Der Mann, der sie verführte

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Normalerweise ist Pansy eine vernünftige Geschäftsfrau. Seit sie aber diesen atemberaubenden schwarzhaarigen Fremden am Strand gesehen hat, ist nichts mehr normal und jede Vernunft vergessen. Voller Leidenschaft gibt sie sich ihm Nacht für Nacht hin. Dabei erinnert sie der Mann, der sich als Ned Nelson ausgibt, an jemanden, den sie aus New York kennt. Zu gut kennt …


  • Erscheinungstag 01.02.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733776022
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Kehr um! sagte Pansy Hanley ihr Instinkt. Wenn du nicht aufhörst, ihm zu folgen, wird er sich umdrehen und dich erwischen, schalt sie sich in Gedanken. Und dann würde sie sich wie eine Närrin vorkommen. Trotzdem blieben ihre Augen auf den breiten Rücken des dunkelhaarigen Fremden gerichtet, dem sie die verlassene Sand Road hinuntergefolgt war. Er hielt sich im Schatten. Sein Gang war langsam und lässig, seltsam verlockend. Alle anderen auf Seduction Island waren noch bei der Gemeindeversammlung, und die Souvenirshops und T-Shirt-Läden waren geschlossen, die Fenster dunkel. Die Schatten der Wolken tanzten geheimnisvoll auf den Gehsteigen.

Der Kerl ist bloß ein Tourist. Doch noch während Pansy diesen Gedanken hatte, war sie sicher – und hoffte möglicherweise sogar –, dass es nicht stimmte. Irgendetwas, vielleicht die Romantik dieser samtschwarzen Nacht oder der Zauber des Mondes und der Sterne, überzeugte sie, dass dieser Fremde der Mann ihrer Träume war. Und zwar buchstäblich, da er einem verwegenen, unwiderstehlichen Piraten zum Verwechseln ähnlich sah, den eine Vorfahrin von ihr vor Jahrhunderten gezeichnet hatte und von dem es hieß, sein Geist spuke hier in den Dünen.

Natürlich war dieser Mann kein Geist. Wahrscheinlich ist er auf der Suche nach einem geöffneten Laden, wo er Muscheln kaufen kann, sagte Pansy sich sachlich und versuchte, die sinnlich romantische Aura der Nacht zu ignorieren. In der Ferne brandeten die Wellen. Brecher krachten auf den Strand, und der Seewind blies ihr die honigblonden Haare ins Gesicht. Auf ihren Lippen schmeckte sie Salz – ein Geschmack, der auch von der nackten Haut des Fremden hätte stammen können. Gerade als sie sich seufzend an die noch sonnenwarme Mauer eines Gebäudes lehnte, erkannte sie, dass der Fremde den Weg einschlug, der in die Dünen führte.

Erhellt vom Schein des zunehmenden Mondes ragten die majestätischen Sandwehen auf und warfen lange Schatten. Der atemberaubende Mann lief in die Dünen, wo er sich aufzulösen und in der Dunkelheit zu verschwinden schien.

Pansy stockte der Atem. Weniger, weil der Mann so groß und stark war, sehnig und muskulös, sondern weil er mit seinem schulterlangen schwarzen Haar und den intensiven, dunklen Augen, mit denen er sie zuvor auf der Gemeindeversammlung in seinen Bann gezogen hatte, tatsächlich das Ebenbild von Jacques O’Lannaise war – des Piraten, der sie bis in ihre Träume verfolgte und seit Jahren ihre Fantasie beflügelte, seit sie zum ersten Mal von ihm gehört und sein Bild gesehen hatte.

Jacques war der Liebhaber von Iris, einer Vorfahrin, gewesen, und nachdem Iris im Meer umgekommen war, hatte Jacques angeblich angefangen, nachts in die Dünen zu gehen, auf der Suche nach Iris, um sie leidenschaftlich im Sand zu lieben.

Pansy versuchte leise zu lachen, doch stattdessen erschauerte sie vor Aufregung. Wenigstens wissen Vi und Lily nicht, dass ich hier draußen bin und einen Touristen verfolge, sagte sie sich in der Hoffnung, dass der Gedanke an ihrer Schwestern sie wieder auf den Boden der Tatsachen brachte. Ihre Schwestern würden ihr ihre Schwärmerei ewig vorhalten. Normalerweise war sie ja auch die Vernünftigste der Hanley-Schwestern. Aber wenn es um Jacques O’Lannaise ging …

„Er kann es nicht sein!“, flüsterte sie mit Nachdruck. Sie war albern! Geister existierten nicht! Dennoch pochte ihr Herz wie verrückt. Wenn sie nicht weiterging, würde sie ihn verlieren! Wie unter Zwang lief Pansy schneller, unfähig, das mysteriöse Gefühl abzuschütteln, ihm unbedingt von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten zu müssen. Schicksal, dachte sie.

Du wirst wirklich verrückt, sagte sie sich im nächsten Moment. Sie war hier draußen in der dunklen Nacht und verfolgte einen Fremden. Da konnte sie nur hoffen, dass er sich nicht umdrehte. Natürlich könnte sie dann nach Hause gehen, ein heißes Bad nehmen und sich mit einem guten Buch entspannen. Denn wenn er sich umdrehte, würde er sich bestimmt als durchschnittlicher Tourist entpuppen. Wahrscheinlich verheiratet und in der Sand Road lediglich auf der Suche nach T-Shirts für seine Kinder. Ja, sobald er sich umdrehte, würde sie ihn besser sehen und feststellen können, dass er überhaupt keine Ähnlichkeit mit Iris’ Zeichnungen von Jacques O’Lannaise besaß.

Aber was sollte sie tun, wenn sie ihn einholte? Pansy schluckte. Sie wusste, was sie am liebsten täte – ihre Fantasien ausleben.

Sie malte sich aus, wie seine Haare ihre Wangen streiften, während er sich zu einem Kuss zu ihr herunterbeugte, wie er sie mit glühendem Blick ansah, wenn sie im Sand lagen und sich auszogen.

Rasch verdrängte sie diese Gedanken und erschrak. Er blieb stehen! Langsam drehte er sich um, sodass sein dichtes schulterlanges Haar in Bewegung geriet. Es war wundervoll, wie dunkles Wasser, in das jemand einen Kieselstein geworfen hatte.

Offenbar hatte er nicht vor, sich weit genug umzudrehen, damit sie in der Dunkelheit sein Gesicht erkennen konnte. Doch eine Sekunde lang hätte sie schwören können, dass er sie mit dem Finger zu sich winkte. Aber das hatte er natürlich nicht getan.

Dreh dich ganz um, beschwor sie ihn in Gedanken. Der Mann war dem Piraten, der seit langer Zeit zur Familienlegende der Hanleys gehörte, wie aus dem Gesicht geschnitten. Sie durfte ihn nicht entkommen lassen. Er ging in die im Mondschein seltsam irreal und kraterähnlich wirkenden Dünen, als wisse er, dass sie ihm folgte. Als wolle er, dass sie sich dort liebten.

Und dann schien der Mann sich in Luft aufzulösen.

1. KAPITEL

Eine Woche vorher

Als Sheila Steele die mit Schnitzereien verzierte Eichentür ihres New Yorker Stadthauses öffnete, das sie mit ihrem Mann bewohnte und in dem sie noch immer täglich die drei Zimmer ihrer längst erwachsenen Söhne sauber machte, strömte die schwüle Sommerhitze ins Haus. Ein paar Strähnen ihrer grauen, hochgesteckten Haare lösten sich, und Sheila strich sie hastig zurück, für den Fall, dass es sich bei dem Besucher um einen weiteren Polizisten aus dem Polizeipräsidium handelte, der mit ihr über das Verschwinden ihres Mannes, Augustus Steele, sprechen wollte. Sie spähte mit angehaltenem Atem hinaus.

Als sie den Mann vor der Tür sah, sank ihr Mut. Es handelte sich um einen verloren wirkenden Touristen in Kakishorts und Hawaiihemd. Er hatte struppige blonde Haare und musterte sie mit seinen dunkelblauen Augen durch eine schwarze Hornbrille. Um den Hals hatte er eine Kamera hängen. Als New Yorkerin mit vier Polizisten in der Familie war Sheila äußerst sicherheitsbewusst. Deshalb würde sie, so leid es ihr auch tat und obwohl er einen ehrlichen Eindruck machte, wie jemand, der in den Straßen der Stadt ausgeraubt werden würde, wenn er nicht aufpasste, den armen Fremden nicht zum Telefonieren ins Haus lassen, falls es das war, was er wollte.

„Kann ich Ihnen helfen?“

Er verdrehte die Augen. „Ich bin’s, Ma. Rex.“

Sie starrte ihn verblüfft an. „Ich habe nicht mal meinen eigenen Sohn erkannt!“ Unter seiner gelungenen Verkleidung war Rex eher der Typ Pirat als Tourist.

„Ich habe mich gleich auf den Weg gemacht, nachdem Sully mich wegen Pop angerufen hat.“

Sheila presste eine Hand auf ihr Herz, während der Mittlere ihrer Söhne in den Flur trat, sie umarmte und ihr einen Kuss gab.

„Mach dir keine Vorwürfe, weil du mich nicht erkannt hast“, fügte Rex hinzu, der seit Jahren undercover arbeitete. „Niemand erkennt mich. Das ist ja gerade Sinn der Sache.“

Sheila musterte denjenigen ihrer Söhne, der am meisten von ihrer Leidenschaft und ihrem Temperament geerbt hatte. „Schwer zu glauben, dass sich irgendwo unter dieser Verkleidung der große gut aussehende Mann verbirgt, den ich zur Welt gebracht habe.“

„So ist es aber“, versicherte Rex. Ohne die Perücke, die Kontaktlinsen und die Wangenpolster hatte er dunkles, ungebändigtes Haar und braune Augen. Seine Wangen waren schmal, seine Lippen voll, sein Körperbau athletisch von Stunden im Fitnessraum des Polizeidepartments.

„Bei meinem großen Fall gab es gestern den entscheidenden Durchbruch“, berichtete er. „Deshalb habe ich den Vormittag mit U-Bahn-Fahren verbracht.“ Seine arglose Erscheinung sollte ihn zum Ziel von Taschendieben machen, die in der U-Bahn Touristen bestahlen.

Sheila lächelte schwach. „Mein Sohn“, sagte sie leise, „das professionelle Opfer. Wie oft bist du heute Morgen ausgeraubt worden, Schätzchen?“

„Drei Mal“, gestand Rex. „Aber ich habe sie alle verhaftet, Ma.“

„Das ist gut.“ Sie holte tief Luft. „Na, komm rein. Die anderen sind alle im Garten.“

Er folgte ihr den langen Flur hinunter. „Die anderen?“

„Deine beiden Brüder. Sullivan war zuerst hier. Und Truman hat seine Freundin, Trudy Busey, mitgebracht.“

„Die, die ich neulich beim Essen hier kennengelernt habe? Von der ‚New York News?“

Sheila nickte. „Truman war gerade bei ihr in der Redaktion, als ich ihn anrief.“ Sie nahm Rex’ Hand. „Ich bin ja so froh, dass du hier bist.“

„Pop geht es sicher gut“, tröstete er sie und schaute zum Licht am Ende des Flurs. Durch die Fliegentür sah er den üppigen Garten, der eine von Sheilas Leidenschaften war.

„Ich kann mir nicht vorstellen, was mit deinem Vater passiert ist.“ Sie seufzte. „Wolltest du morgen nicht in Urlaub fahren?“

„Ja, nach Seduction Island, direkt vor Long Island.“

„Dort ankerte das Boot, ehe es …“

Explodierte. Rex konnte seiner Mutter nicht verdenken, dass sie es nicht auszusprechen wagte. „Pop wusste, dass ich dorthin wollte, sobald ich meinen Fall gelöst habe.“

„Vielleicht wollte er sich dort mit dir treffen“, überlegte sie. „Hat er dir wirklich nicht erzählt, weswegen er dorthin wollte? Oder mit wem? Hat er irgendetwas darüber gesagt, in was er verwickelt ist?“

„Nichts.“

Augustus Steele hatte seine Karriere als Streifenpolizist in Hell’s Kitchen begonnen und war für die Verhaftung von Gangs in Chinatown befördert worden, bis er schließlich im Polizeipräsidium, in der Verwaltung, gelandet war. Da er nicht mehr an der Aufklärung von Kriminalfällen arbeitete, wusste niemand, was er an Bord eines Bootes zu suchen gehabt hatte, das vor Seduction Island, New York, explodiert war. Oder wohin er danach verschwunden war. Falls er noch lebte.

„Wenn er Hilfe gebraucht hätte, hätte er sich an Sully oder Truman gewandt“, meinte Rex, auch wenn dieses Eingeständnis schmerzte. „Das weißt du, Ma.“ Ihr liebevoller Blick verriet ihr tiefes Verständnis. Das Verhältnis zwischen ihm und seinem Vater war nie besonders eng gewesen. „Ich werde tun, was ich kann. Immerhin geht es hier um Pop. Ab morgen habe ich einen Monat frei und kann mich darum kümmern.“

Sheila war bestürzt. „Aber dein Urlaub …“ Sie wusste, dass Rex für die Zeiten lebte, in denen er an unbekannte Strände flüchtete und sich in Hotels unter falschem Namen eintrug, damit niemand ihn finden konnte. Einen Monat im Jahr verfolgte er Interessen, die ganz andere waren als die seines Vaters, seiner Brüder und vieler Polizisten in Manhattan – Lesen, Schreiben, Malen und Kochen. Das waren Hobbys, die er liebte, für die er jedoch von seinem Vater oft als Waschlappen bezeichnet worden war. Nicht, dass sein Vater ihn nicht liebte, aber Augustus hatte strikte Vorstellungen von Männlichkeit, und dazu gehörte ein Interesse für die Künste nun einmal nicht.

„Mein Urlaub spielt keine Rolle“, erwiderte Rex und wünschte, er könnte seine Mutter beruhigen. „Die Familie hat Vorrang. Komm, lass uns hören, was Sully herausgefunden hat.“

Es war nichts Gutes, wie Rex erkennen musste, nachdem er sich mit seiner Mutter an den runden Tisch im Schatten einer Eiche gesetzt hatte. Er sah zu Truman, der in Uniform gekommen war, und dann zu seinem älteren, im Anzug erschienenen Bruder Sullivan, der Captain des nächsten Polizeireviers war. Beide Brüder waren mit ihren hellbraunen Haaren und whiskeyfarbenen Augen Augustus wie aus dem Gesicht geschnitten. Rex ähnelte eher Sheila. Ihr Haar war genauso dunkel gewesen, bevor es grau wurde, wie seins.

„Mein Boss Dimi weigert sich, den Artikel zu drucken, den ich über eure Familie und die New Yorker Polizei geschrieben habe“, berichtete Trudy empört. Eine Brise wehte ihr die blonden Haare ins Gesicht. „Er sollte morgen in der News erscheinen, aber Dimi will nichts drucken, ehe er sicher ist, dass Mr Steele nichts Falsches getan hat.“ Sie stöhnte frustriert. „Ich kann es nicht fassen! Euer Name sollte gerade jetzt in der Zeitung stehen. Wir müssen herausfinden, was passiert ist!“

Rex betrachtete die Freundin seines Bruders, die Reporterin war. Zusammen mit den Neuigkeiten über seinen Vater hatte Rex erfahren, dass Truman und Trudy den Fall gelöst hatten, der in den Schlagzeilen nur der „Glasschuh-Fall“ genannt wurde. Dem Leuchten in Trudys Augen nach zu urteilen, sobald sie Truman ansah, hatte sie sich bei ihrer gemeinsamen Arbeit in ihn verliebt. Trotz der Umstände freute Rex sich für seinen Bruder.

„Worum ging es in dem Artikel?“, fragte er.

„In den letzten zwei Wochen hat Trudy mich auf Streife begleitet“, erklärte Truman. Er stand auf und begann auf und ab zu gehen, die Hände auf dem Polizeiknüppel und dem Pistolenholster. „Dabei haben wir den Glasschuh-Fall gelöst. Der Artikel sollte Werbung für die New Yorker Polizei sein. Du weißt schon, ein Tag im Leben eines Polizisten. Heute Abend sollte er gedruckt werden.“

„Ich erinnere mich, dass du es erwähnt hast“, meinte Rex.

„Ich arbeitete mit Truman gerade an dem Artikel, als Sheila anrief“, sagte Trudy und sah zu ihr. „Es tut mir leid, dass ich heute bei meinem ersten Besuch hier so wütend geworden bin.“

Rex interessierte weniger, was zwischen den beiden Frauen los gewesen war als vielmehr das Verschwinden seines Vaters. „Du meinst, sie halten die Story bewusst zurück?“

Truman nickte und trat hinter Trudy. Er legte ihr die Hände auf die Schultern und begann, sie zu massieren. „Es geht das Gerücht um, Pop sei bestechlich.“

„Lächerlich!“, rief Sheila. „Als Trudy vorhin vorbeikam, erhielt ich gerade einen Anruf vom Polizeipräsidium. Sie haben nicht mal die Höflichkeit besessen, persönlich vorbeizukommen, um mir mitzuteilen, dass er verschwunden ist! Dabei ist er seit dreiunddreißig Jahren bei der Polizei! Er hat nie auch nur einen Cent über seinen Gehaltsscheck hinaus genommen, aber sie haben mich ganz bis in die Innenstadt fahren lassen, um mir zu erzählen, er sei … er sei …“

Rex legte seine Hand auf ihre. „Ist schon gut, Ma. Sie haben es bestimmt nicht so gemeint.“

Sullivan wirkte nicht überzeugt. Er schob die Hände in die Hosentaschen und lehnte sich an die Eiche. Rote Linien in der Rinde markierten die zunehmende Größe der Brüder als Kinder. Heute, mit sechsunddreißig, überragte Sullivan weit alle Markierungen. „Diese Frau aus der Dienststelle interne Ermittlungen, die mir auch schon im Nacken saß, leitet die Untersuchungen.“

Rex fluchte leise. „Judith Hunt?“

„Ja“, bestätigte Sullivan. „Laut ihrer Aussage fehlt das Geld aus den Bürgerspenden. Sie ist mit einem Team auf Seduction Island, um nach den Überresten des Bootes zu tauchen.“

„Das Bürgerspendenkonto wurde eingerichtet, damit die Bürger der Polizei persönliche Spenden zukommen lassen können, ohne dass es wie Bestechung aussieht“, erklärte Trudy.

„Glauben die wirklich, euer Vater könnte öffentliche Gelder stehlen?“, flüsterte Sheila. „Nach so vielen Jahren treuen Dienstes?“

Sullivan seufzte. „Ich sage es nur ungern, aber Pop wurde dabei gefilmt, wie er Geld von der Bank abhob.“

Sheila war benommen. „Dein Vater hat Geld abgehoben?“

Sullivan fuhr ernst fort: „In Anbetracht einiger Tragödien, die wir in Manhattan erlebt haben, war das Konto voller denn je. Es waren etwa sieben Millionen Dollar drauf.“

Sheila taumelte. „Wie bitte? Und die Bank lässt ihn öffentliche Gelder in dieser Höhe abheben? Da muss ein Missverständnis vorliegen. Er würde nie …“

„Er hat das Geld von der Citicorp auf ein anderes Konto überwiesen und es dann von dort in zwei Koffern abgeholt“, sagte Sullivan. „Er hat mit den Nummern der Konten gearbeitet, als seien sie ihm völlig geläufig.“

Sheila starrte ihn an. „Er hat das Geld in Koffern abgeholt? Das ist unmöglich. Euer Vater könnte etwas Derartiges niemals tun. Er ist Polizist. Er wüsste doch, wie das aussehen würde.“

„Das Videoband belastet ihn ja auch“, erklärte Sullivan.

Verzweifelt flüsterte Sheila: „Und wenn er jetzt tot ist?“

„Ach komm schon“, sagte Rex sanft tadelnd. „Pop ist zu zäh zum Sterben.“

„Da hast du recht“, pflichtete Truman ihm bei.

„Wir werden die ganze Sache aufklären“, versprach Sully.

„Ich fass es einfach nicht.“ Trudy legte ihre Hände in Trumans. „Er ist Vermögensverwalter im Polizeipräsidium. Er arbeitet nicht einmal an der Aufklärung von Fällen. Die einzige logische Erklärung ist, dass er bei seiner Arbeit auf etwas gestoßen ist.“

Rex hob eine Braue. „Zum Beispiel worauf?“

Trudy zuckte die Schultern. „Wer weiß?“

Rex fuhr sich durch die blonde Perücke und wünschte, sie würde in der Sommerhitze nicht so jucken. „Selbst wenn Pop, zum Beispiel, entdeckt hat, dass jemand das Geld vom Bürgeraktionskonto falsch verwaltet hat, wäre es eine ziemlich seltsame Lösung des Problems, es selbst an sich zu nehmen. Er musste doch wissen, dass die Videokamera ihn dabei festhält. Andererseits“, überlegte Rex, „vielleicht hat er sich absichtlich filmen lassen. Wieso war das Geld eigentlich noch nicht investiert? Ist das nicht die Aufgabe des Verteilungskomitees?“

Sullivan runzelte die Stirn. „Das sind alles gute Fragen, Rex. Aber Tatsache ist, dass wir keinerlei brauchbare Hinweise darauf haben, was genau passiert ist. Zumindest noch nicht. Alles, was man mit Sicherheit weiß, ist, dass das Boot, das explodiert ist, Destiny hieß und im Jachtklub von Manhattan lag und dass Dad an Bord war, als es ablegte.“

„Das ist ein teurer Anlegeplatz. Donald Trump und Henry Kravis haben dort Boote. Wem gehörte die Jacht?“, fragte Rex.

„Sie war unter falschem Namen registriert“, antwortete Sullivan. „Ich bin noch auf der Suche.“

Rex schüttelte den Kopf. „Wir müssen das herausfinden.“

„Und ob euer Vater noch am Leben ist“, fügte Sheila mit zitternder Stimme hinzu.

„Es sind keine Leichen gefunden worden“, erinnerte Rex sie.

Als alle schwiegen, ließ Rex den Blick nachdenklich durch den Garten wandern. Sheila hatte das in der Bank Street in West Village gelegene Haus von ihrer Familie geerbt. Von vorn wirkte es trotz der freundlich grünen Fensterläden eher düster. Der Garten jedoch war wie eine andere Welt. Fern vom Verkehr und Lärm der Straßen blühten dort farbenprächtige Blumen, die Sheila pflegte, wann immer ihrer Vereinsarbeit ihr Zeit dazu ließ.

Im Stillen verfluchte Rex seinen Vater. Wieso nahm er nicht wahr, wie oft sich Sorgenfalten in das Gesicht seiner Frau gruben? Sie gab sich solche Mühe, ihnen ein schönes Leben zu bieten. Und jetzt das. Während er in den Garten ging, wo sie als Kinder gespielt hatten, hatte er die Stimme seines Vaters im Ohr. „Wir müssen dich abhärten, Rex. Wenn du zur Polizei gehst, wollen wir doch nicht, dass sie dich für einen Schwächling halten, oder?“

Nein. Aus dem Grund war er auch besonders zäh geworden. Er besaß eine Narbe von einem Messerkampf auf der Lower East Side. Einen schwarzen Gürtel in Karate. Hatte Beförderungen für Tapferkeit erhalten und schoss besser als jeder Polizist in Manhattan. Doch tief in seinem Innern war Rex ein Romantiker, kein Kämpfer. Er war es, nicht seine Brüder, der sich an die Angst ihrer Mutter erinnerte, wenn Augustus es von Observierungen nicht nach Hause geschafft hatte. Und dann die qualvollen Minuten oder Stunden, die zwischen der Nachricht vergingen, dass ein Cop bei der Ausübung seines Dienstes getötet worden war, und der Gewissheit, dass es sich nicht um Augustus handelte. Höchstwahrscheinlich war es so, wie Trudy vermutete: Augustus war auf einen Betrug gestoßen und hatte im Alleingang versucht, den Schuldigen zu fassen.

Jetzt musste er, Rex, ihn finden. Das sind völlig andere Umstände als bei unserem letzten Treffen, zu dem Ma uns zusammengerufen hat, dachte er reumütig. Erst vor wenigen Wochen hatte ihre Mutter einen der größten Lotteriegewinne in der Geschichte New Yorks gemacht, und getrieben von ihrem guten Herzen und dem sehnlichen Wunsch, ihre Söhne glücklich verheiratet zu sehen, hatte sie ihnen ein unvorstellbares Angebot gemacht. Falls Sullivan, er und Truman über das Geld Stillschweigen bewahrten und innerhalb von drei Monaten heirateten, würde sie die fünfzehn Millionen Dollar zwischen ihnen aufteilen. Andernfalls wollte sie das Geld einer Naturforschungsstation auf den Galapagosinseln spenden.

Sie hatte an diesem Tag wunderschön ausgesehen. Ihre Augen hatten humorvoll gefunkelt, und im Gegensatz zu dem formellen grauen Kostüm, das sie für den heutigen Besuch im Polizeipräsidium angezogen hatte, hatte sie an jenem Tag eine Weste mit winzigen Spiegeln und einen hell gemusterten Rock getragen, ihre übliche Kleidung für die Gemeindearbeit.

Rex erinnerte sich noch deutlich an Trumans Worte, sobald die Brüder allein gewesen waren. „Fünfzehn Millionen! Das sind fünf für jeden.“

Sullivan hatte den Kopf geschüttelt. „Wenn Ma uns nicht den amtlichen Bescheid von der Lotterie gezeigt hätte, hätte ich es nicht geglaubt.“

Er hatte gelacht. „Sei nicht so misstrauisch, Sully. Wir reden hier über Ma, nicht über irgendeine Verrückte, die spinnt.“

„Na, ich weiß nicht“, hatte Truman entgegnet. „Verlangt Ma nicht von uns, dass wir jeder eine Ehefrau finden? Und droht sie nicht, dass sie das ganze Geld einer Stiftung schenkt, die Riesenschildkröten rettet, falls uns das nicht gelingt?“

„Sie retten auch Meeresleguane“, hatte er ergänzt.

„Und vergiss nicht die flugunfähigen Kormorane“, hatte Sullivan gesagt.

„Ach ja, die flugunfähigen Kormorane“, hatte Truman leise wiederholt.

Sie hatten sich entsetzt angesehen, um dann in brüllendes Gelächter auszubrechen und sich die Tränen aus den Augen zu wischen.

Aber von ihm, von Rex, aus konnten die Galapagosinseln das Geld ruhig haben. Genau wie seine Brüder war er mit Geschichten über die geheimnisvollen Vulkaninseln vor der Küste Ecuadors aufgewachsen. Dicht vor einem Festland, das reich war an Geschichten über Inkakrieger, Amazonasforscher und spanische Eroberer, war die Natur auf den Inseln nahezu unberührt geblieben und zu einem Zuhause für Wildtiere geworden, die es nirgendwo sonst auf der Welt noch gab. Er hatte viele Sommerferien an den steinigen Stränden verbracht und die Tiere gezeichnet.

„Wir können in drei Monaten keine Seelenverwandte finden“, hatte er an jenem Tag erklärt.

„Mom sagte Ehefrau, nicht Seelenverwandte“, hatte Truman erwidert.

Aber das wäre für ihn, Rex, untrennbar miteinander verbunden. Vielleicht weil er ein Mann des Gesetzes war, würde er eine Verbindung wollen, die über die rein rechtliche Besiegelung der Beziehung hinausging. Mehr noch, die Seelenverwandtschaft wäre ihm wichtiger als der Trauschein.

Er wollte etwas Geheimnisvolles, Romantisches, Poetisches. Die Seele aufwühlenden Sex. Eine Geliebte, deren warmer Körper mit seinem verschmolz und die sein Herz eroberte. Jedes Jahr von Neuem stellte er sich vor, diese Frau zu finden. Dieses Jahr, als er sich für Seduction Island entschieden hatte, hatte er sich ausgemalt, wie er ihr bei seinen Wanderungen durch die Dünen nahe dem Strand begegnete und sie im heißen Sand liebte, während die Brandung ihre nackten Körper umspülte.

Nicht, dass das jetzt wichtig war. Natürlich hätte er seine Mutter gern mit der Nachricht beglückt, dass er jemanden gefunden hatte. Aber sein Vater war verschwunden, und das bedeutete, dass er auf Seduction Island nach ihm suchen würde – nicht nach der Liebe.

Im Stillen verabschiedete sich Rex von seiner einen Monat dauernden Auszeit, die er sich einmal im Jahr gönnte. Wenigstens hatte er seine Post bereits zur Casa Eldora umleiten lassen, der kleinen Hütte, die er auf Seduction Island unter dem Namen Ned Nelson gemietet hatte. Laut Aussage der Maklerin mit der erotischen Stimme, Pansy Hanley, war das am Strand gelegene Haus auf Stelzen gebaut und seine Dachschindeln verwittert. Die Hütte lag zwischen unwirklich anmutenden hohe Dünen. Sie war über einen privaten Muschelkalkweg zu erreichen und lag abseits der Straße, der Sand Road, aber dennoch mit Blick zum Ozean.

Wie oft hatte er mit Pansy gesprochen? Rex konnte sich nicht mehr erinnern. Aber sie hatten sich gut verstanden. Sobald sie sich kennenlernten, hatte er das tun wollen, was er stets im Urlaub tat – seine Maske fallen lassen. Auf jede Verkleidung verzichten. Seine Waffe gegen eine Angelrute eintauschen. Er würde Pansy Hanley zum Abendessen in die Casa Eldora einladen, und vielleicht würde sich sogar mehr daraus ergeben. Doch die Situation war eine andere geworden.

Rex drückte die Hand seiner Mutter. „Falls Pop dort ist, werde ich ihn finden, Ma. Mach dir keine Sorgen.“

Keine Frage, er würde ziemlich beschäftigt sein auf Seduction Island, nur leider nicht mit Verführung. So viel zu seiner diesjährigen Hoffnung, Pansy Hanley könnte sich als die Frau seiner Träume entpuppen.

Autor

Jule Mc Bride
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