Die Wolfe-Dynastie (8-teilige Serie)

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Die achtteilige Familiensaga - Über Jahrhunderte hinweg verkörperte die Wolfe-Dynastie Aristokratie, Reichtum und Glamour. Doch die gegenwärtige Generation hütet ein schreckliches Geheimnis. Nach außen hin führen die Wolfes ein perfektes Leben, aber hinter den massiven Mauern des großherrschaftlichen Anwesens ist nichts so, wie es nach außen hin scheint …

Verräterische Gefühle
"Sie sind unglaublich sexy!" Katie glaubt zu träumen, aber es ist wahr: Nathaniel Wolfe, Hollywoods skandalumwitterter Bad Boy und Gegenstand erotischer Fantasien von Millionen Frauen, nimmt sie mit auf seine paradiesische Privatinsel und versucht sie zu verführen! Doch ist Nathaniel wirklich aufrichtig - oder spielt er eine Rolle?

Küsse niemals deinen Chef!
"Sind Sie etwa immun gegen meinen Charme?" Grace ist sprachlos, als Lucas Wolfe sich vor ihrem Schreibtisch aufbaut. Sie hat Wichtigeres zu tun, als sich mit diesem unverschämten, wenn auch zugegebenermaßen sehr attraktiven Womanizer abzugeben! Doch gegen ihren Willen lässt seine dunkle, samtige Stimme sie sinnlich erschauern. Am liebsten würde sie weglaufen! Aber da eröffnet er ihr: "Ich bin Ihr neuer Boss! Wir werden eng zusammenarbeiten, sehr eng ..."“

Schenk mir mehr als diese Nacht
Aneesa läuft und läuft... und ihr glitzernder Schleier weht im Wind. Die Bollywood-Schauspielerin hat ihren Verlobten beim Fremdgehen erwischt. Am Tag der Hochzeit! Verzweifelt irrt sie durch das Festhotel und trifft am Pool auf den Besitzer: Sebastian Wolfe. Nur ein Blick, und Aneesa verliert sich in seinen eisblauen Augen und weiß: sie will die Liebe kennenlernen. In dieser Nacht und mit diesem Mann ...

Wofür schlägt dein Herz?
Sein Lächeln ist unverschämt sexy, der Körper die pure Versuchung - aber ist Alex Wolfe wirklich der Richtige für die feinfühlige Libby? Ständig ist sie in Sorge um ihn, denn er riskiert alles, um in seinem Job an der Spitze zu bleiben. Deswegen kommt es zum Streit zwischen den Liebenden – und Alex sucht neue Herausforderungen, tausende Meilen weit fort von ihr. Wie kann sie ihn nur davon überzeugen, dass Liebe das größte Abenteuer ist?

Mein Hauptgewinn bist du!
"Ich bin nicht käuflich!", empört sich Cara. Was bildet sich der gut aussehende Milliardär Jack Wolfe ein? Sie arbeitet im Casino von Nizza, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen - und nicht, um sich am Spieltisch einen reichen Mann zu angeln! Außerdem hat sie sich geschworen, nie mehr auf ein verführerisches Lächeln hereinzufallen. Und Jack hat eins. Doch als sie kurz darauf vor ihrem brutalen Boss fliehen muss, ist ein Rendezvous mit Jack ihre einzige Rettung …

Zurück in deine Arme
Das Supermodel Leila führt nach außen eine schillernde Ehe mit dem Tycoon Rafael da Souza, doch Sie hütet ein schmerzvolles Geheimnis. Nur wann soll sie sich ihrem Ehemann anvertrauen, wenn die intimen Momente zu zweit so rar und kostbar sind? Erst als Rafael zu einem romantischen Picknick entführt und sie sich ihm so nah wie lange nicht mehr fühlt, fasst Leila sich schließlich ein Herz. Zu spät, um ihre Liebe noch zu retten?

Glaub an das Glück, Annabelle!
"Willkommen auf meiner Hazienda, Miss Wolfe." Stefano Cortez’ Worte sind wie ein Streicheln - als würden seine Lippen Annabelle zart liebkosen. Plötzlich fühlt die schöne Fotografin sich unglaublich … weiblich. Und gefährlich verletzlich. Aber nach dem, was sie durchgemacht hat, darf sie niemanden an sich heranlassen - schon gar nicht einen Playboy wie Stefano!

Und endlich siegt die Liebe
"Jacob?" Überrascht blickt die Gärtnerstochter Mollie dem attraktiven Mann, der vor ihr steht, in die eisgrauen Augen. Kein Zweifel: Jacob Wolfe ist zurück! Und er verlangt, dass sie für ihn arbeitet, wenn sie auf seinem Anwesen wohnen bleiben will. Widerstrebend fügt Molly sich. Aber sie hat nicht die starke, sinnliche Anziehung zwischen Jacob und sich bedacht. Jedoch solange die Vergangenheit wie ein Fluch auf Jacobs Herz lastet, kann das Glück der Liebe nicht zurückkehren nach Wolfe Manor …


  • Erscheinungstag 10.11.2014
  • ISBN / Artikelnummer 9783733787448
  • Seitenanzahl 1152
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Sarah Morgan, Caitlin Crews, Abby Green, Robyn Grady, Lynn Raye Harris, Janette Kenny, Jennie Lucas, Kate Hewitt

Die Wolfe-Dynastie (8-teilige Serie)

Sarah Morgan

Verräterische Gefühle

IMPRESSUM

JULIA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Brieffach 8500, 20350 Hamburg
Telefon: 040/347-25852
Fax: 040/347-25991

© 2011 by Harlequin Books S.A.
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 2028 - 2012 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Gudrun Bothe

Fotos: Harlequin Books S.A., gettyimages

Veröffentlicht im ePub Format im 07/2012 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86494-139-9

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY, STURM DER LIEBE

 

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Wie alles begann …

Über Jahrhunderte hinweg verkörperte die Wolfe-Dynastie Reichtum und Glamour. Der Familienstammsitz Wolfe Manor, idyllisch gelegen im Herzen von Buckinghamshire, weckte in jedem, dessen Blick darauf fiel, Bewunderung und Neid. Doch die gegenwärtige Generation hütete ein schreckliches Geheimnis.Nach außen hin führten die Wolfes ein perfektes Leben, aber hinter den massiven Mauern des herrschaftlichen Anwesens war nichts so, wie es nach außen hin schien …

William Wolfe – Patriarch der Wolfe-Dynastie – Liebling der Paparazzi, Einzelkämpfer und eigenwilliger Geschäftsmann, präsentierte sich der Öffentlichkeit als hingebungsvoller Vater einer liebenswerten Kinderschar.Niemand ahnte, was sich tatsächlich hinter dieser anrührenden Fassade verbarg … Ungeliebt und seiner despotischen Willkür hilflos ausgeliefert, stützten sich die Geschwister untereinander, so gut sie konnten. Doch hauptsächlich war es Jacob, der Älteste, auf den sich alle verließen. Bis zu jenem schicksalhaften Abend, als die Familie nach einem furchtbaren Zwischenfall, der mit dem Tod des Vaters endete, aufhörte zu existieren … Jacob flüchtete, gerade mal achtzehn Jahre alt, von Wolfe Manor und überließ seinejüngeren Geschwister sich selbst.

In den folgenden Jahren sahen sich einige der Wolfe Kindergelegentlich an Feiertagen wie Weihnachten oder auf dem internationalen Society-Parkett. So erfolgreich jeder von ihnen auch wurde, ergab sich in zwanzig langen Jahren nicht eine einzige Gelegenheit, zu der sich alle acht Geschwister trafen.

Aber das sollte sich jetzt ändern. Nach Beschwerden über das marode Familienanwesen schritt die Baubehörde ein und machte den derzeitigen Besitzer ausfindig: Jacob Wolfe. An ihn erging die Aufforderung, dafür Sorge zu tragen, dass Wolfe Manor nicht länger eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellt …

Wir schreiben das Jahr 2012 … Jacob Wolfe kehrt zurück! Konnte die Zeit alle Wunden heilen? Wird die Kraft der Liebe auch hier siegen?Und wird die Dynastie jemals wieder in ihrem alten Glanz erstrahlen?

1. KAPITEL

Sie warten darauf, dass ich versage …

Nathaniel Wolfe, Hollywoods Bad Boy und Gegenstand erotischer Fantasien von Millionen Frauen, stand allein hinter der Bühne des berühmten Londoner Theaters und lauschte dem gedämpften Stimmgewirr des Publikums.

Die Frauen waren gekommen, um festzustellen, ob die Life-Version mit der Bildschirmvariante mithalten konnte, während die Männer sehen wollten, wie es tatsächlich um sein Schauspieltalent stand. Und die Kritiker wetzten ihre Messer, seit bekannt war, dass er die Hauptrolle in einer modernen Interpretation von Shakespeares Richard II spielen würde.

Nathaniel machte sich keine Illusionen – man traute ihm diese Rolle nicht zu. Seine Auszeichnungen, den weltweiten Beifall und die riesigen Kinoerfolge hielten die meisten für das Resultat einer geschickten Kameraführung in Verbindung mit seinem attraktiven Äußeren.

Talent war es ganz bestimmt nicht … in ihren Augen.

Ein zynisches Lächeln kräuselte die klassisch geschnittenen Lippen. Er würde ihre Vorbehalte zu Staub pulverisieren und in die Stratosphäre beamen! In wenigen Stunden wagte es unter Garantie niemand mehr, sein Talent anzuzweifeln.

Statt der Schlagzeile Kann „Big Bad Wolfe“ überhaupt schauspielern? würde es heißen „Big Bad Wolfe“, macht Kritiker mit schauspielerischer Glanzleistung mundtot!

Auf diesen Brettern, die die Welt bedeuteten, wollte er dem Londoner Publikum ein emotionales Meisterwerk präsentieren. Nathaniel wechselte einen kurzen Blick mit dem Intendanten, der angespannt im Hintergrund verharrte. Zwischen ihnen hatte es heftige Auseinandersetzungen über die Art und Weise gegeben, wie der berühmte Hollywoodmime seine Rolle interpretierte und umsetzen wollte. Dabei erkannten beide im Verlauf ihrer Kontroverse, dass sie im Zusammenspiel ihrer kreativen Kräfte etwas Einmaliges schufen, das in die Geschichte dieses Theaters eingehen würde.

Als der Moment gekommen war, schloss Nathaniel die Augen und blendete alles um sich herum aus. Ein Ritual, das bewirkte, dass die Person Nathaniel Wolfe innerhalb von Sekunden aufhörte zu existieren.

Er war Richard II, König von England …

Das war sein Kunstgriff – er verwandelte die Rolle in Realität und spielte nicht einfach den fremden Charakter, sondern machte ihn zu seinem eigenen. Mit neun Jahren hatte er diesen Trick entdeckt. Er schlüpfte in die Haut eines anderen und versteckte sich darin. So war er der Dunkelheit entkommen, die sein Leben zu ersticken drohte.

Er konnte sein, was er wollte: Ninjakämpfer, Ritter, Drachentöter, Vampir oder Superheld. In seiner Verzweiflung verlieh er sich auf diese Weise selbst die Kraft zu kämpfen, zu überleben und die zu beschützen, die er liebte.

In eine fremde Rolle zu schlüpfen, wurde Nathaniel zur Gewohnheit. Und so lebte er auch heute noch … allein und in Verkleidung, angewiesen auf nichts und niemanden.

Jemand anderer zu sein, bereitete ihm nicht die geringsten Schwierigkeiten. Sein einziges Problem war Nathaniel Wolfe …

„Das Kleid macht Sie absolut nicht dick!“ Nur mit Mühe gelang es ihr, das Korsett über neu hinzugekommenen Speckröllchen ein Stück zu schließen. „Die Farbe schmeichelt Ihnen. Vergessen Sie nicht, dass Sie die Duchess of Gloucester sind. Da müssen Sie …“, Katie brach ab, als die Schauspielerin den Kopf wandte und ihr einen warnenden Blick zuwarf, „… staatsmännisch wirken“, vollendete sie tapfer den Satz. „Würdevoll und gravitätisch.“

„Mit anderen Worten … ich sehe alt und fett aus.“

„Niemals! Ich habe das Kostüm mit viel Bedacht ausgewählt.“ Zu spät merkte Katie, dass diese Versicherung durchaus missverständlich aufgefasst werden konnte, und errötete heftig. Wenn sie doch nur mit mehr Taktgefühl und Diplomatie gesegnet wäre! „Sie spielen eine trauernde Witwe, da können sie unmöglich strahlend und heiter auftreten.“

„Wollen Sie mir auch noch vorschreiben, wie ich meine Rolle interpretieren soll?“

„Nein, ich möchte nur, dass Sie erkennen, wie perfekt Sie in diese Rolle passen. Bitte, versuchen Sie, sich zu entspannen.“

Die alternde Diva schnaubte. „Wie soll ich das denn anstellen, wenn ich neben Nathaniel Wolfe auf der Bühne stehe? Er ist bissig, launenhaft und schrecklich sarkastisch! Als mir gestern ein winzig kleiner Fehler unterlaufen ist …“

„Hat er kein Wort gesagt, sondern Sie nur angeschaut“, nahm Katie ihr den Wind aus den Segeln.

„Aber wie! Sie haben ja keine Ahnung, wie destruktiv ein Blick sein kann, besonders, wenn er von Nathaniel Wolfe kommt! Als wenn man von einem Laserstrahl getroffen wird …“ Mit jedem Wort nahm ihre Erregung zu. Jetzt wedelte sie Katie mit einer gereizten Geste zur Seite. „Gehen Sie! Menschen, die kein Verständnis für mein Temperament und meine Gefühle aufbringen, ertrage ich einfach nicht.“

Temperament? Gefühle? Mürrisch und reizbar wäre wohl eher zutreffend, dachte Katie bei sich, behielt aber die Ruhe. „Ich muss erst noch den Reißverschluss von Ihrer Korsage schließen.“ Frustriert stellte sie fest, dass ihre Hände zitterten. „Hören Sie, wir sind alle gestresst.“

„Weswegen sollten Sie Stress haben?“, wurde sie höhnisch unterbrochen.

„Nun, ich …“ Fast hätte Katie der ältlichen Schauspielerin von ihrem bevorstehenden Treffen mit der berühmten englischen Kostümdesignerin erzählt und was davon für sie abhing. Und über die Verbindlichkeiten, die so hoch waren, dass sie jede Nacht wach lag und mit klopfendem Herzen nach Auswegen aus der Schuldenfalle suchte. Doch wenn morgen alles glatt lief, wäre das die Wende …

„Sie können ja nicht einmal erahnen, wie es ist, neben einem Hollywoodstar bestehen zu müssen! Und das im Wissen, dass alle nur gekommen sind, um ihn zu sehen.“

„Bitte beruhigen Sie sich, es ist nur das Lampenfieber vor der Premiere, das alle kennen.“

„Alle außer Nathaniel Wolfe!“, fauchte die andere giftig. „Der ist so unbeweglich wie ein Eisberg und genauso kalt. Niemand wagt sich dicht an ihn heran, aus Angst, selbst zu vereisen.“

„Um dann wie die Titanic zu versinken …“, murmelte Katie abwesend.

„Wollen Sie mich jetzt auch noch mit der Titanic vergleichen?“

„Nein!“, rief Katie ehrlich entsetzt. „Sie sehen wirklich toll aus, und das Kleid sitzt absolut perfekt.“

„Bald nicht mehr. Wenn ich Stress habe, muss ich essen. Sie sind jung und schön und haben keine Ahnung, wie ich mich fühle!“, warf sie Katie vor. „Warum lungern Sie eigentlich nie hinter der Bühne herum, um den unvergleichlichen Nathaniel Wolfe anzuschmachten wie Ihre Kolleginnen?“

„Weil ich unter Garantie ohnmächtig würde, sollte er mich womöglich bemerken. Zum Glück weiß er nicht einmal, dass ich existiere.“ In Katies letzten Worten schwang hörbares Bedauern mit. Sie riss sich zusammen. „Er nennt mich tatsächlich Freitag! Als wäre er Robinson, London eine einsame Insel und ich sein Leibsklave.“ Immer noch kämpfte sie mit dem Reißverschluss. „So, jetzt tief einatmen … okay, das wär’s. Nun muss ich aber los und mich um John of Gaunt kümmern.“

Rasch floh sie in die Kleiderkammer des Theaters, wohin sich zufällig auch gerade ihre Kollegin und enge Freundin Claire zurückgezogen hatte. Sie schmökerte in einem Hochglanzmagazin und sah schuldbewusst auf, als Katie den Raum betrat.

„Alles nur zu Recherchezwecken“, behauptete sie lachend, wurde aber gleich wieder ernst, als sie den Gesichtsausdruck ihrer Freundin sah. „Du kommst wohl gerade von der grässlichen Duchess of Gloucester! Passt sie überhaupt noch in ihr Kostüm?“

„Mal gerade so!“ Seufzend ließ Katie sich auf einen Stuhl fallen. „Hast du eine Kopfschmerztablette für mich?“

Sorry, gerade selbst geschluckt. Apropos Kopfschmerzen …“ Claire schlug ein paar Seiten in ihrer Zeitschrift um und hielt sie Katie hin. „Ich weiß nicht, ob du es überhaupt sehen willst, aber hier drin steht ein großer Artikel über deine Schwester. ‚Ist Paula Preston die schönste Frau der Welt?‘ Tja, ich würde sagen, auf jeden Fall die größte Airbrush-Ikone! Wie kommt es eigentlich, dass du Field heißt und sie Preston?“

„Paula will auf keinen Fall, dass man eine Verbindung zwischen uns herstellen kann. Es gefällt ihr, so zu tun, als existiere ihre Familie gar nicht.“ Katie betrachtete das Bild ihrer glamourösen Schwester und dachte daran, wie sehr ihre Mutter ums bloße Überleben kämpfen musste. Am liebsten hätte sie zum Telefon gegriffen, um Paula den Kopf zu waschen. Doch da sie aus Erfahrung wusste, wie wenig das brachte, ließ sie es lieber gleich.

„Von der Spielsucht unseres Vaters zu erfahren, hat sie ebenso schockiert wie mich. Doch Paula war in erster Linie wütend auf Mum, weil sie ihm immer wieder verziehen hat. Sie gibt ihr die Schuld daran, dass während unserer Kindheit nie Geld da war und jetzt wohl auch noch das Haus verloren geht. Paula sieht nicht ein, dass sie für Mums Schwäche bezahlen soll.“

„Netter Zug!“

„Manchmal kann ich gar nicht glauben, dass wir blutsverwandt sind.“ Gedankenverloren musterte Katie das perfekte Antlitz ihrer Schwester. „Ihr war schon immer alles zu wenig luxuriös, und die Sache mit Dad gab Paula den Rest. Darum bastelte sie sich ein glanzvolles Image zurecht, an dem niemand kratzen darf.“

Claire schnappte sich die Illustrierte, riss die Seiten mit dem kränkenden Artikel heraus, knüllte sie zusammen und warf sie in den Papierkorb. „So! Jetzt ist sie da, wo sie hingehört“, erklärte sie zufrieden. „Und ich sehe mir Bad Boy Wolfe auf der Bühne an. So etwas erlebt man schließlich nicht alle Tage! Kommst du mit?“

„Nein, ich muss noch einmal meine Bewerbungsunterlagen durchgehen.“

Ihre Freundin lachte. „Nette Ausrede, aber wie willst du es bis nach Hollywood schaffen, wenn du dich von den Stars dermaßen einschüchtern lässt?“

„Ich bin nicht eingeschüchtert.“

„Und ob! Du müsstest dich selbst mal sehen. Als du seine Beinlänge gemessen hast, warst du so rot wie eine Tomate.“

„Okay, vielleicht was Nathaniel Wolfe betrifft“, gab Katie widerstrebend zu und errötete schon wieder. „Aber er ist die absolute Ausnahme.“

„Heiß ist der Knabe, das muss man ihm lassen“, gab Claire zu.

„Ja, aber er ist nicht echt. Bei einem Schauspieler weiß man doch nie, ob er aufrichtig ist oder eine Rolle spielt. Ich meine, wenn Nathaniel Wolfe jemals zu dir sagen würde ‚Ich liebe dich‘ … könntest du ihm das ernsthaft abnehmen?“

„Kaum! Ich habe nämlich zufällig gehört, wie er den Intendanten darüber belehrte, dass LIEBE nichts weiter als ein Wort mit fünf Buchstaben sei. Und dass er fünfbuchstabige Wörter grundsätzlich nicht benutze! Weißt du eigentlich, dass sämtliche Karten für die Premiere innerhalb von nur zehn Minuten ausverkauft waren? Zehn Minuten! Unglaublich, oder? Besonders, wenn man bedenkt, dass Shakespeare für viele Leute reines Kauderwelsch ist! Macbeth, der mit einem Totenschädel spricht …“

„Hamlet“, unterbrach Katie sie trocken.

„Wie auch immer, englische Literatur war noch nie meine Stärke. Ich dachte immer Chaucer wäre das Ding unter einer Teetasse.“

„Du meinst Saucer, die Untertasse, im Gegensatz zu Geoffrey Chaucer, dem Verfasser der Canterbury Tales“, stellte Katie ohne einen Anflug von Kritik richtig.

„Genau den! Aber Bad Boy Wolfe könnte auch das Londoner Telefonbuch vorlesen, und das Publikum würde ihm zu Füßen liegen. Der Mann hat jeden Preis gewonnen, außer dem Sapphire Screen Award.“

Katie dachte an den unglaublichen Wirbel, der um den wichtigsten aller Filmpreise gemacht wurde. „Immerhin ist er zum dritten Mal nominiert.“

„Und ich finde, er hätte ihn auch wirklich verdient!“

„Hör mal, Claire“, begann Katie zögernd, „… was heute Abend betrifft …“

„Oh, nein, du wirst mich nicht versetzen, also spar dir jede fadenscheinige Ausrede“, blockte ihre Freundin ab. „Um elf geht’s los, und wir müssen mörderisch sexy aussehen. Zieh irgendwas an, das deine besten Seiten freilässt.“

„Niemals!“, rief Katie entsetzt. „Ich weiß ohnehin nicht, wie ich mich von dir zu einem Speed-Dating habe überreden lassen können.“

„Weil du einfach ein Knaller bist, Katie“, erwiderte Claire liebevoll. „Du hältst dich nur für fett, weil du dich dauernd mit deiner magersüchtigen Schwester vergleichst.“

„Ich fühle mich so … so unfit. Wenn diese Spielzeit vorbei ist, werde ich wieder diszipliniert Sport treiben. Es ist wirklich deprimierend, ständig das muskelbepackte Kraftpaket Nathaniel Wolfe vor Augen zu haben, während ich kaum eine Wasserflasche anheben kann.“

„Er sieht absolut scharf in der Lederjacke aus, die du ihm verpasst hast“, bestätigte Claire mit glitzernden Augen. „Du hast wirklich ein sagenhaftes Talent, für jeden das optimale Outfit auszugraben.“

„Das Kostüm sollte den Charakter der Rolle widerspiegeln, wenn man dem Mimen auf seine emotionale Reise folgt und …“ Als sie Claires angewiderten Blick sah, brach Katie lachend ab und zupfte an ihrer alten Jeans. „Ich wage mich kaum zu fragen, was das hier über meine emotionale Reise aussagt. Definitiv Touristenklasse, würde ich meinen.“

„Deine Klamotten besagen nichts weiter, als dass du eine überarbeitete, unterbezahlte Kostümdesignerin bist, die keine Sekunde Zeit hat, sich um ihre eigene Garderobe zu kümmern.“

„Du hast die massiven Selbstzweifel vergessen“, erinnerte Katie sie.

„Quatsch! Du bist unglaublich talentiert. Und eines Tages wirst du entdeckt.“ Das schien für Claire außer Frage zu stehen.

„Dann wünschte ich wirklich, es würde lieber heute als morgen geschehen.“ Der Anflug von Panik in Katies Stimme war nicht zu überhören. „Das Haus schluckt jeden Penny, den ich verdiene. Es ist wie ein gefräßiges Monster.“

„Du musst deiner Mutter endlich sagen, wie schwer es dir fällt, es zu unterhalten. Warum verkauft sie es nicht?“

„Ihr Zuhause, in dem sie mit Dad gelebt hat?“ Erschöpft schloss Katie für einen Moment die Augen. „Jedes Mal, wenn ich sie besuche, versichert sie mir, es sei ihre einzige Motivation durchzuhalten …“ Katie öffnete die Augen und lächelte tapfer. „Wenn ich diesen Job bekomme, wird sich alles zum Besten wenden.“

„Wollen wir es hoffen! Mochtest du Nathaniel Wolfe eigentlich lieber in Alpha Man oder in Dare or Die?“, versuchte Claire ihre Freundin abzulenken.

„Alpha Man.“

„Ernsthaft? Obwohl er nur einen Soldaten gespielt hat, der in einer Spezialeinheit kämpft? Ich wusste gar nicht, dass du auf so was stehst.“

„Mir gefällt der dramaturgische Gedanke, dass er zunächst absolut herzlos erscheint und sich sogar selbst dafür hält, bis er zum Schluss die Tochter seines Feindes rettet …“ Prompt füllten sich Katies Augen mit Tränen. „Besonders, weil er sich für diese Aktion selbst opfern muss. Tagelang habe ich in meine Kissen geheult. Er war so unglaublich gut und authentisch. Und wenn es einen Sapphire Screen Award für den besten Body geben würde, hätte Nathaniel Wolfe ihn unter Garantie längst bekommen.“

„Apropos Sapphire Award …“ Claire blätterte erneut in ihrer Zeitschrift. „Hier ist auch ein Artikel über stylische Abendgarderobe. Es geht darum, wer was zur großen Preisverleihung in zwei Wochen anzieht. Vielleicht bist du ja interessiert.“

„Warum sollte ich? Kein Mensch wird mich je zu einer derartigen Veranstaltung einladen, was auch nur gut ist. Ich glaube nämlich kaum, dass man dort in Jeans reingelassen wird.“ Trotzdem schnappte sich Katie das Hochglanzmagazin und steckte es in ihre Tasche.

Claire sah auf ihre Uhr und sprang auf die Füße. „Grundgütiger! In fünf Minuten ist es so weit. Bist du auch ganz sicher, dass du nicht mitkommen willst?“

„Nein danke, du kannst ihn ja für uns beide anhimmeln …“

Erhobenen Hauptes trat Nathaniel auf die Bühne und starrte in die Dunkelheit. Wochenlang hatten sie geprobt, heute war die Stunde der Wahrheit da. Er sah weder das Publikum, noch dachte er an die Kritiker.

Er war Richard II, der gescheiterte König …

Gerade öffnete er den Mund, um seine ersten, einführenden Worte an John of Gaunt zu richten, da wurde die erste Sitzreihe von einem Spotlight erhellt. Nathaniels Finger krampften sich um die Krone in seiner Hand, während er in ein vertrautes Antlitz schaute.

Vertraut … und doch nicht vertraut.

Zwanzig lange Jahre hatten seine Züge verändert, aber doch nicht so sehr, dass er ihn nicht erkannt hätte. Der Schock traf ihn bis ins Mark und ließ sein Blut zu Eis gefrieren. Und dann raste die Vergangenheit in Überschallgeschwindigkeit auf ihn zu. Ein qualvolles Kaleidoskop von Erinnerungen brach aus den sorgfältig verschlossenen Türen seines Unterbewusstseins hervor wie eine geifernde Meute.

Schreie und Terror! Aufhören! Macht ein Ende! Blut … überall Blut! Tut etwas!

Er fühlte sich hilflos, so schrecklich hilflos. Sein Herz klopfte zum Zerspringen.

Nathaniel schaute auf seine verkrampften Hände, die immer noch die Krone umklammert hielten. Da war kein Blut. Seine Hände waren sauber. Trotzdem konnte er sich nicht bewegen. Sein Hirn war wie eingefroren, die Gliedmaßen gelähmt durch die Erkenntnis seiner eigenen Unzulänglichkeit.

Schuldgefühle überfielen ihn, und benommen fragte er sich, wie man gleichzeitig vor Kälte zittern und schweißgebadet sein konnte.

Das Raunen in den Zuschauerreihen erreichte ihn wie durch einen dichten Nebel. Verzweifelt kämpfte er darum, das Kapitel aus der Vergangenheit zu schließen und in seine aktuelle Rolle zurückzufinden.

Ich bin Richard! dachte er verschwommen. Richard der II, König von England …

Er versuchte es zu fühlen, doch es gelang ihm nicht. Alles schien ihm zu entgleiten. Nathaniel presste die Lider zusammen, doch als er sie wieder öffnete, blickte er in ein vertrautes Augenpaar, in dem er die unausweichliche Wahrheit las.

Du bist nicht Richard der II, sondern Nathaniel Wolfe, ein Schauspieler mit einem realen Hintergrund, der dramatischer nicht hätte sein können.

Wäre Shakespeare noch am Leben, hätte er aus der Wolfe-Familiensaga eine Tragödie in drei Akten gemacht! dachte Nathaniel bitter. Keine Komödie, kein Happy End. Nur das Leben in seiner schwärzesten Form. Immer noch versuchte er mit aller Gewalt, seine Fassung wiederzuerlangen, doch dabei versank er nur noch tiefer im Sumpf der Vergangenheit.

Warum kehrt er ausgerechnet heute zurück? fragte er sich dumpf. Warum jetzt, wo wir alle uns ein neues Leben aufgebaut haben?

Eine heiße Wut erfasste ihn mit einer Kraft, die ihn erschreckte und gleichzeitig auf eine fast magische Weise belebte. Er musste Annabelle warnen! Und zwar so schnell wie möglich!

Das leise Raunen im Theater steigerte sich langsam zu hörbaren Missfallenskundgebungen. Selbst die Zuschauer, die bisher geglaubt hatten, der Mime gebrauche die dramatische Pause, um seinem Auftritt ein Maximum an Spannung zu verleihen, merkten langsam, dass sie sich geirrt hatten.

Nathaniel hob das markante Kinn und straffte die breiten Schultern wie ein Kämpfer, der sich seinem Gegner stellt. Ein letztes Mal versuchte er, den eindrucksvollen Text zu deklamieren, doch er konnte sich nicht einmal an den Wortlaut erinnern. Seiner Tarnung beraubt, war er gezwungen, die Rolle zu spielen, die ihm sein Leben lang eher eine Last als eine Lust gewesen war … die des Nathaniel Wolfe.

„Ladys und Gentlemen …“ Seine tiefe Stimme, kalt und frei von jeder Emotion, drang bis in die hintersten Zuschauerränge. Sorgfältig achtete er darauf, nicht zu dem Mann in der ersten Reihe zu schauen. Sonst würde er sich womöglich noch so weit vergessen und von der Bühne stürzen, um ihn zu erwürgen. „Die heutige Vorstellung fällt aus. Bitte lassen Sie sich Ihr Geld an der Theaterkasse zurückgeben.“

Nachdem Katie noch einmal sorgfältig die Unterlagen für ihr anstehendes Bewerbungsgespräch durchgesehen hatte, streckte sie ausgiebig die verkrampften Gliedmaßen, unterdrückte ein Gähnen und verließ die Garderobe.

Hier, hinter der Theaterbühne war es geradezu gespenstisch still. Auf der anderen Seite des Vorhangs hing das Publikum gebannt an Nathaniels Lippen. Sie konnte die Szene förmlich vor sich sehen. Sekundenlang blieb Katie mit geschlossenen Augen stehen und ließ die besondere Atmosphäre ganz tief auf sich einwirken. Wie viele berühmte Schauspieler und Schauspielerinnen mochten auf den geschichtsträchtigen Brettern dieses Theaters schon ihre Kunst gezeigt haben?

Sekundenlang war sie wieder das sechsjährige Mädchen, das mit seiner Schwester Paula Verkleiden spielte.

Du kannst keine Prinzessin sein, Katie. Dafür bist du viel zu fett und deine Haare sind zu kraus. Ich bin viel schöner, also spiele ich die Prinzessin. Aber du darfst mir beim Ankleiden helfen …

Was als kindliche Pflicht begonnen hatte, war schließlich ihre Leidenschaft geworden.

Als Paula für sich beschloss, es sei uncool, mit ihrer pummeligen kleinen Schwester herumzuhängen, begann Katie damit, ihre Freundinnen anzuziehen. Jeden Tag nach der Schule trafen sie sich, um in die schillernde Fantasiewelt der Märchen und Fabeln abzutauchen. Katie liebte es, jeder Rolle einen unverwechselbaren Charakter zu verleihen, und entwarf immer öfter auch eigene, ungewöhnliche Kostüme.

Eine Prinzessin mit Feuerschwert oder Elfen in Reithosen und Cowboystiefeln.

Ein lautes Geräusch aus Richtung der Bühne riss sie unsanft aus ihren Tagträumen. Lauschend neigte sie den Kopf. Was sich zunächst nach schweren Männerschritten angehört hatte, klang plötzlich wie ein durchgegangener Stier auf der Flucht. Was, um alles in der Welt, mochte das sein?

Vielleicht einer der Bühnenarbeiter? Oder ein besonders wagemutiger Journalist, der sich rücklings an den berühmten Schauspieler herangeschlichen hatte und plötzlich entdeckt worden war?

Als Katie feststellte, dass der Flüchtige direkt auf sie zukam, versuchte sie noch zur Seite zu springen, doch es war zu spät. Ein kräftiger männlicher Körper prallte gegen sie und sie wäre zu Boden gestürzt, wenn nicht zwei starke Hände zugegriffen und sie gehalten hätten. Ihr blieb nicht einmal die Zeit für einen Schreckens- oder Schmerzenslaut. Fest an eine breite, warme Brust gepresst spürte Katie, wie sie wankte. Eine ganz normale Reaktion auf den Schock und die Identität des unsichtbaren Angreifers! sagte sie sich bebend.

Harte Muskeln, markante dunkle Züge und Augen, die eine Frau ihren eignen Namen vergessen lassen konnten.

„W…as machen Sie hier, Mr Wolfe?“, fragte sie erstickt und rückte ein Stück von ihm ab. „Müssten Sie nicht auf der Bühne stehen? Ist etwas passiert? Natürlich ist etwas geschehen“, gab sie sich gleich selbst die Antwort und hätte sich am liebsten auch noch geohrfeigt, „sonst würden Sie wohl kaum wie ein wild gewordener Stier hier herumrennen!“

Hör endlich auf zu sabbeln, dumme Pute! schalt sie sich.

„Er ist da …“, flüsterte Nathaniel heiser und umfasste Katies Schultern so hart, dass sie unwillkürlich aufstöhnte.

„Er? Wer ist er?“, fragte sie. Ihr Herz hämmerte wie verrückt, ihr Mund war ganz trocken. Aus unmittelbarer Nähe gesehen wirkte Nathaniel Wolfe geradezu schockierend sexy. Seine Ausstrahlung war so verheerend, dass Katie Angst hatte, auf der Stelle ohnmächtig zu werden. Doch als ihr langsam dämmerte, dass ihr heimlicher Schwarm mindestens ebenso verwirrt und konfus war wie sie, mobilisierte sie all ihre Kräfte.

„Mr Wolfe? Alles in Ordnung?“

„Warum jetzt?“, stieß er hervor. „Warum?“

Abrupt ließ er Katies Schultern los und schlug mit der geballten Faust in eine herumstehende Bühnendekoration. Als sie Holz splittern hörte, hielt sie die Luft an. Heftig atmend presste Nathaniel beide Hände gegen die Stirn. Er schien Katie gar nicht mehr wahrzunehmen. „Ich kann nicht … ich muss Annabelle warnen …“

Wer war Annabelle?

„Okay, wie man leicht erkennen kann, sind Sie ziemlich außer sich“, stellte Katie sachlich fest und trat vorsichtshalber noch einen Schritt zurück. Wachsam beobachtete sie, wie Nathaniel ein Handy aus der Tasche zog und eine Nummer eintippte. Die Fingerknöchel der rechten Hand waren aufgeschürft und bluteten, doch das schien er gar nicht zu bemerken.

In diesem Moment erkannte Katie, warum er so überzeugend verzweifelte, zerstörte Charaktere darstellen konnte. Hinter der attraktiven Fassade des Kinohelden verbarg sich genau dieser gepeinigte, leidende Mensch, den er so häufig in seinen Filmen verkörperte!

Natürlich war das Teil seiner immensen Anziehungskraft. Mit einem verstohlenen Blick auf die harte Kinnlinie und den grimmigen Zug um den gut geschnittenen Mund dachte sie an den Ausnahmesoldaten, den er in seinem letzten Actionthriller Alpha Man verkörperte, den unbarmherzigen Jäger.

Doch in diesem Moment spielte er keine Rolle. Sie spürte und sie wusste es.

Deshalb versuchte Katie auch gar nicht erst, ihn zu überreden, wieder auf die Bühne zurückzukehren. Davon abgesehen hielt sie Nathaniel Wolfe für einen Mann, der ohnehin schwer zu lenken war. Verunsichert sah sie um sich, in der Hoffnung, irgendjemand Kompetentes würde auftauchen und die Zügel in die Hand nehmen. Wo waren eigentlich der Intendant und die Bühnenarbeiter?

Nathaniel hielt sein Handy ans Ohr. Außer auf der Bühne hatte sie ihn stets supercool erlebt, ab und zu ziemlich sarkastisch, schnell gelangweilt, aber nie unkontrolliert. Jetzt wirkten seine Bewegungen nervös und abgehackt. Der gewohnte Zynismus war einem Zustand gewichen, der echter Verzweiflung glich.

„Gibt es hier einen Ausgang, von dem die Presse nichts weiß?“, fragte er Katie.

„Ausgang?“ Katie wagte kaum Luft zu holen. Sein Blick war so eindringlich und intensiv, dass sie nichts tun konnte, als ihn mit offenem Mund anzustarren.

„Wenn Carrie davon erfährt, gibt es ein furchtbares Chaos … geh ans Telefon, verdammt!“ Da ihn offenbar niemand hörte, hinterließ er eine knappe Nachricht auf der Mailbox. Abrupt steckte er das Handy wieder ein und griff nach Katies Arm. „Sie müssen mich hier rauslotsen, aber schnell.“

Sie versuchte zu lachen, doch der Impuls schwand schlagartig, als sich ihre Blicke trafen. In seinem stand echte Panik, und Katie begriff, dass er in dieser Sekunde nicht der Jäger, sondern der Gejagte war. Irgendetwas oder irgendjemand war ihm auf den Fersen.

„Es gibt eine Nottreppe im Kostümraum, die direkt in eine Nebenstraße führt.“ Ohne auf seine Reaktion zu warten, griff Katie nach Nathaniels Hand, zog ihn mit sich in die Garderobe und schloss die Tür hinter ihnen ab. „Das wird sie ein paar Minuten aufhalten“, flüsterte sie konspirativ. „Da drüben ist die Feuertreppe. Los jetzt und … viel Glück!“

„Ich kann das nicht ohne Hilfe schaffen“, wandte Nathaniel ein und hielt sie am Ärmel zurück. „Wo wohnen Sie? Ist es weit von hier entfernt?“

„Sie machen Witze, oder? Ich meine … Sie haben doch eine luxuriöse Suite im Dorchester und …“

„Und das ist der erste Platz, an dem sie nach mir suchen werden. Die Presse campt vor dem Hotel, seit mein Flieger in London gelandet ist.“

Als Katie versuchte, sich Bad Boy Nathaniel Wolfe in ihrer mehr als schlichten Behausung vorzustellen, wurde sie unwillkürlich rot. „Mein … Apartment ist schrecklich beengt. Und ganz ehrlich glaube ich kaum …“

„Bitte!“ Er umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen, sodass sie keine Wahl hatte und ihm erneut in die strahlend blauen Augen sehen musste.

„Katie?“

„Hmm?“ Ein übersteigertes Gefühl sexueller Wahrnehmung, wie sie es nie zuvor erlebt hatte, raubte ihr jede Widerstandskraft.

„Katie!“ Nathaniel schnippte mit den Fingern dicht vor ihren Augen und brach damit den Bann.

Benommen schüttelte sie den Kopf. „Sie … Sie kennen meinen Namen?“

Trotz der offensichtlichen Anspannung zuckte es kurz um seinen Mund. „Ich habe es mir zur Pflicht gemacht, von jeder Frau den Namen zu kennen, die sich mit der Innenseite meiner Schenkel beschäftigt. Also, Katie, bringen Sie uns hier raus. Auf keinen Fall will ich von den Paparazzi zum Dinner verspeist werden.“

Der krasse Wandel in seiner Haltung ihr gegenüber raubte ihr die Sprache. Immer noch zutiefst davon beeindruckt, dass Nathaniel Wolfe ihren Namen kannte, tat sie ihr Bestes, um die penetrante Stimme in ihrem Hinterkopf zu ignorieren, die sie warnte, keinen Fehler zu machen.

„Okay“, sagte sie und holte noch einmal tief Luft. „Aber mein Apartment wird nach dem Dorchester ein ziemlicher Schock für Sie sein. Sagen Sie hinterher nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.“ Sie zog ihre Jacke an, schnappte sich zwei Helme und warf Nathaniel einen davon zu. „Hier … für Sie.“

„Was soll ich damit?“, fragte er fassungslos.

„Aufsetzen. Wenn wir türmen wollen, brauchen wir ein Fluchtfahrzeug. Ich habe eins draußen stehen. Es ist ziemlich wendig und perfekt für den dichten Londoner Verkehr. Der Helm wird Sie nicht nur schützen, sondern verbirgt auch Ihr Gesicht. Nicht, dass es nicht attraktiv wäre, aber …“

Von draußen näherten sich Stimmen, dann rüttelte jemand an der Tür.

Energisch ergriff Katie die Initiative, drückte Nathaniel den Helm auf den Kopf und drängte ihn in Richtung des Fensters. „Die Feuerleiter könnte vereist sein, also passen Sie auf.“ Dann musste sie ganz unverhofft kichern. „Aber wem sage ich das! Machen Sie nicht die meisten Stunts in Ihren Filmen selbst?“

Darauf ging er nicht ein, sondern zog schon wieder das Handy aus der Tasche. „Ich muss noch einmal versuchen Annabelle zu erreichen …“

„Nichts da!“, entschied Katie spontan, nahm ihm das Handy ab und stopfte es zurück in seine Jackentasche. „Sie können später von meinem Apartment aus telefonieren.“ Wer diese Annabelle war, interessierte sie kein bisschen, und Nathaniels kompliziertes Liebesleben ging sie ohnehin nichts an. Aber das stand hier auch nicht zur Debatte. „Wenn Sie nicht von einer Horde Paparazzi abgeschossen werden wollen, dann sollten Sie sich jetzt lieber sputen!“

2. KAPITEL

Ihre Tritte hallten laut auf den Metallstufen der Feuerleiter. Katie war so zappelig, dass sie die letzten Stufen einfach hinuntersprang und direkt neben ihrer Vespa landete.

Von der kalten Februarluft bildeten sich kleine Rauchfahnen vor ihren Mündern. Fassungslos starrte Nathaniel auf den alten Roller. „Das ist Ihre Vorstellung von einem Fluchtfahrzeug?“, fragte er ungläubig.

„Gut, es ist vielleicht kein Ferrari …“

„Definitiv nicht!“

„Aber es ist viel schneller und wendiger, als es aussieht. Und es hat den entscheidenden Vorteil, dass niemand erwarten würde, Sie auf einer Vespa zu sehen.“ Damit schwang sie sich auf den Sitz und startete den Motor. Als genau in diesem Moment eine Gruppe Paparazzi um die Ecke des Theatergebäudes kam, fluchte Nathaniel unterdrückt.

Katies Geduld war am Ende. „Steigen Sie schon auf!“, fauchte sie ihn an. „Ich hasse es, fotografiert zu werden!“

Rasch nahm er auf dem Sozius Platz, schlang einen Arm um Katies Taille und lehnte sich schwer gegen ihren Rücken. „Na los!“, kommandierte er. „Wenn das Ding überhaupt fährt!“

Sein Körper dicht hinter ihr, eine Hand auf ihrem Bauch.

Das Gefühl war einfach sensationell – bis auf eine Kleinigkeit. Katie schwor sich, ab morgen jeden Tag mindestens hundert Sit-ups zu machen!

„Los!“, forderte Nathaniel erneut, legte seine Hände über Katies und übernahm die Kontrolle, indem er den Gashebel voll aufdrehte. Die Vespa preschte nach vorn, und während Katie noch fester gegen die Brust ihres Passagiers gedrückt wurde, schoss ihr durch den Kopf, in was für einer surrealen Situation sie sich befand.

Bad Boy Nathaniel Wolf … als Sozius auf meiner Vespa!

Surreal und gefährlich! entschied sie gleich darauf, weil Nathaniel gar nicht daran dachte, die Geschwindigkeit zu drosseln. Stattdessen versuchte er, aus ihrem alten Roller rauszuholen, was nur ging. Das Motorengeräusch hörte sich für sie schrecklich ungesund an.

„Langsamer!“ Nicht im Traum hatte sie geahnt, dass ihre kleine Vespa überhaupt zu einer derartigen Leistung fähig war! Zu spät erinnerte sie sich daran, dass Nathaniel Wolfes Hobby Motorradrennen waren, weshalb einige Regisseure auch auf eine Zusammenarbeit mit ihm verzichteten.

Er war eben doch der Bad Boy von Hollywood.

Furcht- und rücksichtslos lenkte er den armen kleinen Roller direkt auf die Journalisten und Fotografen zu. Katie fühlte echte Panik in sich aufsteigen und stieß einen unterdrückten Schreckenslaut aus.

„Irgendetwas nicht in Ordnung?“, schrie Nathaniel ihr von hinten ins Ohr.

„Die Geschwindigkeit …“

„Ich gebe wirklich mein Bestes, Darling“, versicherte er ihr in völliger Fehleinschätzung der Lage, „aber mehr ist aus der alten Mühle wirklich nicht rauszuholen!“

Der Pressetross kam immer näher, und Katie wollte schreien, doch sie brachte nicht den kleinsten Piep hervor.

„Keine Angst, sie werden sich gleich bewegen“, versicherte Nathaniel gelassen.

„Und wenn nicht?“

„Dann gibt’s ein paar Schmeißfliegen weniger, die mir auf Schritt und Tritt folgen. Und jetzt gut festhalten!“, warnte ihr Sozius.

Als Katie voller Panik die Lider hob, waren sie den Paparazzi bereits so nahe gekommen, dass sie das Weiße in ihren Augen sehen konnte. In buchstäblich letzter Sekunde schoss die Meute auseinander. Die Vespa jagte durch sie hindurch und bog rasant in die Hauptstraße ein. Schreie von verstörten Menschen, die ihnen auszuweichen versuchten, mischten sich mit wütendem Taxihupen und dem Geräusch quietschender Bremsen.

Katie fühlte sich wie in einem Albtraum gefangen. Hinter sich hörte sie Nathaniel lachen und schauderte. Der Mann hatte offenbar einen extremen Sinn für Humor! Im Vorbeirasen sah sie eine riesige Menschenansammlung vor dem Theater stehen. Die meisten waren Frauen, die große Transparente hochhielten, auf denen stand: I love Nathaniel Wolfe. Sie waren gekommen, um wenigstens einen flüchtigen Blick auf ihr Idol zu werfen, wenn sie schon keine Karten mehr bekommen hatten.

Jetzt mischten sie sich mit den frustrierten Zuschauern, die aus dem Innern des Theaters strömten und denen trotz Eintrittskarten auch nicht mehr als jener kurze Anblick des berühmten Schauspielers vergönnt gewesen war, bevor er fluchtartig die Bühne verlassen hatte.

Wenn Sie wüssten, dass er gerade auf einer altersschwachen Vespa an ihnen vorbeirast! dachte Katie und konnte sich ein kleines Gefühl der Genugtuung nicht verkneifen.

„Wo lang?“, brüllte Nathaniel.

Die Stimme dicht an ihrem Ohr klang immer noch sehr dominant. Und Katie beschloss, dass es an der Zeit war, wieder selbst die Regie zu übernehmen. Immerhin kannte sie sich in diesem Straßengewirr viel besser aus als er. Bereitwillig zog Nathaniel seine Hände zurück, legte sie aber locker um ihre Taille, was nicht gerade zu ihrer Konzentration beitrug.

Vorsichtshalber fuhr sie ein paar Schleifen durch ein Gewirr von Nebenstraßen, um etwaige Verfolger abzuschütteln. Erst zwanzig Minuten später war sie so weit beruhigt, dass sie es wagte, die Themse zu überqueren, um ins südliche London zu gelangen, wo sie ein Mini-Apartment bewohnte.

Inzwischen hatte sich auch ihr Herzschlag ein wenig beruhigt, und erst nachträglich dämmerte Katie die Ungeheuerlichkeit ihrer spontanen Aktion. Sobald sie in das Viertel mit den schmucklosen Wohnblocks einbog, holte die Realität sie zumindest so weit ein, dass ihr peinlich bewusst wurde, wie wenig ihr berühmter Sozius in diese Gegend passte. Vor einem der anonymen grauen Kästen hielt sie an.

„Hier wohne ich.“

Zu ihrem heimlichen Bedauern ließ Nathaniel sie sofort los, stieg von der Vespa und wollte den Helm abnehmen.

„Noch nicht!“, warnte Katie hastig. „Auch hier könnte Sie jemand erkennen. Lassen Sie uns lieber erst reingehen. Und gehen Sie so normal wie möglich. Nicht wie ein Hollywoodstar oder ein Elitesoldat auf einer wichtigen Mission. Sie müssen sozusagen mit dem Hintergrund verschmelzen.“ Wie das in der martialischen schwarzen Lederjacke möglich sein sollte, die sie ihm als zeitgenössisches Kostüm für Richard II verpasst hatte, wusste sie allerdings auch nicht.

Ihre Beine zitterten wie Espenlaub, als sie unsicher von der Vespa stieg. „Sie sind gefahren wie ein Wahnsinniger“, beschwerte sie sich. „Ich dachte schon, Sie bringen uns beide um!“ Ihre Hände bebten ebenfalls, als sie den Roller abschloss. „Ich wohne im zweiten Stock.“ Schauen sie niemanden an, während wir hochgehen.“

Als sie den ersten Absatz erreichten, öffnete sich leise eine Tür. „Bist du das, Katie, Liebes?“, drang eine dünne Stimme durch den Spalt.

Mit einem heftigen Wink hielt sie ihren Begleiter hinter sich. „Ja, Vera, ich bin’s. Alles in Ordnung?“

„Du bist aber früh zurück.“ Die Tür öffnete sich ein Stück weiter. „Und dann auch noch in Begleitung eines attraktiven jungen Mannes.“ Die Augen der alten Dame glitzerten neugierig hinter den runden Brillengläsern. „Das ging ja wirklich schnell! Deshalb heißt es wohl auch Speed-Dating.“

„Vera, ich war gar nicht …“

„Und da hast du nicht lange gefackelt und ihn gleich mit nach Hause genommen. Schön für dich, Liebes!“ Sie beugte sich vor, um Nathaniel besser in Augenschein zu nehmen. „Sie haben gute, breite Schultern, junger Mann.“

Sprachlos vor Verlegenheit umarmte Katie ihre alte Nachbarin und schob sie sanft in die Wohnung zurück. „Tut mir leid, aber wir müssen jetzt …“

„Ganz bestimmt müsst ihr!“, versicherte Vera, die den Wink zu verstehen glaubte. „Speed-Dating! Denk nur daran, dass nicht alles in diesem rasanten Tempo passieren muss, Liebes.“ Mit diesem mütterlichen Ratschlag entließ sie die jungen Leute und schloss nachdrücklich die Tür.

Katie stöhnte innerlich auf und suchte mit hochrotem Kopf nach dem Schlüssel in ihrer Tasche, während sie die letzten Stufen hinaufging. Sie wusste nicht, was sie sagen oder wo sie hinschauen sollte. Das änderte sich schlagartig, nachdem sie ihr winziges Apartment aufgeschlossen hatte und das Licht anknipste!

Grundgütiger! In der Aufregung der letzten Stunden hatte sie völlig vergessen, in welchem Zustand sie ihre schäbige Bleibe heute Morgen hinterlassen hatte. Abgesehen vom benutzten Geschirr in der Spüle lagen auch noch überall Zeichenblätter mit Kostümskizzen herum – das Ergebnis eines kreativen Brainstormings der letzten Nacht.

„Entschuldigen Sie bitte das Chaos“, bat sie mit schwankender Stimme, „aber ich hatte gestern die Frühschicht im Coffee Shop und musste danach noch die Kostümentwürfe für die nächste Inszenierung von Der Widerspenstigen Zähmung überarbeiten.“

„Schicht im Coffee Shop?“, echote Nathaniel verständnislos.

„Sie beginnt pünktlich um sechs, da gibt’s kein Pardon. Aber wenn Sie mir ein paar Minuten Zeit lassen, räume ich rasch auf.“

Nathaniel nahm den Helm vom Kopf, legte ihn achtlos zur Seite und griff nach der nächstliegenden Skizze. „Arbeiten Sie nicht am Computer?“

„Auch, aber Kostüme male ich am liebsten frei Hand, besonders in der Entwurfsphase. Es ist sehr wichtig zu verstehen, was sie aussagen und dass sie den Charakter der Rolle unterstreichen.“

Kritisch musterte er die rasant hingeworfene Zeichnung. „Dieses Kleid sagt eindeutig: ‚Ich liebe wilden Sex‘. Wenn es für Katharina bestimmt ist, dann steht Petrucchio, dem glücklichen Hund, eine heiße Nacht bevor.“ Abrupt wandte er sich Katie zu. „Und Sie waren heute zum Speed-Dating verabredet?“

Heftig errötend riss sie ihm das Skizzenblatt aus der Hand. „Nur als Begleitung für eine gute Freundin“, behauptete sie. „Glauben Sie, dass uns jemand gefolgt ist?“, versuchte sie ihn dann abzulenken.

Nathaniel grinste schwach. „Ich denke, es ist Ihnen gelungen, sie abzuschütteln. Bei Ihnen könnten sogar meine Bodyguards ein paar Nachhilfestunden nehmen.“

Da war er wieder, der coole, fast gelangweilte Hollywoodmime mit dem trägen, nachlässigen Charme, der jedes Frauenherz höher schlagen ließ. Kein Anzeichen der Verzweiflung mehr. Stattdessen schlenderte er mit den Händen in den Taschen in ihrem winzigen Wohnzimmer herum, nahm hin und wieder ein Foto oder ein Buch in die Hand und betrachtete es mäßig interessiert. Bis er zu einem Stapel mit Hochglanzmagazinen kam …

Die Promi-Illustrierten! Katie gefror zur Salzsäule. Es war zu spät, um noch etwas zu unternehmen, denn die oberste Ausgabe hielt er bereits in der Hand! Es zeigte ihn von den schmalen Hüften aufwärts nackt in seiner Rolle als Elitesoldat.

„Warum heben Sie Bilder von mir auf?“

Weil ich auch nur eine ganz normale Frau bin! Aber das sagte sie nicht laut.

„Vorlagen für … für Kostüme“, stammelte sie stattdessen. „Ich … ich musste mich mit Ihrer Physiognomie vertraut machen, um zu entscheiden, welcher Stil und welche Farben am besten zu Ihrer Rolle als Richard II passen würden.“

Wie gut, dass ich nicht meinem ersten Impuls gefolgt bin und die Bilder als Poster an die Wand gehängt habe!

Nathaniel legte die Zeitschrift zurück und griff nach einer weiteren Kostümskizze. „Sie sind sehr gut … Interessante Deko …“, murmelte er dann und nahm eines der sauber aufgereihten bunten Seidenkissen vom Sofa. „Was soll das hier simulieren? Die Lustwiese in einem Harem? Wollen Sie demnächst irgendwo für eine Rolle als Konkubine vorsprechen?“

Katies Wangen nahmen den gleichen Ton an wie das karminrote Seidenkissen. Sie brachte so selten jemanden mit zu sich nach Hause, dass sie gar nicht auf den Gedanken verfallen wäre, irgendwer könnte ihr kleines buntes Reich vielleicht seltsam oder bestenfalls ungewöhnlich finden.

„Ich glaube kaum, dass ich mich für diese Rolle eigne“, erwiderte sie steif. „Das Apartment wirkte nur so schrecklich blass und trist, als ich hier einzog. Vielleicht habe ich ein bisschen übertrieben beim Versuch, es wohnlicher zu machen.“ Was derartige Dinge betraf, kannte ihre Kreativität so gut wie keine Grenzen.

Um die dunklen Flecken an den Wänden zu verbergen, hatte Katie sie mit Stoff bespannt. Oder besser gesagt, mit Resten von Ballenware, die sie aus dem Theaterfundus geschenkt bekommen hatte. Auf dem fußkalten Boden lag ein dicker flauschiger Teppich in einem dunklen, satten Rotton. Die Lampen, sofern sie nicht als Arbeitsleuchten dienten, trugen halbtransparente, farbige Hussen, die den Lichtkegel nach unten strahlen ließen, um vom Wasserschaden an der Decke abzulenken. Das monströse, aber bequeme Schlafsofa war eine Hinterlassenschaft ihres Vormieters.

„Es sieht vielleicht anders aus, aber so schlecht ist die Wohnlage hier gar nicht, solange man nach Mitternacht im Apartment bleibt“, erklärte sie, immer noch verlegen. „Außerdem ist die Miete sehr günstig, was mir entgegenkommt, da ich im Moment noch eine Menge Schulden …“ Sie brach ab und biss sich auf die Lippe.

Bin ich denn völlig verrückt geworden? Was gehen Hollywoods Bad Boy meine finanziellen Verhältnisse an? Nichts! Absolut gar nichts!

Trotzdem sprach sie weiter wie unter Zwang.

„Mein Vater ist letztes Jahr gestorben, was an sich schon schlimm genug ist. Leider mussten wir nach seinem Tod auch noch feststellen, dass er offenbar fast sein ganzes Leben lang spielsüchtig gewesen war.“ Katie versuchte, den Kloß in ihrem Hals hinunterzuschlucken. „Wie auch immer … um seiner verhängnisvollen Leidenschaft nachgehen zu können, hat er unser Haus bis unters Dach verpfändet. Und wenn ich die monatlichen Raten nicht bezahle, verliert meine Mutter ihr geliebtes Heim. Also mache ich eben Doppelschichten.“

„Erzählen Sie eigentlich jedem Fremden derart intime Details aus Ihrem Leben?“, fragte Nathaniel irritiert.

„Jedem, der lange genug stehen bleibt, um sich die traurige Geschichte anzuhören“, rettete sich Katie in Selbstironie. „Tut mir leid, ich wollte Sie nicht langweilen, ich bin nur … ziemlich verwirrt und hundemüde. Ich glaube, eigentlich wollte ich mich nur für das häusliche Chaos hier entschuldigen.“

Nathaniels Blick blieb an einer Müslischale mit angetrockneten Körnern am Rand hängen. „Frühstück?“

„Spätes Dinner, gestern Abend“, erwiderte Katie ohne nachzudenken. „Da ich erst gegen elf zu Hause war, wollte ich nicht mehr kochen. Damit bleibt nur Müsli oder Toast zur Auswahl. Sie wissen ja selbst, wie es ist, wenn man sich allein versorgen muss.“ Ein Blick in sein unbewegtes Gesicht reizte sie zum Lachen. „Verzeihung! Natürlich wissen Sie es nicht! Wenn Sie allein essen müssen, dann bestimmt in einem 5-Sterne-Restaurant. Aber wahrscheinlich ist jemand wie Sie ohnehin nie allein und …“

„Hören Sie irgendwann von selbst auf zu reden, oder kann man das abstellen?“

Katies Mund klappte zu, dafür wurden ihre Augen riesengroß. Dies war womöglich die einzige Gelegenheit, ihr Idol mit intelligenter Konversation zu fesseln, und was tat sie? Anstatt mit ihm über interessante Filme, die globale Erwärmung oder eine Antarktisexpedition zu diskutieren, langweilte sie ihn mit ihren Problemen fast zu Tode!

„Tut mir leid“, versicherte sie nicht zum ersten Mal, „aber ich habe so selten einen echten Hollywoodstar in meinem Apartment. Es fühlt sich an …“

„Na, wie fühlt es sich denn an?“, hakte der Hollywoodstar nach, da ihre Mitteilungswut plötzlich verebbt zu sein schien.

Wie er sie dabei anschaute, ließ Katie erbeben. Sein Blick blieb an ihren vollen Lippen hängen, er beugte sich vor, und es sah aus, als ob … als ob …

Wollte Nathaniel Wolfe sie etwa küssen?

Ohne sich dessen bewusst zu sein, brachte sie ihr Gesicht immer näher an seines heran. Doch bevor sie die Augen ganz schloss, sah sie ihn erstarren. Nathaniel hob die Brauen, wandte sich abrupt ab und flüchtete in die entfernteste Ecke des kleinen Raums.

Völlig aus der Balance gebracht, stand Katie da wie ein unbeholfener Teenager. Nathaniel Wolfe war ein Superstar. Warum, um alles in der Welt, sollte er ausgerechnet sie küssen wollen?

Die romantische Seifenblase war vor ihren Augen zerplatzt, und damit geriet das Chaos in ihrem winzigen Apartment automatisch wieder in Katies Fokus. Augenblicklich schwor sie sich, ihr Leben zukünftig besser zu organisieren.

Da Nathaniel ihr immer noch stoisch den Rücken zukehrte, ging sie mechanisch auf die Knie und begann, ihre kreativen Geistesblitze aufzusammeln. Sie hatte noch nicht die Hälfte zusammen, da drehte er sich um. Ihre Blicke begegneten sich und versanken ineinander. Prompt rutschten Katie alle Papiere aus der Hand und flatterten erneut zu Boden.

„Tja, ich habe Sie gewarnt, dass Sie im Dorchester besser dran sind. Wahrscheinlich halten Sie mich jetzt für einen Messie, aber ich finde es nun mal übersichtlicher und animierender, alle Entwurfsphasen festzuhalten und sie um mich herum in meinem Sichtfeld zu platzieren.“

Da er sie nur verständnislos anstarrte, hockte sie sich auf die Fersen und legte den Kopf schief.

„Sie sehen schrecklich aus. Sind Sie sicher, dass Sie nicht darüber reden wollen? Wenn einen etwas belastet, ist es besser, man lässt es heraus, anstatt es in sich hineinzufressen, bis man explodiert.“

Seine blauen Augen waren völlig ausdruckslos. „Mich belastet nichts“, erwiderte er.

Lügner! Katie erinnerte sich noch gut an die Panik in seinem Blick, als er im Theater in sie hineingerannt war. „Mir müssen Sie nichts vormachen. Mein Dad ist erst letztes Jahr gestorben, und ich wäre völlig untergegangen, hätte ich nicht meine Freunde gehabt.“ Energisch sammelte sie die letzten Skizzen ein und stand dann wieder auf. „Wollen Sie meine Meinung dazu hören?“

Sie haben eine eigene Meinung zu meiner Situation?“

„Ich kann Ihnen nur eine Einschätzung aus weiblicher Sicht geben“, erklärte sie. „Sie erwähnten die Namen Annabelle und Carrie, was mich vermuten lässt, dass Sie mit zwei Frauen gleichzeitig ein Verhältnis eingegangen sind.“ Sie machte eine Pause, um ihm Gelegenheit zum Einspruch zu geben, doch nichts kam. „So etwas endet grundsätzlich im Chaos, selbst bei einem berühmten Hollywoodstar. Aber davon abgesehen halte ich es persönlich ohnehin für einen schäbigen Zug, sich auf eine Affäre mit einer verheirateten Frau einzulassen.“

Auf Nathaniels Wange zuckte ein Muskel. „Was bringt Sie denn auf diese Idee?“

„Ihre überstürzte Flucht von der Bühne. Sie haben ausgesehen, als wäre Ihnen Hamlets Geist begegnet und hätte irgendwas gesagt wie …“ Katie krauste die Nase und versuchte, sich an den genauen Wortlaut zu erinnern. „Er ist hier. Ja, das war es … er ist hier. Und dann wollten Sie Annabelle warnen, und Carrie sollte irgendetwas nicht herausfinden. Also lautet meine Schlussfolgerung: Sie versuchen, vor einem eifersüchtigen Ehemann zu flüchten.“

„Sie haben eine mehr als ausschweifende Fantasie“, sagte Nathaniel barsch. „Was ich sagte, bezog sich auf einen Theaterkritiker, eine echte Ratte. Plötzlich wurde mir klar, dass ich noch nicht bereit bin für die Rolle. Es fühlte sich alles falsch an, deshalb bin ich gegangen.“

Instinktiv schüttelte Katie den Kopf. „Das nehme ich Ihnen nicht ab. Ich habe die Generalprobe gesehen. Sie waren fantastisch! Versuchen Sie etwa, mir Ihren Abgang als einen Anfall von Lampenfieber zu verkaufen?“

„Eher als einen Anfall von künstlerischer Integrität. Ich bin eben Perfektionist.“

Während er sprach, fixierte er Katie so eindringlich, als wollte er sie hypnotisieren. Ihre Sicherheit schwand. Vielleicht war es ja wirklich so, wie er behauptete. Doch dann erinnerte sie sich daran, wie viele Preise Nathaniel Wolfe bereits für seine Schauspielkunst errungen hatte. Und das hier war ebenfalls gespielt, dessen war sie sich plötzlich ganz sicher.

Ein bohrender Blick musste nicht heißen, dass er die Wahrheit sagte. Ihr erster Eindruck war also richtig gewesen, und unter der glatten Oberfläche war seine innere Anspannung auch noch deutlich zu spüren. Doch das behielt sie lieber für sich, während sie zum Kühlschrank ging und eine Packung gefrorene Pfirsiche herausholte.

„Dann lassen Sie mich wenigstens Ihre äußeren Blessuren versorgen.“ Ohne weitere Umstände griff sie nach seiner geschwollenen Hand und kühlte sie mit dem eisigen Obst. „Es sieht ziemlich übel aus. Was meinen Sie, ist sie gebrochen?“

„Unsinn!“, knurrte der undankbare Kerl. „Was haben Sie sonst noch gehört?“

„Nichts weiter, aber das ist doch auch egal. Falls Sie denken, ich würde der Presse von Annabelle oder Carrie erzählen, täuschen Sie sich gewaltig in mir. Aber das sollte mich kaltlassen, da Sie mich nicht wirklich kennen. Trotzdem gehe ich davon aus, dass die beiden Damen Ihnen die Hölle heißmachen werden, sobald Sie erfahren …“

„Hören Sie denn nie auf zu reden?“, unterbrach er sie gepeinigt.

Katie zuckte zusammen. „Ich rede nur so viel, wenn ich nervös bin“, verteidigte sie sich, „und Sie machen mich schrecklich nervös.“

Wie mache ich Sie nervös?“

„Einfach, weil sie da sind!“, stieß sie hervor. „Es ist ein äußerst merkwürdiges Gefühl, einen Hollywoodstar im eigenen Apartment zu haben. Die ganze Zeit warte ich instinktiv darauf, dass irgendjemand ‚Action!‘ ruft.“

In den blauen Augen blitzte es humorvoll auf. „Sie sehnen sich nach Action?

„Das habe ich nicht gesagt!“, wehrte sie hastig ab. „Es … es fühlt sich alles nur so unwirklich an. Inzwischen werden Sie sich bestimmt auch ärgern, dass Sie nicht gleich ins Dorchester …“

„Wenn ich in mein Hotel gewollt hätte, wäre ich dort hingegangen.“

Die Wände ihres winzigen Wohnzimmers rückten mit jedem seiner Worte noch enger zusammen. Plötzlich kam Katie ein Geistesblitz. „Sicher wollen Sie endlich Ihre zahlreichen Frauen anrufen. Ich ziehe mich solange zurück.“

„Besten Dank“, murmelte Nathaniel und hörte sich dabei keine Spur dankbar an.

„Ich bin in meinem Schlafzimmer, wenn Sie mich brauchen.“ Himmel! Warum denke ich eigentlich nie nach, bevor ich spreche?

Diesmal zwinkerte er ihr ganz offen zu. „Aha, im Schlafgemach und bereit für Action …

Flirtet er etwa mit mir? Nein, ganz sicher nicht!

Wie ein aufgescheuchtes Huhn floh Katie in ihr Schlafzimmer und schloss die Tür.

Urplötzlich war es da. Ein rauschhaftes Verlangen, das Nathaniel erstaunte und irritierte.

Wie, zur Hölle, komme ich auf die absurde Idee, mit einer Frau zu flirten, die zu Hause Fotos von mir aufbewahrt?

Das konnte doch nur zu Problemen führen, und davon hatte er wahrlich genug am Hals! Seit dem Moment, als er fluchtartig die Bühne verlassen hatte, war sein Adrenalinspiegel noch keinen Millimeter gesunken, und jetzt überfiel ihn auch noch völlig unerwartet wildes sexuelles Begehren!

Dabei musste er jetzt mehr denn je einen klaren Kopf haben und wichtige Telefonate führen. Doch anstatt das Handy aus der Tasche zu ziehen, drängte es Nathaniel, seine Hand auf die verdammte Klinke zu legen, ins Schlafzimmer einzubrechen und dieses sonderbare Mädchen bis zur Besinnungslosigkeit zu lieben. Dass sie offenbar ähnlich empfand, half seiner angeschlagenen Selbstbeherrschung kein bisschen!

Diese Katie war so anders als die weltgewandten, erfahrenen Frauen, mit denen er sonst zu tun hatte. Ihr sah man an der kecken Nasenspitze an, was sie dachte und fühlte. Und wie schwer es ihr fiel, diese Gefühle unter Kontrolle zu halten.

Nathaniel schob die Hände tief in die Taschen, wandte sich von der Tür ab und lächelte bitter. Ein Heiliger war er auf keinen Fall, was Frauen betraf, doch sich mit jemandem einzulassen, der ihn anschaute, als verfüge er über ein First-Class-Ticket, das bis zum Ende des Regenbogens reichte, kam für ihn nicht infrage.

In seinem Leben gab es keine Regenbögen, sondern nur finstere Sturmwolken. Und gerade in diesem Moment ballten sie sich über seinem Kopf bedrohlich zusammen …

Nathaniel prüfte seine Mailbox, aber Annabelle hatte sich noch nicht gemeldet. Ob sie die Nachricht überhaupt schon abgehört hatte? War sie vielleicht so betroffen, dass sie sich irgendwo zitternd zusammenkrümmte und versuchte, der Realität zu entkommen? Immer, wenn er an Annabelle dachte, meldete sich wieder ein nagendes Schuldgefühl, das hässliche Erinnerungen in ihm wachrief.

Fast angewidert steckte Nathaniel das Handy weg und fragte sich, warum er sich überhaupt diese Mühe machte. So eng standen sie einander schließlich auch nicht – aber das galt fast für alle Wolfe-Geschwister. Das Einzige, was sie verband, war der ausgeprägte Drang nach absoluter Unabhängigkeit.

Nathaniel trat ans Fenster und schaute hinunter auf die triste Straße, wo sich kein einziger Paparazzo zeigte. Miss Schnatterliese mit den hinreißend weiblichen Kurven und den unglaublichen Brüsten hatte es also tatsächlich geschafft, die Meute von Schmeißfliegen abzuhängen. Trotzdem verfinsterte sich sein Blick.

Als sich schließlich die Schlafzimmertür in seinem Rücken öffnete, hatte er sich wieder unter Kontrolle. Langsam wandte er sich um und hätte fast aufgelacht. Auf den ersten Blick war ihm klar, dass Katie zunächst ihr Make-up aufgefrischt und dann energisch wieder abgewischt haben musste, um nicht zu vordergründig zu erscheinen. Dabei hätte sie sich jede Mühe sparen können.

Schminke oder nicht, ihr voller Mund wirkte so verlockend wie eine reife Frucht, und selbst der strenge Pferdeschwanz konnte den feurigen Glanz ihrer Locken nicht kaschieren. Ihr ständiges Geplapper und das teenagerhafte Gehabe hätten ihm auf die Nerven fallen und ihn abstoßen müssen, aber stattdessen ging ihm dieses seltsame Mädchen unter die Haut.

Was sie wohl sagen würde, wenn er sie ohne Vorwarnung in seine Arme reißen, zurück ins Schlafzimmer bringen und voller Leidenschaft lieben würde? Er wollte sich in ihr verlieren, Trost und Ablenkung von dem Desaster finden, zu dem sich sein Leben entwickelt hatte. Sie wirkte so … rein, belebend und stark.

Katie mied seinen Blick, fragte aber: „Wollen Sie denn gar nicht rangehen?“

„Rangehen?“, wiederholte er verblüfft und registrierte erst jetzt, dass sein Handy klingelte.

Es war sein Bruder Sebastian, und als Nathaniel das Gespräch annahm, war er sich sehr wohl bewusst, dass Katie jedes Wort mithören konnte. „Ja, er war da. Rafael muss ihm das Ticket besorgt haben … keine Ahnung. Wir können nur versuchen, die Situation irgendwie zu retten.“

Während er sprach, pusselte Katie in der Küchenecke herum und bemühte sich zu demonstrieren, dass sie auf keinen Fall lauschte. Sie trug immer noch ihre alten Jeans, und die herausfordernde Rundung ihres reizenden Hinterteils hätte wohl jeden gesunden Mann zu den verwegendsten Fantasien verleitet. Nathaniel bildete darin keine Ausnahme und merkte erst verspätet, dass er die Hälfte von dem, was sein Bruder erzählte, gar nicht mitbekommen hatte.

„Wie bitte? Nein, das halte ich für … zu riskant. Ich werde England so schnell wie möglich verlassen. Du hast ja meine Privatnummer … wir bleiben in Verbindung. Das Wichtigste ist, dass wir sie beschützen.“

Was zur Hölle war nur los mit ihm? Er hätte sich einzig und allein auf die drohende familiäre Katastrophe konzentrieren müssen, anstatt darüber nachzusinnen, wie er Katie am schnellsten aus ihrer Jeans befreien konnte!

„Haben Sie so etwas wie Whisky im Haus?“, fragte er nach dem Telefonat.

„Tut mir leid“, erwiderte sie, immer noch mit dem Rücken zu ihm. Irritiert stellte er fest, wie angespannt ihre Haltung war.

„Sehen Sie mich einmal an.“

„Kann ich nicht. Tut mir leid, dass ich keinen Whisky für Sie habe, wie wär’s mit einem Glas Milch?“

Nathaniel schüttelte sich. „Das letzte Glas Milch habe ich mit drei Jahren getrunken! Warum können Sie mich nicht ansehen?“

„Sie ist aber voll Kalzium und Vitamin D … gut für die Knochen.“

„Und Alkohol ist gut für mich, wenn ich Stress habe.“ Während er sprach, schlenderte Nathaniel zur Küchenecke und griff nach einer Flasche, die im offenen Regal stand. „Was ist das?“

Jetzt kam Katie nicht umhin, über die Schulter nach hinten zu schauen, und wurde sofort von seinen blauen Augen in den Bann gezogen. Rasch senkte sie den Blick aufs Etikett. „Absolut nichts für Sie“, entschied sie angesichts des billigen Rotweins, den Claire mitgebracht und den sie dann doch verschmäht hatten. „Ich werde ihn auch höchstens zum Abbeizen von alten Möbeln verwenden.“

Fast hätte Nathaniel behauptet, dass das genau der richtige Tropfen für seine momentane Verfassung war, riss sich aber in letzter Sekunde zusammen. „Das halte ich schlichtweg für übertrieben“, murmelte er, öffnete den Drehverschluss und griff nach zwei Gläsern.

„Nicht für mich“, entschied Katie, die das Manöver aus den Augenwinkeln beobachtet hatte.

Doch Nathaniel ignorierte den Einwand und schenkte beide Gläser voll. „Trinken!“, forderte er fast barsch. „Wir brauchen beide eine Stärkung.“ Er nahm einen großen Schluck und hatte Mühe, ihn bei sich zu behalten, als sich Geschmackskomponenten auf seiner Zunge entfalteten, die er einem Rotwein nie zugeschrieben hätte. Nicht einmal dem billigsten! „Vielleicht aber auch nicht …“, murmelte er angewidert.

Katie verblüffte ihn, als sie in genau diesem Moment nach dem zweiten Glas griff. „Ich habe meine Meinung geändert“, verkündete sie energisch und stürzte das zweifelhafte Gebräu förmlich hinunter.

„Offenbar haben Sie keinen besonders anspruchsvollen Geschmack.“

„Den kann ich mir nicht leisten“, gab sie knapp zurück und starrte, ohne eine Miene zu verziehen, auf einen Punkt hinter seiner linken Schulter.

„Warum weichen Sie ständig meinem Blick aus, Katie?“, fragte er unvermittelt.

„Ich … Verzeihung, aber empfinden Sie diese Situation nicht als völlig absurd?“

„Was soll daran absurd sein?“

„Schauen Sie uns beide doch bloß mal an! Ich in löchrigen Jeans, in einem winzigen Apartment und wahrscheinlich demnächst ohne Job, und Sie … Na ja, wer und was Sie sind, wissen Sie selbst am besten. Ich befürchte ständig, dass gleich jemand kommt und meine Eintrittskarte kontrolliert, wenn ich Ihnen zuschaue. Oder dass im nächsten Moment irgendein Kerl im Kampfanzug mit einem Gewehr in der Hand hinter Ihrer Schulter auftaucht, der in den gleichen Film gehört!“

„Wenn schon ein Kerl hinter mir lauert, dann doch wohl eher einer Ihrer zahlreichen, eifersüchtigen Liebhaber, der mir den Kopf abreißen wird, weil er uns zusammen in Ihrem Apartment überrascht“, konterte Nathaniel. „Obwohl … wenn Sie heute Abend zum Speed-Dating wollten, gibt es diesen Kerl vielleicht gar nicht?“

„Ich lebe allein“, bekannte Katie.

„So, dann sind Sie also Single“, stellte er zufrieden fest und rief sich gleich in der nächsten Sekunde zur Ordnung.

„Nicht dass es mir etwas ausmacht!“, behauptete sie hastig. „Ich fühle mich sogar ausgesprochen wohl als Single. Man kann so spontan sein, wie man will. Zum Beispiel einfach ein Müsli zum Frühstück essen, anstatt Tee und Toast … und das Geschirr hinterher abwaschen oder stehen lassen, ganz wie man will. Und …“ Sie brach ab und lächelte reuig. „Verzeihung, ich rede schon wieder zu viel, oder?“

„Hmm“, erwiderte Nathaniel unverbindlich.

Sie seufzte. „Es ist nur so …“, startete sie einen erneuten Erklärungsversuch, „ich habe das Gefühl, Sie schon lange zu kennen, weil ich mir all Ihre Filme angeschaut und Sie sogar schon nackt gesehen habe. Dabei kenne ich Sie kein bisschen. Das macht alles so sonderbar.“

Nathaniel spürte ein seltsames Prickeln auf der Haut. „Sie haben mich nackt gesehen?“

„Ja, in diesem indischen Film“, erinnerte Katie ihn unbefangen. „Ich habe ihn mir zwei- oder sogar dreimal angeschaut und …“ Ihre Stimme verebbte, dafür färbten sich die Wangen blutrot, im Wissen, dass sie die speziellen Szenen mindestens hundert Mal voller Gier verschlungen hatte! „Die Stelle, an der Sie die Heldin auf Ihren Armen zum Strand hinuntergetragen haben, war so etwas wie Kult bei uns in der Uni.“

Nathaniel rang sichtbar um Fassung und versuchte nicht, sich zu rächen, indem er sich im Gegenzug Katie ohne Jeans und T-Shirt vorstellte. „Ich dachte, Sie hätten Kostümdesign studiert“, murmelte er mit belegter Stimme. „Erzählen Sie mir davon.“

Erzähl, was du willst! Nur nichts, was im Entferntesten mit Sex zu tun hat!

„Auch der nackte Körper kann eine Art Kostüm sein“, erklärte Katie ganz ernsthaft, „wenn es zur Rolle passt. Ich wollte damit nur sagen, dass es mir seltsam vorkommt, Sie so gesehen zu haben und …“

„Schon gut!“, wehrte er hastig ab. „Sie haben doch in den letzten Wochen sehr eng mit mir zusammengearbeitet, also bin ich längst kein Fremder mehr für Sie. Und ich kann Ihnen versichern, dass ich keine unehrenhaften Absichten Ihnen gegenüber hege.“ Nathaniel überlegte kurz, ob er lieber die Finger hinterm Rücken kreuzen sollte, ließ es dann aber. „Machen Sie nur nicht den Fehler, mich mit den Rollen zu verwechseln, die ich spiele. Um Sie zu beruhigen, Katie, ich reiße Ihnen nur die Kleider vom Leib, wenn Sie es vorher bei mir versuchen …“

Sein schwacher Scherz entspannte die prickelnde Atmosphäre kein bisschen. Eher im Gegenteil! Katies rote Gesichtsfarbe intensivierte sich nur noch.

„Sie müssen mir glauben, Mister Wolfe. So ein Gedanke würde mir niemals kommen!“ Im Gegensatz zu ihm kreuzte Katie ihre Finger vorsichtshalber tatsächlich hinterm Rücken! „Ich mag vielleicht eine heimliche Romantikerin sein, aber ich bin keine Närrin und kann sehr wohl zwischen Fantasie und Realität unterscheiden, obwohl …“

Wie durch ein Wunder kehrte ihr Sinn für Humor zurück und ließ ihre Stimme leicht und heiter klingen.

„Es gab schon Momente …“ Sie zögerte. „Passiert es eigentlich öfter, dass Zuschauer und Fans ähnlich reagieren?“

„Ständig! Am schlimmsten war es, als ich den Psychiater in Heartsink spielte. Anschließend wurde ich monatelang von Menschen belagert, die von mir eine helfende Diagnose erwarteten.“ Endlich! Sie sprachen nicht länger über Sex! Aber warum ließ dann das Brennen in seinen Lenden nicht nach? „Ich habe Ihnen noch gar nicht für Ihre spontane Hilfe gedankt.“

„Kein Problem, habe ich gern getan.“

Nathaniel war es gewohnt, von weiblichen Wesen umringt zu sein, die entweder albern kicherten, versuchten, mit ihm zu flirten oder sonst wie seine Aufmerksamkeit zu erregen. Katie war die erste Frau, die entschlossen zu sein schien, ihn nicht einmal anzuschauen. „Es ist ziemlich entnervend, immer nur zu Ihrem Scheitel sprechen zu können“, entfuhr es ihm wider Willen.

Da hob Katie den Kopf und sah ihn direkt an. Ihre Blicke trafen sich, und Nathaniel fluchte innerlich. Hätte er doch nur den Mund gehalten!

„Geht es Ihnen wenigstens ein wenig besser?“, fragte sie sanft.

„Besser?“, echote er rau.

„Im Theater wirkten Sie unglaublich verstört und irgendwie … verzweifelt.“

„Sie haben wohl doch eine ziemlich überschäumende Fantasie, Katie. Oder es liegt an dem Wein“, erwiderte er. „Wie viele Gläser brauchen Sie, um den Tanz der sieben Schleier aufzuführen?“

Natürlich entging ihr nicht, dass er auf diese Weise nur vom eigentlichen Thema ablenken wollte, doch die Richtung machte Katie nervös. „Tut mir leid, aber Ihr Harem scheint mir ohnehin schon überfüllt zu sein.“

„Keineswegs!“, behauptete Nathaniel mit herausforderndem Grinsen. „Die Requisiten sind bereits vorhanden …“ Mit einer ausholenden Geste wies er auf ihr orientalisch anmutendes Sofa mit den glänzenden Seidenkissen. „Sie brauchen mir nur noch einen Wink zu geben, wann ich den Scheich für meine hingebungsvolle Konkubine spielen soll.“

Vor Verlegenheit wusste Katie nicht, wohin sie schauen sollte. „Das Sofa ist längst nicht so bequem, wie es aussieht“, klärte sie ihn auf.

„Dann werde ich unbedingt dafür sorgen, dass ich oben liege“, gab er zurück und strich ihr nachlässig über die Wange. „Sie sind sehr schön, Katie. Das ist es auch, was die Duchess of Gloucester so erbittert. Sie hasst es, Frauen um sich zu haben, die sie daran erinnern, dass ihre Jugendblüte längst vorbei ist.“

Sein Daumen verharrte an ihren bebenden Lippen. Es wäre so leicht und nur natürlich, sie in diesem Moment zu küssen.

Katie trat einen Schritt zurück, sodass seine Hand herabfiel. „Alles schön und gut“, resümierte sie pragmatisch. „Aber jetzt zum Wesentlichen. Wie sind Ihre Pläne für heute Nacht?“

Er lächelte schief. „Ich brauche wohl eine Bleibe.“

„Hmm …“

„Das war eigentlich Ihr Stichwort, um mich einzuladen.“

„Sie wollen hier schlafen? Sind Sie verrückt?“, entfuhr es ihr spontan. „In Ihrer Luxussuite im Dorchester …“

„Der einzige Luxus, den ich brauche, ist Privatsphäre, und die ist dort unter Garantie nicht gegeben“, unterbrach er sie rasch. „Kann ich nicht auf dem Sofa übernachten?“

Völlig überrumpelt öffnete Katie den Mund und schloss ihn wieder. Dann schüttelte sie hilflos den Kopf. „Sie haben doch gar kein Gepäck dabei. Nicht einmal einen Pyjama.“

„So etwas besitze ich gar nicht. Also, was ist? Geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß, Katie.“

„Tja, wenn es wirklich das ist, was Sie wollen …“

Zufrieden mit seinem Erfolg konnte Nathaniel es sich nicht verkneifen, seine widerwillige Gastgeberin ein wenig zu necken. „Und was mache ich, wenn mir mitten in der Nacht kalt wird?“, fragte er betont harmlos.

Sekundenlang versanken ihre Blicke ineinander, und Nathaniel spürte ein sonderbares Ziehen in der Herzgegend. Dann sah er, wie Katie kaum merklich den Kopf schüttelte. „Sie werden nicht frieren, aber ich hole Ihnen vorsichtshalber noch eine Decke“, sagte sie ruhig und wandte sich ab.

3. KAPITEL

Er drohte zu ertrinken …

Das kalte Wasser des Sees schlug über seinem Kopf zusammen. Eine unsichtbare Kraft zog ihn hinab ins nasse Grab. Als er den Mund öffnete, um zu schreien, drang Wasser in seine Lungen. Das Letzte, was er sah, war die dunkle Silhouette eines Mannes, der sich abwandte und davonging, um ihn seinem grausamen Schicksal zu überlassen.

Schweißgebadet und am ganzen Körper zitternd schreckte Nathaniel aus dem Schlaf. Trotz der zusätzlichen Decke war ihm eiskalt, sein Kopf schmerzte vom zweifelhaften Genuss des billigen Rotweins und von zu wenig Schlaf.

Trotzdem war er froh, wach zu sein. Denn das bedeutete wenigstens das Ende des grauenhaften Albtraums. Mit bebenden Fingern fuhr er sich durch das feuchte Haar. Der Horror lauerte also immer noch in seinem Unterbewusstsein. Es war sehr lange her, dass er den bedrückenden Ort verlassen hatte, und auch schon Jahre, seit er zuletzt von ihm geträumt hatte.

An dem heutigen Rückfall in die Vergangenheit trug allein Jacob die Schuld. Warum hatte er zurückkommen müssen? Und warum gerade jetzt?

Nathaniel setzte sich mit steifen Gliedern auf. Ein Spalt in den Vorhängen gab den Blick durch die regennassen Scheiben frei … auf einen grauen Februarmorgen. Voller Sehnsucht dachte er an sein helles, komfortables Heim in Kalifornien. Dort hatte er sich ein neues Leben aufgebaut, das sich in so ziemlich jedem Punkt von seinem alten unterschied.

Und trotzdem suchte er immer noch nach der ultimativen Erlösung. Nach seinem Seelenfrieden.

Ein Bühnenengagement in England war ihm als rettende, kreative Abwechslung zur hohlen Seifenblase namens Hollywood erschienen. Hier in London wähnte er sich sicher vor der Vergangenheit … bis er seinen ältesten Bruder in der ersten Reihe des berühmten Theaters gesehen hatte.

Mit einem unterdrückten Fluch griff er nach seinem Handy und stellte fest, dass Annabelle ihm inzwischen geantwortet hatte. Nur zwei Worte.

Ich weiß.

Angespannt starrte Nathaniel aufs Display und fragte sich, in welchem Zustand sie diese Nachricht verfasst haben mochte. In trüben Gedanken gefangen erhob er sich von seiner unbequemen Lagerstatt und rang einen Moment nach Atem in dem winzigen, fremden Wohnzimmer. Noch nie war er in einem Raum gewesen, bei dem die Wände so dicht zusammenstanden. Er fühlte sich wie ein Gefangener.

Instinktiv trat er ans Fenster und blickte hinunter auf die Straße. Wie eine hungrige Wolfsmeute hatten sich zahllose Journalisten und Fotografen vor dem schäbigen Haus zusammengerottet. Sobald sie ihn erspähten, riefen sie seinen Namen. Nathaniel zuckte zurück und lehnte sich fluchend gegen die Wand.

Warum überraschte ihn die Szenerie? Nichts anderes war von den aufdringlichen Paparazzi zu erwarten gewesen. Es war Teil seines Lebens. Seit er in Hollywood Karriere gemacht hatte, konnte er sich nirgendwo auf der Welt mehr frei bewegen. Und immer gab es jemanden, der bereit war, ihn an die Medien zu verkaufen.

Grimmig sah er zur geschlossenen Schlafzimmertür hinüber. Katie lag unter Garantie noch in tiefem Schönheitsschlaf. Als er daran dachte, wie mitteilungsfreudig sie gestern schon ihm gegenüber gewesen war, verfinsterte sich seine Miene noch.

„Nathaniel! Katie!“, tönte es von der Straße.

Seinen Namen zusammen mit ihrem zu hören, verstimmte ihn nur noch mehr. Wütend riss er die Tür auf und betrat ihr winziges Schlafzimmer. „Aufwachen, Dornröschen! Wir haben ein Problem vor der Haustür!“

Mit einem leisen Schreckenslaut fuhr Katie hoch. Als sie Nathaniel vor ihrem Bett stehen sah, war sie schlagartig hellwach. Abrupt setzte sie sich auf und rieb sich den Schlaf aus den grünen Nixenaugen. „Was? Wo?“

Sekundenlang dachte er, sie wäre splitterfasernackt, doch dann sah er die schmalen Spaghettiträger inmitten der wirren dunklen Locken, die ihr über die Schultern herabfielen.

„Dank Ihrer Unfähigkeit, ein Geheimnis für sich zu behalten, müssen wir uns jetzt mit diesen Schmeißfliegen herumplagen!“, warf er ihr vor und musterte dann verblüfft ihr schmales Singlebett. „Kann man auf einer derart engen Pritsche überhaupt richtigen Sex haben?“

Errötend ignorierte Katie die dreiste Frage. „Fliegen? Was für Fliegen?“, fragte sie stattdessen irritiert.

„Paparazzi! Sie lauern nur darauf, endlich ein Foto zu schießen, das zu Ihrer erfundenen Geschichte passt.“

Neben dem Bett stapelten sich dicke Skizzenbücher. Um sich von Katies verführerischem Anblick abzulenken, nahm er das oberste in die Hand und blätterte es durch. Jede Seite war mit Skizzen mondäner, glamouröser Kleider gefüllt, und doch lief ihre Schöpferin stets in Jeans und T-Shirt herum. „Tolle Entwürfe. Aber Sie sehen heute Morgen auch ganz besonders reizend aus, Freitag“, konnte er sich nicht verkneifen. „Wenn Sie so ans Fenster treten, kommen Sie garantiert aufs Titelbild.“

„Journalisten?“ Benommen schüttelte Katie den Kopf. „Wie konnten die uns hier finden?“

„Tja, wie wohl?“ Seine Stimme troff vor Sarkasmus. „Haben Sie mich nicht selbst gewarnt, dass Sie zu viel reden, wenn Sie nervös sind?“

Katie konnte es nicht fassen. „Sie glauben, dass ich …“

„Na, immerhin kennen sie Ihren Namen und rufen ihn abwechselnd mit meinem.“

Meinen Namen?“ Mit einem Ruck warf sie die Decke zurück und gewährte Nathaniel damit einen Blick auf ihre langen, schlanken Beine, der ihn fast die Beherrschung kostete. Unter den farblosen Klamotten, in denen sie sich ihm seit Wochen präsentierte, trug Fräulein Schnatterliese offenbar heiße Dessous, die durch das nahezu transparente Spitzennachthemd schimmerten.

„Hören Sie auf, mich so anzustarren!“

Nathaniel verschränkte die Arme vor der Brust, als könnte ihm das helfen, seine Libido im Zaum zu halten. „Ich muss wissen, was Sie ihnen gesagt haben“, zwang er seine Aufmerksamkeit zurück aufs Wesentliche.

„Nicht, bevor ich geduscht habe und angezogen bin“, entschied Katie, ohne richtig hinzuhören und flüchtete an ihm vorbei ins Bad.

Bei der Vorstellung, welchen Schaden die hässlichen Schlagzeilen auf Carries zerbrechliches Gemüt haben könnten, erfasste Nathaniel kalte Wut. Hatte er nicht versprochen, sie unter allen Umständen zu beschützen?

Keine fünf Minuten später war Katie zurück – in Jeans und einem formlosen, dicken Pullover.

„Wann genau ist Ihnen die Idee gekommen, mich in die Falle zu locken und an die Presse zu verfüttern?“, fuhr Nathaniel sie an.

Fassungslos starrte sie ihn an. „Sind Sie verrückt? Sie haben mich angebettelt, Sie in meinem Apartment aufzunehmen. Schon vergessen?“

„Noch nie in meinem Leben habe ich eine Frau um was auch immer angebettelt“, erklärte er kalt. „Und als ich Sie im Theater um Hilfe bat, hielt ich Sie noch für ein sympathisches junges Ding. Aber jetzt sagen Sie endlich, wen Sie angerufen und was Sie ihm erzählt haben.“

„Niemanden und nichts!“, gab sie zurück. „Ohnehin ist alles Ihre Schuld! Sie allein haben mich und sich in diese schreckliche Situation gebracht.“

„Warum sollten Sie mir dann geholfen haben, wenn Sie nicht auf das Geld für die Story aus waren?“, hakte er misstrauisch nach.

Katie schien überlegen zu müssen. „Keine Ahnung“, sagte sie schließlich. „Aber ganz bestimmt nicht, um Geld oder einen zweifelhaften Ruhm einzuheimsen! Ich hasse es, fotografiert zu werden, und weiß wirklich nicht, warum Sie so erpicht darauf sind, nur das Schlechteste von mir zu denken.“

„Wo ich gehe und stehe, versucht jeder, mich mit seinem Handy abzulichten.“

„Mit meinem kann ich nur telefonieren, sonst nichts!“, konterte sie hitzig.

„Was haben sie gestern von meinem Telefonat mitbekommen?“, schwenkte er plötzlich um.

„Merken Sie gar nicht, wie beleidigend Sie sind?“

„Sie waren sehr lange in Ihrem Schlafzimmer …“, sinnierte er unbeeindruckt weiter, „wahrscheinlich haben Sie an der Tür gelauscht. Oder was sonst?“

Angesichts dieser Unverschämtheit schnappte Katie nach Luft. Plötzlich hatte sie Mr Wonderful gründlich satt. „Wollen Sie das wirklich wissen?“, fragte sie mit geröteten Wangen. „Ich stand vorm Spiegel und wünschte mir, ich wäre eines dieser langbeinigen, hauchdünnen Models mit vorstehenden Hüftknochen, das weniger Schwierigkeiten damit hätte, einen Hollywoodstar zu unterhalten!“

„Vorstehende Hüftknochen?“

„Ja!“, stieß sie trotzig hervor. „Das ist seit Jahren mein großes Ziel, aber leider habe ich immer viel zu viel Appetit.“

„Katie …“

„Ich habe Sie nicht belauscht, Mr Wolfe!“, schnitt sie ihm das Wort ab und biss sich dann plötzlich auf die Lippe. „Aber ich bin angerufen worden“, fügte sie dann kleinlaut hinzu.

„Und Sie konnten nicht widerstehen!“

„Es war meine Freundin Claire. Wir waren verabredet, und sie wollte wissen, wo ich bleibe. Sie erzählte, dass alle im Theater durchgedreht sind, weil Sie so plötzlich verschwunden waren. Und sie hat mich gefragt, ob Sie bei mir wären, doch das habe ich verneint.“

„Wahrscheinlich halten Sie sich auch noch für die geborene Lügnerin, ja? Vielleicht sollte ich Ihnen Nachhilfestunden geben.“

„Nein danke“, kam es kühl von Katie zurück. „Egal, was Claire dachte, sie hätte niemals etwas herumgetratscht. Allerdings habe ich die Duchess von Gloucester im Hintergrund gehört. Ihr wäre ohne Weiteres zuzutrauen … Tut mir leid, dann ist es also doch meine Schuld. Ich hätte Sie nie mit hierhernehmen dürfen!“

„Nein, nein!“, wehrte Nathaniel ab. Er war der Erfahrene in dieser Hinsicht und hätte klüger sein müssen. „Das vergessen Sie gleich wieder. Schließlich habe ich Sie quasi gezwungen, mich aufzunehmen. Zwei Leute verschwinden aus dem Theater, die Presse sieht uns zusammen auf der Vespa, der Rest ist leicht herauszubekommen.“

Noch immer wirkte Katie kreuzunglücklich.

„Jetzt lauern die Aasgeier unten vor der Tür und wissen, dass wir die Nacht zusammen verbracht haben.“

„Haben wir nicht!“, empörte sie sich.

„Haben wir doch.“

„Aber nicht … so! Das können die doch unmöglich annehmen!“

„Und warum nicht?“, fragte Nathaniel neugierig.

„Na, ich meine, da sind Sie … weltbekanntes Sexobjekt und ich, die kleine unbedeutende Kostümbildnerin.“

„Sie sind unglaublich sexy, Freitag.“

Obwohl er sie schon wieder mit dem verhassten Spitznamen angesprochen hatte, weiteten sich ihre Augen. „Sie … Sie finden mich sexy?

Nathaniel lächelte. „Na, gestern Abend haben wir es doch beide nur knapp geschafft, die Hände voneinander zu lassen“, erinnerte er sie zu ihrer Verlegenheit.

„Unsinn! Ich meine … Sie doch nicht …“ Ihre Wangen färbten sich scharlachrot. „Sie sind Nathaniel Wolfe!“

„Was hat das mit sexueller Anziehung zu tun?“

„Nun, ich meine, weil …“ Katie nahm all ihren Mut zusammen. „Ich habe genügend Bilder der Frauen gesehen, mit denen Sie sich verabreden, und finde den Anblick ziemlich deprimierend.“

„Bestimmt nicht mehr, als ich das Zusammensein mit ihnen. Vielleicht liegt es daran, dass sie nie frühstücken.“ Er schien einen Moment ernsthaft darüber nachzudenken. „Auf jeden Fall unterschätzen Sie Ihre Anziehungskraft, Katie. Sie sehen ja selbst, die Presse konnte nur einen flüchtigen Blick auf Sie erhaschen und hält uns gleich für ein Liebespaar.“ Unwillkürlich wanderte sein Blick zu ihren anbetungswürdigen Lippen. „Jetzt wollen Sie natürlich die ganze Geschichte.“

Damit wurde es noch unerlässlicher, Annabelle und Carrie vor den Aasgeiern zu schützen. Und Katie war neben ihren eindeutigen Vorzügen eine unglaubliche Schnatterliese! Sie wusste nicht viel, aber genug, um seinen Albtraum zum Leben zu erwecken. Die Tatsache, dass sie auch noch prompt die falschen Schlüsse aus den Informationsfetzen gezogen hatte, machte die Sache nur schlimmer. Jahrelang war es ihm gelungen, das schreckliche Geheimnis zu wahren – und jetzt?

Auf keinen Fall durfte er Katie in der nächsten Zeit aus den Augen lassen.

„Dann ist es ja gut, dass es gar keine Geschichte gibt.“ Katie schlich zum Fenster und linste vorsichtig durch den Vorhangspalt. „Grundgütiger! Da gibt es unzählige Katastrophen auf der ganzen Welt, und die gesamte Presse muss ausgerechnet hier herumlungern! Hätte ich Ihnen doch nur nicht geholfen! Wenn sie es schaffen, ein Foto von mir zu schießen, werden sie sofort wieder Vergleiche anstellen!“

„Vergleiche? Mit wem?“

Katie sah ihn an und senkte den Blick. „Nichts … das ist ein fürchterlicher Schlamassel, in dem wir stecken.“

„Endlich sind wir einer Meinung!“ Nathaniel öffnete ihren Kleiderschrank und holte einen Mantel heraus. Mausbraun! Warum trägt sie nur Schlammfarben? „Ziehen Sie das über, wir müssen los.“

„Wohin?“ Schockiert fing Katie ihren Mantel auf und schlüpfte hinein. „Mit Ihnen gesehen zu werden, hat mir schon genug Ärger eingebracht. Wir sollten uns so schnell wie möglich trennen.“

„Dafür ist es unglücklicherweise zu spät.“

„Unsinn! Alles was Sie tun müssen, ist, die Tür zu öffnen und rauszugehen.“

„Katie, man wird Sie an die Wand nageln.“

„Keine Angst, meine Lippen bleiben versiegelt.“

Skeptisch hob er die Brauen. „Nur aus Interesse … wie lange halten Sie durch, ohne ein Wort zu reden. Die Zeit, in der Sie schlafen, zählt nicht!“

„Ehrlich gesagt rede ich sogar im Schlaf, und natürlich besonders, wenn mich irgendetwas stresst.“ Ihr Lächeln sollte ihm Vertrauen einflößen. „Keine Angst, ich werde mit keinem der Journalisten ins Bett gehen.“

„Und jetzt soll ich mich besser fühlen?“

„Unbedingt. Die Presse hat kein Interesse an mir. Außerdem kenne ich gar keine Details über Annabelle oder Carrie. Sie sind ja nicht so mitteilungsfreudig wie ich.“

„Ist auch nicht einfach, bei Ihrem ständigen Redefluss zu Wort zu kommen.“ Inzwischen hatte Nathaniel sich via Handy ins Internet eingeklinkt. „Hier! Von wegen, die Presse interessiert sich nicht für Sie!“ Er hielt ihr das Display entgegen. „Alles da: Name, Adresse, Internet-Profil.“

Katie beugte sich vor und erstarrte. „Das ist mein Bild“, flüsterte sie. „Wo haben sie mein Bild her?“

„Hier ist noch eins.“

„Einen Moment!“, rief sie und nahm ihm das Handy weg. „Wo und wann ist das aufgenommen worden? Und was steht da geschrieben? ‚Ist sie der Grund, warum Nathaniel Wolfe gestern Abend von der Theaterbühne verschwand?‘ Natürlich nicht … ich habe Sie gerettet! Gehen Sie raus und sagen Sie ihnen die Wahrheit!“, forderte Katie.

Das würde er ganz bestimmt nicht tun! „Die Presse ist nicht an der Wahrheit interessiert. Wir müssen uns für eine Weile aus dem Weg schaffen und hoffen, dass sie bald neue, lohnende Opfer finden.“

„Das ist aber keine nette Einstellung.“

„Dann ist es Ihnen lieber, wenn diese Kanaillen vor Ihrem Haus campieren? Winzige Kameras in Ihren Briefkasten schmuggeln, Ihre Nachbarn interviewen und jeden einzelnen Boyfriend ausgraben, mit dem Sie je liiert waren?“

„Das würde sie keine fünf Minuten kosten“, murmelte Katie und versuchte, nicht allzu frustriert zu klingen. „Das mit den Bildern ist viel schlimmer. Ich hasse es, fotografiert zu werden.“

„Aber warum?“

Ein Schulterzucken. „Das ist einfach so. Außerdem wüsste ich nicht, weshalb sich die Leser für mein Liebesleben interessieren sollten.“

„Weil Sie mit mir zusammen sind und weil die Menschen nichts lieber als Skandalgeschichten über andere beim Frühstück lesen.“

„Ich nicht! Ich mag nur Geschichten mit Happy End. So wie Feuerwehrmann rettet verängstigte Katze von hohem Baum.

„Dass Sie kein Durchschnittstyp sind, war mir von Anfang an klar. Und genau das ist unser Problem. Packen Sie eine Tasche und vergessen Sie Ihren Pass nicht. Sie kommen mit mir.“

„Das kann unmöglich Ihr Ernst sein.“

„Wenn ich Sie hierlasse, könnte ich Sie genauso gut in einen Teich mit gefräßigen Piranhas werfen. Also keine Widerrede und vergessen Sie den Pass nicht!“

Empört stellte Katie sich in Positur. „Ich denke gar nicht daran! Sie haben mein Leben schon genügend durcheinandergewirbelt. Ich habe meine Arbeit, Freunde und Familie, die ich …“ Sie brach ab, als sein Handy klingelte. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie es immer noch umklammert hielt. Stumm gab sie es ihm zurück.

„Das ist mein Agent“, sagte Nathaniel nach einem kurzen Blick aufs Display. „Ich muss das Gespräch annehmen. Packen Sie endlich, und ich sorge inzwischen dafür, dass wir hier rausgelotst werden.“

Während Katie nervös in ihrem winzigen Schlafzimmer auf- und ablief, überlegte sie, wie lange es dauern konnte, bis die Presse eine Verbindung zwischen ihr und ihrer göttlichen Schwester herstellte. Dann würden wieder diese ätzenden Vergleiche beginnen, unter denen sie von klein auf gelitten hatte.

Inzwischen bin ich eine erwachsene, souveräne Frau und kein verletzlicher Teenager mehr! Auch, wenn es sich nicht so anfühlt …

Sie durfte sich nicht in die Enge treiben lassen, sondern musste einfach mit ihrem gewohnten Leben fortfahren. Am besten war es, sie packte sich wirklich eine Tasche und campierte für eine Weile im Theater, bis der Sturm im Wasserglas sich gelegt hatte. Die Sicherheitsleute dort waren immer ausgesprochen nett zu ihr gewesen.

„Was ist? Haben Sie Ihren Pass?“

Langsam wandte sie sich um. „Den brauche ich nicht, weil ich direkt ins Theater gehen und mich im Garderobenraum einschließen werde“, erklärte sie hoheitsvoll.

„Sie werden nichts dergleichen tun!“

„Und ob! Immerhin habe ich dort einen Job zu erledigen.“

„Welchen?“, fragte er grob. „Ich bin gestern von der Bühne abgetreten und werde nicht dorthin zurückkehren. Das Theater wird vorübergehend geschlossen bleiben.“

„Sie … Sie meinen, ich habe bereits meine Arbeit verloren?“

„Ja, und zwar durch meine Schuld!“, knurrte Nathaniel gereizt. „Würden Sie mich bitte nicht so anstarren, als hätte ich Ihr Lieblingshündchen überfahren? Ich sorge dafür, dass Sie einen neuen, besseren Job bekommen.“

„Aber diese außergewöhnliche Shakespeare-Aufführung sollte die erste große Sprosse meiner Karriereleiter werden!“

„Es werden noch andere Theaterstücke aufgeführt.“

„Wissen Sie eigentlich, wie viele Kostümbildnerinnen sich für diesen Job beworben hatten? Achthundert! Sie haben ja gar keine Ahnung …“

„Ich leihe Ihnen mein Adressbuch aus.“

„Danke, nein! Ich will es allein schaffen.“

„Seien Sie doch nicht so schrecklich naiv!“, forderte er gereizt. „Die richtigen Beziehungen bedeuten alles in diesem Gewerbe.“

Abweisend schüttelte Katie die dunklen Locken. „Ich habe bereits ein Vorstellungsgespräch bei einer Kostümdesignerin. Jetzt, wo ich offenbar arbeitslos bin, ist dieses Treffen wichtiger denn je.“

Nathaniel seufzte. „Wie heißt die Designerin?“

„Meredith Beynon.“

„Nie von ihr gehört. Wenn Sie jetzt brav sind, verschaffe ich Ihnen ein Treffen mit Alicia Brent. Ist Ihnen der Name ein Begriff?“

„Wie wohl jedem aus der Branche! Und Sie kennen sie?“

„Ja, und wenn wir das hier hinter uns haben, werden Sie Alicia auch kennenlernen. Also … Pass!“

Mechanisch zog Katie ihn aus einer Kommodenschublade und ließ es zu, dass Nathaniel ihn ihr abnahm und einsteckte. „Wo wollen wir denn hin?“

„Auf jeden Fall in eine journalistenfreie Zone. Bis zur Verleihung des Sapphire Screen Award werde ich mich der Presse entziehen … auf einer einsamen und sehr romantischen Insel. Sonne, Meer und …“

„Ich werde nicht mit Ihnen schlafen!“, stellte Katie lieber gleich klar.

Um Nathaniels klassischen Mund zuckte es verdächtig. „Ich wollte zwar Abgeschiedenheit sagen, aber Sex klingt auch ganz gut. Sie plappern, wenn Sie wach sind und wenn Sie schlafen. Da wäre es doch interessant, herauszufinden, ob Sie auch dann nicht damit aufhören können, wenn wir …“

„Vergessen Sie es!“

4. KAPITEL

Warum, zur Hölle, habe ich sie nur mitgeschleppt?

Gut, in der akuten Notlage schien es der einzige Weg gewesen zu sein, sie davon abzuhalten, mit der Presse zu reden. Leider merkte Nathaniel erst verspätet, was Katies ständige Anwesenheit für ihn bedeutete! Gesellschaft rund um die Uhr, ob er wollte oder nicht. Und das nicht von irgendwem, sondern von Katie!

Katie, die stinkwütend auf ihn war und dennoch glaubte, dass man jedes Problem lösen konnte, wenn man nur offen über alles redete.

Wahrscheinlich war es die gerechte Strafe dafür, dass er sie ungefragt in seine missliche Lage hineingezogen hatte.

Er warf einen Blick auf ihr unbewegtes Profil und musste selbst darum kämpfen, die eigenen Emotionen im Zaum zu halten. „Hören Sie auf, so zu tun, als hätte ich Ihnen eine Weltkarriere vermasselt. Es war doch nur ein kleines Kostümdrama mit zweitklassigen Schauspielern. Provinziell und langweilig.“

„Und ganz nebenbei eine wichtige Sprosse auf meiner Karriereleiter“, erinnerte sie ihn steif.

„Wie viele Sprossen hat denn diese Leiter? Sie sollten zur Abwechslung mal zwei oder drei auf einmal nehmen, wenn Sie irgendwann oben ankommen wollen. Und dieser Job bei Meredith Sowieso wäre ohnehin nichts für Sie gewesen.“

„Besten Dank für die Blumen!“

„Ich meine das völlig ernst.“

Katie lachte hohl. „Daran hege ich nicht den geringsten Zweifel. Aber das heißt noch lange nicht …“

„Ihre Entwürfe sind absolut außergewöhnlich, Katie. Ich halte Sie für ausgesprochen begabt.“

Sekundenlang starrte sie ihn nur perplex an. „Sie halten mich für begabt?“

„Ja, die arme Frau wäre davon nur irritiert oder verschreckt gewesen. Derart innovative Ideen, und dann noch von einem jungen, unbekannten Ausnahmetalent, werden nur von Kreativen akzeptiert, die mindestens in der gleichen Liga spielen.“

„Das ist sehr freundlich von Ihnen, hilft aber nicht, meinen Kühlschrank zu füllen.“

„Entspannen Sie sich, Katie. Ich werde ein paar Anrufe machen und sorge dafür, dass Sie in Hollywood arbeiten können. Wenn ich Sie nicht bei Alicia unterbringe, dann bei Rupert Schneider oder Howard Kennington.“

„Sie … Sie kennen all diese Leute?“

„Aber ja, und jeder einzelne von ihnen ist ständig auf der Suche nach neuen Talenten.“

„Sie wollen mich ihnen wirklich vorstellen?“ Sein Angebot versöhnte Katie und wärmte ihr Herz. „Ich freue mich, dass Sie doch mehr Verantwortungsgefühl zu haben scheinen, als ich bisher annahm.“

„Oh, nein!“, protestierte Nathaniel sofort. „Statten Sie mich nicht mit Eigenschaften aus, die ich nicht besitze. Ich tue das allein, weil ich an Ihr Talent glaube. Und natürlich auch, weil ich keine schmollenden Frauen ertrage. Besonders nicht, wenn ich mit ihnen auf einer Insel festsitze.“

„Das hätten Sie sich vorher überlegen sollen“, konterte Katie spitz. „Es gibt nämlich so etwas wie ein ausgleichendes Karma, wissen Sie. Und das wird Sie dafür bestrafen, dass Sie mich gezwungen haben, Sie zu begleiten.“

„Noch härter als ohnehin schon?“, fragte er in gespieltem Entsetzen. „Tag und Nacht einer Frau ausgeliefert zu sein, die pausenlos spricht, ist für einen Mann die Hölle, glauben Sie mir!“ Aufseufzend lehnte Nathaniel sich in seinen Sitz zurück und schloss die Augen. Schlagartig wurde er in die Realität zurückkatapultiert. Er sah Jacob in der ersten Reihe sitzen. Doch egal, was er seinem Bruder gegenüber fühlte, die Vergangenheit schweißte sie zusammen. Daran würde nichts und niemand je etwas ändern können …

„Alles in Ordnung?“ In Katies smaragdgrünen Augen stand aufrichtige Besorgnis. „Sie klammern sich ja regelrecht an Ihrem Sitz fest.“

Nathaniel lockerte seine verkrampften Finger. „Ich bin ein extrem nervöser Flugpassagier.“

„Soweit ich weiß, besitzen Sie einen Pilotenschein und sind in Ihrem letzten Film sogar selbst eine Maschine geflogen“, erwiderte Katie.

Er nickte. „Exakt. Ich hasse es nur, von jemand anderem geflogen zu werden. Lieber übernehme ich selbst die Kontrolle und Verantwortung für mein Leben. Aber nach der qualvollen Nacht auf Ihrem unbequemen Sofa würde ich unser beider Leben damit nur leichtsinnig aufs Spiel setzen.“

Katie zog es vor, diese erneute Unverschämtheit zu überhören, und wechselte lieber das Thema. „Diese Insel … wo liegt die überhaupt? Und warum glauben Sie, dass wir da vor den Paparazzi sicher sind?“

„Es ist eine tropische Insel vor der Küste Südamerikas, und außer uns gibt es dort niemanden.“

„Nur wir beide?“, quiekte Katie entsetzt. „Sie erwarten doch wohl nicht, dass ich vierzehn Tage durchhalte, ohne mit irgendjemandem kommunizieren zu können?“

„Dort leben verschiedene Spezies von Papageien. Wenn Sie Ihre Karten richtig ausspielen, lässt sich der eine oder andere Vogel vielleicht zu einem Schwätzchen überreden“, spöttelte Nathaniel.

Sie mögen das witzig finden, ich nicht! Und zwar weil ich ohne menschliche Gesellschaft schlichtweg verdorre. Sollte ich also tatsächlich mit Ihnen vorlieb nehmen müssen, rede ich eben mit Ihnen“, warnte sie Nathaniel.

Darauf zuckte er nur lässig mit den breiten Schultern. „Solange ich nicht antworten muss …“ Dann erhellte ein herausforderndes Lächeln seine angespannten Züge. „Aber was Ihr Verlangen nach menschlicher Gesellschaft betrifft, fällt mir bestimmt noch eine angenehmere Art ein, sich die Zeit zu vertreiben, als miteinander zu reden …“

Er war arrogant, anmaßend und … unglaublich sexy! Sogar, wenn er schlief. Katie presste eine Hand auf ihr wild hämmerndes Herz und schaute rasch zur Seite.

Nein, nein, nein! Noch einmal werde ich mir das nicht antun!

Schluss mit wilden Fantasien über unerreichbare Traumprinzen! Sie war endlich erwachsen und hatte zu sich selbst gefunden. Das änderte auch kein leichtfertiger Fünfminutenflirt mit einem Hollywoodstar.

Todmüde, aber unfähig, sich zu entspannen oder gar zu schlafen, starrte sie ausdruckslos aus dem Fenster aufs türkisblaue Meer unter sich. Doch angesichts der verstreut liegenden grünen Inseln, die eingebettet in weißen Sand und Korallenriffe wie kostbare Smaragde funkelten, erwachten ihre Lebensgeister schlagartig.

Ein Paradies! lautete Katies spontanes Urteil. Allerdings eines mit Tücken …

Sie schaute zur Seite auf ihren friedlich schlummernden Begleiter. Was für Geheimnisse verbarg Nathaniel Wolfe hinter seiner attraktiven Fassade? Wer waren Annabelle und Carrie? Warum musste er sich auf einer einsamen Insel verstecken?

Fragen über Fragen wirbelten in Katies Kopf und machten sie ganz schwindelig, bis sie schließlich doch noch vor Erschöpfung einschlief. Als sie aufwachte, war es Nathaniel, der aus dem Fenster schaute. Sekundenlang sah sie Angst und Schmerz in seinen Augen, doch sobald er merkte, dass sie ihn beobachtete, wurde sein Blick neutral.

Katie tat so, als bemerke sie es nicht. „Sind wir bald in Rio de Janeiro?“

„So gut wie. Und Wolfe-Island liegt nur einen kurzen Helikopterflug entfernt.“

„Wenn ich das richtig verstanden habe, gehört die Insel Ihrem Bruder?“

„Er ist Hotelier, was manchmal durchaus von Vorteil sein kann.“

„Wolfe …“, murmelte Katie sinnend und machte dann große Augen. „Sebastian Wolfe ist Ihr Bruder?“

„Korrekt.“

„Natürlich habe ich schon von ihm gehört. Ich dachte nur nicht …“ Abrupt wandte sie sich ihrem Sitznachbarn zu. „Sie erzählen nie von Ihrer Familie.“

„Und ich habe es auch jetzt nicht vor“, kam es wenig ermutigend zurück.

„Stehen Sie einander nicht nah?“

Sein Mundwinkel zuckte. „Sie lieben die Gefahr, oder?“

„Wenn wir die nächsten zwei Wochen allein auf einer Insel verbringen müssen, sollten wir wenigstens ein paar Eckdaten aus dem Leben des anderen wissen.“

„Ich kann wirklich gefährlich werden, wenn ich unter Druck gesetzt oder ausgehorcht werde“, warnte er noch einmal.

„Genau wie ich, wenn man mich am Reden hindert!“, erwiderte sie unerschrocken.

Nathaniels herausforderndes Lächeln jagte Katie abwechselnd heiße und kalte Schauer über den Rücken. War sie zu weit gegangen?

„Ich denke, wir sollten einige Grundregeln aufstellen“, murmelte er. „Sie fragen mich nichts Persönliches, und ich lasse Ihnen Ihre privaten Geheimnisse. Stattdessen vereinbaren wir eine Art Schweigegelübde und kommunizieren auf rein physischer Ebene miteinander – sozusagen via Körpersprache.“

Seinen letzten Vorschlag ignorierte Katie hoheitsvoll. „Ich habe keine Geheimnisse“, behauptete sie. „Sie können mich fragen, was Sie wollen. Und zwei Wochen zu schweigen, würde mich glattweg umbringen. Mit anderen Menschen zu reden, baut meinen inneren Druck ab.“

Da beugte Nathaniel sich ihr so weit entgegen, dass sie im gefährlichen Strudel seines herausfordernden Blicks zu versinken drohte. „Soll ich Ihnen verraten, wie ich meinen inneren Druck abbaue, Freitag?

„Nein, sollen Sie nicht!“

„Immerhin hat es dem Schicksal gefallen, uns beide auf eine einsame Insel …“

„Diesen bedauernswerten Umstand verdanke ich nicht dem Schicksal, sondern ganz allein Ihnen“, unterbrach sie ihn hastig.

Er lachte. „Und Sie sind kein bisschen neugierig, wie …“

„Absolut nicht! Würde mir nicht im Traum einfallen!“

„Kleine Lügnerin“, murmelte er fast zärtlich, und Katie fühlte entsetzt, wie ihr Herz für ein paar Schläge aussetzte.

„Was sind Sie nur für ein arroganter, anmaßender …“ Sie fand keine Worte vor Empörung. „Selbst für The Sexiest Man Alive ist das …“

„So sehen Sie mich also?“, fragte Nathaniel animiert.

„Ich gebe nur das Ergebnis einer Umfrage in einem dieser Boulevardblätter wieder“, nahm sie ihm den Wind aus den Segeln und wandte den Kopf demonstrativ in Richtung Fenster. „Oh, wir landen!“

„Los, beeilen Sie sich, der Helikopter wartet“, forderte er barsch, als hätte es das erotische Geplänkel zwischen ihnen nie gegeben.

Als Katie keine zwei Stunden später ihren Fuß auf Wolfe-Island setzte, war sie überwältigt von der Hitze und den leuchtenden Farben um sie herum. Gigantische Palmen beschatteten mit ihren tiefgrünen Wedeln feinen schneeweißen Sand. Dazu die strahlende Sonne, die wie ein orangeroter Ball aussah und feurige Reflexe auf die türkisblaue Oberfläche des Meeres zauberte.

„Na, schlägt das London im Februar?“ Nathaniel zog Katie vom Helikopter weg in Richtung eines luxuriösen Strandhauses. „Villa Paradiso, alle Schlafzimmer gehen auf eine große Veranda hinaus, die einen fantastischen Blick übers Meer bietet.“

Stumm folgte Katie ihrem Gastgeber ins Hausinnere. In der großen, luftigen Eingangshalle blieb sie überwältigt stehen. „Oh … das ist unglaublich!“

„Ja, mein Bruder hat einen unfehlbaren Geschmack. Dies ist das Kronjuwel seines Hotelimperiums und nur VIPs vorbehalten.“

Hingerissen bestaunte sie durch die raumhohen Fensterfronten eine Freiluftterrasse, die ein Maximum an Schatten und Komfort bot.

„Wer kann sich so einen Luxus überhaupt leisten?“

„Wir“, erwiderte Nathaniel knapp und drängte sie vorwärts. „Das Leben findet hier fast ausschließlich draußen statt. Verbunden mit allen Annehmlichkeiten, die dazugehören, wie einer fantastischen Landschaft und einem riesigen Pool, Hängematten und so weiter. Und sollte Ihnen das zu langweilig werden, können Sie so gut wie jede Art von Wassersport treiben.“

„Buchen Gäste, die hierherkommen, immer die ganze Insel?“

„Auf jeden Fall. Sie suchen hier Ruhe und Abgeschiedenheit, um sich einmalige Erlebnisse zu gönnen, etwa heißen Sex in einer Hängematte unter Palmen, untermalt von Meeresrauschen“, fügte er neckend hinzu, als er sah, wie sich Katie mit einer ungeduldigen Geste den dicken Pullover über den Kopf zog.

„Das ist nicht witzig!“, rügte sie ihn mit hochrotem Kopf. „Kann ich hier irgendwo ein paar leichte Sommersachen kaufen? Wenn Sie mich das nächste Mal entführen, verlange ich vorher eine detaillierte Beschreibung der klimatischen Verhältnisse. Ich koche bereits in der verflixten Jeans.“

Auf keinen Fall sollte er annehmen, dass ihr Zustand etwas mit seiner Person zu tun haben könnte!

„Ich habe das Personal angewiesen, Ihnen passende Kleidung ins Zimmer zu legen.“

Na bestens! Ihr größter Albtraum! Jemand anderes suchte ihre Kleidung aus. Und gemessen an dem, was Mr Wolfes Begleiterinnen zu tragen pflegten, rutschte ihr das Herz bis in die Knie. „Davon wird nichts passen, das kann ich Ihnen jetzt schon prophezeien“, brummte sie ungnädig.

„Dann können Sie immer noch nackt rumlaufen, Freitag. Wir sind ja ganz allein auf der Insel.“

Katie presste die Lippen zusammen, reckte das Kinn vor und wandte sich um. „Zu den Schlafzimmern geht es hier lang, vermute ich?“ Vor einer geschlossenen Tür blieb sie stehen.

„Das ist der Masterbedroom“, klärte Nathaniel sie auf. „Wenn Sie nicht das Bett mit mir teilen wollen, müssen Sie sich links halten.“

Darauf wechselte Katie so abrupt die Richtung, dass sie fast gestolpert wäre, und taumelte ins benachbarte Zimmer, dessen Tür nur angelehnt gewesen war. Es war ein heller kühler Raum mit einem riesigen Bett, auf dessen weißer Seidenüberdecke duftende Rosenblätter verstreut lagen.

Was für ein ungeheuer femininer, romantischer Raum … ein Liebesnest!

„Miss Katie?“, rief eine junge Frau, die ihr freundlich zulächelte. „Ich bin Rosa. Wenn Sie während Ihres Aufenthalts irgendetwas brauchen, wenden Sie sich einfach an mich.“

Irritiert krauste Katie die Stirn. „Ich dachte, er sagte … ich nahm an, wir wären hier ganz allein“, stammelte sie.

Rosa lachte amüsiert. „Dieses Anwesen verfügt über zwanzig Angestellte, aber wir wohnen alle auf dem Festland. Wir sind rechtzeitig da, um Ihnen das Frühstück zu servieren, und ziehen uns nach dem Dinner zurück. Ich habe Ihnen etwas leichtere Kleidung zurechtgelegt. Wenn Sie damit nicht zufrieden sind, lassen Sie es mich wissen.“

„Ich bin sicher, alles ist perfekt“, behauptete Katie höflich und entgegen ihrer Überzeugung. „Vielen Dank für Ihre Mühe, Rosa.“

Perfekt oder nicht, es war eine Erleichterung, endlich die verschwitzten Jeans abstreifen zu können. Nach einer erfrischenden Dusche in dem luxuriösen Bad, dessen Fenster zum Strand hin lagen, wickelte Katie sich in ein schneeweißes weiches Badelaken und inspizierte den begehbaren Schrank, der auch zu ihrem Zimmer gehörte. Wie es wohl sein mochte, immer so leben zu können?

Auf einem schmalen Tisch lagen etliche farbenfrohe Bikinis zur Auswahl. Katie gönnte ihnen nur einen kurzen, entsetzten Blick und griff dann nach einem leichten primelgelben Strandkleid. Nicht gerade ihre Lieblingsfarbe, aber immer noch besser, als sich Nathaniel Wolfe in winzigen Stofffetzen zeigen zu müssen. Sie schlüpfte hinein und stellte erleichtert fest, dass es wie angegossen passte.

Es war ein umwerfendes Kleid, wenn nur die Farbe nicht so auffällig gewesen wäre! Katie seufzte. Sie zog es vor, mit dem Hintergrund zu verschmelzen. Mit einem weiteren tiefen Seufzer schlüpfte sie in ein Paar leichte Flip-Flops und trat durch die hohe Glastür hinaus auf die Terrasse.

Dort wurde sie bereits erwartet. Nathaniel lag auf einer der Sonnenliegen, mit nichts an seinem atemberaubenden Körper als schlichten schwarzen Badeshorts. „Kein besonders günstiges Outfit, um zu schwimmen, Freitag“, bemerkte er kritisch.

Katie senkte rasch den Blick und setzte sich zimperlich, mit geschlossenen Knien, auf die Kante der Sonnenliege, die am weitesten entfernt von ihm stand. „Ich schwimme nicht.“

„Können Sie nicht schwimmen?“

„Doch, aber ich will nicht.“

„Warum nicht? Es ist die beste Art, sich abzukühlen.“

„Mir ist nicht heiß.“

Sein dunkles, wissendes Lachen ließ sie nur noch mehr erröten. „Was war falsch an der Bikini-Auswahl, die Rosa Ihnen hingelegt hat?“

„Nichts.“

„Und warum tragen Sie dann nicht eines von den Prachtstücken?“

„Weil nichts mich dazu bringen könnte, unter Ihren Augen einen Bikini zu tragen“, gestand sie aufrichtig.

„Aber warum?“

„Soll das eine ernsthafte Frage sein?“ Ein Blick in sein irritiertes Gesicht bewies ihr, dass es tatsächlich so war. „Mr Wolfe, es gibt zwei Arten von Frauen“, klärte sie ihn auf, „gepolsterte und ungepolsterte. Sie bevorzugen bekanntermaßen die zweite Version, während ich zur ersten gehöre.“

Nathaniel brauchte offensichtlich einen Moment, um sich von seinem Schock zu erholen. „Und deshalb wollen Sie keinen Bikini anziehen?“, fragte er nach einer Pause. „Weil Sie sich Gedanken über Ihre Figur machen?“

„Halten Sie mich ruhig für eitel, aber ich habe nun mal keine Lust, den ganzen Tag mit eingezogenem Bauch herumzulaufen.“

Er lachte. „Dann lassen sie es! Frauen haben ohnehin seltsame Vorstellungen, was ein Mann tatsächlich sexy findet. Wenn ich von dem ausgehe, was ich bisher von Ihnen zu sehen bekommen habe, möchte ich behaupten, Sie haben einen ausgesprochen sexy Bauch, Freitag. Schmeißen Sie sich in einen Bikini, und ich werde mein ehrliches Urteil abgeben.“

„Lieber würde ich in der Hölle schmoren!“

Sweetheart, wenn Sie voll angezogen zwei ganze Wochen auf einer Tropeninsel herumwandern, dann werden Sie höchstens im eigenen Saft schmoren.“

„Sehr witzig!“, knurrte Katie verstimmt.

„Katie …“ Das Lachen war aus seiner Stimme verschwunden. „Sie sind ein ausgesprochen hübsches Mädchen, das meine ich ganz ehrlich. Deshalb ist jede Selbstkritik von Ihrer Seite völlig unangebracht.“

„Ha! Und das soll ich glauben, nachdem ich Sie mit Ihrer Filmpartnerin in Alpha Man gesehen habe? Die Frau war eine … Sex-Göttin!“

„Sie war eine verwöhnte Prinzessin mit einem teuflischen Temperament.“

Nur zu gut erinnerte Katie sich an die heiße Sexszene zwischen den beiden. „Das schien Sie aber nicht zu stören, während Sie mit ihr in diesem riesigen Bett …“ Verlegen brach sie ab.

„Ich bin eben ein guter Schauspieler.“ Seine Stimme klang seltsam flach. „Das ist ganz normale Arbeit für mich.“

„Was? Eine der schönsten Frauen der Welt zu küssen und zu verführen? Wahrlich ein harter Job!“

„Das kann es wirklich sein.“

Sie glaubte ihm kein Wort. Dieser Mensch schauspielerte offensichtlich rund um die Uhr. „Wie bereitet man sich auf einen Film wie Alpha Man vor?“, fragte sie, um von dem gefährlichen Thema abzulenken, aber auch aus echtem Interesse. „Haben Sie für diese Actionrolle eine Art Härtetraining absolvieren müssen?“

„Ich habe zwei Monate in einem Armeelager bei einer Spezialeinheit verbracht.“

„Und sind dabei mit einem Rucksack auf dem Rücken in Tarnkleidung durchs Unterholz gekrochen?“

„Unter anderem.“

Katie wusste immer noch nicht, ob sie ihm glauben sollte. „Bei welcher Spezialeinheit? US oder UK?“

„Wenn ich Ihnen das verrate, muss ich Sie anschließend umbringen“, eröffnete Nathaniel ihr, ohne eine Miene zu verziehen.

Obwohl sie wusste, dass er sie aufzog, stellten sich Katies Nackenhaare auf, und in ihrem Magen kribbelte es seltsam.

„Zumindest war es die einzige Zeit in den letzten Jahren, in denen ich nicht von der Presse belagert wurde. Die Jungs, die ich dort kennenlernte, waren die echten Alpha-Männer. Und ein unglaublich aufeinander eingeschworenes Team. Besser als jede Familie.“

Besser als jede Familie?

Außer seinen Bruder Sebastian hatte er bisher niemanden erwähnt. „Sie sind nicht der Einzige mit einer komplizierten Verwandtschaft. Als Dad starb und ich herausfand, dass er sein Leben lang ein notorischer Spieler war, hat mich das geschockt und unglaublich wütend gemacht. Ich konnte es nicht fassen, dass meine Mutter dieses schreckliche Geheimnis die ganzen Jahre für sich behalten hatte. In unserer Kindheit war nie Geld im Haus, und zwei Mal haben wir unser Zuhause verloren.“

„Also sind wir einer Meinung, dass Familie absolut überflüssig ist.“

Katie dachte an ihre Schwester und daran, wie leichtherzig Paula mit ihr und ihrer Mutter gebrochen hatte. „Der Meinung bin ich ganz und gar nicht. Aber ich gebe zu, dass sie manchmal mehr als anstrengend sein kann. Trotzdem bin ich der Auffassung, dass Familien zusammenhalten sollten. Ist Ihr Bruder Sebastian älter als Sie?“

Nathaniel warf ihr einen unergründlichen Blick zu. „Wenn Sie nicht im Pool enden wollen, Freitag, dann wechseln Sie lieber das Thema.“

„Sorry, ich bin es einfach nicht gewohnt, einen Maulkorb verpasst zu bekommen. Vielleicht können wir übers Wetter reden oder über die fantastische Umgebung.“ Demonstrativ sah Katie sich um, und als sie einen giftgrünen Gecko am Rand des Pools erspähte, griff sie instinktiv zu ihrem Skizzenbuch, das sie mit auf die Terrasse gebracht hatte.

„Sie wollen ihn zeichnen?“

„Warum nicht? Er ist bezaubernd schön.“ Ihr Stift flog förmlich über die Seite. Anschließend zog Katie eine Packung Buntstifte aus dem Leinenbeutel neben sich und kolorierte die Zeichnung mit leichter Hand. „Ich liebe diese changierenden Töne zwischen Türkisblau und Smaragdgrün … Als fließende Seide müsste das fantastisch aussehen.“

„Wenn Sie Farben so sehr lieben, warum laufen Sie dann immer in diesem Mausgraubraun herum?“

Der Farbstift blieb einen Moment in der Luft hängen. „Ich mag braun …“

Es macht so schön unsichtbar. Das sagte sie nicht laut. Farbige Mode entwerfe ich für andere.

Da war es wieder, das Gefühl von Unzulänglichkeit und Panik, das sie nie mehr hatte spüren wollen. Das luftige Strandkleid fühlte sich plötzlich wie eine erstickende Decke an, und die anfängliche Euphorie, mitten im Paradies gelandet zu sein, verflog im Nu. Wie hatte sie nur vergessen können, dass man sich dieses Paradies auch leisten können musste! Sie konnte es nicht, weder zeitlich noch finanziell.

Mit ungelenken Bewegungen klappte Katie ihr Skizzenbuch zu, verstaute alles in dem farblosen Leinenbeutel und stand auf. „Gibt es hier einen Internetanschluss?“

„Schon gelangweilt, Freitag?“, spottete Nathaniel, dem es zu seiner eigenen Überraschung gar nicht gefiel, dass sie ihr kleines Geplänkel beendete.

„Ich muss mir einen neuen Job suchen. Sie haben mir zwar versprochen, mich den prominentesten Kostümdesignern vorzustellen, aber ich weiß nicht, wie Sie das von hier aus bewerkstelligen wollen. Deshalb kümmere ich mich lieber selbst …“

„Warten Sie hier!“, rief er, sprang von der Liege und marschierte ins Haus. Kurz darauf kehrte er zurück, unter dem Arm einen Stapel loser Blätter. „Lesen Sie das“, forderte er und warf ihr das Bündel in den Schoß. „Es ist das Skript für meinen nächsten Film. Wir haben uns noch für keinen Kostümdesigner entschieden.“

Fassungslos starrte Katie auf den Stapel Papier und überlegte, warum Nathaniel das Skript so plötzlich herausgerückt hatte. Ein schlechtes Gewissen? Ganz sicher nicht! Nathaniel Wolfe besitzt gar kein Gewissen! Warum also? Wollte er sie nur beschäftigen, damit er sich möglichst wenig um sie kümmern musste? Schon eher!

„Die Chance, als blutige Anfängerin einen derartigen Auftrag zu ergattern, liegt bei null, wie Sie selbst wissen.“

„Fertigen Sie ein paar Skizzen an, dann sehen wir weiter.“

Energisch unterdrückte Katie das Fünkchen Hoffnung, das in ihr aufkeimen wollte. „Versuchen Sie, so Ihr Gewissen zu beruhigen, weil ich Ihretwegen meine Stelle am Theater verloren habe?“

„Wie ich bereits erwähnte, wenn es mit meiner Arbeit zu tun hat, kenne ich keine Gewissensbisse. Ich will den oder die Beste, und was ich an Skizzen in Ihrem Apartment gesehen habe, hat mir gefallen. Die Frage ist, können Sie sich auf ein modernes, zeitgenössisches Thema einstellen? Das ist nicht Shakespeare.“

Ihm gefallen meine Skizzen!

„Sind Sie in dieser Produktion Darsteller oder Regisseur?“

„Ich führe Regie. Denken Sie nicht an Schauspieler aus Fleisch und Blut, wenn Sie es lesen, sondern nur an die Charaktere.“

„Dann wollen Sie also nicht mehr als Filmstar auftreten?“ Katie wartete auf eine Antwort und versuchte, sich von dem lastenden Schweigen nicht einschüchtern zu lassen. „Haben Sie deshalb das Engagement am Londoner Theater angenommen?“

„Hören Sie eigentlich jemals auf zu fragen?“

„Tut mir leid, ich eigne mich eben nicht zum Schweigemönch. Ich wollte auch nur höflich sein.“

„Warum? Wir befinden uns hier doch nicht auf einer Cocktail-Gartenparty.“

„Sie sind nicht der Einzige, der unter dieser unmöglichen Situation leidet“, informierte sie ihn spitz. „Sie könnten ruhig etwas netter zu mir sein.“

„Werfen Sie sich in einen Bikini, und ich demonstriere Ihnen, wie nett ich sein kann.“

Warum musste er sie nur immer wieder auf diese Art herausfordern? Denn ernst konnte es ihm mit seinen lasziv-erotischen Andeutungen unmöglich sein. Dafür war sie viel zu weit von seinem Frauenideal entfernt. In jeder Beziehung!

Katie schloss ihre Finger um die Blätter und fragte: „Wie lange dauert es noch bis zum Dinner?“ Wenn er nicht mit ihr reden wollte, konnte sie sich genauso gut das Drehbuch anschauen.

Nathaniel wartete voller Ungeduld. Nervös trommelte er mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte. Zwei SMS waren auf seinem Handy eingegangen. Beide von Jacob. Seine Laune und sein Adrenalinspiegel waren kurz vor dem Siedepunkt. Selbst hier, am anderen Ende der Welt, holte seine Vergangenheit ihn ein.

„Hat Katie gesagt, wie lange sie noch braucht?“

„Ich habe an ihre Tür geklopft, aber keine Antwort erhalten. Mag sein, dass sie nach dem langen Flug erschöpft ist und noch schläft.“ Ben, ein junger, attraktiver Bediensteter, schenkte Wein in die beiden Gläser auf dem Tisch. „Soll ich es noch einmal versuchen?“

Abrupt stieß Nathaniel seinen Stuhl zurück. „Das mach ich selbst.“ Auf der Suche nach Ablenkung und Zerstreuung, gleich welcher Art, legte er das Handy auf den Tisch und lief ins Haus, in Richtung der Gästesuite. Die Tür war zu. Nach kurzem Anklopfen trat Nathaniel ein – und blieb wie erstarrt stehen.

Katie lag bäuchlings auf der weißen Seidendecke, mit nichts am Leib außer einem zarten Spitzen-Bra und einem Tanga. Beides in leuchtendem Pink! Die Kopfhörer ihres ebenfalls pinkfarbenen iPods verloren sich fast in den dichten Locken. Das Kinn stützte sie auf eine Hand, während sie total in das Manuskript seines Films vertieft zu sein schien. Ein Bein hielt sie angewinkelt und wippte damit im Takt der für ihn unhörbaren Musik.

Ihr Anblick faszinierte Nathaniel so, dass er sich nicht rühren, ja, kaum atmen konnte. Vergessen waren Jacob und seine Handynachrichten. Stattdessen fixierte er wie in Trance die herausfordernde Rundung von Katies reizender Kehrseite, die ebenfalls im Takt mitwippte. Er erinnerte sich an das transparente Spitzennachthemd, das sie in ihrem Apartment getragen hatte. Nichts an ihrem täglichen Outfit ließ auch nur im Geringsten vermuten, was sich unter der formlosen graubraunen Hülle verbarg!

Heiße, hemmungslose Begierde überrollte ihn wie eine mächtige Woge. Nathaniel kickte die Tür hinter sich mit dem Fuß zu und steuerte zielgerichtet auf das Bett zu. Dinner fällt aus! entschied er für sich.

Mit einem erschrockenen Aufquieken fuhr Katie herum, riss sich die Kopfhörer aus den Ohren und versuchte, sich aufzurappeln, wobei sie unter den losen Blättern ein wahres Chaos anrichtete.

„Raus hier!“, kreischte sie mit brandrotem Gesicht, angelte nach dem gelben Sonnendress von vorhin und hielt es zitternd vor ihre Brust. Aber nicht ohne ihrem ungebetenen Besucher noch einen lustvollen Blick auf weitere verlockende Rundungen zu gewähren.

„Nur zur Kenntnisnahme, Sie müssen Ihren reizenden Bauch keinesfalls einziehen, um eine gute Figur zu machen“, eröffnete Nathaniel ihr dreist. „Und Ihre Unterwäsche ist einfach atemberaubend.“

„Können Sie nicht klopfen?“

„Habe ich, aber keine Antwort bekommen.“

„Ich war ins Lesen vertieft.“

„In Spitzenunterwäsche …“

„Mir war heiß!“

Nathaniel schob einen Finger zwischen Hals und Hemdkragen. „Was glauben Sie, wie heiß mir ist …“

Das warnende Funkeln in Katies smaragdgrünen Nixenaugen war nicht zu übersehen. Wenn er klug wäre, würde er augenblicklich fluchtartig das Zimmer verlassen, doch das qualvolle Ziehen in seinen Lenden sprach dagegen. Außerdem hatte er es schon immer vorgezogen, den gefährlichen Weg einzuschlagen. Rasch trat er ans Bett und nahm Katie das Kleid aus den zitternden Händen. Dann betrachtete er aufmerksam und völlig schamlos ihre perfekten Kurven.

„Du hast einen unglaublichen Körper, Sweetheart“, murmelte er heiser.

„Raus hier!“

Schlagartig erkannte Nathaniel, was ihn vor den Heimsuchungen der Vergangenheit retten konnte: das altbekannte Spiel mit dem Feuer!

„Was tun Sie da?“

„Hast du nicht behauptet, du würdest mich gern näher kennenlernen“, raunte Nathaniel ihr, dicht über sie gebeugt, ins Ohr. „Dies ist auf jeden Fall die schnellste Methode.“ Sanft drückte er sie zurück in die Kissen ungeachtet der Manuskriptblätter. Als Katie protestieren wollte, verschloss er ihre weichen Lippen mit einem langen, leidenschaftlichen Kuss. Dabei schob er sich immer weiter über sie, legte eine Hand unter ihren runden Po und presste sie an sich.

Ihre plötzliche Anspannung und der Schmerz, den ihre Nägel in seinem Fleisch verursachten, als sie sich in seine Schultern krallten, entlockten ihm ein triumphierendes Lächeln. „Kleine Wildkatze!“, schalt er zärtlich und ging zu immer kühneren Liebkosungen über. Doch als er seine Hand zwischen ihre weichen Schenkel schob, wehrte Katie sich energisch.

„Nein!“

Er hörte das unterdrückte Verlangen in ihrer Stimme und zögerte nur kurz.

„Nein, Nathaniel …“

Es war der Ton ihrer Stimme, der ihn mehr überzeugte als die Worte. Er versuchte etwas zu sagen, schaffte es aber nicht. Er schien keine Gewalt mehr über seinen Körper zu haben. Erschrocken über den ungewohnten Mangel an Selbstkontrolle rollte Nathaniel sich zur Seite. „Verzeihung …“, murmelte er rau. „Nur zur Beruhigung, alles ist noch an seinem Platz.“

Ernsthaft verstört betrachtete er die gedrechselten Pfosten des antiken Himmelbettes, die kostbare Überdecke aus schwerer weißer Seide und die restliche, verführerisch feminine Umgebung. Der ganze, verdammte Raum war auf romantische Liebesstunden inklusive Happy End getrimmt!

Abrupt sprang er auf und rannte fast zur Tür. „Ich bin gekommen, um dich zum Dinner zu holen“, sagte er und wollte verschwinden.

„Nathaniel …“

Hinter sich hörte er das Rascheln von Stoff, drehte sich aber nicht um, weil er für nichts garantieren konnte, wenn er auch nur einen weiteren Blick auf Katies hinreißende Kurven riskierte. Eine Hand auf der Klinke verzog er die Lippen zu einem selbstironischen Lächeln. „Wir sehen uns auf der Terrasse, Freitag.“

„Nathaniel … warte!“ Er hörte ihre leichten Schritte und versteifte sich. „Du kannst doch nicht einfach … wir hätten fast …“ Katies Stimme drohte zu kippen. „Verflixt, sprichst du überhaupt irgendwann mal mit irgendjemandem über irgendetwas?“, stieß sie erregt hervor.

Nicht, wenn ich es vermeiden kann! dachte er zynisch und drehte sich seufzend um, nur um sich zu wünschen, er hätte es nicht getan. Katies Augen glänzten fiebrig, die rosigen Lippen waren von seinen wilden Küssen geschwollen, und die zerzauste Lockenpracht wirkte noch aufreizender als sonst.

„Musst du immer über alles reden?“, fragte er entnervt zurück.

„Nicht über alles“, erwiderte sie atemlos und irritiert, „aber du hast vorhin … ich meine, wir haben fast …“

„Aber eben nur fast. Du hast Nein gesagt, und ich habe aufgehört, oder?“ Nathaniel öffnete die Tür und trat zur Seite. „Und jetzt Ende der Konversation.“

Hilflos und wütend stampfte Katie mit dem Fuß auf den Boden. „Oh, nein! So leicht mache ich es dir nicht, Nathaniel Wolfe! Du hast mich geküsst, und ich will wissen, warum.“

„Weil du fast nackt in aufreizender Pose auf einem Himmelbett gelegen hast!“

„Ah, das sind also die Kriterien, nach denen du dir deine Sexpartnerinnen aussuchst? Hast du jemals versucht, eine deiner zahllosen Geliebten vorher etwas näher kennenzulernen?“

Nein, niemals! Warum auch?

Nathaniel bedeutete Katie mit einer knappen Kopfbewegung, sich in Gang zu setzen. „Das Dinner ist längst serviert …“

5. KAPITEL

Kann man sich gleichzeitig benommen und beschwingt fühlen?

Katie hatte das Gefühl, leicht wie eine Feder zu sein und davonzufliegen, wenn sie nicht aufpasste. Gleichzeitig versuchte sie, sich klarzumachen, dass der Job als Schauspieler Nathaniel Wolfe gelehrt hatte, eine Frau so zu küssen, dass sie alles um sich herum vergaß und sich plötzlich fast nackt und durchaus willig in seinen Armen wiederfand!

Und sich trotz aller Selbstvorwürfe auch jetzt noch begehrenswert und prickelnd vor Verlangen fühlte …

Verlegen suchte sie Nathaniels Blick, doch er starrte auf irgendeinen Punkt in der Ferne. Versonnen betrachtete Katie den perfekt geschnittenen Mund, den sie so oft auf der Leinwand gesehen und eben noch auf ihren Lippen gespürt hatte.

Es war unfassbar!

Auf keinen Fall durfte sie sich von der traumhaften Umgebung und märchenhaften Atmosphäre dieses tropischen Paradieses einlullen lassen. Und eines durfte sie auf keinen Fall vergessen: Nathaniel Wolfe war ein hoch dotierter Hollywoodmime und konnte mit Leichtigkeit und Überzeugung jede Rolle spielen.

Sie räusperte sich. „Ich habe das Manuskript gelesen.“

„Manuskript?“

„Für deinen nächsten Film.“

„Richtig …“ Sein Blick klärte sich. „Und da du so vertieft darin warst, dass du blind und taub für den Rest der Welt schienst, muss es dich wohl gefesselt haben“, erinnerte er sich. „Schon irgendwelche Ideen?“

Entschlossen, ihm nicht zu zeigen, wie sehr das erotische Intermezzo in ihrem Schlafzimmer sie aufgewühlt hatte, wandte Katie sich mit strahlendem Lächeln Ben zu, der ihnen gegrilltes Gemüse servierte. „Hmm, das sieht fantastisch aus und duftet verführerisch. Sie verwöhnen mich, Ben.“

Bereitwillig erwiderte er ihr Lächeln. „Es macht mir große Freude, Miss Katie. Und ich werde mich hier bereithalten, falls Sie noch etwas brauchen.“

„Das werden Sie ganz bestimmt nicht“, entschied Nathaniel mit seidenweicher Stimme. „Wenn wir etwas brauchen, rufen wir Sie.“

Als Ben sich daraufhin rasch und diskret zurückzog, rollte Katie mit den Augen. „Tun alle Leute eigentlich immer, was du verlangst?“, erkundigte sie sich.

„Leider nicht, denn sonst würdest du nicht hier sitzen, sondern dich auf deinem Riesenbett unter mir winden und lustvolle Laute ausstoßen, anstatt zu reden …“

Gefahr im Verzug! schoss es Katie durch den Kopf. „Was ist falsch an lockerer Dinner-Konversation?“, fragte sie reserviert und machte Anstalten, sich zu erheben.

„Also gut“, lenkte Nathaniel rasch ein, „dann lass uns eben reden. Und erklär mir als Erstes, warum du immer diese Schlammfarben trägst.“

„Weil es mir gefällt.“

„Und warum magst du es nicht, fotografiert zu werden?“

„Nicht jeder kommt als Exhibitionist auf die Welt.“

Nathaniel beugte sich vertraulich vor. „Kleiner Wink vom Profi … wenn du jemand überzeugend anlügen willst, musst du ihm dabei fest und gerade in die Augen schauen. Du, Katie Field, bist eine miserable Lügnerin und hütest mindestens so viele Geheimnisse, wie du sie mir unterstellst.“ Er griff nach seinem Weinglas und trank einen Schluck, wobei er seine Tischdame nicht aus den Augen ließ.

Stumm schauten sie sich an, bis Katie irgendwann den Blickkontakt abbrach, weil ihr das Blut in den Ohren rauschte.

„Erzähl mir, wie du auf die Idee gekommen bist, Kostümdesignerin zu werden. Übers Schultheater?“

Dankbar und erleichtert über den Themenwechsel, der ihr wieder festen Boden unter den Füßen gab, schüttelte sie den Kopf und wagte es sogar, ihm in die Augen zu schauen. „Schon lange davor“, gestand sie lächelnd. „Zunächst habe ich meine Puppen eingekleidet, dann meine Freundinnen. Am liebsten spielten wir Hollywood.“

Nathaniel lachte aufrichtig amüsiert. „Ihr habt Hollywood gespielt? Wie das?“

„Wir erfanden ein imaginäres Filmstudio, und Martha war der Direktor. Dann gab es noch Emily, die Drama-Queen, die sich ihre Rollen selbst aussuchte, während Sally und Jenny spielen mussten, was übrig blieb.“

Und natürlich Paula, meine Schwester, die ewige Prinzessin! Aber das sagte Katie nicht laut.

„Und du?“

„Ich habe dafür gesorgt, dass jeder gut und überzeugend aussah. Meine Eltern wollten, dass ich Englisch an der Uni belege, doch ich interessierte mich ausschließlich für Kunst, Mode, Film und Theater. Waren deine Eltern mit deiner Berufswahl als Schauspieler einverstanden?“

„Ich habe sie nie nach ihrer Meinung gefragt.“

Nachdenklich tippte Katie sich mit der Fingerspitze an die Unterlippe. „Irgendwo habe ich gelesen, dass du schon mit sechzehn zu Hause ausgezogen und gleich nach Hollywood gegangen bist.“

Nachlässig hob er die Schultern. „Ich bekam die Chance und habe sie genutzt.“

„Und deine Eltern haben nicht einmal den Versuch unternommen, dir deinen wagemutigen Plan auszureden?“

In Nathaniels blauen Augen glomm ein gefährlicher Funke, als er seinen Stuhl zurückschob und aufstand. „Gute Nacht, Katie.“

„Aber ich …“ Ihr Mund klappte zu, als ihr bewusst wurde, dass sie bereits zu seinem Rücken sprach.

Die nächsten Tage verbrachte Katie hauptsächlich damit, das Drehbuch durchzuarbeiten und immer wieder neue Skizzen anzufertigen.

Nathaniel bekam sie so gut wie nie zu Gesicht. Nach ihrer ersten Nacht in der Strandvilla hielt er deutlich Abstand zu ihr, allerdings ohne seine Gastgeberrolle zu vergessen. Doch seine perfekt gespielte Höflichkeit schmeckte schal und ging ihr zunehmend auf die Nerven. Wenn sie einmal miteinander sprachen, dann über Filme oder irgendwelche Nebensächlichkeiten, aber nie über Privates.

Um ihrer Einsamkeit zu entfliehen, schloss Katie sich dem Personal an. Sehr schnell war sie bestens mit jedermann befreundet … außer mit Nathaniel.

„Du hast heute so lange auf Ben eingeredet, dass er seine Arbeit nicht geschafft hat“, hielt Nathaniel ihr eines Abends vor, während sie bei einem köstlichen Dinner zusammensaßen.

Katie legte ihre Gabel auf den Teller und versuchte, nicht verletzt zu reagieren. „Wir haben nur eine Weile miteinander geplaudert. Weißt du eigentlich, dass er seine Freundin nur einmal in der Woche trifft?“

„Glücklicher Bursche!“ Nathaniel unterdrückte ein Gähnen. „Einmal die Woche Sex, ohne den ganzen Sermon, der sonst noch zu einer Beziehung gehört, klingt doch perfekt.“

„Musst du eigentlich immer so ätzend sein, wenn es um Gefühle geht?“, empörte Katie sich. „Warst du denn nie verliebt?“

Sein zynisches Lachen trieb ihr die Zornesröte ins Gesicht. „Das ist eine typische Frage aus Katie-Land, wo der Himmel Babyblau ist und die Sonne immer scheint.“

Darauf sprang Katie so vehement auf die Füße, dass ihr Stuhl nach hinten kippte. „In Katie-Land scheint keineswegs immer die Sonne!“, fauchte sie wütend. „Ich habe einen Haufen Probleme zu bewältigen, wie jeder andere auch!“

„Und warum bist du dann immer so verdammt heiter?“

Sie hob ihren Stuhl auf und setzte sich wieder. „Keine Ahnung!“, knurrte sie. „Wahrscheinlich bin ich einfach lieber glücklich als schlecht gelaunt. Über die Jahre habe ich eben gelernt, was mich aufheitert.“

„Reden?“

Ihre Augen blitzten gefährlich. „Und wenn? Ich mag andere Leute und finde sie unglaublich interessant. Menschlicher Kontakt sorgt dafür, dass ich mich gut fühle.

Ich habe mich sogar schon dabei ertappt, geschlagene fünf Minuten mit einer grasgrünen Eidechse zu plaudern.“

„Das muss die gewesen sein, die ich kurz darauf bewusstlos in der prallen Sonne gefunden habe“, zog Nathaniel sie auf.

„Du … du …!“

„Es sollte ein Witz sein, Katie“, bremste er ihren Temperamentsausbruch. „Tut mir leid, aber mir war wirklich nicht bewusst, dass du dich so einsam fühlst. Ich dachte, du wärst vollauf mit dem Drehbuch beschäftigt.“

„Ich bin viel kreativer mit einem Rudel Leute um mich herum. Ich brauche einfach Kontakt zu Menschen.“

„Den biete ich dir gern an.“

„Du bist doch so gut wie nie da und meidest jede Art von Konversation. Und du hältst nichts von Spaß.“

Er kniff die Augen zusammen. „Wann immer es dich nach einer Demonstration verlangt, wie viel Spaß man mit mir haben kann, melde dich, Sweetheart.

Anstatt vor Begeisterung über sein eindeutiges Angebot in Ohnmacht zu fallen, rollte Katie nur mit den Augen. „Nicht die Sorte Vergnügen!“ Dass ihr Herz zum Zerspringen klopfte, konnte er zum Glück nicht hören. „Ich rede von dem Spaß, den es macht, wenn man sich intensiv mit jemandem unterhält.“ Sie legte den Kopf schief und wartete auf eine Reaktion, die nicht kam. „Hast du dazu nichts zu sagen?“

„Nein.“

Warum geht er eigentlich nicht an sein Handy, das pausenlos klingelt?

Katie seufzte. „Lass uns aufhören, Spielchen zu spielen“, meinte sie und wischte ihre schweißnassen Hände an den Shorts ab. „Wäre es wirklich zum Sex zwischen uns gekommen, hättest du mich unter Garantie verletzt.“

„Wenn ich schwöre, mein Temperament und meine Libido im Zaum zu halten und besonders vorsichtig …“

„Davon rede ich nicht“, unterbrach sie ihn errötend.

Sofort wurde er ernst. „Das weiß ich, Katie. Du hast Angst, Big Bad Nathaniel Wolfe könnte finstere Sturmwolken nach Katie-Land bringen und …“

„Du machst dich über mich lustig, wie immer“, konstatierte sie kühl. „Aber ich bin tausendmal lieber ein unheilbarer Optimist als ein notorischer Zyniker.“

Das Handy klingelte schon wieder, doch Nathaniel ignorierte es beharrlich und stand langsam auf. „Tut mir leid, wenn ich dich vernachlässigt habe“, sagte er und streckte die Hand aus. „Lass uns einen Strandspaziergang machen. Wenn du noch keinen der spektakulären Abende am Strand erlebt hast, ist dir das Wichtigste von Paradise-Island vorenthalten worden.“

Ihr Blick huschte zum Handy, das auf dem Tisch lag und läutete. „Solltest du nicht vorher rangehen? Es könnte etwas Wichtiges sein.“

„Nichts ist wichtiger als ein Abend am Strand“, behauptete Nathaniel und schloss seine Finger fest und warm um ihre.

„Ich würde wirklich gern, aber …“ Nach einem letzten Blick auf sein Handy ließ sie sich mitziehen und folgte Nathaniel über den feinen weißen Sand bis hinunter zum Strand, wo sie sich losmachte, um eine besonders schöne Muschel vom Boden aufzuheben. „Ich hätte nie gedacht, dass irgendwo auf der Welt so ein zauberhaftes Paradies existiert. Kommst du öfter hierher?“

„Wann immer es mich nach Privatsphäre gelüstet.“

Katie vergrub die nackten Zehen im feuchten Sand. „Du Glücklicher! Wie praktisch, dass dein Bruder so ein Kleinod besitzt. Der perfekte Platz für Familienzusammenkünfte.“

„Wenn ich hierherkomme, dann einzig und allein der Einsamkeit wegen.“

Sie senkte den Blick und presste die Lippen zusammen, um sich nicht die nächste Abfuhr wegen des gefährlichen Familienthemas einzuhandeln.

Irgendwann blieb Nathaniel stehen. Erst da bemerkte Katie den großen flachen Felsen, der vor ihnen lag. „Dieser Platz heißt Turtle Cove und markiert den schönsten Strandabschnitt der gesamten Insel.“

„Wunderschön“, murmelte sie beeindruckt, nahm den Leinenbeutel, den sie ständig mit sich herumschleppte, von der Schulter und setzte sich mit angezogenen Knien auf den sonnenwarmen Stein. Andächtig schaute sie über die geschwungene Küstenlinie und dann hinaus aufs Meer. „Ich habe übrigens die ersten Entwürfe für deinen Film fertiggestellt“, sagte sie, um nicht zu sentimental und romantisch zu werden. „Nur ein paar hingeworfene Ideen, mit denen ich möglicherweise auch völlig falsch liege.“

„Hast du sie bei dir?“

Statt zu antworten, kramte Katie in ihrem Beutel und zog nervös ihr Skizzenbuch heraus. Nathaniel hatte sich neben sie auf den Felsen gesetzt und die langen, muskulösen Beine bequem von sich gestreckt. Er nahm ihr das Buch ab und blätterte schweigend Seite für Seite um.

„Braun?“, fragte er gedehnt.

„Ja“, bestätigte sie fast trotzig. „In dieser Szene ist die Heldin sich ihrer selbst noch unsicher und möchte nicht herausstechen. Später …“, Katie beugte sich vor und blätterte weiter, „… trägt sie lebhaftere, geradezu schillernde Farben und figurbetontere Sachen, weil sie es nicht mehr nötig hat, sich hinter ihrer Kleidung zu verstecken.“ Als sie Nathaniels forschenden Blick auf sich ruhen fühlte, errötete Katie und nahm ihm das Skizzenbuch ab. „Wenn du das für keinen guten Einfall hältst, kann ich …“

„Es ist eine exzellente Idee, Freitag“, sagte er langsam und benutzte den alten Spitznamen, um ihr etwas von der sichtbaren Verlegenheit zu nehmen. „Ein geradezu genialer Schachzug, den Charakter und die Gemütslage der Darsteller durch die Kleidung zu unterstreichen. Originell und sehr clever.“

„Findest du wirklich?“, fragte Katie, während sich die Röte auf ihren Wangen noch vertiefte. Diesmal aber vor Freude und Stolz.

„Ja, absolut! Bist du in der Lage, ein komplettes Kostümset zusammenstellen?“

„Wenn du einen PC hast, den ich benutzen darf.“

„Du kannst das nicht mit Papier und Stiften tun?“

„Doch, natürlich, aber das würde nicht halb so professionell wirken. Außerdem könntest du es nicht via E-Mail verschicken, falls du es mit jemandem abstimmen möchtest.“

„Gutes Argument. Ich werde mich noch heute darum kümmern.“ Mit einem kraftvollen Sprung kam er auf die Füße und reichte Katie die Hand, um ihr beim Aufstehen zu helfen. „Und jetzt genieße noch rasch die letzten Sekunden des Sonnenuntergangs. Ich befürchte, er ist das Äußerste an Romantik, das ich dir auf dieser Insel bieten kann.“

Wirksam auf die Erde und in die Realität zurückgeholt, ergriff sie die angebotene Hilfe, nur um im nächsten Moment atemlos an Nathaniels breiter Brust zu liegen. Wie das passiert war, konnte sie sich nicht erklären. Hatte er zu fest gezogen? War sie gestrauchelt? Oder lag es an diesem seltsamen, elektrischen Knistern zwischen ihnen?

Als sie Nathaniel unterdrückt fluchen hörte, wollte Katie sich rasch losmachen, wurde aber von starken Händen daran gehindert. Eine lag wie ein Schraubstock um ihre Taille, die andere ließ Nathaniel bedächtig über ihren Rücken hinuntergleiten, bis er eine runde Pobacke umfassen und Katie mit einem Ruck noch dichter an seinen erregten Körper pressen konnte.

Ihre Augen flogen auf, und vor sich sah sie nicht ihren temporären Gastgeber, sondern den Alpha Man … den rastlosen Soldaten, der die Tochter seines Feindes in den Armen hielt. Verstört von dieser absurden Vision wich Katie seinen fordernden Lippen aus.

„Nein!“ Es fiel ihr schwer zu atmen. „Das ist so unwirklich, geradezu surreal. Ich sehe in dir nur den Schauspieler, nicht den Mann.“

Nathaniel lehnte seine Stirn gegen ihre. „Aber küssen will dich allein der Mann, Katie“, murmelte er verführerisch, doch sie machte sich von ihm frei.

„Nein, ich spüre genau, dass du eine Rolle spielst. So wie an jenem Abend …“

„Da habe ich nicht geschauspielert“, protestierte Nathaniel und glaubte fast selbst daran. „Und jetzt tue ich es auch nicht.“

Es war eine Lüge. Aber eine, die ihm genau das verschaffte, was er am nötigsten brauchte: Ablenkung, Balsam für seine gepeinigte Seele. Außerdem gehörte es zu dem uralten Spiel zwischen Mann und Frau, oder nicht?

„Du weißt genau, wie du eine Frau ansehen musst, damit sie sich schön fühlt“, sagte Katie. „Das Fatale ist nur, ich weiß es ebenfalls, und trotzdem wirkt dieser Trick bei mir wie bei jeder anderen.“

„Katie, ich …“

„Und so verlockend es auch ist, mir vorzumachen, ich sei hinreißend genug, um den begehrtesten Hollywood-Star zu bezaubern – ein Blick in den Spiegel bringt mich schnell auf den Boden der Tatsachen zurück. Wir leben in völlig verschiedenen Welten, Nathaniel. Und in meiner hat schneller bedeutungsloser Sex nichts zu suchen.“

„Hast du ihn jemals gekostet?“, fragte er unerschrocken. „Schnellen bedeutungslosen Sex, meine ich.“

„Nein.“

„Man sollte alles einmal ausprobieren, Freitag.“

„Ist das so?“ Katies grüne Augen funkelten. „In dem Fall solltest du unbedingt versuchen, dich mal zu öffnen und Vertrauen zu entwickeln, Alpha Man. Mag sein, dass du eine tiefe, hingebungsvolle Beziehung längst nicht so abstoßend und langweilig findest, wie du glaubst.“

„Ich weiß genau, was ich als absolut erfüllend und befriedigend empfinden würde“, murmelte er rau. „Soll ich es dir zeigen, Katie?“

„Bist du eigentlich jemals du selbst, Nathaniel Wolfe?“

Nach einem kurzen, erbitterten Blick kehrte der zynische Ausdruck in seine Augen und um den wundervollen Mund zurück. „Schade, ich glaube immer noch, wir beide hätten gut zusammengepasst und eine Menge Spaß haben können …“

Nach einer weiteren schlaflosen Nacht hämmerte es hinter Nathaniels Schläfen wie verrückt. Er warf Schnorchel und Schwimmflossen aufs Bootsdeck und sprang hinterher, während Ben bereits Lebensmittel und weiteres Zubehör an Bord des Seglers verstaute.

„Wo soll’s denn hingehen?“, fragte plötzlich eine weibliche Stimme in seinem Rücken.

Als Nathaniel sich umdrehte, stand Katie barfüßig und mit den Händen in den Taschen ihrer Shorts auf dem Anlegesteg und beobachtete das ganze Manöver. Selbst auf diese Entfernung konnte er ihre Anspannung spüren. Ihre Wangen waren blass, und unter ihren Augen lagen dunkle Schatten.

Irgendwie bereitete es ihm eine gewisse Genugtuung festzustellen, dass sie offenbar eine ebenso unruhige Nacht hinter sich hatte wie er.

„Wir beide werden eine Segeltour unternehmen. Da ich offensichtlich mit jemandem auf einer einsamen Insel festsitze, der nach einem strengen Moralkodex lebt, brauche ich dringend Ablenkung, damit meine Gedanken nicht ständig um schnellen bedeutungslosen Sex kreisen.“

Und damit ich nicht ständig an die neuen Nachrichten auf meinem Handy denken muss! Nathaniel verstaute eine letzte Kiste an Bord.

Katie hatte sich keinen Millimeter gerührt. „Ich bleibe lieber hier.“

„Ganz sicher nicht.“ Mit einem eleganten Satz landete er dicht neben ihr auf der Pier, nahm sie auf die Arme und sprang zurück an Bord, als wäre sie nicht mehr als ein Fliegengewicht. Sie fühlte sich derart überrumpelt, dass sie nicht einmal protestierte. „Dies ist eines der besten Tauchreviere vor der brasilianischen Küste. Es wird dir gefallen.“

„Du befürchtest wohl, ich könnte die Presse über dein Versteck informieren, falls du mich an Land zurücklässt“, unterstellte sie ihm. „Wie glaubst du, sollte ich das anstellen? Rauchzeichen geben? Selbst wenn ich wollte, könnte ich mit niemandem Kontakt aufnehmen. Du hast mein Handy weggeschlossen!“

Wenn ich das doch auch nur mit meinem getan hätte! „Du brauchst kein Handy.“

„Hast du Angst, ich könnte jemandem von Annabelle oder Carrie erzählen? Was denn? Ich weiß doch nicht einmal genau, wer oder wo sie sind.“

Es war, als griffe eine eisige Hand nach seinem Herzen. Vage überrascht stellte Nathaniel fest, dass man auch in sengender Hitze frösteln konnte. „Ich verlange, dass du diese Namen ein für alle Mal aus deinem Gedächtnis streichst.“

„Fein, ich habe also nie ein Wort über die beiden Damen gehört, aber eines Tages wirst auch du dich irgendeiner Menschenseele anvertrauen müssen.“ Mit einem Plumps ließ Katie sich auf einer sonnenwarmen Sitzbank nieder und stupste mit dem nackten Fuß gegen Schnorchel und Schwimmflossen. „Ich habe so etwas noch nie gemacht. Vielleicht ertrinke ich ja.“

„Du wirst es lieben.“

„Und wenn ich Wasser schlucke?“

„Dann verpasse ich dir eine Mund-zu-Mund-Beatmung.“ Innerlich haderte Nathaniel mit sich selbst, dass er seine Gedanken in eine derart gefährliche Richtung abschweifen ließ. „Lass uns endlich starten“, knurrte er barscher als beabsichtigt und gab Ben ein Zeichen, woraufhin Katie Zeugin eines gekonnten Ablegemanövers wurde.

Kaum war der schnittige Katamaran unter Segeln, durchpflügte er nahezu lautlos die glitzernde Wasseroberfläche, begleitet von bunt schillernden Fischschwärmen.

Katie streckte bequem die Beine aus und schloss die Augen.

Nathaniel, der den spontanen Segeltörn längst als großen Fehler betrachtete, hielt sein Gesicht in die frische Brise und atmete tief die salzige Seeluft ein. Dabei vermied er es peinlichst, Katies lange, wohlgeformte Beine anzusehen.

In den nächsten Stunden segelten sie an einer Reihe Inseln vorbei, bis sie in eine kleine Bucht einbogen, die an drei Seiten von Korallenriffen begrenzt war und damit ein perfektes Terrain zum Schnorcheln abgab. Als Nathaniel das Großsegel eingeholt hatte und der Katamaran seine Fahrt verlangsamte, streifte Katie todesmutig T-Shirt und Shorts ab, wobei sie Nathaniel ihre reizende Kehrseite zuwandte, die nunmehr nur ein winziger korallenroter Bikini zierte.

Es war das erste Mal, dass sie sich ihm derart freizügig präsentierte. Hätte er ihr nur rechtzeitig einen Taucheranzug verpasst! Als er fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach, fluchte Nathaniel stumm. Dann half er Katie, Taucherbrille, Schnorchel und Flossen anzulegen, bevor sie, Seite an Seite, über die Bordwand ins türkisgrüne Meer glitten.

„Wie tief ist es hier?“, fragte Katie, nahm ihre Frage aber bereits im nächsten Atemzug wieder zurück. „Nein, sag nichts! Ich will es lieber gar nicht wissen.“ Instinktiv hielt sie sich an seinem Unterarm fest, was Nathaniel nur noch mehr zum Schwitzen brachte, selbst im Wasser. „Gibt es hier irgendetwas, das mich möglicherweise mit einem Lunch-Paket verwechseln könnte?“

Niemand außer mir! Er konnte nur hoffen, dass Katie zu aufgeregt und abgelenkt war, um das Ausmaß seiner sexuellen Erregung zu sehen oder zu spüren. Sanft streifte er ihren Arm ab und versuchte, etwas Distanz zwischen ihnen zu schaffen.

Als ein Schwarm schillernder Papageienfische neben ihnen auftauchte, gab Katie einen erstaunten Laut von sich und nahm das Mundstück ihres Schnorchels heraus. „Wie wunderschön! Wollen wir uns die mal näher ansehen?“

Ehe er antworten konnte, saß der Schnorchel schon wieder fest und Katie war abgetaucht. In den nächsten Minuten blieb Nathaniel nichts anderes übrig, als ihre bemerkenswerten Manöver unter Wasser zu bewundern. Offensichtlich war sie eine versierte, sichere Schwimmerin mit einem kraftvollen, eleganten Stil. Kaum vorstellbar, dass dies ihr erster Tauchgang sein sollte.

Ihn schien sie dabei absolut vergessen zu haben. Und das war auch gut so, sagte Nathaniel sich, da er spürte, dass er seine ganze Kraft und Konzentration für sich brauchte, um gleichmäßig zu atmen.

„Das war fantastisch!“, lachte Katie, als sie endlich wieder aufgetaucht waren. Dann erweckte irgendetwas hinter seiner linken Schulter ihre Aufmerksamkeit, und ihr Lachen verebbte. „Da ist jemand.“

Als er sich umdrehte, sah Nathaniel, dass sich ein anderes Boot zu ihnen gesellt hatte und in der Nähe ankerte. „Entspann dich. Sie wissen ja nicht, wer wir sind.“

„Ach, du glaubst nicht, dass sie in mir Hollywoods berühmteste Kostümdesignerin erkannt haben und nur hier sind, um mir ein Autogramm abzuluchsen?“, fragte sie und musste über ihren eigenen Witz kichern. Neugierig sah sie zu dem fremden Segler hinüber. „Sieht ganz nach einer Bordparty aus. Alle scheinen an Deck zu sein und zu feiern. Besser, wir behalten die Masken auf.“

„Steht dir der Sinn nach einem weiteren Tauchgang?“

Katie strahlte. „Was für eine Frage! Wenn es nach mir ginge, müssten wir nie wieder an Land zurück!“ Ohne auf ihn zu warten, tauchte sie bereits wieder unter. Nathaniel folgte ihr und wunderte sich selbst, wie viel Spaß ihm die Bewegung in einem Element machte, das ihm sonst eher Furcht einflößte.

Katie bewies eine ungeheure Ausdauer dabei, das Korallenriff bis in die letzten Ecken zu erkunden, ohne das rege Unterwasserleben zu sehr zu stören oder gar etwas anzufassen.

Jedes Mal, wenn sie an die Wasseroberfläche kamen, um Luft zu tanken, überfiel sie ihn mit einem Schwall von Fragen und Eindrücken. Wirre dunkle Locken umrahmten ihr vor Begeisterung glühendes Gesicht wie nasser Seetang, was sie überhaupt nicht zu stören schien. Sie wirkte auf ihn wie ein Geschöpf des Meeres, eine hinreißende Wassernixe, die sich absolut in ihrem Element fühlte. Jede Anspannung schien von ihr abgefallen zu sein.

Selbst ihm gegenüber.

Als sie später wieder an Bord waren, lehnte Katie sich über die Reling, schüttelte ihr klatschnasses Haar aus und lächelte Nathaniel dann offen an. „Das war das Beste, was ich je getan habe!“ Ihre Begeisterung war so ansteckend, dass sich auch seine Laune unmerklich hob. Er konnte sich nicht erinnern, sich jemals in der Gesellschaft einer Frau derart amüsiert und wohlgefühlt zu haben.

Erschrocken senkte er den Blick und erinnerte sich daran, dass es in seinem Leben keinen Platz für tiefe Gefühle und Happy Ends gab. Und das wusste er bereits seit seinem neunten Lebensjahr …

Nach einem schmackhaften Lunch stand Katie mit einem erfrischenden Drink in der Hand völlig entspannt auf Deck und schaute zu dem fremden Boot hinüber, auf dem es immer noch hoch herzugehen schien.

Plötzlich entdeckte sie etwas, das ihr Herz einen Schlag aussetzen ließ. „Nathaniel, sieh nur!“, rief sie erschrocken. „Dieses winzige Kind dort drüben an der Reling trägt gar keine Schwimmweste. Was für ein bodenloser Leichtsinn!“

Als er ihrem Blick folgte, spürte er ein seltsames Ziehen im Magen.

„Hey!“, rief Katie, doch keiner der Erwachsenen auf dem anderen Schiff schien sie über die Partymusik und das laute Gelächter der Gäste hinweg zu hören. Ihr verzweifelter Blick schoss von Nathaniel, der reglos neben ihr stand, zu Ben, der inzwischen auch auf die brisante Situation aufmerksam geworden war. „Können wir nicht näher an das andere Boot ranfahren?“, rief sie ihm zu. „Wir müssen …“

Sie brach ab, als sie ein lautes Klatschen hörte. Die Bewegung im Wasser verriet ihr, wo Nathaniel mit einem Kopfsprung ins Meer eingetaucht war. Gleichzeitig stellte Katie entsetzt fest, dass die winzige Gestalt an Bord des anderen Schiffs verschwunden war.

„Ben!“, schrie sie voller Panik. „Was sollen wir tun?“

„Ruhe bewahren und Nathaniel im Auge behalten“, kam es so gelassen zurück, dass Katie vor Hilflosigkeit und Frust am liebsten laut aufgekreischt hätte. Ben warf den Motor an und manövrierte den Katamaran zu dem anderen Schiff. „Er ist ein exzellenter Schwimmer. Wenn jemand das Kind retten kann, dann er. Ich wage es nicht, näher ranzufahren, wegen der Schiffsschraube. Ist Nathaniel noch zu sehen?“

„Nein! Er taucht exakt an der Stelle, wo das Kind verschwunden ist, aber keiner von beiden kommt zurück an die Oberfläche!“ Sie weinte fast vor Angst und Panik. „Ich schwimme ihm nach! Vielleicht kann ich helfen!“

Ben versuchte gar nicht erst, sie aufzuhalten, als sie mit einem waghalsigen Hechtsprung über Bord ging. Erst unter Wasser dachte Katie daran, dass es schlauer gewesen wäre, die Taucherbrille anzulegen. Die faszinierende und mysteriöse Unterwasserwelt, die sie eben noch so bewundert hatte, erschien ihr plötzlich nur noch als nasses Grab.

Schnell und rhythmisch bewegte sie Arme und Beine, bis ihre Lungen zu platzen drohten. Dann tauchte sie kurz auf, um Luft zu holen und sich zu orientieren. Wieder unter Wasser gewahrte sie nach wenigen Metern eine dunkle Silhouette, in der sie Nathaniel erkannte. Halb verdeckt von ihm, sah Katie ein dünnes weißes Ärmchen und ein Bein. Das Kind schien unter einem flachen Felsen eingeklemmt zu sein. Das Brennen in ihrer Brust wurde so heftig, dass sie wieder an die Oberfläche musste.

Wie schaffte Nathaniel es nur, so lange unter Wasser die Luft anzuhalten?

Die Partygesellschaft an Bord des Segelschiffs, dem sie jetzt ganz nahe war, hatte offensichtlich immer noch nichts vom Verschwinden des Kindes bemerkt. Plötzlich tauchte Nathaniels dunkler Kopf dicht neben ihr auf, gerade lange genug, um die eiserne Entschlossenheit in seinen Augen zu erkennen – und noch etwas anderes, das sie schaudern ließ. Dann war er wieder verschwunden.

Laute Rufe und die ständige Wiederholung eines Mädchennamens verrieten Katie, dass die Abwesenheit des Kindes endlich bemerkt worden war. Sie konnte sogar die Tränen auf den entsetzten Gesichtern der Menschen erkennen, deren Paradies sich ganz plötzlich in den Vorhof der Hölle verwandelt hatte.

Und dann war auch Nathaniel wieder da, mit dem reglosen Mädchen in seinen Armen. „Ben, nimm sie mir ab und leg sie flach aufs Deck“, brachte er heiser hervor. Kaum war das geschehen, zog er sich selbst an der Bordkante hoch und schwang sich anscheinend mühelos aufs Deck, wo er sofort mit den notwendigen Rettungsmaßnamen begann. Atemlos beobachtete Katie abwechselnd das stille, leichenblasse Gesicht der Kleinen und Nathaniels angespannte Miene zwischen Mund-zu-Mund-Beatmung und rhythmischer Herzmassage.

„Komm schon, Kleines …“, flüsterte er rau. „Atme! Tu’s für mich …“ Das Kind begann zu keuchen und zu husten, wobei sich ein Schwall Seewasser aufs Deck ergoss. Dann weinte es leise und kraftlos. „Gutes Mädchen“, raunte ihr Retter zärtlich und wiegte den kleinen schlaffen Körper an seiner Brust. „Du hast es geschafft.“

Du hast es geschafft, Nathaniel!“, rief Katie weinend vor Erleichterung aus. Als er zu ihr aufsah, war seine Haut unter der Sonnenbräune aschfahl und die Augen wie tot. „Du hast ihr das Leben gerettet. Ich …“

Katie wollte noch mehr sagen, doch das Kind fing an zu rufen. „Ich will zu meiner Mami.“

„Sofort, mein Engel.“ Behutsam streichelte Nathaniel der Kleinen über den Rücken. Aber auf seinem Gesicht stand ein finsterer, angespannter Ausdruck, den Katie nicht verstand. Sollte er nicht erleichtert, froh und stolz über seine Heldentat sein?

Nathaniel erhob sich und sah zwei Erwachsenen entgegen, die von Bord des anderen Schiffes gesprungen und zu ihnen geschwommen waren.

„Nina? Sie lebt?“, rief die Frau Nathaniel aus dem Wasser zu.

Er nickte knapp, übergab Ben das Kind und war unter Deck verschwunden, noch bevor die Angehörigen der Kleinen an Bord kommen konnten. Sie dankten Ben überschwänglich für die Rettung ihres kleinen Lieblings. Er nahm ihren Dank gelassen entgegen und riet ihnen eindringlich, das Mädchen von einem Arzt untersuchen zu lassen und ihm in Zukunft immer eine Schwimmweste anzuziehen.

Die erleichterten Eltern gelobten beides und kehrten mit dem Beiboot, das einer der Gäste inzwischen flottgemacht hatte, auf ihren Segler zurück. Nach der Identität des wahren Retters zu fragen, war ihnen in all der Aufregung gar nicht in den Sinn gekommen.

Nachdem alles vorbei war, gaben Katies Knie plötzlich unter ihr nach. Rasch setzte sie sich und zog mit bebenden Fingern ein flauschiges Badetuch um sich. Doch ihr Zittern und das Zähneklappern wollten einfach nicht aufhören.

Wo blieb Nathaniel? Wie musste er sich bloß fühlen, wenn sie schon so heftig auf dieses unfreiwillige Abenteuer reagierte?

Kraftlos lehnte Nathaniel über der Toilettenschüssel und erbrach sich zum vierten Mal. Er war nicht unter Deck geflüchtet, um seine Anonymität zu wahren, sondern aus purer Angst, vor aller Augen zusammenzubrechen.

Wasser! Ein ertrinkendes Kind … überwältigende, nicht zu steuernde Panik!

Langsam hob er den Kopf und schaute in den Spiegel. Würde das denn nie vorbeigehen? Das bleiche Gesicht schien einem Toten zu gehören.

Alpha Man! Von wegen!

Das Ausmaß seiner Schwäche und Hilflosigkeit entrang ihm ein bitteres Lachen. Unter seinen Füßen schien der Boden zu schwanken, und erst jetzt wurde ihm bewusst, dass sich der Katamaran bewegte.

Ben, dachte er dankbar. Gott sei Dank gab es Ben.

Er würde ihn so schnell wie möglich aus dieser Wasserhölle wegbringen …

6. KAPITEL

Katie lag in der Hängematte, ein Buch ungeöffnet in der Hand, blind und taub für die Schönheiten der Natur und das leise Rauschen des Meeres im Hintergrund.

Kaum hatte der Katamaran Strandnähe erreicht, war Nathaniel ins Wasser gesprungen, an Land gewatet und ins Haus marschiert, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Vielleicht war es nur eine Reaktion auf das Erlebte, oder er wollte allein sein. Aufdrängen würde sie sich ihm ganz sicher nicht. Außerdem hatten sie keine echte Beziehung zueinander wie zum Beispiel Familienangehörige, Freunde oder gar Geliebte!

Geliebte! Bei der Vorstellung und der Erinnerung an die erste Nacht oder den gestrigen Abend am Strand schauderte Katie.

Verstimmt über sich selbst und ihre unbezähmbare Fantasie, schwang sie die Beine aus der Hängematte und schlenderte zur Terrasse hinüber, wo Nathaniel in einem bequemen Schwingsessel saß. Wie in Trance starrte er hinaus auf die See, wo langsam die Sonne am Horizont verschwand.

„Du hast gar nichts zum Dinner gegessen“, bemerkte sie vorsichtig. „Soll ich Ben bitten, dass er dir etwas bringt?“

„Nein, ich bin nicht hungrig und möchte allein sein.“ Beide Aussagen waren genau wie sein Ton dazu gedacht, sie abzuschrecken, doch Katie ließ sich nicht einschüchtern. „Was du heute getan hast, war ungeheuer mutig. Ich bin immer noch ganz aufgewühlt von dem schrecklichen Erlebnis. Wie musst du dich dann erst fühlen?“

Keine Reaktion. „Verkriech dich nicht wieder in deinem Schneckenhaus, Nathaniel!“, forderte Katie impulsiv. „Rede mit mir!“ Ihre Stimme schwankte und klang ganz rau.

Das Schweigen war lang und qualvoll. Doch als Katie sich schon resigniert zurückziehen wollte, brach Nathaniel sein Schweigen.

„Reden kann nichts an der Tatsache ändern, dass die Kleine fast ertrunken wäre“, sagte er schwer.

„Aber dank deines mutigen Eingreifens ist sie es nicht“, erinnerte Katie ihn. „Ein Segen, dass du so ein fantastischer Schwimmer bist und das Wasser liebst!“

„Ich schwimme so gut, weil ich das Wasser hasse“, kam es dumpf zurück.

Bevor ein dunkler Ausdruck seine Miene verschloss, der seine Emotionen auszulöschen schien, erkannte sie namenlose Qual und einen Schmerz in seinen Augen, der ihr ans Herz griff. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie den echten Nathaniel Wolfe gesehen, nicht den Schauspieler.

Instinktiv streckte sie die Hand aus, um sie mitfühlend auf seinen Arm zu legen. Da sich inzwischen aber der gewohnte Sarkasmus auf seinem Gesicht widerspiegelte, zog sie sie wieder zurück. Trotzdem war Katie entschlossen, Nathaniels seltsamem Verhalten endlich auf den Grund zu gehen.

„Willst du mir nicht erzählen, warum das so ist?“, fragte sie gelassen.

Ihre Blicke trafen sich, dann lachte er hart. „Bist du sicher, dass du es wirklich hören willst?“

„Ja. Sag mir, warum du das Wasser hasst.“ Diesmal umfasste sie mutig seine verkrampften Finger auf der Sessellehne, und Nathaniel zog seine Hand nicht zurück.

„Es gab da einen See …“, begann er mit einer Stimme, die so kalt war wie gefrorenes Glas, „auf dem Anwesen unserer Familie … Wolfe Manor. Wir führten ein privilegiertes Leben, wie mir jedermann versicherte. Das Herrenhaus war ein luxuriöser, seelenloser Kasten, in dem man sich leicht verlaufen oder so perfekt verstecken konnte, dass einen niemand fand. Ein nützlicher Umstand, da dieses Vorgehen früh zu meinem Überlebensprinzip wurde.“

„Vor wem musstest du dich verstecken, Nathaniel?“

Er starrte an ihr vorbei, als hätte er sie gar nicht gehört. „Der See war riesig, und egal, wie blau der Himmel auch sein mochte, nie spiegelte er sich in der schwarzen Wasserwüste wider. Ganz dicht unter der Oberfläche konnte man Seegras und Schlingpflanzen sehen, die sich wie gierige Tentakel eines Seeungeheuers bewegten, auf der Suche nach einem Unglücklichen, den sie umfangen und in die Tiefe ziehen konnten. Wie tief der See wirklich sein mochte, wussten wir nicht. Dafür wussten wir aber, dass einer unserer Vorfahren darin ertrunken war. Und von dem Ungeheuer, das in seiner Mitte hausen sollte, hatten wir auch eine bildhafte Vorstellung.“

Katie schauderte. „Das hört sich ja gruselig an!“

„Das war es auch …“ Wieder verfiel Nathaniel in dumpfes Schweigen, das Katie nicht zu brechen wagte. Nach einer Weile sprang er auf und wanderte unruhig auf der Terrasse herum.

„Was ist passiert?“, flüsterte Katie, als sie es einfach nicht länger aushielt.

Abrupt blieb er stehen und musterte sie eindringlich aus brennenden Augen. Dann trat er an das Terrassengeländer und legte seine Hände um die hölzerne Brüstung. Und zwar so fest, dass seine Knöchel weiß unter der bronzefarbenen Haut hervortraten.

„Es war spät am Abend. Ich hatte mal wieder etwas Verbotenes getan, wie gewöhnlich. Mein Vater packte mich im Nacken, schleifte mich zum See und stieß mich hinein.“

Seine Stimme klang plötzlich rau und brüchig. „Ich erinnere mich nicht mehr, ob es der Ausdruck auf seinem Gesicht war, oder was er zu mir sagte, aber vor Schock war ich wie gelähmt. Als ich ins Wasser eintauchte, dachte ich nur: ‚Das war’s, ich werde ertrinken.‘ Ich fragte mich noch, wie lange es wohl dauern mochte und ob es wehtun würde. Als ich schließlich doch noch anfing zu strampeln, um mich von den Schlingpflanzen zu befreien, sah ich nur noch den Rücken meines Vaters, während er wegging. Ich dachte: ‚Gleich dreht er sich um und kommt zurück!‘ Doch er tat es nicht.“

„Aber das ist doch unmöglich!“, keuchte Katie. „Er wollte dir vielleicht spielerisch eine Lektion erteilen.“

„Das habe ich auch versucht, mir einzureden, aber es war kein Spiel. Anfangs habe ich die Schuld für alles bei mir selbst gesucht. Wie wohl jeder kleine Junge kämpfte ich um die Zuneigung und Anerkennung meines Vaters. Ich dachte, wenn ich das Richtige tue, würde er mich vielleicht lieben, aber es wollte mir nie gelingen. Dabei hatte ich an jenem Tag nur verträumt herumgestanden, während ich im Garten Blätter harken sollte …“

Katies Erschütterung war nicht zu übersehen. Mit einem schwachen Lächeln strich Nathaniel ihr über die Wange. „Arme Katie, habe ich jetzt deinen Kinderglauben an das grundsätzlich Gute im Menschen zerstört?“

„Ich bin längst nicht so naiv, wie du anzunehmen scheinst“, entgegnete sie ruhig. „Aber nicht alle Menschen sind schlecht. Wo war eigentlich deine Mutter?“

„Ah, meine Mutter …“ Augenblicklich verschloss sich seine Miene wieder. „Das Einzige, was du über meine Mutter wissen musst, ist, dass sie meinen Vater geradezu verzweifelt liebte. Sie wünschte sich nichts mehr, als dass er ihre Liebe erwiderte … natürlich vergeblich. Mein Vater liebte niemanden. Und er war der absolut falsche Partner für so ein sensibles, zerbrechliches Wesen wie meine Mutter. Genauso gut hätte man kostbares venezianisches Glas mit einem Vorschlaghammer bearbeiten können. Er hat sie zerbrochen, und sie … verließ uns.“

Beklommen hielt Katie den Atem an. „Dann warst du ganz allein mit deinen Vater?“

„Nicht wirklich“, antwortete er widerstrebend. „Andere englische Aristokraten sammeln Renaissance-Kunst oder Louis-XIV-Möbel. Mein Vater sammelte Frauen. Und diese Frauen hatten Kinder, an denen er allerdings nicht interessiert war.“

„Wer rettete dich damals aus dem See?“

„Mein Halbbruder Jacob, er ist neun Jahre älter als ich. Es war nicht das erste Mal, dass er mich aus dem Wasser zog. Seine Rolle innerhalb der Familie bestand darin, das Chaos, das mein Vater anrichtete, wieder in Ordnung zu bringen. Er hat das Wasser aus meinen Lungen gedrückt und mich so lange versteckt, bis mein Vater zu betrunken war, um sich noch für mich zu interessieren.“

„Nathaniel …“

„Schon gut, versuch erst gar nicht, die richtigen Worte zu finden. Dazu gibt es nichts zu sagen. Nicht einmal jemand mit deiner sonnigen Natur könnte auch nur ein gutes Haar an diesem Monster finden. Glaub mir, ich habe es jahrelang selbst versucht. Leider vergeblich.“

„Lebt dein Vater noch?“

„Nein, er starb, als ich neun war.“ Seine Stimme klirrte wie Eis. „Glaubst du, dass du das Schlimmste schon gehört hast? Dann frag mich doch einmal, wie er ums Leben gekommen ist, Katie.“

Plötzlich schienen sie sich in einem elektrischen Spannungsfeld zu befinden.

„Wie ist er gestorben?“, fragte Katie atemlos.

Einen Augenblick schien Nathaniel sich in der dunklen Erinnerung zu verlieren, dann räusperte er sich und erzählte diesen Teil seiner düsteren Vergangenheit zu Ende. „Wir waren alle aus unseren verschiedenen Internaten für die Ferien nach Hause gekommen. Meine Schwester nutzte die Abwesenheit meines Vaters, um sich aus dem Haus zu schleichen, weil sie an einer Dorfparty teilnehmen wollte. Sie war erst knapp fünfzehn, aber eine beeindruckende Schönheit und entschlossen, sich etwas zu trauen – einschließlich Minirock, Lippenstift und Mascara.“

Er machte eine Pause, und Katie wagte kaum Luft zu holen.

„Alles wäre gut ausgegangen, wenn mein Vater nicht früher als geplant von einem Ausritt zurückgekommen wäre. Er hat sie im Dorf gesehen und zu Hause mit der Reitpeitsche erwartet.“

„Er … er hat sie geschlagen?“

„Seine Absicht war es, sicherzustellen, dass kein Mann je wieder das Bedürfnis haben würde, seine Tochter auch nur anzuschauen. Aber er war zu betrunken, um seinen Jähzorn kontrollieren zu können, und schlug so brutal zu, dass er sie getötet hätte, wäre Jacob nicht eingeschritten. Ich stand die ganze Zeit daneben und habe immer nur geschrien ‚Aufhören! Aufhören!‘, doch er hat mich nicht einmal wahrgenommen.“ Nathaniel starrte auf seine zitternden Hände. „In jener Nacht habe ich gelernt, wie hilflos man sich fühlen kann.“

Mit dem Handrücken wischte sich Katie über ihr tränennasses Gesicht. „Du warst ein Kind, Nathaniel! Was hättest du tun können?“

„Wir hätten versuchen müssen, ihn daran zu hindern, Sebastian und ich“, brachte er heiser hervor. „Und gerade, als ich mir sicher war, dass er meine Schwester vor unseren Augen umbringen würde, kam Jacob ins Zimmer gestürmt.“

„Und hat ihn gestoppt?“

„Er hat ihn umgebracht.“ Nathaniel drehte den Kopf und sah Katie in die aufgerissenen Augen. Sein Blick war völlig leer. „Es war ein Unfall. Unser Vater war so betrunken, dass er gefallen ist und unglücklich mit dem Kopf auf einer Treppenstufe aufschlug. Überall war Blut … das Blut meines Vaters … Annabelles Blut … Jacob war starr vor Schock, und mein Vater war tot.“

Annabelle? Annabelle ist seine Schwester?

„Ich … ich weiß nicht, was ich sagen soll, Nathaniel. Es tut mir so schrecklich leid.“

„Mir nicht!“, sagte er hart. „Auch damals nicht. Ich stand einfach nur vor meinem toten Vater und dachte, endlich ist es vorbei.“ In seiner Stimme stritten Wut, Trotz und Schuldbewusstsein miteinander.

„Fühlst du dich schuldig, weil du seinen Tod nicht bedauern kannst?“, fragte Katie sanft. „Ist es das, was dich quält? Vergiss nicht, du warst ein Kind.“ Sie schlang ihre Arme um seine Taille, aber er blieb einfach nur steif stehen.

„Er war mein Vater, und ich habe ihn gehasst. Das macht mich zu einem Monster.“

„Es lässt dich nur menschlich erscheinen, mehr nicht“, murmelte Katie rau. „Du warst ein kleiner Junge, der sich verzweifelt nach dem gesehnt hat, was jedem Kind zusteht … die Liebe seines Vaters.“

„Anfangs dachte ich, es liege am Schock und ich würde eines Tages voller Bedauern über seinen Tod aufwachen, aber bis heute hat sich an meinen Gefühlen nichts geändert.“

Katie presste ihre Lippen auf seine warme Brust, als könnte sie ihn so heilen oder wenigstens von ihrem Mitgefühl überzeugen. „Du hast keinen Grund, dich schuldig zu fühlen. Was ist mit Jacob geschehen?“

„Hoch bezahlte Anwälte in teuren Anzügen haben sich um alles gekümmert.“

„Aber damit war euer privater Horror nicht vorbei, oder? Ihr alle musstet mit dem schrecklichen Ereignis leben. Wer hat sich in der Folgezeit um euch gekümmert?“

„Zunächst Jacob, bis er eines Tages sang- und klanglos verschwunden ist.“ In Nathaniels Augen glomm ein seltsames Licht, als er sich aus Katies Umarmung löste und einen Schritt zurücktrat. „Das war der Tag, an dem ich zum zweiten Mal Angst um Annabelles Leben hatte. Für sie war er der einzige Halt in unserer instabilen Familie. Sie liebte ihn so sehr! Ein eklatanter Fehler! Wenn du große Gefühle zulässt, machst du dich verletzlich. Und sie war zu Tode getroffen, als er ging.“

Nicht nur Annabelle!

„Als du am Abend der Premiere die Bühne verlassen hast, sagtest du: ‚Ich muss unbedingt Annabelle warnen.‘ Was meintest du damit, Nathaniel? Was ist an jenem Abend passiert?“

„Jacob saß im Publikum.“

„Wie lange hast du ihn nicht gesehen?“

„Zwanzig Jahre.“

„Zwanzig Jahre?“, rief Katie überrascht. „Also nicht mehr, seit er euch damals verlassen hat?“

„Wir sind eben nicht die typische Durchschnittsfamilie“, spottete Nathaniel.

„In dem Fall ist es kein Wunder, dass du von der Bühne geflohen bist.“

„Ich habe nur an Annabelle gedacht. Sein plötzliches Auftauchen hätte sie total verstört. Ich wollte sie unbedingt sofort warnen.“

„Hast du sie inzwischen erreicht?“

„Ja, per SMS.“

„Das ist alles? Kein persönliches Gespräch?“

Nathaniel lachte hart. „Du bist unverbesserlich in deinem Optimismus. Wir sind die Wolfe-Family. Dass Annabelle mir überhaupt eine SMS zurückgeschickt hat, ist schon sehr viel für ihre Verhältnisse.“

„Aber du liebst doch deine Schwester. Und Jacob …“

„Als ich ihn in der ersten Reihe sitzen sah, hat mich eine rasende Wut gepackt. Und dieses Gefühl hat sich mit den qualvollen Erinnerungen an jene furchtbare Nacht gemischt, in der mein Vater Annabelle ausgepeitscht hat. Ich konnte und wollte auf keinen Fall mit ihm sprechen. Und daran hat sich bisher nichts geändert. All das liegt weit zurück in der Vergangenheit. Und dorthin will ich nicht zurückkehren.“

Jetzt wusste Katie auch, wer die ganze Zeit über vergeblich versuchte, Nathaniel anzurufen. „Ihr beide müsst miteinander reden.“

„Reden!“, spottete Nathaniel. „Katies Antwort auf alle Probleme der Welt …“

„Wenn du bisher wirklich nicht über jene furchtbare Nacht gesprochen hast, ist es allerhöchste Zeit“, sagte sie ernst.

„Warum, um alles in der Welt? Damit kann ich die Vergangenheit nicht ändern.“

„Aber deine Zukunft und die Gegenwart. Und dein Gefühl, was die Geschehnisse von damals angeht. Du hast Annabelle nicht im Stich gelassen. Du warst wild entschlossen, ihr zu helfen. Ich bin froh, dass du mir davon erzählt hast.“

„Warum? Weil du endlich eine lohnende Geschichte hast, die du an die Presse weitergeben kannst?“

„Du weißt, dass ich das nie tun würde.“

Nathaniel seufzte und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. „Geh zu Bett, Katie“, sagte er müde und wandte sich ab. „Wir hätten dieses Gespräch nie führen sollen.“

Nach kurzem Zögern legte sie ihm eine Hand auf die Schulter, die er instinktiv abschüttelte. „Warum quälst du dich nur so?“, fragte sie leise.

„Verschone mich mit deinem Mitleid! Geh endlich zu Bett.“

Katie schloss kurz die Augen und ballte dann die Hände zu Fäusten. „Warum? Damit du dich ungestört in deinem Elend suhlen kannst? Jahrelang hast du versucht, allein damit fertig zu werden. Warum probierst du es nicht mal mit einer Alternative. Ich werde jedenfalls nicht gehen.“

Aufs Äußerste gereizt fuhr er herum. „Verdammt, Katie! Was willst du von mir?“

„Dich“, sagte sie mit zitterndem Lächeln. „Einfach nur dich.“

„Das habe ich dir die ganze Woche über angeboten.“

„Du hast mir Nathaniel Wolfe angeboten, den Schauspieler. An ihm bin ich nicht interessiert. Ich suche den Mann dahinter, das Reale.“

Ihr mutiges Bekenntnis nötigte Nathaniel nur ein spöttisches Auflachen ab. „Du willst nicht den Mann, und mit Realitäten kannst du schon gar nichts anfangen.“

Spontan hielt Katie ihn zurück, als er sich abwandte. „Sag du mir nicht, was ich will und womit ich klarkomme oder nicht, weil …“

Was sie sonst noch hatte sagen wollen, erstickte Nathaniel mit einem verzehrenden Kuss, der sie bis ins Innerste aufwühlte und völlig atemlos machte. „Na, ist dir das real genug?“, fragte er hart und eroberte erneut ihre bebenden Lippen. Als er Katie das nächste Mal freigab, fühlte sie sich einer Ohnmacht nahe und wäre sicher zu Boden gesunken, hätte Nathaniel sie nicht hochgehoben und in ihr Zimmer gebracht.

Kaum hatte er sie auf dem breiten Bett abgesetzt, beugte er sich über sie und zog ihr geschickt das leichte Sommerkleid aus. „Dass ich dich will, daran habe ich nie einen Zweifel gelassen, Katie“, raunte er heiser. „Ich bin so verdammt heiß auf dich!“ Ungeduldig befreite er sie auch noch von ihrem Slip.

Katie, die neben seiner offensichtlichen sexuellen Lust auch Schmerz und Verzweiflung in ihm spürte, lag ganz still. Zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, ließ Nathaniel seine eiserne Kontrolle fallen und lieferte sich ganz seinen Emotionen aus. Es fühlte sich gut an … und richtig. Es gab nur noch sie beide, das leise Rauschen des Meeres im Hintergrund und die sanfte Brise, die durch die offene Terrassentür hereinwehte.

Und dann war er über ihr. Den leisen Schrei, der sich ihr entrang, erstickte Katie selbst mit einem fiebrigen Kuss, mit dem sie ihn förmlich überrumpelte. Und als Nathaniel sich geschockt zurückziehen wollte, schlang sie ihre Arme um seinen Hals und presste sich an ihn.

„Katie …“

„Es ist okay … nicht aufhören …“ Erneut küsste sie ihn. So zärtlich und voller Verlangen, dass er jede Selbstbeherrschung aufgab. Es war überwältigend. Nichts, was Katie je gehört oder erfahren hatte, kam dem gleich, was sie in Nathaniels Armen erlebte. Er entführte sie in eine Welt voller Sinnlichkeit und Lust, die ihr bisher verschlossen geblieben war.

„Es war dein erstes Mal.“ Nathaniel lag flach auf dem Rücken, einen Unterarm über den Augen, und wusste nicht, ob er geschmeichelt sein oder sich schuldig fühlen sollte. Wenn er ehrlich war, konnte er mit keiner der verstörenden Emotionen etwas anfangen, die ihn unaufhaltsam überfluteten. Wann hatte er sich je so … aufgewühlt und gleichzeitig so unendlich befriedigt gefühlt?

Die Antwort war eigentlich ganz einfach: nie!

Mit Katie war alles anders. Mit ihr teilte er etwas, das er bisher jeder Frau vorenthalten hatte … sich selbst.

Etwas wie Panik flackerte in ihm auf. Es war nicht allein die Furcht, was Katie mit den brisanten Informationen anfangen könnte, sondern die Tatsache, dass er ihr erzählt hatte, was für immer in seinem Unterbewusstsein begraben bleiben sollte. Warum hatte er das getan? Normalerweise sprach er nie über seine Familie. Aber das Erlebnis mit dem kleinen Mädchen, das fast ertrunken wäre, hatte alles auf einen Schlag zurückgebracht.

Er selbst war wieder Kind gewesen, gefangen im dunklen Wasser des Sees.

Unglücklicherweise besaß Katie so etwas wie einen inneren Radar, mit dem sie die Ängste und Probleme anderer Menschen ortete. Und anders als ihre Geschlechtsgenossinnen war sie nicht an Glanz und Glamour interessiert, sondern an Realität und Wahrheit. Dazu war sie noch beängstigend hartnäckig.

Erst verspätet wurde Nathaniel bewusst, wie ungewöhnlich schweigsam sie war. Er nahm den Arm von den Augen und wandte den Kopf, nur um festzustellen, dass sie friedlich schlummerte … mit einem kleinen Lächeln auf den anbetungswürdigen, weichen Lippen, die noch von seinen Küssen geschwollen waren.

Sie war wirklich die optimistischste und lebensbejahendste Person, die er je kennengelernt hatte. Selbst das Grauen seiner Kindheit hatte sie nicht abschrecken können. Sie hatte sich von ihm lieben lassen, weil sie glaubte, endlich den wahren Nathaniel gesehen zu haben.

Und das war die größte Katastrophe, weil er den echten Nathaniel Wolfe vor zwanzig langen Jahren begraben hatte und nicht den leisesten Drang verspürte, ihn je wieder zum Leben zu erwecken.

7. KAPITEL

Ein vorwitziger Sonnenstrahl, der sie an der Nase kitzelte, weckte Katie. Mit einem verträumten Lächeln auf den Lippen rekelte sie sich genüsslich, öffnete die Augen und erstarrte. Das Bett neben ihr war leer. Nathaniel war gegangen.

Und sie hatte er weiterschlafen lassen …

Unter der Dusche überlegte Katie flüchtig, ob das eher eine rücksichtsvolle Geste war oder ob Nathaniel die Nacht mit ihr schon bereute. Da sie zu keinem befriedigenden Ergebnis kam, schob sie die unsinnigen Gedanken rasch beiseite und gab sich lieber dem wohligen Gefühl hin, begehrt und geliebt worden zu sein. Und, was für sie sogar noch mehr zählte: Nathaniel hatte ihr endlich Vertrauen entgegengebracht und ihr von seiner belastenden Vergangenheit erzählt.

Als sie kurz darauf die Terrasse betrat, sagte Katie sich, dass es albern war, so nervös zu sein, nur weil sie in der letzten Nacht miteinander geschlafen hatten.

Nathaniel stand an der Brüstung, mit dem Handy am Ohr. Sein dunkles Haar glänzte im Sonnenschein, den Blick hielt er auf einen Punkt in der Ferne gerichtet. Überwältigt von seiner charismatischen Ausstrahlung fühlte Katie ihr neu erworbenes Selbstbewusstsein schwinden.

Er sah aus wie ein Superstar.

Hatte sie die Ereignisse der letzten Nacht vielleicht nur geträumt?

Mit klopfendem Herzen wartete sie, bis sein Gespräch beendet war. „Du hättest mich wecken sollen“, sagte sie, als er sich schließlich zu ihr umdrehte. „Ich wollte gar nicht so lange schlafen.“

„Ich musste einige wichtige Telefonate erledigen“, erklärte er knapp. „Wie sich herausgestellt hat, ist mein Agent jeden Cent wert, den ich ihm zahle. Die Situation in London hat sich geklärt, alles läuft wieder normal.“ Höflich reserviert schob er ihr einen Stuhl zurecht. „Kaffee?“

Die Enttäuschung über sein distanziertes Verhalten nahm ihr fast den Atem. Sollte das bereits alles gewesen sein? Eine einzige Nacht der Vertrautheit? Vielleicht nur geboren aus Schwäche und Verzweiflung oder weil sie so einen immensen Druck auf Nathaniel ausgeübt hatte? Der spürbare Graben zwischen ihrer heimlichen Hoffnung und der Realität schockierte Katie regelrecht.

„Kaffee wäre großartig, danke.“

Höflich und formell. Zwei Menschen, die gezwungen waren, sich eine Insel zu teilen. Und kein Liebespaar, das es kaum abwarten konnte, sich wieder nackt und voller Leidenschaft auf zerknitterten Laken zu lieben.

„Nimm dir frisches Obst und von den köstlichen Pfannkuchen“, ermunterte Nathaniel sie. „Und dann müssen wir uns auch schon sputen. Der Helikopter wird in spätestens einer Stunde hier sein.“

„Helikopter?“ Katie stellte ihre Tasse auf dem Tisch ab, ohne auch nur daran genippt zu haben. „Wir fliegen nach London zurück?“

„Nein, wir verlassen nur die Insel und werden noch ein paar Tage in Rio verbringen.“ Nathaniel checkte die E-Mails auf seinem Handy, als handele es sich um einen ganz gewöhnlichen Arbeitstag. Wollte er sie damit vielleicht auf ihren Platz verweisen, weil er seine Schwäche, die ihn erst zum Reden und dann in ihr Bett getrieben hatte, schon bereute?

Ärger und Frust mischten sich mit Schmerz und Scham, wobei sich Katies Wut in erster Linie gegen sich selbst richtete. Lernte sie denn nie dazu?

„Warum fliegen wir nach Rio?“

„Ich habe genug davon, auf dieser Insel gefangen zu sein. Das ist selbst mir auf die Dauer zu eintönig.“

Womit er meine These nicht nur bestätigt, sondern noch toppt!

Mit einem Ruck schob Katie ihren Stuhl zurück und stand auf. „Na besten Dank! Wie heißt die Rolle, die du heute Morgen spielst? Gefühlloser Bastard?“

Nathaniels Blick wurde wachsam. „Ich verstehe nicht …“

„Nicht? Seltsam, du bist doch der Profi, was Schauspielkunst betrifft. Hättest du beschlossen, den galanten Liebhaber zu mimen, hättest du mich zumindest mit einem zärtlichen Lächeln begrüßt und nach meinem Befinden gefragt. Stattdessen schaffst du es, dass ich mich irgendwie schuldig und wie ein lästiges Anhängsel fühle.“

„Wodurch?“, fragte er verblüfft.

„Bist du wirklich so unsensibel, Nathaniel? Erst vor wenigen Stunden haben wir noch zusammen im Bett gelegen, und jetzt kannst du nicht schnell genug von mir weg kommen.“

„Warum? Wir fliegen doch zusammen.“

Sie lachte bitter auf. „Wenn du die letzte Nacht bereust, dann sag es mir doch einfach ins Gesicht, aber tu nicht so, als wäre nichts geschehen, Nathaniel!“

„Setz dich, Katie.“

„Warum? Damit ich mich gleich noch erbärmlicher fühle als ohnehin schon? Du bist ein fantastischer, versierter Schauspieler. Aber der interessiert mich nicht, und der Mann, der du sein könntest, der interessiert dich nicht. Also … geh nach Rio oder geh zur Hölle! Mir ist es egal! Aber komm mir nicht nach!“

Verdammt! Was will diese Frau eigentlich von mir?

Nathaniels Hand zitterte, als er die Tasse mit dem kalten Kaffee auf den Tisch zurückstellte. Es hatte ihn eine enorme Willensstärke gekostet, das Bett zu verlassen, bevor sie aufgewacht war. Was ihn schlussendlich doch dazu getrieben hatte, war die verstörende Erkenntnis gewesen, dass er für immer so eng an sie geschmiegt einfach nur hätte daliegen können.

Für immer?

Große, starke Worte, die er für sich noch nie in einem positiven Kontext gesehen oder benutzt hatte. Fahrig fuhr er sich mit dem Handrücken über die feuchte Stirn.

So aufgewühlt, wie er sich fühlte, hatte er es noch nicht einmal gewagt, Katie anzuschauen, als sie zu ihm auf die Terrasse gekommen war, und hatte insgeheim sogar gehofft, sie hätte sich in eines ihrer formlosen braunen Gewänder gehüllt. Stattdessen trug sie das flippige gelbe Strandkleid – in der Farbe der Sonne und des Glücks.

Den glücklichen Ausdruck in ihren wundervollen Nixenaugen hatte er mit seinem rüpelhaften Benehmen jedenfalls im Handumdrehen vertrieben.

Ben brachte frischen Kaffee. Diesmal ohne das gewohnt freundliche Lächeln auf den Lippen. „Ich habe gesehen, wie Miss Katie zum Strand hinuntergerannt ist …“ Lag da etwa Kritik in seiner Stimme? „Es sah aus, als würde sie weinen.“

„Wahrscheinlich braucht sie einfach Ruhe“, erwiderte Nathaniel grimmig.

„Nicht jeder flüchtet sich in die Einsamkeit, wenn er unglücklich ist oder sich verletzt fühlt“, fuhr Ben fort. „Miss Katie gehört zu den Menschen, die es vorziehen, darüber zu reden.“

Unter dem inquisitorischen Blick seines Angestellten fühlte sich Nathaniel wie ein besonders scheußliches Insekt. „Du kennst sie doch kaum fünf Minuten“, murmelte er unwillig.

„Manche Menschen sind so offen und freundlich, dass man nicht einmal fünf Minuten mit ihnen verbringen muss, um sie zu kennen. Andere …“ Ben unterbrach sich und schenkte Nathaniels Tasse, die dieser so hastig heruntergestürzt hatte, dass er sich den Mund verbrannte, gelassen noch einmal voll. „Andere schließen sich innerlich ein und lassen niemanden an sich heran.“

„Jeder ist eben anders.“

„Sie versucht nur, Ihnen zu helfen. Noch nie habe ich eine liebenswertere und warmherzigere Person kennengelernt als Miss Katie.“

„Ich brauche keine Hilfe!“

„Das kommt auf den Standort des Betrachters an.“ Ben stellte Katies volle Kaffeetasse und das verschmähte Frühstück aufs Tablett und richtete sich auf. „Ich werde dieses Chaos hier beseitigen …“ Damit zog er sich zurück.

Die Botschaft war klar. Das Chaos, das Nathaniel angerichtet hatte, sollte er selbst in Angriff nehmen. Mit einem unterdrückten Fluch sprang er auf und stapfte missmutig den schmalen Pfad entlang, der am schnellsten zum Strand hinunterführte.

Ein einziges Gespräch, sagte er sich selbst. Aber wirklich nur eines!

Er fand Katie in der geschützten Bucht von Turtle Cove. Das gelbe Kleid strahlte in der Sonne, die dunklen Locken fielen offen über den Rücken hinab. Wenn Nathaniel daran dachte, wie sie ausgesehen hatte, als sie auf der Insel gelandet waren, spürte er ein seltsames Ziehen in der Herzgegend. Aus dem unscheinbaren Geschöpf mit den braunen Federn war ein schillernder, exotischer Vogel geworden.

Und letzte Nacht …

„Katie …“

Ihre Schultern versteiften sich, aber sie drehte sich nicht um. „Ich will allein sein.“

Den Wunsch hätte Nathaniel ihr in seinem Zustand liebend gern erfüllt, aber Bens mahnende Stimme klang immer noch in seinen Ohren.

„Hör zu, die ganze Situation ist auch für mich nicht leicht“, erklärte er mit einem Anflug von Ungeduld in der Stimme. „Ich bin enge Beziehungen einfach nicht gewohnt. Zumindest nicht die Sorte, von der du träumst. Ich pflege nur kurze, zweckdienliche Affären mit Frauen einzugehen, die genau wissen, worauf sie sich einlassen. Und du … Himmel noch mal!“ Hilflos fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar. „Du hast noch nie zuvor mit einem Mann geschlafen!“

„Darüber möchte ich nicht reden.“

„Warum nicht? Du redest doch sonst auch hemmungslos über alles und jeden. Ich weiß, dass du enttäuscht bist, weil ich nicht bei dir im Bett geblieben bin, aber …“

„Ich bin enttäuscht, weil ich in der letzten Nacht endlich den wahren Nathaniel sehen durfte und du dich jetzt wieder hinter dem Schauspieler versteckst.“

„Ich tue nichts anderes als die letzten zwanzig Jahre“, sagte er gereizt.

Erst als Katie sich ihm zuwandte, sah Nathaniel ihre tränenfeuchten Wangen und wurde von seinen Schuldgefühlen nahezu überwältigt. Bisher hatten ihn Frauentränen grundsätzlich kalt gelassen. Doch Katies gerötete Augen krampften sein Herz zusammen. „Bitte, nicht weinen“, bat er rau.

„Beantworte mir nur ehrlich eine Frage“, bat sie mit schwankender Stimme. „Ist es Carrie? Ich weiß, dass du behauptet hast, keine Affäre mit ihr zu haben, aber …“

„Es ist nicht Carrie.“ Allein den Namen laut auszusprechen, drängte ihn dazu, sich umzudrehen und wegzulaufen, doch er kämpfte dagegen an. Nathaniel wusste, dass er Katie von ihr erzählen sollte, aber er hatte das Geheimnis schon zu lange für sich behalten, als dass er es so einfach preisgeben konnte. „Ich bin nun mal so …“

Eine ganze Weile schwiegen sie beide.

Irgendwann hielt Nathaniel es nicht mehr aus und setzte sich neben sie. „Sag doch irgendwas. Schrei mich an, oder verrate mir, was ich sagen oder tun soll. Es sieht dir gar nicht ähnlich, so stumm zu sein.“

„Du magst es doch nicht, wenn ich ständig rede.“

„Gestern auf dem Boot hat es mir gefallen. Du hast über alles geredet und gelacht, was dir in den Kopf gekommen ist.“

Sie warf ihm einen erstaunten Seitenblick zu. „Und du sagst mir nie, was dir in den Kopf kommt. Wie soll ich dann wissen, was gespielt und was echt ist?“

Verzweifelt suchte Nathaniel nach etwas, womit er Katie beweisen konnte, dass er nicht so oberflächlich war, wie es den Anschein hatte. „Die letzte Nacht … sie war echt, Katie.“

„Nein, das war sie nicht“, widersprach sie brüsk. „Wir hatten Sex, mehr nicht. Ich habe den Part des naiven Weibchens gespielt und du den virilen Höhlenmenschen.“

„Willst du damit sagen, dass ich dich verletzt habe?“

„Nicht letzte Nacht …“ Aber heute Morgen, mit deinen hohlen Phrasen und der Unfähigkeit, auf deine verdammte Schutzmaske zu verzichten!

Langsam stand Nathaniel auf und zog Katie mit sich hoch. Als sie versuchte, sich von ihm loszumachen, nahm er sie in die Arme und küsste sie sanft auf den Mund.

Katie presste die Lippen zusammen und wollte sich von ihm lösen. „Lass mich! Ich weiß, dass du die letzte Nacht bereust!“

„Das tue ich ganz und gar nicht. Zumindest nicht den Part, als du dich wie eine kleine Wildkatze …“

„Hör auf damit, du Schuft!“

Lachend wehrte Nathaniel ihre trommelnden Fäuste ab und wurde plötzlich ganz ernst. „Es tut mit wirklich leid, wie ich mich heute Morgen benommen habe, Katie. Kannst du mir verzeihen?“

„Damit ist es nicht getan“, entgegnete sie ebenso ernst. „Es würde nichts an den Ursachen deines Verhaltens ändern. Dein Bruder Jacob ist zurück, Nathaniel. Du kannst nicht ständig vor deiner Vergangenheit weglaufen.“

Augenblicklich verschloss sich seine Miene wieder. „Ich laufe nicht davon. Mir ist nur nicht nach der großen Familienzusammenführung zumute.“

„Die Presse muss doch über deinen Vater Bescheid wissen. Wie ist es dir gelungen, sie zur Zurückhaltung zu bewegen?“

Er zuckte mit den Schultern. „Ab und zu kocht das Thema noch einmal hoch. Ich hoffe allerdings, dass man es nach der Verleihung des Sapphire Awards endgültig begraben und den Fokus mehr auf meine Karriere als auf mein Privatleben richten wird.“

„Du willst den Preis gewinnen, um die Presse zu bestechen?“

„Das ist zumindest einer der Gründe.“ Ich sollte es ihr sagen … ihr die ganze traurige Geschichte erzählen.

Das Geräusch des nahenden Helikopters ließ beide aufschauen.

„Sieht aus, als wenn dein Taxi nach Rio eintrudelt“, stellte Katie gewollt schnodderig fest, um nicht zu zeigen, wie beklommen sie sich fühlte.

„Unser Taxi“, korrigierte Nathaniel sie. „Du kommst mit mir.“

„Ich bleibe lieber hier“, behauptete sie und wich ihm aus, als er sie an sich ziehen wollte.

„Ich möchte dich aber bei mir haben.“ Es überraschte ihn selbst, wie sehr er sich das wünschte. „Du wirst Rio lieben. Es ist die aufregendste Stadt der Welt. Glaub mir.“

„Wo würden wir unterkommen, wenn ich mich entschließen sollte, dich zu begleiten?“

„In Rafaels Penthouse.“

„Wer ist Rafael?“

„Ein weiterer Halbbruder. Sie könnten leicht zur Plage werden, aber wenn du privat und exklusiv unterkommen willst, können sie auch sehr nützlich und hilfreich sein.“

„Rafael …“ Verwirrt schüttelte Katie den Kopf. „Wie viele Ehefrauen hatte dein Vater überhaupt?“

„Vier? Nein, ich glaube, es waren drei, abgesehen von seinen Geliebten. Oder zählen die auch mit?“ Nathaniel umfasste Katies Hand und zog sie mit sich in Richtung Strandvilla. „In seinem Schlafzimmer war jedenfalls mehr Betrieb als auf dem Hollywood-Boulevard in der Sapphire-Nacht.“

„Ist Rafael jünger als du?“

„Wir sind ungefähr gleich alt. Er ist der Sohn der Frau, mit der mein Vater meine Mutter betrog, als sie mit mir schwanger war.“

Entsetzt entzog Katie ihm ihre Hand und blieb stehen. „Grundgütiger! Steht ihr euch nahe?“

„Nahe?“, fragte Nathaniel, als handelte es sich um ein Fremdwort. „Ich lebe in L. A. und er in Brasilien. Ich weiß nicht, wie weit das auseinanderliegt. Zehntausend Kilometer … oder mehr?“

„Nein, ich wollte sagen …“

„Oh, du meinst als Brüder? Das ist eine typische Katie-Frage.“ Nathaniel wusste nicht, ob er amüsiert oder entnervt sein sollte. „Ich nutze sein Penthouse, wenn ich in Rio bin, und er meines, wenn er in L. A. ist. Überlappen sich die beiden Termine, gehen wir zusammen einen trinken. Erfüllt das die Regeln für nah in Katie-Land?“

„Werde ich Rafael kennenlernen?“

Nathaniel schüttelte lachend den Kopf. Katie war wirklich unverbesserlich und glaubte offensichtlich immer noch an Wunder. „Keine Chance. Ich will mit dir in sein Penthouse einziehen, um in der Stadt der heißesten Samba-Rhythmen ebenso heiße Nächte zu verbringen.“

„Ich habe noch nie Samba getanzt.“

„Keine Bange …“ Nathaniel lachte und griff erneut nach ihrer Hand. „Ich werde es dir beibringen. So wie du deine Hüften schon beim Gehen schwingst, bist du ein wahres Naturtalent.“

„Diese Wohnung und der Blick sind unglaublich!“ Völlig überwältigt stand Katie auf der riesigen Dachterrasse des exklusiven Penthouse-Apartments. „Dein Bruder muss sehr erfolgreich sein.“

„Das kann man so sagen, er übernimmt langsam die Welt-Spitzenposition auf dem Technikmarkt.“ Nathaniel trat von hinten an Katie heran und schaute versonnen über ihre Schulter zum Strand hinunter. „Hier oben haben Rafael und ich schon unzählige Drinks zu uns genommen.“

Als sie seinen federleichten Kuss seitlich auf dem Hals spürte, schmolz Katie förmlich dahin, versuchte aber, es sich nicht anmerken zu lassen.

„Was immer du tust, fass bloß nichts an“, warnte Nathaniel. „Rafael ist ein echter Freak, und er hat das gesamte Apartment mit elektronischen Finessen und Spielereien ausgestattet. Wenn du niest, kann es passieren, dass dir von irgendwoher ein Tempotuch zufliegt. Ich habe ihm versprochen, dass ich an dem Tag in seine Firma investiere, an dem er eine App in mein Handy installiert, mit dem ich Paparazzi abwehren kann.“

Bedächtig hob er ihre weichen Locken und platzierte einen weiteren Kuss auf Katies Nacken. Sie erschauerte. Gestern hatte sie sich Nathaniel schnell und bereitwillig hingegeben. Heute wollte sie etwas bedachtsamer sein.

„Werden wir auch eine Sight-Seeing-Tour unternehmen?“, fragte sie leichthin und tauchte unter seinem Arm weg.

„Aber sicher, das ist Rio!“

Und Nathaniel hielt sein Versprechen. Neben vielen anderen Sehenswürdigkeiten präsentierte er Katie die spektakuläre Aussicht vom Pão de Açúcar, dem berühmten Zuckerhut, und lud sie anschließend in der Guanabara Bay zu einem landestypischen Essen ein.

Als sie ins Apartment zurückkehrten, war es bereits spät, sodass Katie automatisch in Richtung Schlafzimmer marschierte, doch Nathaniel bremste sie.

„Rio wacht um diese Zeit erst langsam auf“, erklärte er lachend. „Und wir haben noch einen wichtigen Termin vor uns … die Sambaschule.“

„Schule? Es ist fast Mitternacht.“

„Es ist keine Schule, wie du sie kennst, sondern ein Ort in der Nachbarschaft, wo man sich zum Tanzen trifft. Und ein wichtiger Teil der brasilianischen Kultur. In Rio bereiten sich alle auf den Karneval vor, der in ein paar Wochen stattfindet. Hier …“, er reichte ihr ein kleines Päckchen, „ich habe dir etwas zum Anziehen besorgt.“

Unter vielen Lagen dünnem Seidenpapier fand sie ein Kleid aus türkisblauer Seide – hauteng bis zur Hüfte, endete es in einem Flatterrock, der weit oberhalb des Knies endete. „Ach, du gehst in Jeans, und ich soll nahezu nackt tanzen?“

„Da ist noch etwas in der Schachtel.“

Und tatsächlich, unter weiteren bunten Lagen fand Katie noch ein smaragdgrünes Bikinioberteil. „Wow! Das ist …“ Sie verstummte und blinzelte nur entsetzt.

„Das perfekte Outfit, um Samba zu tanzen.“

Seit sie in Südamerika gelandet war, trug Katie kein Braun mehr, und das verdankte sie allein Nathaniel. Er war es, der endlich Farbe in ihr Leben gebracht hatte. „Ich bin überwältigt.“ Rasch eilte sie ins Schlafzimmer, um sich umzuziehen, und protestierte, als Nathaniel ihr folgte. „Nicht zuschauen, das macht mich verlegen.“

„Muss es nicht. Du hast fantastische Beine.“ Das Funkeln in seinen Augen war nicht misszuverstehen, doch Katie lachte nur und entzog sich ihm geschickt.

„Jetzt habe ich das heißeste Outfit aller Zeiten an, dann will ich auch tanzen!“

Und das tat sie auch. Es wurde der aufregendste Abend ihres Lebens. Ob das an der aufreizenden Musik und den lasziven Samba-Rhythmen lag oder an Nathaniels begehrlichen Blicken und sexy Hüftbewegungen, konnte sie nicht sagen.

„Können wir nach Hause gehen?“, raunte sie ihm irgendwann zu, und Nathaniel ließ sich nicht zweimal bitten.

In dieser Nacht liebten sie sich mit einer Wildheit und Intensität, die genährt wurde von ihrer Erinnerung an die heißen Samba-Tänze und Katies Vorahnung von der Endlichkeit dieses unwirklichen Paradieses.

Als Katie am nächsten Morgen erwachte, stellte sie erstaunt fest, dass Nathaniel das Bett bereits verlassen hatte und offenbar gerade duschen gegen wollte.

„Guten Morgen, kleine Schlafmütze“, sagte er lächelnd und küsste sie auf die Nasenspitze. „Nein, bleib ruhig liegen, ich habe heute Vormittag noch etwas zu erledigen. Nimm später ein Bad und entspann dich.“

„Was musst du erledigen?“, fragte Katie und setzte sich im Bett auf.

„Rafael und ich sponsern hier vor Ort ein Projekt für benachteiligte Kinder und Jugendliche.“ Nathaniel zögerte kurz, dann fischte er einen flachen Ordner aus seiner Laptop-Tasche und warf ihn aufs Bett. „Die Broschüre ist voll von Rührgeschichten mit entsprechenden Bildern, um mitleidige Leute mit zu viel Geld zum Spenden zu animieren. Ich bin mit der Frau verabredet, die das Projekt leitet. Es wird aber nicht lange dauern.“ Damit verschwand er im Bad.

Autor

Kate Hewitt

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