Die Ärztin und der Wüstensohn

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"Ja, ich helfe. Wenn du meinen Neffen heiratest." Die junge Ärztin Kate ist sprachlos. Der Sultan von Amberach will, dass sie Fareed heiratet? Sie ist doch keine gekaufte Braut! Doch die Not ihrer Eltern ist groß, und da ist Fareeds sinnliche Ausstrahlung, heißer als die Wüste …


  • Erscheinungstag 31.10.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733719760
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

Fareed ibn Jadym ibn Mustaffah Faruke betrachtete die endlos grüne Landschaft, die sie gerade durchfuhren, mit Abscheu. Eigentlich hatte er nichts gegen Grün. Er liebte das glänzende Grün der Dattelpalmwedel in einer Oase, wie es einen leuchtenden Kontrast mit dem roten Wüstensand bildete.

Aber überall Grün, abgesehen von den schlampig lackierten weißen Zaunpfählen, die die Zufahrt säumten?

Was wollte sein Onkel Ibrahim auf diesem heruntergewirtschafteten Gestüt? Es lag meilenweit entfernt von der nächsten Stadt, dort, wo Ibrahim und er in einem Hotel abgestiegen waren.

Gut, sein Onkel wollte ein Pferd kaufen, und Fareed sollte sich das Tier erst ansehen. Aber hätte man nicht das Pferd zu ihnen bringen können? Normalerweise machte Ibrahim nicht solche Umstände, auch wenn er Pferde über alles liebte.

Irgendetwas führte sein Onkel im Schilde, und Fareed ahnte, dass es mit ihm zu tun hatte. Warum sonst hätte Ibrahim darauf bestanden, dass er ihn nach Australien begleitete?

Nur um ein Pferd zu kaufen?

Und warum hatte Thalia vor der Reise so viel Zeit mit seinem Onkel verbracht? Das alte Weib lebte irgendwo in den Palastgründen und sollte angeblich aus Zeichen im Sand oder Öltropfen im Wasser die Zukunft lesen können. Thalia behauptete, eine kahin zu sein, die Nachfahrin von Wahrsagerinnen, deren Linie bis in uralte Zeiten zurückreichte.

Fareed konnte kaum glauben, dass sein Onkel die Prophezeiungen einer angeblichen Hellseherin tatsächlich ernst nahm. Ibrahim hatte in Oxford studiert und besaß einen Wirtschaftsabschluss von Harvard!

Er hätte seinen Onkel gern gefragt, aber leider saß der in einem anderen der vier Wagen, die nun in einer Kolonne zum Gestüt fuhren. Plötzlich erregte eine Bewegung Fareeds Aufmerksamkeit, und er sah aus dem Wagenfenster.

Die Grübeleien waren augenblicklich vergessen.

Ein rassiges Pferd von der Farbe dunklen Karamells mit fast weißer Mähne galoppierte auf der anderen Seite des Zauns den sanft geschwungenen Hügel hinauf. Tief über den Pferdehals gebeugt, saß eine schlanke Frau mit flammend roten Haaren, die im Wind flatterten. Sie schien den wilden Ritt zu genießen. Es wirkte, als seien Pferd und Reiterin eins, so elegant jagten sie dahin.

Hätte jemand diese Szene auf ein Gemälde gebannt, Fareed hätte dem Bild den Titel „Freiheit“ gegeben. Er selbst sehnte sich nach Freiheit, doch sein Pflichtgefühl war stärker. Oh ja, für den Moment war er glücklich, im Krankenhaus zu arbeiten, den geliebten Beruf auszuüben, gebraucht zu werden. Aber er war dazu bestimmt, seinem Onkel auf den Thron des Sultans nachzufolgen. Trotzdem hoffte er, zumindest zeitweise als Arzt arbeiten zu können – neben den Pflichten seinem Volk gegenüber, dem er helfen musste, mit einer sich rasch verändernden Welt zurechtzukommen.

Jetzt löste der Anblick der Reiterin auf ihrem stolzen Pferd ein wenig Fareeds innere Anspannung. Sein Onkel gab ihm ständig den Rat, die Gelegenheit zu nutzen und die letzten Tage ihrer Reise einfach zu genießen. Wie einen Urlaub. Und mal ehrlich, war das viele Grün wirklich so unangenehm?

Der Mann, auf den Kates Mutter ihre Hoffnungen setzte, kam mit vier schimmernden schwarzen Limousinen angefahren.

Irgendein Herrscher aus den Golfstaaten, den Worten ihrer Mutter nach.

Die teuren Luxuskarossen erweckten den Eindruck von unendlichem Reichtum. Aber auch ein Betrüger kann protzig auftreten, wenn er beeindrucken will, dachte Kate.

Wirst du jetzt zynisch, fragte sie sich gleich darauf.

Nein, sie war nicht zynischer als jede andere Zweiunddreißigjährige, die mit einem geliebten Vater aufgewachsen war, der immer überzeugt gewesen war, schon bald das große Glück zu machen. Oder als jede andere Frau, die vor nicht allzu langer Zeit von ihrem langjährigen Geliebten verlassen worden war, weil der nicht verstanden hatte, dass sie nach dem Tod ihres Vaters zu ihrer Mutter zurückkehren wollte, anstatt am anderen Ende der Welt bei ihm zu bleiben.

Kate wendete Marac und ritt zurück zu den Ställen. Mum würde dem hohen Besuch bestimmt Tee anbieten. Sie hatte also noch Zeit genug, das Pferd zu striegeln und in seine Box zu bringen, bevor die Gäste ihre Besichtigungstour begannen.

Während sie Marac den Hügel hinablenkte und die dunklen Wagen auf die Auffahrt zuhalten sah, dachte sie an die Zukunft. Wenn dieser Mann das Gestüt rettete, würde sie dann wieder in die USA gehen, zu Mark? Zu einem Mann, der so wenig Mitgefühl besaß?

Auf keinen Fall! In den zwei Monaten, seit sie wieder hier war, hatte sie genug Zeit gehabt, den Mann, den sie zu lieben geglaubt hatte, so zu sehen, wie er wirklich war.

Wenn der Herrscher vom Golf Tippy nicht kaufte, stand ihre Zukunft mehr denn je in den Sternen.

Kate versuchte, ihr Zuhause mit den Augen ihrer Gäste zu sehen: saftige grüne Weiden, Schatten spendende Eukalyptusbäume, rassige Pferde. Ein kleiner Fluss mäanderte durchs Tal, und nicht weit davon stand das alte Haus, aus Steinen erbaut, die vor hundert Jahren aus dem Fluss geholt worden waren.

Das Erbe ihrer Mutter … Nein, im Grunde war es Billys Erbe.

1. KAPITEL

Das Bild von der rothaarigen Reiterin stand Fareed noch lebhaft vor Augen, als die Wagen auf dem großen gepflasterten Vorplatz hielten. Eine Frau mittleren Alters wartete am Tor auf sie und kam nun näher.

Der Fahrer öffnete bereits Ibrahims Tür, während die Leibwächter aus den anderen Wagen sprangen und einen menschlichen Schutzwall um ihn bildeten.

Wollte Ibrahim die Leute beeindrucken?

Fareed bezweifelte es, denn Ibrahim war ein sehr bescheidener Mann, der selten einmal seine Position herausstrich. Nein, es musste noch mehr hinter dieser Reise stecken als nur der Pferdekauf, nur wusste er absolut nicht, was.

„Ich bin Sally Walker. Willkommen auf dem Gestüt Dancing Water.“ Die Frau lächelte charmant, klang aber nervös, und ihre Hand bebte leicht, als sie sie Ibrahim hinhielt. Zu Fareeds großer Überraschung nahm sein Onkel sie nicht nur, sondern hob sie zum Mund und hauchte einen Kuss darauf.

Sally Walker errötete tief, und sie tat Fareed kurz leid.

„Sultan Ibrahim ibn …“ Sein Onkel unterbrach sich und lächelte Sally an. „Den Rest brauchen Sie nicht zu wissen. Wir kennzeichnen den Sohn eines Mannes mit ibn, und dann folgt wieder ein ibn, weil auch dieser der Sohn eines Vaters ist. Es würde eine ganze Woche dauern, Ihnen meinen vollen Namen zu nennen. Sagen Sie bitte Ibrahim.“

Wie bitte? Ibrahim kehrte also den Charmeur heraus. Fareeds Misstrauen wuchs.

„Möchten Sie vielleicht einen Tee oder ein kaltes Getränk?“, bot ihre Gastgeberin an.

„Später vielleicht, meine Liebe“, erwiderte Ibrahim. „Zuerst würden wir gern die Pferde sehen.“

Die Frau ging ihnen voran zu den Ställen. „Das Gestüt wurde von meinen Urgroßeltern aufgebaut“, erklärte sie. „Damals lag der Schwerpunkt auf der Zucht. Als dann mein Großvater das Anwesen übernahm, beschloss er, es mit dem Training zu versuchen, und er war sehr erfolgreich damit. Er fand es besonders faszinierend, seine eigenen Pferde zu trainieren. Und das muss er an meinen Vater und an mich vererbt haben.“

Sie erreichten die breite Tür zu einem langen, niedrigen Gebäude, in dem es nach Heu, Pferden, Sattelzeug und Lederfett roch. Zufällig fiel ein Sonnenstrahl in den schattigen Bereich, wo eine schlanke Frau hingebungsvoll den Palomino striegelte, den Fareed vorhin gesehen hatte. Das warme Sonnenlicht ließ Frau und Pferd wie auf dem Bild eines alten Meisters erscheinen, das tizianrote Haar der Frau leuchtete auf.

Wie gebannt von dem Anblick blieb Fareed stehen. Er hörte seinen Onkel scharf nach Luft schnappen. Als er zu ihm hinübersah, nickte Ibrahim, als wäre er zutiefst zufrieden.

Diese Australienreise wurde immer mysteriöser.

Oh, da sind sie schon, und ich bin nicht fertig.

Kate bürstete noch einen Strich und richtete sich auf. Sicher hatte sie Stroh im Haar und Schmutzstreifen im Gesicht, und bestimmt roch sie nach Pferd. Wichtiger war jedoch, an der Seite ihrer Mutter zu sein, wenn verhandelt wurde.

Sie führte Marac in seine Box, vergewisserte sich, dass er Futter und Wasser hatte, und schloss die Tür. Dann fuhr sie sich mit dem Taschentuch über Gesicht und Hände und ging, die Besucher zu begrüßen.

Eine Gruppe düsterer Kerle umstand einen Mann, der etwas kleiner war als sie. Alle trugen Maßanzüge und machten grimmige Gesichter. Außer einem, der die anderen noch überragte – hochgewachsen, bronzener Teint und unglaublich gut aussehend. Allerdings trug er eine verächtliche Miene zur Schau. Sein Anzug war von deutlich besserer Qualität, und die breiten Schultern verdankte er nicht seinem Schneider. Prüfend sah sie ihn ein zweites Mal an. Mit der schmalen, geraden Nase, der hohen Stirn und dem willensstarken Kinn hatte er ein absolut klassisch geschnittenes Gesicht.

Die Lippen hast du vergessen, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf, aber das stimmte nicht. Besonders die Lippen hatten ihre Aufmerksamkeit erregt …

Und noch immer lag diese leichte Verachtung auf seinem Gesicht.

Vielleicht fand er es unter seiner Würde, ein unbedeutendes Gestüt zu besuchen?

„Dies ist meine Tochter Kate“, stellte ihre Mutter sie vor. „Kate, das ist Sultan Ibrahim ibn …“ Sie brach ab und lächelte nervös.

Kate reichte dem Sultan spontan die Hand – trugen Sultane nicht einen Turban? Doch dann fiel ihr ein, wo sie gewesen war. Rasch zog sie die Hand zurück.

„Tut mir leid, ich rieche nach Pferd. Ich hatte gedacht, ich würde fertig, bevor Sie kommen, aber Marac brauchte Bewegung. Zudem war es ein so schöner Morgen, dass ich nicht widerstehen konnte.“

Hoffnungsvoll lächelte sie den Sultan an, der nicht nur zurücklächelte, sondern auch vor dem Pferdeduft nicht zurückwich.

„Also, lassen Sie sich nicht von Ihrem Rundgang abhalten. Ich bleibe in der Nähe, falls Mum mich braucht.“

Sie ging an den Männern vorbei, ohne ihnen in die Gesichter zu blicken. Nur bei Mr. Gutaussehend konnte sie es nicht lassen. Weil sie einen Blick auf seine Lippen werfen wollte? Der große, athletische Mann übte eine besondere Anziehungskraft aus, der sie sich nicht entziehen konnte.

Warum, das wusste sie nicht. Er schaute immer noch verächtlich in die Gegend. Oder war es Abscheu, weil sie so stark nach Stall roch?

Konnte sie schnell ins Haus laufen und duschen?

Bist du verrückt? Was geht dich dieser Mann an? Außerdem durfte sie jetzt nicht so einfach verschwinden. Nicht wenn ihre Mum sie vielleicht brauchte.

Oder Billy.

Wo war Billy eigentlich?

Der Schmerz verging nie ganz, nistete in einer Ecke ihres Herzens – dieser Schmerz, der Billy war, der sanfte, empfindsame, in allem so langsame Billy. Er erinnerte sie an die Probleme, die vor ihnen lagen.

Ibrahim war vor einer halb geöffneten Box stehen geblieben und sprach ruhig auf den Wallach ein, der neugierig seinen Kopf herausstreckte. Soweit sie hören konnte, sprach er nicht Englisch, aber das Tier schien ihn zu verstehen und ließ sich sogar streicheln.

„Shamus hat im örtlichen Rennen der Zweijährigen gut abgeschnitten. Er ist der ältere Bruder von Tippy – ich meine, von Dancing Tiptoes.“

Das junge Pferd wandte seinen Kopf zu Kates Mutter und schnupperte an ihrem Haar.

„Haben Sie schon einmal versucht, ihn bei größeren Rennen laufen zu lassen?“, erkundigte sich einer der Begleiter – der große mit der fast hochmütigen Miene.

Sally schüttelte den Kopf. „Seit …“ Sie sprach nicht weiter, und Kate, die genau wusste, unter welchem Druck ihre Mutter in dieser Situation stand, griff ein.

„Seit mein Vater vor zwei Monaten gestorben ist, wollte meine Mutter keine größeren Reisen unternehmen“, wandte sie sich direkt dem Mann zu. In seinen Augen stand eine Herausforderung, ein Blick, der ihr durch und durch ging. „Und logistisch ist es zudem schwierig, denn einer unserer Stallburschen wurde bei demselben Unfall getötet, bei dem auch mein Vater ums Leben kam. Auch wenn ich jetzt hier bin, sind wir knapp an Arbeitskräften.“

Die fast schwarzen Augen musterten sie intensiv.

Misstrauisch?

Kate schüttelte die aufkommende Unsicherheit ab und konzentrierte sich auf die Hauptperson – Ibrahim.

„Wenn ich mich zum Kauf von Dancing Tiptoes entscheide und ihn auf internationaler Ebene laufen lassen will, muss ich mir dann einen anderen Trainer suchen?“, wollte Ibrahim wissen.

„Kommen Sie, und sehen Sie ihn sich an“, sagte Kate, entschlossen, den anderen Mann zu ignorieren. „Über Trainingsmöglichkeiten sollten wir vielleicht erst reden, wenn er Ihnen gefällt.“

Aber wem würde er nicht gefallen, dachte sie und bekam Magendrücken bei dem Gedanken, Tippy zu verlieren.

Billy rannte draußen auf der Koppel neben Tippy her. Die beiden waren unzertrennlich.

„Das ist mein Sohn Billy“, stellte Sally ihn vor, und Ibrahim nickte, nachdem er einen kurzen, prüfenden Blick auf ihn geworfen hatte.

Sallys Pfiff lockte Tippy ans Gatter, und Billy folgte langsamer, seine angeborene Scheu vor Fremden hielt ihn zurück. Oder begriff er viel mehr, als Kate und ihre Mutter dachten, nämlich dass es um Tippys Zukunft ging?

Sally griff in ihre Hosentasche, aber Ibrahim war schneller und zog aus seinem Maßanzug einen kleinen rosaroten Apfel hervor.

„Darf ich?“, sagte er zu Sally, die nickte und ihre Zuckerwürfel wieder in die Tasche zurückschob.

Beinahe so argwöhnisch wie Billy musterte Tippy den Fremden, dann warf er den Kopf zurück, schnaubte, senkte den Kopf wieder und nahm den Apfel vorsichtig mit den Lippen aus der offenen Hand des Mannes.

„Äpfel mag er am liebsten.“ Billy war langsam näher gekommen und stand nun neben dem Pferd. Sein schmales Gesicht verriet, wie sehr er Tippy liebte.

„Ich auch“, erwiderte Ibrahim. „In meinem Land wachsen keine Äpfel. Deswegen esse ich jedes Mal so viele, wie ich kann, wenn ich hier bin.“

„Wo ist das Land denn?“

„Es heißt Amberach und liegt weit entfernt auf der anderen Seite der Welt. Mit Australien verglichen, ist es ein sehr kleines Land.“

„Sind Sie mit dem Flugzeug hergekommen?“

Kate spürte, dass ihre Mutter sich anspannte. Wenn Billy erst einmal anfing zu reden, konnte es Stunden dauern, ehe er wieder aufhörte. Sollte sie eingreifen?

Aber Ibrahim zeigte keine Ungeduld, einfach nur ein freundliches, offenes Gesicht.

„Ja, mit dem Flugzeug.“

„Flugzeuge mag ich am zweitliebsten. Dad hat immer gesagt, irgendwann darf ich mit den Pferden im Flugzeug fliegen, aber Dad ist tot, wissen Sie.“

„Ja, das weiß ich“, antwortete Ibrahim sanft, während Kate den Atem anhielt. Bitte, biete ihm keinen Flug an, besonders nicht, wenn du es nicht ernst meinst, flehte sie stumm.

Aber Ibrahim blickte wieder Tippy an. Wollte er Billy ablenken?

„Könnten Sie ihn noch einmal für mich herumlaufen lassen?“, bat er Billy. Der nickte eifrig, stieß einen Pfiff aus, und gleich darauf galoppierte Tippy auf der Koppel um Billy im Kreis herum, mit einer Leichtigkeit, als hätte er Flügel.

„Ein wirklich wundervoller Anblick“, murmelte Ibrahim. Er wandte sich an einen seiner Begleiter. „Er erfüllt alle meine Erwartungen. Genauso, wie du ihn beschrieben hast.“

Der Mann nickte.

„Darf ich Ihnen jetzt etwas zu trinken anbieten?“, fragte Kate und gab sich Mühe, ihre Aufregung zu verbergen. Ihre Mutter wirkte weniger erfreut als vielmehr zwiegespalten.

Tippy zu verkaufen war eine Sache, denn das Geld würde das Gestüt retten. Aber auf der anderen Seite war da der Traum ihrer Mutter, das Pferd weiter trainieren zu dürfen.

„Wir würden uns gern noch die anderen Pferde ansehen, dazu die Trainingsbahn und die spezielle Hügelstrecke, von der ich gehört habe“, sagte Ibrahim. „Dancing Tiptoes wurde hier gezüchtet, oder? Ist seine Mutter noch auf dem Gestüt?“

„Sie ist wieder trächtig und bei den anderen Stuten. Wenn sie trächtig sind, mögen sie Gesellschaft. Gehen wir hier entlang, bitte.“

Sally ging voran, Ibrahim dicht hinter ihr, und Kate und die Begleiter folgten.

„Haben Sie das Pferd schon vorher gesehen?“, fragte sie den Mann neben sich – den, an den Ibrahim sich gerade gewandt hatte.

„Ja, nach der Beerdigung Ihres Vaters. Ich war zufällig mit anderen Interessenten hier“, erwiderte er ruhig. „Ich weiß, es ist spät für ein Beileid, aber es tut mir wirklich leid, dass Sie ihn verloren haben.“

Kate bedankte sich und blieb ein wenig zurück, denn seine unerwartete Freundlichkeit verwirrte sie. Die Erinnerungen an die Beerdigung waren verschwommen wie ein böser Traum. Sie sah lange Reihen von Wagen und viele Menschen vor sich, erinnerte sich daran, dass sie Billy und ihrer Mutter eine Stütze hatte sein wollen und doch selbst von Schmerz überwältigt gewesen war.

Die Wahrheit war, dass eher Billy für sie und ihre Mutter eine Stütze gewesen war.

Vielleicht würde er mehr Verständnis für den Verkauf haben als gedacht. Wenn er dann seine Liebe einem neuen Fohlen zuwenden könnte …

„Kate!“

Der angstvolle Ruf ihrer Mutter riss sie aus ihren Gedanken. Nun erst bemerkte sie, dass die anderen schon ziemlich weit voraus waren. Sie rannte zur Koppel, auf der die trächtigen Stuten weideten, drängte sich durch die anderen und sah den hochgewachsenen Mann, der – mit fast zugeschwollenen Augen und hochrotem Gesicht – wie wahnsinnig an Krawatte und Kragen zerrte. Dabei stieß er etwas hervor, das sie nicht verstand.

„Er will ein Messer“, sagte einer der Männer, als Kate den Mann packte und zu Boden zu drücken versuchte.

„Rufen Sie einen Krankenwagen! Die Nummer ist dreimal die Null. Und Sie …“ Sie deutete auf den Nächststehenden. „Laufen Sie zu den Ställen, und holen Sie unseren Erste-Hilfe-Koffer. Fragen Sie einen der Stallburschen.“

Der keuchende Mann versuchte immer noch, etwas zu sagen, deutete auf seine Kehle, gab aber nur gurgelnde Geräusche von sich.

„Wie heißt er?“, wollte Kate von Ibrahim wissen, der so bleich war, dass sie fürchtete, gleich den zweiten Patienten zu bekommen.

„Fareed“, flüsterte Ibrahim.

„Machen Sie sich keine Sorgen, es wird alles gut“, beruhigte Kate ihn und wandte sich dann an ihren Patienten. „Okay, Fareed, versuchen Sie, sich zu entspannen. Legen Sie sich hin, dann geht es Ihnen gleich besser.“

Noch während sie sprach, kniete sie sich neben ihn und drückte ihn flach auf den Boden, obwohl er sich dagegen wehrte.

„Liegen Sie endlich still“, herrschte sie ihn schließlich an, woraufhin er für einen Moment erstarrte. Sie nutzte die Chance und überstreckte seinen Kopf, um ihn in der richtigen Position für Wiederbelebungsmaßnahmen zu haben. Sie tastete auch nach seinem Puls und zählte seine Atemzüge, die nur noch ein abgehacktes Keuchen waren.

„Er fuchtelte zuerst wild mit den Händen, dann begann er nach Luft zu schnappen“, erklärte Sally aufgeregt, aber Kate hatte bereits den winzigen Stachel der Biene auf dem rechten Ohrläppchen entdeckt und zog ihn heraus.

„Allergischer Schock“, sagte sie, während sie die Jackentaschen des Mannes nach Tabletten oder einer Adrenalinspritze absuchte, die er vielleicht für Notfälle bei sich trug. „Hat jemand gewusst, dass er gegen Bienengift allergisch ist?“

Die Männer starrten sie verständnislos an, aber für lange Erklärungen blieb keine Zeit.

Sie drückte den Kopf des Mannes noch weiter nach hinten, beugte sich über ihn und begann mit der Mund-zu-Mund-Beatmung, versuchte, Luft durch den zuschwellenden Atemweg in seine Lungen zu pressen.

Obwohl der Mann das Bewusstsein zu verlieren drohte, wehrte er sich immer noch schwach gegen sie.

Billy war es, der den Erste-Hilfe-Koffer brachte, und Kate, die wusste, dass ein Krankenwagen mit Sicherheit zu lange brauchen würde, zögerte nicht.

Sie öffnete den großen Koffer und suchte nach der Adrenalin-spritze, die ihr Vater eigentlich immer vorrätig gehabt hatte, fand sie aber nicht. Also griff sie nach Skalpell und einem dünnen Plastikschlauch.

Die Haut am Hals des Mannes war glatt und gebräunt, und einen Sekundenbruchteil zögerte sie, obwohl sie genau wusste, dass ihr keine Wahl blieb.

Sie streifte sich sterile Handschuhe über und nahm das Skalpell aus der Verpackung, aber als sie das geschliffene Messerchen Richtung Hals bewegte, zog einer der Begleiter unerwartet eine Pistole.

Er rief etwas, was sie nicht verstand, und Kate wandte sich an Ibrahim.

„Seine Luftröhre ist zugeschwollen, und er wird ersticken, wenn ich sie nicht öffne, damit er wieder selbstständig atmen kann. Ich bin Ärztin, ich weiß, was ich tue.“

Ibrahim nickte und übersetzte offenbar, aber der Mann steckte seine Waffe nicht wieder ein.

Falls ich versage, erschießt er mich dann, fragte sich Kate kurz, während sie sich auf ihre Aufgabe konzentrierte.

Vorsichtig suchte sie nach der richtigen Stelle zwischen Schildknorpel und Ringknorpel, setzte einen schnellen sauberen Schnitt, kaum einen Zentimeter tief, erweiterte die Öffnung mit dem Finger und schob den Schlauch vorsichtig hinein.

Während sie das Gemurmel um sie herum ignorierte und auch das entfernte Sirenengeheul des Krankenwagens ausblendete, beugte sie sich vor und blies Luft durch den Schlauch. Zwei schnelle Atemgaben, Pause, dann die nächste, wieder Pause …

Die Brust des Mannes hob sich, der Schlauch war also richtig platziert. Trotzdem musste der Patient dringend weiterbehandelt und für mindestens vierundzwanzig Stunden zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben.

Der Krankenwagen hielt, zwei Sanitäter sprangen heraus und injizierten dem Patienten umgehend Adrenalin. Sie zeigten sich beeindruckt von Kates Einsatz.

„Gelernt habe ich das natürlich auch“, meinte der eine. „Aber ich brauchte es bisher noch nicht anzuwenden.“

„Ich bin Notärztin“, erklärte Kate, als die Männer den Patienten an ihre Überwachungsgeräte anschlossen und ihn dann auf eine Trage hoben. „Allerdings habe ich den Luftröhrenschnitt auch erst einmal machen müssen und war jetzt doch ein wenig nervös dabei.“

„Können Sie nicht mitkommen, nur für den Fall der Fälle?“, fragte der zweite Sanitäter.

„Das halte ich für eine exzellente Idee“, mischte sich Ibrahim ein und deutete dabei mit dem Kopf auf den Mann mit der Pistole.

Um ihrer Entscheidung nachzuhelfen? Oder ging jetzt ihre Fantasie mit ihr durch?

Wie auch immer, irgendjemand würde neben dem Patienten sitzen und den Schlauch halten müssen, und das konnte ebenso gut sie übernehmen. Kate kletterte in den Wagen und setzte sich neben Fareed, der durch den Schlauch atmete, wenn auch ein wenig mühsam. Er öffnete die Augen, das Medikament wirkte sehr schnell, und er hob die Hand zum Hals.

Kate hielt seine Hand fest, ehe er den Schlauch herausziehen konnte, und ließ sie auch nicht wieder los. Es war eine starke Hand, mit langen, schlanken Fingern, die sich gegen ihren Griff wehrten … Eine männliche Hand. Rasch vertrieb sie diesen irritierenden Gedanken.

„Sie haben einen allergischen Schock erlitten und einen Schlauch in der Luftröhre, sodass Sie atmen können. Auch haben Sie Adrenalin gegen den Schock bekommen. Und da Sie nun wissen, dass Sie gegen Bienengift allergisch sind, sollten Sie zukünftig immer ein Gegenmittel bei sich tragen.“

Der verächtliche Ausdruck von vorhin kehrte in seine Augen zurück, so offen, dass sie sich am liebsten abgewandt hätte.

Und das ließ sie sich gefallen? Bestimmt nicht!

„Ich erwarte ja keine Dankbarkeit oder sonst etwas dafür, dass ich Ihnen das Leben gerettet habe“, sagte sie schärfer als beabsichtigt. „Aber ein Lächeln kostet nichts.“

Bevor sie noch mehr Dampf ablassen konnte, erreichten sie das Krankenhaus.

Eine Frau saß neben ihm. Eine Frau mit großer Brille und flammend rotem Haar, das sie zu einem Zopf geflochten hatte. Sie hatte eine auffallend makellose Haut, glatt und samtig, die er gern berührt hätte, wenn diese Frau nicht ständig auf ihn einreden würde.

Sie hielt seine Hand.

Er musste sie kennen.

Sie wirkte verärgert, aber er kannte eine Menge verärgerter Frauen. An eine mit Zopffrisur konnte er sich allerdings nicht erinnern. Ihre Brillengläser vergrößerten die hellgrünen Augen. Sehr schöne grüne Augen, selbst wenn sie ärgerlich blickten. Die Brille dagegen war entsetzlich, auch wenn die Farbe des Gestells dieselbe war wie die Sommersprossen auf der Nase der Frau.

Er war sich ziemlich sicher, dass er keine Frau mit Sommersprossen auf der Nase kannte – zumindest keine, die sie nicht überschminkte.

Männerstimmen und das Öffnen einer Tür zu seinen Füßen brachten schlagartig die Erinnerung zurück. Wieder versuchte er, nach seiner Kehle zu greifen, aber die Frau hielt ihn davon ab.

Autor

Meredith Webber
Bevor Meredith Webber sich entschloss, Arztromane zu schreiben, war sie als Lehrerin tätig, besaß ein eigenes Geschäft, jobbte im Reisebüro und in einem Schweinezuchtbetrieb, arbeitete auf Baustellen, war Sozialarbeiterin für Behinderte und half beim medizinischen Notdienst.
Aber all das genügte ihr nicht, und sie suchte nach einer neuen Herausforderung, die sie...
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