Die unvergesslichen Küsse des Italieners

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"Wir sind verheiratet?” Ungläubig starrt Molly den umwerfend attraktiven Mann an. Nach einem Unfall erwacht sie in einem römischen Krankenhaus ohne Erinnerung an ihr bisheriges Leben - das sie offenbar mit diesem Pietro Agosti geteilt hat. Zwar sind ihr Pietros zärtliche Berührungen vertraut, bei ihm fühlt sie sich sicher und geborgen. Aber so sehr sie auch sucht, sie findet keinen Hinweis auf ihre gemeinsame Vergangenheit. Molly kommt ein schrecklicher Verdacht: Sind sie wirklich verheiratet? Oder wer ist der Mann, mit dem sie das Bett teilt?


  • Erscheinungstag 09.04.2019
  • Bandnummer 2382
  • ISBN / Artikelnummer 9783733712105
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Als sie erwachte, fühlte sie sich seltsam orientierungslos.

Blinzelnd blickte sie sich in dem nur schummrig beleuchteten Raum um, sah einen Nachttisch und ein kleines Fenster. Nun wusste sie wieder, wo sie sich befand. Rom. Das Krankenhaus, in das man sie gebracht hatte, nachdem sie auf der Straße angefahren worden war.

Sie fühlte sich deswegen allerdings kein Stück ruhiger. Im Gegenteil: Ihr Puls raste, und auch die Orientierungslosigkeit ließ nicht nach. Wie auch, wo sich außerhalb dieser vier Wände für sie nur ein riesiges Nichts befand?

Ihr Name.

Ihre Herkunft.

Warum sie sich in Rom aufhielt.

Sie erinnerte sich an rein gar nichts.

Einem inneren Impuls folgend, streckte sie die Hand nach dem Nachttisch neben ihr aus. Ihre Finger schlossen sich um die kleine Tube Lippenbalsam mit Honig-und-Vanilleduft – den einzigen Besitz, den sie ihr Eigen nennen konnte. Ihre Kleidung war zerrissen und mit Blut beschmutzt gewesen, sodass sie nur noch hatte entsorgt werden können. Und wenn sie eine Tasche oder ein Portemonnaie bei sich gehabt hatte, so war es nicht mehr da.

Sie schloss die Augen und zwang sich, tief und langsam zu atmen. Langsam ebbte die Panik ein wenig ab.

Es war ja nicht so, als ob sie überhaupt nichts wüsste.

Sie war beispielsweise keine Italienerin. Sie sprach Englisch und nur ein paar kleine Brocken Italienisch. Sie war Mitte zwanzig, hellhäutig mit gleichmäßigen, aber nicht sonderlich eindrucksvollen Zügen. Ihre Augen waren graublau und ihre Haare rotblond.

Ach ja, und sie war schwanger.

Sofort kehrte die Panik zurück. Sie war schwanger, namenlos und allein.

Die Erinnerungen würden zurückkehren, sagte sie zu sich selbst. Die Ärzte waren zuversichtlich. Nun, die meisten, und sie war entschlossen, sich mit aller Macht an diese Hoffnung zu klammern. Die Alternative war einfach zu entsetzlich, um sie auch nur in Betracht zu ziehen.

Sie würde sich besser fühlen, wenn erst einmal die normale Tagesroutine im Krankenhaus begann. Selbst die ständigen Tests waren besser, als hier mutterseelenallein herumzuliegen und …

Sie runzelte die Stirn, als sie plötzlich spürte, dass sie nicht mehr allein war. Sie drehte sich zur Tür um und blinzelte. Reichte es denn nicht, dass ihr Gedächtnis sie im Stich ließ? Fing sie jetzt auch noch an, Gespenster zu sehen?

Der Mann, der im Türrahmen stand, gehörte jedenfalls ganz sicher nicht hierher. Er war groß, breitschultrig und dabei noch schlank genug, dass er in seinem dunklen Anzug wie ein Model für Designer-Herrenmode aussah. Das kantige Kinn und die markanten Wangenknochen waren unglaublich maskulin und atemberaubend attraktiv.

Sie spürte ein heftiges Flattern in ihrem Bauch. Überraschung, offensichtlich. Aber sie konnte auch nicht leugnen, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Und als kleine Ablenkung von ihrem Selbstmitleid war er einfach perfekt – der Inbegriff der Männlichkeit.

Doch als er in das Krankenzimmer trat, erkannte sie schnell, dass er mehr war als nur ein hübsches Gesicht. Alles an ihm strahlte eine gewisse Strenge aus, und seine Größe bewirkte, dass er wie von selbst den ganzen Raum mit seiner Präsenz ausfüllte.

Der Effekt nahm sogar noch zu, als er jetzt direkt zu ihr ans Bett trat.

„Wer sind Sie?“, fragte sie und schaffte es dabei, ruhig und gelassen zu klingen, obwohl sie innerlich in Aufruhr war.

Vielleicht war er irgendein Spezialist. Das würde sein eher unhöfliches Verhalten erklären. Kein Lächeln, keine aufmunternden Worte, kein Stethoskop.

Der Blick seiner braunen Augen war durchdringend. Nein, sie waren nicht nur braun. Bei genauerem Hinsehen bemerkte sie goldene Flecken, und sie schienen wie von innen heraus zu glühen.

Sein Schweigen wurde ihr unangenehm.

„Ich fragte …“

„Du erinnerst dich nicht an mich?“ Seine Stimme klang tief, Honig und Whisky, Samt über Stahl. Sie könnte ihm stundenlang zuhören, selbst wenn er nur den Inhalt des Telefonbuchs vorlas.

Etwas verzögert drang die Bedeutung seiner Worte zu ihr durch. Hastig setzte sie sich auf – und verzog das Gesicht, als die plötzliche Bewegung das Hämmern in ihrem Kopf verstärkte.

„Ist alles in Ordnung? Soll ich jemanden rufen?“

Also kein Arzt.

„Sollte ich mich an Sie erinnern? Sind wir uns schon einmal begegnet?“

In seinen goldenen Augen blitzte etwas auf, das sie nicht recht deuten konnte.

„Sie kennen mich?“ Sie beugte sich zu ihm vor. Ihr Herz hämmerte. Mit jeder Faser ihres Körpers hoffte sie, dass er Ja sagen würde. Dass er den Schlüssel zu ihrer Identität in Händen hielt.

Die Tür wurde geöffnet, und einer der Ärzte trat ein. Sofort fing er an, auf Italienisch auf den Mann an ihrer Seite einzureden. Der Fremde antwortete, es ging hin und her – so als wäre sie überhaupt nicht anwesend.

„Kann mir irgendjemand bitte erklären, wer dieser Mann ist und was er hier macht?“

Der Doktor drehte sich abrupt zu ihr um. Erst jetzt fiel ihr auf, dass der Unbekannte sie nicht ein einziges Mal aus den Augen gelassen hatte. Während seines ganzen Gesprächs mit dem Doktor hatte er sie weiter angesehen.

Sie zitterte und zog die leichte Decke bis unter ihr Kinn.

Unter der Intensität seines Blicks fühlte sie sich nackt. Nicht einfach nur nackt wie unter ihrem dünnen Krankenhausnachthemd, nein. So, als könnte er geradewegs in sie hineinsehen und jeden ihrer Gedanken lesen.

„Verzeihung“, ergriff der Arzt nun das Wort. „Wir hätten wirklich Englisch sprechen sollen.“ Dann lächelte er, und seine Augen strahlten voller Begeisterung. „Aber wir haben ganz wunderbare Nachrichten für Sie.“

Ihr Blick wanderte zurück zu dem Mann, der schweigend an ihrer Seite stand. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. „Sie kennen mich?“ All ihren Bemühungen zum Trotz klang ihre Stimme zittrig.

Er nickte abrupt. „In der Tat. Dein Name ist Molly. Du bist Australierin.“

Molly.

Australierin.

Sie ließ sich zurücksinken. Australien. Das erklärte, warum sie Englisch sprach und kein Italienisch.

Molly?

Verunsichert runzelte sie die Stirn. Sie fühlte sich nicht wie eine Molly – oder? Sie verband nichts mit diesem Namen. Er war ihr fremd, genau wie alles andere.

Sie schluckte hart. Irgendwie hatte sie angenommen, dass ihr Gedächtnis wieder in die Gänge kommen würde, wenn sie etwas über sich selbst erfuhr. Doch ihr Name löste rein gar nichts bei ihr aus. In ihrem Kopf herrschte noch immer diese furchtbare Leere.

„Es ist vermutlich seltsam, den eigenen Namen zum ersten Mal zu hören. Aber du wirst dich schon daran gewöhnen.“

Sie schaute den Fremden an. „Sind Sie auch Arzt?“

Er schüttelte den Kopf.

„Aber Sie kennen mich.“

Er nickte ernst. Warum wirkte er nicht erfreut oder zumindest erleichtert darüber, dass er ihr dabei behilflich sein konnte, mehr über sich selbst zu erfahren?

„Und?“ Musste sie ihm denn wirklich jede noch so kleine Information aus der Nase ziehen?

„Du bist als Au-Pair für ein italienisch-australisches Ehepaar nach Italien gekommen.“

„Als Au-Pair?“ Sie ließ den Gedanken sacken. Doch wie zuvor bereits ihr Name, löste er nichts in ihr aus.

„Eine Nanny. Ein Kindermädchen.“

Sie nickte ungeduldig. Sie wusste, was ein Au-Pair war. Aber warum eigentlich, wo ihr so etwas Einfaches wie ihr eigener Name völlig unbekannt war?

Molly. War das wirklich ihr Name?

„Sie sind sich ganz sicher, dass Sie mich kennen? Sie verwechseln mich nicht mit irgendjemandem?“

War das Mitgefühl in seinem Blick? Was immer es gewesen war, es war schon im nächsten Moment wieder verschwunden.

„Absolut sicher. Du bist Lehrerin, aber du hast deinen Job für die Chance, nach Italien zu gehen, aufgegeben.“

Lehrerin …

„Du liebst Kinder.“

Zum ersten Mal akzeptierte sie seine Worte ohne jedes Zögern. Ja, sie liebte Kinder. Sie konnte sich selbst als Lehrerin sehen. Nicht dass sie sich an irgendein spezielles Kind erinnerte. Aber zum ersten Mal in dieser merkwürdigen Unterhaltung lösten seine Worte etwas in ihr aus.

Sie war entsetzt gewesen, unter den gegebenen Umständen von ihrer Schwangerschaft zu erfahren, die natürlich gleich bei den ersten Untersuchungen, kurz nach ihrer Einlieferung, festgestellt worden war.

Der Gedanke, dass sie ein Kind in diese Welt setzen würde, ohne zu wissen, wer sie war … Wer der Vater war … Doch trotz allem konnte sie nicht leugnen, dass sie auch eine gewisse Faszination für das Leben verspürte, das in ihr heranwuchs. Vielleicht würde sie, wenn ihre Erinnerungen zurückgekehrt waren, tatsächlich so etwas wie Freude empfinden.

Sie ließ sich auf ihr Kissen zurücksinken und lächelte zögernd.

„Wie ist mein Nachname?“ Wenn sie den erst einmal hatte, konnte sie mehr über ihre Vergangenheit in Erfahrung bringen, vielleicht sogar Freunde und Familie finden und versuchen, ihr Leben wieder in einigermaßen gerade Bahnen zu bringen.

Der Mann schaute fragend den Doktor an, der nickte.

„Agosti“, sagte er. „Dein Name ist Molly Agosti.“

Sie runzelte die Stirn. „Agosti?“ Wieder wartete sie darauf, dass ihr Unterbewusstsein in irgendeiner Form auf den ihr unbekannten Namen reagierte. Nichts. Nicht einmal ein leises Aufflackern.

„Sind Sie sicher? Das klingt Italienisch. Aber ich bin Australierin.“ Und ihre Hautfarbe war auch nicht typisch für jemanden, der von Italienern abstammte.

„Absolut sicher.“

Ihr blieb nichts anderes übrig, als seine Worten so hinzunehmen. Zumindest solange sie keinen Beweis für das Gegenteil hatte. „Und Sie sind …?“

Versteifte er sich gerade? Verärgert sah er aber nicht aus. Und dennoch … Irgendwie hatte sich die Atmosphäre zwischen ihnen verändert.

„Ich bin Pietro Agosti.“

Sie starrte ihn an. „Agosti. Aber das ist derselbe Name.“

Er neigte den Kopf. „Stimmt.“ Dann zuckten seine Mundwinkel, und sein Lächeln ließ ihr den Atem stocken, auch wenn es seine Augen nicht ganz erreichte.

Tief in ihrem Unterbewusstsein begannen Alarmsirenen zu schrillen.

„Das liegt allein daran“, sprach er weiter, „dass ich dein Ehemann bin.“

2. KAPITEL

Ihr Puls raste, und sie konnte den Mann nur fassungslos anstarren. Ein Teil ihres Verstands war vor Schock wie gelähmt, während der andere sich wie wild im Kreis drehte und versuchte, zu verarbeiten, was er gesagt hatte.

Ihr Ehemann? Er? Das war unmöglich.

Er war ganz offensichtlich reich. Sein Anzug war maßgeschneidert und saß perfekt, und seine Seidenkrawatte kam garantiert nicht von der Stange. An seinen Handgelenken bemerkte sie unaufdringliche, aber aufwendig verzierte goldene Manschettenknöpfe.

Seine Hände … Ihr Herz machte einen Satz. Sie waren groß und kräftig, aber wohlgeformt. Verführerische Hände von der Art, die einer Frau große Lust bereiten konnten.

Offenbar hatte sie ein Faible für sexy Hände …

Von all den Dingen, die sie über sich wissen wollte, stand das ganz unten auf ihrer Liste. Wobei – während sie Pietro Agostis Hände so betrachtete, schien es ihr von immenser Bedeutung zu sein.

Ihre Wangen wurden heiß. Es kam ihr falsch vor, dass sie sich so heftig zu ihm hingezogen fühlte. Er mochte mit ihr verheiratet sein, aber trotzdem war er ein völlig Fremder für sie.

An einem Finger trug er einen goldenen Siegelring, der antik und kostbar aussah.

Er stammte ganz offensichtlich aus einer Familie mit Geld – und zwar einer ganzen Menge. Dem Ring nach zu urteilen und der Autorität, die Pietro ausstrahlte, war er vermutlich sogar mit dem sprichwörtlichen goldenen Löffel im Mund auf die Welt gekommen.

Sie hingegen nicht. Sie wusste nicht, warum sie sich so sicher war – sie war es einfach.

Ihre Züge waren eher gewöhnlich. Nicht schön oder fesselnd. Ihr Haar war fein und kraftlos und die Farbe irgendwo zwischen mausbraun und schmutzig blond, die einfach zu gewöhnlich war, um aus der Packung zu kommen. Ihre Hände wirkten nicht ungepflegt, aber sie waren auch nicht manikürt. Und ihr einziger Schmuck bestand in einem Paar winziger goldener Ohrstecker.

Sie und Pietro Agosti passten nicht zusammen. Wie sollten sie da verheiratet sein?

Wenn es wahr wäre, dann musste er auch der Vater ihres Kindes sein. Die Vorstellung stürzte sie in ein Chaos verwirrender Gefühle.

„Signora Agosti.“

Beim Klang der Stimme des Arztes blickte sie abrupt auf. Sie öffnete den Mund, um die Anrede zurückzuweisen, mit der er sie angesprochen hatte.

Das war nicht ihr Name – oder?

Sie schaute den Mann neben ihrem Bett an. Er stand stocksteif da. So als … so als würde er auf etwas warten.

Darauf, dass sie ihn erkannte? Oder darauf, dass sie ihm sagte, dass sie unmöglich seine Ehefrau sein konnte?

Sie runzelte die Stirn, und das dumpfe Klopfen zwischen ihren Schläfen steigerte sich zu einem wütenden Tosen. Rasch eilte der Arzt zu ihr und murmelte etwas auf Italienisch, während er ihren Puls checkte und ihr dann half, sich hinzulegen.

Die ganze Zeit über war sie sich der Gegenwart von Pietro Agosti überdeutlich bewusst.

„Sind Sie ganz sicher, dass ich mit diesem Mann verheiratet bin?“

Es erschien ihr nicht sonderlich wahrscheinlich. Sicher verbrachte er seine Zeit in anderen Kreisen als denjenigen, in denen sie als Au-Pair verkehrte.

Die Augen des Arztes wurden groß, und er warf dem anderen Mann einen entschuldigenden Blick zu. War Pietro Agosti so wichtig, dass niemand seine Worte je infrage stellte?

Ein Zittern durchlief ihren Körper. Aus irgendeinem Grund, den sie nicht näher definieren konnte, scheute sie vor dem Gedanken zurück, ihm ausgeliefert zu sein.

Ausgeliefert? Das war es doch sicher nicht, wie eine Ehefrau über ihren Ehemann denken sollte – oder?

„Signora Agosti. Es gibt keinen Zweifel an Ihrer Identität. Ihr Ehemann war in der Lage, Sie bis ins kleinste Detail zu beschreiben, bis hin zu ihrer Blinddarmnarbe.“

Was nur bedeutete, dass er ihren Körper sehr gut kannte.

Bei dem Gedanken fing ihre Haut an zu prickeln. War das so etwas wie eine Erinnerung? Ein Echo der Intimität mit ihm? Oder war es die Erwartung, in naher Zukunft diese starken Hände auf ihrer nackten Haut zu spüren?

„Ich versichere Ihnen, dass Ihr Ehemann höchst respektabel und angesehen …“

„Ich denke, das reicht für den Augenblick.“ Seine tiefe Stimme fiel dem Doktor ins Wort. „Molly ist offensichtlich zu erschöpft für das alles. Es war ein Schock für sie. Vielleicht sollten wir sie jetzt ausruhen lassen.“

Er wollte gehen?

Sie riss die Augen auf. Was, wenn er ging und nicht wieder zurückkam? Wenn er sie wieder allein ließ, wie ein verlorenes Gepäckstück? Was, wenn sie morgen erwachte und das alles nur ein Traum war? Wenn es niemanden gab, der wusste, wer sie wirklich war?

Ihr Verstand sagte ihr, dass das nicht geschehen würde. Dass er sie identifiziert hatte und das Krankenhauspersonal wissen würde, wie sie ihn erreichen konnten.

Und doch war da eine instinktive Furcht davor, zurückgelassen zu werden.

„Nein! Bitte, gehen Sie nicht!“

Ewas blitzte in seinen Augen auf, das wie Mitgefühl aussah.

„Vielleicht könnten Sie uns einen Augenblick allein lassen?“, bat er den Arzt. „Ich weiß, es gibt noch jede Menge Papierkram zu erledigen. Ich komme zu Ihnen, wenn Molly und ich uns unterhalten haben.“

„Natürlich. Ja, das ist eine hervorragende Idee.“ Ihn schien es nicht zu stören, einfach so hinauskomplimentiert zu werden. Entweder war er froh, dass sich nun jemand anderes um sie kümmerte, oder Pietro Agosti war jemand mit gewaltigem Einfluss. Der Arzt nickte Molly zu, versicherte ihr, dass alles in Ordnung kommen würde, und verließ das Zimmer.

Jetzt, wo sie allein mit dem Mann war, der behauptete, mit ihr verheiratet zu sein, löste die Erleichterung, die sie empfunden hatte, sich rasch in Luft auf. Doch anstatt weiterhin über ihr emporzuragen, zog er sich einen Besucherstuhl heran und setzte sich zu ihr ans Bett.

„Das ist schon besser. Jetzt musst du dir nicht mehr den Hals verdrehen, um zu mir aufzusehen.“

Seine Mundwinkel zuckten leicht. Es war ein winziges Lächeln, doch zu ihrer eigenen Überraschung reagierte sie darauf. Ihre Muskeln entspannten sich, und erst jetzt bemerkte sie, dass sie die Schultern fast bis zu den Ohren hinaufgezogen und die Hände fest zu Fäusten geballt hatte.

Sie öffnete ihre Fäuste und legte ihre Hände auf der Bettdecke ab.

Sie war schrecklich bleich. Zerbrechlich in einer Weise, die er nicht erwartet hatte. Nicht einmal, nachdem er von ihren Verletzungen gehört hatte. Er war sofort aufgebrochen, als ihn die Nachricht erreichte, dass sie gefunden worden war, getragen von einer Woge aus Schock und Erleichterung.

Das, war ihn sofort an ihr fasziniert hatte, war ihr warmes, sonniges Gemüt. Ihr Lächeln, die Art und Weise, wie ihre Augen strahlten. Sie so verängstigt zu sehen, machte ihn so unsagbar wütend, dass er auf etwas einschlagen wollte. Am liebsten auf den Motorradfahrer, der sie umgefahren hatte. Und der es vermutlich nur auf ihre Handtasche samt Geldbörse und Pass abgesehen gehabt hatte.

Seine Angestellten arbeiteten eng mit den Behörden zusammen. Wenn der Verantwortliche gefasst wurde, würde er für sein Handeln teuer bezahlen.

Bei dem Gedanken an Molly, die bewusstlos auf der Straße lag, daran, dass sie aufgewacht war, ohne auch nur ihren eigenen Namen zu wissen, presste er die Lippen zusammen.

Der Doktor sagte, dass der Gedächtnisverlust zum Teil auf den Schock zurückzuführen war.

Wegen des Sturzes?

Oder wegen dem, was vorgefallen war, bevor sie nach Rom kam?

Eine eisige Welle der Schuld rollte über ihn hinweg. Pietro schluckte hart. Für den Unfall oder Angriff war er nicht verantwortlich. Das konnte man von dem, was zuvor geschehen war, allerdings nicht behaupten …

„Ich bin froh, dass Sie mich gefunden haben.“ Ihr Blick war ernst. „Es ist … beunruhigend, nicht zu wissen, wer man ist.“

Sie sah so verloren aus und zugleich so entschlossen und mutig. Sie spielte die Furcht herunter, die sie mit Sicherheit empfand. Und er wollte nichts mehr, als sie zu beschützen.

Pietro erstarrte. Er hatte eigentlich angenommen, immun gegenüber der weiblichen Verletzlichkeit zu sein. Die Vergangenheit hatte ihm in dieser Hinsicht eine brutale Lehre erteilt. Aber die Umstände hier waren anders.

Er streckte die Hand aus, um Mollys zu ergreifen, stoppte sich aber im letzten Moment. Es war besser, wenn er auf Abstand blieb. Sie wirkte so zerbrechlich, ihre Augen riesig in ihrem bleichen Gesicht.

„Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie es sich anfühlen mag, sich an nichts zu erinnern“, gestand er. „Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich werde gut für dich sorgen.“

„Werden Sie?“

Er konnte nicht sagen, ob sie erfreut darüber aussah oder entsetzt.

Machte er ihr Angst? Er wusste, dass seine Größe einschüchternd wirken konnte …

„Natürlich. Du kannst dich auf mich verlassen. Alles kommt in Ordnung, Molly. Gib der Sache einfach ein bisschen Zeit. Du brauchst dir um nichts Sorgen zu machen. Ich versuche, deine Schwester in Australien zu erreichen, damit sie herkommt.“

Die Anspannung in ihren Zügen ließ nach, und auf ihre Wangen kehrte ein bisschen Farbe zurück. Langsam sah sie wieder mehr wie die Frau aus, die er kannte.

„Ich habe eine Schwester?“ Sie klang glücklich, sehnsüchtig.

„Ihr Name ist Jillian.“

„Und meine Eltern?“

Er schüttelte den Kopf und wünschte, er hätte bessere Neuigkeiten für sie. „Tut mir leid, Molly. Es gibt nur euch beide.“

Sie wirkte plötzlich sehr enttäuscht, und Pietro spürte, wie sich in seiner Brust etwas zusammenzog. Er wusste nur zu gut, wie sich Verlust anfühlte. Mollys Schmerz verstärkte seine Entschlossenheit, alles für sie zu tun, was er nur konnte.

„Aber ich habe großes Glück, beides zu haben, einen Ehemann und eine Schwester.“ Ihre Bettdecke schien auf einmal große Faszination zu besitzen, denn ihr Blick war starr darauf gerichtet. „Ich hatte schon überlegt, ob jemals jemand kommen und mich identifizieren würde.“

Pietro war erleichtert darüber, dass er die Suche veranlasst hatte. Wenn er es nicht getan hätte, wenn er die Stimme in seinem Kopf ignoriert hätte, die ihm sagte, dass er einen schrecklichen Fehler begangen hatte … Wer konnte schon sagen, wie lange sie noch in dieser Ungewissheit hätte verbringen müssen?

„Du wirst dich sicher besser fühlen, wenn du erst einmal hier raus bist“

„Raus? Sie meinen, aus dem Krankenhaus?“

Er nickte. „Natürlich.“

„Wirklich?“ Ein zögerndes Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab. „Sie würden mich gehen lassen?“

„Du bist hier keine Gefangene, Molly.“

„Ich weiß. Und ich weiß auch, dass Sie nur das Beste für mich wollen.“ Sie hatte das Gefühl, in den goldbraunen Tiefen seiner Augen versinken zu müssen. Sie sagte zu sich selbst, dass es nichts gab, was sie zu befürchten hatte. Ihr Ehemann war hier. Die Person, der sie doch sicher mehr vertraute als jedem anderen Menschen auf der Welt.

Und dennoch war da dieses nervöse Kribbeln, jedes Mal, wenn ihre Blicke sich begegneten. Es war wie ein kleiner elektrischer Schock. Sie empfand definitiv etwas in seiner Gegenwart. Doch sollte da nicht mehr sein? So etwas wie Erleichterung und Trost? Das Gefühl, nach Hause zu kommen, wenn sie ihn ansah?

Es war keine Erleichterung. Jedenfalls nicht nur. Da war noch etwas anderes. Etwas, das ihr Unterbewusstsein versuchte ihr mitzuteilen. Das Problem war, dass sie im Augenblick einfach nicht in der Lage war, diese Signale zu deuten.

Aber wem wollte sie eigentlich etwas vormachen? Sie war im Augenblick zu gar nichts zu gebrauchen. Jeder etwas komplexere Gedanke verursachte ihr Kopfschmerzen. Auch jetzt merkte sie schon wieder, wie der Schmerz langsam stärker wurde, und sie kniff die Augen zusammen.

„Molly? Was ist los?“ Seine Stimme klang scharf, und nicht zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, dass etwas nicht stimmte.

Das Einzige, was hier nicht stimmt, bist du. Dein Hirn funktioniert nicht richtig. Du erkennst ja nicht einmal deinen eigenen Namen! Hast du wirklich gedacht, dass ein Blick auf den Mann, den du liebst, dein Gedächtnis wieder zurückkehren lassen würde?

Die Logik sagte ihr, dass sie zu viel erwartete. Und doch konnte sie das Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung war, einfach nicht abschütteln.

Sie öffnete die Augen, als sie den Stuhl über den Linoleumboden schleifen hörte, und sah, wie Pietro Agosti zur Tür ging.

„Gehen Sie nicht!“

Gehörte diese verzweifelte Stimme etwa zu ihr? Sie setzte sich auf dem schmalen Bett auf und ignorierte, dass der Schmerz in ihrem Kopf sich von dumpf zu hämmernd steigerte.

So viel dazu, ihre Angst zu verbergen. Mit der Aussicht konfrontiert, wieder allein zu sein, war all die Stärke, auf die sie gebaut hatte, verschwunden. „Bitte, bleiben Sie.“

„Ich wollte nur den Arzt holen. Du hast Schmerzen.“

„Bitte, gehen Sie nicht.“

War sie immer so anhänglich? Sie hoffte nicht. Wie sollte sie diesem sexy Fremden nur erklären, dass ein wenig menschlicher Kontakt jetzt genau das war, was sie brauchte?

Pietro Agostis Blick wanderte von ihrem Gesicht zu ihrer Hand, die sie nach ihm ausgestreckt hatte. Sie ließ den Arm sinken und schluckte hart. Es beunruhigte sie, wie sehr sie sich nach seiner Nähe, nach seiner Berührung sehnte. Vielleicht war sie wirklich am Ende ihrer Kräfte angelangt. Sie konnte einfach nicht mehr allein mit ihren Ängsten sein.

„Nehmen Sie …“ Sie räusperte sich. Er war ihr Ehemann, erinnerte sie sich selbst. „Nimmst du mich nicht mit nach Hause?“

„Doch, natürlich.“ Er hatte den Raum durchquert und stand jetzt wieder neben ihrem Bett. Sie brauchte nicht einmal aufzusehen, um den durchdringenden Blick seiner goldenen Augen auf sich zu spüren. Es war, als könne er geradewegs in sie hineinsehen, und sie fühlte sich angreifbar und verletzlich auf eine Weise, die sie nicht verstand. Und das alles, während er für sie ein Buch mit sieben Siegeln war.

„Ich nehme dich mit nach Hause, sobald der Doktor dich entlässt.“

Nach Hause.

Die Erleichterung, die sie durchflutete, war so heftig, dass sie sich ganz leicht, beinahe schwerelos fühlte. Bald. Bald könnte sie das Krankenhaus verlassen, und wenn sie sich erst in einer vertrauten Umgebung befand, würden die Erinnerungen schon ganz von selbst zurückkehren.

Autor

Annie West
Annie verbrachte ihre prägenden Jahre an der Küste von Australien und wuchs in einer nach Büchern verrückten Familie auf. Eine ihrer frühesten Kindheitserinnerungen besteht darin, nach einem Mittagsabenteuer im bewaldeten Hinterhof schläfrig ins Bett gekuschelt ihrem Vater zu lauschen, wie er The Wind in the Willows vorlas. So bald sie...
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