Die Männer von Wolff Mountain (7-teilige Serie)

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Die 4 Brüder Wolff sind so verschieden, doch eines haben sie gemeinsam: Sie sind superreich und halten trotzdem nichts von einem Leben im Jetset.

EIN SEHR PRIVATER VERFÜHRER
Gareth Wolff will nichts mehr mit der Welt zu tun haben. Lieber verschanzt er sich hinter Mauern - um sein Anwesen und um sein Herz. Bis eines Tages eine zarte rotblonde Schönheit praktisch vor seiner Tür verunglückt und ihm keine Wahl lässt: Sie braucht seine Hilfe! Wenn sie wieder zu Kräften gekommen ist, wird er sie wegschicken, schwört Gareth sich … Doch die Fremde lässt die Vorsätze des Selfmade-Millionärs gefährlich schwinden. Mit ihrem Sex-Appeal stürzt sie den einsamen Wolf ins Chaos der Gefühle. Und noch schlimmer: Sie hat ihr Gedächtnis verloren …

SANFT BERÜHRT - UND SCHON VERFÜHRT?
"Ich will meine Tochter sehen!" Was fällt ihm eigentlich ein? Am liebsten würde Olivia dem wutentbrannten Mann die Tür vor der Nase zuknallen. Sechs Jahre ist es her, seit er ihr in sinnlichen Nächten den Himmel auf Erden geschenkt hat. Dann verschwand er spurlos, und Olivia machte zwei Entdeckungen: Sein Name war falsch, und sie war schwanger! Also was will Kevin, nein, Kieran jetzt in ihrem und Cammies Leben? Und warum verspürt sie plötzlich diese verräterische Sehnsucht nach diesem Betrüger - als genüge schon eine Berührung von ihm, erneut ihre Leidenschaft zu wecken?

SINNLICHES SPIEL AUF ANTIGUA
Sonne, Sand und Sangria auf Antigua: Wer kann da cool bleiben? Dr. Jacob Wolff hoffentlich nicht, wünscht sich die Hollywood-Schönheit Ariel Dane. Der attraktive Arzt soll sie während der Dreharbeiten zu ihrem neuen Film behandeln. Nur darf niemand merken, dass Ariel krank ist, deshalb muss Jacob sich als ihr Liebhaber ausgeben - natürlich bloß zum Schein! Allerdings ist er so sexy, dass Ariel bald von heißen Nächten in seinen Armen träumt. Doch obwohl ihr erster gespielter Kuss unwiderstehlich sinnlich ist, bleibt Jacob ganz professionell auf Distanz - leider!

ZURÜCK IN DEN ARMEN DES MILLIARDÄRS
Früher bildete Devlyn sich viel darauf ein, zu den "besseren Kreisen" zu gehören - und das ließ er Gillian, die Tochter der Haushälterin, deutlich spüren. Nie wird sie vergessen, wie seine Ablehnung sie verletzt hat! Auch jetzt noch, Jahre später, hört sie seine höhnischen Worte: "Du gehörst nicht in unsere Welt!". Nun steht Devlyn plötzlich wieder vor ihr: groß, attraktiv und auf einmal sehr an ihr interessiert. Gillian wagt den Schritt und gibt seinen heißen Avancen nach. Sie ist glücklich … bis Devlyn sie verlässt. War sie doch nur eine erotische Affäre für den Milliardär?

ZU STÜRMISCH FÜR DIE LIEBE?
Zu unbedacht, zu stürmisch, zu aufdringlich. Sieben lange Jahre konnte Anna die harten Worte nicht vergessen, mit denen Sam ihr Liebesgeständnis abgewiesen hat. Jetzt führt ein Job sie wieder zu ihm - und zwar unausweichlich: Eingeschneit in einer Berghütte, ohne Strom, allein mit ihm muss sich Anna fragen, wie sie dem Mann widerstehen kann, den sie seit so vielen Jahren begehrt. Und der ihr jetzt so nahe ist. Im Dunkeln ertastet sie seine Hand, seinen warmen Körper. Die Entscheidung liegt bei ihr: Kann sie es zulassen, dass er sie wieder verletzt?

VERLANGEN GEGEN JEDE VERNUNFT
Dieses Kribbeln, dieses Prickeln ... Obwohl Larkin Wolff offiziell zu ihrem Schutz da ist, spürt Winnie instinktiv: Ausgerechnet der sexy Sicherheitsexperte kann ihr gefährlich werden. Denn wenn sie seiner Anziehungskraft nachgibt, bricht er ihr bestimmt das Herz, oder?

HEISSE LEIDENSCHAFT - KALTE LÜGE?
Ist sein ganzes Leben eine Lüge? Als der Unternehmer Pierce Avery zufällig entdeckt, dass er nicht der leibliche Sohn seines Vaters ist, steht seine Welt plötzlich Kopf. Um Licht ins Dunkel seiner Herkunft zu bringen, engagiert er die Anwältin Nicola Parrish. Eine ebenso kluge wie aufregend schöne Frau, die brennendes Verlangen in ihm weckt. Doch schon bald muss er feststellen, dass Nicola ein rätselhaftes Eigeninteresse an seinem Fall entwickelt. Zwar gibt sie sich ihm in heißen Nächten leidenschaftlich hin, aber kann er ihr wirklich von ganzem Herzen vertrauen?


  • Erscheinungstag 24.02.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733773786
  • Seitenanzahl 1008
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Janice Maynard

Die Männer von Wolff Mountain (7-teilige Serie)

Janice Maynard

Ein sehr privater Verführer

IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: 040/60 09 09-361
Fax: 040/60 09 09-469
E-Mail: info@cora.de

© 2012 by Janice Maynard
Originaltitel: „Into His Private Domain“
erschienen bei: Harlequin Books, Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1758 - 2013 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Kai Lautner

Fotos: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format im 03/2013 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-95446-437-1

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY, STURM DER LIEBE

 

CORA Leser- und Nachbestellservice
Haben Sie Fragen? Rufen Sie uns an! Sie erreichen den CORA Leserservice montags bis freitags von 8.00 bis 19.00 Uhr:
  CORA Leserservice Telefon 01805 / 63 63 65*
  Postfach 1455 Fax 07131 / 27 72 31
  74004 Heilbronn E-Mail Kundenservice@cora.de
  * 14 Cent/Min. aus dem Festnetz der Deutschen Telekom, abweichende Preise aus dem Mobilfunknetz

www.cora.de

1. KAPITEL

Gareth kam aus der Dusche und warf einen Blick in den Spiegel. Er war immer noch aufgewühlt, trotz des vielen kalten Wassers. Nackt, wie er war, begann er, sich zu rasieren. Als sich seine Haut glatt anfühlte, zog er seinem Spiegelbild eine Grimasse.

Sein schwarzes, welliges Haar fiel ihm bis auf die Schultern. Zwar trug er es immer länger, doch mittlerweile war es so lang, dass es ihn bei der Arbeit störte. Also griff er in eine Schublade, holte ein dünnes Lederband heraus und machte sich einen kurzen Pferdeschwanz.

Da hörte er ein lautes Klopfen an der Haustür. Wer konnte das sein? Irgendwelche Lieferanten brachten ihre Sachen immer ins Hauptgebäude. Weder seine Brüder noch sein Vater kämen auf die Idee, ihr Kommen auf diese Weise anzukündigen. Und sowohl Onkel Vincent als auch seine Cousins nahmen Rücksicht auf Gareths Einsiedlerdasein und ließen ihn in Ruhe.

Die Journalisten hatten sich jahrelang die Finger über ihn und seine Familie wund geschrieben, das Fernsehen war ihnen immer auf den Fersen gewesen. Wenn ein Mann reich war, gab es immer Leute, die sich an ihn hängten. Gareth war des Spiels müde.

Als Soldat hatte er sich kurz in eine Gemeinschaft einfügen müssen, aber sonst hatte er es zeitlebens vorgezogen, allein zu sein. Nur seine Familie bekam ihn ab und an zu Gesicht.

Er zog eine Jeans an – ohne Unterwäsche. Für den Eindringling, der geklopft hatte, musste das genügen. Seine Laune tendierte gegen null. Wer wagte es, einen grimmigen Wolff zu stören?

Mit langen Schritten durchquerte er sein Haus und fluchte, als sich das Lederband öffnete und sein schwarzes Haar wieder bis auf die Schultern fiel. Egal. Wer auch immer da draußen vor der Tür stand, würde hochkant vom Grundstück fliegen.

Er riss die Tür auf und sah verblüfft auf die zierliche Frau mit den wilden roten Locken. Während seine Wut nicht im Geringsten verrauchte, genügte ein Blick, und sein sexuelles Interesse erwachte. „Wer sind Sie und was wollen Sie?“, knurrte er.

Unwillkürlich wich die Frau einen Schritt zurück. Gareth baute sich vor ihr auf und stützte eine Hand gegen den Türrahmen. Barfuß und mit nacktem Oberkörper wirkte er äußerst bedrohlich.

Was die Frau nicht daran hinderte, seine muskulöse Brust mit einem bewundernden Blick zu streifen, ehe sie zu ihm aufsah und vorsichtig sagte: „Ich muss mit Ihnen reden.“

Wow, diese Rothaarige war sexy. Doch Gareth antwortete kalt: „Sie haben kein Recht, hier einzudringen.“

Ihre helle Haut schimmerte, und sie hielt sich extrem gerade. Zu gern hätte Gareth seine Zunge über ihren zarten Rücken gleiten lassen, bis sie …

Nein, befahl er sich, atmete tief durch und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Er musste auf der Hut sein, auch wenn er eine Schwäche für rote Locken und fein gemeißelte Wangenknochen besaß. Das Parfüm, das sie trug, erregte ihn. Kein Wunder. Es war lange her, seit er das letzte Mal mit einer Frau geschlafen hatte. „Was wollen Sie?“, blaffte er.

Nervös schaute sie ihn an. Ihre Augen waren klar und blau wie der Himmel in den Bergen. Dazu ein kleines energisches Kinn, das sie jetzt kämpferisch reckte, ehe sie lächelte und sagte: „Könnten wir nicht nach drinnen gehen und uns einen Moment unterhalten? Ich hätte auch gern etwas zu trinken. Ich verspreche Ihnen, dass ich Sie nicht lange aufhalten werde.“

Gareth ballte vor Zorn die Fäuste. Schon wieder eine, die ihn für ihre Zwecke benutzen wollte. „Hauen Sie ab“, schnauzte er sie an.

Erschrocken stolperte die Frau rückwärts. Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch in diesem Moment trat sie ins Leere, fiel fast wie in Zeitlupe nach hinten und knallte unsanft auf die Stufen, um dann zusammengekauert am Fuß der Treppe liegen zu bleiben.

Sofort war Gareth bei ihr. Seine Hände zitterten, und sekundenlang konnte er keinen klaren Gedanken fassen. Was bin ich doch für ein Mistkerl, fluchte er im Stillen. Nicht besser als die Kojoten, die nachts durch die Berge streifen.

Sie war bewusstlos. Hektisch untersuchte Gareth, ob sie sich etwas gebrochen hatte. Aufgewachsen mit Brüdern und Cousins, war er oft Zeuge von Knochenbrüchen gewesen. Doch jetzt fürchtete er sich vor dem Anblick eines scharfen Knochens, der die zarte, helle Haut durchstach.

Erleichtert atmete er auf, als er nichts dergleichen fand. Dafür gab es eine Platzwunde an der Schläfe, die stark blutete.

Vorsichtig hob er die zierliche Frau hoch und trug sie in sein Schlafzimmer – sein privatestes Refugium. Nachdem er sie so sachte wie möglich auf das noch ungemachte Bett gelegt hatte, holte er Eis und Verbandszeug.

Dass sie immer noch bewusstlos war, als er zurückkam, machte ihm große Sorgen, ebenso wie die tiefe Wunde an ihrem Bein. Also rief er seinen Bruder Jacob an. „Ich brauche dich. Es handelt sich um einen Notfall. Bring deinen Arztkoffer mit.“

Zehn Minuten später standen beide Männer da und schauten auf die zarte Person, die in dem riesigen Bett winzig wirkte. Ihr rotgoldenes Haar schimmerte auf dem in männlichen Grau- und Blautönen gehaltenen Kissenbezug.

Rasch und methodisch untersuchte Jacob seine Patientin von Kopf bis Fuß. „Den Schnitt am Schienbein muss ich nähen“, verkündete er dann. „Die Platzwunde am Kopf sieht schlimmer aus, als sie ist. Ihre Pupillen sind normal.“ Er runzelte die Stirn. „Ist sie eine Freundin von dir?“

Verächtlich schnaubend erwiderte Gareth: „Wohl kaum. Ich habe gerade mal zwei Minuten mit ihr gesprochen, ehe sie von der Treppe fiel. Sie wollte mit mir über irgendwas sprechen. Vermutlich eine Journalistin.“

„Und wieso ist sie gefallen?“

Gareth beugte sich vor und strich dem zierlichen Geschöpf eine rote Strähne aus dem Gesicht. „Ich wollte ihr Angst machen, und es hat funktioniert.“

Jacob seufzte. „Irgendwann gehst du zu weit in deinem Bedürfnis, ungestört zu bleiben, Gareth. Was ist, wenn sie uns auf Schadensersatz verklagt? Hast du auch nur eine Minute an die Familie gedacht?“

Während er sprach, hatte Jacob eine Spritze gesetzt und die Stelle am Schienbein betäubt, um sie zu nähen. Die Frau rührte sich nicht.

„Ich wollte einfach nur, dass sie abhaut“, murmelte Gareth schuldbewusst und hoffte, die Frau wäre so unschuldig wie der Neuschnee, der im Spätherbst in den Bergen fiel.

Doch sie konnte genauso gut eine giftige Schlange sein.

Jacob setzte den letzten Stich und verband die Wunde fachgerecht. Dann fühlte er den Puls seiner Patientin, spritzte ihr noch ein Schmerzmittel und überlegte kurz. „Wir müssen herausfinden, wer sie ist. Hatte sie eine Handtasche dabei?“

Gareth nickte. „Dort auf dem Stuhl.“ Während sein Bruder die große Handtasche durchwühlte, betrachtete er die junge Frau in seinem Bett. Sie sah aus wie ein Engel.

Gleich darauf hatte Jacob eine Geldbörse und ein Blatt Papier zutage gefördert. „Sieh dir mal dieses Foto an. Die Frau heißt Gracie Darlington.“

„Falls der Personalausweis keine Fälschung ist.“

„Sei nicht paranoid. Kann doch sein, dass das alles ganz harmlos ist.“

„Und Schweine können fliegen. Ich lasse mich von einem niedlichen Gesicht nicht täuschen. Das habe ich hinter mir.“

„Ach, komm. Deine Ex-Verlobte war einfach ein bisschen zu zielstrebig. Und niedlich ist für sie auch das falsche Wort. Das alles ist so lange her, Gareth. Zeit, es zu vergessen.“

„Trotzdem, ich bleibe misstrauisch.“

Jacob schüttelte den Kopf und zerbrach eine Ampulle mit Ammoniak unter Gracies Nase.

Das starke Stimulans führte dazu, dass sie sich unruhig bewegte. Als sie die Augen aufschlug und langsam in die Realität zurückkam, stöhnte sie.

Gareth nahm ihre kleine Hand. „Wachen Sie auf.“

Blinzelnd sah sie erst ihn an, dann seinen Bruder. „Es gibt zwei von Ihnen?“, flüsterte sie verwirrt.

Jacob antwortete grinsend: „Solange Sie nicht vier von uns sehen, ist alles in Ordnung. Sie haben vermutlich eine Gehirnerschütterung, das heißt, Sie müssen liegen und viel trinken. Wenn sich Ihr Zustand verschlechtern sollte – ich bin in der Nähe. Und keine hastigen Bewegungen verstanden?“

Gracie zog das Näschen kraus. „Wo bin ich?“

Beruhigend legte Jacob ihr die Hand auf den Arm. „Im Schlafzimmer meines Bruders. Aber keine Sorge. Gareth beißt nicht. Ich bin übrigens Jacob.“ Er warf Gareth einen Blick zu. „Eisbeutel für das Bein und die Beule an der Schläfe. Ich lasse ein paar Schmerztabletten da, für später, wenn die Wirkung der Spritze nachlässt. Morgen früh komme ich wieder und sehe nach ihr, außer, ihr braucht mich früher. Außerdem solltest du sie bald zu mir in die Klinik bringen, damit ich ein Röntgenbild machen kann. Nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich was übersehen habe.“

Gareth machte sich nicht die Mühe, seinen Bruder zur Tür zu bringen.

Stattdessen setzte er sich auf die Bettkante und verfluchte sich dafür im Stillen, als er sah, dass Gracie, obwohl sie so angeschlagen war, sofort versuchte, in den hintersten Winkel des Bettes zu flüchten. Leichenblass und zitternd beugte sie sich vor und erbrach sich auf den Fußboden.

Dann begann sie zu schluchzen.

Sekundenlang wusste Gareth nicht, was er tun sollte. Nie zuvor hatte er ein so starkes Bedürfnis verspürt, eine Frau zu trösten und sie zu umsorgen. Gleichzeitig war ihm klar, dass er Gracie nicht vertrauen durfte.

Ihre Hilflosigkeit rührte ihn allerdings zutiefst. Niemand konnte so etwas spielen.

Also ging er ins Bad, feuchtete einen Waschlappen an und gab ihn Gracie, während er das Malheur auf dem Boden aufwischte. Als er fertig war, ging ihr Schluchzen in einen Schluckauf über. Sie lag da mit geschlossenen Augen und rührte sich nicht, wahrscheinlich, weil ihr alles wehtat.

Mit zwölf war Gareth einmal ziemlich übel vom Pferd gestürzt und hatte sich am Kopf verletzt. Seitdem wusste er, wie sich eine Gehirnerschütterung anfühlte.

Er ging zum Fenster und öffnete beide Flügel weit, um die frische Frühlingsluft hereinzulassen. Dann zog er die Vorhänge vor, damit Gracie nicht geblendet wurde. Er wollte es ihr so angenehm wie möglich machen.

Später stand er neben dem Bett, schaute auf die zarte Frau und fragte sich, wie ein Tag, der so normal begonnen hatte, so aus dem Ruder hatte laufen können. Mit einem Räuspern deckte er Gracie bis zum Kinn zu. „Wir müssen miteinander reden. Aber das hat Zeit, bis Sie wiederhergestellt sind. Es ist fast Abend. Ich mache Ihnen etwas Leichtes zu essen und bringe es Ihnen.“ Zögernd wartete er auf ihre Antwort.

Gracie rang um Fassung, sicher, dass sie gleich wieder ganz sie selbst sein würde. Alles kam ihr vor wie ein merkwürdiger Traum. Und der Mann, der sich gerade so fürsorglich über sie beugte, war auch definitiv ein Traumtyp – obwohl sein Gesicht eher ungewöhnlich als schön aussah. Seine Adlernase, sein markantes Kinn und seine ausgeprägten Wangenknochen betonten seine tiefschwarzen Augen, in denen die Pupillen kaum zu erkennen waren.

Die Art, wie er sein Haar trug, ließ ihn ungebändigt, fast wild erscheinen. Offenbar kümmerte dieser Mann sich nicht um Konventionen. Zu gern hätte Gracie eine dieser schwarzen Strähnen durch ihre Finger gleiten lassen, um herauszufinden, ob seine Locken wirklich so weich waren, wie sie aussahen.

Sein nackter, muskulöser Oberkörper war gebräunt, und Gracie entdeckte drei kleine Narben. Es juckte sie in den Fingern, die schmalen Kerben zu berühren. Dieser Typ würde sie umhauen, läge sie nicht längst schon in seinem Bett. Sie sah ihm nach, als er das Zimmer verließ, und bald darauf fiel sie in einen unruhigen Schlaf. Ab und zu schreckte sie auf. Alles tat ihr weh, und sie fühlte sich gottverlassen. Als ihr Gastgeber endlich wiederkam, war es fast dunkel geworden.

Er trug ein Tablett, das er auf einer hölzernen Truhe am Fußende des Bettes absetzte. Statt die Deckenleuchte einzuschalten, knipste er eine kleine antike Nachttischlampe an, deren cremefarbener Seidenschirm weiches Licht verbreitete. Gracie war dankbar für diese Rücksichtnahme.

Nun trat er zu ihr ans Bett. „Sie sollten sich aufsetzen und etwas essen.“

Fragen über Fragen wirbelten durch ihren Kopf, aber aus dem Tontopf, der auf dem Tablett vor sich hin dampfte, duftete es verführerisch, und ihr Magen knurrte hörbar. Der Mann machte dazu keine Bemerkung, sondern half ihr, sich aufzurichten. Als seine Hand ihre Haut berührte, schien die Stelle zu brennen.

Sobald sie saß, stellte er das Tablett vor sie. Gracie bewegte ihre Beine und verspürte plötzlich einen heftigen Schmerz, der sie zusammenzucken ließ. Bisher hatte sie gar nicht bemerkt, dass sie außer der Kopfwunde auch noch eine andere Verletzung davongetragen hatte.

Er beantwortete ihre unausgesprochene Frage. „Jacob – mein Bruder, ein Arzt – er hat die Wunde an Ihrem Schienbein genäht. Sie haben sich an den scharfkantigen Kieseln geschnitten, als Sie …“ Er hielt inne, und sie sah, dass ihm die Erinnerung an den Vorfall sehr unangenehm war. Ohne weiteren Kommentar zog er sich einen Stuhl ans Bett und sah zu, wie Gracie aß.

Wenn sie nicht am Verhungern gewesen wäre, hätte seine Anwesenheit sie nervös gemacht. Aber offenbar war es Stunden her, seit sie das letzte Mal gegessen hatte, und die Hühnersuppe schmeckte einfach köstlich! Große Fleischstücke, frische Karotten und Sellerie schwammen in einer kräftigen Brühe. Wer auch immer diese Mahlzeit bereitet hatte – sie kam nicht aus der Dose. Gracie war sich darüber bewusst, dass die Hast, mit der sie aß, alles andere als damenhaft war.

Sie schwiegen, bis sie aufgegessen hatte, dann stellte Gareth – das war doch sein Name, oder? – das Tablett weg, setzte sich wieder und verschränkte die Arme vor der Brust.

Er war leger in Jeans gekleidet und barfuß. Dazu trug er jetzt ein dunkelrotes, handgewebtes Shirt, weit geschnitten, ein bisschen Ethno, ein bisschen Hippie. An einem anderen Mann hätte es vielleicht lächerlich gewirkt, aber er sah darin selbstbewusst und anziehend aus.

Verlegen flüsterte Gracie: „Ich muss mal ins Bad.“ Es war ihr peinlich, dass sie Gareths Hilfe brauchte, um aufzustehen. Zuerst dachte sie, ihre Beine würden einfach so wegsacken, doch dann fing sie sich und humpelte nach nebenan.

Das Badezimmer war riesig und besaß eine gemauerte, voll verglaste Dusche. Für den Bruchteil eines Moments stellte sie sich Gareth unter der Brause vor, nackt, hinreißend männlich …

Puh, dachte sie, als sie merkte, wie ihre Knie zitterten. Der Typ ist unglaublich sexy. Beim Händewaschen machte sie den Fehler, in den Spiegel zu schauen. Sie war so blass, dass man jede Sommersprosse einzeln sah, und ihr Haar war völlig zerzaust.

Hastig suchte sie in den Schubladen, bis sie einen Kamm fand. Doch als sie versuchte, ihre Locken zu entwirren, kam sie an die Schläfenwunde und schrie vor Schmerz auf.

Sofort war Gareth bei ihr. Er hatte noch nicht einmal angeklopft. „Was ist los?“, wollte er wissen. „Ist Ihnen wieder übel?“ Als er begriff, was der Auslöser für ihren Schrei gewesen war, murmelte er: „Vergessen Sie Ihre Frisur“, hob sie hoch und trug sie zurück ins Bett.

Sobald sie wieder lag, justierte er die Eisbeutel und gab ihr zwei Schmerztabletten, wobei er darauf bestand, dass sie sie mit Milch hinunterspülte. Sie kam sich vor wie ein krankes Kind, das von einem Elternteil gepflegt wird. Ein starker Kontrast dazu waren ihre durchaus weiblichen Reaktionen auf diesen Mann. Er ging zur Tür, aber sie rief ihm hinterher: „Bitte, gehen Sie nicht weg.“ Dabei errötete sie und hoffte, er würde es nicht merken. „Ich will nicht allein sein.“

Gehorsam kam er zurück, drehte den Stuhl um und setzte sich rittlings darauf. Seiner Miene war nicht zu entnehmen, was er dachte. „Sie können sich hier absolut sicher fühlen“, sagte er mit so sanfter Stimme, dass sie einen Schauer spürte. „Jacob meint, dass Sie sich schnell erholen werden.“

Sie zupfte an der Decke. „Lebt Ihr Bruder auch hier im Haus?“

Seine Stimmung veränderte sich schlagartig, und er sah sie feindselig an. „Jacob hat ein eigenes Haus auf dem Gelände. Aber das geht Sie eigentlich auch nichts an. Ich wüsste gern: Weshalb sind Sie hierhergekommen?“

Kraftlos sank sie zurück in die Kissen und wandte den Kopf zur Seite. Das Fenster stand immer noch offen, aber draußen war es inzwischen dunkel. „Ich weiß es nicht“, erwiderte sie tonlos.

Er runzelte die Stirn. „Was meinen Sie damit? Schauen Sie mich doch bitte an, wenn ich mit Ihnen rede.“

Zögernd gehorchte sie. Die Situation war ihr äußerst peinlich, und sie fühlte sich vollkommen verwirrt. Nervös biss sie sich auf die Unterlippe und kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen. „Warum sind Sie so wütend? Liegt es an mir?“

Wenn sie nicht so eine gute Beobachterin gewesen wäre, dann hätte sie seine Reaktion vielleicht gar nicht bemerkt: Sein Blick war alarmiert und mit einer Hand umklammerte er die Stuhllehne, so heftig, dass die Knöchel weiß hervortraten. Gleich darauf hatte er sich aber wieder unter Kontrolle. „Nein, durchaus nicht. Ich möchte nur, dass Sie hier so bald wie möglich wieder verschwinden.“

Offensichtlich stellte ihre Anwesenheit in seinem Haus für ihn ein riesiges Problem dar. Hektisch schlug sie die Decke zurück und stand auf. „Ich gehe.“

Mit einer geschmeidigen Bewegung war er bei ihr und drückte sie sanft zurück in die Kissen. „Machen Sie sich nicht lächerlich. Sie sind überhaupt nicht in der Lage, irgendwo hinzugehen. Bleiben Sie liegen und schlafen Sie sich gesund. Morgen jedoch hauen Sie ab.“

In ihrem Kopf hämmerte der Schmerz, er machte sie fast verrückt. Aber noch mehr ängstigte sie etwas, das sie in diesem Moment immer klarer erkannte. „Bitte“, flüsterte sie tränenerstickt.

„Was?“, fragte er irritiert.

„Bitte sagen Sie mir, wer ich bin.“

2. KAPITEL

Gareth bemühte sich, seinen Schock zu verbergen. Jetzt wusste er Bescheid. Da war er, der Täuschungsversuch. Wahrscheinlich gehörte das zu ihrem finsteren Plan. Denn es konnte doch nicht sein, dass sie wirklich ihr Gedächtnis verloren hatte. Oder?

Mit ausdrucksloser Miene fragte er: „Amnesie? Tatsächlich. Haben Sie vor, hier eine Seifenoper abzuziehen?“ Er zuckte die Achseln. „Na gut, ich spiele mit. Ich heiße Gareth, und Ihr Name ist Gracie Darlington. Sie kommen aus Savannah. Gemeinsam mit Jacob habe ich mir Ihren Personalausweis angesehen.“

Er sah, wie ihre Lippen zu zittern begannen und sie sich verzweifelt um Kontrolle bemühte. Eine gute Schauspielerin bekam so etwas ohne Weiteres hin. Anders ihr Blick, in dem sich echte Angst spiegelte. So etwas ließ sich nicht ohne Weiteres herstellen. Jetzt atmete sie tief durch. „Wie bin ich hierhergekommen? Steht draußen mein Auto?“

Er schüttelte den Kopf. „Anscheinend haben Sie den Aufstieg zu Fuß gemacht. Kein leichtes Unterfangen. Es ist steil, und der Wald ist ein Dickicht. Es gibt keine Wege. Deshalb haben Sie sich wohl auch Arme und Beine zerkratzt.“

„Besitze ich ein Handy?“

„Ich werde es herausfinden.“ Gareth erinnerte sich an die pinkfarbene große Tasche, in der Jacob vorhin herumgewühlt hatte. Diesmal war es Gareth, der sie durchsuchte. Er zog einen Reißverschluss auf und fand ein Smartphone. Er gab es Gracie und ließ die Handtasche aufs Bett fallen. Glücklicherweise schien die Batterie aufgeladen zu sein. Gracie klappte das Handy auf.

„Immerhin wissen Sie noch, wie man so was bedient“, bemerkte Gareth sarkastisch. Seine Bemerkung ließ Gracie zusammenzucken, doch sie sah nicht zu ihm auf, sondern studierte das Namensverzeichnis so intensiv, als wolle sie es auswendig lernen.

Endlich hob sie den Kopf, und in ihre schönen Augen trat ein feuchter Schimmer. „Ich kenne diese Leute alle nicht“, flüsterte sie, während eine Träne über ihre Wange rollte. „Aber weshalb? Warum kann ich mich an nichts erinnern?“

Ohne allzu großes Mitgefühl zu zeigen, nahm ihr Gareth das Handy ab. Einem Wolff konnte man so leicht nichts vormachen. Jedenfalls nicht mehr. „Als Sie die Treppe hinuntergestürzt sind, haben Sie sich den Kopf angeschlagen. Aber Jacob ist Arzt, und wenn er sagt, dass alles in Ordnung ist, glaube ich ihm.“ Allerdings war Jacob gegangen, ehe der Gedächtnisverlust zutage getreten war. Verdammt.

Langsam scrollte Gareth durch das Namensverzeichnis, ohne recht zu wissen, nach was er eigentlich suchte. Doch dann fand er es. Es gab einen Eintrag: „Für Notfälle“, und darunter stand der Name Edward Darlington, dazu die Bezeichnung „Daddy“.

Sofort wählte er die Nummer und wartete. Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine Männerstimme, und Gareth sagte ruhig: „Hier ist Gareth Wolff. Ihre Tochter ist gestürzt und hat sich verletzt. Ein Arzt hat sie bereits untersucht und nichts Gravierendes festgestellt. Allerdings klagt sie über Gedächtnisverlust, der sicherlich nur vorübergehend ist. Es wäre sehr freundlich von Ihnen, wenn Sie ein paar beruhigende Worte zu ihr sagen könnten. Ich reiche Sie jetzt weiter.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, gab er Gracie das Handy.

Sie setzte sich halb auf und lehnte ihren Kopf an die Rückwand des Bettes. „Hallo?“

Gareth ließ sich auf der Bettkante nieder, was ihm ermöglichte, Teile des Gesprächs mit anzuhören. Die Männerstimme klang belustigt.

„Gut gemacht, kleine Gracie. Ich wusste gar nicht, dass du so schlau sein kannst. Hast so getan, als wärst du auf dem Weg zu Wolff verunglückt. Und jetzt ein kleiner Gedächtnisverlust? Super. Jetzt haben wir ihn genau da, wo wir ihn haben wollten. Die ganze Familie wird sich davor fürchten, dass wir sie auf Schmerzensgeld verklagen. Gratuliere, Gracie. Es zahlt sich doch immer aus, wenn man geradewegs auf sein Ziel lossteuert. Brillant, mein Kleines. Absolut brillant.“

Gracie unterbrach die begeisterte Suada. „Vater … mir geht es wirklich nicht gut. Könntest du mich bitte abholen und nach Hause bringen?“

Darlington lachte. „Bestimmt steht er gerade neben dir, nicht wahr? Das heißt, du musst dein Spiel perfekt spielen. Bravo. Ich werde meinen Part übernehmen. Aber jetzt musst du noch allein zurechtkommen. In einer halben Stunde geht mein Flieger nach Europa, und ich bin erst in einer Woche wieder da. Im Haus sind außerdem die Handwerker. Ich habe dem Bauunternehmer mitgeteilt, dass wir beide nicht da sind, und er mit den Umbauarbeiten sofort anfangen kann. Falls du früher wiederkommst, musst du dir also ein Hotelzimmer nehmen.“

„Das ist überhaupt nicht lustig“, murmelte sie. „Ich meine es ernst. Hier kann ich nicht bleiben. Sie wollen mich nicht hier haben. Ich bin eine Fremde.“

„Pack sie bei ihrem Mitgefühl“, riet ihr Vater. „Es gehört sich nicht, eine verletzte Frau einfach rauszuwerfen. Du könntest mit Gareth ein bisschen flirten. Weck seinen Beschützerinstinkt. Ein Mädchen in Nöten und so weiter. Bald hast du ihn so weit, und er gibt uns, was wir von ihm wollen. Nächste Woche reden wir weiter. Jetzt muss ich los.“

„Halt, warte!“, rief sie verzweifelt. „Sag mir wenigstens, ob ich verheiratet bin oder einen Freund habe. Irgendjemanden, der mich vermisst.“

Lautes Gelächter antwortete ihr, und sie hielt das Telefon weg von ihrem Ohr. „Unsinn, natürlich nicht. Alles Gute, Gracie. So viel Freude an dir hatte ich selten. Ich wünschte, ich könnte sein Gesicht sehen. Machs gut.“

Er legte auf, und Gracie starrte blicklos auf das Handy. Was war das eigentlich für ein Vater, der seine Tochter einfach sitzen ließ, wenn sie ihn am dringendsten brauchte? Abgesehen davon, dass sie sich gerade gottverlassen fühlte, schämte sie sich dafür, mit diesem Edward Darlington verwandt zu sein.

Sie legte das Handy weg und brachte ein unsicheres Lächeln zustande. „Wie viel von dem Gespräch haben Sie mitgehört?“

Gareth stand auf, ging zum Fenster und wandte ihr den Rücken zu. „Genug“, sagte er grimmig. Die Sache ekelte ihn an, und er war unzufrieden mit sich selbst. Wenn er ganz bei Trost wäre, würde er Gracie von seinem Grund und Boden jagen, und zwar umgehend – warum tat er es nicht?

Mit tränenerstickter Stimme flüsterte Gracie: „Er kann mich nicht abholen, weil er für eine Woche nach Europa fliegt. Aber wenn Sie so nett wären, für eine Transportmöglichkeit zu sorgen, bin ich sicher, dass er Ihnen das Geld erstattet.“

Misstrauisch sah er sie an. „Er glaubt, dass Sie den Gedächtnisverlust nur erfunden haben.“

Sofort errötete sie. „Das Gespräch mit ihm war so seltsam. Anscheinend bin ich hierhergekommen, weil ich einen Plan hatte. Aber was für ein Plan das war, weiß ich nicht mehr. Mein Vater dagegen scheint es sehr gut zu wissen.“

„Haben Sie wirklich nicht den Schimmer einer Ahnung?“

Sie schüttelte den Kopf. „Es tut mir so leid. Sobald es geht, verschwinde ich von hier.“

„Das werden Sie nicht tun“, erwiderte Gareth fest. „Wenn Sie wirklich unter Amnesie leiden, muss Jacob davon erfahren. Die Familie Wolff ist nicht dafür bekannt, Bedürftige einfach auf die Straße zu setzen. Aber eines dürfen Sie mir glauben, Gracie. Weder Sie noch Ihr Vater werden Gelegenheit erhalten, uns zu verklagen.“

„Niemand will Sie verklagen“, sagte sie unglücklich und fügte hinzu: „Ich halte nichts von solchen Dingen.“

„Woher wollen Sie das wissen?“, gab er zurück. „Vielleicht ist jene Gracie Darlington, an die Sie sich nicht mehr erinnern können, genau anderer Meinung?“

Gracie rutschte wieder unter die Decke. Ihr Kopf schmerzte zum Zerspringen. „Bitte lassen Sie mich allein.“

„Kommt nicht infrage. Wenn Sie darauf bestehen, an Gedächtnisverlust zu leiden, muss ich Jacob hinzuziehen. Ich fahre Sie jetzt rüber zu ihm.“

Allein der Gedanke, stehen oder gar gehen zu müssen, machte ihr Angst. „Könnte er nicht lieber herkommen? Es ist doch noch gar nicht so spät, oder?“

„Es geht nicht darum, wie spät es ist. In Jacobs Klinik gibt es alles, was man für solche Fälle braucht. Er wird eine Computertomografie von Ihrem Kopf machen und Ihr Bein röntgen.“

„Das ist bestimmt nicht nötig. Ich brauche einfach nur Ruhe. Morgen sind Sie mich dann wieder los.“

Doch Gareth war schon auf dem Weg zur Tür. Auf der Schwelle drehte er sich noch einmal um. „Sie befinden sich auf meinem Grund und Boden. Hier hat ein Wolff das Sagen, nicht Sie.“ Er schaute grimmig zu ihr hinüber. „Ich hole meine Schlüssel und ziehe mir Schuhe an. Rühren Sie sich nicht vom Fleck.“

Gracie schloss die Augen und bemühte sich, ruhig und tief zu atmen. Vielleicht war sie nur in einem verstörenden Albtraum gefangen. Bestimmt würde sie gleich aufwachen und feststellen, dass das alles nur Einbildung gewesen war. Gareth Wolff. Sie flüsterte seinen Namen und versuchte verzweifelt, sich zu erinnern. Weshalb war sie zu ihm gekommen? Was verlangte ihr Vater von ihr? Wie war sie überhaupt von Georgia nach Virginia gekommen? Wo war ihr Gepäck? In welchem Hotel war sie abgestiegen? Hatte sie ein Auto? Oder einen Laptop? In ihrer großen Handtasche befanden sich nur das Handy, ein paar Müsliriegel und Papiertaschentücher.

Verwundert fragte sie sich, weshalb sie wusste, was ein Laptop war, wenn sie sich nicht einmal an ihren eigenen Namen erinnern konnte?

Gareth kam zurück, an den Füßen gut eingetragene Lederstiefel. Er wirkte so sicher, so überlegen. Der Anblick der alten Stiefel beruhigte sie seltsamerweise etwas. Sie hatten so etwas Normales, Alltägliches. Irgendwie menschlich.

Als Gareth die Decke zurückschlug und Gracie hochhob, schrie sie auf.

„Habe ich Ihnen wehgetan?“, fragte er erschrocken. „Tut mir leid“, fügte er hinzu, ohne auf ihre Antwort zu warten.

Sie schüttelte den Kopf. Ihr ganzer Körper zitterte, als Gareth sie durch den Flur in die Eingangshalle trug. „Sie haben mich einfach nur überrumpelt.“ Nicht um alles in der Welt hätte sie zugegeben, dass seine Nähe sie gleichzeitig verstörte und erregte. Gareth roch so gut. Ihr Kopf lag an seiner Brust, und sein ruhiger, gleichmäßiger Herzschlag gab ihr das Gefühl, in Sicherheit zu sein.

Vage nahm sie auf ihrem Weg zur Haustür wahr, wie reich und exklusiv Gareth wohnte: glänzendes Parkett, teure Teppiche mit indianischen Mustern, ausladende Wandlüster aus Elchgeweih, die alles in warmes Licht tauchten.

Viel zu schnell war Gareths Schritt, als dass sie noch mehr Gelegenheit gehabt hätte, sich umzusehen. Gleich darauf hatten sie das Haus verlassen, und um sie war eine kühle, leicht neblige Frühlingsnacht.

Hm, woher weiß ich, dass es Frühling ist? überlegte Gracie. Die winzigen Erinnerungssplitter machten ihr Hoffnung, dass ihr Gedächtnisverlust tatsächlich mit dem Unfall zusammenhing und bald vergehen würde.

Fast ebenso sehr wie ihre fehlende Erinnerung daran, wer sie war und was sie hier tat, irritierte sie allerdings ihre Reaktion auf Gareths Nähe. Sie mochte es, wie er sie hielt und durch die Nacht trug. Und obwohl er ihr nur allzu deutlich gezeigt hatte, dass er sie für einen Eindringling hielt, hatte sie keine Angst vor ihm. Im Gegenteil. Sie fühlte sich extrem zu ihm hingezogen. Aber das kam vermutlich, weil er das einzig Reale in ihrem unwirklichen Zustand war.

Gareths Jeep parkte in einer riesigen Garage, die Platz für eine ganze Wagenflotte bot. Sobald er Gracie auf dem Beifahrersitz abgesetzt hatte, ging er auf die andere Seite und schwang sich hinters Steuer. Unsicher versuchte Gracie, in der Dunkelheit mehr von ihrer Umgebung zu erkennen. Es war verrückt, sich hier draußen in den Bergen und in Gesellschaft eines grimmigen Mannes sicher zu fühlen, selbst wenn sein Haus einem Schloss glich und er ihr Suppe zu essen gegeben hatte.

Sie zog die Decke, die er ihr umgelegt hatte, bis zum Kinn. „Wo sind wir hier eigentlich?“

Gareth warf ihr einen kurzen Blick zu. „Wolff Mountain.“

Wolfsberge. „Ich hoffe, das ist nicht so gefährlich, wie es klingt.“

Dafür erntete sie nur ein kurzes raues Lachen.

Als er aus der Garage fuhr, tauchte im Scheinwerferlicht ein Kaninchen auf, und Gareth lenkte den Wagen abrupt nach links, um das Tier nicht zu überfahren. „Hier bin ich zu Hause. Meine beiden Brüder, ich und meine Cousins – wir alle sind hier aufgewachsen. Ich bin sicher, dass Sie sich bald daran erinnern werden.“ Und er fügte grob hinzu: „Über meine Familie gibt es keine Geheimnisse mehr.“

Anscheinend hatte ihre Frage bei ihm einen empfindlichen Nerv getroffen. Also schwieg sie und klammerte sich am Türgriff fest, als Gareth den großen Wagen in hohem Tempo über holprige Pisten steuerte.

Glücklicherweise war die Fahrt nur kurz, nach etwa zehn Minuten tauchte ein Haus im Nebel auf. Es war moderner als Gareths Domizil und schien nur aus Stahl und Glas zu bestehen. Kühles, fast steriles Design überall.

Jacob erwartete sie bereits. „Hat sich irgendetwas verändert?“, wollte er sofort wissen, als Gareth die Patientin abgesetzt hatte.

Ehe sie antworten konnte, sagte Gareth: „Sie kann sich nicht an persönliche Details erinnern. Aber das Basiswissen funktioniert. Zum Beispiel weiß sie, wie man ein Handy benutzt. Die Namen im Adressbuch sind ihr jedoch völlig fremd – zumindest behauptet sie das.“

Gracie errötete. Sie war erschöpft, und das hier war ihr peinlich.

„Warte im Wohnzimmer auf uns, Bruderherz.“ Jacob wies auf die offene Wohnlandschaft, die aussah wie aus dem Katalog. „Auf Kanal zweiundfünfzig gibt es Baseball. Bier ist im Kühlschrank.“

„Ich würde lieber mitkommen.“

Jacob legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Das gehört sich nicht, Gareth. Vertraue mir. Sie ist in guten Händen.“

Er wandte sich an Gracie. „Also los, klären wir mal, was mit Ihnen los ist, kleine Lady. Ich verspreche Ihnen, dass es keine Tortur wird.“

Da Jacob keine Anstalten machte, sie zu tragen, legte Gracie die Decke, in die sie sich während der Fahrt gehüllt hatte, über eine Sessellehne und folgte dem Arzt auf wackeligen Beinen in den hinteren Bereich des Hauses. Die vorherrschenden Farben im Wohnbereich waren Schwarz und Weiß. Es fröstelte sie, während sie die Privatklinik betraten.

Als sie den Computertomografen sah, bemerkte sie: „Ich kann mir kaum vorstellen, wofür man hier draußen in der Wildnis solch ein Equipment braucht.“

„Ich habe einige Patienten, die im Licht der Öffentlichkeit stehen und eine Klinik bevorzugen, die weit weg von den Paparazzi ist.“

„Etwa Filmstars?“, fragte sie beeindruckt.

Er wies sie an, sich auf eine schmale Bank zu setzen, und justierte die Apparatur. „Politiker, Filmstars, Wirtschaftsbosse …“

Ihr Kopf befand sich jetzt zwischen den Halterungen eines Scanners. „Sie brauchen keine Angst zu haben. Sie müssen nicht in eine Röhre.“ Das kameraähnliche Ding rotierte mehrmals um ihren Oberkörper, und schon war die Sache vorbei.

Jacob wies auf einen Stuhl, und sie ließ sich darauf nieder. „Jetzt schauen wir uns mal das Innere Ihres Kopfes an. Ich hoffe, wir finden nichts Ungewöhnliches.“

„Solange wir ein Gehirn darin finden, bin ich zufrieden.“

Er lachte und holte die 3D-Grafiken auf den Bildschirm. Eine Weile begutachtete er die Bilder schweigend.

Irgendwann verlor Gracie die Geduld. „Und?“

Lächelnd schob er seinen Stuhl zurück und sah zu ihr. „Nichts Alarmierendes. Kein Schädelbruch, nichts, worum man sich kümmern müsste. Da ist natürlich eine Schwellung, aber die ist nicht besonders ausgeprägt.“

Also gab es eigentlich überhaupt keinen Grund für ihren Gedächtnisverlust. Unzufrieden nagte Gracie an ihrer Unterlippe. Jetzt würde Gareth ihr erst recht nicht glauben.

Anscheinend konnte Jacob Gedanken lesen, denn er bemerkte: „Die Schwere der Verletzung hat nichts mit Ihrer derzeitigen Situation zu tun. Ein vorübergehender Gedächtnisverlust tritt viel häufiger auf, als man gemeinhin annimmt. Ich gehe davon aus, dass Sie sich bald wieder an alles erinnern werden.“

„Aber wann?“, rief sie und sprang auf. „Wie soll ich in Ruhe schlafen gehen, wenn ich nicht einmal weiß, wer ich bin?“

Jacob blieb gelassen. „Sie wissen, wer Sie sind. Gracie Darlington. Ihr Gehirn wird sich erholen. Geben Sie ihm Zeit. Und jetzt werde ich Ihr Bein röntgen.“

Ungeduldig ließ Gracie auch diese Prozedur über sich ergehen. Ihr Bein erwies sich als nicht gebrochen, Temperatur, Blutdruck und ein paar andere Werte waren normal. Jacob tätschelte ihre Schulter. „Sie werden alles überleben.“

Wenig später kamen sie zurück ins Wohnzimmer und fanden Gareth ausgestreckt auf einem cremefarbenen Ledersofa, das auf einem luxuriösen schwarzen Teppich stand. Als er Gracie erblickte, stand er sofort auf. „Setzen Sie sich, Gracie. Ich muss noch kurz allein mit meinem Bruder reden.“

Die beiden Männer standen etwas abseits und sprachen mit gedämpfter Stimme, doch Gracie hörte trotzdem alles.

„Und?“, wollte Gareth wissen. „Ist es wirklich eine Amnesie?“

„Meine Güte, Gareth. Hier handelt es sich nicht um eine exakte Wissenschaft. Ihre Symptome passen jedenfalls dazu. Von meinem Standpunkt aus kann ich sagen, dass sie uns vermutlich die Wahrheit erzählt. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist, dass eine Amnesie schwer einzuschätzen ist. Vielleicht ist sie morgen weg oder auch erst nächste Woche. Im schlimmsten Fall sind es mehrere Monate. Kein Mensch kann das wissen.“

„Dann sitze ich jetzt in der Scheiße.“

Gracie zuckte zusammen, als sie Gareths deftigen Ausspruch hörte. An ihrem Unbehagen konnte auch Jacobs freundliches Lächeln nichts ändern, als er mit Gareth zu ihr trat. „Fahr mit ihr nach Hause und leg sie ins Bett“, riet er seinem Bruder. „Morgen früh sieht die Sache dann schon besser aus.“

3. KAPITEL

Daheim legst du sie ins Bett. Allein der Gedanke daran bewirkte, dass ungebetene Fantasien durch Gareths Kopf schwirrten. Er und Gracie. Leidenschaftlich ineinander verschlungen in seinem Schlafzimmer. Noch nie hatte er eine Frau mit in sein Haus in den Wolff Mountains gebracht. Wenn er Sex brauchte, holte er ihn sich an fremden Orten bei reifen Frauen, die keine Bindung suchten.

Allerdings war seine letzte heiße Nacht schon eine ganze Weile her … Und Gracie weckte seine Sinne auf eine Weise, wie er es nie zuvor erlebt hatte.

Er begehrte sie mit einer Heftigkeit, die ihn fast erschreckte. Dabei hatten sie sich doch gerade erst kennengelernt. In der Stadt, hoch oben in einer anonymen Hotelbar, hätte er sie umgehend eingeladen, mit ihm in seine Suite zu kommen. Hier jedoch war Wolff Country, und es galten andere Spielregeln. Er mochte zwar kein besonders guter Gastgeber sein, aber es stand ihm nicht zu, Gracie zu belästigen.

Nun stand sie auf, scheu, verletzlich, und fragte: „Könnte ich nicht hier bleiben, Jacob? Nur für den Fall, dass irgendetwas … passiert?“

„Kommt nicht infrage“, entfuhr es Gareth unwillkürlich.

Jacob und Gracie sahen ihn erstaunt an.

„Mein Bruder hat ein viel zu weiches Herz“, knurrte er dann. „Ich muss ein Auge auf Sie haben.“

Dafür erntete er einen belustigten Blick von Jacob. „Gareth bellt, aber er beißt nicht, Gracie. In seiner Obhut sind Sie sicher. Keine Angst, morgen früh schaue ich nach Ihnen.“ Er legte ihr freundschaftlich einen Arm um die Schultern. „Machen Sie sich keine Sorgen. Alles wird wieder gut. Das verspreche ich Ihnen.“

Die Rückfahrt verlief schweigend, und als sie wenig später Gareths Haus betraten, schwankte Gracie vor Erschöpfung. Ihr unwilliger Gastgeber wies ihr ein eigenes Schlafzimmer zu. Davon gab es insgesamt fünf, denn Kieran, der Architekt des Anwesens und Gareths zweiter Bruder, hatte darauf bestanden.

„Das Bad ist gleich hier“, erklärte Gareth und öffnete eine Tür. Viel lieber hätte er Gracie wieder in sein eigenes Bett gepackt. Er konnte kaum die Finger von ihr lassen, nutzte jede Gelegenheit, sie wie zufällig zu berühren.

Da sie kein Gepäck dabei hatte, sagte er: „Ich schaue mal, ob ich irgendetwas finde, worin Sie schlafen können. Morgen besorge ich Ihnen etwas zum Anziehen.“

Zwei Minuten später war er wieder da und reichte Gracie ein großes altes T-Shirt. Gracie stand immer noch an derselben Stelle und wirkte so einsam und verloren, dass es ihn tief berührte. Falls das mit dem Gedächtnisverlust wirklich stimmte, war es nur natürlich, dass sie Angst hatte. Doch sie riss sich zusammen, und er bewunderte sie dafür.

Als er ihren Arm berührte, zuckte sie zusammen, als wäre sie in Gedanken meilenweit weg gewesen. Er hielt das T-Shirt hoch. „Was Besseres habe ich leider nicht gefunden. In den Schubladen im Bad finden Sie alles, was Sie brauchen. Meine Cousine ist Innenarchitektin und behauptet, kein Bad sei komplett ohne die notwendigen Utensilien. Bedienen Sie sich.“

Gracie nahm das T-Shirt und sah zu Gareth auf. „Werden Sie nebenan in Ihrem Schlafzimmer sein?“ Sie konnte nicht wissen, was ihre arglose Frage in ihm auslöste.

„Ja. Demnächst. Ich muss noch abschließen und das Licht im Haus ausmachen.“ Er zögerte. „Vielleicht sollten Sie Ihre Nachttischlampe anlassen. Dann fühlen Sie sich nicht so fremd, wenn Sie mal aufwachen sollten. Und immer dran denken: Ich bin gleich nebenan.“

Sie nickte. „Danke.“

Irgendetwas an der Art, wie sie da vor ihm stand, brach ihm fast das Herz. Sie war so zart – und doch so stark. Er sehnte sich danach, sie in die Arme zu nehmen. Stattdessen sagte er kühl: „Gute Nacht, Gracie.“

Sie hörte, wie die Tür leise geschlossen wurde. In ihren Augen standen Tränen, doch es gelang ihr, sie zu unterdrücken, indem sie auf ihre zitternde Unterlippe biss. Gareth war so misstrauisch und hart, und dennoch begehrte sie ihn so heftig, dass es ihr Angst machte. Irgendwie fühlte sie sich wie die Heldin in einem Schauerroman, mutterseelenallein mit einem düsteren Lord, den ein dunkles Geheimnis umgab.

Ein Blick auf die Uhr verriet, dass es längst Zeit zum Schlafen war. Sie wankte ins Bad und hoffte, dass morgen früh tatsächlich alles nicht mehr so schlimm aussehen würde. Immerhin war an ihrer Unterkunft nicht das Geringste auszusetzen: ein großes, elegant möbliertes Schlafzimmer, nebenan ein helles Marmorbad mit einem riesigen Spiegel. Gracie schaute hinein und hatte Mühe, sich in dieser blassen übernächtigten Frau mit dem zerzausten Haar zu erkennen.

Da Jacob ihrem Bein einen wasserfesten Verband verpasst hatte, zog Gracie sich aus und betrat zögernd die enorm große, voll verglaste Dusche mit dem Granitbecken und den verschiedenen Düsen. Als heißes Wasser über ihren Körper strömte, beruhigte sie sich ein wenig, doch mit der Entspannung kamen auch die Tränen. Sie lehnte sich gegen die Wand und schluchzte herzzerreißend.

Als es vorbei war, nahm sie einen Schwamm und seifte sich mit herrlich duftendem Duschgel ein. Zwanzig Minuten später kam sie wieder zum Vorschein und trocknete sich ab. Dann zog sie Gareths T-Shirt an, das ihr bis zum Knie reichte und ihr über die Schulter rutschte. Ihr Spiegelbild zeigte ihr ein nymphenhaftes Wesen mit furchtsamem Blick.

Ehe sie zu Bett ging, nahm sie sich noch die Zeit, ihre Unterwäsche zu waschen und aufzuhängen. Als sie wieder ins Schlafzimmer kam, entdeckte sie, dass Gareth noch einmal hier gewesen sein musste, denn auf dem Nachttisch lagen ein Paar Wollsocken und zwei Schmerztabletten, daneben stand eine Wasserkaraffe, und als Einschlaflektüre hatte er ihr die neueste Ausgabe des Nachrichtenmagazins Newsweek gebracht.

Sie zog die Socken an und musste zum ersten Mal an diesem Tag lächeln, weil ihr klar wurde, wie lächerlich sie aussah. Was Gareth wohl von ihr denken würde? Er konnte bestimmt unter den schönsten Frauen wählen, attraktiv, wie er war.

Das mit dem Einschlafen klappte nicht so richtig. Alles war zu fremd, und das Bein tat weh, ganz zu schweigen von den Kopfschmerzen. Jedes Mal, wenn sie wegdämmerte, holte sie derselbe Traum ein: Sie lag in Gareths Bett und zwei Männer beugten sich mit misstrauischer Miene über sie. Erschrocken schlug sie dann die Augen auf.

Warum bin ich hierhergekommen? überlegte sie wieder und wieder. Wolff Mountain. Was wollte ich von Gareth? Und was hat mein Vater damit zu tun?

Endlich, gegen halb drei Uhr, wurde es ihr zu dumm. Sie stieg aus dem Bett und ging auf Zehenspitzen zur Zimmertür. Wenn sie schon nicht schlafen konnte, dann gab es ja immer noch ein großes Haus, das zur Besichtigung einlud. Vielleicht würde sie sich dann an irgendetwas erinnern?

Außerdem hatte sie Hunger. Ihr Herz hämmerte, als sie in den Flur schlich.

Gareth hörte es sofort, als sie ihr Zimmer verließ, denn seit seiner Zeit beim Militär war es ihm nicht mehr möglich, tief und entspannt durchzuschlafen. Während der fünf Jahre Dienst an der Front hätte jeder Tiefschlaf den Tod bedeuten können. Noch heute weckte ihn jedes noch so leise Geräusch auf.

Also stand er auf und folgte Gracie leise bis in die Küche. Schweigend beobachtete er, wie sie sich ein Glas Milch eingoss und dazu ein Stück Brot mit Cheddarkäse aß. Danach spülte sie Glas und Teller sorgfältig und stellte beides zurück in den Schrank. Gareth grinste. Glaubte sie etwa, so die Spuren ihres nächtlichen Ausflugs zu verwischen?

Seine Heiterkeit verflog allerdings, als Gracie sich seinem Laptop zuwandte, der auf dem integrierten Sekretär stand. Alle wichtigen Dokumente waren durch Passwörter gesichert, aber ein guter Hacker konnte auch hier Schaden anrichten. Gracie machte es sich auf dem Schreibtischsessel bequem und tippte mit flinken Fingern etwas in die Tastatur.

Gareth wurde es zu viel. Unhörbar trat er hinter sie und fuhr sie an: „Was fällt Ihnen ein?“

Erschrocken schnappte sie nach Luft und drehte sich schuldbewusst zu ihm um. „Ich konnte nicht schlafen.“

„Und da haben Sie gedacht, es wäre doch interessant, sich mal meinen Laptop vorzunehmen?“ Er warf einen Blick auf den Bildschirm und merkte sofort, dass er sie zu Unrecht verdächtigt hatte.

„Immerhin scheint es, als wüsste ich noch, wie man Solitär spielt“, bemerkte sie trocken.

„Verstehe.“

„Weshalb sollte ich mich für Ihre privaten Daten interessieren?“, fragte sie. „Halten Sie mich für diese Art Frau?“

„Ich weiß nicht, wofür ich Sie halten soll. Das ist ja gerade das Problem.“

Sie klappte den Laptop zu und stand auf. „Ich gehe jetzt wieder ins Bett.“

„Tun Sie, was Sie wollen“, erwiderte er. Gracie wirkte in seinem alten, viel zu weiten T-Shirt wie ein Supermodel in aufregender Pose, aber er war sicher, dass ihre verführerische Körperhaltung nicht beabsichtigt war.

Als Gareth sich fluchtartig umwandte, hielt sie ihn auf. „Reden Sie mit mir. Bitte. Erzählen Sie mir etwas über Ihre Familie. Über dieses Haus. Vielleicht kann ich mich dann an irgendwas erinnern.“

„Sie wollen mich aushorchen?“, gab er grimmig zurück. Er hielt es immer noch für möglich, dass Gracie eine Journalistin auf der Suche nach einer Top-Story war. Seine Familie hatte genug unter den Medien gelitten. Damit war ein für alle Mal Schluss.

„Bitte“, flüsterte sie. „Erzählen Sie mir irgendetwas. Ich habe bei Google meinen und den Namen meines Vaters eingegeben, aber alles, was ich gefunden habe, war, dass wir eine Galerie führen.“

Sie hatte tiefe Schatten unter den Augen, und er verspürte so etwas wie Mitgefühl. „Also gut. Sie befinden sich auf einem Berg in den Blue Ridge-Mountains. In den achtziger Jahren hat sich meine Familie hier niedergelassen. Mein Onkel und mein Vater bewohnen ein großes Haus ganz oben auf dem Gipfel. Meine beiden Brüder und meine Cousins haben ebenfalls Häuser hier oder sind gerade dabei, sich welche zu bauen.“

Stirnrunzelnd fragte sie: „Leben Sie wirklich alle hier? Wie in einer Kommune?“

„Nicht wie in einer Kommune“, korrigierte er. „Das Gelände erstreckt sich über mehr als tausend Hektar. Da begegnet man sich nur, wenn man will.“

„So wie die Kennedys in Hyannis Port?“

„So ungefähr. Nur mit Politik hat keiner von uns was am Hut.“

„Aber reich sind Sie schon?“

„Kann man so sagen.“ Wie sollte er sich auf das Gespräch konzentrieren, wenn er ständig vom Anblick ihrer Brustwarzen abgelenkt wurde, die sich unter dem T-Shirt nur allzu deutlich abzeichneten. Er müsste nur den Arm ausstrecken, um sie zu berühren. Sein Mund wurde trocken. Ob Gracie ihn zurückweisen würde? Seine Eitelkeit hielt sich normalerweise in Grenzen, aber er hatte in ihren Augen schon mehrmals dasselbe Verlangen gesehen, das auch ihn erfüllte.

Leider war er ein Ehrenmann.

„Heißt das, auf meinem Weg durch den Wald hätte ich gar nicht wissen können, welches Haus das Ihre ist?“

„In Ihrer Handtasche befand sich eine Luftaufnahme“, informierte er sie. „Mein Anwesen war markiert.“

Sie wurde noch blasser. „Das bedeutet, ich habe vorsätzlich Ihren Besitz angesteuert, weil ich etwas von Ihnen wollte.“

„Sieht ganz so aus. Soweit ich dem Telefonat mit Ihrem Vater folgen konnte, weiß zumindest er ganz genau, weshalb Sie hierhergekommen sind. Er glaubt ja aber auch, Sie spielen den Gedächtnisverlust nur.“

Sie unterdrückte ein Lächeln. „Vielleicht will ich mich gar nicht erinnern. Mein Vater scheint kein netter Mensch zu sein.“ Sie überlegte kurz. „Warum bin ich nicht einfach mit dem Auto hierher gefahren?“

„Das Gelände ist eingezäunt, das Tor verschlossen. Hier kommt man mit einem Fahrzeug nur rein, wenn man sich vorher angemeldet hat.“

„Daher also mein Weg durch den Wald.“

„Vermutlich.“

„Es tut mir leid“, sagte sie schlicht.

„Was genau?“

„Alles. Ich wünschte, ich könnte mich erinnern.“

„Als ich Ihnen die Tür geöffnet habe, behaupteten Sie, Sie müssten mit mir reden.“

„Was ist dann passiert?“

Es war ihm unangenehm, daran erinnert zu werden. „Ich … war wohl etwas unfreundlich.“

Erschrocken sah sie zu ihm auf. „Haben Sie mich von der Treppe gestoßen?“

„Nein, natürlich nicht. Ich habe nur gesagt, Sie sollen verschwinden. Dann sind Sie rückwärts gegangen und …“

„Gestürzt.“

„Genau.“ Ihm war klar, dass sein Anwalt ihn für dieses Eingeständnis schwer gemaßregelt hätte. Er redete sich gerade um Kopf und Kragen.

Mit einer Hand rieb er seinen Nacken. „Es war ein Unfall. Und Sie haben Hausfriedensbruch begangen. Wagen Sie nicht, uns zu verklagen. Unsere Anwälte machen Sie sonst fertig.“

„Anwälte? Haben Sie denn mehrere? Wozu?“

Es war Zeit, das Gespräch zu beenden. „Gehen Sie schlafen, Gracie. Morgen früh ist alles nicht mehr so schlimm.“

Zögernd schaute sie zu ihm auf, und er las in ihrem Blick mehr als nur die Bitte um Verständnis. Ob sie wohl wusste, dass sie ständig erotische Signale in seine Richtung sandte? Am liebsten hätte er sie einfach in die Arme genommen und geküsst. Stattdessen wandte er sich abrupt ab und verließ den Raum.

Als Gracie erwachte, stand die Sonne hoch am Himmel, und alles war noch genauso verwirrend wie zuvor. Sie sprang aus dem Bett, doch der stechende Schmerz in ihrem Kopf ließ sie in die Knie gehen. Eine Hand gegen die Wand gestützt, atmete sie tief durch. Ihr Blick fiel auf ihr Spiegelbild. Immerhin wirkte das, was sie sah, schon vertrauter als gestern Abend.

Endlich fühlte sie sich stabil genug, um ins Bad zu gehen, dort putzte sie sich die Zähne und zog sich an. Der Hunger zog sie in die Küche. Dort fand sie eine Notiz in einer großen, sehr männlichen Handschrift. Der Kühlschrank ist voll. Bedienen Sie sich. Ich arbeite. Wir sehen uns heute Nachmittag.

Sie zerknüllte das Papier und warf es in den Abfalleimer. Er arbeitete? Aber was? Allein gelassen verspeiste sie ein Sandwich und eine Banane. Da schellte es. Zuerst wartete Gracie, ob Gareth nicht vielleicht doch da war, doch als es zum zweiten Mal klingelte, eilte sie, so schnell es ihr Bein erlaubte, zur Haustür.

Draußen stand eine junge Frau, die ihr ein strahlendes Lächeln gönnte und ohne zu fragen, eintrat.

„Ich bin Annalise“, sagte sie, stellte einige Tüten und Schachteln ab, und reichte Gracie dann die Hand. „Jacob hat mir Ihre Maße verraten, daher wusste ich ungefähr, welche Kleidergröße Sie tragen. Ich hoffe, ich habe alles Notwendige mitgebracht. Es sollte zumindest für eine Woche reichen. Danach schauen wir weiter.“

„Aber ich …“

Annalise war bereits beim Auspacken. „Ich habe meine Lieblingsboutique in Charlottesville angerufen, und sie haben alles sofort geliefert. Die Managerin ist total nett.“

In Gracies Kopf überschlugen sich die Gedanken. Besaß sie überhaupt genug Geld, um die ganzen Klamotten zu bezahlen? Ganz zu schweigen von den Kosten für den Kurier. „Hm“, begann sie vorsichtig, „eigentlich brauche ich ja nur ein paar Sachen zum Wechseln. Es ist furchtbar nett von Ihnen, dass Sie sich diese Mühe gemacht haben, aber ich bleibe ja nicht lang. Sobald ich mein Gedächtnis wiedergefunden habe, werde ich Ihnen die Auslagen natürlich erstatten.“

Doch Annalise saß mittlerweile seelenruhig auf dem Teppich und begann, die Preisschilder abzuschneiden. „Unsinn“, sagte sie fröhlich. „Gareth kommt für all das hier auf. Das ist das Mindeste, was er tun kann, um Sie für die schlechte Behandlung zu entschädigen.“

Nun schien Annalise sich an etwas zu erinnern, denn ihre Miene wurde ernst, und sie sprang auf. „Übrigens hat Jacob mich gebeten, mir Ihre Kopfwunde anzusehen. Wenn etwas ist, können wir ihn jederzeit anrufen.“

Ehe Gracie etwas sagen oder sich wehren konnte, schob die Fremde ihre roten Locken beiseite und inspizierte die Beule an der Schläfe.

„Nun ja“, murmelte sie. „Die Schwellung ist nicht schlimm, aber die Wunde sieht ganz schön heftig aus.“ Sie wuschelte liebevoll wie eine Mutter durch Gracies Haar und kehrte zurück zu den Kleidern auf dem Teppich. „Dort drüben in der kleinen Tasche finden Sie antibiotische Salbe und wasserfeste Pflaster. Jacob sagt, Sie dürfen nach dem Duschen den Beinverband abnehmen und erneuern.“

„Annalise?“

Mit einem gewinnenden Lächeln sah die Angesprochene auf. „Ja?“

„Wer sind Sie?“

Die schöne Frau mit dem langen, rabenschwarzen Haar lachte. „So was Dummes. War ich mal wieder zu schnell mit allem. Ich bin Gareths Cousine, Annalise Wolff. Die Jüngste der Bande, und das ist kein Spaß, versichere ich Ihnen. Besonders, wenn man die einzige Frau ist.“

„Leben Sie auch hier?“

„Noch nicht, aber bald. Ich war bloß kurz zu Besuch bei meinem Vater und Onkel Vic. Ein schöner Zufall, nicht? Denn können Sie sich vorstellen, was passiert, wenn man Männer schickt, um eine Frau neu einzukleiden? Der Himmel weiß, was die mitgebracht hätten.“

Gracie bückte sich. „Ein Bikini?“ Sie hielt das winzige Teil hoch. „Wozu brauche ich den?“

„Hat Gareth Ihnen den Pool noch nicht gezeigt?“

„Den Pool?“

„Ja, den Indoor-Pool. Ein Traum.“

„Hm, nein. Er … er ist nicht gerade begeistert davon, dass ich überhaupt hier bin.“

„Aber nun sind Sie hier.“ Annalise lächelte. „Es wird Zeit, dass der einsame Wolf Gesellschaft erhält. Gareth ist ein wunderbarer Mensch, aber er kommt über die Vergangenheit nicht hinweg. Das wird ihn irgendwann noch krank machen.“

„Was für eine Vergangenheit?“

Mit einem Mal wurde Annalise ernst. „Ich habe kein Recht, darüber zu reden. Wenn Gareth es möchte, kann er es Ihnen selbst erzählen.“ Und schon wieder etwas heiterer fügte sie hinzu: „Kommen Sie. Wir gehen in Ihr Zimmer, und Sie probieren die Sachen an.“

Gracie folgte ihr, mehr aus Neugier als aus Lust am Umziehen. Annalise faszinierte sie. Sie hätte ein Model sein können oder eine berühmte Schauspielerin, und sie beneidete Annalise um ihr natürliches Selbstvertrauen.

Was bin ich eigentlich für ein Typ? fragte sie sich. Eher schüchtern, eher extrovertiert? Habe ich einen tollen Job oder bin ich eine graue Maus?

Zurzeit fühlte sie sich nur verwirrt und ängstlich. Aber das lag bestimmt an ihrem Zustand. Gedächtnisverlust würde wohl jeden aus der Bahn werfen. Vielleicht war sie im wirklichen Leben ebenso selbstbewusst und strahlend wie Annalise. Allerdings vermutete sie, dass auch Reichtum und Schönheit verantwortlich für ihre Ausstrahlung waren. Jemandem wie Annalise lag die Welt zu Füßen.

Erst als die sexy Dessous an die Reihe kamen, weigerte sich Gracie, noch weiter zu probieren. Sie ließ die sinnliche Seidenwäsche durch die Finger gleiten. Wunderschön – aber sie würde nicht darin posieren, nicht einmal vor einer Frau.

Annalise warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Himmel, so spät schon? Ich werde meinen Flieger verpassen, wenn ich nicht sofort aufbreche. Daddy will immer, dass ich unseren Privatjet benutze, aber ich finde das so furchtbar angeberisch. Wie soll sich ein Mann für das interessieren, was ich wirklich bin, wenn ich ihm sofort auf die Nase binde, wie viel Geld ich besitze?“

„Keine Ahnung“, antwortete Gracie trocken, aber sie wusste, dass Annalise keine Angeberin war.

An der Haustür legte sie ihrer Wohltäterin die Hand auf den schlanken Arm. „Danke, Annalise“, sagte sie. „Wir werden uns wohl nicht wiedersehen, aber ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar.“

Annalise umarmte sie spontan und küsste sie auf die Wange. „Sag niemals nie. Und denken Sie an meinen Rat: Lassen Sie es nicht zu, dass Gareth Sie einschüchtert. Das Anprobieren hat übrigens wirklich Spaß gemacht.“

4. KAPITEL

Nachdem Annalise gegangen war, kam Gracie das große Haus wieder einsam und verlassen vor. Gerne hätte sie sich noch ein wenig umgesehen, aber sie hatte Angst davor, wieder beim angeblichen Spionieren erwischt zu werden. Stattdessen ging sie nach draußen und genoss die Frühlingssonne. Es war ein herrlicher Tag mit blauem Himmel, kleinen Wolken, warm, aber nicht zu warm.

Am liebsten hätte sie jetzt gemalt, um die schlichte Schönheit der Natur einzufangen. Abrupt blieb sie stehen. Woher kam der Wunsch zu malen? Ein Erinnerungssplitter kam ihr in den Sinn:

Ich bin technisch gut, Daddy, aber was mir fehlt, ist künstlerisches Genie. Deshalb möchte ich so gern die Galerie leiten. Du weißt genau, dass ich es könnte.

Doch da endete ihre Erinnerung auch schon wieder. Zornig ballte sie die Hände zu Fäusten. War sie etwa eine Künstlerin? Aber vermutlich keine besonders gute. Und gab es hier einen Zusammenhang mit ihrem Besuch in den Wolff Mountains?

Sosehr sie sich auch bemühte – sie erinnerte sich an nichts weiter. Geduld, dachte sie und unterdrückte ein Schluchzen. Ich muss einfach Geduld haben.

Sie ging einen Weg hinunter und ließ die hohen Bäume, die das Haus umgaben, hinter sich. Als sie sich nach einer Weile umdrehte, stockte ihr der Atem. Gareths Haus war ein Märchenschloss. Nostalgisch und modern zugleich. Wie eine Mischung aus Cinderellas Schloss und George Vanderbilts Villa in Asheville, North Carolina.

Ups, noch ein Splitter. Sie sah sich selbst, bei einem Besuch in dieser Villa, in einem roten Kleid, lachend, glücklich. Aber wer war die Person, die neben ihr stand?

Vor lauter Anstrengung, sich zu erinnern, pochte es in ihrer Schläfe. Doch die Szene verblasste so schnell, wie sie gekommen war.

Mit Tränen in den Augen schaute sie hinüber zu Gareths Haus. Dort hatte sie gestern auf der Treppe gestanden und mit ihm gesprochen. Aber weshalb? Und war sie in guter oder in böser Absicht gekommen?

Keine Antwort. Alles, was sie wusste, war, dass sie in Gareths Bett geschlafen, dass er sich um sie gekümmert hatte und dass sie sich auf magische Weise zu ihm hingezogen fühlte. Zu dumm aber auch.

Seufzend ging sie zurück zum Haus. Gareth hatte verkündet, er wolle arbeiten. Aber wo? Und worin bestand seine Arbeit? Wozu arbeitete ein Multimillionär wie er überhaupt?

Vor der riesigen Garage blieb sie stehen und spähte durch ein Fenster hinein. Dort stand der Jeep, mit dem sie gestern gefahren war. Daneben eine klassische Harley Davidson, ein großer schwarzer Mercedes, ein stahlgrauer Lieferwagen und ein kleines Elektromobil.

Eine seltsame Ansammlung von Fahrzeugen, dachte sie. Gareth Wolff war ihr ein Rätsel.

Sie umrundete die Garage und entdeckte dahinter eine Lichtung, auf der ein weiteres Gebäude stand, im Stil ähnlich wie Haus und Garage, nur kleiner. Ein Schornstein ragte auf, zarter Rauch stieg in den blauen Himmel.

Gracie wurde neugierig.

An der Seite des Gebäudes befanden sich zwei große Schiebetore, und eines davon stand offen. Obwohl sie wusste, dass sie hier nichts verloren hatte, warf Gracie einen Blick ins Innere des Gebäudes.

Gareth stand ihr direkt gegenüber, aber er wandte ihr den Rücken zu und war damit beschäftigt, ein hölzernes Objekt mit Schleifpapier zu bearbeiten.

Bei dem Gebäude handelte es sich um eine Halle, die in einzelne Parzellen unterteilt war. In einer dieser Parzellen lagerte ein großer Stapel Holzbalken, in einer anderen entdeckte Gracie Holzskulpturen von Tieren. In einem großen, wassergefüllten Becken schwammen Holzstücke, auf mehreren Tischen verteilt lagen Dutzende verschiedener Werkzeuge.

Es roch wunderbar nach frischem Holz und aromatischem Rauch, da die Halle durch einen offenen Kamin beheizt wurde. Durch das große Fenster im Dach fielen goldene Sonnenstrahlen, in denen der Holzstaub wirbelte und tanzte. Neben Gareth auf dem Fußboden kringelten sich helle Späne.

Gracie wusste, dass es unklug war, ihn zu stören, doch sie konnte nicht anders und trat näher. Als er sie bemerkte, unterbrach er abrupt seine Arbeit und sah sie feindselig an.

„Das ist also Ihre Arbeit“, bemerkte sie.

Er legte das Schleifpapier weg und wischte sich die Hände an seiner alten Jeans ab. „Haben Sie etwas gegessen?“

Sie nickte.

„War Annalise bei Ihnen?“

Sie nickte erneut.

„Können Sie sich mittlerweile an irgendetwas erinnern?“

„Nein.“

Er verzog unwillig das Gesicht, und sie fühlte sich irgendwie schuldig.

„Tut mir leid“, sagte sie schnell und ärgerte sich im gleichen Moment darüber.

Wie er da an einem der Pfeiler lehnte, die das Dach der Halle trugen, in seinem weißen T-Shirt und der ausgeblichenen Jeans, sah er einfach umwerfend aus.

„Warum haben Sie sich nicht umgezogen?“, wollte er wissen.

„Gibt es hier eine Kleiderordnung?“, fragte sie zurück.

Unwillkürlich lächelte er. „Ich dachte nur, Sie wären froh, wenn Sie diese Klamotten loswürden.“

Bei seinen Worten kamen ihr Dinge in den Sinn, die da nicht hingehörten. Ausziehen. Nackt sein. Sie – und er … „Ich ziehe mich später um. Zuerst wollte ich an die frische Luft. Es ist so ein herrlicher Tag.“

„Ich bin froh, dass Sie sich fit genug fühlen, um rauszugehen. Haben Sie noch Kopfweh?“

„Ein bisschen. Aber diesmal habe ich nur eine Schmerztablette genommen. Ich will ja nicht den ganzen Tag vor mich hindämmern.“

Er schwieg, und sie kam näher. „Was wird das?“, fragte sie mit Blick auf die Holzkonstruktion.

Zuerst schien er unwillig zu antworten, doch dann sagte er: „Eine Wiege.“

„Für jemanden in Ihrer Familie?“

„Nein.“

Puh, war der Typ ungesprächig. „Für wen denn dann?“

„Für ein Mitglied des englischen Königshauses.“

Verblüfft sah sie zu ihm auf. „Wirklich?“

Jetzt gönnte er ihr tatsächlich ein kleines Grinsen. „Ja, wirklich.“

„Und für wen genau?“

„Wenn ich es Ihnen erzähle, muss ich Sie danach umbringen. Niemand darf es erfahren.“

„Oh, mein Gott“, rief sie. „Ist sie etwa schwanger? Ist es …“

Er verschloss ihr den Mund mit seiner Hand. „Pst. Keine Fragen. Meine Lippen sind versiegelt.“

Seine Nähe war aufregend, und er roch so gut. Nach Seife und körperlicher Arbeit. Fast war sie in Versuchung, mit der Zungenspitze über seine Finger zu lecken, doch dann erkannte sie an seinem Blick, dass er ihre Absicht erriet. Erschrocken machte sie einen Schritt rückwärts, und er ließ seine Hand sinken.

„Da Sie mir gegenüber nicht mehr so abweisend sind, könnte ich vermuten, dass Sie mir glauben“, begann sie. „Ich meine, das mit dem Gedächtnisverlust.“

„Sagen wir einfach, im Zweifel für die Angeklagte. Das ist alles, womit ich dienen kann.“

Um sich davon abzulenken, dass seine Gegenwart sie verwirrte, bemerkte sie: „Ihre Arbeit ist sicher sehr befriedigend für Sie.“ Seltsamerweise flammte erneut ein Erinnerungsfetzen auf. Hände, ihre eigenen, die Farbe auf eine Leinwand aufbrachten. Aquarellfarben? Dann war es auch schon wieder vorbei.

„Auf diese Weise bin ich von der Straße weg“, sagte er mit einem Anflug von Humor.

Sie nahm eine Flasche mit Leinöl und rieb über das Etikett. „Aber weshalb tun Sie es? Bestimmt nicht, um Geld zu verdienen.“

„Da irren Sie sich, Gracie.“

„Wieso? Müssen Sie sich selbst beweisen, dass Sie nicht auf das Familienvermögen angewiesen sind?“

„Sie lesen zu viele Romane“, erwiderte er grinsend. „Mir macht es nichts aus, dass ich reich bin.“

„Apropos reich“, warf sie ein. „Worin besteht dieses ominöse Familienvermögen eigentlich?“

„Ursprünglich stammt es aus dem Eisenbahnbau im neunzehnten Jahrhundert. Seitdem kamen andere Geschäftszweige hinzu. Alle Wolffs sind gut darin, aus Geld mehr Geld zu machen.“

„Und heute?“

„Die große Finanzkrise haben auch wir zu spüren bekommen. Aber mein Vater und mein Onkel waren klug genug, um nicht zu viel zu verlieren. Sie investieren in Schiffe, in Fabriken, sogar in die Landwirtschaft.“

„Aber Sie bauen Holzmöbel.“

„Genau.“

Sanft strich sie über das glatte Walnussholz, das er gerade poliert hatte. „Klären Sie mich auf. Wie viel kostet eine königliche Wiege?“

Mit einem Lächeln, das sie nicht deuten konnte, antwortete er knapp: „Fünfundsiebzigtausend Dollar, mehr oder weniger, je nach Umtauschkurs.“

Wow! Gracie hatte keine Ahnung, was sie von Beruf war und wie viel sie verdiente, aber vermutlich kam sie kaum auf die Hälfte dieser Summe. Pro Jahr.

„Es fließt alles in einen Wohltätigkeitsfonds, den ich vor Jahren gegründet habe“, erklärte er, als müsse er sie beruhigen. „Die Leute, die bei mir Unikate bestellen, wissen das.“

„Und um was für eine Wohltätigkeitsorganisation handelt es sich?“

Von jetzt auf gleich wirkte er verschlossen. „Sie haben bestimmt noch nie davon gehört.“ Seine gute Laune war verflogen. „Ich muss weiterarbeiten.“

Aber Gracie ließ sich nicht so leicht abwimmeln. „Was machen Sie noch? Und für wen?“

Er seufzte genervt. „Einen Kleiderschrank für einen arabischen Scheich. Windsorstühle für eine reiche Erbin in Boston. Einen Schreibtisch für den Ex-Präsidenten …“

„Wahnsinn“, konstatierte sie. „Sie müssen enormes Talent besitzen. Haben Sie Möbeldesign studiert?“

„Nein. Ich habe Jura studiert, weil mein Vater es so wollte. Danach rächte ich mich an ihm, indem ich zum Militär ging. Eine Weile war ich auch in Afghanistan.“

„Bestimmt war er sehr stolz auf Sie.“

„Er hatte Angst um mich“, erwiderte Gareth kühl. „Und ich habe meinen Anflug von Rebellion sofort bereut. Zum Glück ist mir nichts passiert. Es hätte ihn umgebracht.“

Gracie spürte, dass sich hinter seinen Worten viel mehr verbarg, als er zugeben wollte. Sie folgte seinem Blick und entdeckte eine große Fotografie. „Wer ist das?“, wollte sie wissen.

„Laura Wolff. Meine Mutter“, presste Gareth hervor.

Irgendetwas an dem Namen kitzelte Gracies Erinnerung, aber gleich darauf war es wieder weg. Als sie das Foto genauer betrachtete, nahm sie wahr, dass Gareth den gleichen Teint wie seine Mutter besaß. Doch das markante Profil musste er von seinem Vater haben. Laura Wolff hatte eine Stupsnase und ein offenes Lachen.

„Lebt sie auch oben auf dem Berg?“, erkundigte sich Gracie.

„Sie ist tot.“

Seine harte Antwort hätte sie zum Schweigen bringen sollen. Doch sie hungerte nach Informationen, um die große Leere in ihrem Kopf zu füllen. „Ich nehme an, Sie möchten mir nicht erzählen, was geschehen ist?“

„Nein. Es geht Sie nichts an.“

„Verstehe. Aber ich bitte Sie auch zu verstehen, dass ich entsetzliche Angst davor habe, mich nie wieder an irgendetwas zu erinnern. Ich frage nicht aus Neugier.“ Ihre Lippen zitterten, und sie sah, dass es Gareth rührte. Trotzdem wandte er sich wieder seiner Arbeit zu.

„Der Unfall ist doch erst einen Tag her“, versuchte er sie zu beruhigen. „Das braucht Zeit, Gracie.“

„Aber wie viel denn?“, rief sie entnervt. „Noch einen Tag? Eine Woche? Ich möchte nach Georgia zurück. Wenn ich zu Hause bin, in meiner vertrauten Umgebung, dann wird alles wieder gut.“

In seinem Blick lag eine Spur von Mitgefühl, als er sagte: „Aber ich kann Sie jetzt nicht gehen lassen. Ihr Vater ist verreist, Ihr Haus wird umgebaut, soweit ich ihn verstanden habe. Solange ich nicht mehr über Sie weiß oder jemand auftaucht, der mit Ihnen befreundet oder verwandt ist, werden Sie hierbleiben müssen.“

„Was ist mit einem Hotel in Savannah? Ich könnte Sightseeing machen wie eine Touristin und abwarten, was passiert?“

„Ich lasse Sie nicht allein in einem Hotel. Außerdem wollen Sie das doch selbst nicht.“

Sie ließ den Kopf hängen. „Mein Vater hörte sich nicht an wie ein netter Mensch“, gab sie zu. „Und ich kann mich nur an das erinnern, was in den letzten vierundzwanzig Stunden geschehen ist. Wolff Mountain ist für mich der einzige vertraute Ort. Klingt das bescheuert?“

„Überhaupt nicht. Allerdings kennen Sie Wolff Mountain auch nicht wirklich. Hier ist nichts, was Ihre Erinnerung wieder in Gang setzen könnte.“

„Genau deshalb sollte ich gehen.“

Er trat zu ihr. „Entspannen Sie sich einfach.“

„Leichter gesagt als getan.“

Mit dem Anflug eines Lächelns strich er ihr über die Wange. „Gut für Sie, dass ich immer recht behalte.“

Seine Berührung ließ Gracie erschauern. Sobald er seine harte Fassade aufgab, war Gareth unwiderstehlich. Zögernd wich sie zurück und hoffte, dass er nicht gesehen hatte, dass sie errötet war.

„Ich lasse Sie jetzt besser weiterarbeiten“, sagte sie heiser.

Er nickte, sein Blick undurchdringlich.

Sekundenlang sahen sie sich in die Augen. Doch als die elektrisierende Spannung, die sich zwischen ihnen aufbaute, zu stark wurde, ergriff Gracie die Flucht.

5. KAPITEL

Gareth stieg mit kräftigen Schritten den Berg hinter seiner Werkstatt hinauf, als wolle er dem Problem entkommen, das unten im Haus auf ihn wartete. Ihm war klar, dass Gracie Darlington vermutlich sogar mehr als nur ein Problem bedeutete. Er blieb stehen und fluchte leise.

Ein einziges Mal in seinem Leben hatte er einer schönen Frau vertraut und war bitter enttäuscht worden. Während einer Dinnerparty hatte seine Freundin ein kostbares Gemälde mitgehen lassen, einen Manet, der eine Viertelmillion Dollar wert war. Zwar war es der Polizei später gelungen, das Gemälde sicherzustellen, aber der Schaden, den dieser Vertrauensbruch bei Gareth angerichtet hatte, war durch nichts wieder gut zu machen. Schon als Kind traumatisiert durch die Tragödie seiner Mutter, wurde er nach dieser Episode zynisch, mied den Kontakt zu Menschen und misstraute jedem.

Als sein Vater ihn wegen der unüberlegten Wahl seiner Gefährtin streng gemaßregelt hatte, war er als Rache in den Krieg gezogen. Allerdings war er damals erst vierundzwanzig gewesen.

Was seine starken Gefühle für Gracie betraf – nun, er war auf der Hut.

Leise rauschte der Wind in den Bäumen, Moos bedeckte die Steine am sprudelnden Bergbach. Inmitten dieser idyllischen Natur empfand Gareth die Turbulenzen, die Gracie in ihm auslöste, nur umso stärker. Heute Morgen war er mit einer Erektion erwacht, nach Träumen, in denen Gracie sich ihm hingab.

Draußen blühte nach dem langen Winter neues Leben, und in seinem Bett war es öde und leer.

Die Berge waren seine Heimat, hier war er aufgewachsen, abgeschieden von der Welt da draußen, weil sein Vater und sein Onkel es so gewollt hatten. Manchmal fragte er sich, ob seine Brüder Jacob und Kieran als Kinder ebenso einsam gewesen waren wie er. Aber über solche Dinge sprachen sie nicht miteinander.

Eine Biene summte an seinem Ohr. Gareth wedelte sie mit einer freundlichen Geste fort, dann straffte er seine Schultern. Es brachte nichts, durch den Wald zu rennen, um einer Frau zu entkommen, die er begehrte.

Was sollte er tun? Nach seiner Zeit beim Militär hatte er seinen Frieden darin gefunden, mit Holz zu arbeiten. Eine Art Selbsttherapie, die funktionierte. Jetzt war Gracie in sein Leben geplatzt, und er wusste, dass sie seine mühsam wiedergefundene Seelenruhe zerstören konnte.

Noch einmal nahm er das frische Grün der Bäume und Sträucher in sich auf, dann machte er sich auf den Weg zurück zum Haus. Etwas oberhalb blieb er stehen. Hier öffnete sich der Blick weit ins Tal. Eine bäuerliche Welt, mit Feldern, Wiesen, Häusern, Traktoren. Dort wohnten normale Menschen. Familien, die ihre Kredite abbezahlten, am Monatsende vielleicht zu wenig Geld hatten, dafür aber glückliche Kinder.

Manchmal beneidete Gareth sie darum. Seine Kindheit hatte viel zu früh geendet. Zum Glück gab es seine Werkstatt. Wenn er hobelte, sägte, leimte und den Feinschliff für seine Möbel machte, fühlte er sich gut und lebendig.

Als er die Stufen zur Halle hochlief, hob der große Basset, der vor der Tür lag, nur kurz den Kopf zur Begrüßung. Dann legte er ihn wieder auf seine Pfoten und seufzte tief. Die langen Ohren des Hundes waren voller Sägemehl, und Gareth musste unwillkürlich lächeln.

Ja, gestand er sich ein. Ich bin auch nur ein Mann. Einsam. Frustriert. Misstrauisch. Und verrückt nach einer fremden Frau.

Er sehnte sich nach ihr mit einem körperlichen Verlangen, das ihn fast schmerzte. Immer wieder stellte er sich den Moment vor, in dem er in sie eindringen würde, um sie zu lieben, bis sie beide in höchster Lust vergingen.

Er schüttelte den Kopf, ging in die Werkstatt, nahm eine Säge und fing an, ein neues Stück Holz zu bearbeiten. Eine Weile lenkte es ihn von seinen Fantasien ab, doch schon nach einer halben Stunde war ihm klar, dass das auf Dauer nichts brachte. Er musste sich der Herausforderung, die Gracie für ihn bedeutete, stellen.

Fenton, der Basset, hatte sich bislang kaum gerührt. Gareth ging nach draußen auf die Veranda und trat an die Balustrade. Die Sonne schien, und er genoss die Wärme auf der Haut. Es war ein langer, kalter Winter gewesen. Seltsamerweise hatte er seit Gracies Ankunft zum ersten Mal darüber nachgedacht, ob er immer so leben wollte. Allein auf dem Berg, allen Menschen Feind. Sein Vater hatte ihm schon lange verziehen. Doch Gareth war nicht bereit, mit der Vergangenheit abzuschließen. Zu viele Fehler, die er begangen, zu viel Trauer um Menschen, die er geliebt hatte.

War Gracie ein unverhofftes Geschenk oder ein trojanisches Pferd?

Der Himmel blieb ihm eine Antwort schuldig. Gareth lehnte seine Stirn gegen einen hölzernen Pfeiler, atmete tief durch und spürte, dass sich gerade etwas veränderte. Ob zum Guten oder zum Schlechten, konnte er nicht sagen.

Doch der Wind schien einen Namen zu flüstern: Gracie.

Als Gracie nach einem Mittagsschläfchen in die Küche kam, fand sie dort Jacob Wolff, der sich ein Bier aus dem Kühlschrank geholt hatte und auf seinem Blackberry E-Mails las. Er sah auf und lächelte. „Sie sehen schon viel besser aus. Wie fühlen Sie sich?“

Sie goss Wasser in ein Glas. „Ziemlich gut. Ich habe fast keine Kopfschmerzen mehr.“

„Und Ihr Gedächtnis?“

„Ein weißes Blatt.“

Jacob stand auf. Mit seinem teuren Haarschnitt, dem blütenweißen Hemd und seiner schwarzen Hose mit akkuraten Bügelfalten wirkte er wie das genaue Gegenteil von Gareth. Doch obwohl er verdammt gut aussah und bestimmt ein smarter Typ war, blieb Gracies Puls in seiner Gegenwart ganz ruhig.

„Darf ich Sie was fragen?“, begann sie abrupt.

„Klar.“ Er trank sein Bier aus und stellte die Flasche auf den Tresen.

„Hier ist alles immer so aufgeräumt. Und der Kühlschrank ist immer voll mit frischen Sachen. Trotzdem habe ich hier außer Gareth noch keine Menschenseele entdeckt.“

Grinsend antwortete Jacob: „Wir nennen es die stille Armee.“ Als er ihren fragenden Blick sah, ergänzte er: „Mein Vater und mein Onkel beschäftigen eine ganze Reihe von Leuten. Gärtner, Haushälterinnen, Köche, Techniker. Meine Brüder und meine Cousins kommen auch in den Genuss ihrer Dienste.“

„Aber Gareth duldet doch quasi niemanden hier im Haus.“

„Deshalb kommen die Angestellten ja auch nur dann, wenn er nicht da ist oder in der Werkstatt beschäftigt.“

„Das erklärt einiges“, meinte sie lächelnd. „Ich dachte schon, er wäre Superman.“

„In mancherlei Hinsicht ist er das auch. Sie sollten ihn nicht unterschätzen, Gracie. Er hat viel durchgemacht und ist ziemlich ungesellig. Aber seine Gefühle sind tief. Vielleicht zu tief für seinen Seelenfrieden.“

„Ich habe ihn nach seiner … nach Ihrer beider Mutter gefragt, aber er wollte mir nichts über sie erzählen.“

„Kein Wunder.“ Jacob kam auf sie zu. „Darf ich Sie ganz kurz untersuchen? Nur zu meiner eigenen Beruhigung.“

„Klar.“

Sie gingen hinüber ins Wohnzimmer. Dort kontrollierte Jacob ihren Puls und ihren Blutdruck und warf einen Blick auf die Beule an ihrer Schläfe. „Schon weniger geworden“, murmelte er, nahm einen Leuchtstift und legte Gracie eine Hand unters Kinn.

Sie musste blinzeln, als der Lichtstrahl ihre Pupillen traf. „Würden Sie mir etwas über Ihre Mutter erzählen?“, fragte sie leise.

Während Jacob das Unterlid ihres anderen Auges herunterzog, erkundigte er sich: „Warum ist das so wichtig für Sie?“

„Weil ich Gareth besser verstehen möchte. Ich bin aus einem ganz bestimmten Grund hierhergekommen. Mein Vater kennt diesen Grund, aber er ist in Europa und redet nicht mit mir. Vermutlich sind meine Motive unlauter gewesen. Und ich will verhindern, dass Gareth wütend auf mich ist, wenn alles herauskommt. Bald verschwinde ich von hier, aber in der Zwischenzeit würde es mir helfen, mehr über Gareth zu erfahren, um meiner Erinnerung auf die Sprünge zu helfen.“

Mit skeptischer Miene antwortete Jacob: „Wir reden mit Fremden nicht über unsere Privatangelegenheiten. Könnte doch sein, dass sie eine Journalistin sind. In diesem Fall würde Gareth sein Haus mit dem Feind teilen.“

„Ist das nicht ein zu hartes Urteil?“

„Sie wissen ja gar nicht, was über die Familie Wolff schon alles geschrieben worden ist.“

„Aber ich verspreche, dass ich nichts dergleichen tun würde. Bitte, Jacob. In meinem Kopf ist ein großes schwarzes Loch. Es macht mir solche Angst. Ich will einfach nur wissen, woran Ihre Mutter gestorben ist.“

Sein Gesicht war blass, aber er lenkte ein. „Na gut. Ein paar Mausklicks im Internet würden Ihnen sowieso auf die Sprünge helfen. Sie und meine Tante wurden ermordet. Damals, in den Achtzigern, waren wir alle noch Kinder. Man hat sie entführt, und obwohl das Lösegeld gezahlt wurde, haben die Kidnapper sie umgebracht. Sind Sie jetzt zufrieden, Gracie?“

Damit drehte er sich um und stürmte aus dem Haus. Gracie blieb zurück, mit einem flauen Gefühl im Magen und tiefer Trauer im Herzen. Was für eine Tragödie! Kein Wunder, dass die Alten die Jungen um sich scharten und sich hier in den Bergen verschanzten.

Sie zuckte zusammen, als sie Gareths Stimme hörte.

„War das Jacob, der da gerade weggefahren ist?“

„Er wollte nach mir sehen“, erwiderte sie und stand schuldbewusst auf.

„Und?“

„Was, und?“

„Ihr Kopf? Das Bein?“

„Oh.“ Sie seufzte erleichtert. „Sieht so aus, als wäre ich auf dem Weg der Besserung.“

„Möchten Sie schwimmen gehen?“

Sie runzelte die Stirn. „Tja, warum nicht?“

„Ich habe Annalise gebeten, Ihnen einen Bikini mitzubringen. Sie haben zehn Minuten, um sich umzuziehen.“

„In Ordnung.“

Schon nach acht Minuten war sie wieder da. Gareth stand in der Küche, bekleidet mit einer marineblauen Badehose, die der Fantasie wenig zu tun übrig ließ.

Gracie war sich nur zu bewusst, dass ihr winziger Bikini ebenfalls mehr preisgab, als er verbarg, und sie hätte sich nackt gefühlt in Gegenwart dieses aufregenden Mannes, wenn sie sich nicht in weiser Voraussicht ein großes Badetuch umgewickelt hätte.

„Hier lang“, befahl er und ging voraus.

Da das Haus in den Berghang hinein gebaut war, besaß es mehrere durch Treppen verbundene Stockwerke. Gracie folgte Gareth nach unten, bis sich zwei Glasschiebetüren teilten und sie eine dampfende, duftende Badeoase erreichten, in deren Mitte sich ein riesiger Pool befand, der mit seinen unregelmäßigen Konturen einen natürlichen See nachahmte. Üppiges Grün wucherte an allen Seiten, exotische Blumen verströmten sinnlichen Duft. Von irgendwoher kam sanfte, verführerische Flötenmusik. Flache, runde Kiesel raschelten unter Gracies Schritt. Zu beiden Seiten standen einladende Liegestühle mit bunten Batikbezügen.

Am anderen Ende des Pools entdeckte Gracie einen richtigen Wasserfall, umgeben von Palmen.

Gareth warf sein Handtuch auf eine Liege. „Na, gefällt es Ihnen?“

„Wahnsinn“, rief sie aus. „So etwas habe ich noch nie gesehen.“

„Woher wollen Sie das wissen?“

Forschend sah sie ihm in die Augen, entdeckte darin ein Lächeln, und erwiderte es. „Das war gemein.“

„Kommen Sie“, forderte er sie auf. „Schauen wir mal, ob Sie schwimmen können.“

Ohne auf sie zu warten, machte er einen Kopfsprung ins Wasser und begann in kraftvollen Zügen zu schwimmen. Gracie ging dorthin, wo der Einstieg flach war. Sie schälte sich zögernd aus ihrer schützenden Hülle und hoffte, dass Gareth nicht herüberschaute. Der schicke Bikini in Limettengrün und Safrangelb gab einfach zu viel von ihrer Figur preis.

6. KAPITEL

Gareth stockte der Atem, als er Gracie in dem knappen Bikini erblickte. Obwohl Gracie sehr schlank war, verfügte sie über die aufregendsten Runden an all den richtigen Stellen. Ihre blasse Haut passte zu ihrem roten Haar. Bemüht, sein Interesse zu verbergen, beobachtete er verstohlen, wie sie ins Wasser glitt. Gleich darauf verriet sie, dass sie eine geübte Schwimmerin war, denn sie kraulte lässig auf dem Rücken. Schade, dachte er. Keine Rettungsaktion vonnöten.

Ihre langen Beine, mit denen sie sich elegant fortbewegte, und ihre festen Brüste, die an der Wasseroberfläche sichtbar waren, erregten ihn und erinnerten ihn fast schmerzhaft daran, dass er schon viel zu lange nicht mehr mit einer Frau geschlafen hatte.

Da drüben war Gracie, und er begehrte sie über alle Maßen. Gleichzeitig war er auf der Hut, denn er kannte ihre wahren Absichten nicht.

Zwanzig Minuten schwammen sie unabhängig voneinander, dann erst näherte sich Gareth. Wie der glänzende Stoff des Bikinis sich um ihre Kurven schmiegte. Und obgleich es hier sehr warm war, zeichneten sich Gracies Brustknospen deutlich ab.

Er bemühte sich, nicht allzu offensichtlich hinzustarren. „Wie wär’s?“, fragte er. „Möchten Sie den Wasserfall ausprobieren?“

Sie lächelte. „Gern.“

Als er ihre Hand nahm, zuckte sie überrascht zusammen. Gemeinsam gingen sie immer tiefer in den Pool, und bald verlor Gracie den Boden unter den Füßen.

„Es ist zu tief für mich“, rief sie.

Automatisch legte Gareth ihr beide Hände um die Taille. „Klettern Sie auf meinen Rücken.“

Sie standen dicht voreinander und sahen sich in die Augen. Gracies Atem ging rasch. An ihren dichten Wimpern hingen kleine Wassertropfen.

Langsam, ganz langsam ging sie um Gareth herum und legte ihm die Hände auf die Schultern.

„Schlingen Sie die Beine um meinen Körper“, empfahl er.

„Nicht nötig.“

„Na gut.“ Er schritt im tiefen Wasser langsam voran, bis sie den Wasserfall erreicht hatten. Es wirkte wie ein völlig natürliches Gelände aus Felsen, Farnen und farbenfrohen Orchideen. Winzige schillernde Papageien schwirrten durch die Luft.

Gareth half Gracie auf eine Stufe, die es ihr jetzt wieder ermöglichte zu stehen. „Alles okay?“, fragte er.

„Prima.“

Ihr helles Gelächter, als sie unter den Wasserfall traten und die Kaskaden über sie strömten, klang so frisch, so einladend. Kurze Zeit später, als sie genug hatten vom Wasserschwall, der ihnen fast den Atem nahm, standen sie nebeneinander in der warmen, grünen Oase des Pools, und Gareth begann ohne Umschweife: „Normalerweise bin ich nicht der Typ, der vorher fragt, aber Sie haben zwei heftige Tage hinter sich.“

Verwundert sah sie zu ihm auf. „Der was fragt?“

„Ob ich Sie küssen darf.“

Da war zuerst ihr erschrockener Blick. Dann das Interesse darin. Und dann, deutlich wahrnehmbar – Lust.

Doch sie schien noch zu überlegen. Gareth wartete, und als er schon dachte, sie würde ihn zurückweisen, schlang sie die Arme um seinen Hals. „Okay.“

Als sich ihre Lippen berührten, vergaß er alles um sich herum. Der Dampf, der aus dem Pool aufstieg, hüllte sie ein, warm, feucht und sinnlich. Gracie zögerte damit, sich zu öffnen, und er ging auf sie ein, küsste sie sanft und werbend. Wie gut es sich anfühlte, ihren zarten Körper zu spüren.

Bald jedoch wurden seine Küsse fordernder, und er hielt sich nicht mehr an das selbst auferlegte Gebot, Rücksicht zu nehmen. Sie hatte ja gesagt, und er nahm sie nur beim Wort, auch wenn sie sein Gast war, auch wenn sie an Gedächtnisverlust litt. Ein bisschen schlechtes Gewissen war dabei, und dieses gewann schließlich die Oberhand.

Tief atmend löste er sich von ihr.

Gracies Augen glänzten vor Verlangen. „Wow.“

Unwillkürlich musste er lachen. „Ja, wow.“

„Ich glaube, ich bin fix und alle“, sagte sie leise.

„Schaffst du es auf die andere Seite des Pools?“

„Glaubst du, ich habe nach einem Kuss von dir Pudding in den Knien?“, gab sie lächelnd zurück. „Angeber.“

„Ich schwimme noch ein paar Bahnen. Findest du dich zurecht?“

Sie nickte.

Während Gracie sich abtrocknete und sich in das große Badetuch hüllte, spürte sie, dass Gareth sie nicht aus den Augen ließ, obwohl er kraftvoll seine Bahnen zog. Ehe sie ging, drehte sie sich noch einmal um, und ihre Blicke trafen sich.

Auf dem Weg zurück in ihr Zimmer hatte sie Muße, sich im Haus umzusehen. Sie war beeindruckt von der Stilsicherheit des Designs. Alles war wunderschön. Trotzdem lebte Gareth hier mutterseelenallein.

Nachdem sie geduscht und ihr Haar geföhnt hatte, legte sie ein leichtes Make-up auf und suchte sich dann aus den Sachen, die Annalise mitgebracht hatte, ein kirschrotes Kleid mit Blumenstickerei am Saum aus. Ein Blick in den Spiegel zeigte ihr eine entspannte, fröhliche junge Frau. Näher betrachtet lag jedoch immer noch ein verwirrter, trauriger Ausdruck in ihren Augen.

Unsicher fragte sie sich, womit in aller Welt sie sich hier beschäftigen sollte? Sie entschied sich für Bücher oder DVDs. Wer weiß, dachte sie, vielleicht kitzelt das ja meine Erinnerung?

Doch als sie zurück in den großen Wohn- und Essbereich kam, entdeckte sie, dass der niedrige Tisch vor den Unterhaltungsmedien mit teurem Porzellan und wertvollem Silber eingedeckt war. Köstlich duftende Speisen warteten darauf, verzehrt zu werden.

Gareth stand vor dem Kamin und schaute in die Flammen. Auch er hatte sich umgezogen. In der dunklen Hose und dem hellen irischen Fischerpulli wirkte er ungezähmt und sehr männlich.

„Das riecht ja himmlisch“, sagte Gracie.

Gareth kam zu ihr, und als er direkt vor ihr stand, musste sie daran denken, dass sie sich vor noch nicht allzu langer Zeit halb nackt aneinander geschmiegt und geküsst hatten. Sie hoffte nur, er würde nicht merken, dass sie errötete.

Er streckte eine Hand aus. „Darf ich bitten?“

Verwundert bemerkte sie, dass es gar keine Sitzgelegenheiten gab. Anscheinend erwartete Gareth, dass sie mit ihm auf dem Teppich sitzen würde. Zögernd streifte sie ihre roten Sandalen ab und ließ sich auf einem der Samtkissen vor dem Tisch nieder. Gareth setzte sich ihr gegenüber.

Es gab Rinderlende, dazu frischen Spargel mit Sauce Hollandaise und gestampfte Kartoffeln. Alles schmeckte so gut, wie es aussah, und Gracie seufzte zufrieden. „Mir selbst gelingen Kartoffeln nie so gut.“ Hm, wo kam dieser Gedanke jetzt her? „Ich erinnere mich an etwas“, rief sie. „Meine Küche ist gelb und weiß. Ich glaube, ich kann ganz gut kochen.“

Gareth sah sie aufmerksam an. „Und was noch? Lass dir Zeit. Setz dich nicht unter Druck.“

Sie schloss die Augen und versuchte, den Schleier des Vergessens zu durchdringen. „Ich … ich stehe neben dem Herd und lache über etwas, das eine Frau zu mir gesagt hat.“

„Wer ist diese Frau?“

Doch je mehr sie sich konzentrierte, desto schneller verschwand das Bild. „Ich verstehe das nicht“, flüsterte sie. „Warum entgleitet mir alles?“

„Das Gehirn hat ein Eigenleben“, erwiderte Gareth beruhigend. „Es macht, was es will.“

„Ob Hypnose mir helfen könnte?“, überlegte sie laut. „Ich muss doch etwas tun! Vielleicht sollte ich Jacob fragen?“

„Wenn Jacob Hypnose für geeignet halten würde, dein Problem zu lösen, hätte er es längst vorgeschlagen. Mein Bruder ist ein hervorragender Arzt. Ich schätze, du musst dir einfach Zeit lassen.“ Er hob den Deckel von einer Platte. „Schau mal. Kirschkuchen. Der hilft gegen alles.“

„Das kann nur jemand sagen, der keine Gewichtsprobleme hat.“

Ohne das Verlangen in seinem Blick zu verbergen, bemerkte er nur: „Du bist perfekt. Und jetzt iss den verdammten Kuchen.“

Ihr war klar, dass er sie begehrte, und sie gestand sich ein, dass auch sie verrückt nach ihm war. Wie sollte sie da Kirschkuchen essen? Trotzdem gehorchte sie.

Wenig später streckte Gareth sich lässig auf den Kissen aus, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sagte: „Ich habe eine Idee. In ein paar Tagen muss ich nach Washington. Du könntest ja mitkommen.“

„Weshalb?“

„Weil ich es nicht gut fände, wenn du hier allein bleibst.“

„Du traust mir nicht.“

„Ich weiß nichts von dir. Jedenfalls nicht genug.“

„Was ist das für ein Termin in Washington?“

„Ein aufstrebender Senator hat vor Kurzem einen großen Waffenschrank bei mir bestellt. Jetzt will er mit seiner Neuerwerbung – und natürlich auch dem Künstler – auf einer Party in Georgetown angeben.“

„Und dazu bist du bereit?“

„Ich wollte nicht hin und habe zur Bedingung gemacht, dass er noch mal hunderttausend für meine Stiftung lockermacht, damit ich komme. Ich hätte nie damit gerechnet, dass er zustimmt.“

Er verzog das Gesicht, und Gracie lachte laut. „Armer Gareth.“

„Daher wäre es viel lustiger, wenn du mitkämst.“

„Als eine Art Partyhäschen, das dir die Langweile vertreibt?“

Huch, seit wann konnte sie flirten?

„Vorsicht, Gracie. Entzünde kein Feuer, das du nicht mehr löschen kannst.“

Sie lächelte, musste dann aber auf einmal gähnen. „Entschuldigung“, sagte sie errötend.

Sofort stand er auf und zog sie auf die Füße. „Sag Gute Nacht, Gracie.“

Mit schief gelegtem Kopf sah sie zu ihm auf. „Komisch. Ich glaube, das hat mein Vater immer zu mir gesagt.“

Er küsste sie federleicht auf die Wange. „Du musst dich ausruhen. Morgen früh reden wir weiter.“

Mit zwei Fingern strich sie über sein Gesicht. „Hast du etwa Angst vor mir?“, flüsterte sie herausfordernd und schmiegte sich an ihn.

Ohne Vorwarnung küsste er sie hart und verlangend, doch gleich darauf war es auch schon wieder vorbei. Enttäuscht ließ Gracie es zu, dass er sie in Richtung Flur schob.

„Ich könnte doch beim Abwasch helfen“, wandte sie ein.

„Geh ins Bett. Und bleib gefälligst dort.“

Einerseits bewunderte sie ihn für seine Selbstbeherrschung, andererseits war sie frustriert, denn obwohl sie wusste, dass es ein Fehler gewesen wäre, hätte sie nichts dagegen gehabt, sich vor dem Kamin mit ihm zu vergnügen.

Ihr schönes Zimmer kam ihr vor wie ein Gefängnis, und ihr seidenes Negligé fühlte sich an wie die Sünde. Zu dumm aber auch. Sie nahm eine Schmerztablette, weil Jacob es ihr geraten hatte, und wenig später fiel sie in einen erschöpften Schlaf.

7. KAPITEL

Schon beim ersten Schrei war Gareth hellwach. Nur Sekunden später stand er neben Gracies Bett. Im Bad brannte Licht, sodass er im halbdunklen Zimmer erkennen konnte, dass Gracie sich herumwälzte und sich in ihre Decke krallte, als kämpfe sie mit jemandem.

Sofort setzte er sich auf die Bettkante, doch als er die Decke wegziehen wollte, schrie sie im Schlaf auf: „Nein! Nein!“ Während er versuchte, sie zu beruhigen, schluchzte sie und schlug blindlings nach ihm.

„Alles ist gut, Gracie“, murmelte er. „Wach auf. Alles ist gut.“

Er sprach die Worte wie eine Beschwörungsformel, um sie sanft aus ihrem Albtraum zu holen. Endlich schlug sie die Augen auf, und weil sie zitterte, nahm er sie in die Arme. „Alles ist gut“, wiederholte er. „Du hast nur schlecht geträumt.“ Er streichelte ihr Haar. „Dir passiert nichts, Gracie.“

Sie schlang ihre Arme um ihn und legte ihren Kopf an seine Brust. Da erst bemerkte er das seidene Nichts von einem Nachthemd, und gegen seinen Willen stieg Verlangen in ihm auf.

Als ob sie es gespürt hätte, richtete sie sich auf und strich sich eine Locke aus dem Gesicht. „Mach bitte das Licht an“, bat sie leise.

Er gehorchte, und gleich darauf tauchte die Nachttischlampe das Zimmer in warmes, mildes Licht. „Willst du mir deinen Traum erzählen?“, fragte er.

Mit zitternden Lippen begann sie: „Ich bin durch die Nacht gerannt. Irgendetwas verfolgte mich. Ich wusste, wenn ich mein Haus finde, dann bin ich in Sicherheit. Aber jedes Mal, wenn ich eine Tür öffnete, war dahinter nur Leere.“

Liebevoll zog er sie an sich und nahm ihre Hand. „Dafür braucht man kein Psychologe sein, glaube ich. Du hast dich überanstrengt, Gracie. Es nützt nichts, etwas erzwingen zu wollen. Jacob hat gesagt, es kommt in Fragmenten oder ganz plötzlich auf einmal wieder zurück. Das kannst du nicht beeinflussen.“

„Aber ich habe solche Angst davor, dass du mich hasst, wenn ich herausfinde, weshalb ich hierhergekommen bin“, brach es aus ihr heraus.

Die Möglichkeit bestand, dessen war sich auch Gareth bewusst. Aber er wollte jetzt nicht darüber nachdenken. Nicht, wenn die Frau, die er in den Armen hielt, so zart und verführerisch war. „In ein paar Tagen bist du wieder zu Hause und siehst klarer. Bis dahin solltest du dich mit etwas anderem beschäftigen.“ Er hatte nicht vor, ihr zu sagen, dass er Detektive auf Edward Darlington, ihren Vater, angesetzt hatte.

Ein letztes Mal schluchzte sie, dann erwiderte sie mit einem zittrigen Lächeln: „Du hast gut reden. Dein Gehirn funktioniert, im Gegensatz zu meinem. Hattest du eigentlich schon geschlafen?“

„Es ist zwei Uhr morgens“, bemerkte er. „Klar habe ich geschlafen.“ Und besser geträumt als Gracie hatte er auch.

Ein Kälteschauer schüttelte sie, und er strich über ihre Arme, um sie zu wärmen. „Ist jetzt alles wieder gut?“

Sie sah zu ihm auf und wirkte ganz verloren. „Nein. Bleib bei mir. Bitte.“

Erschrocken hörte sich Gracie diese Worte sagen. War sie verrückt geworden? Oder war sie eine Frau, die mit jedem Mann ins Bett ging? Hatte der Gedächtnisverlust sie hemmungslos gemacht? Was Gareth über ihre Einladung dachte, konnte sie an seinem Gesichtsausdruck nicht erkennen.

Er stand auf und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Wenn du willst, setzte ich mich auf den Stuhl hier und warte, bis du eingeschlafen bist.“

„Und wenn dann die Albträume wiederkommen?“

„Ich habe seit elf Monaten nicht mehr mit einer Frau geschlafen“, erklärte er unumwunden.

„Warum?“

Ihre Frage schien ihn zu verblüffen. „Aus vielerlei Gründen. Ich nehme Frauen nicht mit hierher, sondern treffe mich mit ihnen irgendwo anders. Beim Tanzen. Oder ich gehe mit einer von ihnen nach Hause. Aber es langweilt mich.“

„Verstehe. Aber ich habe dich ja auch nicht gebeten, mit mir zu schlafen.“

„Machen wir uns doch nichts vor, Gracie. Wir wissen beide, wo das enden würde. Als Ehrenmann kann ich es nicht verantworten, die Situation auszunutzen. Wenn ich heute Nacht bei dir bleibe, garantiere ich dir, dass du nicht zum Schlafen kommst.“

Sein offenes Eingeständnis fachte ihr Begehren an. Er sah grandios aus, wie er da vor dem Bett stand, nur bekleidet mit einer kurzen Pyjamahose.

„Was ist, wenn ich die Situation ausnutzen möchte?“, fragte sie leise. „Du bist ein aufregender Mann, Gareth Wolff. Und bald bin ich nicht mehr hier. Kannst du mir vorwerfen, dass ich dich in meinem Bett haben will?“

Die körperliche Reaktion, die ihre Worte in ihm auslösten, war deutlich sichtbar. „Ich bin kein Mann, der Versprechungen macht“, sagte er hart. „Dir muss klar sein, dass es nicht um Romantik geht, sondern um Sex. Wir befriedigen unsere Bedürfnisse, nichts weiter.“

Es tat weh, ihn so sprechen zu hören, doch sie hatte nichts anderes erwartet. Er war ein einsamer Wolf und würde es bleiben. Illusionen durfte sie sich nicht machen. Wenngleich er anständig, großzügig und manchmal in den vergangenen beiden Tagen sogar fürsorglich gewesen war.

Sie kniete sich hin, ihrer Sache sicher. „Das verstehe ich und ich akzeptiere deine Bedingungen.“ Mit ausgestreckter Hand fügte sie hinzu: „Trotzdem will ich dich.“

Einen Moment lang herrschte atemlose Stille im Raum. Gareth stand reglos, doch als Gracie schon fürchtete, das Spiel verloren zu haben, atmete er tief durch. „Ich bin gleich wieder da.“

Damit verließ er das Zimmer, war aber in weniger als einer Minute wieder da und warf ein paar Plastikpäckchen auf den Nachttisch. Ohne weitere Umstände zog er seine Pyjamashorts aus und kniete sich vor Gracie aufs Bett.

Wie schön er war mit seiner gebräunten Haut, dem herrlich modellierten Oberkörper, den schmalen Hüften und …

„Zieh dich aus“, murmelte er rau. „Wie ich Annalise kenne, ist dieses sündige Nichts auch sündhaft teuer gewesen.“

Gracie streifte das durchsichtige Seidenteil ab. Nun trug sie nur noch einen winzigen Spitzenslip. Mit beiden Händen umfasste Gareth ihre Hüften, und dann küsste er sie, zuerst zart und lockend, bald aber tiefer und voller Verlangen. Er wusste genau, was er tat, denn schon nach kurzer Zeit stöhnte Gracie lustvoll auf und presste sich an ihn, an seine heiße Haut und an seine fordernden Lippen.

Jede Berührung ließ sie erschauern. Er roch so gut, schmeckte so gut, fühlte sich so gut an. Sie wollte mehr, mehr, immer mehr …

Sanft drückte er sie in die Kissen und schob ihre Beine auseinander.

Sofort verspannte sie sich. „Ich … ich weiß doch gar nicht, was du möchtest. Wie ich es schön für dich machen kann“, flüsterte sie.

„Dafür ist später noch Zeit“, erwiderte er und ließ einen Finger unter den Saum ihres Spitzenslips gleiten. „Viel wichtiger ist jetzt, dass ich es schön für dich mache.“

Ohne Vorwarnung zog er ihr den Slip aus und ließ seine Zunge zielgenau über ihre empfindlichste Stelle gleiten.

Gracie keuchte. „Ich … ich glaube nicht …“

„Oh, doch.“

Er wartete nicht auf ihre Erlaubnis. Gierig fuhr er fort, sie mit der Zunge zu liebkosen. Er leckte sie zunächst langsam und ausgiebig, dann schneller und härter, und genoss es zu hören, wie sich ihr Atem immer mehr beschleunigte, bis sie schließlich laut stöhnte und sich ihm voller Hingabe entgegendrängte. Als sie kam, griff sie in sein schwarzes dichtes Haar und hielt sich darin fest, weil die Gefühle, die sie fluteten, so stark waren, dass sie durch Raum und Zeit zu fallen schien.

Als die Schauer verklungen waren, kam Gareth zu ihr und nahm sie in die Arme. Am liebsten hätte sie zugleich geweint und gelacht, denn sie war in diesem Moment unendlich glücklich.

Er streichelte ihr Haar, ihren Rücken, ihren Po, doch als er merkte, dass sie fror, zog er die Decke über sie beide. „Du bist so schön“, murmelte er zärtlich. „Ich liebe es, wenn du kommst.“

„Nicht“, wehrte sie ab und verbarg das Gesicht an seiner Schulter. „Ich kann darüber nicht reden.“

Leise lachend küsste er ihre Stirn. „Heißt das, ich soll es einfach tun? Gut, dann gehorche ich.“

„Das meinte ich nicht.“

Doch ihr Protest verhallte ungehört. Rasch hatte er ein Kondom übergestreift, und dann drang er mit einem kräftigen Stoß in sie ein. Fast hätte sie aufgeschrien, denn obwohl sie so erregt war, hatte sie nicht mit seiner Größe gerechnet.

Sofort hielt er inne. „Alles okay, kleine Gracie?“

Sie nickte stumm.

Langsam, ganz langsam begann er, sich in ihr zu bewegen, doch sie schlang ihre Beine um seine Hüften und kam ihm entgegen. Schneller, schneller, hätte sie gern gefleht.

Doch er ließ sich nicht beirren und liebte sie nach seinem Geschmack, beschleunigte erst nach und nach seine Stöße, hielt immer mal wieder inne, nur um dann wieder von Neuem zu beginnen. Gracie keuchte und bewegte aufreizend ihre Hüften, um ihn anzutreiben. Sie verging fast vor Lust, näherte sich immer mehr dem nächsten Höhepunkt. Da trafen sich ihre Blicke.

„Versprich mir, dass du nichts bereuen wirst.“ Sein Atem ging rasch, und seine Augen funkelten.

„Keine Versprechen“, erinnerte sie ihn.

„Kleine Hexe.“ Er packte ihre Handgelenke und zwang ihre Arme über ihren Kopf. „Sag es“, forderte er.

Nervös fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen. „Was denn?“

„Das weißt du ganz genau.“ Er bewegte seine Hüften und stieß in sie. „Du kannst dich an deine Vergangenheit nicht erinnern, aber ich werde dafür sorgen, dass du das hier niemals vergisst, Gracie Darlington.“

Er beugte sich vor und küsste sie besitzergreifend.

Als er ihren Mund sekundenlang freigab, flüsterte sie: „Bitte, Gareth, liebe mich.“ Dabei war ihr nur zu schmerzlich bewusst, dass das Wort Liebe in dem, was sie taten, keinen Platz hatte. Doch ihr blieb keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn mit ein paar wilden Stößen brachte er sie zum Höhepunkt und folgte ihr gleich darauf in das köstliche Delirium.

Wenig später lagen sie eng umschlungen nebeneinander. „Nicht schlecht fürs erste Mal“, bemerkte er neckend.

„Hm“, meinte sie. „Andererseits: Jeder Mann kann eine Frau mit Gedächtnisverlust beeindrucken.“

Die Herausforderung gefiel ihm. Gracie Darlington war eine Kämpferin. Er drückte ihr einen Kuss ins Haar. „Komm mit mir nach Washington. Die Kirschbäume blühen.“

„Ich habe nichts anzuziehen. Jedenfalls nicht für eine Senatorenparty.“

„Annalise kann dir etwas besorgen und die Sachen ins Hotel schicken lassen. Ich rufe sie morgen früh an. Komm schon. Wir werden viel Spaß haben. Du vergisst deine Probleme, und wir malen die Stadt rot an.“

„Meine Probleme?“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Probleme, Gareth. Mir ist nur mein Leben abhandengekommen.“

„Humbug.“

„Wie mitfühlend von dir.“

„Eine meiner besten Eigenschaften.“ Er zog sie auf sich.

„Darf ich dich was fragen?“, begann sie.

„Von mir aus.“

„Warum trägst du dein Haar so lang?“

Beinah hätte er gelacht. „Gefällt es dir nicht?“

„Doch. Es wirkt total sexy. Aber mich wundert, dass du und Jacob so verschieden seid. Wahrscheinlich gibt es dafür einen Grund.“

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich aus Trotz zum Militär gegangen bin?“

„Ja. Weil du deinem Vater eins auswischen wolltest.“

„Genau. Seltsamerweise hat mir der Militärdienst gut getan. Ich war ein guter Soldat. Eines allerdings habe ich mir geschworen, als ich wieder Zivilist wurde: Ich wollte mein Haar nie wieder stoppelkurz scheren lassen.“

„Und irgendwas dazwischen?“

„Ab und zu lasse ich die Spitzen schneiden.“

„Für Washington?“

„Keinesfalls.“ Er packte mit beiden Händen ihren kleinen, festen Po. „Die Rolle, die ich für den Senator spiele, ist die des ungezähmten Wolfs im Frack. Das wird der Partytalk für den Rest der Saison.“

„Du klingst zynisch.“

„Es ist so. Die Leute mögen eine gute Story.“ Er nahm ein Kondom vom Nachttisch. „Du hast meine Frage noch nicht beantwortet, Gracie. Wirst du mit mir nach Washington fahren? Wir wohnen in diesem tollen Luxushotel neben dem Kapitol und …“

„Warst du dort schon mit anderen Frauen?“

Während er darüber nachdachte, ob sie eifersüchtig war oder noch ein anderer Grund hinter dieser Frage lauerte, streifte er das Kondom über. „Ist das so wichtig?“ Ohne auf ihre Antwort zu warten, hob er sie hoch und brachte sich in Stellung. Als er zu ihr aufblickte, sah er, dass sie lächelte. „Eigentlich nicht“, sagte sie.

„Dann kommst du also mit?“

Sie nickte und schrie leise auf, als er hart in sie eindrang.

„War das ein Ja?“ Es brauchte all seine Selbstbeherrschung, um nicht sofort zu kommen wie ein Anfänger. Gracie war ein Traum. Sie zu lieben brachte ihm eine Erfüllung, die das Körperliche weit überstieg.

„Ja“, flüsterte sie, und dann übernahm sie die Führung.

„Langsam“, bat er und hielt ihre Hüften fest. Er wollte, dass das hier niemals endete.

Gracie erschauerte, als er begann, ihr Lustzentrum zu streicheln, und als er deutlich spüren konnte, dass sie sich ihrem Höhepunkt näherte, gab auch er sich hin, und diesmal verloren sie sich beide gleichzeitig in nicht enden wollender Ekstase.

8. KAPITEL

„Bist du verrückt geworden?“

Gareth sah die Missbilligung im Blick seines Bruders. Sie saßen in Jacobs Büro, von dem aus man durch das Panoramafenster einen wunderbaren Blick auf den Wald hatte. Regentropfen prasselten gegen die Scheiben. „Was ist so schlimm daran?“, fragte er. „Sie setzt sich zu stark unter Druck. Ein Trip nach Washington wird sie auf andere Gedanken bringen.“

„Wenn du ihr nicht traust, kann sie auch bei mir wohnen, bis du wiederkommst.“

„Darum geht es doch gar nicht“, protestierte Gareth. „Jedenfalls nicht in erster Linie.“

„Du kannst jemanden, der unter Gedächtnisverlust leidet, nicht einfach in der Welt aussetzen“, wandte Jacob ein.

„Sie erinnert sich an alle lebensnotwendigen Dinge.“

„Du willst mich missverstehen, nicht wahr? Gracie ist in ihrem Zustand sehr verletzbar. Sie ist völlig durcheinander, auch wenn sie es nicht zeigt.“

Das schlechte Gewissen nagte an Gareth. „Dein Rat kommt zu spät“, bekannte er reuig. „Gestern Abend haben wir … uns unterhalten. Mit ihrer ausdrücklichen Einwilligung.“

„Du meine Güte!“, entfuhr es Jacob. „Du hast mit ihr geschlafen! Wie konntest du so was bloß tun?“

Jacob zu widersprechen, hätte nichts gebracht, weil er einfach recht hatte. „Es ist halt passiert“, murmelte Gareth.

Was nicht ganz stimmte, denn schon am ersten Tag, an dem Gracie auf seiner Türschwelle aufgetaucht war, hatte er sie begehrt. Ihr Lächeln, ihre Stimme, wie sie sich bewegte, die Kraft, mit der sie sich gegen das Unheil stemmte, das sie heimgesucht hatte – all das weckte in ihm Gefühle, die er lange, viel zu lange unterdrückt hatte. Obwohl es durchaus sein konnte, dass ihre Motive nicht ganz rein waren, wollte er sie haben. Zumindest fürs Erste.

Jacob sah ihn immer noch vorwurfsvoll an.

„Sie hatte einen Albtraum“, verteidigte sich Gareth. „Ich habe sie getröstet.“

„Das ist die dümmste Ausrede, die ich je gehört habe. Du hättest ja wieder gehen können. Stattdessen vögelst du sie.“

„Sie wollte es.“

„Und du konntest nicht Nein sagen?“

„Ich habe es versucht, aber sie kann sehr überzeugend sein.“

Jacob hob geschlagen die Hände. „Ich gebe auf. Offensichtlich hast du den Verstand verloren. Aber ich schwöre dir – wenn der Karren dann irgendwann richtig im Dreck steckt, brauchst du nicht zu erwarten, dass ich ihn rausziehe.“

Gareth rieb sich den Nacken. „Sie wird bald nach Hause fahren. Wenn wir aus Washington zurück sind. Sie möchte, dass ich sie heimbringe.“

„Und du?“

„Ich habe zugesagt.“

„Du weißt ganz genau, wie sehr sie sich fürchtet.“

„Allerdings. Aber wir wissen immer noch nicht, weshalb sie überhaupt hierhergekommen ist. Und was ihr Vater mit all dem zu tun hat.“

„Sie wirkt auf mich nicht wie eine Bedrohung“, sagte Jacob. „Selbst wenn sie eine Journalistin wäre – was könnte sie schon über uns berichten? Du hast sie ja noch nicht einmal unserem Vater vorgestellt. War das übrigens Absicht?“

„Allerdings.“ Gareth trat zu seinem Bruder ans Fenster. Draußen wiegten sich die Bäume im Wind. „Es geht ihm ja nicht besonders gut. Und Gracies Aufenthalt hier ist nur vorübergehend. Ich wollte ihn damit nicht behelligen.“

„Wo ist sie jetzt?“

„Sie hat vorhin noch geschlafen, aber ich werde mal nach ihr schauen.“

„Wenn sie mit dir nach Washington fahren will, kann ich sie nicht daran hindern. Aber sei vorsichtig, Gareth.“

„Ich habe alles unter Kontrolle. Mach dir keine Sorgen.“

Als Gracie am späten Vormittag erwachte, kam ihr das, was in der Nacht geschehen war, zuerst wie ein wilder, erotischer Traum vor. Doch dann fiel ihr Blick auf das zerdrückte Kissen neben ihr.

„Gareth?“

Keine Antwort. Aber es war ja auch schon fast Mittagszeit. Kein Wunder, dass Gareth bereits unterwegs war. Nett von ihm, mich ausschlafen zu lassen, dachte sie und ging duschen.

Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, zog sie eines der hübschen Outfits an, die Annalise mitgebracht hatte – marineblaue Caprihosen, eine weiße, ärmellose Tunika und dazu rote Ballerinas. Während sie sich ankleidete, dachte sie über Gareths Vorschlag nach, mit nach Washington zu fahren. Der Ausflug reizte sie, doch sie war entschlossen, danach nach Hause zurückzukehren. Es war Zeit, ihr Leben wieder in den Griff zu kriegen. Das hieß auch, die Konfrontation mit ihrem Vater zu suchen.

Sie frühstückte nur ein kleines Müsli mit Joghurt, kramte dann ihr Handy aus der Handtasche und schaltete es ein. Der Empfang war mäßig, und die Batterie halb leer. Langsam durchsuchte sie ihre Kontakte, bis sie den Eintrag „Daddy“ fand. Mit Herzklopfen rief sie ihn an.

„Sie haben die Mailbox von Edward Darlington erreicht, Eigentümer und Geschäftsführer der Darlington Gallery in Savannah, Georgia. Ich bin zurzeit nicht im Büro, und die Galerie ist geschlossen. Nächste Woche öffnen wir wieder. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Signalton. – Oh, Gracie, wenn du das bist: Niemals aufgeben, Baby. Du schaffst es. Mach, dass ich stolz auf dich sein kann.“

Es piepte, und Gracie legte auf. Verdammt, was meinte ihr Vater damit? Warum hatte er sie in die Wolff Mountains geschickt. Und ausgerechnet zu Gareth Wolff?

Sie schloss die Augen und versuchte, sich auf die Stimme ihres Vaters zu konzentrieren. Fragmente einer Unterhaltung kamen ihr in den Sinn. Das Gefühl, ihrem Vater einen Gefallen tun zu wollen. Aber warum? Weil sie es für ihre Pflicht hielt? Oder aus einem nicht ganz so selbstlosen Grund? Jetzt sah sie schemenhaft Bilder vor sich. Räume, in denen Gemälde hingen. Aber vielleicht erfand sie das ja auch gerade aus reiner Verzweiflung.

Wieder wandte sie sich den Einträgen in ihrem Telefonbuch zu, weil sie hoffte, dass irgendein Name vertraut sein würde. Doch die Leute in der Liste waren ihr fremd. Selbst die E-Mails, meist geschäftlicher Natur, sagten ihr nichts.

Sie musste aufhören, sich so zu stressen, hatte Gareth gesagt. Sie sehnte sich plötzlich nach ihm, stand auf und ging ihn suchen.

In der Küche war er nicht, auch nicht im Wohnzimmer. Sein Schlafzimmer war leer und perfekt aufgeräumt. Die „stille Armee“ ist wieder am Werk gewesen, dachte sie schmunzelnd.

Ehe sie nach draußen ging, zog sie eine Strickjacke über, denn es war düster geworden, und dicke schwarze Wolken ballten sich am Himmel. Fröstelnd rannte sie hinüber zur Werkstatt, doch die Türen waren geschlossen. Als sie durch eines der Fenster spähte, entdeckte sie nur den Hund, der auf seiner Decke lag, kurz den Kopf hob, gähnte, und sofort wieder einschlief. Offensichtlich kein Wachhund.

Es roch nach Regen, und Gracie fühlte sich unbehaglich, hier, mitten in der Wildnis, ohne eine Menschenseele. Was wusste sie schon von Gareth Wolff?

Eine Windböe erfasste sie, und die ersten Regentropfen klatschten ihr ins Gesicht. Also rannte sie wieder hinüber zum Haus, schloss die schwere Tür hinter sich und lehnte sich dagegen. Was nun?

Unentschlossen wanderte sie durch die Flure und Zimmer, betrachtete Gemälde, Skulpturen und Wandteppiche. Was fehlte, waren Fotos. Nicht einmal in Gareths privatestem Bereich gab es ein Familienbild. Das ganze Haus war durchgestylt und wirkte kalt.

Am gemütlichsten schien ihr noch die Küche mit all den kupfernen Pfannen und Töpfen, ordentlich aufgehängt, daneben Knoblauchstränge und getrocknete Tomaten. Hinter den Edelstahlgeräten sorgten farbenfrohe Kacheln für etwas Atmosphäre. Aber am Kühlschrank fehlten die üblichen Zettel, Magnete, Postkarten und Fotos.

Gareth war immer noch nicht wieder aufgetaucht.

Draußen heulte der Sturm ums Haus, es blitzte, und sofort folgte krachender Donner. Immerhin bin ich bei Gewitter nicht ängstlich, stellte Gracie zufrieden fest.

Eigentlich wäre so ein Tag perfekt gewesen, um im Bett zu bleiben und Liebe zu machen. Mit Gareth. So wie gestern Nacht. Andererseits – war sie nicht völlig verrückt gewesen, sich darauf einzulassen? Ihn auch noch darum zu bitten? Jetzt war es ihr fast peinlich, und eigentlich war sie ganz froh, Gareth gerade nicht begegnen zu müssen.

Schließlich landete sie in der Bibliothek, einem wunderschönen Raum mit deckenhohen Bücherregalen auf niedrigen Einbauschränken. Gracie überflog die Buchtitel und bemerkte, dass die Werke nach Kategorien geordnet waren. Der wilde, unkonventionelle Gareth Wolff hatte offenbar einen Sinn für Ordnung.

Eine halbe Stunde lang blätterte sie unentschlossen in mehreren Bänden, aber sie konnte sich nicht auf das Geschriebene konzentrieren. Selbstvergessen öffnete sie einen der niedrigen Einbauschränke, fand darin aber nichts Bemerkenswertes. Nur alte Zeitschriften, Briefpapier und Kuverts, dazu ein paar Eintrittskarten für Baseballspiele.

Im nächsten Schrank wurde sie allerdings fündig. Sie entdeckte jene Fotografien, nach denen sie unbewusst gesucht hatte. Wertvolle, ledergebundene Alben, geprägt mit goldenen Jahreszahlen, alle aus den Achtzigern des vergangenen Jahrhunderts.

Obwohl ihr klar war, dass sie etwas Verbotenes tat, siegte ihre Neugier. Sie zog ihre Schuhe aus, ließ sich mit drei der Alben auf dem Sofa nieder, wickelte sich in eine Decke und begann zu blättern. Bald schon wünschte sie sich, sie hätte es nicht getan. Irgendjemand hatte jedes kleinste Detail der Tragödie, welche die Familie Wolff ereilt hatte, dokumentiert.

Die Zeitungsausschnitte reichten von der New York Times bis zu den grellsten Boulevardblättern. Manche Artikel waren seriös geschrieben, viele aber ergingen sich in wilden Spekulationen. Ein Foto berührte Gracie besonders stark. Es zeigte zwei erwachsene Männer, etwa gleich groß und vom gleichen Habitus, und zwischen ihnen stand ein kleiner Junge. Das Bild war sehr körnig und vermutlich mit einem Teleobjektiv aufgenommen. Denn wie anders war zu erklären, dass die Presse bei der Beerdigung von Gareths Mutter dabei gewesen war?

Die Schlagzeile lautete: „Die Finanzmagnaten Victor und Vincent Wolff trauern um ihre Ehefrauen, gemeinsam mit dem sieben Jahre alten Sohn und Neffen, Gareth Wolff.“

Tränen rollten über Gracies Wangen. Wie entsetzlich. Wie tragisch. Trotzdem las sie weiter.

Bei einer spektakulären Geiselnahme, die in ihrer Brutalität selbst Polizei und Staatsanwaltschaft hilflos wirken ließ, wurden die Ehefrauen der Multimillionäre Victor und Vincent Wolff am helllichten Tag bei einer Einkaufstour in Charlottesville, Virginia, gekidnappt. Drei Tage lang meldeten sich die Entführer nicht zu Wort, dann kam eine Geldforderung. Doch obwohl die Wolffs die Summe – vermutlich drei Millionen Dollar – sofort übergaben, wurden die Frauen mit Kopfschüssen regelrecht hingerichtet. Ihre Körper fand man wenig später in einem leer stehenden Kaufhaus in der Nähe von Washington. Wer Informationen liefern kann, die zur Ergreifung der Täter führen, erhält eine hohe Belohnung.

Zitternd saß Gracie auf dem Sofa und verwünschte ihre Neugier. Doch dann fragte sie sich, wer diese Alben wohl angelegt haben mochte. Wer wollte diese furchtbaren Erinnerungen noch nach so langer Zeit bewahren?

Ein paar Artikel berichteten davon, dass die Wolffs nach der Tragödie ihre Villen verkauft hatten, um sich in den Bergen einzuigeln. Ihre Kinder wuchsen mit Privatlehrern auf und hatten kaum Außenkontakte.

Kein Wunder, dass Gareth so heftig reagiert hatte, als Gracie auf seinem Grund und Boden aufgetaucht war.

Aufgeschlagen legte sie das Album zur Seite und dachte nach. Das Kaminfeuer prasselte, aber die Wärme drang nicht bis zu ihr. Ob sie wohl eine Mutter hatte? Irgendwie fühlte es sich nicht so an. Als sie noch einmal einen kurzen Blick auf das Foto mit dem kleinen Gareth warf, flackerte sekundenlang das Bild einer anderen Beerdigung vor ihr auf. Da stand ein Mann, an seiner Hand ein kleines Mädchen. War sie das? Gab es etwa eine Gemeinsamkeit zwischen ihr und Gareth?

Gleich darauf war in ihrem Kopf alles wieder leer. Regen trommelte gegen die Fensterscheiben und verstärkte ihre Nervosität. Wo in aller Welt war Gareth abgeblieben?

Gareth sprang aus dem Jeep und rannte zum Haus. Dort schüttelte er sich, ehe er eintrat. Er war nass bis auf die Haut und hatte keine Ahnung, wie er Gracie begegnen sollte, nach allem, was letzte Nacht geschehen war.

Im Bad zog er seine nassen Klamotten aus, und als er wieder trocken war, wählte er ein weiches Flanellhemd und dazu alte Jeans. Er musste sich um die Einzelheiten seines Trips nach Washington kümmern, aber zuerst wollte er nach Gracie schauen. Wenn er ehrlich war, freute er sich darauf, sie zu sehen. Und nicht nur das. Allein der Gedanke an sie erregte ihn.

Dennoch war es vermutlich besser, sie nicht mit nach Washington zu nehmen. Um die Sache nicht noch komplizierter zu machen. Jacobs Warnung hallte in seinem Kopf wider. Was sollte er tun?

Wenig später fand er Gracie aufs Sofa gekuschelt vor dem Kaminfeuer in der Bibliothek. Als er sah, was sie gerade tat, erstarrte er.

„Was fällt dir ein?“, fuhr er sie an.

Erschrocken blickte sie auf, und er erkannte, dass sie geweint hatte. „Ich hätte es nicht tun dürfen“, flüsterte sie.

Eiskalt erwiderte er: „Das ist verdammt richtig.“

Der Ton seiner Stimme ließ Gracie erbleichen. „Es tut mir so leid.“

„Was? Dass du hier herumschnüffelst?“

Ihre Lippen zitterten. „Das … das auch. Aber das mit deiner Mutter tut mir so leid, Gareth. Du warst doch noch ein Kind.“

„Über meine Mutter rede ich nicht.“ Seit Gracie hier war, passierten ständig Dinge, die alte Wunden aufrissen. Darauf konnte er gern verzichten.

„Es ist so lange her, aber du kommst einfach nicht drüber weg, richtig?“

„Und du weißt alles über Erinnerungen, nicht wahr? Du mit deinem Gedächtnisverlust.“

Sie zuckte zusammen, aber es kümmerte ihn nicht, dass er sie verletzt hatte.

„Wer hat die Alben zusammengestellt?“, fragte sie mitfühlend.

„Ich“, schnauzte er zurück. „Ich konnte nämlich damals schon lesen. Aber das hat niemanden interessiert. Die Zeitungen lagen überall herum, und ich habe alles aufgehoben. Auch die Bilder. Von zwei toten Frauen, jede von ihnen mit einem Loch im Kopf.“

„Oh, mein Gott.“

„Ein paar Blätter erfanden sogar Geschichten über Drogen und Affären. Ich war noch viel zu klein, um die Spreu vom Weizen zu trennen und glaubte alles.“

Gracie sprang auf und ging zu ihm, doch er hob abwehrend eine Hand. „Monatelang hatte ich Schlafstörungen, bin nachts schreiend aufgewacht und habe nach meinem Vater gerufen. Aber es kam immer nur die Nanny. Mein Vater war vollkommen depressiv, unfähig, mit seiner Trauer und seinen Schuldgefühlen umzugehen.“

„Schuldgefühle?“

„Als Ehemann. Er hatte seine Frau nicht schützen können.“

„Sie war einkaufen. Das tun Millionen amerikanische Frauen jeden Tag. Man kann sich nicht gegen alles schützen, Gareth.“

„Doch. Wenn du genügend Geld besitzt, dann kannst du das. Jedenfalls haben mein Vater und mein Onkel danach beschlossen, genau dies zu tun. Wir wurden eingeschlossen, auf diesem Berg hier, und es vergingen Jahre, ehe es uns bewusst wurde. Da erst haben wir rebelliert.“

Obwohl sich alles in ihm dagegen wehrte, die alten Geschichten wieder aufzuwärmen, war da etwas in Gracies Blick, das ihn dazu gebracht hatte, sich zu öffnen. Zwar hasserfüllt und voller Zorn, aber ihm wurde klar, dass er wie ein Wasserfall geredet hatte.

Um sich zu beruhigen, goss er sich ein Glas Whisky ein und genoss das scharfe Getränk, das in der Kehle brannte. „Bist du jetzt zufrieden?“, fragte er grob. Sie sah so zart und verletzbar aus, wie sie da barfuß vor ihm stand, und ihm wurde klar, dass Jacob recht hatte. Er durfte sie nicht mit nach Washington nehmen. Zu viel konnte geschehen. Vor allem aber durfte er sich nicht in sie verlieben. Um keinen Preis.

„Nein, ich bin nicht zufrieden“, erwiderte sie sanft. „Ich wünschte, ich könnte etwas tun, damit du nicht mehr leidest.“

„Du triffst den Punkt“, sagte er hart und kippte den Whisky auf einen Zug, obwohl er selten Alkohol trank. „Während du so tust, als ginge von deinem bisschen Amnesie die Welt unter, hätte ich die Welt darum gegeben, endlich vergessen zu können.“

„Es muss entsetzlich gewesen sein.“

Ihr Mitgefühl traf ihn bis ins Innerste. Er spürte, wie die Mauern wankten, die er um sich errichtet hatte.

Wütend schleuderte er das Glas in den Kamin, hörte es zersplittern und sah den Schock in Gracies Augen. „Hau ab“, sagte er mühsam beherrscht. „Ich will dich hier nicht mehr sehen.“

9. KAPITEL

Schluchzend und halb verrückt vor Verzweiflung stolperte Gracie durch den Wald. Sie hatte keine Ahnung, in welche Richtung sie lief. Nur eines war klar: Sie musste weg hier! Im Tal würde sie Hilfe finden. Eine Polizeistation, freundliche Menschen …

Stacheliges Unterholz zerkratzte ihre Waden. Schweiß rann über ihr Gesicht. Nachdem es aufgehört hatte zu regnen, war die Sonne herausgekommen und hatte den Wald in eine dampfende grüne Sauna verwandelt.

Immer wieder rutschte Gracie auf dem schlüpfrigen Untergrund aus und fiel hin, was auf ihrer Hose braune Matschschlieren hinterließ. Als sie das nächste Mal ausglitt, verfing sich ihr Fuß in einer Wurzel.

Mit einem Aufschrei ging sie zu Boden und kauerte sich zusammen. Der Fuß tat höllisch weh. Im gleichen Moment hörte sie Schritte. Jemand fluchte. Es war unmöglich, einem Wolf zu entkommen.

Gareth durchbrach ein Rhododendron-Dickicht und wurde aschfahl, als er Gracie sah. „Verdammt, es tut mir leid, Gracie.“ Als er sich neben sie kniete, sah er ihren geschwollenen blutenden Fuß. „Oh, mein Gott!“

Ihr Zustand war ihr peinlich. „Ich habe nicht nachgedacht. Und jetzt denkst du bestimmt: was für eine blöde Kuh.“

„Unsinn“, erwiderte er, hob sie hoch, als sei sie eine Feder, und trug sie den Berg hinauf. „Ich denke: Was bin ich bloß für ein Mistkerl.“

Diesmal wurden sie von Jacob nicht so entspannt empfangen wie beim letzten Mal. Er warf Gareth einen vernichtenden Blick zu. „Du solltest dich schämen.“

Gareth hielt Gracie an seine breite Brust gepresst. „Keine Belehrungen, Jacob. Bitte kümmere dich um sie.“

Er kann tatsächlich bitte sagen, dachte Gracie. Sie zupfte ihn am Ärmel. „Lass mich runter. Es ist alles okay.“ Sie hatte keine Lust, Streitobjekt der Brüder zu sein.

Doch Gareth trug sie einfach hinüber ins Untersuchungszimmer, setzte sie auf die Liege und strich ihr übers Haar. „Soll ich hierbleiben?“

Ehe sie antworten konnte, wies Jacob zur Tür. „Nein. Wir brauchen dich hier nicht.“

Nach einem Moment drehte sich Gareth tatsächlich um und verließ den Raum.

Jacob sah Gracie prüfend an. „Alles in Ordnung?“

Sie schluckte die Tränen hinunter. „Ich … ich habe etwas ganz Dummes angestellt. Gareth trägt keine Schuld.“

„Erzählen Sie mir nichts“, gab er zurück. „Ich kenne meinen Bruder. Jetzt werde ich Sie erst mal untersuchen.“

Selbst die leiseste Berührung seiner Finger tat entsetzlich weh. Das Fußgelenk sah furchtbar aus, aber das Röntgenbild bewies, dass nichts gebrochen war. Jacob reinigte die Wunden, dann bandagierte er Fuß und Unterschenkel. Als er fertig war, sagte er: „Sie dürfen kurze Distanzen laufen, aber Sie sollten im Laufe des Tages immer wieder Eispackungen machen und den Fuß so oft wie möglich hochlegen, damit die Schwellung zurückgeht.“ Zuletzt zog er ihr noch Baumwollsocken an.

Dann setzte er sich auf einen Bürostuhl und verschränkte die Arme vor der Brust. In diesem Moment sah er seinem Bruder sehr ähnlich. „Ich möchte Sie nach Hause bringen, Gracie.“

„Das geht nicht“, flüsterte sie. „Mein Vater ist in Europa und das Haus wird umgebaut. Die Leute, die in meinem Telefonverzeichnis stehen, kenne ich nicht. Wenn ich jemanden anrufe und erzähle, was mir passiert ist, hält man mich doch für verrückt. Außerdem hat Gareth …“

„Erhoffen Sie sich nichts von Gareth. Er traut niemandem, und Liebe ist für ihn ein Fremdwort. Er war der einzige von uns, der damals alt genug war, um die Tragödie zu begreifen.“

Sie nickte traurig. „Es wird mir ganz übel, wenn ich daran denke.“

„Gareth hat alles hautnah mitbekommen. Den Verlust, dann den Medienrummel. Kieran und ich waren erst vier und fünf.“

„Aber Sie haben doch auch erfahren, dass Ihre Mutter nicht mehr kommt.“

„Na ja, es gab das übliche Märchen, dass sie jetzt im Himmel ist und uns lieb hat. Ich erinnere mich an ein paar schlimme Träume und das Gefühl, verlassen zu sein. Aber Kinder sind stärker, als man denkt. Ich habe es verkraftet. Gareth nicht.“

„Er leidet immer noch, Jacob. Ganz furchtbar.“

„Ich weiß. Und wenn Sie nicht aufpassen, wird sein Schmerz Ihnen sehr weh tun.“

„Wenn er will, kann er sehr liebevoll und fürsorglich sein.“

„Trotzdem sollten Sie nicht mit ihm nach Washington fahren, Gracie. Verlieben Sie sich nicht in ihn.“

„Das habe ich auch nicht vor“, erwiderte sie. „Mich in ihn zu verlieben, meine ich. Es würde ja auch gar nichts bringen?“

Jacob stand auf und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Sie müssen stark sein, kleine Gracie. Versuchen Sie, sich zu erinnern. Das Leben liegt noch vor Ihnen. Ich mag meinen Bruder sehr. Aber auch wenn er sich ein Märchenschloss gebaut hat, er ist kein Märchenprinz.“

Er küsste sie auf die Wange, und just in diesem Moment trat Gareth ein.

Als er den zornigen Blick seines Bruders auffing, hob Jacob lächelnd die Hand. „Als Arzt habe ich ein paar Privilegien.“

Gareth ignorierte ihn, ging zu Gracie und streichelte ihr Haar. „Hat Jacob dich verarztet?“

Sie nickte. „Ich könnte mich daran gewöhnen, meinen ganz persönlichen Doktor um die Ecke zu haben“, bemerkte sie, doch ihr Scherz verpuffte.

Schwungvoll hob Gareth sie hoch. „Du hast was gut bei mir, Jacob.“

Jacob folgte ihnen nach draußen. „Eispackungen, Gracie“, riet er noch mal, als Gareth sie in den Jeep setzte. „Den Fuß hochlegen. Unbedingt.“

Mit einem warmen Lächeln verabschiedete sich Gracie von ihm. „Danke, Jacob. Sie sind ein prima Doc.“

„Wenn er so gut wäre, hätte er deinen Gedächtnisverlust kuriert“, schnaubte Gareth und ließ den Motor an.

„Gareth!“ Sie boxte gegen seinen Arm.

„Jacob weiß, dass ich nur Spaß mache.“

„Er ist mein großer Bruder“, rief Jacob und winkte. „Ich bin das gewöhnt.“

Wieder zu Hause angelangt, trug Gareth sie in ihr Zimmer und legte sie sanft aufs Bett. „Ich mache dir was zu essen.“

Während sie nichts tat als dazuliegen und die Maserung der Deckenbalken zu studieren, bereitete Gareth Sandwiches mit Truthahn und Provolone-Käse zu, stellte die Teller auf ein Tablett und eine kleine Vase mit einer einzelnen Rose dazu. Zurück im Schlafzimmer breitete er eine Serviette auf Gracies Schoß aus und reichte ihr ein Glas Limonade. Durstig trank sie, wehrte aber ab, als er einen Teller auf die Serviette stellte. „Ich habe keinen Hunger.“

„Du musst aber was essen, sagt der Doc.“

Resigniert biss sie in das Sandwich und kaute folgsam, doch sie bekam nur wenig runter. Schließlich legte sie es beiseite. „Es tut mir leid, Gareth. Wirklich. Ich bin in dein Leben geplatzt und bringe alles durcheinander. Wäre es nicht besser, Jacob brächte mich nach Hause?“

Er wischte ihr zärtlich einen Krümel aus dem Mundwinkel. „Hat Jacob dir das eingeredet?“

„Dein Bruder will dich nur schützen.“

„Dich ebenfalls, scheint mir.“

„Nur, was seine Pflicht als Arzt betrifft. Du bist ihm viel wichtiger.“

„Ich bin erwachsen, Gracie, und ich kann für mich selbst einstehen. Es bleibt bei unserem Plan. Wir werden ein paar Tage in Washington verbringen, und danach, falls dein Vater wieder da ist, bringe ich dich nach Savannah.“ Er seufzte tief, wandte sich ab und stützte den Kopf in die Hände. „Ich schulde dir eine Erklärung.“

Sanft strich sie über seine Schulter und spürte, wie verspannt er war. „Du schuldest mir überhaupt nichts.“

Doch Gareth sprang auf und begann, in dem eleganten Schlafzimmer auf und ab zu tigern. „Du bist die Einzige, die diese Alben jemals gesehen hat“, bekannte er.

„Wie ist das möglich? Du hast sie ja nicht gerade versteckt.“

Er schob die Hände in die Taschen seiner Jeans und blieb vor dem Bett stehen. Mit seiner männlichen Ausstrahlung und seinem schönen herben Gesicht raubte er Gracie fast den Atem. „Jahrelang hatte ich die Zeitungsausschnitte in Kartons unter dem Bett stehen. Als ich vierzehn war, bat ich meinen Hauslehrer, mir Alben zu besorgen. Er war nett, einer der besten Lehrer, die ich hatte. Ich mochte ihn. Aber dann hat er geheiratet und ist weggezogen …“

Schweigend wartete Gracie darauf, dass er weitersprach.

„Nach und nach füllte ich die Alben, ordnete alles nach Datum. Wahrscheinlich hat es mir alles andere als gut getan. Doch ich konnte nicht anders. Eines Tages überraschte mich mein Vater bei meiner Tätigkeit. Voller Wut verlangte er von mir, die Alben zu vernichten. Er ließ unsere Haushälterin kommen, damit sie mir die Sachen wegnahm.“

„Oh, Gareth …“

„Ich bettelte und flehte, aber mein Vater begriff nicht, dass diese Papierschnipsel alles waren, was mir von meiner Mutter geblieben war.“

„Was passierte dann?“

„Die Haushälterin bewahrte die Alben heimlich auf. Sie war ein Schatz. Als ich einundzwanzig wurde, gab sie sie mir zurück. Ich sei nun alt genug, um zu wissen, was mit ihnen geschehen sollte.“

„Und du hast sie aufbewahrt.“

„Ich habe sie zumindest nicht weggeworfen, obwohl es vielleicht besser gewesen wäre. Aber ich hätte das Gefühl gehabt, das Andenken meiner Mutter zu schänden.“

„Was aber nicht der Fall gewesen wäre.“

„Vom Verstand her war mir das klar, aber emotional brachte ich es nicht fertig. Das Einzige, was ich schaffte, war, sie nie wieder anzuschauen. Wie ein trockener Alkoholiker, der eine einzige Flasche Gin aufbewahrt, zum Beweis, dass er das Zeug nicht mehr nötig hat.“

„Und als du heute in die Bibliothek kamst …“

„Habe ich dich da sitzen sehen mit dem Album auf dem Schoß. Selbst aus der Entfernung konnte ich das Foto erkennen. Ich bin durchgedreht, und es tut mir leid.“

Mühsam, doch entschlossen, kletterte Gracie aus dem Bett und umarmte ihn. Er kam ihr keinen Millimeter entgegen, doch sie legte den Kopf an seine Brust. „Wenn du dich noch einmal entschuldigst, kriegst du eine Ohrfeige.“

Er grinste. „Das wäre aber eine drastische Maßnahme.“ Jetzt erst entspannte er sich und nahm sie in die Arme. „Du brauchst keine Angst vor mir zu haben, Gracie. Ich bin nicht verrückt. Ehrlich.“

Lächelnd löste sie sich von ihm. „Das hat auch niemand behauptet.“

„Wenn du willst, schmeiße ich die Alben weg.“

Hieß das, er vertraute ihrem Urteil? Wow, das war gewaltig. „Ich finde, sie sind da in dem Schrank gut aufgehoben“, meinte sie. „Soll ich sie für dich wieder einräumen?“

„Schon passiert“, erwiderte er und beantwortete sofort ihre unausgesprochene Frage: „Nein, ich habe nicht reingeschaut.“

„Denkst du nicht, dass du es heute verkraften würdest?“

„Schon, aber es ist nicht mehr wichtig. Meine Brüder, meine Cousins und ich, wir haben die Vergangenheit hinter uns gelassen.“

Vielleicht war es Zeit für sie, dasselbe zu tun? Sie nahm ihr Handy, drückte die Lautsprechtaste, und spielte die Mobilbox ihres Vaters ab. „Hör dir das an.“

„Sie haben die Mailbox von Edward Darlington erreicht, Eigentümer und Geschäftsführer der Darlington Gallery in Savannah, Georgia. Ich bin zurzeit nicht im Büro, und die Galerie ist geschlossen. Nächste Woche öffnen wir wieder. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Signalton. – Oh, Gracie, wenn du das bist: Niemals aufgeben, Baby. Du schaffst es. Mach, dass ich stolz auf dich sein kann.“

Gareths Miene verdüsterte sich. „Ich gestehe, ich bin kein großer Fan deines Vaters.“

„Was könnte er wollen? Bist du vielleicht neben deiner Arbeit als Möbeldesigner auch Maler?“

„Nein.“ Einen Moment lang schien er zu überlegen, doch dann schüttelte er den Kopf. „Keine Ahnung, was er von mir will. Er besitzt eine Galerie. Vielleicht ist er ein Typ wie der Senator und glaubt, dass ein Auftritt von mir bei einer Vernissage den Umsatz ankurbelt.“

„Das ergibt aber keinen Sinn, wir kannten uns ja vorher überhaupt nicht. Meine Art, hier bei dir aufzutauchen, war alles andere als professionell. Vermutlich weiß mein Vater ganz genau, dass du grundsätzlich nein zu allem gesagt hättest.“

„Vielleicht dachte er, du würdest mich mit deinem Charme rumkriegen. Immerhin bist du ziemlich niedlich.“

„Wie bitte?“, protestierte sie.

Er überraschte sie mit einem heißen Kuss. „Männer sind schwach“, murmelte er und verteilte kleine Küsse auf ihrem Hals. „Wahrscheinlich ist dein Dad viel klüger, als wir glauben.“

Plötzlich kam ihr eine Idee. „Warte mal.“ Sie nahm ihr Handy. „Es gibt ein paar alte Nachrichten auf meiner Mailbox. Von Kunden. Könnte es sein, dass mein Vater dir irgendwas verkaufen wollte?“

„Was weiß ich?“, rief Gareth entnervt. „Ich wünschte, es wäre so. Aber wir werden es herausfinden, das verspreche ich dir.“

10. KAPITEL

Gracie erholte sich schnell. Drei Tage später schmerzte ihr Fußgelenk zwar noch, aber sie konnte es wieder normal gebrauchen. Ihr Kopf tat überhaupt nicht mehr weh, und all die Schrammen und blauen Flecken waren kaum noch sichtbar.

Auf Gareths Gesellschaft musste sie jedoch weitgehend verzichten. Er war meist in seiner Werkstatt und vermied es, Gracie zu begegnen. Wenn sie doch einmal zusammentrafen, war er schweigsam und mürrisch, als täte es ihm leid, sich ihr gegenüber geöffnet zu haben.

Immerhin aßen sie abends zusammen, doch auch da blieb Gareth reserviert und sprach nur das Nötigste. Nachdem sie einen Tag auf diese Weise verbracht hatte, zog sich Gracie zurück und tat so, als habe sie Gareth Wolff niemals nackt gesehen.

Ihre Zeit verbrachte sie damit, sich mittels Zeitungen, Zeitschriften und dem Internet über die Welt da draußen im Allgemeinen und ihr eigenes Leben im Besonderen zu informieren. Dabei fand sie heraus, dass es eine Webseite der Darlington-Galerie gab. Allerdings tauchte Gracies Name dort nirgends auf. Die Galerieräume kamen ihr vage bekannt vor, doch selbst das Foto mit dem Porträt ihres Vaters verschaffte ihr wenig Erkenntnis, nur ein gewisses Unbehagen.

Wenn sie Artikel über Savannah fand, die alte Stadt in den ehemaligen Südstaaten, blitzte manchmal so etwas wie Erinnerung auf, und sie war sicher, dass irgendwo in den verborgenen Tiefen ihres Gehirns alle Informationen schlummerten. Sie musste wohl einfach warten und Geduld haben.

Doch wenn sie nachts im Bett lag und sich nach Gareth sehnte, warf sie sich unruhig hin und her. Sobald ihre Erinnerung wieder vorhanden war, würden sich ihre und Gareths Wege für immer trennen. Solange sie an Gedächtnisverlust litt, konnte sie Gareths Nähe immerhin noch eine Weile genießen – wenn er es zuließ.

Am vierten Morgen nach dem Desaster mit den Fotos erschien Gareth in der Bibliothek, wo Gracie gerade nach einem Buch suchte, das ihrer Erinnerung auf die Sprünge helfen könnte. Er blieb in der Tür stehen. „Wir brechen um zwölf Uhr auf. Ist das okay für dich?“

Gracie sah die dunklen Schatten unter seinen Augen und vermutete, dass er in den vergangenen Tagen ebenso wenig Schlaf gefunden hatte wie sie, nur aus anderen Gründen. „Bringt Jacob uns zum Flughafen?“

Er schien amüsiert. „Nein.“

„Fahren wir mit dem Auto?“

„Nein.“

Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Wie kommen wir dann nach Washington?“

Grinsend antwortete er: „Das wirst du bald sehen.“ Es machte ihm Spaß, sie ein wenig zu necken. Ihre zart geröteten Wangen und die Verwirrung in ihren Augen wirkten so verführerisch, dass er Gracie am liebsten geküsst hätte. „Dein Koffer ist vorhin geliefert worden. Annalise wollte ihn nicht direkt ins Hotel senden, damit er nicht aus Versehen verloren geht. Sie hat mir versichert, dass du darin Sachen für jeden erdenklichen Anlass findest – außer vielleicht für ein Dinner im Weißen Haus.“

„Was soll ich auf der Reise tragen?“

„Etwas Bequemes. Schick, aber lässig. Annalise hat noch eine Reisetasche geschickt. Wahrscheinlich findest du darin das Richtige.“

Nervös erwiderte Gracie: „Ich weiß nicht, ob ich genügend Geld besitze, um dir das alles zurückzuzahlen. Deine Cousine hat sicher Tausende von Dollar ausgegeben.“

„Meine Güte, das ist doch egal. Ich besitze genug Geld, um dich für jeden Tag deines Lebens mit einem neuen Outfit auszustatten. Vergiss es einfach.“ Er kam auf sie zu, nahm ihre Hand, zog sie nach draußen in den Flur, machte die Tür zu und drückte Gracie dagegen.

Doch obwohl er sie mit seiner schieren Größe beeindruckte, wollte sie immer noch weiter diskutieren. Gareth stoppte sie auf die einfachste Weise. „Pst, Gracie“, murmelte er, ehe er sie küsste. Als er spürte, dass sie sich entspannte, flüsterte er: „Ich habe dich vermisst.“

Zärtlich knabberte sie an seiner Unterlippe. „Ich war nicht diejenige, die sich versteckt hat.“

„Ich habe gearbeitet“, verteidigte er sich. „Es tut mir leid, wenn du dich vernachlässigt gefühlt hast. Am Wochenende werde ich es wieder gutmachen.“

Sie schloss die Augen und lächelte. „Irgendjemand hat mich sicher mal vor Männern wie dir gewarnt.“

„Ich bin ganz harmlos.“ Ihre rosa Lippen waren so einladend, ihr Lachen so fröhlich, dass er sich hinreißen ließ, sie noch einmal zu küssen. Tagelang hatte er sich danach gesehnt, hatte kaum ein Auge zugemacht vor Lust.

Er packte ihren kleinen festen Po. „Ich muss dir trotzdem etwas sagen.“

„Was?“, erkundigte sie sich und presste ihre Hüften gegen ihn.

„Ich habe im Hotel zwei Zimmer für uns gebucht, damit du nicht als meine Geliebte giltst. Du hast jegliche Freiheit, nein zu sagen.“

Sie hob den Kopf und sah ihn forschend an. „Du meinst das ernst“, konstatierte sie.

„Jacob hatte mich in der Mangel“, bekannte er und zwirbelte eine ihrer roten Locken. „Ich glaube, ich sollte dich vor mir beschützen.“

„Schaffst du das denn?“

„Vermutlich nicht.“ Er küsste sie erneut. „Ich möchte einfach nicht, dass du mich hasst, wenn das alles vorbei ist.“

„Aber du hast doch nichts Unrechtes getan.“

„Wir hätten nie miteinander schlafen dürfen.“

„Das war meine Idee. Und ich habe mich bereits entschuldigt“, sagte sie trotzig.

Er erkannte, dass er sie verletzt hatte. „Du sollst dich für nichts entschuldigen. Aber du sollst auch nichts bereuen. Ich will dich, Gracie.“ Mit beiden Händen packte er sie, hob sie hoch und ließ sie spüren, wie erregt er war.

Gracie schlang die Beine um seine Hüften. „Ich will dich auch, Gareth. Und du weißt genau, dass der Trip nach Washington nicht platonisch sein wird. Wir beide wissen es. Aber es wäre nett, wenn du dich ein bisschen mehr darüber freuen würdest.“

„Ich freue mich aber nicht“, gab er zerknirscht zu und küsste sie kurz und heftig. „Du hast mein Leben völlig durcheinandergebracht, Gracie. Jetzt stelle ich Dinge infrage, über die ich mir noch nie vorher Gedanken gemacht hatte.“

Indem sie den Kopf in den Nacken legte, bot sie ihm ihren schlanken Hals und er verteilte hungrige Küsse auf der zarten Haut. „Wenn ich weg bin, ist alles wieder beim Alten“, flüsterte sie.

„Gut …“, murmelte er voll unterdrückter Leidenschaft, stellte Gracie auf die Füße und streifte ihr ohne Zögern Jeans und Slip ab.

„Gareth“, protestierte sie, aber sie wehrte sich nicht im Geringsten.

„Arme hoch“, befahl er.

Sie gehorchte. „Aber wenn jemand kommt?“

„Niemand kommt. Wir sind allein.“ Sobald Gracie nackt vor ihm stand, trat er einen Schritt zurück, um sie besser betrachten zu können. Schmale Taille, weibliche Hüften. Kleine, feste Brüste und ein niedliches Dreieck aus rotgoldenen Locken zwischen den glatten, schlanken Schenkeln.

Sie bedeckte ihre Brüste mit den Händen. „Ich bin nackt, und du bist vollständig angezogen. Das ist mir peinlich.“

Er schob eine Hand beiseite und strich zärtlich über eine Knospe. Fasziniert beobachtete er, wie sie sich sofort aufrichtete. „Gleich bin ich auch nackt. Aber zuerst will ich den Anblick genießen.“ Als er sich vorbeugte, eine harte Brustspitze zwischen die Lippen nahm und daran saugte, stöhnte Gracie lustvoll auf.

Sie schob ihre Hände in sein Haar und zog ihn noch näher zu sich. „Sollten wir nicht lieber ins Schlafzimmer gehen?“

„Keine Zeit.“ In Sekundenschnelle hatte er sich ausgezogen und war froh, in seiner Hosentasche ein Kondom zu finden.

Gracie strich über seine Wange. „Ich bin verrückt nach dir“, gestand sie. „Ich kann es kaum erwarten. Wenn du mich anschaust, vergehe ich.“

„Ich brauche dich, Gracie.“ Er hob sie hoch, presste sie gegen die Tür und drang fast mühelos in sie ein, so bereit war sie für ihn. Zum ersten Mal in seinem Leben hätte er gern ohne Kondom mit einer Frau geschlafen, um ganz mit ihr zu verschmelzen.

Während er begann, sich langsam in ihr zu bewegen, beschleunigte sich ihr Atem. „Ich werde es nie vergessen“, flüsterte sie rau. „Ich werde dich nie vergessen.“

„Nicht reden, Gracie. Ich will, dass es schön für dich wird.“

Er liebte sie hart und schnell, wieder und wieder prallte Gracies Rücken gegen die Tür, und jeder Stoß steigerte ihre Erregung, ließ sie lauter stöhnen. „Gareth, Gareth, Gareth“, seufzte sie rhythmisch und schloss die Augen, als er sie erbarmungslos dem Höhepunkt entgegentrieb.

Bald spürte er, wie sich ihr Körper spannte, hörte ihre hemmungslosen Schreie, und im gleichen Moment, in dem er kam, verging sie in seinen Armen.

Kurz darauf trug er sie hinüber in sein Schlafzimmer, immer noch mit ihr verbunden, auf eine Weise, die tiefer ging als die Leidenschaft, die sie gerade miteinander erlebt hatten.

Gedächtnisverlust hin oder her – Gracie war sich sicher, dass kein Mann zuvor solche Gefühle in ihr geweckt hatte. Es war so ein unglaubliches Glück, das sie in Gareths Armen empfand. Jetzt, in diesem Augenblick, gehörte er ihr. An die Zukunft ohne ihn wollte sie nicht denken.

Als sie im Bett lagen, warf sie einen Blick auf den Digitalwecker. „Wir kommen zu spät.“

Er folgte ihrem Blick. „Dann müssen sie halt warten.“

„Wer?“

Seine Antwort war ein unverständliches Murmeln, dann war er eingeschlafen. Gracie erlaubte sich eine Minute Kuscheln, dann stand sie leise auf und ging in den Flur. Dort lagen ihre Kleider wild verstreut. Sie sammelte ihre Sachen ein und eilte in ihr Zimmer. Schnell unter die Dusche, dann umziehen, war die Devise.

Sie wählte einen marineblauen Hosenanzug aus Shantungseide, dazu eine helle Seidenbluse mit feinen blauen Nadelstreifen. Annalise hatte sogar an einen Kosmetikkoffer gedacht, der alles Notwendige enthielt. Sie schminkte sich, packte ihre Sachen zusammen und ging ins Wohnzimmer, wo sie eine Weile untätig herumsaß und auf Gareth wartete.

Er ließ sie allerdings nicht lange schmoren. „Du warst plötzlich weg“, beschwerte er sich.

„Weil du gesagt hast, wir starten um zwölf. Ich musste mich umziehen.“

Aufmerksam musterte er sie und nickte anerkennend. „Annalises Geschmack ist unfehlbar, aber ich mag dich noch lieber nackt.“

Sie errötete, sagte aber nur: „Der große Koffer ist noch in meinem Zimmer. Alles andere habe ich hier.“

Wenig später hatte Gareth das ganze Gepäck im Jeep verstaut, und sie fuhren los. Gracie spähte zu ihm hinüber. Wie gut er aussah in der schwarzen Hose und dem blütenweißen Hemd mit offenem Kragen und hochgekrempelten Ärmeln. Einfach sexy.

Diesmal nahmen sie nicht den Weg zu Jacobs Haus, sondern fuhren den Berg hinauf. Als sie das große Anwesen passierten, das, wie Gracie ahnte, Gareths Vater gehören musste, stockte ihr der Atem. Es war ein fantastisches Gebäude, fast Ehrfurcht gebietend. Ihr war klar, weshalb Gareth sie seinem Vater bisher nicht vorgestellt hatte. Er misstraute ihr, und das tat weh.

Als es noch steiler bergauf ging, fasste sie nach dem Haltegriff. „Dass sich da oben eine Landebahn befindet, kannst du mir nicht weismachen.“

Gareth warf ihr einen amüsierten Blick zu. „Will ich auch gar nicht.“

Gleich darauf war Gracie schlauer. Auf einer Lichtung stand ein Helikopter, die Aufschrift lautete: „Wolff and Sons, Inc.“

„Gareth?“, begann Gracie zögernd, doch er ließ ihr keine Zeit für Fragen.

„Los, komm.“

Ein uniformierter Mann begrüßte sie respektvoll und verstaute das Gepäck. Am Rand des Landeplatzes stand der Pilot. Er winkte ihnen zu und rauchte in aller Seelenruhe seine Zigarette zu Ende. Dann kletterte er in den Hubschrauber und startete die Rotoren. Gareth half Gracie beim Einsteigen und zeigte ihr, wie sie sich anschnallen musste.

„Hier, setz die auf“, sagte er und gab ihr große Kopfhörer, die das ohrenbetäubende Geräusch der Rotoren dämpfen würden. Gracie gehorchte und konnte nun auch die Gespräche zwischen Pilot, Kopilot und Gareth hören.

Der Ton zwischen den Männern war entspannt, es wurde sogar gescherzt, doch es war klar, wer der Boss war. Gareth.

Ohne Vorwarnung hob sich der Helikopter in die Luft, und einen Augenblick lang bot sich Gracie ein atemberaubender Blick auf die Villa und die umgebenden Wälder, ehe sie mit hoher Geschwindigkeit nordwärts flogen. Unter ihnen lagen die fruchtbaren Felder Virginias, bunt wie eine Patchworkdecke. Von hier oben wirkten die Autos klein wie Ameisen. Nachdem Gracie ihre anfängliche Furcht überwunden hatte, konnte sie die Aussicht genießen.

Der Kopilot reichte zwei Lunchpakete nach hinten. Während Gareth sein Sandwich und den Salat rasch verspeiste und dazu ein Ingwerbier trank, knabberte Gracie nur an ihrem Schokoladenbrownie und nippte hin und wieder an ihrer Lieblingslimonade. Anscheinend hatte sich Gareth ihre Vorlieben gemerkt.

„Alles okay?“, fragte Gareth nun und legte ihr eine Hand auf den Arm. Sie musste die Worte von seinen Lippen ablesen, denn er sprach nicht übers Mikrofon an seinem Headset.

Sie nickte, doch er nahm trotzdem eine kleine Decke und wickelte sie um ihre Schultern. Dankbar ließ sie es zu, denn es war kalt hier oben.

Ein Blick aus dem Fenster bewies ihr, dass sie sich Washington näherten. Sie erkannte den Fluss, Potomac River, und wenig später flog der Pilot den Helikopter in einer großen Schleife tiefer und tiefer, bis er weich und sicher auf dem Dach eines hohen Gebäudes landete.

Sofort erschienen mehrere Hotelangestellte und nahmen das Gepäck in Empfang. Gareth verabschiedete sich von der Crew. Kurze Zeit später wurden sie in der eleganten Hotellobby von einer blonden, äußerst attraktiven Managerin begrüßt. Sie streifte Gracie nur mit einem kühlen Blick und reichte Gareth eine perfekt manikürte Hand mit rot lackierten Fingernägeln. „Wir freuen uns, dass Sie uns wieder einmal beehren, Mr Wolff. Ihre Suite ist bereits für Sie hergerichtet.“

11. KAPITEL

Gracie war die Frau sofort unsympathisch. Zu anbiedernd, was Gareth betraf, und ihr selbst gegenüber fast unhöflich.

Gareth schien es nicht zu bemerken. „Hallo, Chandra“, grüßte er die Managerin freundlich, doch gleichzeitig lag sein Arm besitzergreifend um Gracies Taille. „Es ist schön, hier zu sein.“

Chandra strahlte ihn an. „Wir fühlen uns geehrt. Ich hoffe, die Jefferson-Suite wird Ihre Vorstellungen voll und ganz erfüllen.“ Sie gönnte Gracie einen kurzen Seitenblick. „Auch für Ihre Begleiterin ist bestens gesorgt.“

Lächelnd erwiderte Gareth: „Gracie und ich werden uns bestimmt wohlfühlen.“

Der Ton, in dem er das sagte, ließ die Frau erblassen. „Möchten Sie, dass ich Sie nach oben begleite und Ihnen alles zeige?“

Zärtlich drückte Gareth einen Kuss auf Gracies Wange. „Nein, danke, wir finden uns zurecht.“ Er nahm die beiden Chipkarten entgegen. „Danke, Chandra.“

Als Gracie mit Gareth im Hotel-Lift nach oben in die Penthouse-Etage fuhr, bemerkte sie im Spiegel, dass er sie verlangend ansah.

„Du sollst mich nicht anstarren“, sagte sie verlegen.

„Aber mir gefällt der Anblick so gut.“ Seine Stimme war samtweich, sein Lächeln verriet, dass er Lust auf sie hatte.

Oben angekommen, ließ er ihr den Vortritt. Aus irgendeinem Grund war sie nervös wie eine jungfräuliche Braut. Auf dem ganzen Flur gab es nur eine einzige Tür, und Gareth öffnete sie mit der Chipkarte.

Sofort empfing sie klassische Musik. Vor ihnen lag ein riesiger, luxuriös eingerichteter Salon, dekoriert mit mehreren großen Blumenbuketts, Rosen, Iris, Freesien … Ohne Zögern hängte Gareth das Schild „Bitte nicht stören“ draußen an die Tür. Dann legte er seine Geldbörse, sein Handy und die Schlüssel auf den Sekretär. „Endlich allein“, seufzte er zufrieden.

Gracie fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. „Ich bin beeindruckt. Schon weil ich das Gefühl habe, dass ich im wirklichen Leben eher im Holiday Inn Express absteige.“

Er nahm ihre Hand. „Komm mit.“

Gemeinsam betraten sie einen kleinen Balkon, eingefasst von einem verschnörkelten gusseisernen Geländer. Von hier hatten sie einen wunderbaren Blick bis hinüber zum Kapitol und zum Denkmal für George Washington. Die Nachmittagssonne stand tief und tauchte die Straßenszene mit all den Touristen, Flaneuren und Joggern in warmes Licht.

„Schön“, sagte Gracie bewundernd. „Ich wünschte, ich könnte mich erinnern, ob ich jemals in Washington gewesen bin. Irgendwie wirkt alles vertraut, aber genauso gut könnte ich es im Fernsehen gesehen haben.“

Sanft massierte Gareth ihre Schultern. „Ist doch egal“, meinte er nur. „Genieße es doch einfach, hier zu sein. Mit mir.“

Er drückte seine Lippen auf ihren Nacken, und sie bog ihren Kopf zur Seite, damit er die sensible Stelle hinter ihrem Ohr küssen konnte. Nur zu gern folgte er ihrer Einladung, umfasste ihre Hüften und verteilte kleine, heiße Küsse auf jeder nackten Stelle ihres Halses, die er erreichen konnte. Gleich darauf knöpfte er von hinten ihren Blazer auf, streifte ihn ab und warf ihn auf einen Korbsessel.

Gracies Seidenbluse schimmerte, darunter trug sie einen Hauch von BH. Als Gareth begann, kurz und wie unabsichtlich ihre Brüste zu streicheln, richteten sich die Knospen sofort auf und verrieten, dass auch Gracie erregt war. Bei all seinen Liebkosungen achtete er darauf, dass es von unten weiterhin so aussah, als stünde ein Paar auf dem Balkon und betrachtete das Panorama.

Gracie jedoch fühlte sein Verlangen, als er sich an sie presste. Wie gut er roch. Er trug ein neues Aftershave, und der Duft war das reinste Aphrodisiakum. „Wann müssen wir auf der Party sein?“, fragte sie heiser vor Lust.

„Um acht“, antwortete er und rieb sich an ihrem Po. „Wir haben alle Zeit der Welt.“

„Meine Zeit ist bald um“, flüsterte sie. „Lass mich nicht warten.“

Ohne Vorwarnung hob Gareth sie hoch und trug sie zurück in den Salon. Er brauchte nur Sekunden, um sich zu orientieren, dann ging er mit ihr hinüber in sein Schlafzimmer. Das Gepäck war bereits da.

Mit einer Hand schlug er die schokofarbene Seidendecke zurück, dann streifte er Gracies Schuhe ab und bettete sie zärtlich in die Kissen. „Wir hatten es hart und schnell“, sagte er rau. „Diesmal werden wir uns viel, viel Zeit lassen.“ In wenigen Augenblicken war er nackt. „Stell dir vor, wir wären allein auf der Welt. Es gibt kein Telefon, keine Verwandten. Nur dich und mich.“

Gracie konnte den Blick nicht von ihm wenden. Seine männliche Schönheit faszinierte sie, gleichzeitig spürte sie sein Selbstbewusstsein und seinen unbeugsamen Willen. Sie sehnte den Moment herbei, in dem er in sie eindringen würde.

„Dann tue ich einfach so, als litte ich an Amnesie“, ging sie auf sein Spiel ein. „Für den Rest meines Lebens werde ich mich nur noch an unsere gemeinsame Zeit erinnern.“

„Das gefällt mir“, erwiderte er lächelnd und begann, ihr Hose und Slip abzustreifen. „Schließ deine Augen. Entspanne dich.“

Gleich darauf spürte sie seine Zunge über ihr Lustzentrum gleiten und erschauerte. Langsam setzte Gareth seine Liebkosungen fort, und Gracie umklammerte die dünne Seidendecke, als Wellen der Ekstase sie durchströmten. Doch kurz bevor sie den Höhepunkt erreichte, brach Gareth ab und verteilte stattdessen kleine beruhigende Küsse auf ihrem Oberschenkel und ihrem Unterschenkel bis hinunter zu ihrem schlanken Fußgelenk.

Zitternd lag sie da und ließ es zu, dass er ihr nun auch Bluse und BH auszog. Doch die Pause, die ihr das verschaffte, währte nur kurz, denn Gareth begann, ihren ganzen Körper zu streicheln, ihren Bauch, ihre Brüste, ihre Schenkel. Er küsste, leckte, knabberte und genoss Gracies leidenschaftliche Reaktionen. Sie drängte sich seinen Liebkosungen entgegen, keuchte lustvoll und schrie leise auf, als Gareth ihre hoch aufgerichteten Knospen in den Mund nahm und hart daran saugte.

Sie fühlte sich ausgeliefert und war fast verrückt vor Verlangen. Gierig empfing sie Gareths Zunge, als er sie tief und besitzergreifend küsste. Sie packte seine Schultern und wollte ihn noch näher zu sich ziehen, doch er löste sich von ihr. „Nicht anfassen, nicht sprechen“, befahl er, und der Ton seiner Stimme, zärtlich und unnachgiebig zugleich, ließ sie erwartungsvoll erbeben.

Alles, was ihr bisheriges Leben ausmachte, war in dichten Nebel gehüllt. Nur das, was sie mit Gareth dort oben in den Bergen und hier im Hotel erlebte, war klar und voller Licht. Ohne es zu wollen, dachte sie plötzlich daran, dass sie bald allein sein würde. In Savannah gab es sicher niemanden, der sich auch nur im Entferntesten mit Gareth vergleichen ließ. Unwillkürlich traten Tränen in ihre Augen, und ihre Lust verschwand. Am liebsten hätte sie geheult.

Gareth bemerkte ihre Stimmungsänderung sofort und richtete sich auf. „Was ist los?“, fragte er alarmiert. „Habe ich etwas falsch gemacht? Das tut mir leid, Gracie.“ Er schaute in ihre großen blauen Augen, sah den Schmerz darin, und konnte nicht verhindern, dass es ihn tief berührte. Zart strich er ihr über die Wange. „Ich hätte dich nicht so überrumpeln dürfen. Ich bin ein Dummkopf, Gracie. Verzeih mir.“

Eine Träne rollte über ihre Wange. „Nein, du bist nicht schuld. Ich begehre dich so sehr.“

„Aber?“

Mit Mühe unterdrückte sie die Tränen. „Ich habe das Gefühl, dass ich nicht der Typ Frau bin, der eine lockere Affäre genießen kann. Dabei wollte ich es so gern, wirklich. Aber ich glaube, ich bin dabei, mich in dich zu verlieben.“

Ihre Worte trafen ihn wie ein Schlag. Zuerst war da pure Freude, dann wurde er misstrauisch. Gracie Darlington ging ihm unter die Haut. Und er konnte sich keine Schwäche erlauben.

„Das kann doch gar nicht sein“, wandte er ein und stützte sich auf einen Ellbogen. „Deine Situation macht dich …“

Sie legte ihm eine Hand auf die Lippen, und selbst diese Berührung fachte sein Verlangen erneut an. „Du kannst es nicht wegerklären“, sagte sie tonlos. „Es ist mein Problem, nicht deins. Ich darf mich nicht verlieben, weder in dich noch in jemand anderen, solange ich kein Gedächtnis habe.“

Jemand anderen. Unerklärlicherweise packte ihn sofort Wut auf diesen anderen, ob es ihn nun gab oder nicht. „Dein Vater hat doch gesagt, du hättest keinen Ehemann oder Freund. Glaubst du ihm nicht?“

Sie zog die Decke heran und kuschelte sich darunter. „Doch, ich glaube ihm. Aber da ist dieses riesige schwarze Loch in meinem Kopf. Und dann ist da noch die Angst. Einerseits wüsste ich gern, wer ich bin und was mein Leben ist. Andererseits fürchte ich mich vor dem, was ich über mich erfahre, wenn die Erinnerung wiederkommt.“ Mit ihrem Blick flehte sie um sein Verständnis, aber er begriff nicht ganz.

„Was ängstigt dich daran, guten Sex mit mir zu haben?“

„Dir gehört die Welt, Gareth. Du hast eine Familie, du bist reich und dein Ego ist so groß wie Texas. Dein Selbstvertrauen schüchtert mich ein. Mein eigenes Leben besteht bisher ja nur aus einem Telefongespräch mit einem Mann, der bestimmt nie ‚Vater des Jahres‘ werden wird.“

„Du bist nicht eingeschüchtert, Gracie“, widersprach Gareth. „Im Gegenteil. Bisher hast du mir jedes Mal Paroli geboten. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass du in böser Absicht in die Wolff Mountains gekommen bist. Du bist ein Schatz, wie dein Name schon sagt. Süß, unschuldig und bestimmt nicht raffgierig.“

„Du kannst es dir nicht vorstellen, aber dennoch bist du misstrauisch. Weil ich vielleicht eine verdammt gute Schauspielerin bin. Du hast Angst, dass ich dich und deine Familie hintergehe.“

„So gut kann niemand schauspielern.“

Langsam erkannte er, um was es ihr ging. Sie wollte, dass er ihr vertraute. Und wusste, dass er immer noch Zweifel hatte. Der leidenschaftliche Moment war vorüber. Gareth stand auf und zog sich wieder an. Dann ging er ins Bad und kam mit einem flauschigen Bademantel zurück, den er Gracie reichte. „Mach es dir bequem und komm erst mal hier an. Vielleicht möchtest du baden. Oder dich kurz hinlegen. Wenn du Hunger oder Durst hast, ruf den Zimmerservice an.“

Gracie stand ebenfalls auf und schlüpfte in die Robe. Mit ihrem blassen Gesicht und den zerzausten Locken wirkte sie viel zu jung, um das Objekt von Gareths Begierde zu sein. Energisch verknotete sie den Gürtel. „Und du?“, wollte sie wissen. „Was wirst du unternehmen?“

„Telefonieren. E-Mails beantworten. Wenn es dir recht ist, brechen wir um Viertel nach sieben auf. Ich habe einen Wagen bestellt. Der Senator wohnt draußen in Georgetown, Virginia.“

Rasch sammelte Gracie ihre Kleidungsstücke auf und war sich nur zu bewusst, dass Gareth auf ihren Po starrte. Sie hörte sein Räuspern, und als sie sich aufrichtete, sah sie, dass er sich umgedreht hatte und scheinbar unbeteiligt den Evakuierungsplan des Hotels studierte. Ihre Sachen in der Hand, ging sie zur Schlafzimmertür. Dort drehte sie sich noch einmal um. „Es tut mir leid, Gareth.“

„Geh“, sagte er rau. „Wir reden später darüber.“

Sobald er hörte, dass die Tür zu ihrem Bereich geschlossen wurde, kritzelte er etwas auf einen Zettel, legte ihn gut sichtbar auf den großen Tisch im Salon und flüchtete. Er brauchte eine Luftveränderung, und hier in der Stadt gab es keine Werkstatt, in die er sich zurückziehen konnte.

Wenig später durchquerte er mit großen Schritten die elegante Lobby und ignorierte Chandras Versuch, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Gracies Worte hallten in seinem Kopf wider. Ich glaube, ich bin dabei, mich in dich zu verlieben. Was hätte er darauf erwidern können? Ihm war klar, dass dieses Gefühl ihrer allgemeinen Verwirrung geschuldet war. Sie suchte Geborgenheit und verwechselte es mit Liebe.

Er war nicht der Mann, den Gracie brauchte. Keine Frau, die richtig tickte, würde sich auf einen Typen einlassen, der die Dämonen der Vergangenheit nicht loswurde. Gracie war sanft und vertrauensvoll. Ihr Partner sollte jemand sein, der sie auf Händen trug und ihr jeden Wunsch von den Augen ablas.

Was Gareth von ihr wollte, lag klar auf der Hand. Sex. Außerdem mochte er ihren Humor und ihre Schlagfertigkeit. Aber Liebe kam für ihn nicht infrage. Weder jetzt noch in Zukunft. Darüber hinaus war immer noch nicht klar, weswegen Gracie ihn überhaupt aufgesucht hatte und so dreist in seine Privatsphäre eingedrungen war.

Früher einmal war er naiv und von Frauen leicht beeindruckbar gewesen. Die Jahre der Abgeschiedenheit als Kind hatten ihn nicht misstrauisch gemacht, und so war er, als er sich das erste Mal verliebt hatte, auf eine Betrügerin hereingefallen. Seitdem existierten die Worte Liebe und Vertrauen nicht mehr für ihn. Er mochte Frauen. Gracie mochte er ganz besonders. Doch wenn das, was er ihr bot, nicht genug für sie war, konnte er ihr auch nicht helfen.

Bald würde er sie nach Hause bringen, damit sie endlich eine Chance bekam, ihr früheres Leben wieder aufzunehmen. Wieder zurück in den Bergen, würde er sich mit seiner Einsamkeit und seinem leeren Bett abfinden müssen.

Er brauchte Gracie Darlington nicht, um glücklich zu sein. Absolut nicht.

12. KAPITEL

Gracie ließ Wasser in den schönen Jacuzzi laufen und gab etwas köstlich duftendes Badesalz dazu. Vom warmen Dampf beschlug der vergoldete Spiegel über dem marmornen Waschbecken, doch sie war froh darüber. Denn jedes Mal, wenn sie ihr Spiegelbild erblickte, sah sie ihre schuldbewusste Miene.

Feigling. Heulsuse. Es fielen ihr noch viele andere negative Bezeichnungen für ihr Verhalten Gareth gegenüber ein. Wie kam sie dazu, ihm zu sagen, sie hätte sich in ihn verliebt, um ihn dann sozusagen von der Bettkante zu schubsen? Jetzt hielt er sie vermutlich für eine ganz miese Trickserin. Dabei sehnte sie sich einfach nur danach, in Gareths Armen zu liegen und leidenschaftlich mit ihm zu verschmelzen.

Andererseits fürchtete sie sich davor, sich ihren Gefühlen hinzugeben. Ein gebrochenes Herz war vermutlich noch schwieriger zu heilen als ein kaputter Kopf.

Sie zog den Bademantel aus und glitt ins warme Wasser. Wie schockiert Gareth ausgesehen hatte, als sie das L-Wort ausgesprochen hatte. Was hatte sie sich dabei gedacht? War sie davon ausgegangen, dass er ihr zu Füßen fallen und ihr seine Liebe gestehen würde? Wie hatte sie so blöd sein können? Jetzt war er vermutlich auf der Flucht. Sie hatte gehört, wie die Tür der Suite ins Schloss gefallen war.

Resigniert nahm sie einen Nassrasierer, schäumte eine Wade ein und sorgte für eine zarte glatte Haut. Was mache ich nun mit Gareth? überlegte sie. Schaffe ich es, das Ding hier durchzuziehen und es auszuhalten, wenn er mich danach fallen lässt wie eine heiße Kartoffel?

Männer tickten anders als Frauen, was Beziehungen anging. Sie konnten zwischen Sex und Liebe trennen. Gracie nahm sich vor, diesen Umstand nicht mehr zu vergessen. Außerdem hatte sie immer noch nicht die geringste Ahnung, welcher geheimnisvolle Auftrag sie in die Wolff Mountains gebracht hatte. Es konnte gut sein, dass Gareth sie hassen würde, sobald die Wahrheit ans Tageslicht kam.

Und dann?

Sie wusste nur, dass sie versprochen hatte, den Abend mit ihm zu verbringen. Die prickelnde Anziehung, die zwischen ihnen bestand, war nicht zu leugnen und ließ sich auch nicht einfach so aus der Welt schaffen. Und es war unfair, unklare Botschaften auszusenden. Entweder begehrte sie Gareth Wolff oder eben nicht. Ganz einfach.

Sobald sie nach dem Fest des Senators wieder im Hotel waren, musste sie sich entscheiden. Ein für alle Mal.

Als das Badewasser langsam abkühlte, stieg sie aus der Wanne und wusch sich in der Dusche das Haar. Danach trocknete sie sich mit einem flauschigen Handtuch ab, und als sie damit fertig war, inspizierte sie den Inhalt des Koffers. Annalise hatte dafür gesorgt, dass ihr mehr als ein Abendkleid zur Auswahl stand. Es gab drei davon, alles Designerstücke, und alle hatten gemeinsam, dass sie aufregend und sinnlich waren und viel Haut zeigten. Eines war aus rotem Satin, das zweite aus smaragdgrünem Chiffon, das dritte ein auf den ersten Blick schlichtes schwarzes Jerseykleid. Sie wählte Nummer drei und war verblüfft, wie das Kleid sich verwandelte, sobald sie es angezogen hatte.

Wow, dachte sie und drehte sich vor dem Spiegel. Es fühlte sich an wie eine zweite Haut. Darunter einen BH zu tragen, war unmöglich, und als Slip ging höchstens ein Seidenstring. Vorne hatte das Kleid einen nicht allzu tiefen V-Ausschnitt, doch es ließ den gesamten Rücken frei, bis knapp über ihrem Po.

Perlenstickerei lenkte den Blick auf ihre Brüste, und der raffinierte schmale Schnitt betonte jede ihrer zarten Rundungen. Das Kleid war bodenlang, fiel von der Hüfte abwärts etwas weiter und besaß einen hohen Gehschlitz.

Zuerst überlegte Gracie, ob sie nicht doch lieber etwas weniger Auffälliges tragen sollte, doch dann siegte ihre Eitelkeit. Die Frau im Spiegel war wunderschön, dazu wirkte sie selbstbewusst und sexy. Gracie sehnte sich danach, einmal so zu sein.

Da ihr Haar nun fast trocken war, brachte sie es mit den Fingern gekonnt in eine verführerisch wirkende Unordnung, dann schlüpfte sie in schwarze Stilettopumps, ging ein paar Schritte und drehte sich. Nicht schlecht für eine Frau, die nicht wusste, ob sie jemals Designerkleider getragen hatte.

Ihr Magen knurrte. Zu dumm. Im Hubschrauber war sie zu nervös gewesen, um ihr Sandwich zu essen, und Dinner gab es erst viel später im Haus des Senators. Also rief sie den Zimmerservice an und bestellte eine Suppe, dazu Weißbrot. Die kleine Mahlzeit wurde umgehend geliefert, und obwohl es sicher nicht besonders klug von ihr war, in voller Abendgarderobe Suppe zu essen, schaffte sie es, nicht zu kleckern. Danach ging sie rastlos auf und ab und wartete darauf, dass Gareth sich meldete.

Endlich klingelte das Zimmertelefon.

„Hallo?“, meldete sie sich.

„Bist du bereit, Gracie?“, fragte Gareth.

Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie begriff, was er meinte. „Ich komme“, erwiderte sie und wurde rot.

Als sie den Salon der Suite betrat, stockte ihr der Atem. Gareth schaute aus dem Fenster und wandte ihr den Rücken zu. Er trug einen maßgeschneiderten Frack, der seine breiten Schultern noch betonte, und er war offenbar beim Friseur gewesen, denn sein dunkles, volles Haar war kürzer als vorhin, auch wenn es immer noch in Wellen bis zum Kragen fiel.

Da drehte er sich um, und der bewundernde Blick, mit dem er sie musterte, ging Gracie durch und durch. Er sah großartig aus. Seine gebräunte Haut kontrastierte mit dem blütenweißen Frackhemd. Unter der schwarzen Hose mit den akkuraten Bügelfalten zeichneten sich seine muskulösen Beine ab. Kummerbund und Fliege vollendeten das Bild. Er wirkte fast zivilisiert – wenn da nicht das Adlerprofil und der ungezähmte Blick gewesen wären.

Gracie umklammerte ihre winzige Abendtasche und zwang sich, auf ihn zuzugehen. Dabei ließ das hoch geschlitzte Kleid ein langes, schlankes Bein sichtbar werden. „Du siehst unglaublich gut aus“, sagte sie. „Ich bin sicher, der Senator wird beeindruckt sein.“

Ein paar Sekunden lang verschlug es Gareth die Sprache. Was war aus seiner niedlichen patenten Gracie geworden? Vor ihm stand eine Göttin. Selbstbewusst, sinnlich und gelassen in ihrer ganzen, atemberaubenden Schönheit.

Er räusperte sich. „Der Senator ist als Frauenheld verschrien. Vielleicht war es keine so gute Idee, dich heute Abend mitzunehmen. Wahrscheinlich verschlingt er süße junge Dinger wie dich zum Frühstück.“

„Ich habe mir meinen Führerschein angeschaut“, gab sie zurück. „Dreißig scheint mir nicht allzu jung.“ Sie legte Gareth eine Hand auf den Arm und lächelte zu ihm auf. „Trotzdem bin ich froh, dass du da bist, um mich zu beschützen.“

Da er bereits eine Erektion hatte, fand er die Idee, mit Gracie auf eine Party zu gehen, überhaupt nicht mehr gut. Auch die Tatsache, dass er dort herumgereicht werden würde wie eine Trophäe, nervte ihn gewaltig. Nur die Aussicht auf den Scheck für seine Wohltätigkeitsorganisation hielt ihn davon ab, die ganze Sache abzublasen. „Der Wagen wartet“, presste er hervor.

Im Fahrstuhl konnte er seine Augen nicht von Gracie abwenden. Das schwarze Kleid zeigte mehr, als es verbarg, und das auf eine sehr raffinierte Art. Nichts zeichnete sich darunter ab. War sie etwa nackt bis auf das bisschen schwarzen Stoff? Ihm fiel auf, dass sie keine Jacke oder Stola bei sich hatte. „Wird dir nicht kalt sein?“, fragte er rau.

„Du kannst mich ja warm halten“, antwortete sie und lächelte hinreißend.

„Das ist nicht fair, Gracie Darlington.“

„Hm, da hast du recht. Schieb es auf meine derzeitige Verwirrung. Allerdings sehe ich etwas klarer als vorhin.“

Er hatte plötzlich das Gefühl, dass seine Fliege viel zu eng saß. „Wie das?“

Sie lehnte sich an ihn und schob ihre Clutch in die Tasche seines Fracks. Dann schlang sie ihre Arme um Gareths Hals. „Ich hatte Angst.“

„Und jetzt?“

Sie presste sich an ihn, spürte, wie erregt er war, und sah voller Verlangen zu ihm auf. „Vergiss meine Liebeserklärung“, flüsterte sie. „Es ist mir egal, wer ich bin und wer ich war. Ich möchte einfach nur mit dir zusammen sein. Keine Vergangenheit. Keine Zukunft. Nur das Hier und Jetzt. Ohne Reue.“

„Weißt du, was du gerade mit mir machst?“, seufzte er und fluchte leise. „Glaubst du, ich will den ganzen Abend mit einem Ständer herumlaufen?“

Mit einem Kichern verteilte sie kleine Küsse auf seinem Kinn. „Leiden stärkt den Charakter.“

„Dann kannst du mich bald als Heiligen bewundern. Wenn ich die Party überstehe, ohne dich in einer Besenkammer zu vernaschen, ist es ein Wunder.“

Ohne Vorwarnung glitten die Fahrstuhltüren auseinander. Sie hatten gar nicht bemerkt, dass der Lift in der Lobby angekommen war. Chandra war glücklicherweise nicht in der Nähe, und Gareth atmete auf.

Draußen wartete die große Limousine mit den getönten Fenstern, und Gareth half Gracie beim Einsteigen. Sobald er neben ihr auf der Rückbank saß, drückte er einen Knopf, und gleich darauf raubte die undurchsichtige Glasscheibe dem Chauffeur die Sicht auf das, was im hinteren Teil des Wagens geschah.

Nur Sekunden später saß Gracie auf Gareths Schoß. Ihr Kleid rutschte nach oben und gab ihm den Blick auf ihre Beine frei. Ohne zu fragen, erkundete er, ob sie tatsächlich nackt darunter war, und fand den winzigen Seidenstring. Sanft rieb er über das Zentrum ihrer Lust. „Du willst mich“, stellte er befriedigt fest.

„Ja“, hauchte sie und erschauerte unter seinen Berührungen.

Eine Weile widmete er sich ihren Brüsten, sicher, dass sie keinen BH trug. Der hauchdünne Stoff des Kleides verbarg nur wenig, und es erregte ihn, ihre harten Nippel darunter zu streicheln. „Du bist wunderschön“, flüsterte er, doch das, was er vorhatte, duldete keinen Aufschub.

Er packte Gracie und setzte sie aufrecht vor sich. Dabei achtete er darauf, das Kleid hochzuschieben, damit es nicht zerriss. Nun sah er auch ihren Slip. Er war knallpink.

Ohne zu zögern begann er, Gracie intim zu liebkosen.

„Gareth …“, stöhnte sie verlangend.

„Hm?“ Er sehnte sich nach Vereinigung, doch dazu war hier weder die richtige Zeit noch der passende Ort.

Als sie nichts weiter sagte, setzte er seine Zärtlichkeiten fort. Er sah Gracies Augenlider flattern, sah ihre halb geöffneten Lippen und hörte ihre lustvollen Seufzer. Dass er sie auf jede erdenkliche Art befriedigen konnte, verschaffte ihm eine tiefe Genugtuung.

„Schau mich an“, forderte er, und als sie die Augen öffnete, fügte er hinzu: „Leg deine Hände auf meine Schultern.“

Autor

Janice Maynard
Janice Maynard wuchs in Chattanooga, Tennessee auf. Sie heiratete ihre High-School-Liebe während beide das College gemeinsam in Virginia abschlossen. Später machte sie ihren Master in Literaturwissenschaften an der East Tennessee State University. 15 Jahre lang lehrte sie in einem Kindergarten und einer zweiten Klasse in Knoxville an den Ausläufern der...
Mehr erfahren