Dein Blick ist wie ein sündiges Versprechen

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Ava traut ihren Augen nicht: Der Mann, der in der Bar plötzlich vor ihr steht, ist Peyton Moss - groß, athletisch, elegant. Nur ein einziges, aber unvergessliches Mal haben sie damals auf der Highschool ihrem verbotenen Verlangen nachgegeben. Sie lebten einfach in zu unterschiedlichen Welten. Ava war eine reiche, verwöhnte Tochter, Peyton der typische Bad Boy. Aber inzwischen hat sich das Blatt für sie beide gewendet. Und als auch Peyton sie erkennt, überläuft Ava ein Schauer der Erregung. Denn sein Blick ist wie ein einziges sündiges Versprechen …


  • Erscheinungstag 21.04.2015
  • Bandnummer 1869
  • ISBN / Artikelnummer 9783733721114
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Der berühmte Dichter T. S. Elliott hatte recht, als er schrieb, der April sei der schrecklichste Monat, dachte Ava, als sie die Michigan Avenue entlangeilte und Schutz unter einer Markise suchte. Am Vortag war der Himmel über Chicago noch blau und klar gewesen, jetzt schüttete es wie aus Kübeln. Rasch zog sie den smaragdfarbenen Seidenschal aus dem Kragen ihres Trenchcoats, legte ihn sich um den Kopf und verknotete die Enden unter dem Kinn. Vermutlich wäre der luftige Stoff nach dem Regenguss völlig hinüber. Doch da sie mit einem potenziellen Geschäftskunden verabredet war, legte sie Wert darauf, dass ihr kastanienbrauner Haarknoten makellos blieb.

Gutes Aussehen war das A und O. Immer und überall. Das hatte Ava bereits während ihrer Highschoolzeit lernen müssen. Denn wenn es etwas gab, das noch schrecklicher war als der Monat April, dann waren das weibliche Teenager. Vor allem wenn sie reich und versnobt waren, teure Privatschulen besuchten, Designer-Fummel trugen und verächtlich auf die ärmeren Schülerinnen hinabblickten, die ein Stipendium hatten, sich aber nur Kleider von der Stange leisten konnten.

Ava schob den Gedanken weit weg. Denn seit ihrem Schulabschluss waren inzwischen mehr als fünfzehn Jahre vergangen. Mittlerweile war sie die Inhaberin der Boutique Talk of the Town und verlieh Haute-Couture-Kleidung an Frauen, die sich für die besonderen Gelegenheiten im Leben ein Stück Luxus gönnen wollten. Das Geschäft warf noch nicht viel ab, doch zumindest nach außen hin trat Ava als erfolgreiche Businessfrau auf. Dass sie selbst ihre beste Kundin war, musste ja niemand wissen.

Als sie ein elegantes Lokal betrat, nahm sie das Halstuch wieder ab und stopfte es in die Manteltasche. Unter dem Trenchcoat trug sie einen anthrazitfarbenen Armani-Anzug, dazu eine salbeifarbene Clutch, die wunderbar zu ihren grünen Augen passte.

Genau in dem Moment, in dem sie vor dem Empfangspult stehen blieb, klingelte ihr Handy. Es war der Geschäftskunde, der ihr mitteilte, dass er das Treffen leider verschieben musste. Also würde Ava wieder einmal allein zu Abend essen. Doch sie war schon so lange nicht mehr in einem Restaurant gewesen und hatte in den letzten Wochen hart gearbeitet. Daher fand sie, sie habe sich eine Belohnung redlich verdient.

Lächelnd kam Basilio, der Besitzer des Restaurants, auf sie zu und begrüßte sie herzlich. Immer wenn sie ihn sah, fühlte Ava sich an ihren Vater erinnert. Basilio hatte dieselben dunklen Augen, dasselbe kurz geschnittene grau melierte Haar und denselben akkurat gestutzten Schnurbart. Doch sie nahm an, dass Basilio nie im Gefängnis gesessen hatte – so wie ihr Vater.

Basilio führte sie direkt zu ihrem Lieblingsplatz am Fenster, von wo aus sie die Passanten beobachten konnte, während sie aß. Sie studierte gerade die Speisekarte, als sie auf eine Szene aufmerksam wurde, die sich in der Bar abspielte. Ava blickte auf und sah, wie Barkeeper Dennis von einem Gast beschimpft wurde. Der Mann war groß und schlank, hatte schwarzes Haar und offensichtlich zu viel getrunken.

„Ich bin vollkommen nüchtern“, beharrte er. Er lallte zwar nicht, sprach aber lauter als notwendig. „Und ich will noch einen Macallan. Und zwar pur.“

Dennis blieb ganz ruhig. „Ich denke nicht …“

„Stimmt genau“, unterbrach ihn der Mann. „Sie sollen nicht denken, Sie sollen Getränke servieren. Und jetzt geben Sie mir einen Macallan. Und zwar sofort.“

„Aber Mr …“

„Sofort“, herrschte der Mann ihn an.

Ava wurde unruhig, als sie den barschen Ton hörte. Während ihrer Collegezeit hatte sie eine Menge Kellnerjobs gehabt. Mit Gästen, die nach ein paar Gläsern unangenehm wurden, kannte sie sich also aus. Gott sei Dank waren Basilio und Kellner Marcus sofort zur Stelle.

Doch Dennis hob diskret die Hand, um ihnen zu verstehen zu geben, dass er die Situation im Griff hatte. Freundlich sprach er auf den Gast ein. „Mr Moss, vielleicht würde Ihnen ein Kaffee guttun.“

Beim Namen Moss wurde Ava plötzlich ganz flau im Magen. Vor einer langen Zeit, die gefühlte Lichtjahre entfernt lag, war sie mit einem Schüler namens Moss zur Schule gegangen. Peyton Moss. Er war eine Stufe über ihr in der Emerson Academy gewesen.

Unmöglich. Das kann er nicht sein, dachte sie. Damals hatte Peyton Moss sich geschworen, Chicago nach der Schule für immer zu verlassen. Und dieses Versprechen hatte er gehalten. Ava hingegen war, wenige Monate nachdem sie ihr Wirtschaftsstudium beendet hatte, wieder nach Chicago zurückgekehrt. Von ihren ehemaligen Klassenkameraden, die sie getroffen hatte, hatte keiner mehr etwas von Peyton gehört.

Sie betrachtete den Mann. Peyton war der Star der Hockeymannschaft gewesen. Nicht nur wegen seines Könnens, sondern auch wegen seines guten Aussehens. Er hatte schulterlanges Haar gehabt, und seine Stimme war schon damals tief und voll gewesen.

Als er sich zu Marcus umdrehte, stockte Ava der Atem. Das Haar war zwar kürzer und das Profil etwas markanter, doch jetzt bestand kein Zweifel mehr – es war Peyton. Dieses Gesicht hätte sie überall wiedererkannt. Selbst nach sechzehn Jahren.

Augenblicklich stand sie auf und ging zu Basilio und Marcus. Sie sammelte sich und holte tief Luft. „Gentlemen. Vielleicht wäre es gut, an dieser Stelle eine neutrale Vermittlerin zu Wort kommen zu lassen … um die Situation zu klären.“

Peyton hätte sich bestimmt totgelacht, hätte er sie erkannt. Denn während der Schulzeit war Ava ihm gegenüber alles andere als neutral gewesen. Anders als er, der sich ihr gegenüber unverschämt neutral benommen hatte. Aber so war es eben, wenn zwei Menschen, die aus zwei sozial unterschiedlichen Schichten stammten, sich begegneten. Trafen Oberschicht und Unterschicht an einem Ort wie der Emerson Highschool aufeinander, bestand das Risiko einer sozialen Erdplattenverschiebung.

„Das ist vielleicht keine so gute Idee, Ms Brenner“, erwiderte Basilio. „In diesem Zustand können Menschen unberechenbar werden. Außerdem ist er dreimal so groß wie Sie.“

„Mein Zustand ist fabelhaft“, wandte Peyton scharf ein. „Jedenfalls wäre er das, wenn dieses Etablissement auf die Wünsche seiner zahlenden Kunden eingehen würde.“

„Lassen Sie mich mit ihm sprechen“, raunte Ava ihm zu. „Ich kenne ihn. Wir sind zusammen zur Schule gegangen. Er wird auf mich hören. Wir sind … wir sind …“ Irgendwie gelang es ihr doch noch, es auszusprechen. „Freunde.“

Auch bei diesem Wort hätte Peyton sich vermutlich vor lauter Lachen nicht mehr eingekriegt. Auf der Emerson waren beide so einiges gewesen – Schulkameraden, wütende Streithälse, ja, für eine Nacht sogar leidenschaftliche Liebhaber –, aber ganz sicher keine Freunde.

„Es tut mir leid, Ms Brenner“, beharrte Basilio, „aber ich kann nicht zulassen …“

Bevor er sie aufhalten konnte, drehte Ava sich um. „Peyton“, sagte sie leise, aber bestimmt.

Sein Blick ruhte weiterhin auf Dennis. „Was?“

„Du hast wirklich genug. Sei vernünftig.“

Er öffnete den Mund, sagte aber nichts, als er sich zu ihr umdrehte und sie ansah. Sie hatte ganz vergessen, wie wunderschön seine cognacbraunen Augen mit den langen Wimpern waren.

„Ich kenne dich“, sagte er, plötzlich schon viel klarer. Er klang überzeugt, wirkte aber dennoch skeptisch. „Oder?“

„Wir sind zusammen zur Schule gegangen, du und ich. Vor langer Zeit.“

Das überraschte ihn offenbar. „Aber du warst nicht in Stanford.“

Stanford? Er war auf einer der renommiertesten Unis der Welt gewesen? Das Letzte, was sie gehört hatte, war, dass er aufgrund seiner Hockey-Erfolge eine Sport-Universität in New England besuchen wollte. Wie war er an der Westküste gelandet?

„Nein, nicht Standford.“

„Wo dann?“

Verlegen klärte sie ihn auf. „Auf der Emerson Academy. Hier in Chicago.“

Er schien aus allen Wolken zu fallen. „Du bist auf die Emerson gegangen?“

So schockierend war das nun auch wieder nicht. Oder sah sie etwa immer noch wie ein Straßenkind aus?

„Ja“, erwiderte sie ruhig. „Es war die Emerson.“

Aus zusammengekniffenen Augen betrachtete er sie einen Moment. „Ich kann mich nicht mehr an dich erinnern.“

Seine Bemerkung traf sie, obwohl sie eigentlich hätte froh darüber sein sollen, dass er nicht mehr wusste, wer sie war. Denn sie selbst hätte am liebsten vergessen, welch ein Mädchen sie damals gewesen war. Und am allerliebsten hätte sie Peyton vergessen. Doch dagegen, dass sich die Erinnerungen an ihn und seinesgleichen in ihr Hirn eingebrannt hatten, war sie machtlos.

Als er ihr ohne Vorwarnung ans Kinn fasste, wurde sie unweigerlich von einem Prickeln erfasst. Er bemerkte offenbar nichts davon, als er ihr Gesicht sanft von einer zur anderen Seite drehte und sie von allen Seiten betrachtete. Schließlich ließ er die Hand sinken und blickte sie kopfschüttelnd an. Vermutlich wollte er etwas sagen, doch dann …

Dann fiel ihm plötzlich die Kinnlade herunter. „Oh Gott. Ava Brenner.“

Ava stieß einen kleinen Seufzer aus. Verdammt. Sie wollte nicht, dass die Leute sich an die Ava erinnerten, die sie auf der Emerson Academy gewesen war. Schon gar nicht so jemand wie Peyton. Andererseits gefiel es ihr aber auch, dass er sie nicht völlig vergessen hatte.

„Ja, ich bin’s“, erwiderte sie gleichmütig.

„Verflucht noch eins“, brachte er hervor, ohne dass sein Ton verriet, was er gerade dachte.

Er ließ sich auf einen Barhocker fallen und musterte sie eindringlich aus diesen goldbraunen Augen. Ein Strudel unterschiedlicher Gefühle erfasste sie – Stolz und Scham, Arroganz und Verlegenheit, Wut und Schuld. Vor allem aber Unsicherheit.

Plötzlich fühlte Ava sich wieder in ihre Highschoolzeit zurückversetzt. Und dieses Gefühl war für sie als Erwachsene genauso unangenehm, wie es für sie als Teenager gewesen war.

Als abzusehen war, dass Peyton keinen weiteren Ärger mehr machen würde, tauschte Dennis das leere Cocktailglas gegen eine volle Kaffeetasse aus. Basilio seufzte erleichtert und schenkte Ava ein dankbares Lächeln, während Marcus sich wieder seinen Gästen widmete.

Ava ermahnte sich, zurück zu ihrem Tisch zu gehen, denn für heute hatte sie ihre gute Tat getan und sollte es dabei belassen. Doch Peyton sah sie auf eine Art an, die sie zwang zu bleiben. Dieser Zug in seinem Gesicht ließ weitere Erinnerungen auf sie einströmen – wenn auch ganz andere als die, die ihr in den letzten Minuten durch den Kopf gegangen waren. Aber ebenso unangenehm und lebendig.

Denn die Sache war die: Keine Geringere als Ava war damals eine der oberen Zehntausend auf der Emerson Academy gewesen. Nicht Peyton, sondern sie hatte den Kreisen der Reichen und Schönen angehört, den neuesten Designer-Fummel getragen und auf die weniger wohlhabenden Schüler hinabgeblickt. Jedenfalls bis zu ihrem letzten Schuljahr. Da nämlich war ihre Familie finanziell tief abgestürzt, und Ava hatte plötzlich Kleider von der Stange tragen müssen. Von einem Moment auf den anderen war sie eine von den Schülern geworden, die unerwünscht waren und verhöhnt wurden.

Peyton schwieg, als Ava ihn betrachtete und darüber nachdachte, was seitdem geschehen war. Mittlerweile war sein dunkles Haar von ein paar silbrigen Strähnen durchzogen, und er trug einen Dreitagebart. Schon auf der Highschool war er nie rasiert gewesen. Auch nicht, als sie neben ihm in ihrem Jugendzimmer wach geworden war und er …

Sie versuchte, die Bilder zu verdrängen – vergeblich, denn sie sah alles wieder vor sich, als sei es gerade erst geschehen: wie beide gegen ihren Willen als Zweierteam an einer Projektwoche teilnahmen, die Schüler aus den unteren und oberen Stufen vereinte. Schon da war offensichtlich geworden, dass das Thema Geld einen Keil zwischen zwei Menschen trieb – zumindest hatte es das an der Emerson getan.

Das ungeschriebene Gesetz der Schule besagte, dass die, die viel hatten, diejenigen verachten, die wenig hatten. Und dass die, die wenig hatten, diejenigen verspotten, die viel hatten. Dennoch … zwischen Ava und Peyton hatte es immer eine besondere Verbindung gegeben. Etwas, das flirrend und spürbar gewesen war, wenn beide einen Raum betraten. Etwas Verrücktes und Unbeständiges, etwas, das keiner von ihnen hätte beschreiben, geschweige denn verstehen können.

Etwas, dem sie beide nicht widerstehen konnten.

Irgendwann waren beide am Ende jener anstrengenden Projektwoche gemeinsam in Avas Zimmer gelandet und … Zu behaupten, sie hätten sich geliebt, wäre übertrieben. Aber es war auch nicht bloß Sex gewesen, dazu hatte es sich zu intensiv angefühlt.

Am Morgen danach waren beide panisch aus dem Bett gesprungen, unaufhörlich Entschuldigungen vor sich hin murmelnd. Sie waren zwar sehr durcheinander, sich in einem Punkt aber einig gewesen. Nämlich in dem, einen großen Fehler begangen zu haben.

Peyton hatte sich in Windeseile angezogen und war unbemerkt aus dem Fenster ihres Zimmers geflüchtet. Am darauffolgenden Montag hatten sie sich dann wieder wie die alten Streithähne verhalten. Nach diesem Erlebnis schien Ava gefühlt ein ganzes Jahr die Luft angehalten zu haben – bis Peyton seinen Abschluss machte, die Schule verließ und sie endlich wieder hatte ausatmen können.

Dann folgte der Absturz, der ihr gesamtes Leben erschüttert hatte. Sie rutschte auf die unterste Sprosse der sozialen Leiter hinab und war plötzlich eine von denen, über die sie vorher verächtlich die Nase gerümpft hatte. Jetzt gehörte sie selbst zu den vermeintlichen Verlierern und begriff, dass diese Menschen es nicht verdienten, schlecht behandelt zu werden.

Ava wandte sich Basilio zu. „Dürfte ich einen Ihrer Kellner bitten, zu meiner Boutique zu gehen und meinen Wagen zu holen, damit ich Mr Moss nach Hause fahren kann? In der Zwischenzeit werde ich hier warten und einen Kaffee mit ihm trinken.“

Basilio sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren.

„Zu Fuß dauert es nur eine Viertelstunde“, erklärte sie.

„Aber Ms Brenner. Er ist nicht …“

„… er selbst“, fügte Ava rasch hinzu. „Ich weiß. Deshalb ist es ja auch besser, ihn zu fahren.“

„Glauben Sie, das ist eine gute Idee?“

Nein, das war es nicht. Doch auch wenn dieser Peyton in vielerlei Hinsicht ein Fremder für sie war – nicht, dass der Peyton aus Highschooljahren ein offenes Buch gewesen wäre –, gefährlich war er ihr nie geworden. Jedenfalls nicht im engeren Sinne des Wortes. Was immer der Grund für sein schlechtes Benehmen von vorhin gewesen sein mochte – er würde sich wieder beruhigen.

Außerdem war sie ihm noch einiges schuldig. Das hier wäre ein Anfang.

„Die Schlüssel sind in meiner Handtasche auf dem Tisch“, erklärte sie Basilio. „Und der Wagen parkt hinter dem Laden. Schicken Sie einfach jemanden hin. Bitte“, fügte sie eindringlich hinzu.

Basilio sah aus, als wollte er erneut protestieren, sagte aber schließlich: „Schön. Ich werde Marcus schicken. Allerdings bin mich mir nicht sicher, ob Sie wissen, was Sie da tun.“

Da sind wir, was das betrifft, schon zwei, dachte Ava.

Als Peyton Moss am nächsten Morgen erwachte, plagten ihn grauenhafte Kopfschmerzen – er hatte einen Kater wie schon lange nicht mehr. Er öffnete die Augen, wusste aber weder, wo er war, noch, wie spät es war oder wie er an diesen Ort gekommen war.

Eine Minute lang lag er einfach nur regungslos da – wenigstens lag er in einem Bett, oder? – und versuchte herauszufinden, in welcher Position er sich befand. Hm. Ganz offensichtlich lag er auf dem Bauch auf einem Haufen Laken; sein Gesicht war in ein Kissen gedrückt. Jedenfalls so viel stand fest. Blieb noch die Frage, wessen Bett es war. Wem immer es gehörte, die Besitzerin lag nicht darin.

Er ging davon aus, dass es eine Sie war, da die Laken für einen Mann viel zu gut dufteten. Außerdem sah er, als er sich umdrehte, dass an den Wänden Tapeten mit Rosenmuster klebten und über ihm ein Kristalllüster hing. Er schaute sich im Zimmer um und fand noch mehr Indizien, die für einen weiblichen Bewohner sprachen: Vor dem Fenster hingen Spitzenvorhänge, davor standen eine verschnörkelte Kommode und ein passender Kleiderschrank.

Offenbar hatte er eine fremde Frau nach Hause begleitet. An sich war daran nichts Ungewöhnliches. Außer dass er ein vierunddreißigjähriger Mann und kein leichtfertiger Teenager mehr war, verdammt! In seinem Alter dachte man darüber nach, sich irgendwo niederzulassen, um übers Leben zu sinnieren … Schön, vielleicht hatte das mit dem Niederlassen noch nicht geklappt. Und vielleicht hatte er auch noch nicht herausgefunden, was er vom Leben wollte. Aber genau das war vermutlich und verdammt noch mal der Grund, warum er in eine Stadt zurückgekehrt war, in die er niemals wieder einen Fuß hatte setzen wollen.

Du lieber Himmel! Das letzte Mal, als er in Chicago war, war er ein junger Bengel von achtzehn Jahren gewesen. Nach seiner Abschlussfeier war er direkt zur Busstation gelaufen, um Talar und Doktorhut in den nächsten Abfalleimer zu stopfen und sich aus dem Staub zu machen. Nicht einmal seiner Familie hatte er Lebewohl gesagt. Aber zu Hause hatte sich sowieso niemand darum geschert, was er machte. In ganz Chicago hatte das kein Mensch getan.

Seufzend schloss er die Augen. Es gab doch nichts Besseres als die Erinnerung an ein kleines Teenagerdrama, um den Tag zu beginnen.

Schnell richtete er sich auf und schwang sich aus dem Bett. Sein Sakko und die Krawatte hingen über einem Stuhl, die Schuhe standen vor dem Bett, Hemd und Hose hatte er immer noch an; beides war sehr zerknittert.

Offenbar war er am vergangenen Abend also brav gewesen. Mit etwas Glück würde er seiner Gastgeberin in die Augen sehen können, sobald er herausgefunden hätte, wer sie überhaupt war.

Langsam ging er ins Badezimmer und trat ans Waschbecken. Nachdem er sich einige Handvoll Wasser ins Gesicht gespritzt hatte, fühlte er sich schon besser. Trotzdem musste er sich beim Blick ins Spiegelschränkchen eingestehen, schon frischer ausgesehen zu haben.

Er öffnete das Schränkchen und fand darin eine Flasche Mundwasser. Das dürfte zumindest den unangenehmen Geschmack vertreiben. Dann nahm er den Kamm, der dort lag, und kämmte sich das Haar. Zu guter Letzt versuchte er noch, sein Hemd etwas glatter zu streichen.

Als er das Badezimmer verließ, stieg ihm der Duft von frischem Kaffee in die Nase. Er folgte ihm, bis er eine winzige Küche betrat. Ein glühendes Nachtlicht über dem Ofen erlaubte es ihm, sich umzusehen. Bis auf einen Wandkalender mit Italienmotiven gab es nirgends Deko. Nur die Kühlschranktür war über und über mit Postkarten und Zetteln beklebt – eine Notiz über ein italienisches Filmfestival im Patio Kino, einige Zeitungsausschnitte mit Damenmode, ein Zettel mit einem Arzttermin.

Die Kaffeemaschine hatte offenbar eine Zeitschaltuhr, denn es war niemand zu sehen, der sie eingeschaltet haben könnte. Er warf einen Blick auf die Armbanduhr und sah, dass es erst kurz nach fünf war. Deshalb war es also so still. Obwohl die Person, die hier lebte, vermutlich immer so früh aufstand. Denn warum sonst war die Kaffeemaschine auf diese unmenschliche Uhrzeit eingestellt worden?

Peyton durchquerte die Küche und betrat einen Wohnraum, der kaum größer war als das Schlafzimmer. Durch die geschlossenen Vorhänge drang genügend Licht, um eine Lampe zu erkennen. Er wollte sie gerade anknipsen, als er ein Geräusch hörte und innehielt. Es war das unleidliche Seufzen einer Schlafenden, die in ihrem Schlummer gestört wurde. Im Halbdunkel erkannte Peyton eine Frau, die auf dem Sofa lag.

Im Laufe der letzten Jahre hatte er sich immer wieder mal in der einen oder anderen heiklen Situation wiedergefunden, aber diese hier war neu für ihn. Er wusste nicht, wo er war, wie er hierhergekommen war, und er hatte keine Ahnung, wer diese Frau war, in deren Haus er die Nacht verbracht hatte. Sie könnte verheiratet sein. Schlimmer – sie könnte eine Psychopathin sein. Doch als sie erneut leise stöhnte, war er sich sicher, dass Letzteres nicht infrage kam. Denn Psychopathinnen gaben keine derart charmanten Laute von sich … oder?

Was, zum Teufel, war in der vergangenen Nacht passiert? Peyton versuchte im Geiste, die Ereignisse des gestrigen Tages durchzugehen, nachdem er wieder heimischen Boden betreten hatte.

Vor mehr als fünfzehn Jahren war er im Greyhound-Bus aus Chicago geflüchtet. Tags zuvor war er in einem Privatjet zurückgekehrt. Seinem Privatjet. Als Jugendlicher war er ein Streuner gewesen, doch als erwachsener Mann … Unsinn. Als erwachsener Mann war er immer noch ein Streuner. Und genau deshalb war er wieder hier.

Jedenfalls war er nach der Landung direkt zum Hotel Interkontinental, Michigan Avenue gefahren. Dieses Hotel würde er nie vergessen können, denn als Teenager hätte er nicht die Nerven gehabt, einen Fuß hineinzusetzen. Man hätte ihn sowieso nur mit einem Tritt auf die Straße befördert. Irgendwie war’s lustig, dass sie mittlerweile seine Platin-Kreditkarte akzeptierten, ohne mit der Wimper zu zucken.

Peyton konnte sich auch noch daran erinnern, wie er seine Suite bezogen und die Reisetasche auf das Bett geworfen hatte, zum Fenster gegangen war, die Vorhänge aufgeschoben und auf die exklusive Michigan Avenue geblickt hatte. Als Kind war diese Gegend für ihn verbotenes Terrain gewesen. Trotzdem war er als Jugendlicher fünfmal pro Woche in diesen Stadtteil gekommen, um die renommierte Emerson Academy zu besuchen. Die restlichen zwei Tage hatte er im Süden der Stadt verbracht, dort, wo ein rauerer Wind herrschte und er aufgewachsen war.

Der Blick aus dem Fenster hatte ihn schmerzhaft an jene Zeit erinnert. An die Gegensätzlichkeit von schillerndem Luxus und der Armut, in der er aufgewachsen war. Sosehr er die Emerson auch gehasst hatte – er hatte es auch immer als Erleichterung empfunden, sein Zuhause acht Stunden lang verlassen zu können. Trotzdem – oder gerade deshalb – hatte er sich am Vortag beim Anblick der Michigan Avenue in seine alte Gegend zurückversetzt gefühlt. Der Geruch von Öl und Schmutz der Tankstelle, in der er mit seinem alten Herrn gehaust hatte, war ihm wieder in die Nase gestiegen. Er hatte den Lärm von Polizeisirenen im Ohr und den Geschmack vom Ruß auf der Zunge gehabt, den Dreck auf seinem Gesicht gespürt. Und dann …

Dann waren die Bilder seiner Schulzeit plötzlich wieder lebendig geworden. Wie er das Hockeyteam zum Sieg geführt hatte – dank eines Stipendiums, das er aufgrund seiner erstklassigen Noten und seiner Zähigkeit bekommen hatte. Gott, hatte er diese Schule gehasst, ihre höheren Töchtern und Söhne, die viel zu reich für ihn gewesen waren. Die freundliche und saubere Atmosphäre des Ortes hatte er allerdings geliebt. Diese Mischung aus Bohnerwachs und Calvin-Klein-Parfüm in den Fluren. Er hatte den geordneten Unterricht und organisierten Schulalltag gemocht, die regelmäßigen Mahlzeiten. Dieser Ort war ein Stück heile Welt für ihn gewesen, wenn auch nur für ein paar Stunden am Tag.

Damals hätte er das natürlich niemals zugegeben. Selbst heute würde er sich eher die Zunge abbeißen, als das zu tun. Trotzdem hatte er schon als Jugendlicher gewusst, dass ein Zeugnis der ehrwürdigen Emerson Academy weitaus mehr hermachte als das einer öffentlichen Schule, die er sonst besucht hätte. Doch angesichts der reichen Kids war ihm jedes Mal übel geworden.

Jene Schüler, die wie er aus ärmlichen Verhältnissen stammten, aber ein Stipendium ergattert hatten, hatten ein besseres Leben als das ihrer Eltern vor Augen gehabt. Insgesamt waren sie vielleicht zu zehnt gewesen: allesamt Einzelgänger innerhalb einer Gruppe hundert anderer. Peyton hatte nichts auf diese hundert anderen gegeben. Nur eine davon war ihm unter die Haut gegangen.

Ava Brenner. Das Goldmädchen von der Goldküste. Ihr Daddy war so reich und mächtig und sie war so versnobt und schön gewesen, dass die ganze Schule ihr zu Füßen lag. Nicht ein einziger Tag, an dem Peyton sie nicht heimlich beobachtet hatte: wie sie im Pulk ihrer treu ergebenen Freundinnen durch die Schule geschwebt war und dabei ihr seidiges braunes Haar nach hinten warf … Deutlich erinnerte er sich an ihren abschätzigen Blick, mit dem sie ihn gemustert hatte. Kein Tag war vergangen, an dem er sich nicht nach ihr verzehrt hatte. Wie verrückt. Obwohl sie eingebildet, verwöhnt und oberflächlich gewesen war.

Ja, als er am gestrigen Tag aus dem Fenster geblickt hatte, hatte er wieder an Ava denken müssen. Vermutlich war diese Erinnerung sogar der Grund gewesen, warum er sich in der Hotelbar betrunken hatte. Auch daran konnte er sich erinnern. An die drei Single Malts, die er auf leeren Magen hinuntergestürzt hatte. An die höfliche Aufforderung des Barkeepers, die Bar zu verlassen …

Peyton versuchte, sich daran zu erinnern, was dann geschehen war. Doch er sah nur ein Paar wunderschöne grüne Augen vor sich, hatte diese raue, sexy Stimme im Ohr und den betörenden Blumenduft in der Nase, der ihm so vertraut vorkam.

Das brachte ihn schließlich wieder zu der Frau auf dem Sofa zurück. Im Halbdunkel erkannte er, dass sie auf der Seite lag und sich eine Hand unter die Wange geschoben hatte. Die Decke, mit der sie sich zugedeckt hatte, war zur Hälfte auf den Boden gerutscht. Er war versucht, zum Sofa zu gehen und ihren Körper wieder vollständig zu bedecken. Als er sich über sie beugte, sog er den Duft von Jasmin ein. Es war exakt der Duft aus seiner Erinnerung.

Und dann traf es ihn wie ein Schlag.

Ava Brenner. Natürlich. Es war ihr Duft. Peyton dachte an die Nacht, die sie vor Jahren miteinander verbracht hatten – besser gesagt an den Abend, an dem sie bei ihr gewesen waren, um an einem Schulprojekt zu arbeiten. Irgendwann war Ava nach unten in die Küche gegangen, um einen Snack vorzubereiten. In der Zwischenzeit hatte er schamlos in ihrem Zimmer herumgeschnüffelt, um so viel wie möglich über sie herauszufinden.

Sogar einen gelben Seidenslip hatte er aus ihrer Kommode gestohlen. Gott möge ihm gnädig sein, aber er besaß ihn heute noch. Auf seiner verbotenen Entdeckungstour war ihm auch ein Fläschchen Jasminparfüm in die Hände gefallen. Deshalb wusste er vermutlich, dass es ihr Duft war. Denn bis zu jenem Abend war er ihm völlig fremd gewesen.

Autor

Elizabeth Bevarly
Elizabeth Bevarly stammt aus Louisville, Kentucky, und machte dort auch an der Universität 1983 mit summa cum laude ihren Abschluss in Englisch. Obwohl sie niemals etwas anderes als Romanschriftstellerin werden wollte, jobbte sie in Kinos, Restaurants, Boutiquen und Kaufhäusern, bis ihre Karriere als Autorin so richtig in Schwung kam.

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