannt war. Er war sicher, dass sie ebenso erregt gewesen war wie er. Ihr Geschmack hatte sich unauslöschlich in seine Erinnerung eingebrannt, und er war entschlossener denn je, ihr näherzukommen und viel mehr zu kosten als nur ihre Lippen.

Dennoch war er klug genug, nichts zu überstürzen. Mari war intelligent, anspruchsvoll und der rätselhafteste Mensch, der ihm je begegnet war.

War es das, was ihn so sehr an ihr reizte? Das Geheimnisvolle?

Im Moment war der Grund dafür gar nicht so wichtig. Er wollte einfach nur ihren gemeinsamen Abend genießen.

Colonel Salvatore hatte bisher keine Neuigkeiten bezüglich der Identität des Babys, doch noch waren längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Vielleicht würde die Presseveröffentlichung dazu führen, dass jemand das Kind erkannte und sich bei ihnen meldete.

In der Zwischenzeit nutzte er die Gelegenheit, Mari näherzukommen. Gerade blieb sie am Stand eines Schmuckhändlers stehen. Ihr Gesicht strahlte förmlich, als sie die Ketten und Spangen mit den bunten Glasperlen betrachtete. Wer hätte gedacht, dass sie sich so für einheimischen Schmuck begeistern konnte? Sehnsüchtig ließ sie die Hände über ein paar Armbänder gleiten; schließlich wandte sie sich ihm zu.

„Wir sollten irgendwo etwas essen gehen. Ich sterbe vor Hunger.“ Instinktiv schob sie sich schützend zwischen den Kinderwagen und die drängelnden Passanten.

„Worauf hättest du denn Lust?“ Er war neugierig, was sie aussuchen würde.

„Wie wäre es, wenn wir draußen essen und uns dabei die Vorführungen ansehen?“

Autor

Joan Hohl
Joan Hohl wurde 1935 in Amerika geboren, und so lange sie denken kann, wollte sie Autorin werden. Ihre Mutter bezeichnete sie als Tagträumerin. Diese Tagträume hatten konkrete Handlungen, doch leider schrieb sie ihre Ideen nie auf, machte sich keine Notizen. Joan arbeitete als erwachsene Frau zunächst in vielen Bereichen, die...
Mehr erfahren
Catherine Mann
Bestsellerautorin Catherine Mann schreibt zeitgenössische Liebesromane, die im militärischen Milieu spielen. Ihr Mann, der bei der US Air Force arbeitet, versorgt sie mit allen nötigen Informationen, sodass sie keine Recherche betreiben muss.
In der Zeit vor ihren Romanveröffentlichungen machte sie ihren Bachelor in Bildender Kunst auf dem College von Charleston und...
Mehr erfahren
Sarah M. Anderson
Sarah M. Anderson sagt, sie sei 2007 bei einer Autofahrt mit ihrem damals zweijährigen Sohn und ihrer 92-jährigen Großmutter plötzlich von der Muse geküsst worden. Die Geschichte, die ihr damals einfiel, wurde ihr erstes Buch! Inzwischen konnte sie umsetzen, wovon viele Autoren träumen: Das Schreiben ist ihr einziger Job, deshalb...
Mehr erfahren

Entdecken Sie weitere Bände der Serie

Die Bolton Brüder