Dr. Gallagher und die Eisprinzessin

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

"Die Verabredung mit Abigail geht an …" Abigail stockt der Atem. Warum ersteigert Dr. Lewis Gallagher bei der Tombola ein Date mit ihr? Die Frauen stehen doch Schlange, um mit dem attraktiven Playboy auszugehen. Ihr Typ ist er allerdings überhaupt nicht … oder?


  • Erscheinungstag 12.02.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733729783
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Abigail, Sie sind zwar noch nicht so lange bei uns“, sagte Max Fenton, der diensthabende Oberarzt, „aber nachdem Marina sich so mächtig ins Zeug gelegt hat, um diese Tombola auf die Beine zu stellen, frage ich Sie einfach, ob Sie vielleicht auch etwas beisteuern wollen.“

Es wäre ein Leichtes gewesen, ihren Vater um ein paar Autogramme oder einen Backstage-Pass für das nächste Brydon-Konzert zu bitten. Aber eines hatte Abigail aus bitterer Erfahrung gelernt: Sie tat gut daran, nicht in die Welt hinauszuposaunen, dass ihr Vater der Rockgitarrist und Leadsänger Keith Brydon war, Gründer der gleichnamigen Band. Oder dass er den Hit „Cinnamon Baby“ am Tag ihrer Geburt für sie geschrieben hatte. Damit hätte sie sich zwar ganz schnell beliebt, ihr Leben jedoch viel zu kompliziert gemacht.

„Ich, hm … Einverstanden“, erwiderte sie, denn sie wusste, dass mit dem Erlös medizinische Geräte angeschafft werden sollten, die das Krankenhaus dringend benötigte. „Woran hatten Sie gedacht?“

„Max, du bettelst doch wohl nicht unsere neue Ärztin an?“, fragte Marina, die eben hinzugekommen war und den Arm um die Hüfte ihres Mannes schlang.

„Doch, in deinem Namen.“ Er drehte sich um und küsste sie.

Das perfekte Paar, dachte Abigail. So verliebt. Obwohl sie wusste, dass sie als Single besser dran war, beneidete sie die beiden ein wenig. Wie es sich wohl anfühlen mochte, so geliebt zu werden?

Marina verdrehte die Augen. „Ignorieren Sie ihn einfach, Abigail. Sie brauchen sich da wirklich nicht zu engagieren.“

Was mich wieder zur Außenseiterin macht, dachte Abigail. So wie immer. Ist es denn so schwer, wenigstens einmal dazuzugehören? „Nein, ich möchte wirklich helfen“, entgegnete sie. „Was schlagen Sie mir vor?“

„Tatsächlich?“ Marina sah sie erfreut an. „Hm, manche bieten eine Einladung zum Abendessen an, einen Hausputz oder einen Präsentkorb.“ Sie dachte kurz nach. „Wie wäre es mit Kinokarten, inklusive Popcorn und Getränken, oder etwas in der Art?“

„Oder einem Date. Das wäre mal was“, warf Max ein.

„Halt die Klappe, Max. Setz Abigail nicht unter Druck. Du weißt doch, was …“ Marina unterbrach sich abrupt.

Abigail wusste, was Marina hatte sagen wollen. „Ist schon gut. Ich weiß, dass man mich die Eisprinzessin nennt“, versetzte sie trocken. „In meiner letzten Klinik war es genauso.“

„Die Leute wollen nicht unhöflich sein“, meinte Marina verlegen. „Es ist nur so, dass Sie … immer so für sich sind. Sie machen es einem wirklich nicht leicht, Sie näher kennenzulernen.“

„Ja.“ Mehr gab es dazu nicht zu sagen. Es war die Wahrheit. Sie kapselte sich ab. Und das aus gutem Grund. Sobald die Leute herausfanden, wer sie war, suchten sie ihre Nähe, aber nicht um ihretwillen, sondern um ihren berühmten Vater kennenzulernen. Das kannte sie alles zur Genüge. Abigail stieß einen leisen Seufzer aus. „Na gut. Dann also ein Date.“

„Bitte glauben Sie nicht, wir wollen Sie bedrängen“, sagte Marina rasch. „Wenn Sie lieber einen Korb mit Schminksachen oder Kinokarten anbieten möchten, wäre das auch super.“

Das wäre ein Ausweg. Der aber nur zur Folge hätte, dass ihre Kollegen noch schlechter über sie denken würden, wenn sie darauf einging. „Nein, nein. Ich bleibe bei dem Date.“

Marina war sichtlich erleichtert. „Vielen Dank, Abigail. Das ist echt klasse.“

Und vielleicht, dachte Abigail, wäre das ein neuer Anfang. Ein Weg, um Freunde zu finden. Richtige Freunde diesmal. Etwas, was ihr bisher immer so schwergefallen war.

An die Alternative – dass sie damit einen Riesenfehler beging – wollte sie lieber nicht denken.

Die Tombola fand am Freitagabend statt. Der Raum war brechend voll, alle Mitarbeiter der Notaufnahme, die dienstfrei hatten, waren gekommen, und auch viele Kollegen aus den anderen Abteilungen, die Abigail vom Sehen oder der Patientenübergabe kannte.

Max Fenton und Marco Ranieri, zwei Ärzte ihrer Abteilung, spielten eine Doppelrolle: Sie leiteten nicht nur die Versteigerung, sondern boten sich auch als Putzdiener für einen Tag an und trieben gegenseitig ihre Preise in die Höhe.

Abigail ersteigerte erfolgreich zwei Karten für ein klassisches Konzert. Dann war es so weit: Ihr eigenes Angebot kam unter den Hammer.

Eine Verabredung mit ihr.

Vor Aufregung wurde ihr abwechselnd heiß und kalt. Warum hatte sie nicht jemanden beauftragt, auf ihr Angebot zu bieten? Dann hätte sie die Kosten selbst tragen und sich diese missliche Situation ersparen können.

Andererseits war sie schließlich als Eisprinzessin bekannt. Wahrscheinlich ist ohnehin niemand an einem Date mit mir interessiert, überlegte sie hoffnungsvoll.

Marco und Max allerdings schienen alles daranzusetzen, einander zu überbieten.

Abigail stockte der Atem, als das Gebot einen dreistelligen Betrag erreichte.

Schließlich verkündete eine dunkle Männerstimme: „Fünfhundert Pfund.“

Um Himmels willen! Was für eine verrückte Summe … Der einzige Grund, den sie sich vorstellen konnte, warum ein Mann so viel Geld für eine Verabredung mit ihr investieren sollte, war, dass er herausgefunden hatte, wer sie war.

Bitte, bitte, das durfte nicht sein!

Sie hielt die Luft an, wagte nicht, sich umzudrehen, um zu erfahren, wer das letzte Gebot abgegeben hatte, wollte keinen Augenkontakt herstellen.

Im Raum wurde es plötzlich ganz still.

Dann fragte Max leichthin: „Höre ich noch mehr als fünfhundert Pfund?“

Schweigen.

„In Ordnung. Die Verabredung mit Dr. Abigail Smith geht also an Dr. Lewis Gallagher.“

Lewis Gallagher?

Abigail staunte nicht schlecht. Lewis Gallagher, Oberarzt in der Notaufnahme, war der einzige Mann im ganzen Krankenhaus, der sich eine Verabredung nun wirklich nicht erkaufen musste. Die Frauen standen Schlange, um mit ihm auszugehen. Und jede schien zu hoffen, die eine zu sein, der es gelang, seine „Drei Verabredungen und das war’s dann“-Politik zu durchbrechen. Was bislang keiner gelungen war, soweit Abigail wusste.

Nur sie hatte kein Interesse an ihm. Sie hatte Lewis, der sich letzte Woche mit ihr hatte verabreden wollen, einen Korb gegeben.

Und jetzt hatte er sich ein Date mit ihr erkauft.

Mist! Sie brauchte frische Luft und Zeit zum Nachdenken, wie sie sich aus dieser Sache wieder herausmanövrieren könnte.

Zu spät. Lewis war bereits mit langen Schritten auf sie zugekommen.

„Das ist meiner, Dr. Smith“, sagte er leise und wedelte mit dem Gutschein, den Marina sie für die Tombola hatte unterschreiben lassen – die versprochene Verabredung.

„Fünfhundert Pfund sind viel Geld. Ich danke Ihnen für die großzügige Unterstützung dieser Tombola.“ Abigail schob das Kinn vor. „Gut, Sie haben Ihre Verabredung, aber erwarten Sie nicht, dass ich in Ihrem Bett lande.“

Er lachte. „Wie kommen Sie darauf, dass ich das erwarte?“

Sein Ruf. Abigail errötete. „Warum haben Sie sich dann ein Date mit mir erkauft, Dr. Gallagher?“ Weil er weiß, wer ich bin?

„Weil Sie mich neulich haben abblitzen lassen.“

Ah, weil sie sein männliches Ego gekränkt hatte. Abigail entspannte sich. Aber nur ein wenig.

Lewis sah sie direkt an. „Jetzt haben Sie keine Entschuldigung mehr.“

„Vielleicht will ich einfach nur nicht mit einem Playboy ausgehen.“ Sie hatte ihn schon bei der ersten Begegnung so eingeschätzt. Sehr attraktiv, geschliffene Manieren – und seicht wie eine Pfütze.

Nicht ihr Typ.

Überhaupt nicht.

Lewis bedachte sie mit dem charmantesten Lächeln, das sie sich vorstellen konnte. Sie könnte wetten, dass er das vor dem Spiegel geübt hatte.

„Vielleicht täuschen Sie sich ja mit dem Partylöwen“, meinte er leichthin. „Und, wohin gehen wir?“

„Das habe ich noch nicht entschieden“, entgegnete sie spitz und ärgerte sich gleichzeitig über ihre herablassende, arrogante Art. Das war doch lächerlich. Normalerweise gab sie sich nicht wie eine verwöhnte Diva, die sie so gar nicht war. Abigail Smith war eine stille, hart arbeitende Ärztin, sie tat, was getan werden musste.

Trotzdem schaffte es Lewis Gallagher, dass sie sich benahm wie eine verwöhnte Prinzessin, die mit dem Fuß aufstampfte und sich lauthals beschwerte, wenn sie ihren Willen nicht bekam. Warum um alles in der Welt reagierte sie so auf ihn?

„Irrtum, Prinzessin. Ich habe ein Date mit Ihnen ersteigert, deshalb entscheide ich, wohin wir gehen.“

Halt die Klappe, Abigail. Lass dich nicht provozieren. Doch es platzte förmlich aus ihr heraus: „Falsch. Das bedeutet, dass ich dieses Date organisiere und die Rechnung übernehme.“

„Nein. Das bedeutet ganz einfach, dass wir uns am Sonntagvormittag treffen.“

Sie wollte gerade einwerfen, dass sie da Dienst hätte, als er hinzufügte: „Denn da haben Sie frei. Das habe ich gecheckt.“

Sie saß in der Falle.

Und das sah er ihr offenbar an, denn seine Stimme wurde sanfter. „Es ist nur eine Verabredung, Abby.“

Abby? Niemand nannte sie so. Nicht mal ihr Vater.

Besonders nicht ihr Vater. Er nannte sie bei ihrem richtigen Namen. Und den hielt sie bei der Arbeit sorgsam unter Verschluss, um zu vermeiden, mit ihrem Vater in Verbindung gebracht zu werden. Nicht, dass sie ihn nicht liebte – Keith Brydon war für sie der wichtigste Mensch auf der Welt, und sie war unheimlich stolz auf ihn. Aber sie wollte als der Mensch angesehen werden, der sie war. Auf keinen Fall wollte sie für eine dieser um Aufmerksamkeit heischenden Promitöchter gehalten werden, die sich auf den Lorbeeren ihrer berühmten Eltern ausruhte.

Ehe sie antworten konnte, fuhr Lewis fort: „Wir gehen einfach irgendwohin und verbringen ein bisschen Zeit miteinander. Nur, um uns ein wenig besser kennenzulernen. Und dass das klar ist: Ich erwarte nicht, dass Sie mit mir schlafen. Oder mich auch nur … küssen.“

„Danke.“ Großartig! Jetzt krächzte sie auch noch, und es klang genau so, als wollte sie von ihm geküsst werden. Ging es noch lächerlicher?

„Ziehen Sie Jeans an“, sagte er. „Und feste Schuhe.“

„Sehe ich etwa aus wie eine, die auf High Heels dahergestöckelt kommt, in denen sie kaum laufen kann?“ Sofort bereute sie die spitze Bemerkung. Den Satz hätte sie sich nun wirklich sparen können.

Lachfältchen erschienen in seinen Augenwinkeln. „Nein. Aber ich glaube, dass Sie mich dennoch überraschen könnten, Abby.“

Die Bilder, die vor ihrem inneren Auge aufblitzten, ließen sie erschauern. „Jetzt kommt sicher gleich, dass Sie herausfinden wollen, ob mein Temperament zu meinen roten Haaren passt, oder?“

„Irrtum. Ich mache mir nichts aus Klischees“, versetzte er cool. „Obwohl, wenn ich Sie so ansehe, könnte ich glatt auf diese Idee kommen.“

Zum Teufel mit ihm, jetzt zwinkerte er ihr auch noch zu. Und sie hätte beinahe gelacht.

„Sie brauchen feste Schuhe“, wiederholte er. „Turnschuhe wären gut. Ach, und binden Sie ihr Haar zusammen.“

Das verstand sich von selbst. Sie trug es immer so. „Und was unternehmen wir?“ Sie war trotz allem neugierig.

„Das werden Sie dann schon sehen. Ich hole Sie ab.“

Abigail schüttelte den Kopf. „Nicht nötig. Wir können uns dort treffen.“

„Aber Sie wissen doch gar nicht, wo.“

Mistkerl. „Sie könnten es mir verraten“, meinte sie zuckersüß.

„Sicher. Aber zwei Autos zu nehmen, wäre nicht sehr umweltfreundlich.“

„Gut, dann fahre ich.“ Vielleicht willigte er ein, wenn sie ihn ein wenig provozierte. „Sie haben doch keine Angst, sich von einer Frau chauffieren zu lassen?“

„Gewiss nicht.“ Er lachte. „Außer von einer. Aber die versetzt jeden in Angst und Schrecken.“

Seine Verflossene? Nicht, dass sie das etwas anging oder auch nur interessierte. Denn sie hatte überhaupt keine Lust, mit Lewis Gallagher auszugehen. Sie tat es nur wegen dieser Tombola.

„Sollen wir uns streiten, oder lassen Sie sich lieber von mir fahren als von mir dirigieren?“

„Also schön.“ Er hatte gewonnen. „Sie fahren.“

„Gut. Ich hole Sie um neun ab. Ihre Adresse?“

Es hatte keinen Sinn, sich zu zieren. Er würde auch so herausfinden, wo sie wohnte. Also sagte sie es ihm.

„Prima. Dann bis Sonntag.“ Und weg war er.

Anscheinend musste er immer das letzte Wort haben.

Am Samstag war in der Notaufnahme wie üblich die Hölle los. Abigail kam kaum zum Luftholen, und was noch besser war, kaum zum Reden. Denn die Neuigkeit, dass Lewis eine Unsumme für ein Date mit ihr bezahlt hatte, verbreitete sich im Krankenhaus wie ein Lauffeuer, und alle stellten sich die gleiche Frage: Warum sollte ein Mann, um den sich die Frauen rissen, so viel Geld für ein Date mit Dr. Smith investieren, für die sich sonst keiner interessierte?

Das war absurd. Sie war überhaupt nicht sein Typ – und weder ein Partygirl noch eine der Frauen, die ihn anhimmelten und glaubten, ihn zähmen zu können. Um ehrlich zu sein, interessierte auch sie brennend die Antwort auf die Frage, weshalb er so scharf darauf schien, mit ihr auszugehen. War sein Ego so groß, dass er es nicht ertragen konnte, von einem anderen Mann überboten zu werden?

Nein, das passte eigentlich nicht zu diesem Dr. Gallagher, der neulich ein kleines Mädchen mit einem gebrochenen Arm so liebevoll getröstet hatte. Oder seine Mittagspause geopfert hatte, um mit einem alten Mann zu plaudern, der mit unklaren Magenschmerzen zur Beobachtung auf ihrer Station lag und offenbar niemanden hatte, der bei ihm blieb und mit ihm wartete. Oder der es mit viel Geduld geschafft hatte, dass dieses junge Mädchen, das mit Vergiftungserscheinungen eingeliefert worden war, ihm schließlich doch erzählte, welche Tabletten es genommen hatte. Und der, während Abigail der Patientin den Magen auspumpte, ihre Hand gehalten und mit ihr geredet hatte.

Lewis konnte gut mit Menschen umgehen, schenkte ihnen seine Zeit. Er war der beste Arzt, mit dem sie je gearbeitet hatte.

Und sie musste zugeben, dass er obendrein auch noch blendend aussah. Sein dunkles Haar war für ihren Geschmack zwar ein wenig zu kurz geschnitten, aber seine schieferblauen Augen waren wunderschön. Und sein sinnlicher Mund könnte in ihr fraglos gewisse Gefühle wecken, wenn sie es sich erlaubte, genauer darüber nachzudenken. Ganz zu schweigen von den hinreißenden Lachfältchen um seine Augen.

Aber sie war nicht auf eine Beziehung aus, und er verschwendete nur seine Zeit. Sie würde es ihm erklären, ihm das Geld für dieses Date zurückgeben, und hoffen, dass die Sache damit erledigt war.

Am Sonntag stand Lewis mit Blumen vor ihrer Tür. Nicht mit einem dieser protzigen Bouquets mit Schleifen und glitzernder Zellophanhülle, sondern einem einfachen Strauß Sommerblumen in einem geschmackvollen Papier. Genau die Art von Blumen, die Abigail manchmal für sich selbst kaufte.

Sie war total entwaffnet.

„Für Sie“, sagte er und reichte ihr die Blumen.

„Vielen Dank.“ Unwillkürlich sog sie den zarten Duft ein. „Ein hübscher Strauß.“ Sie musste ihn gleich ins Wasser stellen, sonst würde er verwelken. Lewis vor der Tür stehen zu lassen, während sie eine passende Vase suchte, wäre unhöflich gewesen.

Andererseits irritierte dieser umwerfend attraktive Mann sie viel zu sehr, um ihn jetzt auch noch in ihre Wohnung, ihren geheiligten Rückzugsort zu bitten. In seinem weißen Arztkittel konnte sie Lewis Gallagher einfach als einen Kollegen betrachten. In den verwaschenen Jeans und dem schwarzem T-Shirt hingegen …

Wie hatte sie sich nur einbilden können, dieser Situation gewachsen zu sein? Es war ihr schon immer schwergefallen, sich in Gesellschaft anderer locker zu geben. Vielleicht, wenn sie nicht nur unter Männern aufgewachsen wäre … Sie verdrängte diesen Gedanken. Hier ging es nicht um ihre Mutter – oder besser gesagt, das Fehlen einer Mutter. Abigail war dreißig Jahre alt und absolut in der Lage, allein mit dieser Situation fertigzuwerden.

„Kommen Sie rein“, murmelte sie verlegen.

Sie stellte die Blumen in eine Vase und atmete noch einmal den herrlichen Duft ein. „Sie sind wirklich prachtvoll.“

„Freut mich, dass sie Ihnen gefallen.“

„Aber das wäre wirklich nicht nötig gewesen.“

„Natürlich, das macht man doch so beim ersten Date.“

Das erste von dreien, wenn man den Gerüchten Glauben schenkte, dachte sie. „Dann zeigen Sie sich heute von Ihrer besten Seite, beim nächsten Mal geben Sie den bösen Buben, und nach dem dritten Date lassen Sie mich fallen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein danke. Ich passe.“

„Das ist jetzt aber ein bisschen unfair. Sie kennen mich doch gar nicht.“

Richtig. „Aber ich kenne Ihren Ruf.“

„Sie müssen nicht alles glauben, was die Leute reden“, sagte er und hielt ihren Blick fest. „Ich glaube ja auch nicht alles, was ich über Sie höre, Eisprinzessin. Auch wenn Sie sich bei der Arbeit kühl und reserviert geben.“

Die Eisprinzessin. Ein Punkt für ihn. „Also, warum haben Sie ein so hohes Angebot gemacht?“

„Weil Sie mich faszinieren.“

„Und weil ich Sie abgewiesen habe.“

„Ja“, gab er zu. „Aber das hat nichts mit meinem Ego zu tun.“

„Ach nein?“, erwiderte sie spöttisch.

„Nein. Sondern weil mir die Ideen ausgegangen sind, wie ich Sie dazu bringen könnte, an den Freizeitaktivitäten unseres Teams teilzunehmen.“

Dann war das gar kein richtiges Date? Abigail entspannte sich ein wenig. „Also wird das heute so eine Art Teambuilding-Maßnahme?“

„Nein. Nur Sie und ich … und ein paar Fremde.“

„Wie soll ich das verstehen?“

Er zuckte mit den Schultern und grinste sie herausfordernd an. „Sie werden schon sehen. Kommen Sie.“

Abigail war nicht sonderlich überrascht, dass er ein Cabrio fuhr.

„Sehr schick“, meinte sie trocken. In Marineblau sah der Wagen einen Tick eleganter aus als in dem üblichen Knallrot.

„Sehr komfortabel“, korrigierte Lewis sie, während er die Tür öffnete und per Knopfdruck das Verdeck aufklappen ließ.

Die weißen Ledersitze reizten sie wieder zu einer schnippischen Bemerkung. Doch als sie sich hineinsinken ließ, dachte sie nur: Wow, die sind tatsächlich superbequem. Und mit offenem Verdeck zu fahren und sich den Wind durch die Haare wehen zu lassen, hatte schon was. Ihr eigener Wagen war ein vernünftiges, ökonomisches Modell, mit dem man leicht einparken konnte. Kurz gesagt: langweilig.

„Und wo soll es jetzt hingehen?“

„Die Fahrzeit beträgt eine Dreiviertelstunde“, meinte er geheimnisvoll, ganz offensichtlich fest entschlossen, nichts zu verraten. „Sie können gern die Musik aussuchen“, schlug er vor.

Der erste Radiosender brachte Tanzmusik – so gar nicht ihr Geschmack. Der zweite, den sie einstellte, spielte gerade einen Song ihres Vaters. Abigail lehnte sich zurück und summte ganz automatisch das Lied mit.

Lewis schmunzelte. „Ich hätte gewettet, dass Sie nur sogenannte „gute“ Musik hören. Klassik. Sie haben ja auch auf Konzertkarten gesetzt.“

Das war ihm aufgefallen?

„Dann mögen Sie diese Art von Musik also nicht?“ Nur mühsam widerstand Abigail dem Impuls, ihren Vater und die Musik, die er machte, zu verteidigen.

„Doch, eigentlich schon. Ist perfekt fürs Joggen. Ich hätte nicht gedacht, dass Sie ein Brydon-Fan sind.“

Sein größter. Aber das würde sie Lewis natürlich nicht auf die Nase binden.

Da Lewis nichts weiter sagte, entspannte Abigail sich wieder und genoss die Landschaft.

Bis er von der Straße abbog, und sie das Schild sah.

„Urban Jungle Adventure Center“. Es war nicht nur der Name, der sie abschreckte, sondern vielmehr die Fotos auf der Plakatwand. „Ein Zipline-Park? Wir gehen Seilrutschen?“

„Einer der größten Kicks, die es gibt.“ Er bedachte sie mit einem langen Seitenblick und setzte hinzu: „Mit Kleidern am Leib.“

Abigail spürte, wie sie rot wurde. „Wollen Sie mich in Verlegenheit bringen?“

„Nein, zum Lachen. Ich versuche nicht, Sie zu verführen.“

„Ich verstehe Sie nicht“, gab sie zurück. „Keine Ahnung, wie Sie ticken.“

„Dann lassen Sie uns Spaß haben und es herausfinden.“

Spaß. Die Vorstellung, an einem dünnen Seil zu hängen und durch die Baumwipfel zu rasen … Nein, das war kein Spaß. Ganz im Gegenteil.

„Haben Sie etwa Höhenangst, Abby?“

Sie ließ die vertrauliche Kurzform ihres Namens unkommentiert. „Nein. Aber ich arbeite in der Notaufnahme und habe ständig mit solchen Unfällen zu tun.“

„Und Sie fürchten, abzustürzen?“ Sein Blick wurde weicher. „Alles in Ordnung, Abby. Das hier ist sicher. Das Personal ist bestens geschult. Die Anlage wird regelmäßig überprüft. Die Haltegurte werden nicht reißen, und Sie werden nicht abstürzen. Keine gebrochene Knochen, keine Gehirnerschütterung, keine Blutergüsse. Okay?“

Woher wusste er, welche Bilder ihr gerade durch den Kopf gingen? Sie holte tief Luft. „Okay.“

„Ich gebe zu, beim ersten Mal ist es schon ein mulmiges Gefühl. Aber dann wissen Sie, wie sich dieser Adrenalinkick anfühlt. Sie stürzen sich ins Vergnügen, und alle Angst ist vergessen.“

Das bezweifelte sie. Sehr sogar. „Ah, jetzt verstehe ich. Sie sind ein Adrenalin-Junkie.“ Deshalb arbeitete er vermutlich auch in der Notaufnahme. Weil es da auf Geschwindigkeit ankam, auf Entscheidungen im Bruchteil einer Sekunde, die Leben oder Tod bedeuten konnten.

„Eigentlich bin ich eher ein Endorphin-Junkie“, korrigierte er sie. „Ich gehe nämlich gern vor Dienstantritt joggen. Danach fühle ich mich großartig und bin für alles bereit.“

So hatte sie das noch nie betrachtet. „Klingt sinnvoll.“

Natürlich ließ Lewis sie vor sich die Leiter hinaufsteigen. „Ladies first.“

„Sie meinen, Sie möchten mein Hinterteil betrachten“, beschwere Abigail sich.

Er grinste. „Das auch. Es ist schließlich ein besonders hübsches Hinterteil.“

Abigail bedachte ihn mit einem, wie sie hoffte, vernichtenden Blick, um sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen, und erklomm tapfer die Leiter. Als es oben dann hieß, den Klettergurt anzulegen, verließ sie der Mut. Ihre Finger fühlten sich an wie nutzlose Anhängsel, während sie versuchte, mit den Karabinerhaken zu hantieren. Toll, dachte sie bitter. Wie machte man sich vor dem coolsten Typen im ganzen Krankenhaus lächerlich? Genau so.

„Lassen Sie sich helfen“, bot Lewis an.

Er war bereits fertig. Der Klettergurt saß perfekt, genau wie das breite Grinsen in seinem Gesicht.

„Und glauben Sie nicht, dass das nur ein plumper Vorwand ist, um auf Tuchfühlung zu gehen. Diese Gurte anzulegen, ist gar nicht so einfach. Mir ist es beim ersten Mal auch nicht gleich geglückt.“

Das wurde ja immer besser! Jetzt fühlte Abigail sich auch noch wie eine übellaunige Zicke. Lewis war einfach nur freundlich. Und sie hatte ihm gleich alles Mögliche unterstellt und von vorneherein schlecht von ihm gedacht, ohne den geringsten Anlass. Das war unfair. „Vielen Dank“, murmelte sie.

Er lachte nur.“ Das klingt eher wie ‚Ich möchte Sie am liebsten umbringen‘“.

„Stimmt“, gab sie zu. Wieder hatte er sie entwaffnet. Auf einmal erschien ihr sein Grinsen nicht mehr so arrogant und eingebildet. Lewis Gallagher war einfach … nett, musste sie sich eingestehen.

Und das war gefährlich. Sie wollte einem Herzensbrecher wie ihm nicht zu nahe kommen. Wollte sich überhaupt auf keinen Mann einlassen. Nein, sie wollte einfach ihr ruhiges, mitunter auch anstrengendes Leben als Notfallärztin leben.

„Okay. Steigen Sie in diese Schlaufen.“

Was anfangs ein einziges Gewirr von Gurten gewesen war, saß plötzlich gut und fest um ihre Hüften. Natürlich streiften Lewis’ Hände ihren Körper, aber nur, weil er jeden einzelnen Karabiner und Verschluss überprüfte, um sich zu vergewissern, dass die Gurte korrekt angelegt waren. Da war nichts Anzügliches an seinen Berührungen.

Worüber sie eigentlich erleichtert sein sollte.

Doch da war auch ein leises Gefühl von Enttäuschung. War sie etwa so dumm, sich zu einem Playboy wie Lewis Gallagher hingezogen zu fühlen?

„Bereit?“, fragte er.

Nein. Weit davon entfernt. „Ja“, log sie.

Autor

Kate Hardy
Kate Hardy wuchs in einem viktorianischen Haus in Norfolk, England, auf und ist bis heute fest davon überzeugt, dass es darin gespukt hat. Vielleicht ist das der Grund, dass sie am liebsten Liebesromane schreibt, in denen es vor Leidenschaft, Dramatik und Gefahr knistert? Bereits vor ihrem ersten Schultag konnte Kate...
Mehr erfahren