Der Cop, das Hundebaby und ich

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Bitte, Mr Sullivan, wir brauchen einen Helden! Oh nein, schon wieder hat diese Sarah McDougall flehentlich auf seinen AB gesprochen. Oliver kennt sie nicht, und er will sie auch nicht kennenlernen! Er ist ein Cop, der in Detroit den Glauben an das Gute verloren hat. Aber nun hat er sich ins idyllische Kettle Bend versetzen lassen, und nur weil er ein Hundebaby gerettet hat, will diese Frau ihn zum Dorf-Helden machen! Aber jetzt reicht es. Oliver fährt zu ihr - und steht plötzlich einer bezaubernden Traumfrau gegenüber. Kann Sarah ihn wieder an das Gute glauben lassen?


  • Erscheinungstag 20.08.2013
  • Bandnummer 1899
  • ISBN / Artikelnummer 9783954467440
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Oliver Sullivan – der schon so lange nur Sullivan genannt wurde, dass er sich kaum noch an seinen Vornamen erinnerte – gestand sich ein, dass er Sarah McDougall noch weniger ausstehen konnte als jeden anderen Menschen. Und ihm waren viele Leute unsympathisch.

Fiesen Typen zu begegnen, zählte zu den Berufsrisiken im Gesetzesvollzug. Nicht, dass Ms McDougall in die Kategorie Kriminelle fiel.

„Obwohl ich schon mit etlichen Verbrechern zu tun hatte, die charmanter waren“, murmelte er vor sich hin. Bei Gesetzesbrechern war er allerdings insofern im Vorteil, dass er Autorität über sie ausüben konnte.

Nackten Hass hegte er auf diese Frau. Dabei hatte er noch nie mit ihr gesprochen, geschweige denn sie gesehen. Er kannte nur ihre Ansagen auf seinem Anrufbeantworter und hätte es gern dabei belassen.

Ihre Stimme zu hören, reichte bereits, um starke Abneigung in ihm hervorzurufen. Ihre verbissene Beharrlichkeit untermauerte dieses Gefühl nur noch mehr. Nicht, dass ihre Stimme unangenehm klang. Was sie von ihm verlangte, war vielmehr das Problem.

Im Geist hörte er ihre wiederholten Aufforderungen. Rufen Sie mich zurück. Es ist sehr wichtig. Wir müssen reden. Es ist dringend.

Da er ihre Anrufe geflissentlich ignoriert hatte, war sie zu seinem Vorgesetzten gegangen, der wiederum befohlen hatte, ihrer Bitte nachzukommen. Reden Sie wenigstens mit ihr. Falls Sie es noch nicht gemerkt haben sollten, Sie sind nicht mehr in Detroit.

Das war Sullivan längst aufgefallen. Bereits nach etwa fünf Minuten an seinem neuen Arbeitsplatz.

Zwischen dem Tätigkeitsbereich eines Kleinstadtpolizisten in Wisconsin und eines Kripobeamten beim Morddezernat in Detroit war ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht – vergleichbar mit dem Wirken von Mutter Theresa und den Taten von Attila dem Hunnenkönig.

„Welcher Wahnsinn hat mich dazu getrieben, mich für Kettle Bend in Wisconsin zu entscheiden?“, knurrte er vor sich hin.

Dieser Wahnsinn hatte einen Namen, und der lautete Della. Sie war seine große Schwester und hatte diese kleine idyllische Nische entdeckt und beschlossen, ebendort zusammen mit ihrem Ehemann Jonathon, einem Kieferorthopäden, ihre beiden Söhne aufzuziehen. Und sie bemühte sich, Sullivan in den Kreis ihrer glücklichen Familie einzubinden, seit dessen Leben den Bach runtergegangen war.

Er verdrängte diese Fakten jetzt und konzentrierte sich stattdessen auf die Ortschaft. Mit zynischem Blick betrachtete er sein Umfeld. Die Straßen waren breit und ruhig und von riesigen Bäumen beschattet, die er als hartgesottener Städter nicht identifizieren konnte. Und doch fielen ihm die jungen Blätter angenehm auf, die sich in den zarten leuchtenden Farben des Frühlings entfalteten und deren würziger Duft ihm durch das offene Autofenster in die Nase stieg.

Im Laubschatten standen gepflegte Häuser, die ihr Alter und ihre amerikanischen Flaggen gleichermaßen mit Stolz trugen. Die meisten ähnelten einander auf angenehme Weise – weiße Fassaden mit hellgelben Türen und Fensterrahmen oder umgekehrt. Zur Abwechslung war hie und da ein Farbtupfer in Salbeigrün oder Taubenblau zu sehen.

Allen Häusern gemeinsam waren breite Veranden, weiße Jägerzäune um kleine Vorgärten mit gepflegten Beeten voll blühender Frühlingsblumen, die einladende Gehwege säumten.

Aber Sullivan wollte sich nicht bezirzen lassen.

Er mochte keine Illusionen. Eine besonders gefährliche Wunschvorstellung war in seinen Augen der Glaube, dass auf dieser Welt noch sichere und behütete Orte existierten.

Mit Hollywoodschaukeln und Glühwürmchen und kalter Limonade an heißen Sommertagen. Wo Fenster und Türen unverschlossen bleiben und Kinder unbeaufsichtigt und furchtlos mit dem Fahrrad zur Schule fahren können. Wo Familien sich bei Gesellschaftsspielen vergnügen. Orte unbefleckter Unschuld, die das Wort Zuhause flüstern.

Er hatte versucht, Della die Augen zu öffnen und sie zu warnen, dass nicht alles so war, wie es zu sein schien.

Nein, er hätte wetten können, dass es hinter den Türen und Fenstern dieser hübschen Häuser alle möglichen Geheimnisse aufzudecken gab, die das idyllische Bild Lügen straften. Dass hinter einigen dieser geschlossenen Türen Schnapsflaschen im Toilettenspülkasten versteckt waren. Dass dort Kinder mit Drogenproblemen ebenso zu finden waren wie Frauen mit unerklärten Prellungen und blauen Flecken.

Dieser Zynismus sorgte dafür, dass Sullivan so schlecht in das beschauliche Örtchen Kettle Bend passte – und ganz gewiss noch schlechter in Sarah McDougalls Pläne.

Ihre Nachrichten auf seinem Anrufbeantworter spukten ihm im Kopf herum und riefen ein Frösteln hervor. Wir brauchen einen Helden, Mr Sullivan.

Er plante keineswegs, irgendjemandes Held zu werden. Er war nicht bereit, mit diesem Unsinn seinen freien Tag zu vergeuden. Deshalb wollte er dafür sorgen, dass es dieser Sarah McDougall sehr, sehr leidtat, ihn mit ihren lächerlichen Ideen verfolgt zu haben.

Er fand die gesuchte Adresse, hielt am Straßenrand an. Entschieden wappnete er sich gegen den idyllischen verschlafenen Charme der Umgebung. Aus Prinzip drehte er die Fensterscheibe hoch und verschloss die Tür nach dem Aussteigen. Die Leute von Kettle Bend mochten vortäuschen wollen, dass sich hier niemals etwas Böses ereignete, aber er wollte seine neue Stereoanlage nicht diesem Irrglauben anvertrauen.

Er wandte sich dem Haus zu, das auf dem Grundstück mit der Adresse 1716 Lilac Lane stand.

Der einstöckige Bungalow unterschied sich nur wenig von den Nachbargebäuden. Er war kürzlich neu gestrichen worden – die Fassade natürlich in Weiß, Türen und Fensterrahmen in einem satten Olivgrün. Kletterpflanzen – er tippte auf Efeu, weil er keine anderen Ranken kannte – brachten bereits frische Triebe hervor und ließen erahnen, dass sie die Veranda bald komplett gegen die Sommerhitze abschatten würden.

Sullivan ging durch ein abscheulich quietschendes Gartentor und ein Spalier, das in wenigen Wochen voller Farbenpracht den Duft von Kletterrosen verströmen würde, deren Knospen schon zu sehen waren.

Dass dem noch nicht so war, erleichterte ihn. Weil die reizvolle Umgebung ohnehin schon seine Abwehr schwächte und der sinnliche Duft diesen Effekt nur noch verstärkt hätte.

Aus den Augenwinkeln registrierte er, dass der zementierte Gehweg stellenweise Blasen warf, aber von bunt gemischten Frühlingsblumen gesäumt wurde.

Es fiel ihm nur auf, weil es zu seinem Job gehörte, auf alles zu achten. Ihm entging nichts. Er bemerkte jedes Detail. Das machte ihn zu einem großartigen Cop – allerdings nicht zu einem besseren Menschen, soweit er wusste.

Er stieg die breiten Stufen zur Haustür hinauf. Bevor er klingelte, musterte er die Möbel auf der überdachten Veranda.

Alte Korbstühle, sorgsam in demselben Olivgrün wie Türen und Fensterrahmen lackiert, trugen dicke Polster mit fröhlichem Blumenmuster in Rot, Gelb und Orange. Wie das idyllische Städtchen selbst malte diese Loggia ein ansprechendes Bild.

Ein Ort der Ruhe. Der Behaglichkeit. Der Sicherheit. Des Friedens.

„Ha!“ Sullivan schnaubte zynisch und straffte entschieden die Schultern, um zu verhindern, dass all die reizvollen Details ihn womöglich bewogen, nett zu dieser Frau zu sein und ihr die geplante Abfuhr auf sanfte Weise zu erteilen.

Bisher hatte Feinfühligkeit nicht bei ihr gefruchtet. Zweiundsechzig Anrufe zu ignorieren, wie er es getan hatte, war nicht als Aufforderung gedacht, sich an seinen Vorgesetzten zu wenden. Damit wollte er ihr vielmehr sagen, dass sie ihn in Frieden lassen und sich einen anderen Helden suchen sollte.

Entschieden wandte er sich von der verlockenden Veranda ab. Er wollte sich nicht eingestehen, dass er auch nur für den Bruchteil einer Sekunde versucht gewesen war, sich hier wohlzufühlen.

Kopfschüttelnd wandte er sich ab, betätigte die Klingel und hörte sie durch das Haus hallen, weil die grüne Innentür offen stand und nur ein Fliegengitter mit kunstvoll geschmiedetem Rahmen den Zutritt verwehrte.

Nichts rührte sich.

Doch Sullivan fasste die offene Tür schlicht und einfach als Aufforderung auf, sich umzusehen. Im Gegensatz zu der Einladung, sich auf der Veranda auszuruhen, nahm er diesmal an und spähte ins Haus.

Die Tür führte direkt in das Wohnzimmer. Ein handgewebter Flickenteppich markierte einen winzigen Eingangsbereich und ließ darauf schließen, dass der Besitzer des Hauses Ordnung und abgeputzte Schuhe schätzte.

Nachmittäglicher Sonnenschein fiel durch die offene Tür und durch das große Fenster auf einen Dielenboden, der goldbraun schimmerte, mit der Patina des Alters.

Zwei kleine Couchen in leuchtendem Sonnenscheingelb standen einander gegenüber. Ein zerkratzter antiker Couchtisch dazwischen trug sauber aufgestapelte Zeitschriften und eine Vase mit den Blumen, die draußen den Gehweg säumten.

Bisher hatte er sich noch keine genaue Vorstellung von seiner Stalkerin gemacht. Nun tat er es.

Single. Es gab keinerlei Hinweis auf einen männlichen Mitbewohner.

Keine Kinder. Nirgendwo herrschte Durcheinander oder war Spielzeug zu sehen.

An einer Wand hingen gerahmte Titelbilder im Stil einer Galerie. Sie stammten allesamt von einer Zeitschrift namens Today’s Baby. Allerdings änderten sie nichts an seinem ursprünglichen Eindruck von dieser Frau. Sie strahlte keine Lebensfreude aus.

Im Geist sah er sie vor sich: etliche Pfunde zu schwer, krisseliges Haar, grell geschminkt. Vermutlich hatte sie sich vollauf damit beschäftigt, ihr Haus so bildschön wie aus einer Wohnzeitschrift zu gestalten, und sich selbst darüber sträflich vernachlässigt, ohne dem Verfall der mittleren Jahre entgegenzuwirken.

Nun, da es nichts mehr am Haus zu tun gab, richtete sich ihre gesamte Aufmerksamkeit auf die Stadt.

Mr Sullivan, Kettle Bend braucht Sie!

Ein schwacher Duft strömte durch die offene Tür. Es roch süß. Und herb zugleich. Nach etwas selbst Gekochtem. Plötzlich überrumpelte ihn eine ausgeprägte Sehnsucht.

Er spürte es erneut. Ein kleiner Schauer lief ihm über den Rücken.

Schluss jetzt …

Wiederum schüttelte er die Anwandlung ab, zusammen mit der Sehnsucht. Er hatte sich ausgeruht. Ein ganzes Jahr lang. In Anglerhosen beim Fliegenfischen. Er war nicht dafür gemacht. Dabei blieb zu viel Zeit zum Nachdenken.

Sullivan klingelte erneut, diesmal ungeduldig.

Eine Katze – ein graues Fellknäuel mit bösen grünen Augen – schlich sich aus einem Flur in den Eingangsbereich, ließ sich in den Strahl Sonnenschein bei der Tür fallen. Sie betrachtete ihn mit schlitzäugigem Missfallen, bevor sie den Kopf abwandte und sich ausgiebig eine Pfote leckte. Sie passte genau in seine Vorstellung von der Hausbewohnerin.

Diese Katze weiß, dass ich keine Tiere mag.

Und das machte die ganze Situation noch ärgerlicher. Er und ein Held? Nein danke! Er mochte Hunde nicht einmal. Und deshalb wollte er die Frage, warum er sein Leben für einen Welpen riskiert hatte, nicht beantworten. Weder Ms McDougall noch den Dutzenden Reportern von Radio und Fernsehen, die ihn verfolgten.

Impulsiv zog er am Griff der Fliegentür und öffnete sie einige Zentimeter, bevor er sie wieder zufallen ließ. Dass sie unverschlossen war, ärgerte ihn.

Dieses beschauliche kleine Idyll bettelte förmlich um eine gesunde Dosis dessen, was er im Überfluss besaß: Zynismus.

Er ging die Stufen hinunter und betrachtete das Haus.

„Sarah ist hinten im Garten. Sie hat den Rhabarber bereits reichlich schießen lassen.“

Sullivan zuckte zusammen. Da haben wir den Salat, dachte er. Weil seine Aufmerksamkeit so sehr unter dieser verflixten Umgebung litt, war ihm glatt entgangen, dass jede seiner Bewegungen von der Nachbarin verfolgt wurde.

Wie ein verhutzelter Gnom hockte sie in einem Schaukelstuhl. Ihre glänzenden schwarzen Augen musterten ihn mit belustigter Neugier statt mit dem Argwohn, der einem Fremden gegenüber angebracht gewesen wäre.

„Sie sind der neue Polizist“, stellte sie fest.

Demnach war er gar kein Fremder für sie.

In einer Kleinstadt gibt es keine Anonymität. Nicht einmal an meinem freien Tag in Jeans und T-Shirt.

Er nickte, immer noch ein wenig verblüfft darüber, dass ihm automatisch Vertrauen entgegengebracht wurde, nur weil er der neue Polizist im Viertel war.

In Detroit war in neun von zehn Fällen das genaue Gegenteil eingetreten. Zumindest in den rauen Stadtteilen, in denen er seinen Beruf erlernt hatte.

„Das war sehr nett, was Sie getan haben. Mit dem Hund.“

Gab es auch nur eine einzige Person im Universum, die nicht davon wusste? Immer mehr hasste er es, dass sich die Geschichte wie eine Epidemie verbreitet hatte.

Der alten Frau wäre sein Verhalten nicht so nett erschienen, wenn sie gewusst hätte, wie oft er sich jetzt wünschte, er hätte das verdammte Tier dem reißenden Schmelzwasser überlassen, anstatt hinterherzuspringen.

Er dachte daran, wie es in seinen Armen gezappelt hatte, als er nach der Rettungsaktion keuchend auf das Ufer gesunken war. Das durchnässte Fellknäuel, ebenso frierend wie er selbst, hatte sich an seine Brust gekuschelt, direkt über dem Herzen, und ihm winselnd das Gesicht abgeleckt.

Natürlich wünschte Sullivan nicht wirklich, er hätte es ertrinken lassen. Er wünschte nur, sein Sprung in den angeschwollenen Kettle River wäre nicht von irgendeiner dreisten Person mit Handy aufgenommen und ins Internet gestellt worden, sodass die ganze Welt die Rettungsaktion verfolgen konnte.

„Wie geht es dem Hund?“, erkundigte sich die Frau.

„Er ist noch beim Tierarzt. Aber er wird wieder gesund.“

„Ist das Herrchen schon gefunden worden?“

„Nein.“

„Na ja, ganz bestimmt werden die Leute Schlange stehen, um ihn zu adoptieren, falls sich der Besitzer nicht meldet.“

„Wahrscheinlich.“

Aufgrund des Videos gingen tatsächlich täglich Dutzende solche Anfragen bei der Polizeiwache von Kettle Bend ein.

Sullivan nickte der Nachbarin zu und folgte dem schmalen Gehweg um das Haus herum in einen langen schmalen Garten.

Es gab kein Wort für den Anblick, der sich ihm bot.

Außer vielleicht: bezaubernd.

Einen Moment lang blieb er stehen und sog alles in sich auf. Hochgewachsene Bäume mit lindgrünem Blattwerk, darunter gewundene Blumenbeete mit dunklem Mutterboden, der an frisch gemähte Rasenflächen stieß.

Er hatte das Gefühl, in ein geheimes Paradies geraten zu sein.

Er schnaubte verächtlich, weil ihm dieser seltsame Ausdruck in den Sinn gekommen war.

Und dann sah er sie.

Sie hockte zwischen langen Reihen von hohen Pflanzen mit Blättern so groß wie Elefantenohren, und sie war völlig darin vertieft, die dünnen roten Stängel auszureißen.

Das musste der Rhabarber sein, den die Nachbarin erwähnt hatte.

Neben ihr lag bereits ein beachtlicher Stapel. Ein breitkrempiger Hut beschattete ihre obere Gesichtshälfte. Sonnenschein fiel auf ihren Mund und ließ erkennen, dass ihre Zungenspitze über die Lippen huschte – als Zeichen äußerster Konzentration.

Sie trug ein formloses geblümtes Tank-Top und weiße Shorts mit Schmutzflecken. Die langen muskulösen Beine, die bereits ein wenig Sonnenbräune annahmen, waren atemberaubend.

Während er sie beobachtete, zerrte sie heftig an einer Pflanze und fiel aus der Hocke beinahe auf den Rücken, als sich der Stängel abrupt vom Wurzelwerk löste. Sie richtete den Oberkörper wieder auf und erstarrte, als ob sie plötzlich spürte, dass sie nicht mehr allein war.

Ohne aufzustehen, drehte sie sich langsam auf den Hacken um, blickte Sullivan an und neigte den Kopf zur Seite. Vielleicht ärgerte es sie, dass er ihren Ringkampf mit der Pflanze beobachtet hatte.

Sarah McDougall – sofern es sich überhaupt um sie handelte – war wider Erwarten nicht mittleren Alters. Oder kraushaarig. Geschweige denn übergewichtig. Und sie trug nicht einmal eine Spur von Make-up.

Bei dem Anblick bleibt einem glatt die Spucke weg.

Kastanienbraune Korkenzieherlocken quollen unter der Hutkrempe hervor und umrahmten ein elfenhaftes Gesicht. Kleine Sommersprossen sprenkelten ihre Stubsnase. Wangenpartie und Kinn verstärkten den Eindruck von Zartheit.

Doch vor allem ihre Augen drohten ihn zu überwältigen. Er war gut darin, in Augen zu lesen – was schwerer war, als manche Leute glaubten. Ein Lügner konnte einem unverwandt ins Gesicht sehen, ohne mit der Wimper zu zucken. Ein Mörder konnte einen mit sanften Rehaugen anblicken.

Doch elf Jahre bei der Mordkommission einer rauen Großstadt hatten Sullivans Sinne derart geschärft, dass seine Schwester seine Fähigkeit, andere zu durchschauen, mit einem Anflug von Bewunderung als beängstigend bezeichnete.

Die Augen dieser Frau waren nussbraun, riesig und einfach überwältigend bezaubernd.

Sie wirkte typisch amerikanisch. Unverdorben und unbescholten. Naturverbunden. Niedlich. Wahrscheinlich geradezu lächerlich naiv. Dafür sprach, dass sie ihre Haustür unverschlossen hielt und einen Helden aus ihm machen wollte.

Doch anstatt seine Verärgerung auf sie zu verstärken, weil sie ihn belästigte und bei seinem Vorgesetzten angeschwärzt hatte, erweckte es einen dummen Beschützerinstinkt.

„Sie sollten Ihre Haustür abschließen, wenn Sie hier hinten arbeiten“, teilte er ihr schroff mit. Einerseits wollte er es ja dabei belassen, ihr den Rücken zukehren und sich entfernen. Denn ganz offensichtlich musste eine Frau wie sie ganz besonders vor einem Mann wie ihm beschützt werden. Der so viel Düsteres gesehen hatte, dass es in seinem Innern zu residieren schien.

Doch wenn er andererseits ging, ohne ihr Gelegenheit zu geben, diese dunkle Seite von ihm zu erkennen, belästigte sie ihn oder seinen Vorgesetzten womöglich endlos.

Also zwang er sich, den Garten zu durchqueren, bis er direkt vor ihr aufragte und sein Schatten auf ihre großen Augen fiel.

Er schüttelte selten jemandem die Hand. Er legte Wert darauf, eine Barriere aufrechtzuerhalten. Autorität einzuflößen. Nicht zu Vertraulichkeiten einzuladen. Distanz zu wahren.

Deshalb verblüffte es ihn, dass er ihr die Hand reichen wollte. „Sarah McDougall?“, fragte er. Als sie nickte, erklärte er: „Ich bin Sullivan.“

Der bekümmerte Ausdruck schwand von ihrem Gesicht. Sie sah tatsächlich entzückt aus. Er war froh, dass er die Hand in die Hosentasche gesteckt hatte, anstatt sie ihr zu reichen.

„Mr Sullivan …“, sie stand auf, „… ich bin ja so froh, dass Sie gekommen sind! Darf ich Sie Oliver nennen?“

„Nein, das dürfen Sie nicht. Niemand nennt mich so. Und es heißt nicht Mister“, erklärte er in bewusst kühlem Ton. „Es heißt Officer.“

Nur ein Anflug von Verärgerung trat in ihren Blick. Hatte sie nicht längst aus ihren unbeantworteten Anrufen gelernt, dass er ein Mann war, dem man mit viel mehr Abneigung begegnen sollte?

„Niemand nennt Sie Oliver?“

Wieso fragte sie das? Hatte er nicht deutlich genug klargestellt, dass er keinerlei persönliche Bekanntschaft mit ihr wünschte? „Nein.“

Anscheinend entging ihr, wie schroff seine Stimme klang. Sonst hätte sie das Thema fallen lassen.

„Nicht mal Ihre Mutter?“ Skeptisch zog sie eine Augenbraue hoch.

Es ließ sie ein wenig drollig aussehen. Wie wenn ein Wellensittich versucht, angriffslustig zu wirken.

„Tot“, knurrte er und sah Mitgefühl in ihren Blick treten, doch er war nicht bereit, sich anrühren zu lassen. Er hatte seine Mutter mit siebzehn verloren. Ebenso wie seinen Vater.

Er wollte nicht siebzehn Jahre in die Vergangenheit zurückgehen.

Und es gab nur einen Weg, sich eine lästige Person wie Sarah McDougall vom Hals zu schaffen: durch brutale Offenheit.

„Rufen Sie mich nicht mehr an“, verlangte er leise und tonlos. Dabei bemühte er sich, sie mit stechendem Blick anzusehen. „Ich werde Ihnen nicht helfen. Auch nicht, wenn Sie sechs Millionen Mal anrufen. Ich bin kein Held. Ich will nicht Ihr Freund sein. Ich will Ihre Stadt nicht retten. Und schalten Sie meinen Vorgesetzten auch nicht wieder ein. Weil Sie mich bestimmt nicht zum Feind haben wollen.“

Verblüfft stellte Sullivan fest, dass seine legendäre Fähigkeit, andere Leute zu durchschauen, ihn im Stich ließ. Er hatte nämlich geglaubt, dass sie leicht einzuschüchtern war, dass er sie einfach so dazu bringen konnte, einen Rückzieher zu machen.

Stattdessen sah er, dass sich ihr niedlicher kleiner Mund zu einer unverkennbar störrischen Linie verzog. Und das konnte nur eines für ihn bedeuten: Ärger.

2. KAPITEL

Verunsichert starrte Sarah ihren unerwarteten Besucher an. Sie fühlte sich völlig neben der Spur. Nicht nur durch das Tauziehen mit dem Rhabarber an sich, sondern vor allem, weil es einen Zeugen dafür gab.

Dazu kam die unerwartete Schärfe in seiner Stimme, sein unverhofftes Auftauchen in ihrem Garten, sein Auftreten an sich.

Sie war ganz in die Ernte vertieft gewesen. Das war es, was sie sich von ihrem Haus, ihrem Garten und ihrem Geschäft erhoffte. Dass sie immer vollauf mit irgendetwas beschäftigt war.

Doch die Konzentration auf ihre Aufgabe hatte sie verletzlich gemacht. Andererseits war zu vermuten, dass die überwältigende Gegenwart dieses Mannes immer ein Gefühl der Verletzlichkeit hervorrief, selbst wenn man ihn erwartete, anständig angezogen war und den Kaffeetisch für ihn gedeckt hatte.

Durch das verwackelte Video, das sie gesehen hatte – wie Millionen anderer Menschen – war sie nicht auf die Wirklichkeit vorbereitet. Auch wenn bereits aus ihren unbeantworteten Anrufen zu schließen war, dass er nicht die Persönlichkeit besaß, die sie ihm aufgrund der heldenhaften Rettung eines ertrinkenden Welpen angedichtet hatte.

Dreißig Sekunden Film – in denen er sich das Hemd vom Leib riss, in den eiskalten Fluss unter der Brücke sprang und danach mit dem Welpen auf der nackten Brust am Ufer lag – hatten sie veranlasst, voreilige Schlüsse zu ziehen.

Dass er mutig ist. Ein Mann, der sich vor nichts fürchtet.

Das bestätigte nun sein unerschrockener Blick.

Dass jemand wie er, der bereit ist, sein Leben für einen Hund zu riskieren, sanft und warmherzig sein muss, und dass seine Ansage auf dem Anrufbeantworter lediglich berufsbedingt ein bisschen schroff klingt.

Dabei handelte es sich offensichtlich um einen Trugschluss. Denn er hatte ihre zunehmend verzweifelten Anrufe nicht erwidert, und nun verhielt er sich ausgesprochen grob zu ihr.

Nicht einmal eine Spur von Wärme war in seinen dunklen Augen zu erkennen. Sie blickten kühl und abschätzig. Er schien von einer Mauer umgeben zu sein, die schwerer zu bezwingen war als der Mount Everest.

Zweifel stiegen in Sarah auf. Oliver Sullivans wahres Erscheinungsbild stand in krassem Widerspruch zu der Fantasie, die ihr von ihm vorschwebte, seit sie den Videoclip gesehen hatte. Das ließ nichts Gutes für ihren Plan erahnen.

Es sei denn, er lässt sich zähmen, dachte sie. Das empfand sie seinem Äußeren nach zu urteilen allerdings als höchst unwahrscheinlich.

Er trug dunkle Jeans und ein waldgrünes T-Shirt, das seine breite Brust und kräftige Oberarmmuskeln umspannte. Unzählige andere Männer in Kettle Bend waren ähnlich gekleidet, aber sie war überzeugt, dass sonst niemand eine derart rohe Macht ausstrahlte wie er.

Er sah aus wie ein Ritter in der Verkleidung eines zivilisierten Mannes.

Er war ein Mann, der Zuversicht in die eigene Kraft ausstrahlte, in seine Fähigkeit, alles zu meistern, was sich auch ergeben mochte. Er schien nur darauf zu warten, dass die Hölle losbrach.

Das stand derart im Widerspruch zu der idyllischen Atmosphäre in ihrem Garten, dass Sarah beinahe schmunzeln musste. Nur seine eindringliche finstere Miene hielt sie davon ab.

Trotz seines außergewöhnlich guten Aussehens wirkte er unglaublich lebensmüde. Wie ein Mann, der das absolut Schlimmste von seinen Mitmenschen erwartete und selten enttäuscht wurde. Und doch wirkte sein Äußeres aufregend anziehend.

Wenn ich ihn doch nur überreden könnte, ein paar Fernsehinterviews zu geben!

Die kurzen schokoladebraunen Haare waren gewiss sehr kameratauglich, ebenso wie die buschigen Brauen über dunkelbraunen Augen, die beinahe schwarz wirkten. Dazu gesellten sich ausgeprägte Wangenknochen, eine kräftige Nase, volle sinnliche Lippen und ein teuflisches kleines Grübchen im Kinn.

Sie konnte es sich nicht leisten, sich von ihm einschüchtern zu lassen. Das durfte sie einfach nicht zulassen.

Kettle Bend braucht ihn.

Nicht, dass sie im Zusammenhang mit dem Wort brauchen an ihn denken wollte. Weil er ihr Bedürfnisse bewusst machte, die sie längst ad acta gelegt hatte.

Seine ausgeprägte Männlichkeit weckte Sehnsucht nach all den Dingen, die sie früher einmal genossen hatte, sich nun jedoch versagte. Leidenschaftliche Küsse. Starke Arme. Nächtliches Liebesgeflüster.

Er war ein Mann, der eine Frau beinahe den hohen Preis vergessen ließ, den es kosten konnte, nach all diesen Dingen zu streben.

Sarah McDougall brauchte niemanden. Das zählte zu den Dingen, auf die sie stolz war. Absolute Unabhängigkeit. Auf niemanden angewiesen sein. Nicht mehr. Nie wieder.

Die Erbschaft dieses Hauses und des Geschäfts ihrer Großmutter, Jelly Jeans and Jammies, ermöglichte ihr das.

Sie durfte sich nicht einschüchtern lassen. Deshalb, um seiner Feindseligkeit zu trotzen, zog sie sich den rechten Gartenhandschuh aus, wischte sich die Hand vorsichtshalber an der Hose ab und reichte sie ihm mit vorgetäuschter Zuversicht. Dann wartete sie mit angehaltenem Atem, ob er auf die Geste einging.

Mit unverhohlenem Missfallen reagierte Officer Oliver Sullivan auf ihre entgegenkommende Geste. Er war sichtbar verärgert über ihre Bemühung, in irgendeiner Form mit ihm in Kontakt zu treten.

Ihm war deutlich anzumerken, dass er sehr versucht war, einfach zu verschwinden, nachdem er seine unerfreuliche Botschaft abgeliefert hatte.

Autor

Cara Colter

Cara Colter hat Journalismus studiert und lebt in Britisch Columbia, im Westen Kanadas. Sie und ihr Ehemann Rob teilen ihr ausgedehntes Grundstück mit elf Pferden. Sie haben drei erwachsene Kinder und einen Enkel.
Cara Colter liest und gärtnert gern, aber am liebsten erkundet die begeisterte Reiterin auf ihrer gescheckten Stute...

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