Collection Baccara Band 355

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LEIDENSCHAFT EINER WÜSTENNACHT von GOLD, KRISTI
In feuriger Leidenschaft entbrennt Scheich Rafiq zu der schönen Maysa. Doch eine gemeinsame Zukunft mit der unabhängigen Ärztin scheint unmöglich. Denn wenn sich der stolze Wüstenherrscher aus Liebe zu ihr über alle Traditionen hinwegsetzt, riskiert er seinen Thron …

BEGEHREN IN SCHWINDELNDER HÖHE von LEIGH, ALLISON
Sein heißer Kuss verändert alles: Eigentlich wollte Emily dem sexy Piloten Max aus dem Weg gehen. Sie aus bester Familie, er mit einer wilden Vergangenheit … Stattdessen steuert er sie beide in den siebten Himmel der Lust. Aus dem es hoffentlich keine Crash-Landung gibt!

MEIN UNWIDERSTEHLICHER MILLIARDÄR von GRADY, ROBYN
Becca ist entsetzt! Jack Reed will die Wohltätigkeitsstiftung, für die sie arbeitet, ruinieren. Sie muss den erfolgsverwöhnten Milliardär davon abbringen! Aber wie überzeugt man einen so unwiderstehlichen Verführer, ohne sich selbst dabei die Finger zu verbrennen?


  • Erscheinungstag 23.06.2015
  • Bandnummer 0355
  • ISBN / Artikelnummer 9783733722562
  • Seitenanzahl 384
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kristi Gold, Allison Leigh, Robyn Grady

COLLECTION BACCARA BAND 355

KRISTI GOLD

Leidenschaft einer Wüstennacht

Scheich Rafiq Mehdi ist zurück in ihrem Leben! Maysa weiß: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis seine heißen Küsse sie schwach werden lassen, bis sie wieder eine Nacht in seinem Wüstenpalast verbringt – und bis ihr Herz erneut gebrochen wird! Denn Rafiq hat sich schon einmal für eine andere entschieden, als es darum ging, seine Königin zu erwählen …

ALLISON LEIGH

Begehren in schwindelnder Höhe

Er und Emily Fortune – das passt einfach nicht. Das redet sich der Pilot Max jedenfalls pausenlos ein. Seine Vergangenheit als Bad Boy sollte ihm verbieten, überhaupt in die Richtung der verwöhnten Tochter aus reichem Hause zu schauen! Aber wenn sie eng umschlungen zu sinnlicher Musik tanzen, knistert es heiß. Und in einer bestimmten Hinsicht passen sie perfekt zusammen …

ROBYN GRADY

Mein unwiderstehlicher Milliardär

Die Geschäftswelt zittert vor ihm. Nur Becca Stevens wagt es, sich Jack mutig in den Weg zu stellen. Dabei könnte er sie und ihre Stiftung vernichten! Aber in Beccas Augen brennt so viel Feuer, dass der Milliardär beschließt: Eine Woche lang hat sie Zeit, ihn von seinem kaltblütigen Geschäftsplan abzubringen – unter einer ebenso süßen wie schamlosen Bedingung …

1. KAPITEL

König Rafiq ibn Fayiz Mehdi besaß einen scharfen Verstand, große Macht und beeindruckenden Reichtum. Doch nichts davon hatte geholfen, eine schreckliche Tragödie zu verhindern – eine Tragödie, für die er sich teilweise verantwortlich fühlte.

Bei Sonnenuntergang stand er auf der Dachterrasse des Palasts und blickte über die Landschaft, die sich vor ihm erstreckte. Das abwechslungsreiche Terrain, das er einst geliebt hatte, schien jetzt bedrohlich und beschwor schreckliche Erinnerungen herauf.

Eine dunkle, kurvenreiche Straße um Mitternacht. Totenstille und Grauen. Scheinwerfer strahlten eine Klippe an, Metalltrümmer …

„Wenn du glaubst, du könntest Berge versetzen, indem du sie anstarrst, dann kann ich dir sagen, dass es nicht funktionieren wird.“

Beim Klang der vertrauten Stimme drehte Rafiq sich um und erblickte seinen Bruder. „Warum bist du hier?“

Zain trat zu Rafiq. „Begrüßt du so den Mann, der dir vor über einem Jahr so großzügig den Thron überlassen hat?“ Den Mann, der aus Liebe auf den Thron verzichtet hatte.

„Entschuldige, Bruder. Ich habe dich erst in einem Monat erwartet.“

„Da die ersten Vorbereitungen für das Wasserschutzprojekt abgeschlossen sind, dachte ich, es ist der richtige Zeitpunkt für meine Rückkehr.“

Unter normalen Umständen würde er sich über Zains Gesellschaft freuen. In letzter Zeit allerdings zog er das Alleinsein vor. „Bist du allein?“

„Natürlich nicht“, antwortete Zain leicht gereizt. „Ich reise nur ohne meine Familie, wenn es absolut notwendig ist.“

„Dann ist Madison also bei dir?“

„Ja, sie und die Kinder. Endlich lernst du deine Nichte und deinen Neffen kennen.“

Rafiq teilte Zains Enthusiasmus nicht. Die Anwesenheit von zwei Kindern würde ihn nur daran erinnern, was er verloren hatte. „Wo sind die Kinder?“

„Madison und Elena kümmern sich um sie.“

Zumindest konnte er das Kennenlernen noch etwas hinausschieben. „Ich bin froh, dass du Elena wieder dorthin gebracht hast, wo sie hingehört. Der Haushalt läuft ohne sie nicht gut.“

„Das habe ich gehört“, sagte Zain. „Ich habe auch gehört, dass du Gefahr läufst, eine Palastrevolution unter den Angestellten auszulösen, wenn du sie weiter so terrorisierst.“

„Ich habe die Angestellten nicht terrorisiert. Ich habe sie nur korrigiert, wenn es nötig war.“

„So viel ich weiß, hast du es für notwendig gehalten, sie täglich zu korrigieren, Bruderherz. Ich habe auch gehört, dass du in der Ratsversammlung genervt und aufbrausend bist.“

Rafiq fragte sich langsam, was der wirkliche Grund für Zains überraschendes Erscheinen war. „Hast du mit unserem jüngeren Bruder gesprochen?“

„Ich hatte gelegentlich Kontakt zu Adan.“

„Und ganz offensichtlich habt ihr über mich geredet.“

„Er hat nur gesagt, dass du seit Rimas Tod schwere Zeiten durchmachst, Rafiq.“

Sein Verdacht bestätigte sich – Zain war früher zurückgekehrt als geplant, um sein Kindermädchen zu spielen.

„Wir wissen, wie furchtbar es für dich sein muss, deine Frau und das ungeborene Kind verloren …“

„Wie könntest du das verstehen?“ Niemand, der es nicht selbst erlebt hatte, konnte die ständigen Schuldgefühle verstehen. „Du hast eine Frau und zwei gesunde Kinder.“

„Wie ich bereits sagte“, fuhr Zain fort, „ist es verständlich, dass du immer noch Groll hegst, zumal so viele Fragen den Unfall betreffend unbeantwortet sind. Dennoch, dein aufbrausendes Verhalten stiftet Unruhe. Du solltest über eine Auszeit nachdenken.“

Unmöglich und unnötig. „Und wer regiert in der Zeit das Land?“

„Das würde ich tun“, sagte Zain. „Schließlich habe ich mich viele Jahre darauf vorbereitet, dieses Amt zu übernehmen, bevor ich es an dich abgetreten habe. Adan ist bereit, mich zu unterstützen.“

Rafiq lachte zynisch. „Adan hat kein Interesse daran, Bajul zu regieren. Für ihn gibt es nur die Fliegerei und Frauen. Und was dich betrifft, so hat unser Volk nicht vergessen, dass du dich ein zweites Mal von ihm abgewendet hast.“

Zain wurde wütend. „Ich liebe dieses Land, und ich sehe, dass alles reibungslos läuft, genau wie ich es versprochen habe, bevor ich mit Madison in die Staaten zurückkehrte. Vergiss nicht, ich war derjenige, der das Wasserschutzprojekt entwickelt hat, das Bajuls Zukunft sichern wird. Es hat mir die Unterstützung der Ratsversammlung eingebracht.“

Rafiq merkte, dass es falsch gewesen war, Zain zu kritisieren. „Entschuldige. Ich weiß deine Hilfe zu schätzen, aber ich versichere dir, ich brauche keine Auszeit.“

„Es könnte dir helfen, deine gegenwärtige Gefühlslage zu klären.“

„Meine Gefühle sind nicht von Bedeutung. Es zählt nur meine Pflicht meinem Land gegenüber.“

„Dein Gefühlschaos wirkt sich verständlicherweise allmählich auf deine Regentschaft aus. Trauer braucht Zeit, Rafiq. Und du hast dir diese Zeit nicht gegönnt.“

Er hatte mehr getrauert, als die Menschen ahnten. „Es ist sechs Monate her. Das Leben muss wie geplant weitergehen.“

„Pläne gehen schief, Bruder, und das Leben kommt manchmal zum Stillstand. Du hast einen großen Verlust erlitten, und wenn du das nicht zur Kenntnis nehmen willst, dann wirst du umso mehr leiden.“

Er konnte diese Unterhaltung nicht länger ertragen. „Ich will nicht weiter darüber sprechen, wenn du mich also entschuldigen würdest …“

Rafiq sprach nicht weiter, als er Schritte hörte. Zains blonde amerikanische Frau kam auf sie zu, auf der Hüfte ein pausbäckiges dunkelhaariges Baby. Er bemerkte sofort das Glück, das seine Schwägerin ausstrahlte, und die Liebe in ihren Augen, als sie Zain ansah. „Unsere kleine Tochter besteht darauf, bei ihrem Daddy zu sein.“

Zain lächelte liebevoll. „Diesen Wunsch erfülle ich meinem Schatz nur zu gern.“

Madison übergab Zain das Baby, dann umarmte sie Rafiq. „Schön, dich zu sehen, mein lieber Schwager.“

„Ich freue mich auch, Madison“, sagte er. „Du siehst gut aus. Wie immer. Man glaubt kaum, dass du erst vor Kurzem Zwillinge bekommen hast.“ Ironischerweise nur ein paar Tage, nachdem er seine Frau begraben hatte.

Sie strich sich die zerzausten Haare aus dem Gesicht und errötete. „Danke. Von Elena soll ich dir ausrichten, dass sie zu dir kommen wird, sobald sie Joseph zu Bett gebracht hat. Sie kann unseren Sohn besser beruhigen als irgendjemand sonst. Aber da sie euch großgezogen hat, hat sie ja auch viel Erfahrung.“

Zain trat näher zu Rafiq. „Cala, das ist dein Onkel Rafiq.“

Rafiq verspürte große Traurigkeit, als er den Namen seiner Mutter hörte, den sein Bruder seiner Tochter gegeben hatte. Die Mutter, die er kaum gekannt hatte, aber immer noch verehrte. „Ein wunderschönes Mädchen, Zain. Gratuliere.“

„Möchtest du deine Nichte auf den Arm nehmen?“

Wenn er es tat, riskierte er, den emotionalen Schutzwall zu zerstören, den er aufgebaut hatte. „Vielleicht später. Jetzt muss ich ein paar Dokumente durchsehen.“ Er küsste Madison auf die Wange. „Du hast meinem Bruder das schönste aller Geschenke gemacht.“

Er musste von hier weg. Mit langen Schritten überquerte er die Dachterrasse. „Warte, Rafiq“, rief Zain, reichte das Baby seiner Frau und folgte ihm zur Tür.

Widerstrebend sah Rafiq seinen Bruder an. „Was ist jetzt noch?“

Zain legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Ich verstehe, dass es schwierig für dich ist, über emotionale Themen mit deinen Geschwistern zu sprechen. Deshalb glaube ich, du solltest jemanden aufsuchen, der dich besser versteht als alle anderen.“

Er kannte nur einen Menschen, der diese Voraussetzungen erfüllte, und mit diesem war er schon seit geraumer Zeit nicht mehr befreundet. „Wenn du Shamil Barad meinst, er ist weg, während seine Ferienanlage renoviert wird.“

„Ich meine seine Schwester. Maysa.“

Der Name durchbohrte schmerzhaft wie ein Pfeil sein Herz und beschwor Erinnerungen herauf. Er erinnerte sich, wie ihr langes dunkles Haar ihren Rücken hinabfloss und bis über ihre Taille fiel. Wie hinreißend sie lächelte. Er erinnerte sich, wie sie in jener Nacht vor langer Zeit ausgesehen hatte, als sie sich geliebt hatten – ihr größter Fehler. Er erinnerte sich auch an den Schmerz in ihren braunen Augen an dem Tag, an dem er ihr gesagt hatte, dass aus ihnen niemals ein Paar werden würde. „Ich habe seit Jahren nicht mit Maysa gesprochen. Sie hat die Verbindung abgebrochen, als …“

„Als du nicht sie, sondern Rima Acar gewählt hast?“

„Die Vereinbarung wurde zwischen unseren Vätern getroffen. Ich wurde nicht gefragt.“

Zain rieb sich das Kinn. „Ah, ja. Ich glaube, Scheich Acar hat bei der Mitgift das Angebot von Maysas Vater überboten. Ich erinnere mich auch, dass du nichts getan hast, um deine Situation darzulegen. Du hast nie versucht, die beiden Parteien zu überzeugen, dass du zu Maysa gehörst.“

„Der Tradition entsprechend stand es nicht in meiner Macht, das zu tun.“

Zains Gesichtsausdruck wirkte plötzlich wie versteinert. „Eine Tradition, die mich gezwungen hat, mich zwischen dem Thron und meiner Frau zu entscheiden. Eine antiquierte Einstellung, die dich und auch Maysa unglücklich gemacht hat. Die Wahl, die der Emir für seine Tochter getroffen hat, endete mit der Scheidung und hat sie fast ruiniert. Und du warst alles andere als glücklich mit deiner Königin.“

Zorn, so heiß wie ein Feuer, stieg in Rafiq hoch. „Du weißt nichts über meine Beziehung mit Rima.“

„Ich weiß, was ich gesehen habe.“ Zain musterte ihn einen Moment. „Warst du glücklich, Rafiq? War Rima glücklich?“

Er konnte nicht ehrlich antworten, ohne Zains Mutmaßung zu bestätigen. „Ich mochte Rima. Ihr Tod war schwer für mich, ob du es glaubst oder nicht.“

„Entschuldige, wenn meine Worte gefühllos klangen“, erwiderte Zain. „Wie ich bereits sagte, es ist offensichtlich, dass du seelisch aus dem Gleichgewicht gekommen bist. Das bringt mich zurück zu meinem Vorschlag, dass du mit Maysa sprechen solltest. Sie wird dich verstehen.“

Vielleicht, aber andere Probleme gab es immer noch. „Selbst wenn sie einverstanden wäre, mich zu treffen, was ich jedoch nicht glaube, wäre eine Liaison mit Maysa nicht akzeptabel. Sie ist geschieden, und ich bin erst seit kurzer Zeit Witwer.“

Zain machte ein frustriertes Gesicht. „Meine Güte. Mein Vorschlag war, dass du mit ihr sprichst, nicht, dass du sie heiratest. Und wenn du befürchtest, dass jemand eine Affäre vermutet, dann stiehl dich nachts davon, damit du nicht entdeckt wirst. Bei mir hat das immer funktioniert. Wenn du Hilfe brauchst, dann wende dich gern an mich.“

Daran zweifelte Rafiq nicht. Sein Bruder hatte das heimliche Davonschleichen perfekt beherrscht. „Ich brauche weder deine Hilfe, noch habe ich vor, mich mit Maysa zu treffen.“

„Denk noch einmal darüber nach, Bruder. Sie ist vielleicht die Einzige, die dir durch diese schwierige Phase helfen kann.“

Einst wäre es vielleicht so gewesen. Maysa hatte ihn besser gekannt und besser verstanden als jeder andere Mensch. Aber sie war auch seine größte Schwäche gewesen, und er ihre größte Enttäuschung.

Aus dem Grund hielt er sich besser von ihr fern. Dennoch, nachdem er in seine Gemächer zurückgekehrt war, allein mit seinen Schuldgefühlen, fragte er sich, ob Zain nicht vielleicht doch recht hatte. Die Verbindung mit Maysa neu aufleben zu lassen, und wenn auch nur für begrenzte Zeit, könnte sich lohnen.

Als Ärztin reagierte Maysa auf das nächtliche Klingeln in der Annahme, dass jemand sie zu einem kranken Kind oder einer Frau in Wehen holen wollte. Sie rechnete nicht damit, Rafiq Mehdi zu sehen, den vor wenigen Monaten verwitweten König von Bajul. Ihr Freund aus Kindertagen. Ihre erste Liebe. Ihr erster Liebhaber.

Rafiq hatte sich kaum verändert. Er war immer noch groß und schlank und so attraktiv wie damals, nur dass er jetzt einen gepflegten Kinnbart trug. Seine Augen und seine Haare waren so dunkel wie ihre. Doch er war reifer geworden, was ihm eine noch größere Ausstrahlung verlieh. Eine Ausstrahlung, die vor vielen Jahren ihre Standhaftigkeit bei mehr als einer Gelegenheit ins Wanken gebracht hatte.

Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Und sie hatte keine Ahnung, warum er jetzt hier war, aber sie würde es herausfinden. „Guten Abend, Majestät. Welchem Umstand verdanke ich diesen unerwarteten Besuch?“

„Ich muss mit dir sprechen.“

Bei seinem ernsten Tonfall bekam sie einen Schreck. „Bist du krank?“

„Nein. Ich erkläre dir, warum ich hier bin, sobald wir ungestört sind.“

Maysa blickte sich um und sah einen schwarzen Wagen unter dem Vorbau, aber überraschenderweise keinen der üblichen Leibwächter. „Wo ist deine Garde?“

„Im Palast. Nur ausgewählte Mitglieder meines Mitarbeiterstabs wissen, dass ich hier bin.“

Irgendwie beunruhigte es sie, dass sie völlig allein mit ihm war. Sie spielte mit dem Gedanken, ihn zu bitten, morgen früh wiederzukommen, wenn sie anständig angezogen, ausgeruht und besser vorbereitet war. Allerdings war er der König, und sein Wunsch war ihr Befehl, wie immer. In ihrer Jugend hätte sie alles getan, worum er sie bat. In einer schicksalhaften Nacht hatte sie es getan.

Trotz aller Bedenken ließ sie ihn eintreten.

„Ich weiß deine Bereitschaft, um diese Uhrzeit mit mir zu sprechen, wirklich zu schätzen.“

„Gern. Komm herein.“

In ihrem Wohnzimmer angekommen, forderte sie ihn auf, sich zu setzen.

„Ich bleibe lieber stehen.“ Er begann, in dem Raum wie ein Tiger im Käfig auf und ab zu laufen.

Maysa ließ sich auf das Sofa fallen, zog die Beine unter sich und bedeckte mit dem aquamarinfarbenen Kaftan ihre nackten Füße. „Was kann ich für dich tun, Rafiq?“

Er blieb am Fenster stehen und schaute hinaus auf die Berge. „Ich konnte nicht schlafen. Ich habe Schlafprobleme, seit …“

„Seit dem Unfall“, sagte sie, als er verstummte. Der geheimnisvolle Autounfall, bei dem die Königin ums Leben gekommen war. „Schlafstörungen und Unruhe sind verständlich. Rimas Tod war tragisch und unerwartet. Wenn du ein Schlafmittel haben möchtest, dann verschreibe ich es dir gern.“

Er drehte sich zu ihr. „Ich will keine Tabletten, Maysa. Ich möchte die Zeit zurückdrehen und einen Weg finden, den Unfall meiner Frau zu verhindern. Ich möchte Frieden finden.“

Seine Gefühle für seine Königin waren offensichtlich tiefer, als Maysa gedacht hatte. „Es dauert, bis man sich von dem Verlust eines geliebten Menschen erholt hat, Rafiq.“

„Sechs Monate sind seit dem Unfall vergangen“, sagte er. „Und so sehr habe ich sie nicht geliebt, was dann ja auch zu ihrem Tod geführt hat.“

Hatte sie eine falsche Vermutung angestellt? Anscheinend war Rafiqs Vermählung mit Rima Acar nur eine Vereinbarung zwischen den beiden Familienoberhäuptern gewesen. Trotzdem verstand sie nicht, warum er sich die Schuld an ihrem Tod gab. „Du hast den Wagen nicht gefahren, Rafiq.“

Er durchquerte den Raum und setzte sich zu ihr auf den Zweisitzer. „Aber ich habe sie in der Nacht weggejagt.“

Maysa bezweifelte, dass sie Einzelheiten hören wollte, doch da er entschieden hatte, sie das erste Mal seit Jahren ins Vertrauen zu ziehen, musste sie ihm zuhören. „Habt ihr gestritten, bevor sie ging?“

Er rieb sich das Gesicht, als wollte er die bitteren Erinnerungen ausradieren. „Ja. Gleich, nachdem sie mir gesagt hatte, dass sie ein Kind erwartet.“

Rimas Schwangerschaft war zwar vor der Presse geheim gehalten worden, doch Maysa hatte davon gewusst. Ohne Wissen des Königs war die Königin zu ihr gekommen, um sich die Schwangerschaft bestätigen zu lassen, statt zum Palastarzt zu gehen. Sie hatte nie verstanden, warum. „Warst du nicht glücklich über die Neuigkeit?“

„Ich habe mich sogar sehr gefreut. Sie war allerdings nicht glücklich darüber, mein Kind zu bekommen.“

Maysa hatte Rimas Verzweiflung bemerkt, nachdem sie ihr das Resultat der Untersuchung mitgeteilt hatte. „Das hat sie dir gesagt?“

„Nicht direkt, aber ich habe gespürt, dass sie unglücklich darüber war. Als ich sie gefragt habe, hat sie es nicht geleugnet. Etwas später hat sie den Palast verlassen.“

Maysa war froh, dass er sich die Last von der Seele redete, gleichzeitig hatte sie ein ziemlich schlechtes Gewissen, weil sie ihm eine Information vorenthielt. Sie glaubte zu wissen, wo die Königin vor dem Unfall gewesen war. „Weißt du, welches Ziel sie gehabt haben könnte?“

Sein Gesichtsausdruck blieb düster. „Nein, und vermutlich werde ich es auch nie erfahren. Aber wenn ich sie nicht vertrieben hätte, wäre das Unglück nicht passiert.“

Sie gab ihm den einzigen Rat, den sie im Moment geben konnte. Den Rat, den auch sie befolgte seit dem Tag, an dem er ihr gesagt hatte, dass er eine andere heiraten würde, und damit ihre Träume von einer gemeinsamen Zukunft zerstört hatte. „Rafiq, du kannst entweder dein Leben damit verbringen, darüber nachzudenken, was sein könnte, oder du kannst mit deinem Leben weitermachen.“

„Erst vor ein paar Stunden habe ich zu Zain gesagt, dass ich mein Leben fortsetzen will“, sagte er. „Aber das ist schwer.“

„Es wäre schön, wenn dein Bruder in dieser schwierigen Zeit bei dir wäre.“

„Er ist heute mit Madison und den Kindern in Bajul angekommen.“

Sie vermutete, dass die Gegenwart der Babys der Grund für Rafiqs Traurigkeit war. „Die Kinder zu sehen ist sicher nicht einfach für dich.“

„Wie kommst du darauf?“

Sie legte eine Hand an seinen Arm. „Ihre Anwesenheit könnte dich an deinen eigenen Verlust erinnern.“

„Damit kann ich umgehen. Aber ich kann nicht Zains Rat befolgen. Er ist überzeugt, dass ich eine einjährige Auszeit brauche.“

„Vielleicht hat er recht. Eine Auszeit würde bei der Trauerarbeit helfen.“

Er runzelte die Stirn. „Er hat nicht recht. Ich brauche nur Zeit, mich auf diese Situation einzustellen. Meinen Pflichten kann ich trotzdem nachkommen.“

Ihrer Meinung nach überschätzte er seine Kraft. „Weiß Zain, dass du hier bist?“

„Ja, es war seine Idee, dass ich mit dir spreche.“

Wieder einmal wurde ihre Hoffnung zunichte gemacht. „Ich dachte, du wärst aus eigenem Antrieb gekommen.“

„Ich hätte nie daran gedacht, dich damit zu belästigen.“

„Das tust du nicht, Rafiq. Ich hatte überlegt, dich nach der Beerdigung zu besuchen, aber ich war nicht sicher, ob ich willkommen bin.“

Er sah sie ernst an. „Du bist in meiner Welt immer willkommen, Maysa.“

Die Erinnerung traf sie mit voller Wucht. Die Erinnerung an eine Zeit, als er dieselben Worte gesagt hatte.

Doch sie war in seiner Welt überhaupt nicht willkommen gewesen. Kaum war seine Ehe beschlossene Sache gewesen, war es ihnen ausdrücklich verboten worden, sich zu sehen. Trotzdem hatten sie sich weiterhin heimlich getroffen. Diese Treffen hatten das Feuer, das in ihnen loderte, weiter angefacht, bis zu der Nacht, in der sie sich das erste – und letzte – Mal geliebt hatten.

Maysa fragte sich, ob Rafiq sich an jene unvergesslichen Momente erinnerte, oder ob er sie verdrängt hatte. Und sie fragte sich, warum sie so dumm gewesen war zu glauben, er würde seine Meinung ändern und Rima nicht heiraten.

Sie erhob sich und ging an den Tisch, um sich ein Glas Wasser einzuschenken. Sie stand mit dem Rücken zu Rafiq, als sie trank, doch sie hörte, wie er sich ihr näherte.

„Habe ich etwas gesagt, das dich durcheinanderbringt, Maysa?“

Seine Anwesenheit brachte sie durcheinander. Ihre Gefühle für ihn verwirrten sie. Sie stellte das Glas auf den Tisch und drehte sich zu ihm. „Warum bist du wirklich hier, Rafiq? Warum bist du nach all der Zeit zu mir gekommen?“

Sein Gesicht spiegelte Verwirrung wider. „Du bist der Mensch, zu dem ich immer gekommen bin, wenn ich Trost brauchte.“

„Nicht immer“, sagte sie. „Lange Jahre waren wir praktisch Fremde.“

„Du warst diejenige, die Bajul verlassen hat und in die Staaten gezogen ist, Maysa. Ich war immer hier.“

„Nach meiner Scheidung von Boutros hatte ich keine andere Wahl.“

„Ein Mann, den du niemals hättest heiraten dürfen.“

Ein herzloser, niederträchtiger Mensch, der ihr fast ihr Selbstwertgefühl und ihre Sicherheit genommen hätte. Fast. „Genau wie bei dir und Rima war meine Ehe arrangiert. Eine Anordnung meines Vaters.“

Rafiq neigte den Kopf und betrachtete sie. „Warum hast du deinen Namen und guten Ruf riskiert und dich scheiden lassen?“

Sie wagte nicht, ihm die ganze Wahrheit zu sagen. „Ich wollte mir von ihm nicht sagen lassen, wie ich mein Leben zu leben habe.“

„Ist das der einzige Grund?“

„Reicht das nicht? Welchen Grund sollte es noch geben?“

„Jeder weiß von Boutros Kassabs unseriösen Geschäften und fragwürdigen Beziehungen.“

Sie würde ihn in dem Glauben lassen, dass das der Grund war, statt die harte Wahrheit zu enthüllen – Boutros war ein sadistischer, gefühlloser Lüstling. „Ich war in seine Geschäfte nicht involviert. Ich musste nur die pflichtbewusste Ehefrau spielen.“

Er zog die Augenbrauen hoch. „Im Bett?“

Sie zögerte kurz. „Soll ich lügen und Nein sagen?“

„Er ist dreißig Jahre älter als du. Ich hatte gehofft, du würdest sagen, dass er wenig Interesse am Sex hatte, weil seine Potenz nachließ.“

Viele Nächte hatte sie vergeblich gewünscht, das wäre der Fall. „Boutros ist ein Mann, und Männer verlieren nur selten das Interesse an Sex, egal, wie alt sie sind.“

„Hat er dich befriedigt, Maysa?“

Sie schnappte nach Luft. „Das geht dich nichts an.“

Er strich mit dem Zeigefinger über ihre Wange. „Ich bin nur neugierig, ob er wusste, was dir gefällt. Ob er gewusst hat, so wie ich, was dich vor Lust zum Beben bringt.“

Sie schlang die Arme um ihre Taille, als könnte sie sich so vor seiner magischen Anziehungskraft schützen. Vor den Erinnerungen. „Hat Rima dich befriedigt, Rafiq? Oder hast du nur mit ihr geschlafen, um einen Erben zu zeugen?“ Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, da verfluchte sie schon ihre Gedankenlosigkeit.

Rafiq reagierte, indem er wieder ans Fenster ging und auf die Berge schaute. Langsam näherte sie sich ihm und legte eine Hand auf seine Schulter. „Tut mir leid, Rafiq. Ich wollte nicht so herzlos sein. Ich weiß, wie sehr dich der Verlust deines Kindes schmerzt. Ich weiß auch, dass du deine Frau sehr gern hattest und ihr ein guter Ehemann warst. Du hättest ihre Bedürfnisse nie ignoriert.“

„Das hat dazu geführt, dass ich ignoriert habe, was ich am meisten brauchte.“

„Und was war das?“

„Dich.“

Ohne Vorwarnung wirbelte Rafiq herum und zog sie an sich. Er eroberte ihren Mund, begierig und fast verzweifelt. Und sie ließ sich gern und bereitwillig küssen, so wie sie es immer getan hatte.

Maysa ärgerte sich, dass er so leicht Lust in ihr wecken konnte, aber sie ärgerte sich nicht genug, um ihn zu stoppen. Und sie ärgerte sich über sich selbst, dass sie dem Verlangen nachgeben wollte. Das zu tun könnte ihr wunderbare Momente bescheren … und anschließend die Katastrophe.

Er wollte nicht sie. Er wollte nur Trost, egal, wo er ihn fand. So war es immer gewesen. Dieser Gedanke machte sie so wütend, dass sie es schaffte, ihren gesunden Menschenverstand wieder einzuschalten.

Sie brachte ihre gesamte Energie auf und ging auf Abstand. „Wie viele Frauen gab es nach mir und vor deiner Ehe mit Rima?“

Verwirrt sah er sie an. „Was spielt das für eine Rolle?“

„Vielleicht könntest du eine von ihnen anrufen, um dir dort zu holen, was du offensichtlich brauchst.“

Sein attraktives Gesicht war wie versteinert. „Du glaubst wirklich, dass ich nur deshalb hier bin?“

Sie verschränkte die Arme. „Ja. Ich glaube, dass du eine kurzfristige Ablenkung suchst. Sobald du sie bekommen hast, bist du wieder weg.“

„Ich suche die Gesellschaft eines Menschen, dem ich vertraue und der mir immer wichtig war.“

„Wenn du dir wirklich etwas aus mir machen würdest, dann hättest du mich nicht geküsst.“

„Vielleicht war der Kuss ein Fehler“, sagte er. „Vielleicht hätte ich gar nicht kommen sollen.“

Sie lachte abschätzig. „Du hast recht. Es war ein Fehler. Jemand könnte es herausfinden, und das käme in der Ratsversammlung nicht gut an. Ich bin eine geschiedene Frau, das ist für manche gleichbedeutend mit Hure. Und lass uns nicht vergessen, dass du der König bist.“

„Rede nicht so. In meinen Augen warst du nie eine Hure“, sagte er heftig. „Und manchmal möchte ich vergessen, dass ich der König bin.“

Die plötzliche Niedergeschlagenheit in seiner Stimme rührte Maysa. „Das klingt, als würdest du tatsächlich eine Auszeit benötigen.“

„Es gibt keinen Ort, an dem man mich wirklich in Ruhe lassen würde.“ Er verzog die Lippen zu dem vertrauten Lächeln, das ihre Entschlossenheit immer gebrochen hatte. „Es sei denn, du wärst bereit, mich bei dir aufzunehmen. Ich würde natürlich für mich bleiben. Du würdest gar nicht merken, dass ich hier bin.“

Sie würde jede Sekunde des Tages merken, dass er da war, ob in seiner Gegenwart oder nicht. „Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist.“

Er nahm ihre Hände. „Ich möchte nur eine Auszeit von meinen Verpflichtungen haben und die Freundschaft mit dir erneuern.“

Wie einfach wäre es, seiner Bitte zuzustimmen, aber … „Auch im Bett?“

„Ich würde nie etwas von dir verlangen, das du nicht zu geben bereit bist.“

Das allein stellte schon ein Problem dar – es könnte sein, dass sie ihm nur zu gern alles gab, ohne etwas anderes zu bekommen als leidenschaftliche Nächte und weitere schöne Erinnerungen, die kurzzeitig die schlechten in den Hintergrund drängten. Und er könnte ihr wieder das Herz brechen.

Maysa entzog ihm ihre Hände und lief durch das Zimmer, während sie das Für und Wider abwägte. Dann kam ihr plötzlich ein Gedanke. Sie könnte seine Anwesenheit zu ihrem Vorteil nutzen. Sie könnte ihm endlich vor Augen führen, dass Verbesserungen in der medizinischen Versorgung der Armen dringend notwendig waren. Sie könnte ihm zeigen, was seine Untertanen bei Krankheit ertragen mussten. Und würde dabei einen kühlen Kopf behalten können.

Schließlich lag der Gästeflügel weit entfernt von ihren Privaträumen, sodass körperliche Distanz gegeben war. Und ganz abgesehen davon war sie eine starke, unabhängige Frau. Sie war eine ausgezeichnete Ärztin und hatte ihre Fähigkeiten in den Vereinigten Staaten noch verfeinert. Sie hatte einen Tyrannen und die Scheidung von ihm überlebt. Sie würde auch mit einem König fertigwerden – das hoffte sie zumindest.

Mit dem Gedanken im Kopf sah sie Rafiq wieder an. „In Ordnung. Du kannst bleiben.“ Als er etwas sagen wollte, hielt sie einen Finger hoch, um ihn zum Schweigen zu bringen. „Solange du dich an meine Regeln hältst.“

Argwöhnisch sah er sie an. „Und was sind das für Regeln?“

„Details heben wir uns für später auf.“ Bis ich mir selbst darüber im Klaren bin.

„Okay. Gibt es irgendetwas, das du heute Abend noch von mir wünschst?“

Eine Antwort schoss ihr durch den Kopf. Eine unangemessene Antwort, die sie zur Seite schob. „Nein.“

Rafiq sah auf seine Uhr. „Ich muss zurück zum Palast. Wir setzen das Gespräch fort, wenn ich morgen mit meiner Auszeit beginne.“

Morgen? „Ich dachte, du brauchst mehr Zeit, um Vorkehrungen zu treffen.“ Oder die Meinung zu ändern.

„Es liegt in meinem Ermessen, wann ich im Palast bin oder wann ich ihn verlasse. Schließlich bin ich …“

„Der König. Ich weiß.“ Nur zu gut. „Ich bringe dich an die Tür.“

Seite an Seite gingen sie zum Ausgang. Dort blieb Rafiq stehen und sah sie ernst an. „Ich stehe für immer in deiner Schuld, Maysa. Und ich versichere dir, dass ich dir keinen Grund geben werde, meinen Motiven zu misstrauen.“

Das würde sich zeigen. „Das freut mich. Und ich behalte mir vor, weitere Bedingungen zu stellen, sollte ich deine Motive infrage stellen.“

„Ich werde mich bemühen, dein Vertrauen zurückzugewinnen. So wie du mir vertraut hast, bevor sich die harte Realität des Lebens in unsere Beziehung gedrängt hat.“

Maysa wollte ihm glauben. Aber noch mehr wünschte sie, sie würde sich nicht so sehr zu ihm hingezogen fühlen.

Einen Moment lang standen sie einfach da, die sexuelle Spannung zwischen ihnen so dick wie der Nebel in den Bergen. Nur ein Schritt, und ihre Körper und ihre Lippen würden sich treffen.

Maysa räusperte sich und trat einen Schritt zurück, bevor es zu spät war. „Gute Nacht, Majestät. Wir sehen uns morgen.“

„Ich werde morgen Abend hier sein, Dr. Barad.“

Die Förmlichkeit klang falsch in ihren Ohren. Dennoch, wenn ihr diese Förmlichkeit Halt gab, dann würde sie es vermeiden, ihn bei seinem Vornamen zu nennen. Überhaupt würde sie alles vermeiden, was zu etwas führen könnte, das sie sich beide nicht leisten konnten. Aber als er sich vorbeugte, ihr einen zärtlichen Kuss auf die Wange gab und ihr sein sinnliches Lächeln schenkte, fürchtete sie, dass die Gefahr an jeder Ecke lauern würde, sobald er in ihr Haus eingezogen war.

Nachdem Rafiq die Tür geöffnet hatte und hinausgegangen war, überlegte Maysa sich die erste Regel. Eine wichtige Regel, die sie vor sich selbst schützen konnte. „Rafiq“, rief sie, bevor er sich in den Wagen setzte. „Noch eins, bevor du gehst.“

„Hast du es dir anders überlegt?“

Das hatte sie nicht, obwohl es das Beste wäre. „Nein. Es gibt eine Regel, die wir beide befolgen müssen.“

„Und die wäre?“

„Keine Küsse mehr.“

Er bedachte sie mit einem wissenden Lächeln, bevor er in den Wagen stieg. Und als Maysa der Limousine nachsah, fürchtete sie, dass König Rafiq Mehdi sie überzeugen könnte, alle Regeln zu brechen.

2. KAPITEL

Keine Küsse mehr …

Rafiq saß in seinem Arbeitszimmer und dachte an Maysa. Der Gedanke, sie zu küssen, ließ ihn nicht los. Und wieder Sex mit ihr zu haben. Wilden, hemmungslosen Sex …

„Wo bist du mit deinen Gedanken, Bruderherz?“

Rafiq blickte auf und sah seinen jüngeren Bruder vor seinem Schreibtisch stehen. „Ich bin beschäftigt. Schließlich habe ich gewisse Pflichten zu erfüllen.“

„Zu beschäftigt, um mit mir, deinem treuesten Anhänger, zu sprechen?“

„Komm später wieder, es sei denn, du hast etwas wirklich Wichtiges zu sagen.“

„Es ist sogar sehr wichtig.“ Adan setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch.

Frustriert über die Störung, lehnte Rafiq sich zurück. „Du hast ein neues Flugzeug gefunden, das du unbedingt unserer Flotte hinzufügen möchtest.“

„Nein. Ich habe eine Nachricht für dich.“

„Von wem?“

„Maysa Barad.“ Adan grinste spöttisch. „Sie bittet darum, dass du vor sechs Uhr abends kommst, und dass du die Anzahl deiner Leibwächter auf das unbedingt notwendige Maß beschränkst.“

Er ahnte, wohin die Gedanken seines Bruders gingen. „Ist notiert. Du kannst jetzt gehen.“

„Nicht, solange du mir nicht erklärt hast, warum du Maysa besuchst und warum sie dich bittet, nicht zu viele Bodyguards mitzubringen. Entweder meint sie, sie stellt keine Bedrohung dar, oder sie will sicher sein, dass sie deine ungeteilte Aufmerksamkeit hat.“

„Was ich mit Maysa zu tun habe, geht dich nichts an.“

„Vielleicht, aber ich bin neugierig.“

Rafiq unterließ es, seinem Bruder zu sagen, wohin er sich seine Neugier stecken konnte. „Wenn du es unbedingt wissen willst, ich will eine kurze Auszeit nehmen, und Maysa hat zugestimmt, dass ich sie in ihrem Haus verbringe.“

Adan rieb sich das Kinn. „Verstehe. Wirst du die Auszeit in ihrem Bett verbringen?“

Dass sein Bruder das vermutete, überraschte ihn nicht, aber es ärgerte ihn. „Du kannst sicher sein, dass ich nicht versuchen werde, mit ihr ins Bett zu gehen.“ Auch wenn es eine große Kraftanstrengung bedeutet, der Versuchung zu widerstehen.

Adan lachte zynisch auf. „In dem Punkt unterscheiden wir uns. Ich würde eher das Fliegen aufgeben, bevor ich mir die Chance entgehen ließe, mit einer wunderschönen Frau zu schlafen. Du solltest darüber nachdenken, dasselbe zu tun.“

Rafiq verspürte das Bedürfnis, seine Zurückhaltung zu erklären, ob sein Bruder nun eine Erklärung verdiente oder nicht. „Erstens bin ich erst seit Kurzem Witwer …“

„Der Witwer einer Frau, die du nicht geliebt hast.“

„Eine Frau, die ich lange kannte, bevor ich sie geheiratet habe. Und egal, was du glaubst, ich mochte Rima.“

„Aber nicht so sehr wie Maysa.“

Langsam wurde sein Geduldsfaden dünn, was teils daran lag, dass Adan der Wahrheit gefährlich nahe kam. „Maysa ist nur eine Freundin, die mir einen Gefallen tut.“

„Welcher Gefallen das sein mag.“

„Meine Absichten sind absolut ehrenhaft.“ Auch wenn meine Gedanken und Taten gestern Abend absolut nicht ehrenhaft waren.

„Vielleicht jetzt noch, aber wie lange bleiben sie es, wenn du deine Zeit mit einer Freundin verbringst, die sich einmal eingebildet hat, dich zu lieben?“

„Was Maysa und mich in der Vergangenheit verband, hatte mehr mit Kameradschaft als mit Liebe zu tun.“

„Jugendliche Lustgefühle, meinst du. Diese Lustgefühle könnte es auch im Erwachsenenalter noch geben.“

„Ich bin älter und klüger geworden. Ich habe gelernt, mich zu beherrschen.“

Adan lächelte skeptisch. „Du bist ein Mehdi, Rafiq, und du kannst und wirst die Selbstbeherrschung in der Anwesenheit einer Frau, die du immer begehrt hast, verlieren. Du bist nicht aus Stein.“

Rafiq funkelte seinen Bruder an. „Schließ nicht von dir auf mich. Mein Lieblingszeitvertreib ist nicht, Frauen in mein Bett zu bekommen.“

„Ich hatte nicht so viele Frauen, wie du annimmst“, sagte Adan. „Und auch wenn du vielleicht diskreter warst als ich, ich vermute, du hast in der Zeit nach deiner Zustimmung, Rima zu heiraten, nicht auf Sex verzichtet.“

Dieses Thema stand nicht zur Debatte. „Wenn du mit meinem Privatleben fertig bist, dann kannst du gehen.“

„Ehrlich gesagt bin ich noch nicht fertig. Hat es dich gestört, dass Rima nicht mehr Jungfrau war, als du sie geheiratet hast?“

Adans Dreistigkeit brachte ihn auf hundertachtzig. „Wie kommst du darauf?“

„Leugnest du es?“

Das konnte er leider nicht. Doch woher wusste Adan etwas so Intimes über Rima? Er war versucht zu fragen, fürchtete jedoch die Antwort. „Das Thema steht nicht zur Diskussion.“

„Ich wollte nur darauf hinweisen, dass Rima kein Unschuldsengel war“, sagte Adan. „Und du bist auch kein Heiliger. Du bist ein Mann mit Bedürfnissen.“

Endlich begriff Rafiq den Grund für die Anspielungen seines Bruders. „Wenn du fürchtest, ich könnte Schande über den Namen Mehdi bringen, indem ich mit Maysa schlafe, dann kann ich dir versichern, dass das nicht passieren wird. Und wenn du hoffst, dass ich abdanke und dir den Thron überlasse, so wie Zain es mit mir getan hat, dann muss ich dich enttäuschen.“

Adan machte ein ernstes Gesicht. „Ich habe nie den Wunsch verspürt, der König zu sein, Rafiq. Und was deine Beziehung mit Maysa betrifft, so bin ich der Meinung, dass die Natur ihren Lauf nehmen soll. Wenn ihr, Maysa und du, die Finger nicht voneinander lassen könnt, dann tut es auch nicht. Meinen Segen habt ihr.“

Adan hat den wichtigsten Umstand nicht bedacht, überlegte Rafiq. Wenn er Maysa als seine Geliebte nahm, dann konnte es nur eine vorübergehende Affäre sein, denn man erwartete von ihm, dass er im Falle einer Wiedervermählung eine angemessene Wahl traf. Eine geschiedene Frau kam wegen der Traditionen nicht infrage. Der Gedanke, mit einer anderen Frau als Maysa zusammen zu sein, war unvorstellbar. Die Furcht, ihr wieder wehzutun, unerhört. Dennoch könnte genau das passieren, wenn er impulsiv handelte.

Aus dem Grund wäre es gewiss klüger, sich einen anderen Ort für seine Auszeit zu suchen. „Ich werde über deinen Rat nachdenken. Und wenn du mich jetzt entschuldigen würdest, ich habe noch Arbeit zu erledigen.“

„So viel Arbeit, mein Junge, dass du keine Zeit für deine frühere Kinderfrau hast?“

Rafiq richtete sein Augenmerk von Adan auf Elena Batelli, die mit einem dunkelhaarigen Kind auf dem Arm an der Tür stand. Sie war für die Mehdi-Brüder nach dem Tod der Mutter die Ersatzmutter gewesen und auch jetzt immer willkommen. Sie hatte ihre Meinung stets frei geäußert, und genau damit rechnete er auch jetzt.

Er stand auf, ging zu ihr und umarmte sie. „Ich bin froh, dass du nach Hause gekommen bist, Elena. Du siehst gut aus.“

„Und du siehst müde aus“, sagte sie und reichte das Baby dem überraschten Adan. „Bring deine Nichte zu ihrem Vater, und lass mich einen Moment mit deinem Bruder allein.“

Adan nahm das Kind. Er machte ein Gesicht, als hätte er in etwas Saures gebissen. „Und was, wenn sie anfängt zu weinen?“

Elena runzelte die Stirn. „Sie wäre nicht das erste weibliche Wesen, das du zum Weinen bringst, also beeil dich.“

Kaum war Adan mit dem Baby fort, setzte Rafiq sich wieder hinter den Schreibtisch, während Elena auf dem Stuhl davor Platz nahm. „Ich habe gehört, du willst einige Zeit bei Dr. Barad verbringen?“

Eigentlich sollte es ihn nicht überraschen, dass Elena sich zu diesem Thema äußerte. „Es ist nicht so, wie du vielleicht denkst.“

„Ich denke, dass es eine gute Idee ist.“

Die Reaktion hatte er nicht erwartet. „Ich frage mich, ob der Plan wirklich klug ist.“

„Weil du Angst hast, was andere denken könnten?“

Weil er Angst hatte, dass ihn seine Selbstbeherrschung in Maysas Gegenwart verlassen könnte. „Ich will ihr keinen unnötigen Stress aufbürden.“

Elena winkte ab. „Maysa kann mit Stress umgehen. Vielleicht besser als du.“

„Was soll das heißen?“

„Ich will damit sagen, dass sie dich sehr gut kennt.“ Elena legte ihre Hand auf seine. „Ihre Meinung war immer dein Maßstab, und ich glaube, das brauchst du jetzt. Mehr als den Thron. Und wenn du befürchtest, dass du sinnlichen Bedürfnissen nachgeben könntest, dann vertraue ich darauf, dass du der ehrenhafte Mann bist, der du immer warst.“

Wenn er sich selbst nur trauen könnte. „Dann bist du ernsthaft der Meinung, dass ich mein Vorhaben in die Tat umsetzen soll?“

„Ja.“ Sie erhob sich. „Vergiss nicht, was ich dir beigebracht habe. Wer einen Freund findet, der findet einen Schatz.“

Bevor Elena den Raum verließ, drehte sie sich noch einmal lächelnd zu ihm. „Maysa ist dein Schatz. Verschleudere das Geschenk nicht.“

Maysa glaubte schon, dass Rafiq seine Meinung geändert hatte. Als die Klingel ertönte, eilte sie durch den Flur, verlangsamte dann aber ihre Schritte, um nicht zu zeigen, wie ungeduldig sie wartete. Doch als sie die Tür öffnete, stand ihr Bruder dort und nicht der König. „Was machst du denn hier, Shamil?“

„Ich hatte eigentlich mehr Begeisterung erwartet, angesichts meiner längeren Abwesenheit“, sagte er, trat ins Haus und schlug die Tür zu.

„Entschuldige, ich bin nur überrascht, dich zu sehen.“

„Hast du jemand anderes erwartet?“

Sie entschied, die Wahrheit für sich zu behalten, und änderte das Thema. „Sind die Renovierungsarbeiten im Resort abgeschlossen?“

„Nein, und deshalb bin ich jetzt hier. Ich werde heute Abend nach Katar zurückkehren und möchte dich bitten, für mich die Arbeiten in der Ferienanlage zu überwachen.“

Die Bitte überraschte sie nicht. Shamil kam nie ohne Grund. Er war derjenige, der am lautesten gegen ihre Scheidung protestiert hatte – bis er etwas von ihr wollte. „Ich muss mich um meine Arztpraxis kümmern, Shamil. Ich habe keine Zeit, dein Projekt zu überwachen.“

„Muss ich dich daran erinnern, dass auch du für das Resort verantwortlich bist?“

„Unser Vater hat dir den Schlüssel zu der Anlage überreicht, nicht mir.“

„Und dir hat er das Haus gegeben. Weil er ein großzügiger und verzeihender Mann ist. Ich bin sicher, es würde ihn freuen, wenn er wüsste, dass du mir hilfst. Er wäre nicht erfreut, wenn er erfahren müsste, dass du mir diese Hilfe verwehrst.“

„Ich kann dir nicht versprechen, mehr als einmal zum Resort zu fahren, vorausgesetzt, ich finde die Zeit.“

„Zweimal, oder vielleicht auch dreimal, wäre besser.“

Sie würde fast allem zustimmen, wenn er nur endlich ginge. „Ich werde es versuchen. Ist das alles?“

„Im Moment, ja. Ich werde die Belegschaft informieren, dass du ab und zu vorbeischaust.“

„Okay.“

Als Maysa ihm die Haustür öffnete, hörte sie einen Wagen vorfahren.

„Was macht der denn hier?“, fragte Shamil. In seiner Stimme schwang Verachtung mit.

Sie riskierte einen Blick und sah, wie Rafiq aus der Limousine stieg, ein schwer bewaffneter Sicherheitsbeamter neben ihm. „Zunächst einmal ist er der König, und er kann gehen wohin er will. Zweitens ist er ein Freund, einst dein bester Freund.“

„Das ist er schon lange nicht mehr.“

Maysa konnte Shamil nicht weiter befragen, da Rafiq zu ihnen trat.

Er lächelte Maysa an und nickte Shamil flüchtig zu. In einem Ton, der nichts Gutes verhieß, fragte Shamil: „Hast du den Weg zum Palast vergessen?“

„Absolut nicht“, erwiderte Rafiq. „Ich bin auf Einladung hier.“

Shamil warf Maysa einen vernichtenden Blick zu, bevor er sich wieder an Rafiq wandte. „Wenn du hier bist, um die Probleme in der medizinischen Versorgung mit meiner Schwester zu besprechen, dann wäre es angebracht, dies in einer weniger privaten Umgebung zu tun.“

Bestürzt über das sarkastische Verhalten ihres Bruders, trat Maysa zur Seite und bat Rafiq ins Haus. „Das Personal zeigt dir deine Räume.“

„Danke“, erwiderte Rafiq. Ohne Shamil auch nur eines Blickes zu würdigen, ging er an den Geschwistern vorbei ins Haus.

Maysa spürte den bohrenden Blick ihres Bruders, drehte sich zu ihm um und sah ihn böse an. „Wie kannst du es wagen, so unhöflich zu sein?“

„Wie kannst du es wagen, ihn ins Haus unseres Vaters einzuladen?“

„Unser Vater war mit der Familie Mehdi immer eng verbunden“, sagte Maysa. „Er hätte nichts dagegen, ein Mitglied als Gast zu haben, vor allem dann nicht, wenn dieses Familienmitglied der Herrscher von Bajul ist. Ein König, der eine Auszeit braucht. Deshalb wird er für einige Zeit hierbleiben.“

„Unser Vater hätte etwas dagegen, dass du die Geliebte des Königs wirst.“

„Du hast kein Recht, so mit mir zu sprechen, noch hast du irgendeinen Grund, Rafiq zu hassen. Oder bist du immer noch neidisch, weil er Rima geheiratet hat?“

„Sie hat ihm nichts bedeutet“, knurrte er. „Er hatte sie nicht verdient.“

Offensichtlich hatte Shamil die Vergangenheit noch nicht hinter sich gelassen – oder sein Verlangen nach einer Frau, die er niemals haben konnte. Aber war es bei ihr nicht dasselbe mit Rafiq gewesen? Nein. Sie hatte ihr Leben weitergelebt und würde dies auch in Zukunft tun. „Woher willst du wissen, wie das Privatleben des Königs und der Königin aussah, Shamil?“

„Sie hatte mehr Liebe und Aufmerksamkeit verdient, als Rafiq ihr gegeben hat. Sie wollte leben, und das Leben hat er ihr genommen.“

„Rafiq hat mit Rimas Tod nichts zu tun.“

„Das würdest du nicht sagen, wenn du sie in jener Nacht gesehen hättest.“

„Vielleicht habe ich sie ja gesehen.“

„Wo willst du sie gesehen haben?“

„Ich bin an jenem Abend zum Resort gefahren. Als ich sah, wie du auf der Veranda eine Frau umarmst, bin ich sofort umgekehrt. Gehe ich recht in der Annahme, dass diese Frau Rima war?“ Als er nicht antwortete, fragte sie nochmals: „Shamil, war es Rima?“

Er senkte den Blick. „Sie war kurz da.“

„Und wie viele Male davor?“

„Das geht dich nichts an.“

Oh doch. „Hattet ihr beide eine Affäre?“

„Es reicht!“

Offensichtlich hatte sie die Wahrheit getroffen. „Und Rafiq wusste nichts von deiner Liaison mit seiner Frau.“

„Rafiq wusste nichts über Rimas Leben, weil er es nicht wissen wollte.“ Er warf ihr einen drohenden Blick zu. „Und er wird auch nie etwas darüber erfahren. Haben wir uns verstanden?“

Eine weitere Drohung unter vielen. „Er hat ein Recht darauf zu wissen, was in den Minuten vor ihrem Tod passiert ist.“

„Das hat er nicht. Und wenn du diese Unterhaltung auch nur mit einem Wort bei ihm erwähnst, dann werde ich dafür sorgen, dass du dieses Haus verlassen musst und dein Ruf für immer ruiniert ist.“

„So viel Macht hast du nicht, Shamil. Wirst du nie haben. Ich finde ein anderes Haus, und die Bewohner dieser Stadt respektieren mich nicht nur als ihre Ärztin, sondern als Mensch. Sie interessieren sich nicht für meine Vergangenheit.“

Er starrte sie an. „Werden sie das auch noch tun, wenn sie erfahren, dass ihre Ärztin dem König das Bett wärmt?“

Sie deutete auf den SUV, der am Ende der Einfahrt parkte. „Verschwinde und komm nicht wieder, es sei denn, du willst dich entschuldigen.“

Er lachte bitter auf. „Ich werde zurückkehren, aber ich nehme nicht zurück, was ich gesagt habe. Wenn du Rafiq irgendwelche Einzelheiten erzählst, dann wirst du mit den Konsequenzen leben müssen.“

Damit eilte er zu dem wartenden Wagen und fuhr fort. Maysa fragte sich gequält, wie sie Rafiq vom Aufenthaltsort seiner Frau an jenem schicksalhaften Abend erzählen sollte. Falls sie entschied, ihm davon zu berichten.

Rima würde von einer Beichte nicht wieder lebendig, ihre Geheimnisse hatte sie mit ins Grab genommen. Ihr Bruder aber würde alles dransetzen, ihr Leben zu ruinieren. Zwar war ihre Loyalität Shamil gegenüber begrenzt, aber sie besaß genug gesunden Menschenverstand, um nicht zu riskieren, dass sie alles verlor, was sie sich mit harter Arbeit aufgebaut hatte. Dennoch, der Gedanke, diese Geschichte vor Rafiq geheim zu halten, bereitete ihr ein schlechtes Gewissen.

Glücklicherweise musste sie nicht sofort entscheiden, wie sie sich verhalten sollte. Im Moment würde sie sich ganz darauf konzentrieren, Rafiq das Gefühl zu geben, willkommen zu sein.

Sie schien sich unwohl zu fühlen. Rafiq hatte es Maysa schon beim Dinner angemerkt und spürte es auch jetzt, wo sie auf der Terrasse unter dem nächtlichen Himmel entspannten. Trotz ihrer Nervosität sah sie wunderschön aus, wie sie mit angezogenen Beinen auf dem Rattansofa saß.

Ihre langen schwarzen Haare fielen über ihre schmalen Schultern, ihr ärmelloses weißes Kleid bot einen aufregenden Kontrast zu ihrer gebräunten Haut. Er erinnerte sich, wie er diese Haut berührt hatte. Damals waren sie so heiß auf den anderen gewesen, dass es den Anschein hatte, als könnten sie nie genug voneinander bekommen – bis sie schließlich ein einziges Mal diesem brennenden Verlangen nachgaben und miteinander schliefen.

Sie faszinierte ihn immer noch und entfachte in ihm wie damals Flammen der Begierde. Er wollte seinen Platz verlassen und sich neben sie setzen. Er wollte sie in die Arme schließen und küssen. Doch die Regel, die sie aufgestellt hatte, hinderte ihn daran – so blieb er, wo er war, und bewunderte sie aus der Ferne.

Maysa seufzte. „Ich liebe diese Sommerabende.“

Und er liebte den weichen Klang ihrer Stimme.

„Warum bist du nach Bajul zurückgekommen und hast hier eine Praxis eröffnet? Du wusstest, wie man dich nach deiner Scheidung behandeln würde.“

Sie ließ ihren Blick schweifen. „Bajul ist meine Heimat, Rafiq. Ich habe das ruhige und friedliche Leben hier vermisst.“

„Heute Abend scheinst du keine Ruhe zu finden“, sagte er. „Beschäftigt dich irgendetwas?“

Sie sah ihn eindringlich an. „Ehrlich gesagt, ja. Ich mache mir Sorgen um die mangelnde medizinische Versorgung der Ärmsten in Bajul.“

„Du bist eine ausgezeichnete Ärztin, deshalb erhalten sie die beste Behandlung.“

„Aber ich bin nur eine einzelne Person, Rafiq. Andere Ärzte könnten helfen, doch sie weigern sich. Sie kümmern sich nur um die, die bezahlen können. Es ist eine Schande.“

Er verstand ihren Frust, wusste allerdings keine Lösung. „Ich kann die Ärzte nicht zwingen, unentgeltlich zu arbeiten.“

„Aber du könntest dafür sorgen, dass die Ärzte aus der Staatskasse bezahlt werden.“

Er lehnte sich zurück. „Unsere flüssigen Mittel sind zweckgebunden für die Wasserversorgung. Wir haben im Moment keinen Überschuss, den wir in ein anderes Projekt stecken könnten.“

„Dann verkaufe das neue Militärflugzeug, das Adan kürzlich erstanden hat. Ich finde, die Luftflotte ist mehr als groß genug für ein Land wie Bajul.“

„Ich werde deinen Vorschlag in Erwägung ziehen.“

Er bemerkte ein verärgertes Funkeln in ihren dunklen Augen. „Mehr hast du dazu nicht zu sagen?“

„Maysa, ich habe nur eine Stimme in der Ratsversammlung.“

„Deine Stimme zählt am meisten. Du bist der König, du hast das letzte Wort.“

Er hatte weniger Macht, als ihr bewusst war. „Ich muss tun, was die Mehrheit bestimmt, um den inneren Frieden zu bewahren.“

„Auf Kosten deiner Untertanen?“

„Noch einmal, ich werde dein Anliegen überdenken und der Ratsversammlung vorlegen, wenn der nächste Haushalt aufgestellt wird.“

Sie durchbohrte ihn mit ihrem Blick. „Das dauert noch über fünf Monate. Bis dahin könnten Menschen sterben, Ältere und Kinder. Mütter nach schwierigen Geburten.“

„Ich werde sehen, was ich tun kann, aber ich kann dir nichts versprechen.“

„Ich denke, das reicht. Zumindest für den Moment.“ Ihr Gesichtsausdruck entspannte sich etwas.

Rafiq verspürte Anzeichen von Müdigkeit, doch er wollte Maysa noch nicht verlassen. Da seine Schulter aufgrund einer Verletzung, die er sich als junger Mann zugezogen hatte, schmerzte, bewegte er sie.

„Sie bereitet dir immer noch Probleme, nicht wahr?“, fragte Maysa.

Es überraschte ihn nicht, dass sie es bemerkt hatte. „Was?“

„Deine Schulter. Die, die du dir in diesem lächerlichen Kampf mit Aakif Nejem gebrochen hast.“

„Wenn ich mich recht erinnere, haben wir uns deinetwegen geprügelt.“ Er lächelte. „Und ich bin mit zwei blauen Augen und einer aufgeplatzten Lippe davongekommen. Das mit der Schulter wäre nicht passiert, wenn ich nicht gegen das Eisentor gefallen wäre.“

Maysa erwiderte sein Lächeln, obwohl sie sich sichtlich bemühte, es zu unterdrücken. „Genau das Tor, durch das du vorhin gefahren bist. Mein Vater hatte es errichten lassen, um unwillkommene Verehrer abzuwehren.“

„Das Tor hat nicht gereicht, mich in jener Nacht von dir fernzuhalten.“

Kurzes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus, als sie daran dachten, wie sie im Dunkeln in ihrem Bett gelegen hatten. Die Angst, erwischt zu werden, hatte ihre Begierde noch erhöht.

„Das ist lange her, Rafiq. Wir waren damals beide noch jung und naiv.“

„Wir waren verliebt.“

Sie hob eine Augenbraue. „Du meinst, wir waren heiß aufeinander.“

Wäre es nur Lust gewesen, so hätte er den Abend längst vergessen. Hätte Maysa vergessen. „Hast du mal darüber nachgedacht, was passiert wäre, wenn dein Vater uns erwischt hätte? Hätte er uns gezwungen zu heiraten?“

Sie schüttelte den Kopf. „Er hätte mich weggeschickt.“

In gewisser Weise war genau das passiert. Der Emir hatte sie in das Bett eines anderen Mannes geschickt. Eines Mannes, der sie nicht verdient hatte.

Maysa gähnte verstohlen und streckte sich. „Es ist Zeit für mich, ins Bett zu gehen“, sagte sie. „Ich muss morgen früh einige Besuche in der Stadt machen.“

Er überlegte, wie er sie aufhalten konnte, und kehrte zu einem Thema zurück, das Auslöser für ihre Reise in die Vergangenheit gewesen war. „Könntest du dir meine Schulter ansehen, bevor du ins Bett gehst?“

„Und was soll das bringen?“

Sie wäre näher bei ihm, zumindest für einen kurzen Moment. Er presste seine Hand an die Stelle, die am meisten schmerzte. „Ich wüsste gern, was du von dieser Verhärtung hältst. Vielleicht kannst du mir sagen, ob ich das weiter beobachten muss.“

Seufzend stand sie auf und stellte sich neben ihn. „Beug dich vor.“ Sie drückte auf eine bestimmte Stelle, und er zuckte zusammen.

„Tut das weh?“, fragte sie.

„Etwas.“ Mehr als er ihr gegenüber zugeben würde.

„Das ist der Deltamuskel“, sagte sie, während sie den Bereich massierte. „Du bist ziemlich verspannt.“

Die sanfte Massage erregte ihn, und er wurde hart. „Vielleicht ist es nur stressbedingt.“

„Vielleicht. Aber das kann ich ohne Röntgenaufnahme nicht mit Sicherheit sagen. Vermutlich würde dir eine Physiotherapie helfen.“

Die Therapie, die sie ihm im Moment angedeihen ließ, ließ seine Schmerzen abklingen, steigerte jedoch seine Libido. Und als sie sich über ihn beugte und noch mehr Druck ausübte, legte er die Hand automatisch auf ihren Schenkel, direkt über ihrem Knie, und zeichnete dort kleine Kreise mit dem Daumen.

Sie erstarrte. „Was machst du, Rafiq?“

„Nichts.“ Im Moment noch nicht.

Sie stieß einen tiefen Atemzug aus. „Ich habe gesagt, nicht anfassen.“

Er schob seine Hand höher. „Du hast gesagt, nicht küssen.“

„Regel Nummer zwei: nicht anfassen.“

Trotz ihrer Worte nahm er die Hand nicht weg, und sie schob sie nicht fort. „Aber du hast mich auch gerade berührt.“

„Als Ärztin.“

„Und ich habe darauf reagiert, wie ein Mann auf die Berührung einer Frau reagiert.“

„Aus genau dem Grund gehe ich jetzt besser.“

Rafiq rechnete damit, dass sie genau das jetzt auch tun würde, doch sie verließ ihren Platz nicht. Die Hände ließ sie auf seinen Schultern liegen. Er richtete sich auf, bis sein Gesicht ihrem ganz nah war. Ihre Blicke trafen sich. Er sah Unentschlossenheit in ihren Augen und auch Begierde.

Und dann tat Maysa etwas, das Rafiq nicht erwartet hatte – sie brach ihre erste Regel.

3. KAPITEL

War sie von allen guten Geistern verlassen? Vermutlich, aber das kümmerte sie im Moment nicht. Maysa genoss nur noch seinen Mund auf ihrem und die aufregenden Gefühle, die Rafiq in ihr weckte, als er sanft mit ihrer Zunge zu spielen begann.

Irgendwann – sie hatte keine Ahnung wie und wann – hatte er sich an sie gepresst, und sie hatte sich in seine Arme geschmiegt. Die bohrende Stimme in ihrem Kopf forderte, dass sie aufhörte, bevor es zu spät war, aber sie ignorierte die Warnung. Dieses eine Mal wollte sie zärtlich geküsst werden, ohne ungehörige Gewalt. Sie wollte sich daran erinnern, wie es sich anfühlte, eine begehrenswerte Frau zu sein, nicht einfach ein Objekt brutaler Lust.

Alle Gründe, weshalb sie dies nicht tun sollte, drängten sich in ihr Bewusstsein. Für Rafiq konnte sie nur Mittel zum Zweck sein. Eine Quelle des Trosts. Eine vorübergehende Ablenkung. Außerdem hatte sie ein Geheimnis vor ihm. Ein Geheimnis, das ihn emotional endgültig zugrunde richten könnte.

Dennoch, als er ihre Brüste umfasste, konzentrierte sie sich auf das Gefühl, nicht auf den Verstand. Während er mit dem Finger über die Spitzen strich, wand sie sich vor Erregung und heißem Verlangen. Dann jedoch löste er sich von ihren Lippen, um zarte Küsse auf ihren Hals zu hauchen, und während er die Träger ihres Kleides über ihre Schultern schob, kam eine Flut von bitteren Erinnerungen hoch, und sie verkrampfte sich automatisch.

Rafiq reagierte auf ihren plötzlichen Stimmungswechsel, indem er abrupt aufstand und sie verunsichert und verlegen zurückließ. Er ging bis zur Mitte der Terrasse und blieb dort stehen.

„Tut mir leid“, murmelte Maysa und zog ihre Kleidung zurecht. „Ich habe keine Ahnung, was über mich gekommen ist. So etwas darf nicht passieren.“

Rafiq drehte sich zu ihr. „Mir tut es nicht leid. Und ich bin überzeugt, dass es immer wieder geschehen wird.“

Das war sie auch, es sei denn, sie vertraute ihm an, was hinter ihrer Zurückhaltung steckte. Doch dazu war sie nicht bereit. „Wir müssen Situationen wie dieser einfach aus dem Weg gehen. Abends nach dem Dinner werde ich mich in meine Privaträume zurückziehen, und du begibst dich in deine. Und auch tagsüber halten wir Abstand.“

„Und ich liege die ganze Nacht wach im Bett und träume davon, dich auf eine Weise zu küssen und zu streicheln, wie ich es nicht gewagt habe, als wir jünger waren. Ich werde mir vorstellen, wie es ist, tief in dir zu sein. Und jedes Mal, wenn ich dich sehe, werde ich mir wünschen, dass meine Träume Wirklichkeit werden.“

Seine Worte erregten sie. „Dann ist es vielleicht das Beste, du suchst dir einen anderen Ort für deine Auszeit.“

„Ich möchte nirgendwo anders sein.“

Und sie wollte nicht, dass er ging. „Dann wirst du dich mit deinen Fantasien zufriedengeben müssen, fürchte ich.“

„Oder wir entscheiden uns dafür, dass wir nicht gegen unser heftiges Verlangen ankämpfen. Niemand müsste erfahren, dass wir miteinander schlafen.“

Wie einfach wäre es zuzustimmen. Wie dumm, es wirklich zu tun. „Ich wüsste es, Rafiq. Zwischen uns kann es niemals etwas anderes geben als eine vorübergehende Affäre. Du bist der König, und ich bin eine Frau, die in den Augen anderer kein passender Umgang für dich ist.“

Er rieb sich den Nacken. „Ich sage es noch einmal, wir könnten diskret sein. Wir könnten die Zeit genießen, die wir haben.“

Die Tatsache, dass er der Bemerkung, sie wäre kein passender Umgang, nicht widersprach, wirkte wie eine kalte Dusche. „Ich musste schon einmal einem Mann zu Willen sein. Das wird sich nicht wiederholen!“

„Ich bin ein Gefangener unserer Traditionen und Sitten, Maysa, genau wie du. Das bedeutet jedoch nicht, dass ich dich als leichtes Mädchen sehe.“

„Und das ist genau das, was ich wäre. Eine Frau, die als deine Königin nicht akzeptabel ist, im Bett aber nach deiner Pfeife tanzen soll. Die deine Bedürfnisse befriedigen soll, diskret. Eine Frau, die gibt, jedoch nichts bekommt. Genau wie bei Boutros. Und das macht mich zu deinem Flittchen.“

Maysa rechnete damit, dass Rafiq mit Verärgerung reagierte, aber er schien nur besorgt. „Was hat Boutros dir angetan, Maysa?“

„Unsere Situation hat nichts mit ihm zu tun.“ Nur die halbe Wahrheit. „Hier geht es einzig um uns. Ich habe seit damals ein großes Selbstwertgefühl entwickelt. Ich bin nicht mehr das verliebte junge Mädchen, das dir alles gegeben hätte, obwohl ich wusste, dass es für uns keine gemeinsame Zukunft gibt.“

Er lachte rau. „Was willst du von mir hören, Maysa?“

Dass sie aufgrund ihrer Intelligenz und ihrer Fähigkeiten eine akzeptable Partnerin für ihn war. Dass er daran arbeiten würde, die archaischen Gesetze zu ändern, die die Rolle der Frau bestimmten. „Nichts, Rafiq. Sag nichts. Du hast bereits alles gesagt.“

Als sie sich umdrehte, um sich in ihr Zimmer zurückzuziehen, rief Rafiq sie zurück. „Ich würde eher tausend Tode sterben, als dich noch einmal zu verletzen, Maysa.“

Und sie würde es für immer bereuen, wenn sie der Ernsthaftigkeit in seinen Augen vertraute. „Dann tue es auch nicht, Rafiq. Sei mein Freund.“

Er näherte sich ihr langsam. „Ich bin dein Freund. Ich bin es immer gewesen. Trotz der räumlichen Distanz.“

Bevor sie einen weiteren monumentalen Fehler machte und sich wieder in seine Arme schmiegte, verließ Maysa die Terrasse und zog sich zurück. Erst als sie sicher im Bett lag, träumte sie davon, wie es wäre, wieder mit Rafiq zu schlafen. Allerdings könnten ihre Fantasien nie die Realität ersetzen.

Doch die Realität war, dass sie ihn aus einem bestimmten Grund zu sich eingeladen hatte. Morgen würde sie beginnen, ihren Plan umzusetzen. Und mit diesem Plan ergab sich die Gelegenheit, einen König weiterzubilden. Den wunderbaren, sexy König ihres Herzens.

Rafiq stand mit nacktem Oberkörper am Fenster des Gästetrakts und bot ihr durch die halb geöffnete Zimmertür einen imposanten Anblick. Die breiten Schultern und der muskulöse Rücken zeigten, dass er körperlich so fit wie immer war. Seine blaue Pyjamahose saß tief auf seinen schmalen Hüften. Darunter zeichnete sich sein knackiger Hintern ab, der zum Anfassen reizte.

Aber sie würde ihn nicht berühren. Nicht heute. Dringendere Angelegenheiten standen an, vorausgesetzt, Rafiq kooperierte.

Maysa betrat leise den Raum, auf dem Arm verschiedene Kleidungsstücke. „Hast du gut geschlafen?“

Wenn ihr Erscheinen ihn erschreckte, dann zeigte er es nicht. Er drehte sich einfach um und lächelte. „So gut, wie es allein in einem fremden Bett möglich ist, wissend, dass nicht allzu weit entfernt eine begehrenswerte Frau schläft.“

Sie ignorierte die Anspielung, schaute aber unwillkürlich auf seine Hose und den sichtbaren Beweis, dass er sich freute, sie zu sehen. Sie zwang sich, ihm wieder in die Augen zu schauen. „Nun“, sagte sie, „ich hoffe, du bist trotzdem ausgeruht genug, denn ich habe Pläne für heute.“

„Pläne?“ Er ging um das Bett herum und blieb ein paar Schritte von ihr entfernt stehen. „Was für Pläne?“

„Ich fahre nach Diya und möchte, dass du mit mir kommst.“

Er runzelte die Stirn. „Das ist über zwei Stunden von hier entfernt.“

„Ja, ich fahre die Strecke jeden Mittwoch, um die Bauern und ihre Familien zu behandeln. Heute ist Mittwoch.“

„Warum möchtest du, dass ich dich begleite?“

„Weil ich es für wichtig halte, dass du begreifst, welche Probleme es bei der ärztlichen Versorgung in deinem Land gibt, vor allem in abgelegenen Gebieten.“

Er schien darüber nachzudenken, bevor er wieder etwas sagte. „Die Menschen in Diya haben meinen Vater nie unterstützt. Berichten zufolge gab es dort Aufständische.“

„Vielleicht haben sie nicht hingenommen, dass sie von deinem Vater ignoriert wurden“, sagte sie. „Du könntest das ändern.“

„Können wir dort über Handy mit der Außenwelt kommunizieren?“

Sie verdrehte die Augen. „Da gibt es keine Funkmasten. Die Dorfbewohner haben gerade erst den normalen Festnetzanschluss bekommen, viele von ihnen haben gar keine Elektrizität. Manche haben nicht einmal eine anständige Wasserversorgung.“

„Wenn ich dich begleite, dann brauchen wir zu unserem Schutz einige Wachen.“

„Nur, wenn du zu erkennen bist.“ Sie warf ihm ein olivgrünes Hemd und eine Cargohose zu. „Wenn du das anziehst und eine Sonnenbrille aufsetzt, dann wird niemand wissen, dass sich der König unter ihnen befindet.“

Er betrachtete die Kleidungsstücke. „Ich bezweifle, dass dies eine ausreichende Verkleidung ist.“

„Wenn du eine Sonnenbrille trägst und dich rasierst, dann reicht es.“

Er lachte. Das tiefe, sexy Lachen schickte ein Prickeln durch Maysas Körper. „Ich habe nicht die Absicht, mich zu rasieren.“

„Dein Kinnbart wächst wieder, Rafiq.“

„Ist es so wichtig für dich, dass ich mitkomme?“

„Ja, und es sollte auch dir wichtig sein. Ein guter Regent weiß, wie seine Untertanen leben. Vor allem die Armen und weniger Privilegierten.“

Er seufzte. „Okay. Ich tue es für dich, aber ich glaube trotzdem, dass wir eine Wache brauchen.“

„Nein. Ich bin schon oft dort gewesen und habe noch nie Probleme gehabt. Außerdem habe ich eine Waffe dabei.“

Er grinste frech. „Kannst du damit umgehen?“

Sie nickte. „Wenn die Situation es erfordert, dann kann ich schießen. Sei also versichert, dass deinem königlichen Körper nichts geschehen wird, solange du bei mir bist.“

„Du bist bereit, meinen königlichen Körper in deine Hände zu nehmen?“

Sie ignorierte die Zweideutigkeit. „Zieh dich an. Wir treffen uns am Hintereingang.“

„Ich werde fahren.“

„Nein, das wirst du nicht.“

Sie ging, um sich für die Fahrt vorzubereiten. Mit einem unwilligen König im Schlepptau könnte es ein Abenteuer werden.

Rafiq kannte Maysas Hang zum Abenteuer. Er hatte erlebt, dass sie Risiken einging, denen andere Frauen aus dem Weg gehen würden. Doch nie hatte er sie in ihrer Arbeitskleidung gesehen. Langärmelige weiße Bluse, dazu Khaki-Hosen und Stiefel, darüber einen weißen Arztkittel, der ihre weiblichen Attribute verbarg. Sie war ungeschminkt, was ihrer natürlichen Schönheit jedoch nichts anhaben konnte.

Während Rafiq sich immer unbehaglicher fühlte, war Maysa hinter dem Lenkrad ihres Geländewagens in ihrem Element. Geschickt lenkte sie ihn durch das zerklüftete Terrain. Er dagegen verging fast vor Hitze, was teils an der brütenden Augustsonne lag und teils daran, dass er den Blick nicht von Maysa wenden konnte. Seit gestern Abend ging ihm ihr Kuss nicht aus dem Kopf. Und seine sinnlichen Fantasien erregten und quälten ihn zugleich. Aber er konnte auch die Reaktion auf seine Berührung nicht vergessen, als widerstrebte sie ihr irgendwie.

Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und trank einen Schluck Wasser aus der Feldflasche. „Wie weit ist es noch?“

„Wir sind gleich da.“

Sie fuhren an einem Ziegenhirten vorbei und erreichten bald darauf den abgelegenen Ort. Auf einem Platz hielt Maysa vor einem großen Zelt, um dessen Eingang sich die Menschen scharten.

Sie schaltete den Motor ab und stieg aus. Rafiq blieb sitzen, um den Austausch zwischen Ärztin und Dorfbewohnern zu beobachten. Frauen, Männer und Kinder näherten sich ihr, riefen Grüße und schenkten ihr ein Lächeln, das sie erwiderte.

Nach einiger Zeit schaffte sie es durch die Menge an die Beifahrertür. „Behalt die Sonnenbrille die ganze Zeit auf“, flüsterte sie ihm zu. „Ich werde allen sagen, dass du aus Amerika kommst und kein Arabisch sprichst. Es ist sowieso das Beste, du sagst gar nichts.“

Das könnte anstrengend werden. „Ganz wie du meinst.“

Sie lächelte ihn an. „Übrigens, rasiert gefällst du mir besser.“

Er legte die Hand an sein Kinn. „Wie dem auch sei, ich werde den Bart wieder wachsen lassen, sobald wir dieses Abenteuer beendet haben. Sonst könnte mich jemand fälschlicherweise für meinen Bruder halten.“

Sie zog ein Stethoskop aus der Tasche ihres Kittels und hängte es sich um den Hals. „Meinetwegen. Aber lass es dir von einer Frau sagen. Einen Mann mit Bart zu küssen ist nicht immer angenehm.“ Damit ging sie um den Geländewagen herum. Er dachte über ihre Worte nach. Hieß das, dass sie sich wieder von ihm küssen lassen wollte? Die Hoffnung starb zuletzt.

Rafiq stieg aus und ging zum Heck des Wagens, um Maysa beim Ausladen zu helfen. Er schleppte eine schwere Kiste ins Zelt, sie trug ihren Arztkoffer. Auf ihr Zeichen hin setzte er sich auf einen Rattanstuhl in einer Ecke des Zelts. Bevor sie sich an die Arbeit machte, legte sie den Finger an die Lippen, um ihn daran zu erinnern, dass er still sein sollte. Als wäre er ein ungehorsamer Schuljunge.

Dann kümmerte sie sich um die Dorfbewohner. Sie untersuchte die Kinder und erteilte besorgten Müttern Ratschläge. Einige Männer standen in der Nähe. Sie beäugten Rafiq skeptisch und warfen Maysa gelegentlich lüsterne Blicke zu. Er konnte es ihnen nicht verübeln, auch wenn ihm das anzügliche Grinsen nicht passte. Doch er würde sich vermutlich Maysas Zorn zuziehen, wenn er ihre Ehre verteidigte.

Rafiq beobachtete weiter, wie sie ihre Patienten gekonnt versorgte, und verspürte einen gewissen Stolz, obwohl er kein Recht dazu hatte.

Ein Tumult am Eingang des Zeltes erregte seine Aufmerksamkeit. Ein junger Mann kämpfte sich mit den Ellenbogen durch die wartende Menge.

Als er auf Maysa zustürmte, sprang Rafiq auf, um einzuschreiten. Maysa warf ihm einen eindringlichen Blick zu, während sie den Mann zur Seite nahm und ruhig auf ihn einsprach.

Rafiq hörte kaum etwas von der Unterhaltung, doch Maysas besorgter Gesichtsausdruck sagte ihm, dass die Situation ernst war. Sie wandte sich an die Frau, die ihr assistiert hatte, und bat, zu übernehmen, bis sie zurückkehrte. Dann gab sie Rafiq ein Zeichen, ihr zu folgen. Sie stiegen in den Geländewagen und folgten einem Truck aus dem Dorf hinaus in Richtung Berge.

„Wohin fahren wir?“, fragte Rafiq, als Maysa ohne zu bremsen durch eine Kurve raste.

„Eine Frau liegt in den Wehen“, sagte sie. „Es ist eine schwere Geburt.“

„Das erste Kind?“

„Das vierte, und das ist es, was mich beunruhigt.“

Der Mann, der sie um Hilfe gebeten hatte, sah zu jung aus, um Vater von vier Kindern zu sein. Doch Rafiq hatte keine Zeit mehr, den Gedanken auszusprechen, denn Maysa hielt schon vor einer Hütte. Sie sprang aus dem Wagen, holte ihren Arztkoffer und war bereits an der Tür, als er selbst gerade ausstieg.

Rafiq beeilte sich und betrat das Haus. Er sah, wie Maysa durch eine Tür rechts vom Wohnbereich stürmte. Er entdeckte drei verängstigte Kinder auf einem Diwan. Das Größte konnte nicht älter als sechs Jahre sein, das zweite vielleicht vier und das jüngste zwei.

„Shu esmek?“, fragte er das älteste Kind, obwohl Maysa ihm verboten hatte zu sprechen.

„Aini“, flüsterte das kleine Mädchen schüchtern.

Der Name passt zu ihr, dachte er. Sie war so hübsch wie eine Frühlingsblume. Er erinnerte sich, dass Elena einmal gesagt hatte, dass Kinder nur Essen, Kleidung und Sicherheit wollten. Aini war ordentlich angezogen, sie wirkte nicht unterernährt, doch er vermutete, dass sie sich im Moment alles andere als sicher fühlte.

Deshalb setzte Rafiq sich zu den Kindern auf den Diwan, nahm das Jüngste auf den Schoß und erzählte die Geschichte von einem verlorenen Schaf, das seine Mutter suchte. Eine Geschichte, die ihm seine eigene Mutter erzählt hatte.

Aus dem Nebenraum waren Schmerzenslaute zu hören, und Rafiq hob die Stimme, um sie zu übertönen.

Maysa kam mit einem Bündel auf dem Arm aus der Kammer. Einen flüchtigen Moment stellte Rafiq sich vor, sie hielte sein Kind.

Sie näherte sich lächelnd dem Diwan. „Hier ist euer Brüderchen“, sagte sie auf Arabisch zu den Kindern, und auf Englisch zu Rafiq: „Es war eine Steißgeburt. Die Mutter hat viel Blut verloren und muss ins Krankenhaus.“

Während die beiden älteren Kinder aufsprangen, um ihr Geschwisterchen anzusehen, hob Rafiq die Jüngste von seinem Schoß und stand auf. „Ist die Mutter in Gefahr?“

„Ja.“

Ihr Tonfall zeigte ihm, wie ernst die Situation war. „Wie viel Zeit hat sie?“

„Ich fürchte nicht genug, um die lange Fahrt auf holprigen Wegen zu überleben. Aber wir haben keine Wahl.“

Er würde dafür sorgen, dass sie eine Wahl hatte. „Gibt es hier ein Telefon?“

Maysa blickte sich um und deutete auf einen altertümlichen Apparat an der Wand. „Da. Ich kann aber nicht garantieren, dass er funktioniert.“

Glücklicherweise war das Telefon zu gebrauchen, obwohl einige Versuche notwendig waren, bis die Verbindung zum Palast hergestellt war und er seinen Bruder am Apparat hatte. „Adan, ich brauche deine sofortige Hilfe.“

„Du warst mit Maysa im Bett und willst jetzt wissen, wie du weitermachen sollst?“

Er war nicht in der Stimmung, auf Adans Bemerkung einzugehen. „Ich brauche umgehend einen Ambulanzhubschrauber in Diya. Sorg dafür, dass ein Arzt an Bord und der Helikopter in weniger als zwanzig Minuten hier ist. Das Leben einer Frau steht auf dem Spiel“, fügte er hinzu.

„Ich werde tun, was so kurzfristig möglich ist.“

„Du wirst genau das tun, was ich sage.“

„Jetzt beruhige dich, Rafiq. Der Hubschrauber wird rechtzeitig dort sein.“

Autor

Allison Leigh

Allison Leigh war schon immer eine begeisterte Leserin und wollte bereits als kleines Mädchen Autorin werden. Sie verfasste ein Halloween-Stück, das ihre Abschlussklasse aufführte. Seitdem hat sich zwar ihr Geschmack etwas verändert, aber die Leidenschaft zum Schreiben verlor sie nie. Als ihr erster Roman von Silhouette Books veröffentlicht wurde, wurde...

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