Dr. Herzensbrecher kehrt zurück

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Ross McGregor ist zurück! Die Nachricht weckt in der jungen Ärztin Katie die widersprüchlichsten Gefühle. Damals war sie in den Bad Bay verliebt - jetzt erfährt sie entsetzt: Er ist Arzt geworden und bewirbt sich auf denselben Job wie sie im Inselkrankenhaus!


  • Erscheinungstag 06.03.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751505895
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Könnten Sie bitte herkommen und sich diesen Jungen mal anschauen, Katie?“ In Colin McKenzies Stimme schwang ein besorgter Unterton mit.

Katie blickte auf und fragte sich, was den sonst so entspannten und gelassenen Sergeant derart beunruhigte.

„Natürlich.“ Sie war gerade dabei, die medizinischen Vorräte der Polizeistation durchzugehen, um zu prüfen, ob sie etwas nachbestellen musste, hielt jetzt jedoch inne und drehte sich um. „Was ist los?“

Zwei Abende pro Woche tat sie Dienst auf der Polizeiwache, einmal früh und einmal spät. Das passte gut in ihren Dienstplan als Kinderärztin in der Notaufnahme des örtlichen Krankenhauses. Denn im Allgemeinen passierte in dieser Gegend nicht allzu viel.

Da es sich um eine recht kleine schottische Inselgemeinde handelte, war Kriminalität kein großes Problem. Katies Aufgabe als Polizeiärztin beschränkte sich normalerweise auf die Behandlung kleinerer Wunden oder die Beurteilung des Zustandes von Jugendlichen, die zu viel getrunken hatten.

„Es geht um den Jungen von John McGregor.“ Colin verzog das Gesicht. Er war groß, hatte dunkles, leicht ergrautes Haar und breite Schultern. „Er ist verletzt. Wir haben ihn bei einem Überfall auf das alte Backhaus aufgegriffen. Lizzie hat dort im Büro immer ein bisschen Kleingeld, das eine Teenager-Gang nach Einbruch der Dunkelheit klauen wollte. Der Junge war der Wachposten.“

„Finn als Wachposten?“ Katie erschrak. Sie kannte Finn McGregor schon sein ganzes Leben. Inzwischen war er ein lang aufgeschossener Sechzehnjähriger und hatte es eigentlich immer geschafft, größeren Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen. Bisher war er mit ein oder zwei Ermahnungen wegen unbefugten Betretens oder Ruhestörung davongekommen. Die meisten seiner Vergehen entstammten wohl einfach jugendlichem Übereifer. Er hatte sich doch wohl nicht den einheimischen Rowdys angeschlossen?

„Wie schlimm ist es denn? Ich meine, warum hat er sich verletzt?“ Sie folgte Colin aus ihrem Sprechzimmer und begleitete ihn zum Warteraum.

„Er wurde von einem Hund gebissen, zum Glück keinem von unseren.“ Unbehaglich fuhr der Sergeant fort: „Es war eine schwierige Situation. Der Junge war verletzt, aber wir mussten ihn mit einer Wache so lange im Polizeiwagen festhalten, bis wir den Rest der Gang stellen konnten. Sie sind in alle Himmelsrichtungen weggelaufen, und es dauerte eine Weile, bis wir sie gekriegt haben. Jedenfalls dachten wir zuerst, dass wir den Jungen zur Notaufnahme schicken sollten. Aber das hätte noch länger gedauert, und da Sie ja heute hier Dienst haben …“

Katie nickte. „Mal sehen, was ich tun kann.“

Finn saß auf einer Bank auf der anderen Seite des Raumes. Sein Gesicht war kalkweiß, Blut tropfte durch seine Finger und über die Wange, während er mehrere Papiertücher an sein Ohr gedrückt hielt. Seine grauen Augen wirkten leer durch seinen Schockzustand, und er zitterte. Katies erster Impuls war es, ihn in die Arme zu nehmen.

Schließlich war er der kleine Halbbruder von Ross, den sie hatte aufwachsen sehen, seit er ein kleines Baby war. Jetzt wirkte er allein und verloren, und egal, was er getan hatte, sie spürte das dringende Bedürfnis, ihn zu beschützen.

Daher ging sie zu ihm und legte ihm liebevoll den Arm um die Schultern. „Komm, wir gehen in mein Sprechzimmer, Finn. Dann machen wir dich ein bisschen sauber, und ich schau mir die Sache mal genauer an.“

„Ach, Katie, du bist es.“ Erleichtert sah er sie an. „Ich hab nichts Falsches getan, Katie. Ehrlich.“ Seine Stimme fing an zu beben, und Tränen schossen ihm in die Augen. „Ich wollte nicht … Ich war bloß … Und dann kam plötzlich dieser Hund auf mich zu … Er hat mich gebissen und einfach nicht wieder losgelassen.“ Finn brach ab und presste den Mund zusammen, um seine Beherrschung nicht zu verlieren.

„Du kannst mir alles erzählen, während ich mir die Wunde ansehe“, meinte Katie sanft. „Eins nach dem andern. Du hast einen schlimmen Schock erlebt und musst dich jetzt erst mal wieder beruhigen.“

Sie führte ihn in ihr Zimmer, wo er sich auf die Untersuchungsliege setzte, und sagte dann: „Okay, jetzt nehmen wir erst mal die Papiertücher ab, damit ich sehen kann, was passiert ist. Du weißt also nicht, woher der Hund kam?“

„Nein, auf einmal war er da und starrte mich an.“ Finn ließ sich von ihr die blutdurchtränkten Tücher abnehmen. Seine Hände zitterten. „Ich stand oben auf einer Mauer und hab in den Hof hinter dem Backhaus geschaut. Da fingen die Polizisten an, mich anzuschreien. Sie sind hinter mir her, und ich bin runtergesprungen.“ Er schluckte, und mit erstickter Stimme fuhr er fort: „Der Hund hat mich angeknurrt, und ich blieb erst stocksteif stehen. Dann bin ich weggelaufen, und er hat mich angegriffen.“

Entsetzt betrachtete Katie das Ergebnis der Attacke. Der Hund hatte Finns Ohr komplett durchgebissen, und auch am Hals des Jungen waren Bissspuren zu erkennen. Es sah schlimm aus. „Das muss genäht werden“, erklärte sie. „Aber zuerst muss ich die Wunde säubern.“

Colin McKenzie hielt sich im Hintergrund. Doch als sie Finn half, sich auf die Liege zu legen, meinte er vorsichtig: „Brauchen Sie mich hier noch, Doc? Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen einen Beamten reinschicken. Ansonsten würde ich mich jetzt um die Sache mit dem Hund kümmern. Außerdem muss ich die anderen Jungs vernehmen, den ganzen Papierkram erledigen und so weiter.“

„Nein, ich komme schon klar, Sergeant. Gehen Sie ruhig und tun Sie, was Sie tun müssen“, antwortete sie. „Allerdings sollte irgendjemand Finns Vater anrufen und ihm Bescheid sagen. Finn braucht einen Erwachsenen als Beistand.“

„Nicht meinen Dad“, sagte der Junge schnell. „Er ist sowieso auf Geschäftsreise, und Mum geht es nicht gut. Sie dürfen sie nicht aufregen. Sie hat seit einigen Wochen eine Virusinfektion.“

„Ja, das habe ich gehört.“ Katie überlegte. Finns Mutter hatte eine schwache Gesundheit und konnte ihrem harten, unnachgiebigen Ehemann kaum Paroli bieten. In Bezug auf ihren Sohn richtete sie sich ganz nach ihm. Daher war es vielleicht kein Wunder, dass Finn vom rechten Weg abgekommen war. Ähnlich wie sein Halbbruder vor vielen Jahren, nur aus anderen Gründen als bei Ross.

„Hör zu“, sagte sie aus einem plötzlichen Impuls heraus. „Egal, was passiert, Finn, ich kümmere mich um dich. Ich helfe dir bei dieser Sache und werde auch bei der Vernehmung dabei sein, wenn du willst.“ Sie sah Colin an, der nach kurzem Zögern nickte und hinausging.

„Danke, Katie.“ Finn biss sich auf die Lippen. Er wirkte noch immer etwas benommen, während sie ihre Utensilien vorbereitete, um die Wunde zu spülen.

„Als Erstes reinige ich die Wunde“, erklärte sie. „Alles in Ordnung mit dir?“

„Glaub schon.“ Er zog die Brauen zusammen. „Ich weiß nicht, was jetzt mit der Polizei noch kommt. Vom Polizeiwagen aus habe ich Ross angerufen, weil ich dachte, er kann mir vielleicht sagen, was ich tun soll.“

Katie warf ihm einen Blick zu. „Was hat er gesagt?“

„Nichts.“ Finn ließ die Schultern hängen. „Ich konnte ihm bloß eine Nachricht auf seiner Mailbox hinterlassen. Wahrscheinlich hat er gerade zu tun. Er arbeitet auf dem Festland, darum sehe ich ihn nur selten. Ich wollte einfach mit ihm reden.“

Sie legte ihm die Hand auf den Arm. „Ich weiß. Er scheint sich dort ganz gut eingelebt zu haben, oder?“ Die Niedergeschlagenheit des Jungen konnte sie gut verstehen. Er verehrte Ross. Obwohl ein Altersunterschied von fünfzehn oder sechzehn Jahren zwischen ihnen bestand, waren sie einander sehr verbunden. Doch es beunruhigte Katie, dass Finn seine Hoffnungen auf Ross setzte. Soviel sie wusste, arbeitete dieser in Glasgow. Aus einer solchen Entfernung konnte er vermutlich keine große Hilfe sein.

Sorgsam säuberte sie die Wunde. Danach injizierte sie ein lokales Betäubungsmittel an die entsprechende Stelle. Während sie wartete, bis es wirkte, wanderten ihre Gedanken zu Ross. Sie erinnerte sich an die Warnungen ihrer Eltern von früher. „Halte dich von Ross McGregor fern. Der macht nur Ärger“, hatte ihr Vater gesagt. „Er wird kein gutes Ende nehmen, pass mal auf.“

Doch ein Teil von ihr hatte Ross nie so gesehen. Es stimmte, er war der böse Junge im Dorf, der immer irgendwelchen Unsinn im Kopf hatte. Aber das Funkeln in seinen Augen und sein jungenhaftes Lächeln hatten trotz aller Warnungen ein Feuer in ihr entfacht und eine Sehnsucht nach all den Dingen ausgelöst, die sie nicht haben durfte.

Unruhig rutschte Finn auf der Liege hin und her, woraufhin Katie diese Gedanken abschüttelte und die Utensilien zum Nähen vorbereitete.

„Ich muss mehrere Stiche machen“, erklärte sie Finn. „Aber ich werde mir die allergrößte Mühe geben, damit du wieder genauso gut aussiehst wie vorher, sobald die Wunde verheilt ist.“

Mit einem weichen Blick in ihren grünen Augen lächelte sie den Jungen an. „Wenn ich fertig bin, hole ich dir einen Tee. Der wird dir guttun. Und dann spreche ich mit Sergeant McKenzie, dass er deine Vernehmung auf einen anderen Tag verschiebt.“

Finn schauderte. „Ich hab keine Ahnung, wie ich das meinem Dad beibringen soll. Er glaubt mir garantiert nicht, dass ich nichts Schlimmes getan hab.“

Katie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Sie hätte Finn einer solchen Tat nie für fähig gehalten. Aber ohne einen schwerwiegenden Verdacht hätte der Sergeant ihn sicher nicht mit auf die Wache gebracht.

„Na ja“, sagte da eine tiefe männliche Stimme in das Schweigen hinein. „Damit werden wir uns befassen, wenn es so weit ist.“

Katie war verblüfft. Keiner von ihnen hatte gehört, dass die Tür zu ihrem Sprechzimmer geöffnet wurde. Ungläubig blickten beide zu Ross McGregor hinüber, der gerade hereinkam.

Katie stockte der Atem, und ihr Herz machte unwillkürlich einen Sprung. Er sah so umwerfend attraktiv aus wie immer, hochgewachsen und männlich in seiner dunklen Hose und einer Tarnjacke, die wohl ein Überbleibsel aus seiner Zeit bei der Armee war.

„Ich habe angeklopft, aber vielleicht habt ihr es überhört.“ Ross nahm seinen Rucksack ab und stellte ihn auf den Boden. Als Katie sich zu ihm umdrehte, weiteten sich seine blauen Augen. Langsam ließ er seinen Blick über ihr Gesicht und die kastanienbraunen Locken gleiten, die ihr über die Schultern fielen.

„Wow, es ist toll, dich hier zu treffen, Katie. Du siehst fantastisch aus.“ Er nickte ihr zu, ehe er sich Finn zuwandte.

Das Gesicht des Jungen leuchtete vor Freude auf. „Du bist hier“, meinte er erstaunt. „Wie hast du das geschafft? Damit hätte ich nie gerechnet.“

„Du hörtest dich so niedergeschlagen an, dass ich einfach kommen musste“, erwiderte Ross. „Zum Glück habe ich noch den letzten Zug aus Glasgow erwischt und bin dann mit der Fähre weitergefahren.“ Er ging zu ihm, um die große Bisswunde in Augenschein zu nehmen, und sagte dann zu Katie: „Da hast du hier ja gut was zu tun. Ist es in Ordnung für dich, wenn ich bleibe und mit Finn rede, solange du nähst?“

„Ja, klar.“ Sie deutete auf den Wasserkocher auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers. „Du kannst uns einen Kaffee oder Tee machen. Ich denke, du könntest nach deiner Fahrt einen vertragen, und Finn braucht auf jeden Fall was zu trinken, wenn ich fertig bin. Er kann dann auch gleich ein paar Schmerztabletten damit einnehmen.“

„Mach ich.“ Ross ging zum Waschbecken und füllte den Wasserkocher. „Wir kriegen das schon wieder hin. Aber erst musst du mir alles erzählen, Finn. Wie bist du in diese Sache reingeraten?“

Finn erzählte seine Geschichte, während Katie sich an die Arbeit machte. Sie hatte Ross schon lange nicht mehr gesehen, aber immer wieder mal etwas über ihn gehört. Er schien sich nicht allzu sehr verändert zu haben. Er war genauso groß und verwegen wie früher, und kaum hatte er den Raum betreten, schien er die Situation sofort zu beherrschen. So war er schon immer gewesen. Er wusste, was er wollte, und ließ sich von nichts und niemandem davon abhalten.

Der Einzige, der jemals einen gewissen Einfluss auf ihn ausgeübt hatte, war sein Vater. Aber Ross hatte sich ihm entzogen, sobald er alt genug gewesen war, um in die Army einzutreten. Diese Jahre hatten ihn geprägt. Jetzt wirkte er selbstsicher, kompetent und kam offenbar in jeder Lage zurecht.

Katie verschloss die Naht und begann, ihre Sachen wegzuräumen. „Ich lege dir einen Verband an“, sagte sie zu Finn. „Damit wirst du wohl eine Weile wie eine ägyptische Mumie aussehen, fürchte ich.“

„Das bringt dir bei deinen Kumpels richtig Respekt“, erklärte Ross. Er wartete, bis sie den Verband angelegt hatte, ehe er ihr einen Becher Kaffee reichte. „Nimmst du immer noch Milch und Zucker?“ Interessiert musterte er ihre schlanke Figur.

„Ja, bitte.“ Durch seinen Blick war sie sich ihrer weiblichen Rundungen plötzlich sehr bewusst, die durch das Kleid, das sie trug, noch betont wurden. Es war ein einfaches Etuikleid mit einem eleganten Wasserfall-Ausschnitt.

Um sich abzulenken, riet sie Finn, sich hinzulegen und ein bisschen auszuruhen. „Ich gebe dir eine Tetanusspritze und verschreibe dir zusätzlich ein Antibiotikum, um einer Entzündung vorzubeugen.“

Ross stellte Zucker und Milch neben sie auf den Tisch. „Also, was machst du hier, Katie? Ist das dein normaler Job?“

„Nein. Eigentlich bin ich ganz zufällig da drangekommen. Sie brauchten jemanden für die Zeit, als der Polizeiarzt Urlaub hatte, und ich war zufällig gerade in der Nähe. Und jetzt helfe ich immer dann aus, wenn er nicht kann.“ Katie nahm einen Schluck Kaffee, dessen kräftiges Aroma ihr gut tat. „Ansonsten arbeite ich im Krankenhaus als Kinderärztin in der Notaufnahme. Mir gefällt dieser Gegensatz. Dadurch bekomme ich einen breiteren Horizont.“

„Kann ich mir vorstellen.“ Er schaute auf ihre Hand. „Kein Ring am Finger? Ich hätte gedacht, dass du mittlerweile verheiratet bist und mindestens zwei Kinder hast. Stimmt irgendwas nicht mit den Männern hier in der Gegend?“ Seine Augen wurden schmal. „Oder gibt es schon einen Kandidaten?“

„Du bist ziemlich direkt, was?“ Sie stellte den Becher ab.

„Manche würden es sogar als neugierig bezeichnen.“ Ross lachte. „Aber das stört mich nicht. Ich möchte wirklich gern wissen, wie es dir in den letzten Jahren ergangen ist.“ Er überlegte kurz. „Vielleicht können wir ja mal zusammen essen gehen, solange ich da bin.“

Eine plötzliche Hitzewelle durchströmte Katie. Sie wurde rot. Mit Ross zusammen ausgehen? Um Himmels willen. Ihn hier in ihrem Sprechzimmer zu haben brachte sie schon viel zu sehr durcheinander. Wie sollte sie ihr ruhiges, geregeltes Leben weiterführen, wenn er für längere Zeit in der Nähe war?

„Ich weiß nicht.“ Sie ging zum Kühlschrank, wo sie nach der Tetanus-Ampulle suchte. Als sie den Schatten bemerkte, der über Ross’ Gesicht huschte, fügte sie hinzu: „Ich habe momentan wirklich viel zu tun. Sowohl bei der Arbeit als auch durch die Renovierung von ‚Waterside Cottage‘ in meiner Freizeit. Ich warte gerade darauf, dass jemand kommt, um mir einen Kostenvoranschlag für eine Dachreparatur zu machen.“ Das waren bloß Ausreden, und sie vermutete, dass Ross dies auch wusste.

„Wie schade.“ Er zog die Brauen zusammen. „Ist es dein Haus? Früher gehörte es doch deiner Tante, oder? Ein altes Bauernhaus, das sie renovieren wollte. Ich erinnere mich, dass du und Jessie sie dort oft besucht habt.“

„Das stimmt.“ Katie ging zur Liege und bereitete die Injektion für Finn vor. „Jetzt nur noch ein kleiner Pieks. Siehst du, das war’s schon.“

Nachdem sie alles aufgeräumt hatte, wandte sie sich wieder an Ross. „Es war das große Projekt unserer Tante“, meinte sie lächelnd. „Sie hat es nie geschafft, alles machen zu lassen, was nötig war. Leider ist sie vor ein paar Monaten gestorben und hat das Haus mir und meiner Schwester hinterlassen. Aber Jessie war gerade im Begriff, selbst ein Haus zu kaufen. Deshalb habe ich sie ausbezahlt.“

„Du mochtest das Haus schon immer, richtig?“

Froh über den Themenwechsel, nickte sie. „Allerdings gibt es noch einiges daran zu tun, irgendwie ist es ein Fass ohne Boden.“

„Kann ich mir vorstellen“, sagte Ross.

In diesem Augenblick kam Colin McKenzie herein. „Wie läuft’s hier denn so, Katie? Geht es dem Jungen gut? Ist er fit genug für die Vernehmung?“

„Ich habe ihn wieder zusammengeflickt, aber sein Zustand lässt keine Vernehmung zu. Er hatte eine schwere Verletzung mit starkem Blutverlust und steht noch unter Schock. Ich denke, er sollte sich erst mal ein paar Tage erholen, finden Sie nicht auch?“

„Hm.“ Der Sergeant überlegte. „Okay, wahrscheinlich haben Sie recht. Das wird schon nichts schaden.“ Er setzte seine strenge Polizistenmiene auf und ging auf Finn zu. „Sobald du hier fertig bist, bekommst du die Auflage, nächste Woche wieder auf der Wache zu erscheinen, um unsere Fragen zu beantworten. Hast du verstanden?“

Finn, der noch blasser wurde, nickte beunruhigt.

„Er wird kommen, zusammen mit seinem Anwalt“, erklärte Ross knapp. „Aber glauben Sie wirklich, dass er etwas verbrochen hat, Sergeant? Er sagt, er hätte die anderen Jungs gesehen und wollte nur nachschauen, was los war. Es ist reine Spekulation, zu vermuten, dass er Schmiere gestanden hat.“

Der Sergeant straffte die Schultern. „Wir haben alle unsern Job, McGregor.“

„Das ist mir klar“, entgegnete Ross. „Aber ich hätte gedacht, dass die anderen Jungen Ihnen inzwischen gesagt haben, dass Finn nichts mit dem Einbruch zu tun hat.“

„Tja, komischerweise haben sie plötzlich alle vergessen, wer dabei gewesen ist“, antwortete Colin McKenzie mit Nachdruck. „Nach dem, was sie erzählen, wollten sie alle bloß mal gucken, was dort los war.“

Ross presste flüchtig die Lippen zusammen. „Na ja, wenn Finn behauptet, dass er nichts von dem Einbruch wusste, bin ich ziemlich sicher, dass er die Wahrheit sagt. Aber ich werde auf jeden Fall bei seiner Vernehmung dabei sein.“

Erstaunt hob Colin die Augenbrauen. „Sie wollen also länger auf der Insel bleiben? Was ist mit Ihrem Job auf dem Festland? Sie arbeiten doch dort im Krankenhaus, oder?“

„Das stimmt, aber mir steht noch einiges an Urlaub zu. Deshalb werde ich den jetzt nehmen.“ Mit einem Nicken wies er auf den großen Rucksack, den er mitgebracht hatte. „Ich bleibe so lange hier, wie Finn mich braucht.“

„Gut. Hauptsache, Sie beide sind sich der Tatsache bewusst, dass der Junge in großen Schwierigkeiten steckt.“ Colin McKenzie sah Finn an. „Wenn diese Geschichte mit dem Hund nicht gewesen wäre …“

„Und genau das ist der Punkt, Sergeant“, warf Katie ein, als Finn erneut blass wurde. „Ich bin mit meinem Patienten noch nicht ganz fertig und würde es begrüßen, wenn Sie uns während der Behandlung allein lassen.“

Colin nickte. „Selbstverständlich. Er gehört ganz Ihnen, Frau Doktor. Zumindest vorläufig.“

Katie überlegte, ob sie dem Jungen ein Beruhigungsmittel verabreichen sollte. Andererseits würde Ross sich jetzt um ihn kümmern. Vielleicht war es genau das, was Finn im Moment brauchte.

Sie stellte ihm ein Rezept für ein Antibiotikum aus und gab es Ross. „Kannst du ihm das besorgen? In der High Street gibt es eine Apotheke mit Spätdienst.“

„Ja, mach ich.“ Nachdenklich schaute er sie an. „Wir werden uns sicher noch öfter begegnen, Katie. Vielleicht willst du ja doch mal mit mir essen gehen. Und sei es nur als Dankeschön dafür, dass du Finn so gut versorgt hast.“

„Vielleicht“, meinte sie ausweichend. Ihre Finger berührten sich, als er das Rezept entgegennahm. Dieser Kontakt verursachte ihr ein Kribbeln, das ihren gesamten Körper durchlief.

Sie hatte heftiges Herzklopfen. Es war so verwirrend, Ross auf der Insel zu sehen. Und dann auch noch in ihrem Sprechzimmer. Nach all der Zeit hatte sie geglaubt, ihn aus ihren Gedanken verdrängt zu haben. Aber jetzt war er wieder da.

Wie sollte sie bloß damit umgehen?

2. KAPITEL

„Ist das nicht toll? Ich konnte es gar nicht fassen, als Maggie im Postamt mir erzählt hat, dass Ross McGregor wieder bei uns auf der Insel ist.“ Jessie sprudelte geradezu über vor Aufregung. „Ob er wohl für immer hierbleiben will?“

„Das halte ich für unwahrscheinlich.“ Katie hörte ihrer Schwester nur mit halbem Ohr zu, denn sie war damit beschäftigt, ihre Reisetasche für eine Fahrt aufs Festland zu packen. „Ob ich wohl ein schickes Kleid für abends brauche? Es ist ja nur ein zweitägiger Kongress. Aber vielleicht nehme ich sicherheitshalber ein Cocktailkleid mit.“

„Findest du das nicht auch großartig, Katie?“ Jessies graue Augen leuchteten vor Freude.

Katie warf ihr einen Seitenblick zu, während sie ein schlichtes schwarzes Kleid hochhielt, das auf einer Seite des Mieders mit einem Muster in Silberfaden bestickt war. „Großartig? Warum? Es ist doch bloß eine Tagung über die Nutzung von Video-Technologie im Gesundheitswesen. Es gibt ein paar Vorträge und eine praktische Einführung in die Geräte, aber nichts weiter Spektakuläres. Natürlich abgesehen von dem Schloss, wo das Ganze stattfindet. Das könnte wirklich interessant sein. Es liegt nämlich direkt oberhalb des Sees.“

Ungeduldig hob Jessie die Hände. „Also ehrlich, Katie. Hast du überhaupt nicht zugehört, was ich gesagt habe? Ich spreche von Ross. Ich freue mich so, dass er wieder da ist. In den letzten paar Jahren habe ich ihn immer nur kurz gesehen, wenn er mal nach Hause gekommen ist. Aber ich habe alles Mögliche über ihn gehört, als er weg war. Ob er wohl zu McAskie in die Bar kommt? Es wäre so schön, ihn zu treffen.“

Katie legte das Kleid in die Tasche und zog den Reißverschluss zu. „Ich weiß nicht, ob es so gut ist, was mit ihm anzufangen“, warnte sie. „Ihr seid keine Teenager mehr, und er würde dir das Herz brechen, wenn er die Chance dazu kriegt. Außerdem bleibt er nur so lange, bis die Sache mit Finn erledigt ist. Dann verschwindet er wieder, so wie damals auch.“

„Ich will doch nichts mit ihm anfangen“, gab Jessie kopfschüttelnd zurück. Ihr seidiges schwarzes Haar war zu einem hübschen Bob geschnitten, der ihr knapp bis über die Ohren reichte. Sie war eine äußerst attraktive junge Frau mit einem perfekten ovalen Gesicht, einem hellen, zarten Teint und einem vollen, schön geschwungenen Mund. Dazu besaß sie auch noch die passende Figur. Fröhlich und mit Kurven an all den richtigen Stellen war sie eine echte Traumfrau.

„Damals blieb ihm keine große Wahl.“ Ihre Miene wirkte besorgt. „Mit der Situation bei ihm zu Hause und dem ganzen Dorf gegen ihn kann ich es ihm nicht verdenken, dass er wegwollte.“

Katie presste die Lippen zusammen. Auch nach all den Jahren machte es ihr zu schaffen, was in jener schicksalhaften Nacht geschehen war. Ross hatte sich heimlich mit Jessie in der alten Brauerei getroffen, da ihre Eltern absolut dagegen gewesen waren, dass eine ihrer Töchter sich mit Ross McGregor einließ.

Zwischen den beiden war nichts passiert, wie Jessie hinterher beteuerte. Sie hatte einfach mit ihm gewettet, trotz aller Verbote dorthin zu gehen. Mit fünfzehn ein ziemlicher Wildfang, war sie auf Abenteuer aus gewesen, und Ross schien ihr wohl der ideale Partner dafür zu sein. Sie hatte gewusst, wie gefährlich das Gelände war, was aber eben gerade den Nervenkitzel ausmachte. Bis dann schließlich alles in einer Tragödie endete.

Ross war schwer verunglückt, nachdem er irgendwie eines der Nebengebäude in Brand gesetzt hatte.

Welcher Teufel mochte ihn geritten haben, sich so zu verhalten, dass er danach das Dorf verlassen musste, in dem er aufgewachsen war? Es hatte Gerüchte über einen Landstreicher gegeben, der in der Nähe der alten Brauerei gesehen wurde. Es hieß, dass dieser möglicherweise das Feuer gelegt hätte, doch in Wahrheit glaubte das niemand. Alle hatten Ross in Verdacht. Obwohl es keine handfesten Beweise gegen ihn gab, hielt man ihn für schuldig.

Dennoch hatte Katie ihre Zweifel daran. Er war immer ein Draufgänger gewesen, aber ein Feuer zu legen wäre sicher auch für ihn völlig undenkbar gewesen, oder?

„Nein“, antwortete sie jetzt. „Trotzdem, du weißt doch noch, wie sehr du am Boden zerstört warst, als er weggegangen ist. Du hast tagelang geweint und bist ewig lang mit einer Jammermiene herumgelaufen.“ Vermutlich hatte Jessie sich schuldig gefühlt, sie war aber auch jetzt noch impulsiv und neigte dazu, sich eher von ihren Gefühlen als von ihrem Verstand leiten zu lassen.

„Weil es so traurig war, dass er gehen musste. Außerdem war ich erst fünfzehn.“ Jessie stolzierte zur Tür. „Jetzt bin ich schließlich älter und viel vernünftiger.“

„Ach wirklich?“ Mit der Tasche folgte Katie ihr nach unten. „Ich will damit ja nur sagen, du bist ihm nichts schuldig. Du musst das, was damals passiert ist, nicht wieder gutmachen. Ich möchte nicht, dass er dir wehtut.“

„Keine Angst, Katie. Ross und ich sind Freunde, mehr nicht. Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen.“

Autor

Joanna Neil
Joanna Neil startete ihre Karriere als Autorin von Liebesromanen auf ganz unkonventionellem Wege. Alles begann damit, dass Joanna Neil einen Werbespot für Liebesromane sah und von diesem Zeitpunkt an wie verzaubert war.
Sie fing an, die Romane zu verschlingen, und war überwältigt. Je mehr sie las, umso mehr hatte sie...
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