Du sollst meine Göttin sein

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Als Marie aus einer tiefen Ohnmacht erwacht, befindet sie sich auf der idyllischen Südseeinsel Te Tuahine. An ihrem Bett steht ein blendend aussehender Fremder, der behauptet, sie sei seine Frau. Obwohl Marie weiß, dass es nicht stimmt, spielt sie mit. Noch nie hat ein Mann sie so fasziniert...


  • Erscheinungstag 12.04.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733777203
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Marie fühlte sich wie zerschlagen. Ihr Hals schien ausgetrocknet zu sein, und ihr linkes Auge war zugeschwollen. Erst allmählich konnte sie den fremden Mann neben ihrem Bett genauer wahrnehmen.

„,Iorana ‚oe“, sagte er fröhlich.

Marie räusperte sich. „Was heißt das?“, fragte sie gequält.

„,Iorana ‚oe?“ Er lächelte ihr freundlich zu. „Das ist ein Wort aus Tahiti. Es heißt so viel wie ‚hallo‘, ‚guten Tag‘, aber auch manchmal ‚auf Wiedersehen‘.“

„So?“ Sie hatte Mühe, wach zu bleiben.

„Eigentlich kommt es von ‚Ia ora na ‚oe‘, ‚du sollst leben‘ oder ‚sei glücklich‘“, sprach er weiter. Aber da war sie schon wieder eingeschlafen.

Im Traum sah Marie die Szene wieder vor sich. Ihr Vater hatte die Kontrolle über seine Yacht verloren. Hohe, mächtige Wellen schlugen über ihnen zusammen. Aber noch hatte der Taifun seine größte Gewalt nicht erreicht. Mit letzter Kraft zerrten Marie und ihr Vater das kleine Schlauchboot, das ihnen als Rettungsboot dienen sollte, aus der Verankerung. Marie stieg ein und reichte ihrem Vater die Hand, aber er drehte sich um, um noch das Geld aus seiner Kabine mitzunehmen. In diesem Augenblick geriet der Bug der Yacht unter Wasser, und Marie wurde in ihrem Schlauchboot von den Wellen fortgerissen.

Das kann nicht das Ende sein, dachte sie, während sie sich immer weiter von der Yacht entfernte. Dazu sind wir viel zu nahe an der Küste der Insel Moorea. Vielleicht haben wir Glück und werden hier an Land getrieben. Und wenn nicht, dann kann uns die Meeresströmung immer noch an eine der vielen anderen Südseeinseln spülen. Halt durch, Marie, sagte sie sich trotzig, während das kleine Schlauchboot im Sturm wild hin und her geschaukelt wurde.

Aber lange konnte sich Marie nicht beherrschen. Zu mächtig waren die Wellen, zu Furcht einflößend der Taifun, als dass sie ihre Fassung hätte bewahren können. Bald fing sie an zu wimmern, dann zu weinen und zu schreien. Aber es half nichts. Es war, als ob ihr der Wind die Wortfetzen vom Mund reißen würde. Wie irr begann Marie zu lachen und zu singen, immer wieder unterbrochen von verzweifelten Weinkrämpfen. Sie merkte nicht, dass ihre Kräfte allmählich nachließen und ihr Schreien immer leiser wurde. Irgendwann in dieser Nacht verstummte sie dann ganz. Kurz darauf war sie eingeschlafen.

Marie war so erschöpft, dass sie am nächsten Tag kaum die Augen öffnen konnte. Sie merkte nicht, dass der Taifun allmählich nachließ und ihr Boot langsam nach Westen trieb. In den wenigen Augenblicken, in denen sie etwas wacher war, konnte sie nur an eines denken: Sie wollte schlafen.

In der dritten Nacht hatte sich das Meer schon fast wieder beruhigt. Immerhin war es aber noch genügend aufgewühlt, um Maries Schlauchboot über das Riff der Insel Te Tuahine zu tragen. Innerhalb des Korallengürtels war das Wasser ruhiger, aber schließlich lief das Schlauchboot auf dem dunklen Sandstrand auf.

Als Marie das zweite Mal erwachte, blieb sie zunächst ganz ruhig liegen. Vorsichtig sog sie die Luft ein. Es roch nicht mehr nach Meerwasser, sondern nach exotischen Blumen und Früchten. Langsam öffnete Marie die Augen. Sie befand sich in einem kleinen Raum, dessen Wände ganz aus Bambus bestanden. Durch viele kleine Spalten blitzten Sonnenstrahlen, und ein sanfter Luftzug trug den Duft fremder Pflanzen und Vogelgezwitscher ins Zimmer.

Marie seufzte wohlig. Es war hier alles so friedlich und beruhigend, dachte sie. Doch dann kam ihr plötzlich ein schrecklicher Gedanke. Was mache ich nur, wenn jetzt jemand hereinkommt und mich fragt: „Sind Sie Marie Lambert?“ Soll ich es dann zugeben? Die nächste Frage wäre bestimmt: „Wo ist Ihr Vater, Marie Lambert? Wir wissen alles über Sie beide. Wenn wir ihn nicht erwischen können, müssen wir uns eben an Sie halten. Ich verhafte Sie wegen Veruntreuung.“ Was kann ich darauf nur antworten? fragte sich Marie bestürzt. Nein, es geht nicht, ich kann niemandem sagen, wer ich bin.

In diesem Augenblick bewegte sich jemand neben dem Bett. Marie zuckte erschrocken zusammen. In einem der Bambusstühle saß ein kleines blondes Mädchen von vielleicht acht oder neun Jahren. Bekleidet war es mit einem gestreiften Baumwollkleid, das ihm viel zu kurz war. Auch der große braune Teddybär, den das Mädchen im Arm hielt, musste schon ziemlich alt sein. Jedenfalls hatte er nur noch ein Auge.

Dem Mädchen schien sein Aussehen nicht viel auszumachen. Freundlich lächelnd sah es zu Marie hinüber. „Hallo?“, fragte es vorsichtig.

„Ja?“

„Du hast ziemlich lange geschlafen, weißt du das? Es ist schon übermorgen.“

„Wieso denn übermorgen?“, fragte Marie verblüfft zurück.

„Na ja, du bist vorgestern gekommen, und dann war gestern, und heute ist eben übermorgen. Du hast nur geschlafen!“

War da nicht auch ein anklagender Unterton dabei? überlegte Marie. Muss ich dem nicht ein wenig begegnen? „Ich liebe es zu schlafen“, sagte sie bestimmt.

„Ach so.“ Das Mädchen nickte. „Mein Name ist Caroline.“

Marie sah es freundlich an, während sie nachdachte. Soll ich mir einen anderen Namen für mich ausdenken? Aber das ist so gefährlich! Bei der ersten Gelegenheit verplappere ich mich ja doch. Verflixt, was mache ich nur?

„Ich heiße Caroline.“ Das Mädchen sprach etwas lauter. „Du bist doch nicht etwa taub, oder?“

„Nein, nein. Das ist ein sehr schöner Name, Caroline.“

„Vielleicht. Aber ich soll dich fragen, wie du heißt.“

„So? Wer hat dir denn das gesagt?“

„Mein Daddy. Er meint, das ist so etwas wie ein Test. Also, wie heißt du?“

„Caroline, ich hoffe, du bist mir nicht böse, aber ich kann mich daran einfach nicht mehr erinnern.“ Jetzt hab’ ich’s, dachte Marie glücklich. Wenn ich mich an nichts mehr erinnern kann, brauche ich auch keine Frage mehr zu beantworten. Ich weiß eben von nichts mehr. Die Stunden im Rettungsboot haben mein Gedächtnis ausgelöscht.

Caroline sah sie ungläubig an. „Du kannst dich wirklich nicht mehr daran erinnern? Das gibt es doch nicht! Daddy, gut, dass du kommst, hast du das gehört?“

Ihr Vater trat ein und blieb dann zögernd stehen. Nachdenklich sah er zu Marie hinüber, einen eigenartigen Ausdruck in den Augen. Es entstand jetzt ein kurzes, aber doch recht unangenehmes Schweigen.

Nach einer Weile wandte er seinen Blick von Marie ab und sah seine Tochter fragend an. „Was soll ich denn gehört haben, mein Schatz?“

„Ich sagte ihr, dass ich Caroline heiße, aber sie kann sich an ihren eigenen Namen nicht mehr erinnern. Ist das nicht komisch?“

„Nein, das ist nicht komisch. Würdest du uns bitte einen Augenblick allein lassen?“

„Aber sie ist auch ein Mädchen, und ich habe so lange Zeit keine Gesellschaft mehr gehabt.“

„Komm, sei so lieb. Unser Gast muss sich erst erholen.“

„Also gut“, gab Caroline schließlich nach. „Ich sage Miri, dass sie das Essen bringen kann, oder?“

Er nickte zustimmend, und Caroline verließ das Zimmer. Marie sah ihr flüchtig nach. Das Mädchen schien mit seinem Vater sehr glücklich zu sein. Die beiden sprachen so herzlich und unbeschwert miteinander, dass Marie unwillkürlich an ihren Vater denken musste. Bei uns ist es ähnlich, ging es ihr durch den Kopf. Nur dass mein Papa viel älter ist als dieser Mann hier, von dem ich nicht einmal den Namen weiß. Andererseits schien er auch schon sehr viel erlebt zu haben. Darauf ließen jedenfalls die vielen markanten Falten in seinem Gesicht schließen. Nein, man konnte ihn wirklich nicht als gut aussehend bezeichnen, zumindest nicht im gewöhnlichen Sinne. Was ist es nur, überlegte Marie, das seine Erscheinung trotzdem so beeindruckend macht?

Er hatte sich von Marie geduldig mustern lassen. Nun lächelte er ihr freundlich zu. „Ich glaube, ich muss mich Ihnen noch vorstellen. Mein Name ist Gérard Gendron. Mir gehört dieses Haus hier.“ Er zögerte einen Augenblick. „Möchten Sie vielleicht aufstehen?“

Verschämt zog Marie die Bettdecke ans Kinn. „Eigentlich schon. Aber ich habe gar nichts an.“

„Sie können einen Pareo haben. Das ist hier die Landestracht. Man windet sich einfach ein Stück Stoff um den Leib. Sehen Sie, so wie Miri.“ Er deutete auf eine junge Tahitianerin, die gerade einen Krug mit Papayasaft hereinbrachte. Ihr einziges Kleidungsstück war ein bunt schillerndes Tuch, das ihr von den Hüften bis zu den Knöcheln reichte.

Das kann doch nicht sein Ernst sein, dachte Marie entsetzt. Oder soll ich vielleicht auch barbusig herumlaufen? Abwehrend sah sie Gérard an. „Nein, danke. Ich kann mich zwar nicht mehr genau erinnern, was ich sonst immer getragen habe, aber es war bestimmt mehr als das.“

„Sie erinnern sich wirklich an gar nichts mehr?“ In seiner Stimme lag ein lauernder Unterton.

Vorsicht, Marie, sagte sie sich. Er will dich wieder auf die Probe stellen. Während sie noch überlegte, war plötzlich aus dem Nebenzimmer eine Radiodurchsage zu hören, und Gérard verließ hastig den Raum.

Erleichtert atmete Marie auf. Doch dann verstand sie, was der Nachrichtensprecher sagte. Es war eine Fahndungsmeldung der tahitianischen Polizei. Den ersten Satz bekam Marie noch mit, aber dann warf jemand mit einem lauten Knall eine Tür ins Schloss, und der Rest der Durchsage war nicht mehr zu verstehen.

Marie schloss die Augen. Jetzt ist es aus mit mir, dachte sie mutlos. Der Sturm ist vorbei, und nun können sie uns ungehindert verfolgen. Jules Frangois Lambert, der die Banque Pacifique beraubt hat, und seine verschwundene Tochter Marie. Sie konnte sich die Fahndungsplakate schon lebhaft vorstellen: „… sachdienliche Hinweise, die zur Ergreifung der Flüchtigen dienen, bitte an die Polizei in Papeete oder jede andere Polizeidienststelle …“ Was soll ich nur machen? fragte sich Marie verzweifelt.

Marie zuckte erschrocken zusammen, als jemand sie am Arm berührte. Aber es war nur Miri, die sie freundlich anlächelte.

„Du willst doch sicher duschen, nicht wahr? Wenn du möchtest, helfen Caroline und ich dir dabei gern.“

Marie setzte sich auf. Sie fühlte sich noch schwächer, als sie angenommen hatte. „Das ist sehr nett von euch“, sagte sie, während sie sich bei Miri aufstützte. Caroline hielt den Vorhang, der die Tür darstellte, zur Seite, und gemeinsam traten sie auf den Gang.

Was für ein eigenartiges Bild wir doch abgeben, ging es Marie auf einmal durch den Kopf. Ich, nackt, in der Mitte, links ein sommersprossiges kleines Mädchen in einem viel zu kurzen Kleid und rechts Miri in einem Pareo, der ihren ganzen Oberkörper frei lässt!

Als sie im Badezimmer angekommen waren, wurde Marie von ihren beiden Begleiterinnen in die kleine Duschkabine geschoben. Caroline zog an einer Kette, und plötzlich prasselte auf Marie das Wasser herab. Es war klar und erfrischend. Wohlig drehte sich Marie hin und her. Wie angenehm es doch ist, sich von den Wasserstrahlen die Muskeln massieren zu lassen, dachte sie entspannt. Es waren kaum drei Minuten vergangen, als plötzlich kein Wasser mehr nachkam.

„Verflixt!“ Ärgerlich sah Marie nach oben. Wer lacht denn da? fragte sie sich verdutzt. Sie drehte sich um. Caroline war in der Zwischenzeit gegangen, und an ihrer Stelle leisteten nun zwei andere Mädchen Miri Gesellschaft. Sie trugen ebenfalls nichts weiter als einen Pareo, der ihren Oberkörper unbedeckt ließ. Als sie sahen, dass Marie sie erstaunt musterte, brachen sie erneut in Gelächter aus.

Auf ein Zeichen von Miri legte eine von ihnen ihren Pareo ab und trat zu Marie in die Duschkabine. Im Nu war Marie von Kopf bis Fuß eingeseift.

„Das sind Moera und Leaha“, erklärte Miri lächelnd. „Sie wundern sich, weil du am ganzen Körper so weiß bist. Sie haben so etwas noch nie gesehen. Und außerdem gefällt ihnen sehr gut, dass du nicht so mager bist, sagen sie. Die Männer hier werden verrückt nach dir sein, verstehst du?“

So ein Unsinn, dachte Marie verärgert. Ich wäre manchmal froh, wenn ich etwas schlanker wäre. Die drei Tahitianerinnen lachten schon wieder. Verwundert blickte Marie an sich hinunter. Ihre Haut begann, sich an einigen sehr delikaten Stellen zu röten. Zum Glück war aber nun das Einseifen vorüber. Miri zog erneut an der Kette, und für drei Minuten stand Marie wieder unter dem Wasserstrahl, wo sie das Gelächter ihrer Gesellschafterinnen nicht hören konnte.

Moera half Marie danach aus der Duschkabine. Miri und Leaha hielten ihr schon ein großes flauschiges Frotteebadetuch hin. Dankbar hüllte sich Marie darin ein. Die drei Mädchen begannen nun, Marie mit einer sanften Massage trocken zu reiben. Besonders hatte es ihnen anscheinend Maries blondes Haar angetan. Immer wieder hielten sie eine Strähne hoch und verglichen sie verwundert mit ihren eigenen schwarzen Haaren.

Als Marie schließlich trocken war, wurde sie von den dreien zurück in ihr Zimmer geführt. Da Miri in der Küche noch etwas zu erledigen hatten, war Marie plötzlich mit Moera und Leaha allein.

„Du hast nichts anzuziehen, nicht wahr?“, sagte Moera nachdenklich. „Warte, wir zeigen dir, wie man sich den Pareo anlegt.“

Leaha zeigte Marie drei lange Tücher, die mit bunten Mustern bedruckt waren. „Dieser Pareo hier ist etwas ganz Besonderes“, erklärte sie lächelnd, während sie eines der Tücher, das wesentlich schwerer war als die anderen, hochhielt. „Es ist aus Tapa, einem Stoff, den schon unsere Vorväter herstellten. Aber du willst sicher den leichteren Stoff aus der Fabrik, nicht wahr? Komm, wir gehen dir ein wenig zur Hand.“

Zu zweit wickelten sie Marie einen Pareo um die Hüften. Jetzt waren zwar Maries Beine bedeckt, aber ihre Brüste waren noch völlig frei. Als Marie sich in dem kleinen Wandspiegel betrachtete, schüttelte sie energisch den Kopf. „Nein, das geht nicht. So kann ich nicht herumlaufen!“

Moera und Leaha wickelten sie wieder aus und legten ihr dann einen Sarong an, mit einem Knoten auf dem Rücken. Das ist schon besser, dachte Marie, aber so einen kleinen Knoten kann man leider viel zu schnell lösen.

„Ich hab’s!“, rief sie plötzlich aus. Sie öffnete den Knoten wieder und warf sich das eine Ende des Tuches über die Schulter. Der Pareo ähnelte nun entfernt einer römischen Toga. „Na, was haltet ihr davon?“ Erwartungsvoll blickte sie die beiden an.

„Wenn du meinst …“ Moera sah Leaha viel sagend an. „Wir würden sagen: Àita e pé apé à.“ Sie biss sich auf die Lippen, um sich das Lachen zu verbeißen, und plötzlich schien sie es sehr eilig zu haben, nach draußen zu kommen. „Leaha, komm, wir müssen noch etwas sehr Dringendes erledigen.“

Unsicher blickte Marie an sich herunter. Mein Pareo sitzt doch tadellos, überlegte sie. Sicher, das mit der Toga ist vielleicht etwas ungewöhnlich, aber immerhin sind die wichtigsten Körperteile bedeckt.

Als sie wieder aufblickte, waren Moera und Leaha verschwunden. Stattdessen stand Gérard Gendron in der Tür.

„Na, wie geht’s?“ Gérard sah Marie lächelnd an.

„Danke. Wie finden Sie denn meinen Pareo?“ Sie drehte sich langsam im Kreis vor ihm.

Er schmunzelte. „Sehr interessant, wirklich. Nur können Sie damit nicht aus dem Haus gehen. Man wird sie überall auslachen.“

„So?“ Marie sah ihn verärgert an. „Was heißt eigentlich dieses ‚Àita e pé apé à‘? Das war nämlich Moeras Kommentar.“

„Sinngemäß übersetzt, bedeutet es so viel wie ‚Du wirst schon darüber hinwegkommen‘.“

„Aber warum denn? Was ist an meinem Pareo nur so lustig?“

Gérard versuchte, ernst zu bleiben. „Wissen Sie, Sie stellen die Sitten hier auf den Kopf.“ Sein Lächeln wurde breiter. „Sie bedecken Ihre Brüste. Hier auf den Inseln ist das gegen jede Tradition. Wer welche hat, zeigt sie her.“

Marie blickte ihn ungläubig an. Dann setzte sie sich in einen Sessel. „Aber ich lasse mich doch nicht zum Sexobjekt machen!“

Er seufzte in gespielter Verzweiflung über ihre Uneinsichtigkeit. „Das ist aber noch nicht alles“, fuhr er fort. „In Tahiti geht man immer oben ohne, aber niemals“, er machte eine bedeutungsvolle Pause, „niemals darf man die Innenseite der Oberschenkel zeigen. Offen gestanden, sind Sie nun sehr unzüchtig gekleidet.“

„Ach, hören Sie doch auf!“ Marie konnte sich nicht länger beherrschen. Unter Tränen versuchte sie, sich den Pareo von der Schulter zu zerren.

„Kommen Sie“, beruhigte er sie sanft. „Sie haben sich bisher so tapfer gehalten. Wollen Sie nicht etwas essen?“

Marie schluckte stumm und nahm dankbar das weiße Taschentuch entgegen, das er ihr reichte. „Was gibt es denn?“, fragte sie, schon wieder etwas munterer.

„Sehen Sie selbst!“ Er deutete auf Miri, die gerade ein großes, voll beladenes Tablett hereinbrachte. Gérard nahm es ihr ab und stellte es auf das kleine Bambustischchen in der Mitte des Raums. „Nehmen Sie doch Platz“, sagte er einladend, während er ihr einen Hocker zurechtrückte. „Greifen Sie zu.“

Misstrauisch setzte sich Marie an den Tisch. Von den Gerichten war ihr kein einziges bekannt. Außerdem gab es kein Besteck, sie musste wohl mit den Fingern essen.

Gérard hatte sie gespannt beobachtet. Nun merkte er, wie sich ihre Miene allmählich aufmunterte. „Ich wusste es“, sagte er lächelnd, „auch Sie können dem tahitianischen Essen nicht lange widerstehen. Es riecht wunderbar, nicht wahr? Und es schmeckt …“ Er verzog begeistert das Gesicht. „Probieren Sie nur. Sehen Sie, das hier ist Fisch. Sie müssen ihn in diese Sauce eintunken.“

Marie tat wie ihr geheißen. „Was ist denn das für ein Fisch?“, fragte sie plötzlich.

„Man nennt ihn Bonito“, erklärte er ihr. „Man kann ihn im Meer zwischen unserer Insel und Maupiti fangen. Schmeckt er denn?“

„Er ist einfach wundervoll“, sagte sie und schluckte den letzten Bissen hinunter, während sie nach einem weiteren Stück griff. „Wie kocht man ihn denn?“

„Wie man ihn kocht? Gar nicht. Man isst ihn roh.“

Marie blickte Gérard entsetzt an. Dann legte sie das letzte Stück Fisch langsam wieder auf die Holzplatte zurück. „Oh“, sagte sie tonlos und räusperte sich.

„Schade, dass ich es Ihnen gesagt habe“, meinte Gérard bedauernd. „Sonst hätte Ihnen der Bonito sicher sehr gut geschmeckt. Aber wenn Sie im Augenblick mehr Lust auf heiß zubereitete Speisen haben, warum versuchen Sie nicht einmal etwas von dieser Brotfrucht?“ Er wies auf ein kartoffelähnliches Gebilde. „Das ist sehr nahrhaft und außerdem garantiert in Kokosöl gebraten.“

Vorsichtig biss Marie ein Häppchen von der Brotfrucht ab. Es erinnerte sie ein wenig an den Geschmack von Brot, aber da war noch ein anderes würziges Aroma, das sie nicht identifizieren konnte. „Nicht schlecht“, meinte sie anerkennend. „Aber langsam bin ich satt.“

„Sie müssen unbedingt noch die Kokosmilch probieren.“ Er goss ihr ein Glas voll ein. „Sie ist ganz frisch.“

„Mm.“ Genießerisch fuhr sich Marie mit der Zunge über die Lippen. „Ich werde hier ja richtig verwöhnt.“ Sie wies lächelnd auf die graue Paste, die sich am Rand einer der Holzplatten befand. „Aber was das ist, haben Sie mir noch nicht erklärt.“

Gérard sah kurz auf das Gericht und pfiff dann anerkennend durch die Zähne. „Unsere Küchenhilfen müssen Sie wirklich ins Herz geschlossen haben. Das ist poi, eine sehr beliebte Speise in Tahiti. Man macht es aus Taro-Wurzeln. Nein wirklich, Sie haben großes Glück gehabt. Normalerweise ist es so begehrt, dass es auf dem kurzen Weg von der Küche zum Esstisch verschwindet. Sie müssen es wirklich probieren. Sehen Sie, so.“

Fasziniert sah Marie zu, wie Gérard zwei Finger aneinander legte, kurz durch die Paste auf seinem Teller fuhr und sich das, was zwischen den Fingern geblieben war, in den Mund schob.

„Man muss dabei sehr geschickt sein“, erklärte er ihr. „Gutes poi ist nämlich fast flüssig.“

Marie versuchte es ein paar Mal, dann hatte sie es geschafft. Prüfend ließ sie das poi auf der Zunge zergehen.

Gérard sah ihr abwartend zu. „Man muss es mögen“, fügte er hinzu. „Es hat einen etwas ungewöhnlichen Geschmack.“

„Ich mag es.“

Er lachte auf. „Dann ist es recht. Sie sollten sich aber jetzt wieder ein wenig hinlegen. Sie sehen so müde aus.“

Marie nickte nur und ließ sich von ihm bereitwillig zum Bett helfen. Sie kuschelte sich in die Bettdecke und sah Gérard noch einmal mit großen Augen an. „Es war ein wundervolles Essen“, sagte sie lächelnd, musste aber gleich darauf furchtbar gähnen. „Vielen Dank.“ Es dauerte nicht lange, bis sie wieder fest eingeschlafen war und in tiefen Zügen atmete.

Nach zwei Tagen hatte Marie so viel an Kraft gewonnen, dass sie sich von Gérard durch das Haus führen lassen konnte.

„Hier rechts“, sagte er, als sie aus dem Zimmer traten, „sind die drei Schlafzimmer. Sie gehen alle nach Osten hinaus, sodass wir jeden Tag von der Morgensonne geweckt werden. Linker Hand liegen das Esszimmer und mein Arbeitszimmer. Der Gang dort hinten führt zur Küche, die in einem eigenen Gebäude untergebracht ist.“

Marie sah sich alles genau an und folgte dann Gérard durch eine Glastür hinaus auf die Veranda, die ungewöhnlich breit war und sich um das ganze Haus herumzog.

Er wies mit einer weit ausholenden Bewegung auf eine kleine Tischgruppe. „Und hier verbringen wir den größten Teil des Tages.“

Marie ließ sich in einen Liegestuhl fallen. „Diese Aussicht ist atemberaubend“, sagte sie leise, während sie nach Osten gegen die Morgensonne blickte. „Zum Meer sind es ja kaum hundertfünfzig Meter. Und dann all diese grünen Berge ringsum!“

Autor

Emma Goldrick
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