Die Erben von Emerald Larson - 6-teilige Serie

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Wenn ein Millionenvermögen einen Erben, sind Eifersucht, Neid und große Gefühle nicht weit. Und vielleicht wartet nicht nur Geld, sondern am Ende auch die wahre Liebe …

ERST HEISS - DANN KALT?
Von der ersten Sekunde an funkt es zwischen ihnen! Aber die schüchterne Alissa will sich nicht eingestehen, dass der neue Boss ihrer Finanzberatungsfirma sie ungeheuer anzieht. Dabei tuschelt schon die ganze Agentur, dass der attraktive Caleb und sie bestimmt ein Paar sind …

KÜSSE SIND SÜSSER ALS RACHE
Calebs Bruder Nick, eigentlich erfolgreicher Softwareentwickler, erbt eine traumhafte Ranch - und dazu eine Vorarbeiterin, die er seit vielen Jahren unendlich begehrt. Die umwerfende Cheyenne ist die Liebe seines Lebens. Doch davon will sie nichts wissen.

ÜBER NACHT KAM DIE LIEBE
Hunter, der Pilot unter den Brüdern, bringt sein Erbe in schwere Turbulenzen: Denn seine wundervolle Kollegin Callie hört einfach nicht auf ihn. Dabei wird ihr Exfreund immer gefährlicher. Deshalb geht er eine Scheinbeziehung mit ihr ein. Bis er mehr möchte …

Wenn es plötzlich Liebe ist
Luke Garnier ist sexy und reich genug, um sich jeden Wunsch zu erfüllen. Fast jeden! Denn als alleinstehender Unternehmer braucht er auf absehbare Zeit einen Erben … Aber deshalb den Bund fürs Leben eingehen? Das muss vielleicht gar nicht sein, denkt Luke und atmet auf, als ihm die zündende Idee kommt: Seine hübsche Assistentin Haley wäre genau die richtige Mutter für sein Kind! Haley ist zuverlässig, loyal und herzlich. Eine Ehe auf Zeit, die perfekte Lösung! Doch als er Haley in den Armen hält, ist Luke von ungeahnt heißer Leidenschaft und tiefer Zärtlichkeit erfüllt …

Liebe mich so wie damals!
Was will er hier? Wie benommen sieht Arielle den attraktiven Mann an, der an ihrer Bürotür lehnt. In Aspen hatten sie sich innig geküsst, einen wahren Liebestraum erlebt - bis Arielle am Morgen allein aufgewacht ist. Und jetzt spaziert derselbe Mann einfach so in ihr Büro, drei Monate später? Arielle stockt der Atem, als sie erkennt, dass er sich ihr unter falschem Namen vorgestellt hatte. Doch egal wie viele Geheimnisse der Millionär Zach Forsythe noch hütet, sie muss ihm sagen, dass sie schwanger ist! Wenn er allerdings eine zweite Chance will, kann er es vergessen. Oder?

Schicksalsnacht in Los Angeles
Oh nein! Warum muss ausgerechnet Jake Garnier der neue Besitzer des Gestüts und damit ihr neuer Chef sein? Inständig bemüht Heather sich, den warmen Schauer zu ignorieren, der ihr über den Rücken läuft. Dass Jake in Jeans und T-Shirt noch besser aussieht als im Smoking, sollte ihr egal sein. Immerhin ist es über ein Jahr her, dass dieser Mann sie in Los Angeles verführt und mit ihr eine wundervolle Nacht verbracht hat. Aber Heather hat Jake nicht vergessen … Wie auch? Schließlich muss sie jedes Mal an seine blauen Augen denken, wenn sie ihre Tochter ansieht!


  • Erscheinungstag 24.11.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733774745
  • Seitenanzahl 816
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Kathie Denosky

Die Erben von Emerald Larson - 6-teilige Serie

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IMPRESSUM

JULIA COLLECTION erscheint monatlich im CORA Verlag GmbH & Co. KG,

20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1

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Thomas Beckmann

Redaktionsleitung:

Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)

Cheflektorat:

Ilse Bröhl

Lektorat/Textredaktion:

Ivonne Senn

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Christel Borges, Bettina Schult

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Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,

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Vertrieb:

asv vertriebs gmbh, Süderstraße 77, 20097 Hamburg

Telefon 040/347-29277

Anzeigen:

Christian Durbahn

Es gilt die aktuelle Anzeigenpreisliste.

© by Kathie DeNosky

Originaltitel: „Engagement between Enemies“

erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Deutsche Erstausgabe 2006 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,

in der Reihe: BACCARA, Band 1421

© by Kathie DeNosky

Originaltitel: „Reunion of Revenge“

erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Deutsche Erstausgabe 2006 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,

in der Reihe: BACCARA, Band 1425

© by Kathie DeNosky

Originaltitel: „Betrothed for the Baby“

erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

Deutsche Erstausgabe 2006 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,

in der Reihe: BACCARA, Band 1434

Fotos: Matton Images

Zweite Neuauflage by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,

in der Reihe: JULIA COLLECTION, Band 22 (7) 2010

Veröffentlicht im ePub Format im 07/2010 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

ISBN-13: 978-3-942031-66-0

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Kathie DeNosky

Erst heiß – dann kalt

PROLOG

Caleb Walker saß an einem kleinen runden Tisch in der Nische einer Hotelbar in Wichita und starrte die beiden Männer an, die ihm gegenübersaßen. Nicht einmal die blonde Kellnerin, die ihn aufmunternd anlächelte, konnte ihn ablenken.

Bisher hatte Caleb in der Annahme gelebt, keine Geschwister zu haben, er wusste nicht einmal, wer sein Vater war. Aber vor knapp einer Stunde, in einem luxuriösen Büro der Firmenzentrale von Emerald Inc., hatte sich das geändert. Caleb hatte erfahren, dass sein Vater kein Geringerer war als Owen Larson, der Globetrotter, Playboy und Erbe des Emerald-Inc.-Imperiums. Der vor kurzem verstorbene Owen Larson. Jetzt musste Caleb sich an den Gedanken gewöhnen, dass er endlich wusste, wer sein Vater war. Aber auch daran, dass dieser bei einem Bootsunglück vor der französischen Küste umgekommen war. Caleb hatte nun keine Chance mehr, ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen, dass er Calebs Mutter geschwängert und dann sitzen gelassen hatte. Er hatte ebenfalls erfahren, dass seine Großmutter die unbezwingbare Emerald Larson war und die beiden Männer, die ihm gegenübersaßen, seine Halbbrüder.

„Ich kann es nicht fassen, dass die Alte uns seit unserer Geburt ausspioniert hat.“ Hunter O’Banyon zog die Augenbrauen zusammen. „Sie hat alles über uns gewusst und verdammt noch mal nichts getan, um uns über das große Geheimnis aufzuklären. Bis heute.“

„Die ‚Alte‘ ist unsere Großmutter. Und ich würde sagen, sie hat eine Menge getan.“ Nick Daniels trank einen großen Schluck aus der Bierflasche, die er in der Hand hielt, bevor er sie auf den Tisch stellte. „Privatdetektive anzuheuern, die ihr über jeden unserer Schritte berichten, seit wir aus den Windeln heraus sind, und uns gleichzeitig darüber im Ungewissen zu lassen, das erfordert schon Mumm.“

„Stimmt“, meinte Caleb. Er war noch immer wütend auf Emerald Larson, die Gründerin und Vorstandsvorsitzende eines der erfolgreichsten Wirtschaftsunternehmen, weil sie ihnen so lange die Wahrheit über ihre Herkunft verschwiegen hatte. „Am meisten ärgert es mich, dass sie unsere Mütter erpresst hat. Wie konnte sie ihnen nur androhen, dass sie uns unseren Anteil am Erbe vorenthalten würde, sollten unsere Mütter nicht über Emeralds nichtsnutzigen Sohn, unseren Vater, Schweigen bewahren?“ Ungläubig schüttelte er den Kopf. „Zumindest muss man ihr zugestehen, dass sie meisterhaft zu manipulieren versteht.“

Nick meinte zustimmend: „Ich kann verstehen, warum unsere Mütter sich Emeralds Weisungen gebeugt haben. Sie hatten gehofft, uns ein besseres Leben zu ermöglichen. Aber sie mussten einen hohen Preis dafür zahlen.“

„Ich pfeife auf meinen Erbteil an Emerald Larsons selbst geschaffenem Imperium.“ Hunter schüttelte den Kopf. „Eher friert die Hölle zu, als dass ich nach ihrer Pfeife tanze.“

„Du willst ihr Angebot also tatsächlich ausschlagen?“, fragte Caleb.

Wenn sie Emeralds Bedingungen akzeptierten, würde jeder von ihnen eine der Firmen aus dem Emerald-Unternehmen erhalten. Sie hatte ihnen versichert, dass keinerlei Bedingungen daran geknüpft seien und ihre Enkel freie Hand in der Leitung des Betriebes hätten. Aber Caleb war nicht so dumm, seiner Großmutter das zu glauben. So wie es aussah, schien es seinen Brüdern ähnlich zu gehen.

„Ich habe seit fünf Jahren keinen Hubschrauber mehr geflogen.“ Hunter verzog seinen Mund zu einer schmalen Linie. „Warum soll ausgerechnet ich einen Flugdienst übernehmen, der Arzneimittel befördert?“

„Na ja, das ergibt immerhin mehr Sinn, als einen Schreibtischtäter wie mich auf eine Ranch in Wyoming zu schicken.“ Nick runzelte die Stirn. „Ich lebe seit mehr als zwölf Jahren in einer Wohnung in St. Louis. Rindviecher sehe ich nur, wenn sie bei einer Parade einen Bierwagen durch die Straßen ziehen.“

Caleb fand auch, dass das, was Emerald Larson von ihnen verlangte, ziemlich hirnrissig klang. Er hatte die Wirtschaftskurse an der Highschool mit Auszeichnung bestanden, aber das war schon eine Weile her. Die Vorstellung, sich zum Narren zu machen, wenn herauskam, dass ihm die Sache über den Kopf wuchs, gefiel ihm ganz und gar nicht.

„Was glaubt ihr denn, wie ich mich fühle?“ Er schüttelte den Kopf, als er daran dachte, was seine Großmutter sich für ihn ausgedacht hatte. „Ich bin ein einfacher Farmer aus Tennessee, der nur eine Highschool besucht hat. Emerald hätte sich nichts Lächerlicheres ausdenken können, als mir die Leitung einer Finanzberatungsfirma zu übertragen.“

Hunter griff nach einer Brezel, die in einer Schale auf dem Tisch lag. „Ich wette, unsere gute Großmutter führt noch mehr im Schilde, wenn sie jedem von uns einen Teil ihres Imperiums überträgt. Sie macht das nicht nur aus Herzensgüte.“

„Da hast du zweifellos Recht“, stimmte Nick zu.

Caleb war sich nicht wirklich sicher, was Emerald Larson im Schilde führte, aber er war fest davon überzeugt, dass sie die Firmen für ihre Enkel mit sehr viel Bedacht ausgesucht hatte. „Ich vermute, sie will, dass wir etwas beweisen.“

Nick sah ihn überrascht an. „Was denn? Dass wir nicht wissen, was wir tun?“

„Keine Ahnung. Aber ich würde mein letztes Hemd darauf verwetten, dass sie einen Grund für alles hat, was sie tut.“ Caleb zuckte mit den Achseln, während er sein Bier trank. „So wie ich es sehe, haben wir zwei Möglichkeiten. Entweder lehnen wir ihr Angebot ab, verschwinden und machen damit die Opfer, die unsere Mütter für unsere Zukunft gebracht haben, wertlos. Oder wir akzeptieren Emeralds Angebot und beweisen ihr, dass sie keine Ahnung hat, wer wir sind und wo unsere Talente wirklich liegen.“

Hunter sah nachdenklich aus. „Mir gefällt die Idee, es der hochnäsigen Mrs. Larson zu zeigen.“

„Es würde ihr recht geschehen, wenn wir alle auf die Nase fielen“, sagte Nick widerstrebend.

„Aber wenn wir die Aufgaben übernehmen, die Emerald für uns ausgesucht hat, dann sollten wir alle zumindest unser Bestes geben.“ Caleb stand auf und warf ein paar Dollarscheine auf den Tisch. „Etwas Halbherziges zu tun ist nicht mein Ding.“

„Meins auch nicht“, erklärten die beiden anderen im Chor, als sie aufstanden und Geld für ihre Drinks auf den Tisch legten.

„Dann bleibt uns wohl nur noch, Emerald unsere Antwort zu überbringen.“ Caleb hatte plötzlich das Gefühl, ohne Sicherheitsnetz ein Hochseil zu betreten.

Aber während er mit seinen Brüdern die Bar verließ und zurück in das Büro von Emerald Inc. ging, verspürte er auch eine gewisse Vorfreude. Er hatte sich immer gern einer Herausforderung gestellt. Und so unglaublich es war, aber es gefiel ihm tatsächlich, „Skerritt and Crowe Financial Consultants“ zu übernehmen. Er bedauerte lediglich, dass er nicht die nötige Ausbildung besaß und keine Ahnung hatte, wie er den Job vernünftig erledigen sollte.

1. KAPITEL

Während er sich nun dem Empfang in der Führungsetage von „Skerritt and Crowe Financial Consultants“ näherte, setzte Caleb das professionelle Lächeln auf, das er in der vergangenen Woche geübt hatte. „Ich möchte gern zu A.J. Merrick.“

„Moment! Haben Sie einen Termin, Sir?“, fragte die grauhaarige Empfangsdame, als er auf die Tür hinter ihrem Schreibtisch zumarschierte.

„Ich bin Caleb Walker.“ Er zwinkerte ihr verschwörerisch zu. „Ich bin sicher, Merrick erwartet mich.“

„Warten Sie, Mr. Walton“, sagte sie und stellte sich ihm in den Weg.

„Walker.“ Caleb runzelte die Stirn. Hatte Merrick die Angestellten nicht darüber informiert, dass er, Caleb Walker, der neue Präsident der Firma war?

Die Frau zuckte mit den Schultern. „Walker, Walter, es ist völlig unerheblich, wie Sie heißen. Sie werden ohne Termin nicht dort hineingehen.“

Offensichtlich hatte niemand sich die Mühe gemacht, diese Frau zu unterrichten. „Ich sag Ihnen was …“, er schaute auf das Namensschild auf ihrem Schreibtisch, „… Geneva. Nachdem ich mit Ihrem Boss gesprochen habe, komme ich wieder zu Ihnen und stelle mich vor. Versprochen.“

„Mein Boss ist beschäftigt und will nicht gestört werden.“ Geneva deutete auf eine Reihe von Stühlen, die an der Wand standen. „Wenn Sie sich setzen, werde ich nachsehen, wann ich Sie dazwischenschieben kann.“

Mit einer Körpergröße von gut einem Meter achtzig überragte Caleb die Frau um einiges, was sie jedoch in keiner Weise einschüchterte. Ihrer Miene nach zu urteilen, war sie genauso entschlossen, ihn von dem Büro fernzuhalten, wie er entschlossen war hineinzukommen.

Er musste sich sehr beherrschen, um nicht zu lachen. Geneva erinnerte ihn an eine kleine Henne, die sein Großvater besessen hatte. Die hatte sich auch immer so aufgeplustert. Und wenn ihn sein Instinkt nicht trog, würde er noch eine Ewigkeit hier im Empfang sitzen müssen, bevor Geneva sich dazu herabließ, den Hörer abzunehmen und A.J. Merrick seine Ankunft zu verkünden.

„Die Mühe können Sie sich sparen, Geneva.“ Leise vor sich hin lachend ging er an der Frau vorbei und griff nach dem Türgriff der Mahagonitür, an der ein Messingschild mit dem Namen A.J. Merrick hing. „Glauben Sie mir, Merrick wird mich sofort sehen wollen.“

„Ich rufe den Sicherheitsdienst“, drohte Geneva und eilte zum Telefon.

„Tun Sie das“, meinte Caleb ungerührt. „Den würde ich auch gern treffen.“

„Das werden Sie mit Sicherheit, Sie …“, drohte sie und drückte vehement auf die Telefontasten.

Ohne darauf zu warten, ob Geneva den Sicherheitsdienst erreichte, öffnete Caleb die Tür und trat in ein geräumiges Büro. Sein Blick fiel sofort auf die junge Frau, die an einem riesigen Schreibtisch saß, hinter dem sich eine breite Fensterfront befand.

Mit ihrem rotbraunen Haar, das sie zu einem Knoten gebunden hatte, auf den seine Großmutter stolz gewesen wäre, und einer viel zu großen schwarzen Brille sah sie eher aus wie eine Lehrerin als eine moderne Sekretärin. Und ihrer missbilligenden Miene nach zu urteilen, war sie genauso unnachgiebig und streng in Bezug auf Regeln und Vorschriften wie eine Gouvernante.

Doch als er zu ihrem Schreibtisch schlenderte, glaubte er, einen Hauch von Unsicherheit an ihr zu bemerken – eine Verletzlichkeit, die er nicht erwartet hatte. „Entschuldigen Sie, ich suche A.J. Merrick.“

„Sind Sie geschäftlich hier?“, fragte sie mit eisiger Stimme.

Sie stand auf, schob die Brille auf ihrer niedlichen kleinen Nase zurecht und lenkte damit unbeabsichtigt Calebs Aufmerksamkeit auf ihre funkelnden blauen Augen – Augen, die ihm einen Blick zuwarfen, der einen weniger starken Mann in die Knie gezwungen hätte. Caleb dagegen war nicht im Geringsten eingeschüchtert. Im Gegenteil. Er war sich nicht sicher warum, aber aus irgendeinem Grund fand er ihre blauen Augen ziemlich faszinierend.

„Ich bin …“

„Wenn Sie das Personalbüro suchen, das ist am Ende des Ganges“, unterbrach sie ihn, bevor er sich vorstellen konnte. Dann hob sie eine perfekt geformte Augenbraue. „War Mrs. Wallace nicht an ihrem Platz?“

Trotz des sachlichen Tonfalls klang ihre Stimme weich und melodisch, und Caleb merkte, dass auf einmal seine sämtlichen Hormone in Habachtstellung gingen. Verflixt, was war nur in ihn gefahren? Vermutlich lag es daran, dass er seit fast einem Jahr mit keiner Frau mehr zusammen gewesen war. Das konnte einen normalen, gesunden Mann ja auch nervös machen. Vermutlich registrierte er aus diesem Grund auch jede Bewegung einer Frau – egal welcher Frau – besonders bewusst.

Zufrieden, dass er eine Erklärung dafür gefunden hatte, warum er an einer nicht gerade freundlichen Sekretärin Interesse zeigte, deutete er mit dem Daumen über die Schulter. „Doch, soweit ich weiß, ist Geneva noch immer dort draußen.“ Er lachte. „Obwohl es gut sein kann, dass sie sich einen Finger gebrochen hat, als sie die Nummer des Sicherheitsdienstes gewählt hat.“

„Gut.“

„Gut, dass sie sich vielleicht einen Finger gebrochen hat? Oder gut, dass sie die Sicherheitsleute ruft?“, fragte er grinsend.

„Ich meinte nicht …“ Stirnrunzelnd hielt sie inne, und es war klar, dass er sie für einen Moment aus der Fassung gebracht hatte. „Gut, dass sie den Sicherheitsdienst ruft, natürlich.“

Die Frau kam um den Schreibtisch herum, und weder ihre Miene noch ihre Haltung wirkten dabei sonderlich einladend. „Ich weiß nicht, für wen Sie sich halten oder warum Sie hier sind, aber Sie können nicht einfach hier hereinspazieren.“

Die junge Frau hielt inne, als hinter ihnen die Tür aufflog und gegen die Wand krachte.

„Das ist er.“

Caleb blickte zurück und sah Geneva mit wütendem Gesicht ins Büro kommen. Zwei nicht mehr ganz junge, untersetzte Männer in Uniformen folgten ihr auf den Fersen.

„Wie ich sehe, haben Sie die Wachleute erreicht, Geneva.“ Caleb schaute auf die Uhr und nickte dann anerkennend. „Die Zeit, die Sie gebraucht haben, um hier aufzutauchen, ist nicht schlecht, aber ich bin sicher, dass wir das noch verbessern können, meinen Sie nicht auch?“

Geneva gelang es perfekt, auf ihn herabzuschauen, auch wenn sie ein ganzes Stück kleiner war als er, bevor sie sich an die Frau mit den erstaunlich blauen Augen wandte.

„Es tut mir sehr leid, Miss Merrick.“ Geneva betrachtete Caleb, als hätte er nicht alle Tassen im Schrank. „Er hat ein Nein als Antwort einfach nicht akzeptiert.“

Caleb hob eine Augenbraue. Das war A.J. Merrick?

Interessant. Sie war eindeutig nicht das, was er erwartet hatte. Emerald hatte ihn in dem Glauben gelassen, dass Merrick ein langweiliger alter Geschäftsmann war, nicht eine junge Frau in den Zwanzigern mit stahlblauen Augen.

Während sie sich wie zwei Gegner in einem Boxring musterten, bemerkte Calebs vernachlässigte Libido, dass A.J. Merrick nicht wie die meisten Frauen ihres Alters gekleidet war. Statt eines figurbetonten schwarzen Kostüms, das ihre Vorzüge unterstrichen hätte, trug sie etwas, das an ihr herabhing wie ein Kartoffelsack. Aber ihre zierlichen Hände, der schlanke Hals und das, was er von ihren langen, offensichtlich perfekt geformten Beinen sehen konnte, verrieten, dass sich ein paar unglaubliche Kurven unter diesem Stoff verbargen.

„Es ist in Ordnung, Mrs. Wallace.“ Miss Merrick schenkte Caleb ein triumphierendes, leicht herablassendes Lächeln, das merkwürdige Dinge in seinem Inneren anrichtete und ihm das Gefühl gab, als wäre die Temperatur im Zimmer auf einmal um zehn Grad gestiegen. „Ich bin sicher, Sie sehen ein, dass es reine Zeitverschwendung wäre, wenn Sie sich jetzt noch um einen Job bemühen würden.“ An die beiden Sicherheitsleute gewandt meinte sie: „Bitte bringen Sie diesen Herrn zum Parkplatz.“

„Das ist aber ziemlich unfreundlich von Ihnen“, meinte Caleb kopfschüttelnd.

Er ließ zu, dass die Männer demonstrierten, wie sie mit einer solchen Situation umgehen würden, sollte es sich tatsächlich um eine echte Bedrohung handeln, und musste fast lachen, als sie unbeholfen nach seinen Armen griffen und versuchten, sie hinter seinen Rücken zu ziehen. Er entschied, dass die beiden nicht nur ihr Arbeitstempo ein wenig beschleunigen, sondern auch einen Auffrischungskurs für Zugriffsmethoden in Gefahrensituationen machen mussten. Wenn er gewollt hätte, hätte er sich ohne weiteres aus ihrem Griff befreien können.

„Ich bin nicht hier, um mich um eine Stelle zu bewerben.“ Er lächelte. „Ich arbeite bereits hier.“

„Ach, tatsächlich?“ Miss Merrick neigte neugierig den Kopf. „Da ich die abschließenden Gespräche mit allen neuen Angestellten führe, wäre es nett, wenn Sie mein Gedächtnis auffrischen und mir sagen könnten, wie Sie heißen, wann wir Sie eingestellt haben und in welcher Abteilung von ‚Skerritt and Crowe‘ Sie arbeiten.“

„Ich habe den Job vor einer Woche bekommen, und ich beabsichtige, im Büro nebenan zu arbeiten.“ Vergnügt entschied Caleb, dass es ihm Spaß machen würde, sich mit A.J. Merrick zu messen. „Mein Name ist Walker. Caleb Walker.“

Ihre vor Schreck aufgerissenen Augen hinter dieser lächerlich großen Brille verrieten ihm, dass seine Antwort nicht das war, was sie erwartet hatte. Aber sie fasste sich schnell wieder und bedeutete den beiden Sicherheitsleuten, von ihm wegzutreten. „Mr. Norton, Mr. Clay, bitte lassen Sie Mr. Walker sofort los.“

„Aber Miss Merrick …“

„Ich sagte, lassen Sie ihn los“, wiederholte sie. Sie hob ihr stures kleines Kinn ein wenig. „Mr. Walker ist der neue Präsident von ‚Skerritt and Crowe‘.“

Die beiden Männer ließen ihn sofort los, und hinter sich hörte Caleb, wie Geneva nach Luft schnappte.

„Tut mir leid, Mr. Walker“, meinte einer der beiden Männer und zupfte unbeholfen Calebs Hemdärmel zurecht.

Einige Sekunden lang herrschte Schweigen, während Caleb und die Frau vor ihm sich anstarrten. In vielerlei Hinsicht erinnerte sie ihn an eine andere Frau zu einem anderen Zeitpunkt.

Er atmete tief durch. Es war schon eine Weile her, und er hatte in der Zwischenzeit viel gelernt. Zudem war er nicht länger ein naiver Farmersjunge mit hochtrabenden Träumen und einem vertrauensseligen Herzen. Er war ein erwachsener Mann, der seine Lektion gelernt hatte.

„Wenn Sie Miss Merrick und mich einige Minuten allein lassen könnten, würde ich das sehr zu schätzen wissen“, sagte Caleb schließlich, während er weiterhin ihrem Blick standhielt. Als er das leise Zuschlagen der Tür hinter sich hörte, lächelte Caleb. „Was halten Sie davon, wenn wir noch einmal von vorn beginnen?“ Er streckte die Hand aus. „Ich bin Caleb Walker. Freut mich, Sie kennen zu lernen, Miss Merrick.“

Als sie zögernd ihre Hand in seine legte, verursachte die Berührung ihrer weichen Handfläche einen kleinen elektrisierenden Schock, der sich durch seinen gesamten Körper zog. Offensichtlich spürte auch sie diese Spannung, denn sie ließ seine Hand wie eine heiße Kartoffel los.

„Ich weiß, ich bin früher als erwartet hier, aber meinen Sie nicht, es wäre eine gute Idee gewesen, die Angestellten im Vorfeld über mich zu informieren? Schließlich hat Emerald Larson Ihnen schon vor einigen Tagen mitgeteilt, dass ich Ende der Woche komme.“

„Mrs. Larson sagte, Sie kämen am Freitag.“

„Ich bin nur einen Tag zu früh“, sagte er und atmete erleichtert auf, als Miss Merrick Emerald nicht als seine Großmutter bezeichnete.

Er hatte Emerald ausdrücklich gebeten, ihre Verwandtschaftsverhältnisse nicht zu erwähnen, und wie es schien, hatte sie seine Wünsche respektiert. Zusätzliche Vorurteile, weil er der Enkel der Firmeninhaberin war, konnte er absolut nicht gebrauchen.

„Ich hatte die Absicht, Sie morgen früh auf der Abteilungsleitersitzung vorzustellen“, erklärte sie.

„Jetzt ist die Katze schon ein wenig früher aus dem Sack“, meinte Caleb trocken. „Ich wette, Geneva und ihre beiden Gehilfen werden die Nachricht wie ein Lauffeuer verbreiten.“

Er war erstaunt, dass sie auch jetzt nicht einmal andeutungsweise lächelte. „Sicherlich.“

Ihre ruhige Haltung ließ Caleb überlegen, ob A.J. Merrick wohl jemals die Fassung verlor. Aus irgendeinem Grund vermutete er, dass so etwas bestimmt nicht oft geschah. Aber er nahm auch an, dass es ziemlich aufregend werden könnte, wenn es doch einmal passieren würde. Was er nicht so ganz verstand, war sein Wunsch, gern dabei zu sein.

Sie deutete auf einen Lederstuhl vor ihrem Schreibtisch. „Bitte nehmen Sie Platz, Mr. Walker.“

Caleb setzte sich und beobachtete, wie sie um den Schreibtisch herumging und sich in ihren Chefsessel setzte. „Da wir zusammenarbeiten werden, können wir doch auf die Formalitäten verzichten, oder?“, fragte er und überlegte, was in A.J. Merrick wohl vorging. „Nennen Sie mich Caleb.“

„Das möchte ich lieber nicht, Mr. Walker“, antwortete sie und schob einige Papiere auf dem Schreibtisch hin und her.

„Warum nicht?“ Es überraschte ihn nicht, dass sie sein Angebot ablehnte. Ärgern tat ihn nur seine eigene Beharrlichkeit. Warum war ihm so viel daran gelegen, sie aus der Reserve zu locken?

Sie hob den Blick. „Es würde die Dinge nur verkomplizieren, wenn es an der Zeit ist, dass Sie mich loswerden wollen.“

Was sollte das denn? Er hatte ihr doch noch gar keinen Grund gegeben, sich bedroht zu fühlen oder zu glauben, er wollte sie oder irgendjemand anderen feuern. Doch sie verhielt sich so, als wäre das eine abgemachte Sache.

Er beugte sich vor. „Woher haben Sie die aberwitzige Idee, dass ich Sie loswerden will?“

„Jedes Mal, wenn es in der Führungsetage einen Personalwechsel gibt, ist es dasselbe. Der neue Präsident oder Geschäftsführer bringt eigene Leute mit, die die Leitungsposten bekleiden sollen, und die alte Führungsriege ist Geschichte.“ Sie zuckte mit den Schultern, während sie Caleb direkt ansah. „Da ich die Geschäftsführerin bin, wird mein Kopf zuerst rollen.“

Caleb glaubte, ein leichtes Zittern in ihrer Stimme zu vernehmen. Doch da sie fortfuhr, ihn mit kühlem Blick zu mustern, entschied er, dass er es sich nur eingebildet hatte. A.J. Merrick war viel zu sehr Profi, als dass sie sich Gefühle geleistet hätte. Was ihn mehr schockierte als ihre eiserne Kontrolle, war sein plötzlicher Wunsch, herauszufinden, was sich hinter der kühlen Fassade verbarg und was sie so offensichtlich zu verstecken suchte.

„Ich kann Sie hier und jetzt beruhigen. Ich werde weder Sie noch sonst jemanden entlassen“, erklärte er. Sie konnte ja nicht wissen – und er hatte auch nicht vor, ihr davon zu erzählen –, dass er keine Ahnung hatte, wie man eine Finanzberatungsfirma leitete. Er war auf ihre Erfahrung angewiesen und musste sich auf sie verlassen, um nicht auf die Nase zu fallen. „Ihr Job ist genauso sicher wie vor der Übernahme durch Emerald Inc.“

Sie schob ihre Brille hoch. „Das sagen Sie jetzt, aber es ist eine bekannte Tatsache, dass es innerhalb von sechs Monaten nach einer Übernahme immer zu einer Umstrukturierung kommt.“

„Das mag bei einer feindlichen Übernahme der Fall sein, aber Emerald Larson hat diese Firma mit dem Segen von Frank Skerritt und Martin Crowe übernommen. Die beiden wollten sich zur Ruhe setzen, und keiner von ihnen hat Angehörige, die die Firma hätten leiten können.“

Während Caleb sie beobachtete, wie sie an ihrer Unterlippe nagte und seine Worte überdachte, überlegte er, ob ihre perfekt geformten Lippen wohl genauso weich und süß waren, wie sie aussahen. Er musste schlucken und entschied, dass er sich lieber auf das Geschäftliche konzentrieren sollte und nicht darauf, dass Miss Merricks Mund zum Küssen einlud.

„Ich werde …“, er räusperte sich, bevor er fortfuhr, „… einige kleinere Änderungen hier und dort vornehmen. Aber solange kein Angestellter kommt und mir selbst seine Kündigung auf den Tisch legt, wird niemand seinen Arbeitsplatz verlieren.“

„Wir werden sehen“, sagte sie leise.

Ihre Miene war völlig ausdruckslos und verriet nichts darüber, was sie dachte. Aber Caleb wusste, dass sie ihm kein Wort glaubte.

Nachdem er beschlossen hatte, dass es wohl einfacher wäre, ein Rudel Wölfe davon zu überzeugen, Vegetarier zu werden, als A.J. Merrick dazu zu bringen, zu glauben, dass ihr Job sicher war, atmete Caleb tief durch und stand auf. „Ich denke, ich werde mal herumgehen und mich einigen unserer Leute vorstellen.“

„Aber was ist mit unserer Besprechung morgen früh um zehn, Mr. Walker?“, fragte sie und stand ebenfalls auf.

Entdeckte er da einen Anflug von Panik in ihren schönen Augen?

Interessant. Es schien, als würde ein Traditions- oder Regelbruch A.J. Merrick aus der Bahn werfen. Das musste er sich merken.

„Ich heiße Caleb.“ Er zuckte mit den Schultern. „Es bleibt bei der Besprechung um zehn. Ich werde dann gleich einige Änderungen bekannt geben können.“

Er bemerkte, dass ihre Knöchel weiß wurden, weil sie ihren Stift so fest umklammerte, und streckte, ohne nachzudenken, die Hand aus und legte sie beruhigend auf ihre. Doch kaum berührte seine Handfläche ihre samtweiche Haut, kam es ihm vor, als würde ein Stromschlag durch seinen Arm bis hin in seine Brust fahren. An Miss Merricks überraschtem Luftschnappen merkte er, dass sie das Gleiche gefühlt hatte.

Hastig zog er seine Hand zurück und versuchte, gelassen zu wirken. Doch angesichts der Tatsache, dass er sich immer noch wie elektrisiert fühlte, war das ziemlich schwierig.

„Entspannen Sie sich, Miss Merrick“, sagte er und fragte sich, was in ihn gefahren war. Es konnte doch nicht sein, dass er so dringend eine Frau brauchte, dass allein schon die Berührung einer weiblichen Hand ihn in Aufregung versetzte. „Sie haben mein Wort darauf, dass Ihr Job sicher ist, und ich verspreche außerdem, dass das, was ich im Sinn habe, nur dazu dienen wird, die Arbeitsmoral und die Produktivität zu steigern.“

Zumindest hoffte er das. Da er von Finanzberatung und Firmenleitung keine Ahnung hatte, würde er einfach nach dem System Versuch und Irrtum vorgehen, sich an den Management-Ratgeber halten, den er sich im Buchladen besorgt hatte, und dann auf das Beste hoffen.

Abweisend verschränkte A.J. die Arme vor der Brust und starrte ihn an. „Wenn Sie es sagen.“

Caleb ging Richtung Tür. Er musste unbedingt Distanz schaffen, um sich wieder zu fangen. Er war hier, um eine Beratungsfirma zu übernehmen, nicht um herauszufinden, warum es ihm missfiel, dass diese Frau ihm nicht glauben wollte. Oder warum er diese hübschen Augen so faszinierend fand. „Wir sehen uns morgen früh, Miss Merrick.“

„C…Caleb?“ Sein Name kam ihr nur stockend über die Lippen, aber der Klang ihrer weichen Stimme richtete bei seinen vernachlässigten Hormonen ein heilloses Durcheinander an.

Er drehte sich zu ihr herum. „Ja, Miss Merrick?“

„Ich denke, da Sie darauf bestehen, dass ich Sie mit Vornamen anrede, können Sie mich auch A.J. nennen.“

„Okay, A.J.“ Er lächelte. Vielleicht bestand ja doch noch Hoffnung. „Wir sehen uns morgen.“

A.J. schaute auf die Tür, die sich hinter Caleb Walker schloss, und ließ sich dann mit zitternden Beinen auf ihren Stuhl fallen. Warum klopfte ihr Herz so schnell? Und warum kribbelte ihre Haut noch immer von der Berührung mit Calebs Hand?

Sie nahm die Brille ab und vergrub das Gesicht in den Händen. Was war nur in sie gefahren? Sie war keine Frau, die sich von einem gut aussehenden Mann ablenken ließ. Jedenfalls nicht mehr seit dem Fiasko mit Wesley Pennington III. Er hatte ihr eine wertvolle Lektion erteilt, und zwar eine, die sie sich nicht leisten konnte zu vergessen – man sollte niemals Geschäft und Vergnügen miteinander verbinden, denn das führt unweigerlich in die Katastrophe.

Normalerweise war das auch kein Problem für sie. Seit sie ihr Herz, ihre Unschuld und ihren ersten Job aufgrund ihrer Naivität verloren hatte, war sie stets darum bemüht, so professionell wie möglich aufzutreten. Das vereinfachte das Leben und half ihr, Kollegen auf Abstand zu halten. Bisher war sie damit gut gefahren.

Die meisten Menschen, vor allem Männer, wurden durch ihre rein geschäftliche Art abgeschreckt und machten sich nicht die Mühe, ihr einen zweiten Blick zu schenken. Und das war ihr durchaus recht. Aber Caleb Walker hatte nicht nur zweimal hingeschaut, er hatte sie überhaupt nicht mehr aus seinen verwirrenden braunen Augen gelassen, seit er in ihr Büro gekommen war.

Kopfschüttelnd versuchte A.J., nicht an das Kribbeln im Bauch zu denken, das Calebs Lächeln in ihr ausgelöst hatte. Stattdessen konzentrierte sie sich auf die Tatsache, dass er ihr neuer Chef war. Er würde „Skerritt and Crowe“ übernehmen und sie irgendwann durch einen seiner eigenen Leute ersetzen. Auch wenn er ihr versichert hatte, dass dem nicht so wäre, wusste sie es besser. Alles, was sie sich in den letzten fünf Jahren aufgebaut hatte, würde den Bach runtergehen, und sie hatte keine Möglichkeit, etwas dagegen zu unternehmen.

Sie setzte die Brille wieder auf und drehte dann den Stuhl herum, um aus dem Fenster zu schauen. Ohne etwas wahrzunehmen, blinzelte sie hinaus auf das von der strahlenden Junisonne erhellte Zentrum von Albuquerque. Zu ihrem Entsetzen kämpfte sie gegen die Tränen an. Sie hatte das Gefühl, dass Caleb Walker ihr wohl geordnetes Leben auf den Kopf stellen würde. Und sie konnte nichts tun, um ihn aufzuhalten.

Wer wusste schon, was er für Veränderungen plante oder wie schnell er entscheiden würde, dass sie entbehrlich war? Am meisten Sorgen bereitete ihr jedoch, dass sie nicht vergessen konnte, wie ausdrucksstark seine Augen waren und wie sein hellbraunes Haar ihm in die Stirn gefallen war, was ihn eher nach einem Rebell als nach einem Geschäftsmann hatte aussehen lassen. Genauso wenig konnte sie leider vergessen, wie die Kombination seiner tiefen Stimme mit dem sexy Südstaatenakzent ihr Innerstes in Aufruhr versetzt hatte.

„Mach dich nicht lächerlich“, murmelte sie und wandte sich wieder zum Schreibtisch.

Sie war genauso wenig an Caleb Walker interessiert wie er an ihr. Doch während sie auf die Dokumente auf ihrem Schreibtisch starrte, musste sie immer wieder daran denken, wie breit seine Schultern waren, wie angegossen seine Jeans gesessen hatte und wie ihre Hand bei seiner Berührung gekribbelt hatte.

Schließlich seufzte sie frustriert auf, sammelte hastig die Unterlagen zusammen, an denen sie gearbeitet hatte, schnappte sich ihre Handtasche und ging zur Tür. „Ich bin für den Rest des Tages außer Haus“, verkündete sie Geneva, als sie an ihr vorbeieilte.

A.J. wartete nicht auf die überraschte Reaktion der Empfangssekretärin angesichts ihres so untypischen Verhaltens. Sie hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Sie wollte in ihrer Wohnung Zuflucht suchen, bevor die Fassade, die sie in den letzten Jahren perfektioniert hatte, zusammenbrach und enthüllte, was nur ihr Sittich Sidney über sie wusste.

Alissa Jane Merrick war nicht der kühle gefühllose Automat, für den jeder bei „Skerritt and Crowe“ sie hielt. Sie war eine lebendige Frau, die skurrile Glasfiguren sammelte, in sentimentalen Momenten in Tränen ausbrach und Fehlschläge mehr als alles andere fürchtete.

Hastig überquerte sie den Parkplatz, stieg in ihren Wagen und legte den Kopf auf das Lenkrad. Mit geschlossenen Augen zählte sie langsam erst bis zehn, dann bis zwanzig, während sie sich bemühte, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Zum ersten Mal seit fünf Jahren bestand die Gefahr, dass sie die Fassung verlor. Und das war etwas, was sie sich nicht leisten konnte.

Sie durfte nicht zulassen, dass einer ihrer Kollegen sie in solch einem Augenblick sah. Das wäre zum einen ein eklatanter Verstoß gegen jegliche Professionalität und würde zum anderen den Geist ihres verstorbenen Vaters dazu bringen, sie heimzusuchen, weil sie etwas so typisch Weibliches getan hatte.

Seit sie alt genug gewesen war, um es verstehen zu können, hatte ihr Vater, ein Mann, der beim Militär Karriere gemacht hatte, ihr eingebläut, wie wichtig es war, dem Feind gegenüber keine Schwäche zu zeigen. Und es bestand kein Zweifel, Caleb Walker war ein Feind, der eine ernsthafte Bedrohung für sie und ihren Job darstellte. Aber er war auch der bestaussehende Feind, den sie je gesehen hatte.

2. KAPITEL

„Als Erstes möchte ich Ihnen versichern, dass Ihre Jobs sicher sind“, beruhigte Caleb die im Konferenzzimmer versammelten leitenden Angestellten. Dabei sah er insbesondere A.J. Merrick an. „Im Gegensatz zu anderen Übernahmen habe ich nicht vor, irgendjemandem zu kündigen, um meine eigenen Leute einzustellen. Sie können Ihren Job nur verlieren, wenn Sie selbst die Kündigung einreichen.“

Die Zweifel, die er in A.J.s Augen sah, machten deutlich, dass sie ihm noch immer nicht glaubte. Dem erleichterten Aufseufzen der anderen Angestellten nach zu urteilen, fanden diese seine Worte glaubhaft. Warum nur war ihm die Meinung der kühlen Miss Merrick so verflixt wichtig?

Er entschied, nicht länger darüber nachzugrübeln, und machte sich wieder daran, seine Pläne für die Firma darzulegen. „Ich habe mir die Quartalsberichte des letzten Jahres angesehen, und obwohl das Wachstum langsam war, war es stetig.“ Er grinste. „Und wie mein Großvater immer gesagt hat, ‚Wenn etwas nicht kaputt ist, schraub nicht daran rum.‘ Aus diesem Grund werde ich vorläufig keine Veränderungen im täglichen Ablauf der Firma vornehmen.“ Jedenfalls so lange nicht, bis ich ein paar Wirtschaftskurse belegt habe und anfange zu verstehen, was ich hier tue.

„Mir gefällt die Art, wie Ihr Großvater denkt“, sagte Malcolm Fuller und nickte.

Caleb lachte. „Ich bin froh, dass es Ihre Zustimmung findet, Malcolm.“ Er hatte den älteren Mann gestern getroffen, und sie hatten sich auf Anhieb prächtig verstanden. Malcolm erinnerte Caleb an Henry Walker, seinen verstorbenen Großvater – ein Mann voller Weisheit, der nie ein Blatt vor den Mund genommen hatte.

Als Caleb die erhobenen Augenbrauen einiger Abteilungsleiter bemerkte und die neugierigen Blicke, die sie austauschten, runzelte er die Stirn. Offensichtlich waren die Angestellten bei „Skerritt and Crowe“ ebenso wenig an einen zwanglosen Ton gewöhnt wie A.J. Merrick.

Caleb entschied, dass es an der Zeit war, die Führungsriege von seinen Plänen zu unterrichten. „Obwohl ich nicht vorhabe, in die Geschäftsabläufe einzugreifen, plane ich ein paar Änderungen zur Verbesserung des Betriebsklimas.“

„An was haben Sie dabei gedacht, Mr. Walker?“, fragte Ed Bentley und wirkte dabei sichtlich nervös.

„Zuallererst werden wir einmal die Formalitäten fallen lassen.“ Caleb lächelte in die Runde und hoffte, damit die Gemüter zu besänftigen. „Finden Sie es nicht ein wenig albern, mit jemandem acht Stunden am Tag, fünf Tage die Woche zu arbeiten und ihn nicht beim Vornamen zu nennen?“ Bevor irgendjemand reagieren konnte, fuhr er fort: „Wir werden natürlich unsere Klienten weiterhin höflich und angemessen formal anreden. Aber ich habe absolut nichts dagegen, wenn Sie mich oder sich untereinander mit dem Vornamen anreden.“

Die Männer und Frauen am Konferenztisch begannen zu lächeln. Jeder Einzelne, mit Ausnahme von Miss Merrick. Ihre verschränkten Hände lagen auf dem Tisch, und die Tatsache, dass ihre Knöchel weiß hervortraten, zeugte davon, dass sie mit seiner Entscheidung überhaupt nicht einverstanden war.

Wieso hatte sie etwas dagegen, eine derart altmodische Tradition abzuschaffen? Hatte sie auf dem College nicht gelernt, dass eine entspannte Umgebung gut für das Arbeitsklima ist und die Produktivität steigert? Er hatte diese Information aus dem Internet, also konnte es ja wohl kein großes Geheimnis sein.

„Sie wollen, dass wir Sie Caleb nennen?“, fragte Maria Santos zögernd.

Lächelnd wandte er sich der Leiterin der Abteilung Lohnabrechnung zu. „Das ist mein Name, Maria.“

„Welche anderen Änderungen haben Sie noch geplant, … Caleb?“, fragte einer der anderen Männer.

„Mit sofortiger Wirkung gilt das Prinzip der offenen Türen zwischen Angestellten und Führungspersonal.“ Caleb machte eine Pause, damit seine Zuhörer das Gesagte verarbeiten konnten. „Ich möchte, dass jeder Angestellte, unabhängig von seiner Position, sich ohne Scheu bei Problemen oder Beschwerden an uns wenden kann. Außerdem sollte jeder Verbesserungsvorschläge einreichen und neue Kunden akquirieren können.“

„Sie haben eine Menge guter Ideen“, meinte Joel Mc Intyre, der Leiter der Buchhaltung. „Gibt es noch etwas?“

„Ja, da wäre noch eine Sache, Joel.“ Caleb lächelte. Er war sicher, dass die Änderungen, die er noch verkünden wollte, von allen gutgeheißen würden, auch von A.J. Merrick. „Da wir in der Regel unsere geschäftlichen Kontakte per Telefon oder Internet tätigen, sehe ich keinen Grund, warum wir nicht die Kleiderordnung ein wenig lockerer handhaben sollten. Ich erwarte natürlich, dass Sie sich angemessen kleiden, wenn Sie einen Kundentermin haben, aber ansonsten steht es Ihnen frei, was Sie tragen.“ Er lachte leise. „Das heißt, solange es dezent ist und nicht aussieht, als wollten sie gleich einen Stall ausmisten.“

Er lachte laut auf, als mehrere Männer sofort ihre Krawatten lösten und den obersten Knopf ihrer Hemden öffneten. „Ich nehme an, das bedeutet, dass alle mit dieser Regelung einverstanden sind.“

Als er zu A.J. schaute, schwand sein Lächeln. Na ja, fast alle.

„Ist das alles?“, fragte sie kühl. Sie starrte ihn direkt an, und es war offensichtlich, dass sie nicht besonders glücklich war.

Keiner der anderen Abteilungsleiter schien überhaupt zu bemerken, dass die Geschäftsführerin anwesend war, geschweige denn, dass sie alles andere als angetan war von seinen Ideen. Aber Caleb spürte ihre Gegenwart nur allzu bewusst, seit sie sich auf den Stuhl am hintersten Ende des Konferenztisches gesetzt hatte. Er hatte gehofft, dass sie seine Ideen innovativ finden und ihnen eine Chance geben würde, wenn sie sie erst einmal gehört hatte.

Leider sah sie noch unglücklicher aus als gestern Nachmittag, als er in ihr Büro gekommen war und verkündet hatte, wer er war. Aber noch verwirrender als ihr mangelnder Enthusiasmus war seine Reaktion auf ihren Widerwillen. Er verspürte den kaum kontrollierbaren Wunsch, zu ihr zu gehen, sie in die Arme zu nehmen und ihr zu versichern, dass alles gut würde und dass die Änderungen, die er plante, allen zugutekommen würden.

Er schüttelte den Kopf, um seine beunruhigenden Gedanken zu vertreiben und um sie wissen zu lassen, dass er noch weitere Vorschläge hatte. „Ich habe noch eine Ankündigung zu machen, bevor ich Sie wieder an die Arbeit gehen lasse.“ Er löste den Blick von A.J. und zwang sich, seine Aufmerksamkeit auf die anderen am Tisch zu lenken. „Am Montag werden wir ein Seminar für alle Manager veranstalten, in dem es um spezielle Techniken zur Förderung der Teamarbeit geht. Anschließend wird es einmal im Monat für Sie und die Mitarbeiter Ihrer Abteilung einen freien Freitag geben, an dem Sie das, was Sie im Seminar gelernt haben, in die Praxis umsetzen können.“

„Das sind dann die Tage, an denen wir Picknicks machen, Golf spielen und Dinge tun, die dem Kommunikationsfluss dienen und die Interaktion mit unseren Kollegen fördern sollen, richtig?“, fragte Joel aufgeregt angesichts der sich bietenden Möglichkeiten.

„Genau so ist es geplant“, stimmte Caleb zu. Immerhin konnten andere seinen Plänen etwas abgewinnen, selbst wenn A.J. nicht dazu bereit war. „Es gibt keinen Grund, warum wir nicht ein wenig Spaß haben sollten, während wir ein effektiv arbeitendes Team aufbauen.“ Lächelnd schob er seinen Stuhl zurück und stand auf. Er hatte ihnen für heute genügend Stoff zum Nachdenken und Verarbeiten gegeben. In der nächsten Woche würde er weitere Neuerungen verkünden. „Wie wäre es, wenn wir jetzt wieder an die Arbeit gehen und Geld verdienen?“

Als die Besprechung endete und A.J.s Kollegen Caleb umringten, um ihre Begeisterung über seine Vorschläge zu äußern, flüchtete A.J. in ihr Büro. Sie schloss die Tür hinter sich und lehnte sich dagegen, während sie nach Atem rang. Sie hatte das Gefühl, an den unzähligen Emotionen, die auf sie einstürzten, zu ersticken. In nicht einmal einer Stunde hatte Caleb Walker all das zerstört, was sie dazu gebracht hatte, für „Skerritt and Crowe“ zu arbeiten. Und es war ihm nicht einmal bewusst.

Er glaubte, er tat allen einen Gefallen, wenn er sich bemühte, das Arbeitsklima zu entstauben. Und sie musste zugeben, dass das, was er plante, vermutlich die Motivation der Angestellten verbessern und der Firma neues Leben einhauchen würde.

Aber sie hatte sich ganz bewusst gegen eine modern geführte Finanzberatungsfirma und für diese Stelle bei „Skerritt and Crowe“ entschieden – gerade wegen der Förmlichkeit und der altmodischen Art des Führungsstils. Auf diese Weise konnte sie all ihre Aufmerksamkeit auf den Job richten und die Menschen, mit denen sie arbeitete, auf Abstand halten.

Sie stieß sich von der Tür ab, ging um den Schreibtisch herum und ließ sich in den großen Lederstuhl fallen. Obwohl sie normalerweise nette Gesellschaft durchaus zu schätzen wusste, hatte sie auf leidvolle Weise gelernt, dass es besser war, Kollegen nicht zu nahe an sich heranzulassen. Es war der einzig sichere Weg, sich vor Verrat und den daraus folgenden schmerzhaften Enttäuschungen zu schützen.

Was sie aber mehr als alles andere frustrierte und verwirrte, war ihre Reaktion auf Caleb. Während er seine Pläne erläuterte, hatte sie an nichts anderes denken können als daran, wie gut er aussah und wie angenehm sein Südstaatenakzent klang.

Sie konnte nur mit Mühe einen Frustschrei unterdrücken, der Geneva Wallace mit Sicherheit einen Herzinfarkt beschert hätte, wandte sich ihrem Computer zu und öffnete die Datei mit ihrem Lebenslauf. Es war keine Frage mehr, ihre Tage als Geschäftsführerin bei „Skerritt and Crowe“ waren gezählt, und sie tat gut daran, sich umgehend nach einem neuen Job umzusehen.

„A.J., könnten Sie kurz herüberkommen?“ Calebs Stimme drang über die Gegensprechanlage in ihr Büro und verursachte ein heftiges Kribbeln in ihrem Magen. „Ich muss etwas mit Ihnen besprechen.“

Was konnte er denn jetzt noch wollen? Hatte er in der letzten Stunde nicht schon genug angerichtet, um ihr Leben auf den Kopf zu stellen?

Seufzend drückte sie die Sprechtaste. „Ich arbeite gerade an einer Sache. Können wir die Diskussion auf heute Nachmittag verschieben?“ Er brauchte ja nicht zu wissen, dass sie Vorbereitungen treffen wollte, um sich einen neuen Job zu suchen. Als ihr nur Stille entgegenschlug, drückte sie noch einmal die Sprechtaste. „Mr. Walker? Caleb?“

Sie schnappte nach Luft, als die Tür, die ihre beiden Büros verband, geöffnet wurde und Caleb ins Zimmer geschlendert kam.

„Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe, aber ich schaue den Leuten, mit denen ich rede, gern in die Augen“, meinte er schmunzelnd.

Beim Klang seiner Stimme und dem sexy Grinsen fuhr ein Schauer über A.J.s Rücken und sie überlegte, wobei er ihr vielleicht noch gern in die Augen schauen würde. Ihr stockte der Atem, und sie versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr diese abwegigen Gedanken sie schockierten.

„Was wollten Sie mit mir besprechen, Mr. …“

Er hob eine seiner dunklen Augenbrauen und räusperte sich.

Resigniert schloss sie die Datei mit ihrem Lebenslauf. „Was wollten Sie besprechen, … Caleb?“

Er lächelte zufrieden. „Ich glaube, mir ist noch etwas eingefallen, womit wir die Motivation der Angestellten verbessern können.“

Das fehlte ihr gerade noch! Eine weitere seiner idiotischen Ideen, die ihr mit Sicherheit ebenfalls gegen den Strich gehen würde.

Sie richtete ihren Blick auf seine Stirn, um nicht direkt in diese faszinierenden Augen schauen zu müssen. „An was dachten Sie da?“

„Ich habe mir überlegt, dass wir den Pausenraum in eine Art Wohnzimmer verwandeln sollten.“

A.J. öffnete den Mund, um etwas zu sagen, brachte aber kein Wort hervor.

„Obacht.“ Er lachte. „Sie fangen sonst noch Fliegen.“

Sie schloss den Mund. Nahm er denn gar nichts ernst? „Würden Sie bitte erklären, was Sie mit einem Wohnzimmer meinen?“, fragte sie und rieb sich die Schläfen, die auf einmal heftig pochten.

„Ich dachte an Sofas, ein paar Tische und einen großen Fernseher“, erwiderte er nachdenklich. „Wenn unsere Angestellten eine Pause machen, sollten sie sich entspannen und die kurze Zeit, die sie nicht an ihrem Arbeitsplatz verbringen, genießen können.“

„Wenn Sie es zu gemütlich gestalten, dann schlafen sie ein“, platzte A.J. heraus. So direkt hatte sie gar nicht sein wollen. Aber Tatsachen blieben Tatsachen, und dessen sollte er sich von vornherein bewusst sein.

„Gegen ein kleines Nickerchen hin und wieder ist nichts einzuwenden. Studien haben gezeigt, dass die meisten Menschen danach sehr viel leistungsfähiger sind.“

Sie hatte diesen Artikel auch gelesen und konnte kaum das Gegenteil beweisen, aber das bedeutete nicht, dass sie diese Meinung teilen musste. „Wollten Sie nur wissen, was ich von der Idee halte?“, fragte sie vorsichtig.

„Nein, eigentlich nicht.“ Er lächelte sie so freundlich an, dass ihr auf einmal ganz warm wurde. „Ich wollte Sie bitten, mich bei diesem Projekt zu unterstützen.“

Instinktiv wollte sie ablehnen, doch zu ihrer eigenen Überraschung hörte sie sich fragen: „Was soll ich tun?“

„Ich würde es sehr zu schätzen wissen, wenn Sie mir helfen könnten, Farben und Möbel auszusuchen.“ Er lächelte ein wenig verlegen. „Dekorieren gehört nicht gerade zu meinen größten Talenten.“

Oh, er war so gut. Er wusste genau, wann er sein Lächeln vertiefen und seinen Jungencharme einsetzen musste, um das zu bekommen, was er wollte. Zum Glück war sie solchen Taktiken gegenüber immun.

„Wie kommen Sie darauf, dass ich es besser kann?“

„Ich weiß nicht.“ Er zuckte mit den Schultern. „Aber ich brauche eine weibliche Meinung. Das Zimmer soll sowohl für Männer als auch für Frauen ansprechend sein. Wenn ich es allein dekoriere, sieht es hinterher vermutlich aus wie eine Sportkneipe.“

„Warum bitten Sie Mrs. Wallace nicht um Hilfe?“, hakte A.J. nach.

„Ich habe Geneva für ein anderes Projekt eingespannt“, sagte er ungerührt.

„Tatsächlich?“ Du lieber Himmel, wie hatte er ihre pampige sechzigjährige Sekretärin becircen können, etwas für ihn zu tun?

„Ich habe ihr ein Budget über fünftausend Dollar für Bekleidung und Ausrüstung gegeben und sie damit beauftragt, sich um unsere Sportteams zu kümmern.“

A.J. traute ihren Ohren nicht. „Sportteams? Das soll wohl ein Witz sein.“

„Nein.“ Sein Lächeln wurde breiter. „Je nach Interessen unserer Mitarbeiter werden wir in diesem Winter ein Bowling- und ein Volleyball-Team sowie im nächsten Sommer ein Softball-Team haben.“

„Sie wissen, dass diese Firma hauptsächlich Buchhalter und Finanzanalysten beschäftigt, oder?“ Sie schüttelte ungläubig den Kopf. „Das ist nicht gerade das Material, aus dem Sportskanonen gemacht werden.“

„Ich weiß, aber mir geht es nicht ums Gewinnen, sondern darum, das Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Angestellten zu fördern.“ Er stand auf, streckte sich und ging dann zur Tür, die zu seinem Büro führte. „Sie können am Wochenende darüber nachdenken, was wir mit dem Pausenraum machen sollen. Nächste Woche sprechen wir dann über Ihre Ideen.“

Während sie Caleb dabei beobachtete, wie er die Tür hinter sich schloss, stöhnte A.J. innerlich auf. Von dem Zeitpunkt an, als sie alt genug gewesen war, um es zu verstehen, hatte ihr Vater ihr Struktur und Ordnung gepredigt. Er hatte gesagt, sie wären das Wichtigste für ein erfolgreiches Leben. Captain John T. Merrick hatte daran geglaubt, danach gelebt und darauf bestanden, dass seine Tochter sich diese Grundsätze zu eigen machte. Er hatte sogar das Internat, das A.J. nach dem Tod ihrer Mutter hatte besuchen müssen, ausgesucht, weil es den Grundprinzipien von Zucht und Ordnung folgte. Ein einziges Mal war sie von dem Pfad, den ihr Vater vorgegeben hatte, abgewichen. Und das hatte ihr einen beschämenden Skandal an ihrem damaligen Arbeitsplatz beschert.

Aber sie hatte es überlebt. Es war extrem schwierig gewesen, aber sie hatte die Reste ihres verletzten Stolzes zusammengesucht, war eine wiedergeborene Jungfrau geworden und hatte ihren Job bei „Skerritt and Crowe“ gefunden. Und sie war während der letzten fünf Jahre, wenn auch nicht glücklich, so doch zumindest zufrieden gewesen.

Unglücklicherweise schien es mit ihrer Zufriedenheit ein Ende zu haben, seit Caleb Walker aufgetaucht war. Seit er gestern in ihr Büro geschlendert war und verkündet hatte, dass er die Firma übernehmen würde, kam A.J. sich vor, als wäre sie von einem Strudel mitgerissen worden. Caleb repräsentierte all das, was man ihr beigebracht hatte, mit Vorsicht zu genießen oder am besten ganz zu meiden. Sein Führungsstil war innovativ, seine Ideen waren unorthodox. Hinzu kam noch eine für sie kaum erträgliche Spontaneität.

Warum begann dann ihr Puls zu rasen, wann immer sie mit Caleb in einem Raum war? Warum jagte ihr sein sexy Südstaatenakzent jedes Mal einen wohligen Schauer über den Rücken? Und warum begann ihr Körper beim Anblick seiner breiten Schultern und der schmalen Hüften stets auf eine Weise zu beben, wie sie es noch nie erlebt hatte?

Sie biss sich auf die Unterlippe, um das Zittern zu unterdrücken, und öffnete hastig die Computerdatei mit ihrem Lebenslauf. Es war unausweichlich. Sie musste sich einen anderen Job suchen, sonst verlor sie noch ihr letztes bisschen Verstand.

Am folgenden Dienstagnachmittag saß Caleb an seinem Schreibtisch und fragte sich wieder einmal, in was Emerald Larson ihn da hineinmanövriert hatte. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wie er mit einem von „Skerritt and Crowes“ besten Klienten umgehen sollte. Seine Abendkurse an der Universität von New Mexico begannen erst Ende des nächsten Monats. Außerdem bezweifelte er, dass er in den Wirtschaftskursen, für die er sich eingeschrieben hatte, etwas über den Umgang mit Kunden lernte.

Er trommelte mit den Fingerspitzen auf die polierte Schreibtischplatte. Auch in seinem Management-Handbuch hatte er nichts darüber gefunden. Das verflixte Ding behandelte nur Sachen wie die Überwachung von Angestellten und die Verbesserung der Arbeitsumgebung. Es war völlig nutzlos, wenn es darum ging, etwas über die Interaktion mit Kunden zu lernen.

Aber unabhängig davon, ob Caleb wusste, was er tat oder nicht, es änderte nichts an der Tatsache, dass Raul Ortiz sich mit ihm treffen wollte. Caleb hatte mit „Skerritt and Crowe“ die Firma übernommen, die „Ortiz Industries“ dabei geholfen hatte, einen der besten Investmentpläne für die Angestellten zu realisieren. Er vermutete, dass Ortiz sicherstellen wollte, dass Caleb seinen Anforderungen genügte.

Als Caleb in diesem Moment A.J.s Stimme von nebenan hörte, hob sich seine Stimmung. Die Frau mochte ihn fast um den Verstand bringen, weil es ihm so schwerfiel, herauszufinden, was in ihr vorging, aber er hatte ihre Personalakte gelesen. Sie war eine absolute Spitzenkraft, wenn es um Finanzplanung und Marketingstrategien ging. Schon mit fünfzehn hatte sie die Highschool abgeschlossen und mit zwanzig bereits ihren Abschluss im Bereich Investment Banking und Business Administration gemacht.

Wenn er sie mitnahm auf seine Reise nach Roswell, würde das Treffen mit Ortiz bestimmt gut laufen. Er selbst kam gut mit Menschen aus, und A.J. war eine Zauberin, wenn es um Zahlen und Finanzplanung ging. Zusammen gaben sie bestimmt ein Superteam ab.

Caleb holte tief Luft und stand auf. Er hasste es, wenn es Sachen gab, denen er sich nicht gewachsen fühlte. Aber er hatte von vornherein beschlossen, dass er sich auf die Menschen verlassen musste, die für ihn arbeiteten, bis er Kurse belegt und ein Grundverständnis dafür bekommen hatte, was für eine Firma Emerald ihm übertragen hatte. Es sah so aus, als würde er sich eher früher als später auf jemanden, in diesem Fall A.J., verlassen müssen.

Er öffnete die Verbindungstür zwischen ihren Büros und lächelte, als A.J. ihn über ihren Computerbildschirm hinweg anschaute. „Ich habe gerade einen Anruf von einem Mann unten in Roswell bekommen“, sagte er, bevor er zu ihrem Schreibtisch schlenderte und sich auf den Stuhl davor fallen ließ. „Er behauptet, einer unserer zufriedensten Kunden zu sein.“

„Das müsste dann Mr. Ortiz sein“, antwortete sie nickend. „Er ist einer unserer wertvollsten Klienten.“

„Das hat er auch gesagt.“ Caleb lachte. „Ich hatte den Eindruck, dass er auch einer unserer offensten Kunden ist.“

„Stimmt, er ist niemand, der um den heißen Brei herumredet“, bestätigte sie und schob die Brille auf ihrer süßen kleinen Nase zurecht. Diese Bewegung lenkte seine Aufmerksamkeit wieder einmal auf ihre unglaublichen Augen, und Caleb ermahnte sich, daran zu denken, warum er in A.J.s Büro gekommen war.

„Sie haben also schon einmal mit ihm zu tun gehabt?“

A.J. nickte. „Mr. Skerritt hat sich um den Investmentplan für ‚Ortiz Industries‘ gekümmert, aber er hat mich damit beauftragt, einen persönlichen Rentenplan für Mr. Ortiz auszuarbeiten. Warum fragen Sie?“

„Er will, dass ich morgen nach Roswell komme, damit wir uns kennen lernen.“ Bemüht nonchalant fügte Caleb hinzu: „Ich habe deshalb beschlossen, dass ich Sie mitnehmen werde.“

„Mich?“ Sie riss die Augen hinter ihrer riesigen Brille auf und wirkte auf einmal wie ein Reh, das im Scheinwerferlicht eines Wagens gefangen war und in Panik zu geraten drohte. War der Gedanke, Zeit mit ihm zu verbringen, so Furcht einflößend?

„Gibt es da ein Problem, A.J.?“

„Warum? Ich meine, ich kann nicht …“ Sie schloss abrupt den Mund und starrte Caleb einfach nur an.

Während er ihren Blick erwiderte, musste Caleb sich bemühen, beim Thema zu bleiben und nicht an ihre perfekt geformten Lippen zu denken. „Mir ist natürlich klar, dass das sehr überraschend kommt, aber ich sehe keine andere Möglichkeit. Ich stehe in dieser Firma noch am Anfang und weiß absolut nichts über Ortiz und das, was wir mit ihm zu tun haben. Und ich möchte nicht riskieren, ihn oder andere Kunden zu verlieren.“

Seine Argumente schienen ihm einleuchtend. Er hoffte nur, dass sie auch A.J. überzeugen würden.

Sie knabberte auf ihrer Unterlippe, während sie über seine Worte nachdachte, und er musste sich sehr beherrschen, um nicht aufzustöhnen. Warum fand er nur ihren Mund auf einmal so verdammt faszinierend? Hatte er nicht genügend schlechte Erfahrungen mit karrieresüchtigen Frauen gemacht?

„Wann soll die Besprechung stattfinden?“, fragte sie.

War es nur Einbildung oder zitterte ihre Stimme wirklich ein wenig?

„Ortiz will mir morgen Nachmittag seine Fabrik zeigen und dann gegen sechs oder sieben Uhr mit mir essen gehen.“

„Es wäre zu spät für uns, dann noch zurückzufahren, und ich muss übermorgen früh zwei wichtige Telefonate führen.“ Sie klang extrem erleichtert, als sie hinzufügte: „Tut mir leid, aber ich glaube, ich kann nicht mitkommen. Wir sind schon seit mehreren Monaten dabei, zwei potenzielle Klienten zu gewinnen. Wir könnten sie verlieren, wenn ich die Anrufe verschiebe.“

So schnell gab er nicht auf. „Wo genau befinden sich die Firmen?“

„Mr. Sanchez’ Firma hat ihren Sitz in Las Cruces und Mrs. Baileys in Truth or Consequences.“ Sie kniff die Augen zusammen. „Warum?“

„Wenn mich meine Geografiekenntnisse nicht täuschen, dann sind diese beiden Orte nicht weit von Roswell entfernt“, sagte er und überlegte schnell. „Rufen Sie die beiden an und sagen Sie ihnen, dass wir übermorgen bei ihnen in der Gegend sind und uns gern mit ihnen persönlich treffen wollen. Dann sehen sie, dass wir wirklich gern für sie arbeiten wollen, und Sie können mit mir nach Roswell fahren. Nach den Besuchen bei Mr. Sanchez und Mrs. Bailey fahren wir dann zurück.“ Entschlossen, schnell zu verschwinden, bevor A.J. weitere Ausreden finden konnte, eilte Caleb zur Tür. „Ich hole Sie morgen um zehn zu Hause ab.“

„Da…das wird nicht nötig sein“, sagte sie, und er blieb stehen. Als er sich umdrehte, fügte sie hinzu: „Ich muss morgen früh erst noch ein paar Sachen im Büro erledigen. Wir können von hier aus starten.“

Caleb sah, dass sie nicht gerade glücklich war, aber das ließ sich nicht ändern. Er selbst war auch nicht sonderlich begeistert davon, sich auf A.J.s Sachverstand verlassen zu müssen, damit er sich bei den Kunden nicht blamierte.

„In Ordnung“, meinte er. „Ich werde Geneva bitten, uns ein Zimmer für morgen Nacht in Roswell reservieren zu lassen.“

„Ein Zimmer?“, fragte sie entsetzt, bevor sie sich wieder fasste und hinzufügte: „Sie meinen, für jeden von uns ein Zimmer, oder?“

„Selbstverständlich.“

Während er nach draußen ging, um mit Geneva zu sprechen, huschte ein verschmitztes Lächeln über Calebs Gesicht. Ganz offensichtlich machte er A.J. Merrick nervös.

Die nächsten beiden Tage versprachen äußerst interessant zu werden, und zwar auf eine Weise, mit der er nicht gerechnet hatte. Nicht nur, dass er sehen konnte, wie A.J. mit Kunden umging, er hatte auch das Gefühl, dass er vielleicht miterleben würde, wie ihre kühle Selbstbeherrschung ins Wanken geriet.

3. KAPITEL

Nach einer ereignislosen Fahrt hinunter nach Roswell, einem Rundgang durch „Ortiz Industries“ und einem ausgesprochen erfolgreichen Abendessen mit Mr. Ortiz, wollte A.J. nur noch auf ihr Zimmer gehen und ein entspanndes heißes Bad nehmen. Sie war völlig erschöpft von einer unruhigen Nacht, in der sie sich stundenlang im Bett hin und her gewälzt hatte. Und nach einem Tag, den sie in Calebs beunruhigender Gegenwart hatte verbringen müssen, brauchte sie dringend ein wenig Abstand und Zeit für sich.

„Warum checken Sie uns nicht ein, während ich die Sachen aus dem Wagen hole?“, schlug Caleb vor, als er seinen Pick-up vor dem Motel parkte.

A.J. öffnete die Beifahrertür. „Ich nehme an, die Zimmer sind unter dem Firmennamen gebucht?“

„Ja. Geneva meinte, sie hat die letzten beiden Zimmer in Ros…“ Er hielt abrupt inne, als eine Familie Außerirdischer mit lang gezogenen, absurd aussehend Köpfen und großen blinkenden Augen vor dem Pick-up vorbeiging und in einen blauen Wagen stieg.

„Es ist Festivalwoche“, erklärte A.J. Sie musste lachen über den ungläubigen Ausdruck auf Calebs Gesicht. „Wahrscheinlich werden wir noch mehr solchen merkwürdigen Gestalten begegnen.“

„Ich habe die Plakate gesehen, als wir durch die Stadt gefahren sind.“ Caleb schüttelte den Kopf. „Aber mir war nicht klar, dass die Leute die Sache mit den Außerirdischen so weit treiben würden.“

A.J. stieg aus. „Es ist der Jahrestag des berühmten Roswell-Ereignisses. Aus der ganzen Welt versammeln sich die Menschen in der ersten Julihälfte hier, um Seminare zu besuchen, sich über ihre Erfahrungen auszutauschen, die sie angeblich mit Außerirdischen gemacht haben, und um an einer Reihe von Veranstaltungen teilzunehmen. Heute Abend ist anscheinend der große Kostümwettbewerb.“

Caleb lachte, als ein weiterer Alien, dieser mit Fühlern auf dem Kopf und silbernen Augen, winkend in seinem gelben VW Käfer an ihnen vorbeifuhr. „Mir scheint, wir können uns glücklich schätzen, dass Geneva überhaupt noch Zimmer für uns buchen konnte.“

„Es hat mich auch überrascht, dass sie so kurzfristig noch fündig geworden ist.“

A.J. schloss die Wagentür, ging hinüber zum Motel und steuerte direkt den Empfang an. Sie war wirklich erleichtert, dass sie bald Zeit für sich haben würde. „Ich arbeite bei ‚Skerritt and Crowe‘. Sie müssten zwei Zimmer für uns reserviert haben.“

Das junge Mädchen hinter dem Empfang blies sein Kaugummi zu einer großen Blase und ließ sie platzen, während es etwas in den Computer eingab. „Wir haben ein Zimmer mit zwei Betten.“

„Da muss ein Fehler unterlaufen sein“, sagte A.J. und schüttelte den Kopf. Sie wusste, dass Geneva Wallace viel zu korrekt war, als dass sie aus Versehen nur ein Zimmer reservieren würde. „Könnten Sie bitte noch einmal nachschauen?“

Achselzuckend gab das Mädchen die Information noch einmal ein. Einen Augenblick später sah sie auf und schüttelte den Kopf. „Ich habe hier nur ein Zimmer für ‚Skerritt and Crowe‘. Aber wie ich schon sagte, das Zimmer hat zwei Betten.“

A.J.s Schläfen begannen zu pochen. „Haben Sie noch ein weiteres Zimmer frei?“

Das Mädchen lächelte entschuldigend. „Tut mir leid. Diese Woche ist seit Monaten ausgebucht. Wenn wir nicht eine Stornierung bekommen hätten, dann wäre nicht einmal dieses Zimmer für Sie verfügbar gewesen.“ Noch einmal blies sie ihr Kaugummi auf und schaute A.J. nachdenklich an. „Sie können es natürlich woanders versuchen. Aber das nächste freie Zimmer bekommen Sie wohl erst in Las Cruces – wenn überhaupt.“

„Gibt es ein Problem?“, fragte Caleb, als er neben A.J. trat.

„Ja, ein ziemlich großes. Sie haben nur ein Zimmer für uns.“ Plötzlich wusste sie, wie sich die kleine Dorothy im Märchen gefühlt haben musste, als sie von einem Tornado mitgerissen, über den Regenbogen gewirbelt und im Lande Oz gelandet war. „Wegen des Festivals gibt es im Umkreis von Meilen kein freies Zimmer. Es sieht so aus, als müssten wir heute Nacht weiter bis nach Las Cruces fahren.“

Zu ihrem Erstaunen schüttelte Caleb den Kopf. „Es ist schon spät, wir sind beide müde, und nach Las Cruces führen nur kleine Landstraßen. Unter diesen Bedingungen umherzukurven macht keinen Sinn.“

A.J. verspürte einen Anflug von Verzweiflung. Hatte Caleb den Verstand verloren?

„Wir können nicht in einem Zimmer übernachten.“

„Sie können das Bett haben, ich schlafe auf dem Fußboden.“ So wie er es sagte, klang es völlig logisch.

„Das Zimmer hat zwei große Betten“, warf das Mädchen hilfsbereit ein.

„Wir nehmen es“, sagte Caleb und stellte die Reisetaschen ab, um nach seiner Brieftasche zu greifen.

Wenn sie eben noch gedacht hatte, sie wäre verzweifelt, dann hatte A.J. jetzt das Gefühl, gleich eine Panikattacke zu bekommen. Sie zupfte an Calebs Ärmel und zog ihn mit hinüber zu der Sitzecke in der Lobby, um unter vier Augen mit ihm zu sprechen.

„Sie können das nicht ernst meinen.“

„Wir haben keine Wahl.“

„Was passiert, wenn die Angestellten in der Firma herausfinden, dass wir die Nacht im selben Zimmer verbracht haben?“

Er zuckte mit den Achseln. „Solange keiner von uns es erzählt, werden sie es nie erfahren.“

„Machen Sie sich doch nichts vor! Was glauben Sie wohl, was geschieht, wenn Sie ihren Beleg einreichen, um die Hotelkosten erstattet zu bekommen?“, fragte sie, wohl wissend, dass es in der Gerüchteküche überkochen würde, sobald herauskam, dass auf der Rechnung nur ein Zimmer stand.

„Dann zahle ich das Zimmer eben mit meiner privaten Kreditkarte.“ Er klang so verdammt vernünftig, dass sie am liebsten mit dem Fuß aufgestampft hätte.

„Aber …“

Er legte ihr die Hände auf die Schultern. „Ich gebe ja zu, dass es eine dumme Situation ist, aber wir können nun einmal nicht jeder ein eigenes Zimmer bekommen. Wir sind doch beide erwachsen, A.J. Wir werden mit dieser Situation doch wohl fertig werden, oder?“ Bevor sie ihn aufhalten konnte, zog er seine Brieftasche aus der Gesäßtasche, ging wieder zur Rezeption und reichte dem Mädchen eine Kreditkarte.

A.J.s Herz schlug Purzelbäume. Vielleicht konnte er mit der Situation umgehen, aber was sie selbst anging, war sie sich nicht sicher. Den ganzen Tag stand sie schon unter Anspannung, weil Caleb immer an ihrer Seite gewesen war, erst in dem engen Pick-up und dann bei der Besprechung und dem Essen mit Mr. Ortiz.

Seit heute Morgen, als sie das Büro verlassen hatten, waren ihre Sinne von diesem Mann eingelullt worden. Der Duft seines würzigen Aftershaves, der Klang seiner tiefen Stimme und das gelegentliche Streifen seines Armes an ihrem, wenn er ihr die Tür aufgehalten hatte, all das hatte jede einzelne Zelle ihres Körpers in Alarmbereitschaft und sie selbst in eine Rastlosigkeit versetzt, über die sie lieber nicht weiter nachdenken wollte. Wenn sie jetzt auch noch die Nacht mit Caleb verbringen musste, dann bestand die Gefahr, dass sie am Morgen völlig durchgedreht war.

Caleb saß auf der Bettkante seines Motelbettes, zog sich die Stiefel aus, griff dann nach der Fernbedienung und zappte sich geistesabwesend durch die Fernsehsender. Er musste dringend seine Gedanken von der Frau ablenken, die sich im angrenzenden Bad umzog.

Er schaute zu der geschlossenen Tür und schüttelte den Kopf. Es war die reinste Hölle gewesen, den ganzen Tag lang ihrer weichen Stimme zu lauschen und sie dabei zu beobachten, wie sie sich mit katzenhafter Anmut bewegte. Am schlimmsten waren jedoch die Momente gewesen, wenn sie sich unbeabsichtigt berührt hatten, denn da hatte er jedes Mal das Gefühl gehabt, gleich aus der Haut fahren zu müssen. Was war nur an A.J., dass seine Hormone völlig verrückt spielten und durch sein Blut schossen wie eine Kugel durch einen Flipperautomaten?

Sie war durch und durch Geschäftsfrau und vermittelte den Eindruck, als ginge sie völlig in ihrer Karriere auf. Und er hatte auf die harte Tour lernen müssen, dass es am besten war, solche Frauen zu meiden. Warum dann musste er seit dem Moment, als er sie zum ersten Mal erblickt hatte, dauernd an sie denken? Warum nur fand er sie so verdammt fesselnd?

Ihre Kleidung war wahrlich nicht dazu angetan, zu provozieren oder einen Mann zu verführen. Sie benutzte weder Make-up, noch frisierte sie sich auf eine Weise, die sie anders als unscheinbar aussehen ließ.

Er runzelte die Stirn. Es war, als würde sie alles daransetzen, möglichst wenig Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Das war es, was ihn so sehr verwirrte. A.J. sah nicht so aus und benahm sich auch nicht so wie eine Karrierefrau. Leslie Ann Turner, die Frau, mit der er vor einigen Jahren liiert gewesen war, war das perfekte Beispiel für eine ambitionierte, aufstrebende Geschäftsfrau gewesen, die viel Mühe darauf verwendet hatte, attraktiv auszusehen. Sowohl bei der Arbeit als auch wenn sie zusammen ausgegangen waren. Sie hatten sich zufällig getroffen, als er an einem Farmer-Symposium in einem Hotel in Nashville teilgenommen und sie nach der Arbeit mit ihren Kolleginnen noch auf einen Drink in der Lobby gesessen hatte. Er hatte sie zum Essen eingeladen, und daraus hatte sich eine zweijährige Affäre entwickelt. Anfangs war Leslie Ann noch eine untere Führungskraft gewesen, ohne diesen Drang nach Macht und höheren Positionen, und sie hatte auch nicht auf Caleb herabgesehen, nur weil er nichts weiter als einen Highschool-Abschluss vorweisen konnte.

Das hatte sich jedoch im Laufe der Zeit, nachdem sie befördert worden war, geändert. Sie nahm ihn nicht mehr zu irgendwelchen Geschäftspartys mit und war zu der Überzeugung gelangt, dass ein Mann daran zu messen war, wie viele Diplome er vorweisen konnte. Und so war es dann keine große Überraschung, als sie ihn sitzen ließ wie ein Blind Date an einem Samstagabend.

Doch auch wenn es hart gewesen war, zu akzeptieren, dass sie anscheinend der Meinung war, er wäre nicht gut genug für sie, konnte er sich bei ihr für die erteilte Lektion bedanken. Er hatte nicht vor, sich noch einmal mit einer karrieresüchtigen Frau einzulassen, egal wie faszinierend ihre blauen Augen auch sein mochten.

Aber im Gegensatz zu Leslie Ann schien A.J. nicht über diese rücksichtslose Art und Weise zu verfügen, mit der sie daran arbeitete voranzukommen. Manchmal wirkte A.J. sogar fast unsicher und verletzlich. Das war ihm zum Bespiel aufgefallen, als er in der Firma seine Änderungen bekannt gegeben hatte, und dann später, als er sie gebeten hatte, ihm bei der Umgestaltung des Pausenraumes zu helfen.

Während er dasaß und über seine für ihn nicht nachvollziehbare Faszination für A.J. nachdachte, wurde die Badezimmertür geöffnet. Als er aufschaute, hatte Caleb das Gefühl, von einer Dampfwalze überrollt zu werden. Ohne ihre überdimensionale Brille und ohne den altmodischen Knoten im Haar sah A.J. Merrick einfach umwerfend aus.

Caleb schluckte, als sie an ihm vorbei zum anderen Bett ging. Ihr grüner Seidenpyjama und der dazu passende Morgenrock unterstrichen die roten Strähnen in ihrem schulterlangen offenen Haar und bildeten einen perfekten Kontrast zu ihrer makellosen Porzellanhaut und den blauen Augen.

„Das Bad gehört Ihnen“, sagte sie.

Sie hatte es vermieden, in seine Richtung zu schauen, und darüber war er ziemlich froh. Er hatte sie angestarrt wie ein Teenager, der zum ersten Mal das Playmate des Monats zu Gesicht bekam, und er bezweifelte nicht, dass sie denken musste, sie teilte das Zimmer mit einem Verrückten.

Caleb bekam auf einmal das Gefühl, der Raum erdrücke ihn, deshalb stand er auf. „Ich bin noch gar nicht so müde“, log er. „Ich gehe noch mal nach unten ins Restaurant und trinke etwas.“ Während er zur Tür ging, fragte er: „Soll ich Ihnen etwas mitbringen?“

„Nein, danke.“

„Ist es okay, wenn ich Sie hier allein lasse?“

„Sicher. Warum fragen Sie?“

Er würde ihr nicht erzählen, dass sie gerade bezaubernder aussah, als er sich je hätte vorstellen können. Genauso wenig wollte er zugeben, dass er sich wie ein Trottel vorkam, weil er wie ein Hund mit eingeklemmtem Schwanz davonrannte.

„Nur so.“

Sie verbarg ein Gähnen hinter vorgehaltener Hand. „Ich werde vermutlich schon schlafen, ehe Sie unten sind.“

Der Gedanke daran, wie sie wohl aussah, wenn ihr langes seidiges Haar auf dem Kissen ausgebreitet war und die dunklen Wimpern auf ihren zarten Wangen wie winzige Federn ruhten, ließ eine Hitzewelle durch seinen Körper strömen und veranlasste ihn, hastig nach der Türklinke zu greifen.

„Gute Nacht!“, rief A.J.

„Äh, ja, gute Nacht“, murmelte er und schloss die Tür hinter sich. Er war bereits halb den Flur entlanggegangen, als ihm auffiel, dass er auf Socken herumlief und seine Stiefel noch vor dem Bett im Zimmer standen.

Er blieb abrupt stehen. „Du meine Güte!“

„Flashback?“

Caleb drehte sich um und sah einen großen dürren Mann hinter sich stehen, der, wie es aussah, ein Stück Alufolie um seinen kahlen Kopf gewickelt hatte. „Wie bitte?“

„Ich fragte, ob Sie ein Flashback von Ihrer letzten Begegnung mit ihnen hatten“, sagte der Mann und deutete zur Decke. „Einige von uns haben gelegentlich Flashbacks. Vor allem, wenn es sich um eine wirklich nahe Begegnung gehandelt hat.“

Als Caleb endlich begriff, dass der Mann von Außerirdischen sprach, schüttelte er den Kopf. „Nein, es handelt sich eher um eine erste Begegnung.“

„Ah, ich verstehe. Es kann ziemlich beunruhigend sein, wenn man sie zum ersten Mal sieht.“ Grinsend hob der Mann die Hand, um seine Folie zurechtzurücken. „Aber nach einiger Zeit werden Sie merken, dass Sie sich darauf freuen und sich geradezu nach einer Begegnung der dritten Art sehnen.“

Caleb nickte. Er stellte sich bereits vor, wie weich und feminin A.J. wohl aussehen würde, wenn sie morgen früh aufwachte. Und allein der Gedanke an eine nahe Begegnung irgendeiner Art mit ihr erregte ihn.

Als der Mann seinen Weg fortsetzte, drehte Caleb sich um und ging zurück zum Zimmer. „Du hast ja keine Ahnung, Mann. Nicht die geringste Ahnung.“

Kaum hatte sich die Tür hinter Caleb geschlossen, da ließ sich A.J. auf das Bett fallen. Sie hatte seinen Blick auf sich gespürt, als sie aus dem Bad durchs Zimmer gegangen war, und ihre Knie fühlten sich noch immer an, als wären sie aus Gummi. Wie sollte sie jemals ein Auge zubekommen, ganz davon zu schweigen zu schlafen?

Sie konnte an nichts anderes denken als daran, was er wohl im Bett anhaben und wie er morgen früh aussehen würde, wenn er aufwachte. Und allein das Wissen, dass er nur wenige Schritte von ihr entfernt liegen würde, ließ ihr Herz so wild pochen, dass sie meinte, es würde gleich aus ihr herausspringen wollen.

A.J. sah sich voller Panik im Zimmer um. Sie musste ihre Gedanken auf etwas anderes lenken, fort von ihrem beunruhigenden Chef. Verzweifelt griff sie nach der Fernbedienung und schaltete auf einen Sender, der Klassiker übertrug. Sie würde versuchen, sich in einem dieser alten Filme zu verlieren. Vielleicht konnte sie dann vergessen, dass sie die Nacht mit dem aufregendsten Mann, den sie je getroffen hatte, verbringen würde. Zumindest im selben Zimmer.

Als sie merkte, dass es sich bei dem Film um „Die große Liebe meines Lebens“ handelte, zog sie ihren Morgenmantel aus, schlug die Bettdecke zurück und kroch ins Bett. Obwohl sie den Film mindestens schon zwanzig Mal gesehen und jedes Mal herzzerreißend geschluchzt hatte, war es immer noch einer ihrer Lieblingsstreifen.

Während sie sich in die Kissen kuschelte, versuchte sie, die gegenwärtige Situation zu vergessen und sich für das Ende des Films zu wappnen. Doch es nützte nichts. Als der Held herausfand, warum die Heldin ihn nicht auf dem Dach des Empire State Buildings hatte treffen können, strömten bei A.J. die Tränen.

Unglücklicherweise wählte Caleb genau diesen Moment, um ins Zimmer zu kommen. „Ich habe vergessen, meine …“ Er hielt abrupt inne. „Weinen Sie?“

Beschämt, dass er sie in einer derart demütigenden Situation ertappt hatte, in der sie alles andere als professionell erschien, starrte sie auf den Fernseher. „N…nein.“

Zu ihrem Entsetzen kam Caleb zu ihrem Bett und setzte sich zu ihr. „Doch, das tun Sie.“ Er nahm ihre Hände in seine. „Was ist los, A.J.?“

„Nichts.“ Sie hatte gewusst, dass er gleich wiederkommen würde. Warum zum Teufel hatte sie ausgerechnet einen Film anschauen müssen, der sie unweigerlich zu Tränen rührte?

„Schau mich an, Darling.“ Der sanfte Klang seiner Stimme verstärkte die Tränenflut nur noch. Warum ging er nicht einfach wieder und ließ sie allein?

„Ich … kann nicht.“ Du meine Güte, konnte der Tag noch schlimmer werden?

Es war Jahre her, dass sie jemandem erlaubt hatte, ihre Tränen zu sehen. Und jetzt saß sie hier und schluchzte wie ein Baby. Und das ausgerechnet vor ihrem neuen Chef. Und das ausgerechnet vor dem Mann, der sie völlig verrückt machte. Noch nie hatte A.J. sich so geschämt.

Warum konnte er nicht einfach das nehmen, was er vergessen hatte, und verschwinden? Zumindest so lange, bis sie sich wieder gefangen hatte.

Er umschloss ihre Wange und drehte ihren Kopf, bis ihre Blicke sich begegneten. „Es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass die Situation dich so sehr durcheinanderbringen würde. Bitte hör auf zu weinen. Ich schlafe in meinem Pick-up, wenn du dich dann besser fühlst.“

Seine Anständigkeit berührte sie tief. Doch aus Gründen, die sie lieber nicht weiter untersuchen wollte, konnte sie nicht zulassen, dass er ihren Gefühlsausbruch der Tatsache zuschrieb, dass sie die Nacht im selben Zimmer verbringen mussten. „Es … es ist der Film.“

Er warf einen Blick über die Schulter und wandte sich ihr wieder lächelnd zu, bevor er sie in die Arme nahm. „Der Film löst bei meiner Mutter auch immer eine Tränenflut aus.“

„W…was machen Sie da?“

„Es ist in Ordnung, Alissa.“

Der Klang seiner tiefen Stimme, die ihren Namen so voller Zärtlichkeit aussprach, löste in ihr ein mittleres Gefühlschaos aus – und sie dachte nicht einmal daran, ihn von sich zu stoßen. „Woher kennen Sie … meinen Namen?“

„Er steht in deiner Personalakte.“ Caleb zog Alissa enger an sich und streichelte beruhigend ihren Rücken. „Und glaub ja nicht, dass ich vorhabe, dich durch irgendjemanden zu ersetzen. Ich habe alle Akten meiner Manager durchgesehen.“

„Warum?“ Es war eine rein rhetorische Frage, denn eigentlich war es ihr egal, warum er ihre oder die Personalakten der anderen Mitarbeiter angesehen hatte. Viel wichtiger war im Moment das Gefühl seiner starken Arme, die sie umschlungen hielten, und seine breite Brust, an der ihre Wange lag.

„Ich wollte herausfinden, welche Teamaktivitäten sich für jeden einzelnen Manager und seine Abteilung am besten eignen.“ Calebs warmer Atem strich über ihr Haar und sandte ihr einen wohligen Schauer über den Rücken, sodass sie leicht erzitterte. Er presste sie an sich. „Kalt?“

Weil sie keinen vernünftigen Satz herausbrachte, nickte sie nur. Selbst wenn sie ihre Stimme wiedergefunden hätte, würde sie ihm niemals erzählen, warum sie gezittert hatte.

Aber als er sich ein wenig von ihr löste, um sie anschauen zu können, war ihr klar, dass er ihr das nicht abkaufte. „Bist du sicher?“

Seine braunen Augen hielten sie in seinem Bann, und sie war sich nicht einmal mehr ihres eigenen Namens sicher. „Wie lautete noch mal die Frage?“

Lächelnd meinte er: „Das ist nicht wichtig, Alissa.“ Sein sexy Akzent verstärkte Calebs hypnotisierende Wirkung auf sie, und als er langsam den Kopf senkte, verlor augenblicklich alles andere an Bedeutung.

Sanft strich er mit dem Mund über ihren, und ihr Herz setzte fast aus. Sie sollte dieser Verrücktheit sofort Einhalt gebieten und Caleb hinausschicken, damit er die Nacht in seinem Wagen verbringen konnte. Aber aus Gründen, die sie sich selbst nicht erklären konnte, wollte sie Calebs Kuss, wollte seinen kräftigen Körper an ihrem spüren. Und als er seine Lippen fester auf ihre drückte, schlug sie alle Vorsicht in den Wind und schmiegte sich an ihn.

Während er sie mit einer Zärtlichkeit verwöhnte, die ihr den Atem raubte, spürte sie ein lustvolles Vibrieren ihres Körpers, und sie hätte Caleb nicht aufhalten können, selbst wenn ihr Leben davon abgehangen hätte. Sie wollte ihn auch nicht aufhalten.

Es war ein langer, intensiver Kuss, und ein köstliches Kribbeln breitete sich in ihr aus, als er mit der Zunge die Konturen ihrer Lippen nachzeichnete. Es war seine Art zu fragen, ob er den Kuss vertiefen durfte, und ohne einen Gedanken an die Konsequenzen öffnete sie sich ihm.

Eine berauschende Wärme strömte durch ihre Adern, als er tief in ihren Mund vordrang, um sie zu erkunden und sie dazu zu bringen, seinen Kuss zu erwidern. Sie wusste, sie spielte mit dem Feuer, aber als er sie mit federleichten Zungenschlägen neckte, hatte die Versuchung noch nie so köstlich geschmeckt wie Calebs meisterhafter Kuss.

Er drückte sie sanft auf die Matratze. Sofort erwachte stürmisches Verlangen in ihr, und ihre Knospen wurden hart. Seine Hände umschlossen ihre Brüste durch ihren Pyjama. Sie wollte seine Hände auf ihrem Körper spüren, wollte sich Haut an Haut an ihn schmiegen.

Langsam öffnete sie seine Hemdknöpfe – und wurde plötzlich von einem heiseren Stöhnen aus ihrer sinnlichen Benommenheit gerissen. Du liebe Güte, war dieses Geräusch tatsächlich aus ihrer Kehle gekommen? Was tat sie hier?

Unglaublich verlegen stieß Alissa Caleb von sich. „Das ist Wahnsinn. Aufhören!“

Caleb sah genauso aufgewühlt aus, wie sie sich fühlte. „Es … ist okay, Darling.“ Er räusperte sich und setzte sich auf. „Wir hören hier auf.“ Lächelnd erhob er sich. „Ich hole mir jetzt besser den Kaffee. Bist du sicher, dass ich dir nichts mitbringen soll?“

Anscheinend wollte er so tun, als wäre nichts zwischen ihnen geschehen. Nicht sicher, ob sie enttäuscht oder erleichtert sein sollte, beschloss Alissa, es ihm gleichzutun und die Tatsache zu ignorieren, dass sie gerade wie zwei liebestolle Teenager übereinander hergefallen waren.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, danke. Ich werde mich jetzt schlafen legen.“

Er sah sie einige Sekunden lang an, bevor er die Hand ausstreckte und ihr Kinn mit dem Zeigefinder anhob. „Ich versuche, dich nicht zu wecken, wenn ich wiederkomme.“

„Ich schlafe ziemlich fest.“ Seine Berührung verursachte merkwürdige Dinge in ihrem Inneren, und sie klang so atemlos, als wäre sie einen Marathon gelaufen. „Ich bezweifle, dass Sie genügend Krach machen können, um mich zu wecken.“ Obwohl er schon vor ihrem Kuss zum Du übergegangen war, konnte sie sich nicht dazu durchringen, ihren Chef ebenfalls zu duzen.

„Ich habe nichts davon gesagt, Krach zu machen, Darling.“ Sein tiefes Lachen und der zweideutige Blick, den er ihr zuwarf, beschleunigten ihren Puls. „Eigentlich meinte ich etwas ganz anderes.“

Alissa hatte das Gefühl, dass ihr Herz plötzlich Purzelbäume schlug, als sie den Sinn seiner Worte begriff. Bevor sie ihre Stimme wiederfinden konnte, gab Caleb ihr einen leichten Kuss auf die Stirn, nahm seine Stiefel und verließ das Zimmer, ohne sich noch einmal umzuschauen.

Während Alissa auf die Tür starrte, die sich hinter Caleb geschlossen hatte, vergaß sie fast zu atmen. Jetzt wusste sie mit Sicherheit, dass sie auf der anderen Seite des Regenbogens gelandet war. Entweder das, oder sie und Caleb waren beide von Außerirdischen in Beschlag genommen worden. Schließlich waren sie hier in Roswell, wo das Unerklärliche nicht nur akzeptiert, sondern auch erwartet wurde.

Aber als sie sich umdrehte, um die Nachttischlampe auszuschalten, schüttelte sie den Kopf. Sie wusste, was in sie gefahren war, und es hatte absolut nichts mit irgendwelchen grünen Männchen von einem anderen Stern zu tun. Von dem Moment an, als Caleb Walker in ihr Büro geschlendert gekommen war, hatte sie dagegen angekämpft und versucht, es zu ignorieren. Aber die Wahrheit war, dass sie sich zu ihrem neuen Chef hingezogen fühlte. Sehr sogar.

Sie kuschelte sich tiefer unter die Decke. Was sollte sie jetzt nur tun?

Während der vergangenen Minuten hatte sie die beiden wichtigsten Regeln, die sie sich selbst auferlegt hatte, gebrochen. Sie hatte einem ihrer Kollegen erlaubt, sie bei einem Gefühlsausbruch zu erleben, und sie hatte sich ihm praktisch an den Hals geworfen, als er sie trösten wollte.

Sie seufzte. Jetzt gab es keine andere Lösung. Ihr Abschied von „Skerritt and Crowe“ war nicht nur unausweichlich, er ließ sich auch nicht länger hinauszögern.

Alissa schloss die Augen und bemühte sich, nicht daran zu denken, welchen Schaden sie ihrem Ruf zugefügt hatte. Bewusst versuchte sie stattdessen, sich zu entspannen. Vermutlich würde sie ohnehin keinen Schlaf finden, aber zumindest würde sie nicht wieder wie ein Baby schluchzen, wenn Caleb dieses Mal zurückkehrte.

Es kam ihr vor, als wäre es erst wenige Minuten später, als das Klingeln des Telefons sie weckte. Wer rief denn um diese Zeit noch an?

Sie grummelte ärgerlich vor sich hin und stieß leise Drohungen gegen denjenigen aus, der am anderen Ende der Leitung war. Dann schaltete sie das Licht an und griff zum Telefon, bevor es noch einmal klingeln konnte. „Hallo?“

Absolute Stille.

„Ist da jemand?“, fragte sie ungeduldig.

„Wer ist dran?“, fragte Caleb schlaftrunken.

Alissa schnappte überrascht nach Luft, als sie zu dem anderen Bett sah. Offensichtlich hatte sie doch länger geschlafen, als ihr bewusst gewesen war. Caleb war nicht nur schon ins Zimmer zurückgekehrt, sondern hatte anscheinend genauso tief geschlafen wie sie.

„Miss Merrick?“

„Ja.“ Sie schaute auf die Digitaluhr auf dem Nachttisch. „Wer ist da, und warum rufen Sie nachts um zwei Uhr hier an?“

„Hier ist Clarence Norton, A.J. … Miss Merrick. Es tut mir leid, wenn ich Sie geweckt habe“, sagte der Angestellte der Sicherheitsabteilung von „Skerritt and Crowe“ entschuldigend. „Die Rezeption sollte mich mit dem Zimmer von Mr. Walker verbinden.“

„Gibt es ein Problem?“

„Vor circa einer Stunde hat es auf der Polizeiwache ein Alarmsignal aus unserer Firma gegeben“, erklärte er. „Man hat mich angerufen, damit ich aufschließe und die Polizei das Gebäude gründlich durchsuchen kann.“

Inzwischen hellwach, fragte Alissa: „Ist eingebrochen worden?“

„Nein“, versicherte Clarence ihr, „aber die Alarmanlage ist angesprungen und …“

„Was ist los?“ Caleb warf die Bettdecke zur Seite und setzte sich auf die Bettkante. „Gib mir das Telefon.“

Alissa legte einen Finger auf den Mund, um ihn zum Schweigen zu bringen, doch es war zu spät. Clarence hatte Calebs Stimme bereits gehört.

„Ist … ist das Mr. Walker?“ Seinem Tonfall nach zu schließen, war der Sicherheitsmitarbeiter völlig entsetzt.

Als Caleb nach dem Hörer griff, während Clarence auf der anderen Seite der Leitung vor sich hin stammelte, übergab Alissa das Telefon ohne ein weiteres Wort.

Ihr schlimmster Albtraum war Wirklichkeit geworden. Clarence Norton war das größte Klatschmaul in ganz Albuquerque. Wenn sie und Caleb übermorgen ins Büro zurückkehrten, dann würde jeder bei „Skerritt and Crowe“ wissen, dass sie die Nacht zusammen verbracht hatten.

4. KAPITEL

Caleb schaute zu der schweigsamen Frau auf dem Beifahrersitz. Alissa hatte zwar all seine Fragen höflich beantwortet, ansonsten aber nicht mehr als eine Hand voll Worte mit ihm gewechselt seit dem Kuss gestern Abend. Sie hatten sich zuvor mit den zwei potenziellen Kunden getroffen, und Alissa hatte freundlich und kompetent mögliche Finanzstrategien und Investmentpläne mit ihnen diskutiert. Aber sobald sie beide allein waren, gab sie keinen Pieps mehr von sich.

„Ich bin überzeugt, dass wir Mr. Sanchez und Mrs. Bailey als Kunden gewinnen konnten“, sagte er und versuchte noch einmal, sie aus der Reserve zu locken.

Sie nickte. „Scheint so.“

„Werden Sie sich persönlich um die beiden kümmern oder sie an jemand anderen abgeben?“ Weil sie sich beharrlich geweigert hatte, ihn zu duzen, war er ebenfalls wieder zum Sie übergegangen.

„Vermutlich werde ich Richard Henshaw oder Marla Davis damit betrauen.“

Als sie erneut in Schweigen verfiel, seufzte Caleb frustriert auf. „Reden Sie mit mir, Alissa. Sagen Sie mir, warum Sie mich mit Schweigen strafen. Ist es wegen gestern Abend?“

Sie nickte, blickte aber weiterhin starr geradeaus. „Ich muss einfach dauernd an Clarences Anruf denken und an all die Gerüchte, die heute im Büro die Runde machen werden.“

„Sie machen sich Sorgen um das Gerede im Büro?“, fragte er ungläubig. Er hatte so gut wie gar keinen Gedanken mehr an diesen Anruf verschwendet, sondern nur an den Kuss denken können. Man könnte es fast als Untertreibung bezeichnen, wenn man sagte, dass Alissa ihn komplett umgehauen hatte.

„Machen Sie sich keine Gedanken deshalb?“ Sie sah ihn an, als wäre er ein Außerirdischer. „Clarence Norton ist die größte Klatschtante diesseits des Mississippi, und er wird die Tatsache, dass ich um zwei Uhr morgens in Ihrem Zimmer gewesen bin, nicht unkommentiert lassen. Ich bin sicher, dass er inzwischen jedem, der er es hören wollte, erzählt hat, dass wir miteinander geschlafen haben.“

„Genau genommen haben wir zusammen geschlafen“, meinte Caleb lächelnd. „Nur nicht im selben Bett.“ Es war dunkel im Pick-up, doch Caleb hätte wetten können, dass Alissas Wangen sich auf bezaubernde Weise gerötet hatten, und er wünschte wirklich, er könnte sie sehen.

„Das stimmt natürlich. Aber glauben Sie ernsthaft, dass uns das jemand abnehmen wird?“, fragte sie.

„Vielleicht.“ Er zuckte mit den Schultern. „So wie ich es sehe, gibt es nur eine Möglichkeit. Wir müssen einfach die Wahrheit erzählen. Nachdem wir die Sache erklärt haben, steht es jedem frei, seine eigenen Schlüsse zu ziehen.“

„Sie wissen genau, wie die aussehen werden.“ Sie funkelte ihn wütend an, so als hielte sie ihn für geistig minderbemittelt.

„Wir können nicht kontrollieren, was andere über uns denken oder reden, Alissa.“ Er lächelte sie, wie er hoffte, ermutigend an. „Aber selbst wenn sie jetzt über uns reden, nächste Woche um diese Zeit wird jemand anderes das Gesprächsthema im Pausenraum sein.“

„Ich hoffe, Sie haben recht.“

„Ich bin sicher …“

Er brach seinen Satz ab, als er die Rauchschwaden bemerkte, die unter der Kühlerhaube hervorquollen. Er blickte auf die Temperaturskala am Armaturenbrett und fluchte laut. Es war eine dunkle mondlose Nacht, und sie waren Meilen entfernt von der nächsten Tankstelle.

„Warum qualmt Ihr Wagen so komisch?“, fragte Alissa offenkundig besorgt.

„Ich vermute, dass wir ein Problem mit dem Kühler haben.“

„Das ist nicht gut.“ Sie schob ihre Brille hoch – eine Geste, die er inzwischen als ein Zeichen von Nervosität deuten konnte. „Was werden Sie nun tun?“

„Ich muss eine Stelle finden, wo wir anhalten können, damit ich mal nachsehen kann.“ Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, als sie an einem Schild vorbeifuhren, das einen Rastplatz in einer Meile Entfernung ankündigte. „Sieht so aus, als hätten wir Glück. Zumindest wird der Parkplatz dort beleuchtet sein, und ich kann sehen, was ich tue.“

Zehn Minuten später stand Caleb auf dem Parkplatz, und Alissa schaute an ihm vorbei auf den qualmenden Kühler. „Der Kühlerschlauch ist kaputt“, sagte er, als er ihre fragende Miene bemerkte.

„Glauben Sie, dass Sie das reparieren können?“

Er schüttelte den Kopf, trat zurück und schlug die Motorhaube wieder zu. „Ich muss den Automobilclub anrufen.“ Während er sein Handy herausholte, fragte er: „Gibt es noch einen Ort zwischen hier und Socorro?“

Alissa sah alles andere als glücklich aus. „Nein. Dieser Rastplatz ist so ziemlich genau auf halbem Weg zwischen Socorro und Truth or Consequences. Und ich bin sicher, dass in beide Richtungen inzwischen alles geschlossen ist.“

Caleb drückte die bereits eingespeicherte Nummer des Automobilclubs, nannte seinen Standort und das Problem und wartete dann, bis der Mann vom Kundenservice, der sich als Jason vorgestellt hatte, die nächstgelegene Werkstatt kontaktiert hatte. Als Jason sich wieder meldete, war das, was er zu berichten hatte, nicht das, was Caleb hören wollte.

„Was meinen Sie damit, dass Sie uns vor morgen früh niemanden schicken können?“, fragte er ungehalten.

Alissa zuckte zusammen. „Sie werden erst morgen früh hier sein?“

„Es tut mir leid, Sir. Wir haben nur eine einzige Vertragswerkstatt dort in der Gegend, und der Mechaniker ist unterwegs zu einem anderen Einsatz“, entschuldigte sich Jason. „Danach muss er sich noch um drei weitere Fälle kümmern, bevor er zu Ihnen kommen kann.“

Caleb überlegte fieberhaft. „Könnten Sie nicht jemanden mit einem Leihwagen schicken?“

„Einen Moment, bitte.“

„Was hat er gesagt?“, fragte Alissa besorgt.

„Er prüft es nach.“ Caleb lächelte. „Ich bin sicher, dass er in null Komma nichts einen Wagen hier hat.“ Zumindest hoffte er das sehr.

„Sir, Ihr Leihwagen wird morgen früh gegen vier Uhr bei Ihnen sein“, verkündete Jason so fröhlich, als hätte er etwas Wundervolles vollbracht.

„Vier Uhr!“ Caleb schaute auf die Uhr und schüttelte den Kopf. „In fünf Stunden, das kann doch wohl nicht sein, Jason. Selbst wenn der Wagen aus Albuquerque gebracht wird, dürfte es nicht so lange dauern.“

„Es tut mir wirklich leid, Sir“, erwiderte Jason und klang nun inzwischen schon fast wie eine Platte mit einem Sprung. „Beide Agenturen, sowohl die in Truth or Consequences als auch die in Socorro, sind geschlossen. Die in Las Cruces hat alle Autos vermietet, und die in Albuquerque muss erst jemanden auftreiben, der den Wagen zu Ihnen fahren kann.“

Caleb schaute zu Alissa. Sie sah aus, als würde sie gleich durchdrehen.

„Das ist alles, was Sie für uns erreichen können?“, fragte er den jungen Mann.

„Ich fürchte ja, Sir“, antwortete Jason. „Wenn es noch etwas gibt, was ich für Sie tun kann, lassen Sie es uns bitte wissen.“

Caleb drückte verärgert die Aus-Taste und wandte sich an Alissa. „Ich vermute, Sie haben mitbekommen, dass wir vor vier Uhr in der Frühe nirgendwo hinfahren.“

Sie sah noch blasser aus als kurz zuvor, als sie nickte und zur Beifahrertür ging. „Ich glaube, einer von uns muss mit Murphy verwandt sein.“

„Wer zum Teufel ist Murphy?“

„Ich weiß es nicht genau, aber sein Gesetz hat uns während der gesamten Reise das Leben schwer gemacht.“

„Ach ja, Murphys Gesetz. Alles was schiefgehen kann, geht schief – und zwar im unpassendsten Moment.“ Er half ihr in den Wagen. „Na ja, es hätte noch schlimmer kommen können.“

Sie sah ihn an, als wäre er verrückt geworden. „Was, bitte schön, hätte denn noch schlimmer kommen können?“

Er grinste. „Wir hätten liegen bleiben können, bevor oder nachdem wir auf dem Parkplatz waren.“

„Schwacher Trost“, meinte sie und setzte sich. „Wir sind trotzdem gestrandet.“

„Ja, aber zumindest sind wir auf einem Rastplatz, auf dem es Automaten gibt.“ Er deutete mit dem Daumen über die Schulter. „Ich gehe mal nachschauen, ob es dort auch Mineralwasser gibt. Möchten Sie eins?“

Sie nickte. „Danke.“

Während Caleb hinüber zu den Automaten ging, atmete Alissa tief ein und aus. Wie viel Unheil konnte eine Frau ertragen, bevor sie den Verstand verlor?

Ihre Reaktion gestern auf Calebs Kuss hatte sie schon mehr als gestresst. Als dann noch die Sache mit dem Anruf des Sicherheitsdienstes passiert war, hatte sie den Rest der Nacht wachgelegen, sich hin und her gewälzt und sich ausgemalt, wie die Gerüchte sich in Windeseile im Büro verbreiten würden. Und jetzt sollte sie noch eine weitere Nacht in der gefährlichen Gegenwart von Caleb verbringen.

Während sie ihn dabei beobachtete, wie er Wasserflaschen aus dem Automaten zog und dann zurück zum Wagen kam, spürte sie einmal mehr diesen Anflug von Erregung. Er sah so verflixt gut aus mit seinem sportlichen Jackett, dem weißen Hemd und der Jeans. Bei einigen Männern würde diese Kombination einfach nicht passen. Doch Caleb stand sie gut, und er sah unglaublich sexy aus. Und sie musste zugeben, dass die Aussicht, noch mehr Zeit mit ihm zu verbringen, alles andere als unangenehm war. Schließlich war er intelligent, man konnte gut mit ihm reden, und er besaß Humor. Und er konnte so fantastisch küssen!

Alissa errötete, und sie musste sich zwingen, wieder ruhig zu atmen. Je länger sie mit Caleb zusammen war, desto besser wollte sie ihn kennen lernen, desto mehr sehnte sie sich nach einem weiteren Kuss von ihm. Und genau das war das Problem.

Du lieber Himmel, sie arbeiteten zusammen! Es war absolut nicht ratsam, mehr Zeit mit ihm verbringen zu wollen. Und sie sollte sich ganz bestimmt nicht nach seinen Küssen verzehren. Sie wusste doch aus Erfahrung nur allzu gut, dass es zu einer Katastrophe führt, wenn man sich mit einem Kollegen einlässt.

Aber die Entscheidung war ihr aus der Hand genommen worden. Das Schicksal hatte zugeschlagen – zuerst gestern Abend, als nur noch ein Zimmer frei gewesen war, und jetzt mit einem kaputten Kühlerschlauch.

Als Caleb die Fahrertür öffnete, reichte er ihr zwei Flaschen Wasser und eine Schachtel mit Keksen, bevor er sein Jackett auszog. Er warf es auf den Sitz zwischen ihnen, rollte seine Hemdsärmel hoch und setzte sich dann hinter das Lenkrad.

Alissa stockte der Atem, und sie entschied, dass sie in ernsthaften Schwierigkeiten war, wenn allein der Anblick seiner bloßen Unterarme ihr Innerstes so aufwühlen konnte. Aber als er seine Hemdsärmel noch weiter hochschob, wurde ihre Aufmerksamkeit auf das Spiel seiner Muskeln gelenkt, und ihr Puls beschleunigte sich bedrohlich.

„Ich dachte, Sie bekommen vielleicht Hunger, während wir auf den Leihwagen warten“, sagte er.

Sie blickte auf die Kekspackung. Es war nur eine Kleinigkeit aus einem Automaten, aber seine Aufmerksamkeit berührte sie mehr, als sie für möglich gehalten hätte. Niemand, nicht einmal ihr Vater, hatte ihr je sonderlich viel Rücksicht entgegengebracht. Sie war immer der langweilige Blaustrumpf gewesen, der im Hintergrund geblieben war, egal wohin sie ging oder mit wem sie zusammen war. Es hatte Zeiten gegeben, nach dem Tod ihrer Mutter, da, so vermutete sie, hatte ihr Vater manchmal sogar vergessen, dass sie existierte.

„Danke“, sagte sie nun und brachte selbst dieses eine Wort kaum über die Lippen, weil ihr ein Kloß im Hals steckte.

„Alles in Ordnung?“ Caleb legte einen Arm um ihre Schulter, nahm dann sein Jackett aus dem Weg und zog Alissa zu sich heran. „Ich weiß, es ist nicht gerade angenehm, hier gestrandet zu sein, aber …“

„Es ist alles in Ordnung. Wirklich.“ Um das Thema zu wechseln, bevor sie sich zum Narren machte, fragte sie: „Glauben Sie übrigens wirklich, dass ‚Skerritt and Crowe‘ zu einer effizienter arbeitenden Finanzberatung wird, wenn man mit den Angestellten Picknicks veranstaltet und engeren Kontakt zu ihnen knüpft?“

Er nickte. „Beantworten Sie mir eine Frage. Was wissen Sie über die Leute, die für Sie arbeiten?“

Nachdenklich schüttelte sie den Kopf. „Nicht viel.“

„Genau.“ Er drehte sich herum, damit er sie anschauen konnte, und lehnte sich an die Fahrertür. „Würden Sie sagen, dass Geena Phillips in letzter Zeit entsprechend ihrem Potenzial gearbeitet hat?“

Darüber musste Alissa nicht lange nachdenken. Die Frau war in den letzten Wochen mehrere Male zu spät gekommen. „Nein. In letzter Zeit schien sie mir ziemlich abgelenkt, und ich hatte schon vor, mit ihr zu sprechen.“

„Lassen Sie es bleiben“, sagte er und schüttelte den Kopf. „Eine Ermahnung würde die Sache nur verschlimmern.“

„Ich nehme an, Sie wissen etwas, was ich nicht weiß?“

Er lächelte leicht. „Sie hat im Moment Probleme mit morgendlicher Übelkeit. Es ist ihre erste Schwangerschaft, und sie weiß nicht, wohin der Vater des Kindes verschwunden ist. Hinzu kommt, dass sie furchtbare Angst hat, all das nicht allein bewältigen zu können.“

Alissa war geschockt. „Ich hatte keine Ahnung, dass Geena so schlimme Zeiten durchmacht.“

„Das liegt daran, dass in der Vergangenheit von den Angestellten erwartet wurde, ihr Privatleben am Eingang abzulegen. Laut Firmenpolitik hatte es am Arbeitsplatz nichts zu suchen.“ Er schüttelte den Kopf. „Geena ist eine gute Mitarbeiterin, die im Augenblick eine Menge zu bewältigen hat. Gerade jetzt ist sie auf unsere Unterstützung und die Zusicherung angewiesen, dass sie ihren Job nicht verliert, den sie braucht, um sich und das Baby zu ernähren. Diese Art von Ermunterung von Seiten des Arbeitgebers kann viel dazu beitragen, beim Angestellten Loyalität zu verankern und ihn dazu zu bringen, härter für die Firma zu arbeiten.“

Alissa begriff, dass in dieser Hinsicht tatsächlich Änderungen vonnöten waren. „Ich werde ihr vorschlagen, dass sie in nächster Zeit einfach später anfängt, bis sie sich wieder besser fühlt.“

Caleb nickte zustimmend und gähnte dann. „Sehen Sie, das ist der richtige Weg.“ Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, schloss er die Augen und war eingeschlafen.

Während Alissa versuchte, es sich gemütlich zu machen, musste sie zugeben, dass Calebs Art der Geschäftsführung Sinn ergab. Strikt nach Vorschrift war nicht unbedingt der beste Weg, mit Mitarbeitern umzugehen.

Aber der Gedanke, dass die Kollegen mehr über sie selbst erfahren sollten, machte sie noch immer nervös. Je mehr andere über einen wissen, desto mehr haben sie in der Hand, um es gegebenenfalls gegen einen zu verwenden. Zumindest war das die Philosophie, die ihr Vater ihr, so lange sie sich erinnern konnte, immer gepredigt hatte.

Sie seufzte. Wenn sie bei „Skerritt and Crowe“ blieb, würde sie sich daran gewöhnen müssen, dass die anderen Mitarbeiter mehr über sie erfuhren. Auch wenn es ihr schwerfiel, sich an diese Art des Miteinanders zu gewöhnen.

Unwillig, die Augen zu öffnen und damit den Traum zu beenden, in dem sie von zwei starken Armen gehalten und an eine breite, männliche Brust gedrückt wurde, vergrub Alissa sich noch tiefer in die Umarmung ihres Traummannes. Es fühlte sich wundervoll an, gehalten zu werden, während sie schlief, und sie wollte das Gefühl genießen, so lange sie konnte, auch wenn es nur ein Traum war.

„Guten Morgen.“

Sie riss die Augen auf und versuchte, sich frei zu machen. Du meine Güte, sie hatte gar nicht geträumt. Sie lag an einen sehr echten Caleb Walker geschmiegt, der im Moment, so schien es jedenfalls, darauf aus war, sie genau dort zu behalten, wo sie war.

„Ich … es tut mir leid“, stammelte sie und versuchte noch einmal, sich aus seinen Armen zu befreien.

Er zog sie jedoch nur noch fester an sich, und sie konnte sein tiefes leises Lachen an ihrem Ohr spüren. Es ging ihr durch und durch. „Es muss dir nicht leidtun. Im Gegenteil. Du hast es dir gemütlich gemacht, und ich dachte, ich lasse dich schlafen.“

Ihr Herz machte einen kleinen Hüpfer. Nicht nur, weil er wieder zum vertraulichen Du übergegangen war. „Es war nett von Ihnen, an mich zu denken“, sagte sie und schob ihre Brille zurecht. Es gelang ihr, ein wenig Abstand zu schaffen, sodass sie in seine funkelnden Augen blicken konnte. „Aber …“

„Darling, ich denke mehr an dich, als du dir vorstellen kannst.“ Er schenkte ihr dieses sexy Lächeln, das niemals seine Wirkung verfehlte, und legte dann seine Stirn an ihre. „Genau genommen denke ich ununterbrochen an dich … seit vorgestern Abend.“

Ein heißer Schauer durchströmte Alissa allein bei der Erinnerung an den Kuss. Aber um Caleb halbwegs gelassen gegenübertreten zu können, hatte sie so getan, als hätte sie das alles geträumt. „Nichts ist passiert“, beharrte sie.

Er lachte. „Dann besitze ich wohl eine ziemlich rege Fantasie, denn nach unserem Kuss bin ich aus dem Hotelzimmer gegangen und konnte vor lauter Erregung kaum noch klar denken.“

Alissas Stimme versagte kläglich, aber selbst wenn sie funktioniert hätte, hätte sie nicht gewusst, was sie sagen sollte.

Caleb betrachtete sie einige Sekunden lang. „Möchtest du noch etwas wissen?“

„Ich … ich bin nicht sicher.“

„Ich würde es gern wieder tun.“ Er nahm ihr die Brille ab und legte sie auf das Armaturenbrett. „Möchtest du, dass ich dich noch einmal küsse, Alissa?“

Bezaubert von seinem innigen Blick und dem viel versprechenden Lächeln, zögerte sie nicht einen Moment. „Ja.“

Er zog erst eine, dann weitere Spangen und Nadeln aus ihrer hochgesteckten Frisur. „Du hast wunderschönes Haar. Du solltest es viel öfter offen tragen.“

„Ich habe mein Haar immer gehasst“, sagte sie ehrlich.

„Warum?“ Er glitt mit den Fingern hindurch, umschloss dann ihren Hinterkopf und zog sie näher heran. „Es fühlt sich an wie kostbare Seide.“

Unfähig zu atmen, ganz zu schweigen, dass sie noch irgendeinen klaren Gedanken fassen konnte, schloss Alissa langsam die Augen, während Caleb sie so zärtlich küsste, dass er ihr damit das Gefühl gab, sie wäre für ihn die kostbarste Frau auf Erden. Was hatte dieser Mann nur an sich, dass sie ihm nicht widerstehen konnte?

Wenn Caleb sie berührte, setzte ihr Verstand aus. Dann sehnte sie sich nur noch danach, seinen starken Körper an ihrem zu spüren, das Verlangen auf seinen Lippen zu schmecken und ihn mit seinem sexy Südstaatenakzent ihren Namen aussprechen zu hören. Als er nun mit seiner Zunge in ihren Mund vordrang, kam Alissa ihm mit ihrer auf halbem Weg entgegen, und sie fanden sich zu einem aufregenden, sinnlichen Tanz.

Obwohl Caleb immer wieder versucht hatte, die Finger von Alissa zu lassen – sowohl in seiner Fantasie als auch in Wirklichkeit –, es wollte ihm einfach nicht gelingen. Zu süß hatte der erste Kuss geschmeckt, und die Erinnerung daran hatte ihm das Leben zur Hölle gemacht.

Als Alissa ihre Zunge nun sanft gegen seine schlug, erregte ihn diese zarte, schüchterne Reaktion dermaßen, dass ihm ganz schwindelig wurde. In seinen dreißig Lebensjahren war er noch nie durch einen schlichten Kuss derart erregt worden.

Langsam zog er ihre Bluse aus dem Rockbündchen und glitt mit der Hand unter die Seide. Ihre weiche Haut fühlte sich an wie Satin, langsam fuhr er bis zu ihren Brüsten empor. Er umschloss die sanfte Rundung und begann sie zu streicheln, während er zärtliche Küsse auf ihren Hals verteilte.

Ihr leises Stöhnen sandte eine erneute Welle der Lust direkt in seine Lenden. Und dann merkte er, dass sie bereits die ersten Knöpfe seines Hemdes geöffnet hatte und ebenfalls auf Erkundungstour gegangen war. Alissa war also genauso erregt wie er, sie wollte ihn – Caleb hatte das Gefühl, in Flammen zu stehen.

In diesem Moment brauchte er sie mehr als den nächsten Atemzug. Am liebsten hätte er sie auf die Sitze gelegt, um all ihre Geheimnisse zu erkunden.

„Hey, Mann, sucht euch ein Zimmer.“

Erschrocken blickte Caleb auf und sah eine Gruppe grinsender Teenager, die an seinem Wagen vorbeimarschierte.

Verdammt! Sein Timing hätte nicht schlechter sein können. Der Vordersitz seines Wagens, mitten auf einem Rastplatz, wo jedermann vorbeilief, war wirklich nicht der rechte Ort für Erkundungen, wie er sie im Sinn gehabt hatte.

Er atmete tief durch und zupfte Alissas Bluse zurecht. „Darling, es gibt nichts, was ich lieber täte, als dich weiter zu küssen … und noch so einiges mehr. Aber wenn wir so weitermachen, dann wird jemand die Polizei rufen. Und ich habe keine Lust, wegen unzüchtigen Benehmens in der Öffentlichkeit verhaftet zu werden.“

Sie schwieg, während sie ihn benommen anstarrte, und die Röte ihrer Wangen deutete darauf hin, dass sie genauso wie er vergessen hatte, wo sie sich befanden.

„Es ist hell“, bemerkte sie schließlich und sah sich um. „Wie spät ist es?“

Caleb schaute auf seine Armbanduhr und schüttelte dann den Kopf, als könnte ihm das helfen, wieder zu Verstand zu kommen. „Es ist kurz nach acht.“

„Wo ist der Leihwagen?“ Alissa rutschte hinüber auf den Beifahrersitz. „Er sollte doch schon um vier Uhr hier sein.“

Caleb zuckte mit den Schultern. „Er hat sich wohl verspätet.“

„Was du nicht sagst“, meinte sie sarkastisch. Sie stopfte ihre Bluse wieder zurück in das Rockbündchen. „Hast du dort angerufen?“ Wie selbstverständlich entschlüpfte ihr jetzt das Du.

„Ja, der Fahrer hat gedacht, wir wären auf dem Rastplatz nördlich von Socorro“, meinte er. „Als er uns nicht gefunden hat, ist er umgedreht und wieder nach Albuquerque zurückgefahren, statt den Automobilclub anzurufen und sich unseren Standort noch einmal durchgeben zu lassen.“

Was er nicht verriet, war, dass ihn die Inkompetenz des Mannes nicht sonderlich gestört hatte. Ob es nun schlau gewesen war oder nicht, auf jeden Fall hatte er es sehr genossen, die schlafende Alissa im Arm zu halten.

„Schicken sie einen anderen Wagen?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich habe ihnen gesagt, sie sollen es lassen.“

„Was hast du?“ Wenn Blicke töten könnten, dann wäre er jetzt tot.

„Der Mechaniker aus Truth or Consequences müsste gleich mit einem neuen Kühlerschlauch hier sein.“ Er streckte sich, um seine verspannten Muskeln zu lockern. „Wir brauchen doch keinen Leihwagen, wenn er den Wagen innerhalb von fünfzehn Minuten reparieren kann.“

„Das stimmt natürlich.“ Sie runzelte die Stirn. „Aber ich hatte gehofft, dass wir rechtzeitig zurück im Büro sind, bevor all die anderen auftauchen. Ich wollte noch schnell nach Hause, um zu duschen und frische Sachen anzuziehen.“ Sie sah an sich herab. „Ich sehe furchtbar aus.“

„Mach dir keine Sorgen. Wir werden erst am späten Vormittag da sein.“ Er schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. „Alle werden beschäftigt sein, und du kannst dir deinen Wagen holen, ohne dass jemand es mitbekommt.“

Sie schaute ihn zweifelnd an. „Ich hoffe, du hast Recht.“

Das hoffte er auch.

5. KAPITEL

Als Caleb den Pick-up auf den Firmenparkplatz lenkte, bemerkte Alissa sofort, dass etwas mit ihrem Wagen nicht stimmte. Statt gerade zu stehen, war er zu einer Seite geneigt. So viel zu dem Wunsch, schnell zu verschwinden, bevor jemand aus dem Büro ihr unordentliches Erscheinungsbild bemerkte.

„Sieht aus, als hättest du einen Platten“, meinte Caleb, als er ausstieg und um den Wagen herumkam, um die Beifahrertür für sie zu öffnen.

„Na wunderbar. Einen Reifen wechseln ist genau das, was ich gern noch tun wollte, bevor ich nach Hause fahre“, erklärte Alissa und fragte sich, was noch alles schieflaufen konnte.

Caleb runzelte die Stirn. „Du willst es selbst machen?“

Sie nickte. „Ich habe meine Reifen gewechselt, seit ich den Führerschein habe. Mein Vater hat darauf bestanden.“

Er streckte die Hand aus. „Gib mir die Schlüssel.“

„Danke, aber ich kann mich allein darum kümmern“, erklärte sie eigenwillig und zog ihre Jacke aus.

„Nicht solange ich hier bin.“ Er nahm ihr die Schlüssel ab und deutete dann zum Bürogebäude. „Warum gehst du nicht hinein, drinnen ist es kühler.“

Alissa biss sich auf die Unterlippe. Es wurde wirklich bereits ziemlich warm, aber sie fürchtete, dass jemand sie so sehen könnte.

„Lieber nicht.“

Sie konnte sich gut vorstellen, was für Blicke sie in diesem Aufzug ernten würde. Ihre Kleidung war völlig zerknittert von der Nacht, die sie im Auto verbracht hatte, und ihre Haare hingen zerzaust herunter. Caleb hatte die meisten Haarnadeln fallen lassen, als er ihren Knoten gelöst hatte.

„Sei nicht albern.“ Er öffnete den Kofferraum des Wagens. „Es sind schon über dreißig Grad und …“

„Es besteht kein Grund für Sie, sich schmutzig zu machen, Caleb!“, rief Ernie Clay, der plötzlich aus dem Gebäude auf sie zueilte. Der Wachmann blieb vor ihnen stehen und grinste listig, während er auf Alissas Wagen deutete. „Clarence hat Miss Merricks platten Reifen bemerkt und mich gebeten, meinen Schwager anzurufen. Der betreibt eine Werkstatt und einen Abschleppdienst und wird in Kürze hier sein, um sich darum zu kümmern.“

„Danke, Ernie.“ Caleb legte Alissa eine Hand in den Rücken und schob sie in Richtung Eingang. „Wir sind in unseren Büros. Sagen Sie uns bitte Bescheid, wenn Ihr Schwager den Reifen gewechselt hat.“

Es widerstrebte Alissa ganz gewaltig, in ihrer jetzigen Aufmachung ins Büro zu gehen. Doch bevor sie protestieren konnte, hatte Caleb sie durch die Tür und hinüber zu den Fahrstühlen geleitet.

Als die Fahrstuhltür sich schloss, schaute Alissa an sich herab. „Ich sehe furchtbar aus.“

Caleb runzelte die Stirn. „Ich finde, du siehst gut aus.“

Sie schüttelte den Kopf. „Meine Frisur ist ruiniert, meine Strumpfhose hat eine riesige Laufmasche, und ich sehe aus wie ein Waschbär mit dem verschmierten Make-up unter den Augen.“

Er nahm ihr die Brille ab, um die Sache genauer zu untersuchen, und neigte den Kopf. „Nur ein kleiner Fleck unter dem linken Auge.“

Ihre Jacke fiel auf den Boden, als sie durch Calebs unerwartete Berührung völlig aus dem Gleichgewicht gebracht wurde. Halt suchend stützte sie sich gerade mit den Händen an seiner Brust ab, als der Fahrstuhl auf ihrem Stockwerk zum Stehen kam. „Lass mich mal sehen …“

Die Türen öffneten sich in diesem Moment, und zu Alissas Entsetzen beobachteten Malcolm Fuller und die gesamte PR-Abteilung, wie sie sich an Caleb klammerte, während er mit dem Daumen vorsichtig über die empfindliche Haut unter ihrem Auge strich. An ihren Mienen konnte sie ziemlich genau erkennen, was sie gerade dachten.

„Oh, hallo“, sagte Malcolm und bemühte sich nicht einmal, sein breites Grinsen zu verbergen. „Wir sind auf dem Weg zu unserem ersten Team-Picknick. Möchten Sie beide vielleicht mitkommen?“

„Nein, danke“, stieß Alissa hastig aus, bevor Caleb sie in die nächste peinliche Situation hineinmanövrieren konnte. „Aber viel Spaß.“

Ihre Wangen waren vor Verlegenheit gerötet, als sie sich bückte, um ihre Jacke aufzuheben. Ohne die anderen anzusehen, eilte sie dann schnurstracks auf ihr Büro zu. Sie wartete nicht einmal ab, ob Caleb ihr folgte, und es war ihr auch egal, dass er noch ihre Brille in der Hand hielt. Sie hatte zweieinhalb nervenaufreibende Tage mit ihm verbracht, und jetzt brauchte sie dringend ihre Ruhe.

Obwohl ihr Vater sie sicherlich dafür gescholten hätte und sein Geist sie vermutlich heimsuchen würde, weil sie solch ein Feigling war, sehnte sie sich jetzt nur noch danach, sich in ihrem Büro zu verstecken, bis ihr Auto wieder repariert war. Danach würde sie nach Hause fahren, sich im Bett verkriechen und das ganze Wochenende durchschlafen in der Hoffnung, dass sich der Albtraum der letzten Woche verflüchtigt hatte, wenn sie am Montagmorgen aufwachte.

Aber obwohl sie dem Verlust ihrer perfekt durchorganisierten Arbeitsroutine nachtrauerte, konnte sie nicht leugnen, dass ihr Körper noch immer von Calebs Berührungen bebte. Und allein die Erinnerung an seine heißen Küsse genügte, um sie Dinge wünschen zu lassen, an die sie vernünftigerweise nicht einmal im Traum denken sollte.

Während sie den Flur entlang zum Besprechungsraum ging, um sich mit einem Kunden zu treffen, begann Alissa sich endlich zu entspannen.

Es war jetzt eine Woche her, dass sie und Caleb von ihrer kurzen Reise zurückgekehrt waren. Es schien so, als hätte er recht gehabt, dass das Gerede aufhören würde, sobald sie einmal die ganze Geschichte erzählt hatten. Zu ihrer großen Erleichterung hatte sie niemanden darüber lästern hören, dass sie und Caleb die Nacht zusammen verbracht hatten. Auch über die kompromittierende Situation im Fahrstuhl hatte keiner ihrer Mitarbeiter ein Wort verloren. Abgesehen davon, dass einige ihrer männlichen Kollegen süffisant gelächelt und sie mit einem wissenden Blick bedacht hatten, war alles ganz normal weitergegangen.

„Hat jemand sie seit Freitag zusammen gesehen?“

Die gedämpfte Frauenstimme aus dem Pausenraum ließ Alissa abrupt stehen bleiben.

„Nein. Ich vermute, sie versuchen, ein bisschen diskreter zu sein.“ Die Frau lachte. „Ich meine, ehrlich! Sich im Fahrstuhl so erwischen zu lassen und uns dann einreden zu wollen, dass er nur auf ihr Auge geschaut hat. Für wie dumm halten die uns eigentlich? Ich habe gehört, die Hälfte ihrer Kleidung lag auf dem Fahrstuhlboden, und sie war gerade dabei, an seinem Hemd zu zerren, als die Türen aufgingen.“

Alissa hatte plötzlich das Gefühl, dass das Blut in ihren Adern gefror. Am liebsten wäre sie in den Pausenraum gelaufen und hätte lauthals verkündet, dass die Plaudertaschen sich gewaltig irrten. Dass es genauso war, wie Caleb es erzählt hatte. Aber sie wusste, es wäre sinnlos.

„Zwischen ihren beiden Büros gibt es eine Verbindungstür“, hörte sie eine dritte Stimme sagen. „Wer weiß, wie oft am Tag sie sich zu einem kleinen … ihr wisst schon was, treffen.“

Das Lachen, das auf diese Unterstellung folgte, ließ Alissa ganz schwindelig werden. Es kam ihr vor, als verlöre sie den Boden unter den Füßen. Hastig drehte sie sich um und taumelte zurück zu ihrem Büro. Sie hatte genug gehört, um zu wissen, dass ihr Ruf bei „Skerritt and Crowe“ völlig ruiniert war.

„Bitte rufen Sie Geena Phillips und sagen Sie ihr, sie soll für mich die Besprechung mit Mr. Holt im Konferenzzimmer durchführen“, sagte Alissa und legte die Kundenakte auf Genevas Schreibtisch.

„Ist etwas nicht in Ordnung?“, fragte die ältere Frau besorgt. „Sie sehen aus, als ginge es Ihnen nicht gut.“

„Stimmt.“ Das war die Untertreibung des Jahres, dachte Alissa, als sie in ihr Büro ging und die Tür hinter sich schloss.

Sie war ein Dummkopf gewesen, als sie geglaubt hatte, die Leute würden nicht über sie und Caleb reden. Wie hatte sie nur so naiv sein können? Die Angestellten würden natürlich nicht in Anwesenheit der beiden betroffenen Personen darüber tratschen.

Sie marschierte geradewegs zu ihrem Computer, setzte sich und begann, ihre Kündigung zu schreiben. Sie hatte gehofft, bereits einen neuen Job zu haben, bevor sie kündigte, doch diese Möglichkeit war ihr aus der Hand genommen worden. Auf keinen Fall würde sie unter diesen Umständen bei „Skerritt and Crowe“ bleiben können. Zum Feierabend würde sie arbeitslos sein.

„Geneva hat mir berichtet, dass du krank bist“, sagte Caleb und kam, ohne anzuklopfen, in ihr Büro. „Musst du zum Arzt?“

„Nein.“ Alissa hätte wissen müssen, dass ihre Sekretärin sofort besorgt zu ihm laufen würde. Geneva, die Verräterin, hatte jeden von Calebs Vorschlägen enthusiastisch aufgenommen und es sich zur Aufgabe gemacht, ihm über alles, was im Büro passierte, sofort zu berichten.

„Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?“ Er runzelte die Stirn. „Du siehst blass aus. Ich fahre dich …“

„Es ist alles okay.“ Sie funkelte ihn böse an, während sie eine Taste drückte, um ihre Kündigung auszudrucken. „Würdest du jetzt bitte gehen?“

„Dir geht es nicht gut, und du bist ausgesprochen kratzbürstig. Aber alles ist okay?“

„Ist es dir je in den Sinn gekommen, dass ich vielleicht müde bin und nur ein bisschen Ruhe und Frieden haben möchte?“

Statt zurück in sein Büro zu gehen, wie sie ihn gebeten hatte, setzte Caleb sich auf einen Stuhl vor ihrem Schreibtisch. „Du wolltest einen Rentenplan, an dem du die ganze letzte Woche gearbeitet hast, mit einem Kunden besprechen, und dann übergibst du plötzlich die Unterlagen an Geena. Wenn du nicht krank bist, wo liegt dann das Problem?“ Bevor sie antworten konnte, schüttelte er den Kopf. „Und erzähl mir nichts von Ruhe und Frieden. Was ist los?“

Weil sie sich auf einmal viel zu müde fühlte, um sich zu streiten, zog sie die Kündigung aus dem Drucker, unterzeichnete sie und reichte sie Caleb. „Ich denke, das erklärt alles.“

Er überflog den Brief und schüttelte dann den Kopf. „Du kannst nicht kündigen.“

Sie lachte bitter. „Ich habe es gerade getan.“

„Ich werde sie nicht akzeptieren.“ Kurz entschlossen riss er das Papier durch, stand auf und kam um den Schreibtisch herum. Mit beiden Händen stützte er sich auf die Armlehnen von Alissas Stuhl und hielt sie dadurch gefangen, sodass ihr nichts anderes übrig blieb, als ihn anzusehen und ihm zuzuhören. „Rede mit mir, Alissa. Sag mir, was dich dazu gebracht hat, einen Job zu kündigen, den du, wie ich genau weiß, liebst.“

Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt, und sie musste ihre ganze Konzentration aufbringen, um sich daran zu erinnern, was er gerade gesagt hatte. „Du hattest Unrecht“, platzte sie schließlich heraus, bevor sie sich zurückhalten konnte.

Er runzelte die Stirn. „Womit?“

Sie gab sich geschlagen und bemühte sich nur noch, nicht in Tränen auszubrechen. „Das Gerede über uns hat nicht aufgehört. Wenn überhaupt, dann hat es eher noch zugenommen.“

„Das ist alles?“

„Ist das nicht genug?“

„Nein.“

Calebs Magen verkrampfte sich vor Wut und Verzweiflung. Er hatte gewusst, dass sie noch immer das beliebteste Gesprächsthema im Büro waren, und obwohl er nicht gerade begeistert darüber war, hatte er sein Bestes getan, um es zu ignorieren. Würde er jetzt noch einmal versuchen, die Sache zu erklären, würde er alles weitaus schlimmer machen und den Gerüchten noch mehr Nahrung geben.

Unglücklicherweise war das aber nur die Spitze des Eisbergs. Der Gedanke, dass Alissa die Firma verlassen könnte, bereitete ihm aus zwei Gründen Magenschmerzen. Zum einen brauchte er ihren Sachverstand, damit die Geschäfte so lange reibungslos liefen, bis er verstand, worum es dabei ging. Zum anderen nutzte er Alissa in dieser Hinsicht gewissermaßen aus, und sie hatte keinen blassen Schimmer davon.

Aber so wichtig ihr Fachwissen auch für ihn war – der eigentliche Grund, warum der Gedanke, sie könnte die Firma verlassen, ihn wie eine Zentnerlast erdrückte, war ein ganz anderer: Er wollte nicht ins Büro kommen, wenn sie nicht auch da war.

Als er eine einzelne Träne in ihren wundervollen Augen bemerkte, nahm er ihr die Brille ab und wischte die Träne zärtlich fort. „Hast du jemanden reden hören, Darling?“

Sie nickte. „Sie meinten, du und ich, wir würden uns hier in unseren Büros vergnügen.“ Sie verdrehte die Augen. „Mehrmals am Tag.“

Er lachte. „Ich bin gut, aber ich wusste gar nicht, dass ich so gut bin.“

Sie errötete. „Davon habe ich keine Ahnung. Aber ich weiß, dass ich in einer Führungsposition nicht vernünftig arbeiten kann, wenn alle denken, ich schlafe mit dem Chef.“

Er hob ihr Kinn mit dem Zeigefinger an und betrachtete sie einen Moment lang schweigend. Himmel, sie war so hübsch, und es tat ihm weh, dass sie so aus der Fassung geraten war.

„Es wird alles wieder gut, Alissa. Ich verspreche es.“

„Ich wüsste nicht wie.“

Sie sah so niedergeschlagen aus, dass er sich sehr beherrschen musste, um sie nicht in die Arme zu schließen. Aber das würde die Situation nur verschärfen, wenn zufällig jemand ins Büro käme und sie überraschte.

Während er sie weiterhin ansah, schoss ihm auf einmal eine Idee durch den Kopf. Sie war so verrückt, dass sie vielleicht gar nicht einmal schlecht war.

„Ich glaube, ich habe eine Lösung, wie wir die Leute zum Schweigen bringen können und du deinen Job behalten kannst“, sagte er lächelnd.

Sie sah ihn zweifelnd an. „Ich höre?“

„Lass uns einfach mitspielen.“

Sie sah ihn verständnislos an. „Bist du jetzt ganz verrückt geworden?“

Er lachte. „Vermutlich.“ Er nahm ihre Hände in seine, zog Alissa hoch und schloss sie in die Arme. „Mein Großvater hat immer gesagt, manchmal könne man ein Feuer nur dadurch löschen, indem man Öl hineingießt.“

„In anderen Worten, der Wahnsinn ist in deiner Familie weit verbreitet?“

Caleb lachte leise. „Großvater hatte die eine oder andere Macke, aber meistens ergab seine Logik durchaus Sinn. Gib ein wenig Öl aufs Feuer, und es brennt sich schnell aus, sodass die Sache erledigt ist. Lässt du es aber vor sich hin brennen, kann es immer wieder aufflackern.“

„Könntest du mir bitte erklären, was das mit unserem Problem zu tun hat?“ Zu seiner großen Befriedigung hatte Alissa die Arme um ihn geschlungen und war augenscheinlich daran interessiert, ihn anzuhören.

„Wenn wir sozusagen an die Öffentlichkeit treten und allen erzählen, wir wären ein Liebespaar, dann hätten sie nichts mehr, worüber sie spekulieren könnten.“ Er machte eine Pause, als ihm noch etwas anderes einfiel. „Am besten ist es, wenn wir ab sofort so tun, als wären wir verlobt. Dann, nach ein paar Wochen, werden wir verkünden, dass wir unsere Meinung geändert haben und nur noch Freunde sind.“

„Jetzt bin ich sicher, dass du völlig übergeschnappt bist.“ Sie entzog sich ihm, trat einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf. „Das würde niemals klappen.“

„Aber sicher doch. Und je eher wir unsere großen Neuigkeiten verkünden, desto eher können wir wieder ganz normal weitermachen.“ Er gab ihr einen schnellen Kuss und drückte einen Knopf auf der Gegensprechanlage. Er würde nicht darauf warten, dass ihr noch mehr Argumente einfielen, warum sein Plan fehlerhaft sein könnte. „Geneva, bitte berufen Sie eine obligatorische Mitarbeiterversammlung für zwei Uhr heute Nachmittag unten in der Lobby ein.“

„Betrachten Sie es als erledigt“, antwortete die Sekretärin. „Gibt es sonst noch etwas?“

„Nein, das war’s. Danke, Geneva.“ Lächelnd wandte er sich an Alissa. Sie hatte wieder diesen gehetzten Ausdruck im Gesicht. „Entspann dich. In ungefähr einer Stunde werden wir unsere große Ankündigung machen, und dann ist das Problem gelöst.“

Sie sank auf ihren Stuhl. „Oder sie fangen dann gerade erst an.“

„Vertrau mir, Darling. Eine Verlobung ist genau das, was der Doktor verordnet hat, um dieses kleine Problem zu lösen.“

Sie seufzte. „Was sollte das für ein Doktor sein? Frankenstein?“

Lachend ging er zurück in sein Büro. „Erhalte dir deinen Sinn für Humor, und dann wird alles gut werden. Du wirst schon sehen.“

Als er die Tür hinter sich schloss, ging Caleb zum Fenster hinter seinem Schreibtisch und starrte hinaus. Eine vorgetäuschte Verlobung? Was zum Teufel hatte er sich dabei nur gedacht?

Aber als Alissa ihm ihre Kündigung zugeschoben hatte, war ihm fast schlecht geworden. Und das hatte rein gar nichts damit zu tun, dass er sie dringend in der Firma brauchte.

Es war schlicht und ergreifend so, dass er nicht wollte, dass sie ging, weil er sich in sie verguckt hatte. Und es gab irgendwie nichts, was er dagegen unternehmen konnte. Nicht einmal die Erinnerung an seine schlechten Erfahrungen mit einer Karrierefrau hatten Alissas Anziehungskraft verringern können. Seit ihrer gemeinsamen Reise nach Roswell letzte Woche hatte er nur daran denken können, wie weich und süß sie ausgesehen hatte, als sie geschlafen hatte, und wie gut es sich angefühlt hatte, sie in den Armen zu halten.

Er atmete tief durch und schüttelte den Kopf, um wieder zu Verstand zu kommen. Wenn sie die Angestellten von „Skerritt and Crowe“ davon überzeugen wollten, dass sie ganz wild aufeinander waren, dann bedurfte es einer gewissen Planung.

Langsam breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Sie hatten ein ganzes Wochenende Zeit, um einen guten Schlachtpan zu schmieden, und er wusste auch schon einen perfekten Ort dafür. Jetzt musste er nur noch Alissa davon überzeugen, mit ihm zu kommen.

„Das wird niemals funktionieren, Caleb“, erklärte Alissa, als sie aus dem Büro hinaus in den verlassenen Flur traten.

„Folge mir einfach und tu so, als wärst du nie glücklicher gewesen.“ Er wartete, bis sie in den Fahrstuhl kam. „Ich kümmere mich um den Rest. Hast du deine Handtasche?“

Sie nickte. „Obwohl ich nicht verstehe, warum du denkst, ich könnte sie brauchen.“

„Du wirst schon sehen.“

Sein verschmitztes Lächeln verriet ihr, dass er irgendetwas plante, aber sie hatte keine Zeit, sich zu fragen, was das sein könnte. Das, was gleich passieren würde, beherrschte all ihre Gedanken und ließ sie überlegen, ob sie beide den Verstand verloren hatten. In wenigen Sekunden würden sich die Fahrstuhltüren öffnen, und sie würden der gesamten Belegschaft von „Skerritt and Crowe“ erzählen, dass sie sich verlobt hätten. Es war der reinste Wahnsinn.

Als der Fahrstuhl im Erdgeschoss zum Stehen kam, grinste Caleb und nahm ihre Hand. „Fertig?“

„Nein.“

„Lächle“, flüsterte er, als die Türen aufgingen.

Als Alissa aus dem Fahrstuhl trat, fühlte sie sich alles andere als unglaublich glücklich. Sie fürchtete, man konnte es an ihrem Gesicht ablesen, wie mulmig ihr zumute war. Das ungute Gefühl im Magen verstärkte sich noch, als sie die wissenden Blicke bemerkte, die ihre Kollegen austauschten.

„Seit unserer Reise nach Roswell letzte Woche hat es ja einige Spekulationen hinsichtlich der Art der Beziehung zwischen mir und A.J. gegeben“, sagte Caleb und kam damit gleich zur Sache. „Aus diesem Grund haben wir Sie heute Nachmittag hierher gebeten. Wir möchten den Spekulationen ein Ende bereiten und die Sache ein für alle Mal aufklären.“

Jetzt gab es kein Zurück mehr. Alissa holte tief Luft und richtete ihren Blick auf Caleb. Sie war sich nicht sicher, ob sie die nächsten Minuten überstehen würde, wenn sie jemand anderen anschaute.

„Ja, zwischen mir und A.J. Merrick geht etwas vor.“ Ihr Herz klopfte zum Zerspringen, als Caleb sie lächelnd anschaute. „Ich möchte hiermit verkünden, dass wir uns soeben verlobt haben.“

Verblüfftes Schweigen folgte dieser Ankündigung, bevor die Kollegen in begeisterten Applaus ausbrachen. Und als Caleb Alissa an sich zog und sie sehnsüchtig wie ein aus dem Krieg heimgekehrter Soldat küsste, wurde das Klatschen so laut, dass es fast ohrenbetäubend war.

Als er den Kopf wieder hob, verkündete er: „Alissa und ich fahren über das Wochenende weg, also versucht nicht, uns anzurufen. Wir werden sehr beschäftigt sein …“, seine Pause und das vielsagende Lächeln riefen allgemeine Belustigung hervor, „… mit unseren Hochzeitsvorbereitungen“, endete er. Er deutete auf Malcolm. „Sie tragen die Verantwortung, bis wir am Montag zurück sind.“

Der Kuss und Calebs Ankündigung, dass sie zusammen wegfahren würden, hatten Alissa völlig überrascht, doch er schockierte sie vollends, als er sie hochhob und unter dem tosenden Applaus und den Jubelrufen der Mitarbeiter aus dem Gebäude trug. Sprachlos, und weil sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte, schlang Alissa die Arme um seine Schultern und hielt sich einfach nur noch fest.

„Was … zum Teufel … glaubst du, tust du hier?“, brachte sie schließlich mühsam hervor, als er auf seinen Pick-up zuging.

Er lachte. „Ich entführe dich, so wie es ein edler Ritter, der sein Geld wert ist, tun würde, wenn er die Hand der schönen Jungfrau erobert hat.“

„Meinst du nicht, dass du das Ganze ein wenig zu weit treibst?“, fragte sie, als er die Wagentür öffnete und sie auf den Sitz gleiten ließ.

Als sie hinüber auf den Beifahrersitz rutschen wollte, setzte er sich hinter das Lenkrad und zog sie kurz an sich. „Wenn das alles funktionieren soll, dann muss es so aussehen, als wären wir ganz heiß aufeinander, oder?“

„Ja, aber …“

„Denkst du nicht, alle erwarten, dass wir unsere Freizeit gemeinsam verbringen?“, fragte er und startete den Motor. „Und vor allem, nachdem wir uns gerade verlobt haben?“

Sie seufzte. „In Ordnung, ich habe schon verstanden.“

Er schenkte ihr ein Lächeln, das die Schmetterlinge in ihrem Bauch zu einer fröhlichen Flatterei veranlasste. „Wir fahren bei dir vorbei, damit du ein paar Sachen einpacken kannst, und dann geht es ab zu mir.“

Alissa schnappte entsetzt nach Luft. Ihr ganzes Leben stand auf einmal kopf. „Ich bitte um Verzeihung, aber ich kann mich nicht daran erinnern, zugestimmt zu haben, wirklich mit dir wegzufahren“, fuhr sie Caleb an.

Während er auf die Straße bog und die Richtung zu ihrer Wohnung einschlug, schüttelte er den Kopf. „Denk doch einmal nach, Alissa. Ed Bentley wohnt im selben Gebäudekomplex wie du. Seine Wohnung liegt direkt gegenüber von deiner. Selbst wenn du das ganze Wochenende zu Hause bleibst, wird er bemerken, wenn das Licht an und aus geht und daraus schließen, dass du nicht weggefahren bist.“ Er warf ihr einen vielsagenden Blick zu. „Der Erfolg unseres Planes hängt davon ab, Darling.“

Ihre Schläfen begannen zu pochen, und ihr Magen fühlte sich an, als lägen Steine darin. „Warum habe ich mich nur von dir überreden lassen?“

„Weil dir das Gerede zu schaffen gemacht hat.“ Er nahm ihre Hand und drückte sie sanft. „Außerdem haben wir so das ganze Wochenende Zeit, um eine Strategie für die Gestaltung unserer Verlobung und der späteren Trennung zu entwickeln.“

Alles, was er sagte, klang so logisch, aber das änderte nichts an der Nervosität, die sich in ihr ausbreitete, während Caleb, ohne nach dem Weg zu fragen, zu ihrer Wohnung fuhr. Sie dagegen hatte nicht die leiseste Ahnung, wo er lebte.

Als könnte er ihre Gedanken lesen, meinte er lächelnd: „Vergiss nicht, eine dickere Jacke einzupacken. Abends wird es recht kühl.“

„Du wohnst in den Bergen?“ Irgendwie überraschte sie das nicht.

„Ja. Ungefähr zwanzig Meilen von hier“, meinte er und parkte vor ihrem Haus. Er zuckte mit den Schultern. „Ich bin noch nie ein Stadtmensch gewesen.“

Alissa atmete tief durch und öffnete die Beifahrertür. „Ich werde entsprechend packen.“ Als Caleb auch aussteigen wollte, schüttelte sie den Kopf. „Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich gern ein paar Minuten allein sein, um mich wieder zu fangen.“

Er starrte sie einen Moment lang an, bevor er nickte. „Vergiss nicht, einen Badeanzug mitzunehmen. Es gibt einen Whirlpool und ein Schwimmbecken auf dem Grundstück.“

Als sie ihre kleine Wohnung betrat, um Sachen für ihr Wochenende mit Caleb einzupacken, wusste Alissa nicht, ob sie weinen oder lachen sollte. Warum zum Teufel hatte sie ihm erlaubt, sie in solch eine aberwitzige Sache hineinzuziehen?

Doch als sie ihre Tasche fertig gepackt und ihre Nachbarin Mrs. Rogers gebeten hatte, sich um ihren Sittich zu kümmern, wusste Alissa genau, warum sie sich auf Calebs Plan eingelassen hatte. Sie wollte sich einfach keinen neuen Job suchen. Andere Finanzberatungen mochten ihr vielleicht die gleichen Möglichkeiten bieten, damit sie die Arbeit verrichten konnte, die sie liebte, aber es gab etwas, was nur „Skerritt and Crowe“ hatte – einen gut aussehenden Chef mit tiefbraunen Augen, einem sündhaften Lächeln und einem Mund, der sie beim Küssen dahinschmelzen ließ.

6. KAPITEL

Während er das Eisentor aufstieß und Alissa durch den Vordergarten zur Haustür geleitete, überlegte Caleb, was wohl in ihrem hübschen kleinen Kopf vor sich ging. Je weiter sie aus der Stadt hinausgefahren waren, desto schweigsamer war sie geworden.

„Wenn du dir wegen des Schlafens Gedanken machst, kann ich dich beruhigen“, sagte er, als sie ins Haus traten. Er stellte ihre kleine Reisetasche ab und drückte die Tasten, um die Alarmanlage auszuschalten. „Es gibt drei Gästezimmer. Du kannst dir eins aussuchen.“

„Daran, wo ich schlafen werde, habe ich offen gestanden gar nicht gedacht.“ Als er sich zu ihr herumdrehte, lächelte sie ein wenig verlegen. „Ich habe überlegt, was diese alten Anwesen kosten und welches Potenzial die Grundstücke auf dieser Seite der Berge als Anlageobjekte haben. Ich vermute, die Wertsteigerung ist beachtlich, da dieses Gebiet hier anscheinend ziemlich schnell wächst.“

Er lachte, als er ihre Reisetasche nahm. „Einmal Anlageberaterin, immer Anlageberaterin, was?“

„Vermutlich.“ Sie betrachtete ihn abschätzend. „Bei deinem wirtschaftswissenschaftlichen Hintergrund wirst du doch wohl auch darüber nachgedacht haben, als du hierher gezogen bist, oder?“

„Eigentlich nicht.“ Er würde ihr bestimmt nicht erzählen, dass ihm das Haus überlassen worden war, nachdem er Emeralds Angebot, die Firma zu übernehmen, angenommen hatte. Und erst recht würde sie nicht erfahren, dass sein wirtschaftswissenschaftlicher Hintergrund vor zwei Wochen begonnen hatte, als er zum ersten Mal „Skerritt and Crowe“ betreten hatte. „Mir lag mehr daran, dass es relativ abgeschieden ist und über eine Menge Land drum herum verfügt.“

Sie schien seine Erklärung zu akzeptieren, und Caleb folgte ihr erleichtert hinüber ins Wohnzimmer. Doch sein Herz blieb fast stehen, als Alissa vor einem Porträt Halt machte und es eingehend studierte. Es war ein Bild von Emerald Larson in mittleren Jahren und ihrem berüchtigten Playboy-Sohn Owen – Calebs verstorbenem Vater.

„Sind das Verwandte von dir?“, fragte sie lächelnd.

Das Bild war mindestens fünfundzwanzig Jahre alt, und es war offensichtlich, dass Alissa das Paar nicht erkannt hatte. Hoffentlich blieb es dabei.

„Das sind meine Großmutter und mein Vater“, erklärte er vorsichtig.

Sie schaute ihn einen Moment lang eingehend an und nickte dann. „Ja, man sieht die Familienähnlichkeit.“

Caleb legte ihr eine Hand in den Rücken und schob sie in Richtung Schlafräume, bevor sie das Bild noch weiter musterte und herausfand, wer darauf abgebildet war. Er hatte sie bisher nicht angelogen und würde auch jetzt nicht damit anfangen. Hätte sie die Larsons erkannt, hätte er zugeben müssen, dass er einer der Erben des Emerald-Inc.-Imperiums war. Aber sie hatte es nicht. Und obwohl das Verschweigen von Tatsachen auch etwas war, worauf er nicht sonderlich stolz war und was ihm Sorge bereitete, käme es jedoch für ihn niemals in Frage, wirklich die Unwahrheit zu sagen. Das war einfach nicht sein Stil.

„Du kannst dir gern auch noch die beiden anderen Gästezimmer anschauen, bevor du dich entscheidest, welches du nehmen möchtest“, sagte er, während er die Tür zu dem Zimmer öffnete, das seinem am nächsten lag. Der Raum war in Gelb- und Grüntönen gehalten und sah ein wenig femininer aus als die beiden anderen. „Sie verfügen alle über ein angrenzendes Bad, aber abgesehen von meinem Schlafzimmer ist dies das einzige, in dem es auch eine Sitzecke gibt.“

„Es ist hübsch“, meinte Alissa und sah sich um. Sie ging hinüber zu den großen Glastüren und sah hinaus auf die Terrasse und den Pool. „Es ist eine herrliche Umgebung, und dein Haus ist wirklich schön, Caleb.“

„Danke.“ Er stellte ihre Tasche aufs Bett und kam dann zu ihr. „Die Gegend ist ganz anders als in Tennessee, aber ich gewöhne mich langsam daran.“ Er erzählte ihr nicht, dass es ein riesiger Unterschied zu dem bescheidenen Farmhaus war, in dem er aufgewachsen war, und dass es ihm noch immer schwerfiel, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass dieses Haus jetzt ihm gehörte. Als er Emeralds Angebot akzeptiert hatte, war es ihm überschrieben worden.

„Ich würde gern erfahren, wie du gelebt hast“, meinte Alissa und klang dabei ein wenig sehnsüchtig. „Ich bin niemals östlich von Mississippi gewesen, aber ich habe gehört, dass die Südstaaten sehr schön sein sollen.“

„Das sind sie. Wenn ich zu Hause auf die Berge schaue, dann sehe ich Bäume, und alles ist grün. Hier ist es auch schön, aber auf eine andere Art und Weise. Es gibt nicht so viele Bäume, und alles ist in Braun- und Orangetönen gehalten.“ Ohne nachzudenken, schlang er seine Arme um ihre Taille und zog sie an sich. „Ich werde dich irgendwann einmal mitnehmen, damit du die Berge im Osten sehen kannst.“

Er hörte, wie sie leise nach Luft schnappte, bevor sie sich in seinen Armen herumdrehte. „Caleb, was machen wir hier?“

Während er sie anschaute, fragte er sich dasselbe. Sie war die Art von Frau, vor der er sich hatte in Acht nehmen wollen, doch irgendetwas hatte Alissa Jane Merrick an sich, dem er nicht widerstehen konnte. Er wollte ihr zeigen, wo er aufgewachsen war, wollte, dass sie erfuhr, wer er war und was ihn zu dem gemacht hatte, was er heute war. Vor allem wollte er alles über sie wissen. Und das machte ihm höllische Angst.

Plötzlich verspürte er das dringende Bedürfnis, ein wenig Distanz zwischen ihnen zu schaffen, um herauszufinden, was in ihn gefahren war. Also küsste er Alissa auf die Wange, ließ sie los und ging zur Tür. „Während du deine Sachen auspackst und dich frisch machst, gehe ich mal schauen, was ich uns zum Abendbrot zaubern kann.“

Alissa sah ihn aus dem Zimmer gehen und seufzte leise. Es war ihr nicht entgangen, dass er es vermieden hatte, ihre Frage zu beantworten. War er vielleicht genauso verwirrt über das, was zwischen ihnen geschah, wie sie? Und was war das, was zwischen ihnen geschah?

Sie war keine Expertin, wenn es um Herzensangelegenheiten ging, aber es war offensichtlich, dass zwischen ihnen eine sehr starke Anziehungskraft bestand. Sie konnten nicht länger als fünf Minuten in einem Zimmer zusammen sein, ohne dass sie einander in die Arme fielen.

Wie kam es, dass Caleb Walker sie die Lektion vergessen ließ, die sie vor fünf Jahren durch einen Mann erhalten hatte, der ihm so ähnlich war? War es nicht beschämend genug gewesen, als sie erkannt hatte, dass Männer nicht davor zurückscheuen, Frauen dazu zu benutzen, ihre eigene Karriere voranzutreiben?

Sie ließ sich auf der Bettkante nieder und dachte an Wesley Pennington III., den Mann, der ihr beigebracht hatte, wie gnadenlos das Geschäftsleben sein kann und wozu einige Männer fähig sind, wenn sie vorankommen wollen. Gut aussehend und charmant hatte Wesley sie im Sturm erobert, ungefähr ein Jahr, nachdem sie beide bei der angesehenen Finanzfirma „Carson, Gottlieb and Howell“ angefangen hatten. Und bis zum Ende ihrer sechswöchigen Affäre hatte sie nicht die leiseste Ahnung gehabt, dass er sie nur dazu benutzt hatte, um an Informationen über einen möglichen Kunden heranzukommen.

Doch als sie jetzt Caleb mit Wesley, dem Wiesel, verglich, musste sie zugeben, dass es nur wenige, wenn überhaupt, Ähnlichkeiten zwischen den beiden Männern gab. Wesley hätte niemals Jeans und Stiefel angezogen, genauso wenig wie er sich in einem abgelegenen Haus in einer ruhigen ländlichen Gegend niedergelassen hätte. Er hatte ein ultramodernes Appartement mitten in der Stadt besessen. Und das waren nur die oberflächlichen Unterschiede zwischen den beiden.

Wesley war ein geleckter, auf Äußerlichkeiten bedachter Mensch gewesen, der dazu neigte, sich all jenen gegenüber herablassend zu verhalten, die auf der hierarchischen Leiter in der Firma unter ihm standen. Caleb war das genaue Gegenteil. Mit seiner lockeren, bodenständigen Art nahm er allen Untergebenen die Befangenheit. Und nicht nur, dass er alle die, die für ihn arbeiteten, als gleichberechtigt ansah, ihr Wohlbefinden schien ihm auch wirklich am Herzen zu liegen.

Das war etwas, was Wesleys Fähigkeiten überstieg. Alissa wusste aus eigener Erfahrung, dass er nur an sich selbst dachte und auch keine Skrupel hatte, auf denen herumzutrampeln, die ihm oder seinen ehrgeizigen Ambitionen im Weg waren oder womöglich gar eine Bedrohung für ihn darstellten. Er hatte, ohne zu zögern, Alissas Zuneigung zu ihm benutzt, um Informationen zu erhalten, die schließlich dazu geführt hatten, dass er einen begehrten Kunden gewonnen und dadurch auch die Beförderung bekommen hatte, die eigentlich ihr zugestanden hätte. Als sie ihm das vorgeworfen hatte, war er so dreist gewesen, zuzugeben, sich nur mit ihr verabredet zu haben, um voranzukommen. Aber am niederschmetterndsten war gewesen, als sie ihre Kollegen über die ganze Sache hatte tratschen hören. Von dem Moment an war ihr klar gewesen, dass sie einen neuen Job brauchte. Und so war sie zu ihrem jetzigen Arbeitsplatz bei „Skerritt and Crowe“ gekommen.

Aber sie war sicher, dass Caleb sich niemals zu so etwas herablassen würde, sich niemals mit den Lorbeeren anderer Leute schmücken würde, selbst wenn er nicht schon der Präsident von „Skerritt and Crowe“ wäre. Auch würde er sie niemals bloßstellen. Er hatte diese vorgetäuschte Verlobung und das gemeinsame Wochenende veranlasst, weil er versuchte, die Gerüchte und den Klatsch, den sie so unangenehm empfand, zu unterbinden.

Seufzend stand sie auf, packte ihre Sachen aus und zog sich dann Shorts und ein T-Shirt an. Sie hatte alles Mögliche versucht, um Caleb nicht zu mögen. Aber die Wahrheit war, dass sie ihm mehr vertraute als sonst jemandem. Und ob es nun klug war oder nicht, sie konnte es genauso gut zugeben – wenn sie sich noch nicht in ihn verliebt hatte, dann war sie auf dem besten Wege dorthin.

„Danke für das ausgezeichnete Essen. Du bist ein guter Koch.“

„Eigentlich nicht.“ Caleb lächelte. „Etwas Fleisch auf den Grill zu werfen und dazu noch ein bisschen Gemüse zu rösten, ist so ziemlich das Einzige, was ich zustande bringe, abgesehen von gebratenem Schinken mit Rührei.“

„Ich fand es jedenfalls lecker.“ Alissas Lächeln verzauberte ihn einmal mehr. „Und es war eine gute Idee von dir, hier draußen auf der Terrasse zu essen.“ Er beobachtete sie, wie sie am Pool vorbei in das Tal dahinter schaute. „Der Anblick ist einfach atemberaubend.“

Autor

Kathie De Nosky
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