Die Prinzessin und der Bodyguard

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Prinzessin Amelie wollte den sexy Securityboss Lambis Evangelos nie wiedersehen, seit er einst ihre Liebe zurückwies. Aber jetzt hat sie keine Wahl. Nach einem Skandal um ihre Familie ist sie nur auf seinem Luxusanwesen in Griechenland vor den Paparazzi in Sicherheit. Doch Tag und Nacht im Lambis’ Nähe, wird die magische Anziehung zwischen ihnen bald unwiderstehlich. Überwältigt von Begehren, gibt Amelie sich ihm hin. Ein Fehler? Kaum beginnt sie heimlich vom Happy End zu träumen, muss sie fürchten, dass sein Herz einer anderen gehört …


  • Erscheinungstag 03.07.2018
  • Bandnummer 2343
  • ISBN / Artikelnummer 9783733710255
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Ich verstehe Sie nicht“, kam es krächzend aus der Gegensprechanlage, woraufhin Amelie es noch einmal versuchte. Ihr war entsetzlich kalt, und sie bekam kaum die Zähne auseinander.

„Kyrios Evangelos, parakalo.“ Mr. Evangelos, bitte!

Durch die Anlage wurde eine Salve von griechischen Wörtern abgefeuert. Amelie hatte nicht die geringste Chance, den Inhalt zu verstehen, so gut war ihr Griechisch einfach nicht.

Allerdings konnte kein Zweifel daran bestehen, dass die Dame im Inneren des Hauses keine Geduld mit Fremden hatte. Und auch keine Fremdsprachen neben ihrer griechischen Muttersprache beherrschte. Denn Amelie hatte es bereits mit Französisch, Englisch, Deutsch und Spanisch versucht.

Aber wieso sollte die Haushälterin, wenn es denn eine war, auch etwas anderes als Griechisch sprechen? Das Anwesen befand sich weit oben in den Bergen Nordgriechenlands. Ausländische Touristen hielten sich eher in Küstennähe oder bei den verfallenen Ruinen auf. Vermutlich schafften es nur die Abenteurer unter ihnen in eine entlegene, wunderschöne Landschaft wie diese.

Abenteurer oder Verzweifelte.

Für Amelie hatte sich nie die Gelegenheit ergeben, wagemutig zu sein. Doch eine Laune des Schicksals hatte ihre stabile, berechenbare Welt ins Wanken gebracht – um nicht zu sagen, völlig auf den Kopf gestellt!

Sie als eine Verzweifelte zu beschreiben wäre die Untertreibung des Jahrhunderts.

„Bitte. Parakalo“, begann sie und zog die Schultern gegen den eisigen Wind hoch, doch die Leitung war schon tot.

Fassungslos starrte Amelie in die Überwachungskamera, die über ihr am Eingangstor befestigt war. Die andere Frau hatte einfach aufgelegt, obwohl sie mit Sicherheit Amelie zitternd in der Kälte stehen sah.

So etwas war Amelie noch nie passiert. Ihr königlicher Status hatte ihr ein privilegiertes Leben beschert. Sie blinzelte – empört, aber auch ein bisschen neugierig. Nie zuvor war sie derart schroff zurückgewiesen worden.

Halt, das war nicht ganz richtig. Der Mann, wegen dem sie hergekommen war, hatte ihr einst einen Korb gegeben. Damals, als es bloß um ihr eigenes Glück ging, hatte sie diese Schmach mit all der Würde ertragen, die ihr von Kindheit an eingetrichtert worden war. Doch dieses Mal ging es um das Wohl von Seb, um seine Zukunft, und Amelie würde kein Nein als Antwort akzeptieren.

Sie verzog den Mund auf eine Art, die ihr Vater immer als störrisch bezeichnet hatte. Allerdings war er sowieso nie mit ihr zufrieden gewesen. Ganz egal, wie sehr sie sich bemüht oder wie viele familiäre Verpflichtungen sie geschultert hatte.

Aber jetzt war er tot.

Genau wie ihr Bruder Michel und seine Frau Irini.

Eine riesige Hand schien nach ihrem Herzen zu greifen und es zu zerquetschen, so plötzlich und schmerzhaft überkam sie der Kummer über diesen Verlust. Tränen stiegen ihr in die Augen, aber Amelie wollte sich von ihrem Kummer nicht unterkriegen lassen und blinzelte sie fort.

Seit dem Unfall war keine Zeit zum Weinen geblieben, weil sich jedermann auf sie und ihre Willensstärke verließ. Unter dieser Last wäre sie vermutlich zusammengebrochen, wenn sie nicht schon seit vielen Jahren für andere Menschen den Fels in der Brandung spielen würde.

Doch als wäre die Trauer nicht schon genug, hatte Michels Tod auch noch weitreichende und … komplizierte Folgen für sie.

Amelie atmete tief durch und zwang sich, das Positive zu sehen. Ihr blieb immer noch Seb.

Sie ließ ihren Blick hinüber zum Mietwagen wandern, der am Straßenrand gegenüber dem massiven Eisentor geparkt war. Nichts rührte sich im Inneren, Seb schlief offenbar tief und fest. Die lange Reise von St. Galla bis hierher hatte ihn bestimmt müde gemacht.

Ihr selbst hatte der Trip jedenfalls unheimlich viel Kraft geraubt. Doch das wollte sie sich vor dieser Kamera nicht ansehen lassen. Es war ohnehin ein komisches Gefühl, heimlich beobachtet zu werden. Ein Leben lang war Amelie eingetrichtert worden, sich ihre Schwäche niemals anmerken zu lassen. Aber wenn Lambis Evangelos und seine Handlanger glaubten, sie würde einfach feige weglaufen, hatten sie sich getäuscht.

Diese Leute hatten keine Ahnung, zu was ein verzweifelter Mensch fähig war. Zu was sie fähig war!

Ganz langsam und betont lässig schlenderte sie zum Wagen zurück. Sie zuckte nicht einmal mit der Wimper, als die ersten Schneeflocken auf ihrem Gesicht landeten. Dies war also das Ende ihrer geheimen Reise nach Athen, die sie auf dem Boot eines Freundes unternommen hatte, um den aufdringlichen Paparazzi zu entgehen.

In St. Galla hatte die Presse sie auf Schritt und Tritt verfolgt, darum war sie in einer Nacht- und Nebelaktion abgereist. Die langwierige Überfahrt, das laute Gewühle in Athen und der erfolglose Besuch in den Geschäftsräumen von Evangelos Enterprises. Und anschließend die endlose Autofahrt nach Norden. Jetzt, wo all das hinter ihr lag und sie so weit gekommen war, würde sie bestimmt nicht einfach wieder nach Hause zurückkehren. Es stand zu viel auf dem Spiel.

Behutsam öffnete sie eine der hinteren Autotüren und ließ sich neben Seb auf den Sitz gleiten. Der Junge schlief tatsächlich, und eine seiner blonden Locken war ihm ins viel zu blasse Gesicht gefallen. Er sah furchtbar verletzlich aus, wie er da zusammengerollt lag und seinen Teddy fest an sich drückte.

Amelies Herz zersprang beinahe vor Liebe. Lautlos schlüpfte sie aus ihrem Mantel, rückte näher an den Kleinen heran und deckte sie beide zu. Eingehüllt in Kaschmir, legte sie ihren Arm um Seb, der im Schlaf kurz wimmerte und sich gleich wieder entspannte, dann dachte sie darüber nach, wie es jetzt weitergehen sollte.

Sie waren buchstäblich in einer Sackgasse gelandet. Ein neuer Plan musste her, aber zuerst wollte sie sich eine kurze Pause gönnen. Nur zehn Minuten, um die aufgeriebenen Nerven zu entspannen.

Mit einem erschöpften Seufzer auf den Lippen schloss sie die Augen. Nur für zehn Minuten …

Ein lautes Klopfen weckte Amelie. Verwirrt blickte sie sich um und schluckte trocken. Sie war am helllichten Tag eingeschlafen.

Allerdings war es gar nicht mehr richtig Tag, sondern es dämmerte bereits. Und es war inzwischen furchtbar kalt im Auto geworden.

Wieder klopfte es, und Amelie sah aus dem Seitenfenster einen Schatten vor sich – groß wie ein Grizzlybär. Ihr Herz begann zu hämmern, und das Adrenalin schoss ihr durch die Adern und machte sie augenblicklich hellwach.

Die Gestalt entfernte sich einen Schritt. Amelie rückte leise von ihrem schlafenden Neffen ab, öffnete die Tür und stieg aus.

Eiskalte Luft schlug ihr entgegen. Amelie atmete vorsichtig durch die Nase durch, damit sie keinen Hustenanfall bekam, und richtete sich zögernd auf. Ihr ganzer Körper fühlte sich verspannt an. Dann schloss sie leise die Tür hinter sich, und während die Schneeflöckchen sie auf der Nasenspitze kitzelten, starrte sie verwundert den Mann an, der ihr gegenüberstand.

Seine breiten Schultern schirmten den kalten Wind ab, und das selbstbewusste, schöne Gesicht erinnerte Amelie an die klassischen Gesichtszüge griechischer Götter: gerade dunkle Augenbrauen, eine markante Nase und wunderschön geformte Lippen.

Doch dieser sexy Mund war im Moment grimmig verzogen, passend zu den tiefgrauen Augen, die an einen aufziehenden Sturm erinnerten.

Keine Spur von Freundlichkeit oder Hilfsbereitschaft.

Auch gut. Trotzig streckte sie ihr Kinn vor und wollte sich von seiner abweisenden Haltung nicht einschüchtern lassen. Auch nicht von der höchst femininen Reaktion, den ihr Körper auf die beeindruckend maskuline Aura dieses Mannes zeigte.

Es kostete sie Überwindung, ruhig stehen zu bleiben und sich nicht schützend die Arme um den Oberkörper zu legen. Zu Hause in St. Galla hatte sie sich gegen alle Widrigkeiten durchsetzen können, sogar gegen ihren eigenen Vater. Da würde sie doch wohl vor ein bisschen Kälte und einem ärgerlichen Griechen bestehen, oder?

Natürlich wäre sie am liebsten wortlos weggefahren und hätte sich ein gemütliches Hotel gesucht, um etwas Warmes zu essen und sich auszuruhen. Aber hier ging es nicht um sie. Und diese Tatsache verlieh ihr buchstäblich übermenschliche Kräfte. In ihrem Leben ging es ständig nur um das Wohl anderer Menschen. Ihre zaghaften Versuche, einmal das eigene Glück in den Vordergrund zu stellen, waren desaströs gescheitert.

„Kalimera.“ Guten Tag.

Er antwortete nicht. Stattdessen wirkte er nur noch etwas angespannter als zuvor – sofern das überhaupt möglich war. Das Einzige, was sich an ihm bewegte, war sein halblanges pechschwarzes Haar im Wind.

Wie konnte ein Mann allein durch seine stumme Präsenz ihr Herz zum Rasen bringen?

„Du blockierst das Tor.“

Amelie lächelte und verkniff es sich, auf diesen Kommentar mit einer scharfen Bemerkung zu reagieren. Es war das sanfte Lächeln, das sie für öffentliche Auftritte perfektioniert hatte, noch ehe sie richtig laufen konnte. Sie konnte es jederzeit und überall aufsetzen, ganz egal, wie sie sich in Wahrheit fühlte.

„Das stimmt.“ Denn hier zu parken war der einzige Weg gewesen, seine Aufmerksamkeit zu erzwingen. „Und wenn mir endlich das Tor geöffnet wird, kann ich meinen Posten wieder verlassen.“

Er machte sich nicht einmal die Mühe, den Kopf zu schütteln.

Allmählich bildete sich ein bitterer, metallischer Geschmack auf ihrer Zunge, und ihre Nerven lagen blank. Ihr wurde übel vor Erschöpfung. Ob sich dieser ganze Stress überhaupt lohnte? Die weite Reise aus St. Galla, das ewige Verstecken vor der Presse und vor anderen Leuten, die sie möglicherweise erkannten und ihre Anonymität auffliegen ließen.

Ihr wurde schwindelig, und sie stellte sich etwas breitbeiniger hin, um nicht zu schwanken.

Er bemerkte diesen Schritt, und sein Gesichtsausdruck veränderte sich, doch er sagte immer noch nichts.

Wortlos drehte Amelie sich um und öffnete die hintere Autotür.

„Was soll das werden?“ Seine Stimme war tief und klang angenehm rau.

Aber davon wollte sie sich nicht aus der Ruhe bringen lassen, so sexy dieser Tonfall auch war!

„Da ich hier keine zivilisierte Begrüßung zu erwarten habe, setze ich mich wieder in den Wagen, denn für dieses Wetter bin ich nicht passend angezogen.“

„Halt!“ Er streckte einen Arm nach ihr aus, doch ehe seine kräftige Hand ihre Wange berührte, zog er sie schnell zurück.

Diese Geste traf Amelie wie ein Schlag und kränkte sie zutiefst. Er wollte sie nicht anfassen … Das tat weh. Aber warum eigentlich? Wünschte sie sich so sehr, von ihm berührt zu werden? Ach, wahrscheinlich war sie einfach zu erschöpft vor Müdigkeit und Sorge.

„Wozu? Hast du noch etwas zu sagen, was ich hören möchte?“ Mit diesen Worten hob sie ihr Kinn noch ein Stück höher, und zu ihrer Verwunderung sah sie, wie sein Mundwinkel zuckte.

„Du solltest nicht hier sein.“

„Dies ist immer noch öffentlicher Grund und Boden“, widersprach sie. „Ich habe jedes Recht, hier zu parken, bis ich eingelassen werde.“

Ohne die Hand zu heben, schnippte er lautlos die Fingerspitzen aneinander. Ein eindeutiges Zeichen dafür, dass er nervös wurde.

„Hier wartet nichts auf dich“, begann er langsam und suchte wohl nach der passenden Formulierung.

„Ich bin auch nicht meinetwegen hier.“ Ihre Stimme blieb ruhig, obwohl seine Worte ihr eine unsichtbare Ohrfeige verpassten. Zum Glück war sie Meisterin darin, ihre wahren Emotionen hinter einer glänzenden Fassade zu verstecken.

Das tat sie schon so lange, dass sie sich fragte, wie es wohl war, den eigenen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Zu weinen, zu klagen und sich gegen die Grausamkeit des Schicksals aufzubäumen.

„Ich habe meinen Neffen dabei“, erklärte sie knapp.

Stille.

Bestimmt hatte dieser unhöfliche Kerl doch ein Herz für Kinder? Für einen kleinen, wehrlosen Jungen?

Ganz langsam beugte sich der Mann, der sie hier nicht haben wollte, nach vorn und spähte durch das Autofenster. Als er sich wieder aufrichtete, war seine Miene unverändert. Offenbar machte die Anwesenheit des kleinen Seb keinen Unterschied für ihn.

Amelie biss sich fest auf die Unterlippe, um nicht vor Frust laut aufzustöhnen.

Das Vernünftigste wäre es wohl, aufzugeben und diese Mission für gescheitert zu erklären. Sie sollte sich in den Wagen setzen, ins nächste Dorf fahren und dort nach einer geeigneten Unterkunft suchen. So schnell wie möglich.

Im Augenblick zitterten ihre Hände allerdings viel zu stark, um sich auf die gefährliche, kurvenreiche Bergstraße zu wagen. Wütend auf sich selbst und auf den Rest der Welt wollte sie endlich ins Auto einsteigen, als sich eine Hand von hinten schwer auf ihre Schulter legte.

Sie spürte, wie sich unter dieser Berührung Hitze und Energie in ihrem ganzen Körper ausbreiteten. Ein unheimliches Phänomen, und sie drehte sich mit Schwung um, damit er sie wieder losließ.

„Fass mich nicht an!“

„Sonst was?“ Dieses Mal zog er beide Augenbrauen hoch.

„Oder ich zeige dich wegen Belästigung und Nötigung an, und das schneller, als du gucken kannst. Falls du glaubst, ich würde bluffen, warne ich dich jetzt ausdrücklich: Ich bin am Ende meiner Geduld abgekommen!“

„Du würdest es auf einen Skandal in den Medien ankommen lassen?“

Ohne ihren Blick von ihm abzuwenden, richtete sie sich zu voller Größe auf. „Das ist wohl einer der Punkte, wenn man am Ende seiner Geduld ist: Die Konsequenzen wären mir jetzt völlig gleichgültig.“ Genüsslich bemerkte sie, wie sich auf seinem schönen und kernigen Gesicht, auf dem ein überheblicher Ausdruck lag, erste Zweifel zeigten. Sicher hatte er geglaubt, sie leichter einschüchtern zu können. „Ich könnte sofort einen Reporter anrufen, und gegen Abend wäre schon ein ganzes Rudel von ihnen hier oben in den Bergen. Alle auf der Suche nach einer blutrünstigen Klatschgeschichte“, fuhr sie fort und stemmte die Hände in die Hüften.

Doch noch schluckte er diesen Köder nicht. Kein Wunder. Schließlich hatten sie und Seb dabei wesentlich mehr zu verlieren als er.

Eigentlich hatten sie ja schon verloren.

Sie hatte um Sebs Zukunft gepokert und dabei den Kürzeren gezogen. Die Dramatik dieser Tatsache traf Amelie wie ein Schlag in die Magengrube. Sie musste die Knie durchdrücken, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

All ihre Hoffnungen waren zerschmettert worden, und der arme Seb … Nein, an ihn konnte sie gar nicht denken, solange dieser hünenhafte Kerl sie mit seinen Raubvogelaugen anstarrte. Erst wenn sie allein war, würde sie zusammenbrechen.

Entschlossen drehte sie sich zur Fahrertür um.

„Wo willst du hin?“, wollte er wissen.

Doch Amelie antwortete ihm nicht. Vermutlich war es das erste Mal in ihrem Leben, dass sie eine direkte Frage bewusst ignorierte. Dieser Umstand, nicht mehr dressierte Höflichkeit an den Tag zu legen, hätte sich befreiend anfühlen müssen, aber seltsamerweise war das nicht das Fall. Sie war einfach nur erschöpft und völlig verzweifelt.

Hier konnten Seb und sie definitiv nicht länger bleiben. Sie riss die Tür auf. Wenn sie beide sicher hinunter ins Tal gelangen wollten, mussten sie sofort losfahren.

Hinter ihr wurde ein fremdländischer Fluch ausgestoßen. „Warum sagst du nicht, was du wirklich willst, Prinzessin?“

Sein spöttischer Tonfall reizte sie bis aufs Blut. Aber sie wandte sich nicht zu ihm um, weil sie ihm nicht in die Augen sehen konnte. Sie wollte sich Lambis Evangelos nicht stellen. Dem Mann, der ihre eigenen Träume zerstört hatte und nun all ihre Hoffnung für Sebs Zukunft in seinen Händen hielt.

„Ich will …“ Sie stockte. Ihr Hals war wie zugeschnürt.

„Ja?“

Sie schluckte. „Ich will dich.“

Ich will dich.

Was, zur Hölle …?

Ihre Worte sollten ihn nicht aus der Fassung bringen. Das taten sie eigentlich auch nicht, er war bloß überrascht. Ja, mehr nicht! Aber was meinte sie damit? Wieso wollte sie ihn?

Er hatte ihr hier nichts zu bieten, das hatte er schon vor drei Jahren klargestellt. Außerdem hatte Amelie ihren Stolz, sie würde ihm niemals hinterherlaufen.

Lambis zog die Augenbrauen zusammen. Er hasste es, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen.

„Da müsstest du schon ein bisschen genauer werden“, verlangte er. „Wofür willst du mich?“

Ganz langsam drehte sie sich unter seinem strengen Blick zu ihm um, ohne dabei den Türgriff loszulassen. Ihr vom Wind zerzaustes blondes Haar und die smaragdgrünen Augen faszinierten ihn genauso sehr wie am ersten Tag, als er ihr begegnet war. Sie trug einen eleganten hellen Hosenanzug, der für dieses eisige Wetter viel zu dünn war. Trotzdem ließ sie sich nicht direkt anmerken, wie sehr sie fror. Er bemerkte nur ein leichtes Zittern …

Sein Instinkt befahl ihm, augenblicklich den Mantel auszuziehen und ihn ihr um die Schultern zu legen. Doch er widerstand diesem Impuls. Es war besser, ihr keine falschen Hoffnungen zu machen, was immer sie auch von ihm erwartete. Hier bei ihm konnte sie jedenfalls nicht bleiben!

„Seb braucht dich. Und das wüsstest du längst, wenn du dir die Mühe gemacht hättest, meine Nachrichten zu lesen.“

Diesen Vorwurf musste er sich wohl oder übel gefallen lassen. Für das Begräbnis nach St. Galla zurückzukehren war wesentlich härter gewesen, als er sich vorgestellt hatte. Er wollte keinerlei Erinnerungen an diese Tragödie bewahren … oder an seine Schuld. Oder an sie.

„Seb?“ In welcher Weise könnte der Junge auf ihn angewiesen sein?

Amelie presste die Lippen aufeinander, und ihre Augen hatten jeglichen Glanz verloren. Sie waren schmerzerfüllt und drückten gleichzeitig Wut aus. Bemerkenswert. Diese kleine, hübsche Prinzessin war normalerweise die höflichste, umgänglichste und am wenigsten aggressive Person, die er kannte.

Ihm gefiel nicht, dass sie genauso verloren und verzweifelt wirkte wie an dem Tag, als ihr Bruder und ihre Schwägerin beerdigt worden waren.

„Du hast dein Patenkind doch sicherlich nicht vergessen?“

Wie auf Kommando regte sich etwas im Auto, und Lambis sah eine kleine Hand, die gegen die Scheibe gedrückt wurde. Dahinter ein blonder Schopf, vom Schlaf ganz zerwühlt, und ein todernstes Gesicht. Ganz offensichtlich rechnete dieses arme Kind nicht damit, hier willkommen zu sein, und diese Erkenntnis ging Lambis durch Mark und Bein.

Er beugte sich hinunter und sah dem Jungen in die Augen. Seb blinzelte kein einziges Mal und wirkte mindestens so verzweifelt wie seine Tante.

Kein Vierjähriger sollte in eine solche Lage geraten.

„Hey, Sébastien! Wie geht es dir?“, fragte Lambis und zwang seine eiskalten Lippen zu einem Lächeln.

Keine Antwort, obwohl Seb ihn durch die offene Fahrertür deutlich gehört hatte. Da war nur dieser ängstliche Ausdruck in den großen Kinderaugen, den Lambis schlicht unerträglich fand.

Er wollte die Tür öffnen, doch Amelie stellte sich blitzschnell zwischen ihn und den Wagen.

„Lass das!“, zischte sie.

Urplötzlich sah Lambis ihre schmale Taille und ihre hübschen, vollen Brüste ganz dicht vor sich. Die Kälte sorgte dafür, dass sich ihre Rundungen recht deutlich durch den Stoff ihres Blazers abzeichneten.

Auch wenn einige Bereiche seiner Persönlichkeit für immer abgetötet zu sein schienen, er war doch immer noch ein Mann! Und es war lange her, seit er mit einer Frau näheren Kontakt gehabt hatte.

Der Schneefall wurde dichter, und dennoch konnte Lambis das zarte, blumige Parfum riechen, das von Amelie ausging. Gardenien. Dieser Duft erinnerte ihn stets daran, wie schwer es ihm gefallen war, sie zu verlassen.

„Warum?“, wunderte er sich und betrachtete interessiert ihre verführerische Figur. So nahe würde er ihr vermutlich nicht wieder kommen.

Sein Puls beschleunigte sich, und in seiner Lendengegend verspürte er ein sehnsüchtiges Ziehen. Hastig richtete er sich auf und schob beide Hände in die Hosentaschen.

„Weil ich mich geirrt habe. Ich dachte, ich könnte auf deine Hilfe zählen. Aber Seb kann jetzt keine oberflächliche Begegnung mit einem Mann gebrauchen, der uns seine Tür vor der Nase zuschlägt. Und dann noch bei diesem Wetter.“

Eine besonders große Schneeflocke landete auf ihrer Wange und schmolz dahin, doch Amelie schien es gar nicht zu bemerken.

„Wenn du bitte vom Wagen zurücktreten würdest, dann sind wir auch gleich wieder verschwunden“, fügte sie hinzu und verschränkte die Arme vor der Brust.

Endlich blickte er ihr ins Gesicht und bemerkte sofort, wie ernst sie es meinte.

Er hätte erleichtert sein sollen. Ihm fehlten die Zeit und die Lust, sich mit ihren Problemen auseinanderzusetzen. Schließlich musste er einen multinationalen Konzern leiten, unzählige Menschen verließen sich auf ihn. Er konnte Amelie hier nicht gebrauchen, denn sie brachte sein sorgsam organisiertes Leben bloß durcheinander.

Trotzdem rührte er sich nicht vom Fleck.

Der verlorene Ausdruck auf Sébastiens Gesicht ließ ihn zögern, dann fasste er einen Entschluss. Der Schnee knirschte unter seinen Stiefeln, als er zwei Schritte vorwärts ging und auf die kleine Fernbedienung in seiner Tasche drückte.

Die hohen Eisentore öffneten sich knarrend.

„Du fährst voraus, ich folge dir mit meinem eigenen Auto!“

Während sie wenige Augenblicke später die verschneite Auffahrt entlangfuhr, klammerte Amelie sich fest ans Lenkrad. „Schau mal, Seb, der ganze Schnee! Ist das nicht aufregend?“ Ihre Stimme bebte, doch sie ging davon aus, dass ihr Neffe es nicht bemerkte.

Im Rückspiegel beobachtete sie, wie er ausdruckslos zur Seite starrte. War er denn kein bisschen aufgeregt, zum ersten Mal in seinem jungen Leben echten Schnee zu erleben? Und freute er sich gar nicht, Lambis wiederzusehen, dem er früher wie ein Hündchen überallhin gefolgt war?

Sie konnte immer noch kaum glauben, dass Lambis sie wirklich reingelassen hatte. Allein hätte sie keine Chance gehabt. Er wollte sie nicht in seiner Nähe haben, das hatte er nie gewollt.

Ihr stockte der Atem, als schließlich das Wohnhaus in Sicht kam. Sie hatte ein klar geschnittenes, unpersönliches Gebäude erwartet – passend für einen unnahbaren Mann wie Lambis. Stattdessen stand da ein charmantes, traditionell in den Stein des Berges eingearbeitetes Luxusheim. Das Erdgeschoss hatte deswegen auch zu drei Seiten Steinwände, die Vorderseite war dagegen mit vielen großen Glasflächen gestaltet.

Darüber befanden sich zwei weitere Stockwerke, gebaut aus dunklem Holz, weißem Putz und mit mehreren Balkonen und Veranden, die auf riesige Balken gestützt waren. Überall im Holz fand man wunderschöne Schnitzereien, und auf dem terracottafarbenen Dach lag eine dicke Schneedecke.

Was für ein romantisches Fleckchen Erde! schoss es Amelie durch den Kopf, und sie parkte den Wagen.

Dies war das Zuhause vom megareichen Lambis Evangelos? Dem Mann, der sich keinerlei Sentimentalitäten erlaubte?

Dann wurde plötzlich ihre Fahrertür geöffnet, und er stand vor ihr. Sein Gesichtsausdruck war ernst. Der Wind wehte Lambis’ etwas zu langes Haar über den Kragen seines Mantels, und Amelie fragte sich, wie er wohl aussah, wenn er sich völlig entspannte.

Vor langer Zeit hatte sie eine andere Seite an ihm kennengelernt. Ihre Schwägerin Irini und er waren wie Geschwister gewesen. Und manchmal strahlte er die Liebe, die er für Irini empfand, buchstäblich in alle Richtungen aus. Damit stahl er natürlich reihenweise Frauenherzen, vor allem von einem bestimmten Mädchen, das schon viel zu lange einsam gewesen war.

Amelie blinzelte und schüttelte diesen Gedanken energisch ab. Sie hatte in den vergangenen achtundvierzig Stunden kaum ein Auge zugemacht, wahrscheinlich geriet ihr Verstand deshalb auf Abwege.

„Amelie? Braucht ihr meine Hilfe?“

Seine weiche Stimme brachte alle Emotionen schlagartig zurück. Er weckte Sehnsucht in ihr, ein Verlangen, das sie lieber verdrängen wollte. Darüber war sie doch längst hinweg, oder? Sie hatte beschlossen, nicht in Selbstmitleid zu versinken, sondern dieses Kapitel hinter sich zu lassen.

Doch die Erschöpfung machte sie schwach und verletzlich.

„Vielleicht könntest du unser Gepäck ausladen“, bat sie und schenkte ihm ihr antrainiertes, höfliches Lächeln.

Ein paar Sekunden lang starrte er sie an, dann nickte er kurz und wandte sich ab.

Sie selbst kümmerte sich um Seb, wickelte ihm noch eine kleine Decke um und ging zusammen mit ihm auf den Hauseingang zu. Der Schnee knirschte unter seinen Füßen, und er blieb alle zwei bis drei Schritte irritiert und fast ängstlich stehen.

Wo war bloß der kleine Junge geblieben, den sie die letzten fünf Jahre erlebt und geliebt hatte? Früher wäre er begeistert und neugierig durch das Gestöber der weißen Flöckchen getobt und hätte diese neue Erfahrung als aufregendes Abenteuer betrachtet.

Autor

Annie West
Annie verbrachte ihre prägenden Jahre an der Küste von Australien und wuchs in einer nach Büchern verrückten Familie auf. Eine ihrer frühesten Kindheitserinnerungen besteht darin, nach einem Mittagsabenteuer im bewaldeten Hinterhof schläfrig ins Bett gekuschelt ihrem Vater zu lauschen, wie er The Wind in the Willows vorlas. So bald sie...
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