Der Wikinger und die unbezähmbare Amazone

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Nordland, im Jahr 830. Prinzessin Astrid will Boote bauen, nicht Braut sein! Doch ihr Freiheitswille ist ihrem Vater König Viggo ein Dorn im Auge. Er zwingt sie in einen Wettkampf: Gegen den fremden Bootsbauer Ulrik muss sie antreten. Wer das beste Schiff baut, bleibt in der Siedlung am Fjord. Verliert Astrid, muss sie unters Ehejoch mit einem fremden Jarl. Entschlossen bekämpft die unbezähmbare Amazone mit allen Mitteln ihren Rivalen, sogar mit Sabotage. Doch gegen ihren Willen zieht der breitschultrige Wikinger sie immer tiefer in seinen männlichen Bann. Verrät sie ihr Herz – oder ihre Zukunft?


  • Erscheinungstag 08.07.2025
  • Bandnummer 431
  • ISBN / Artikelnummer 9783751531672
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Lucy Morris

Der Wikinger und die unbezähmbare Amazone

1. KAPITEL

An den nordischen Fjorden im Jahre 830

Bei der Ankunft in der Siedlung sah Ulrik sich misstrauisch um. Die Götter hatten ihm bisher noch nie zugelächelt, sodass Vorsicht zu seiner zweiten Natur geworden war.

„Willkommen in meinem Königreich!“ König Viggo begrüßte den Ankömmling mit einem herzhaften Schlag auf den Rücken und gönnte ihm ein leutseliges Lächeln. „Ich hoffe, du wirst dich bei uns wohlfühlen, und deine Tochter desgleichen.“

„Seid bedankt, Herr“, gab Ulrik zurück, indem er sich respektvoll verbeugte. „Wir werden uns sicher schnell einleben.“ Viggo aber sprang bereits vom Langschiff auf den Anlegesteg hinunter.

Der König – oder Roi, wie man in der Sprache der Wikinger sagte – hatte wohl mehr als fünfzig Winter gesehen. Doch war das Schicksal ihm gnädig, und er stand immer noch in Saft und Kraft. Um seinen starken muskulösen Körper hätte ihn sogar manch junger Mann beneidet, und sein typisches dröhnendes Lachen war meilenweit zu hören. Allein sein rotes Haupthaar und sein rotblonder Bart wiesen weiße und hellgoldene Strähnen auf, was ihn aber nicht weniger wild und übermütig machte als in Jugendzeiten.

Als Ulrik dem König einst während der westlichen Beutezüge begegnete, hätte er nicht damit gerechnet, eines Tages von ihm eine Stellung als Schiffsbaumeister angeboten zu bekommen. So saß der freudige Schreck über die Offerte ihm trotz der langen Fahrt, die er hinter sich hatte, noch immer in den Gliedern.

Angesichts des strahlenden Lächelns seiner Tochter Frida drückte er ihr herzlich die Hand, als er ihr vom Schiff hinunterhalf. Denn waren in ihm auch einige Bedenken, da die offizielle Bestätigung ihrer Stellung noch ausstand, wollte er sie mit seinen Sorgen nicht belasten. Denn für Frida erfüllte sich heute ein ähnlicher Traum, wie er ihn ihr zu seinem Bedauern schon einmal zunichtegemacht hatte.

„Hier ist es schön!“, stieß das junge Mädchen aus, indem es sich mit großen Augen umsah. Und sie hatte recht: Der großartige Fjord, der die Siedlung umgab, war beeindruckend in Form und Farbe. Während das smaragdfarbene Meer zum Küstensaum hin zu einem schaumgekrönten tiefen Blau verlief, zogen saftiggrüne Wälder sich die Berghänge hinauf, deren kahle Felskuppen mit Raureif bedeckt waren.

Die Siedlung, eigentlich ein schmuckes Dorf, bestand aus einer erklecklichen Anzahl bunter Häuser und Werkstätten und war von fruchtbaren Feldern umgeben. Und wie die Arme einer Mutter, welche ihre Kinder gegen jedes Unheil beschirmt, ragten steile Felsen über der Siedlung auf und gaben ihr Schutz. Auch den Hafen, der zur Kultur der Seefahrer gehörte wie die grüne Weide zum Schäfer mit seinen Lämmern, hatten sie vor manchem Sturm behütet.

Zunächst aber lag der Winter hinter ihnen. Längst war das Wetter mild, und eine warme Frühlingssonne badete das Land in warmem Licht, das jeden Gedanken an die beschwerliche kalte Jahreszeit verscheuchte.

Da es aussah, als ließe der König den Neuankömmling ohne ein weiteres Wort stehen, hinkte dieser ihm nach, wobei er den stechenden Schmerz in seinem linken Oberschenkel zu ignorieren suchte. Jetzt rächte sich, dass er das Bein während der langen Schiffsfahrt nicht hatte strecken können, wie seine alte Verletzung es erfordert hätte. „Roi Viggo“, rief er, „wo ist meine zukünftige Werkstatt? Soll ich meine Habseligkeiten dorthin rudern?“

„Nenn mich einfach nur beim Namen und lass alles Weitere weg“, lachte der König, dem Formalitäten zuwider waren. „All meine Vertrauten verschonen mich mit meinem Titel, weil es mir so lieber ist. Lass deine Sachen, wo sie sind, und nächtige in der Halle. Ich muss mich erst um eine Unterkunft für dich und deine Tochter kümmern.“ Stirnrunzelnd musterte er das alte, mit Wachstuch bedeckte Fischerboot voller Werkzeug, das an seinem Schiff angebunden war. Ulrik hatte darauf bestanden, es mitzunehmen, denn nie hätte er seine Gerätschaften zurückgelassen. „Hol dir den Bootsbauerkram, wenn deine Stellung bestätigt ist.“

Ulrik wusste nur zu gut, dass sichere Zusagen in der Welt der Wikinger dünn gesät waren, sodass sich ein ungutes Gefühl in ihm breitmachte. „Sagtet Ihr nicht, Ihr bräuchtet einen neuen Schiffsbauer?“ Er schluckte, froh darüber, sein Boot mitgeführt zu haben. Zwar taugte es nicht für Fahrten auf der hohen See, war aber gut genug, an der Küste entlang nach Aalborg zurückzusegeln. Allerdings gab es dort nichts und niemanden mehr, der auf sie gewartet hätte. Denn um hierherkommen zu können, hatte er den ganzen Hausstand auflösen müssen.

Werde ich denn nie klug? fragte er sich voller Reue. Wie konnte ich nur so leichtgläubig sein?

Der Roi aber hatte überzeugend genug geklungen, als er ihm ein gutes neues Leben versprochen hatte, und sich sogar angehört, als sei er dankbar für Ulriks damalige Treue. Dass er jetzt so unentschlossen daherredete, war eine herbe Enttäuschung.

„Ja, ja … sicher“, gab Viggo in leichtem Ton zurück, indem er den Blick des anderen vermied. „Lass mich jetzt mein Eheweib begrüßen, bevor es mir aus Ärger über mein langes Fortbleiben noch den Met vergiftet.“

Als er davonging, wurde er von allen Seiten freudig begrüßt. Das zumindest erschien Ulrik als ein gutes Zeichen, schien der Roi doch kein Tyrann zu sein. Ob er aber ein Lügner war oder es ehrlich meinte, war noch nicht heraus.

Während Ulrik dem König nachsah, rief er sich den jungen Krieger vor Augen, dem er vor langen Jahren das Leben gerettet hatte. Dieser, beileibe kein Zögerer, hatte seinen Launen stets freien Lauf gelassen und im Kampf keine Skrupel gekannt. Aber sprachen solche Eigenschaften auch zugunsten eines Wikingers, sagten sie nichts über seine Wahrheitsliebe aus.

Eines Tages werde ich mich erkenntlich erweisen, waren seine Worte gewesen. Aber hatte Viggo das auch ernst gemeint? Oder war sein Versprechen allein der Erleichterung geschuldet, noch unter den Lebenden zu weilen? Ulrik jedenfalls wurde oft daran erinnert, da die verwachsenen Narben der damals davongetragenen Wunde ihm täglich zu schaffen machten.

Die Freude des Roi war ihm jedenfalls echt vorgekommen, als sie sich nach langer Zeit wieder über den Weg gelaufen waren. Er hatte sich sofort an Ulrik erinnert, obwohl seit damals etliche Jahre ins Land gegangen waren. Dass dieser inzwischen ein geübter Schiffsbauer war, der sich gern selbstständig gemacht hätte, schien ihm dann derart zu gefallen, dass er ihm den Posten eines Schiffsbaumeisters in seinem Stammland angetragen hatte. Eine Chance, die Ulrik sich nicht hatte entgehen lassen können.

Jetzt aber begannen herbe Zweifel an ihm zu nagen, und es kam ihm verdächtig vor, dass Viggos Schiff von hoher Handwerkskunst zeugte. Was war wohl mit dem Schiffsbauer geschehen?

Während er seinen Blick über das an einem Kiesstrand gelegene Werftgelände streifen ließ, bemerkte er einige Arbeiter, die dort zu schaffen hatten. Aus einem der Schornsteine stieg Rauch empor, und hölzerne Winden und Seilrollen, die dazu dienten, Gestelle für Bootsspanten aufzurichten, standen zwar momentan leer da, waren aber gut in Schuss und offenbar kürzlich noch benutzt worden.

„Vater?“, holte die leise Stimme seiner Tochter ihn aus seinen Grübeleien. Den bescheidenen Sack mit ihren paar Habseligkeiten in einer Hand, strich Frida sich mit der anderen eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht, welche ihrem Zopf entkommen waren.

Da sandte ihr Vater ein Stoßgebet zum Himmel, dass er sie nicht vergebens hierhergebracht hatte. Zwar war das dürftige Heim, das sie aufgegeben hatten, nicht viel wert gewesen, doch hatten sie es immer tadellos in Schuss gehalten und sich wohl darin gefühlt. Und hatte seine Arbeit ihm auch nur einen bescheidenen Lohn eingebracht, hatten sie in Frieden gelebt und keinen Hunger gekannt.

Plötzlich reute es ihn, die Sicherheit aufgegeben zu haben, die er Frida bisher geboten hatte. Manchmal erinnerte sie, die nach und nach zu einer schönen Frau heranwuchs, ihn schon so sehr an ihre Mutter Sigrid, dass es ihm wehtat, sie anzusehen. Dabei hatte sie nicht einmal deren helles Haar geerbt, sondern das dunkle ihres Vaters, wie auch das intensive Blau seiner Augen, das dem des sommerlichen Abendhimmels glich.

Es war ein Fakt, dass der Schiffsbauer für seine Tochter dringend eine Mitgift beschaffen musste, die gut genug war, einen ebenbürtigen Ehemann an Land zu ziehen. Sie sollte jemanden bekommen, der ihr ein gutes Leben bieten konnte, wie sie es verdiente.

Sanft nahm Ulrik ihr den Sack ab und klaubte auch seinen eigenen vom Boden auf. „Lass uns in die Halle gehen“, bat er. „Unsere Sachen können wir auch später verstauen.“

Nach einem letzten Blick auf das Werftgelände lächelte Frida ihm zu. Auch sie, die nicht auf den Kopf gefallen war, hatte die Lage längst verstanden.

Hoffentlich war es kein Fehler, sie hierherzubringen, dachte Ulrik bedrückt. Soll mit dem hiesigen Schiffsbaumeister geschehen sein, was da wolle! Mir ist alles gleich, wenn ich nur gut für Frida sorgen kann.

Als der Roi einen weiteren Trinkspruch ausbrachte, brandete neuer Jubel in der Halle auf, indem die Antwortrufe seiner Männer so laut dröhnten, dass der Staub von den Dachsparren rieselte. Des Königs Gelage war auf dem Höhepunkt angelangt, und schon schwankten die Wikinger auf ihren klobigen Stühlen vor Trunkenheit, während ihnen immer neue Platten mit gutem Essen vorgesetzt wurden. Nur Viggos Tochter Astrid folgte dem Geschehen heimlich aus den Schatten heraus, weil sie sich scheute, die gute Stimmung ihres Vaters zu trüben, indem sie ihm vor die Augen kam.

Dieser ging mit seinen Männern in jedem Jahr monatelang auf Fahrt, um mit aller Welt Handel zu treiben oder Plünderungen vorzunehmen, ganz wie es sich ergab. Kehrte er dann zurück, setzte in der Siedlung das Leben wieder ein, das in seiner Abwesenheit nahezu zum Stillstand gekommen war. Dann schien Viggo aufs Neue die Wände mit seiner überbordenden Energie zum Wanken zu bringen, verteilte kostbare Geschenke und richtete ausschweifende Feste aus.

Astrid hatte seine ungehobelte Fröhlichkeit und sein lautes Lachen stets schmerzlich vermisst, wenn er auf Raubzug war. Als Kind hatte sie bei seinen Festen unter den Tischen gesessen und stillvergnügt Holzfigürchen geschnitzt oder den Betrunkenen Streiche gespielt. Manch einer war beim Aufstehen zu Boden gegangen, weil sie ihm klammheimlich die Wadenwickel zusammengeknotet hatte, wofür ihr Vater sie stets mit lautem Lachen belohnte. Als kleines Mädchen liebte er sie gerade wegen ihrer Lausbübereien, doch änderte sich das, als sie älter wurde, weil sie sich nun wie eine Erwachsene benehmen sollte.

Still seufzte die junge Frau in sich hinein, die ihres Vaters Wohlwollen verloren hatte, weil sie sich treu bleiben wollte. Unbemerkt stand sie in einer Ecke und beobachtete ihn, wenn er aufstand, um mit seinen Männern zu ringen, oder mit seiner volltönenden Stimme einen kehligen Gesang anstimmte. Auch wenn er fröhlich zwischen den Tischen herumwanderte und dabei achtlos sein Bier verschüttete, ließ Astrid sich nicht sehen, um ihm nicht die Laune zu verderben.

Wahrlich, Viggo war ein Roi, den seine Männer liebten. Und seine Tochter war sicher, dass sein einziger Sohn, Viggo der Jüngere genannt und von ähnlicher Natur wie sein Vater, einmal in seine Fußstapfen treten würde. Sogar das flammendrote Haar hatte er, wie fast alle Kinder des Königs, von seinem Erzeuger geerbt. Allein Astrids Haar war dunkel, schimmerte es auch rötlich auf, wenn die Sonne darauf fiel.

Ihr war das rebellische abenteuerlustige Wesen Viggos nicht weniger zu eigen als ihrem Bruder, doch durfte nur dieser den Vater auf seinen Fahrten begleiten. Um dieses Privileg hatte die junge Frau ihn stets glühend beneidet, bis sie sich mit dem Einrichten einer Schreinerwerkstatt tröstete, wo sie sich sukzessive zu einer veritablen Schiffsbaumeisterin gemausert hatte.

An diesem Abend saß, wie es sich ziemte, Viggos Ehefrau Inga neben ihm, deren schönes Blondhaar so kunstvoll geflochten war, dass es den Goldschmuck nicht verdeckte, der ihren zarten Nacken zierte. Doch hielt sie sich unnatürlich gerade, als sei ihr unbehaglich zumute, und strahlte eine gewisse Kälte aus, wie immer, wenn Viggo heimgekehrt war. Und wie so oft überlegte Astrid, dass ihre Mutter, die während der Abwesenheit ihres Ehemannes größere Freiheiten genoss, sich erst wieder an ihn gewöhnen musste, wenn er sie mit seiner lärmenden Gegenwart wieder an ihre Ehepflichten gemahnte. Der Roi kam und ging wie ein Zugvogel, und das nicht nur einmal im Jahr. Seine Gemahlin hatte sich dreinzufügen.

Als Viggo von seiner Fahrt zu erzählen begann, kamen alle anderen Gespräche zum Erliegen. Nun füllte allein seine Stimme die Halle, während die Anwesenden gespannt aufmerkten.

„Hört gut zu, alle miteinander!“, begann er. „Diesmal mussten mein starker Junge und ich mit Seeschlangen kämpfen!“ Grinsend nickte er seinem Sohn zu, der gutmütig mit den Augen rollte. Viggo war der Einzige, der den jungen Mann, der ebenso groß und kräftig wie sein Vater war, noch als Jungen bezeichnete, wenn er auch nie versäumte, dessen Stärke hervorzuheben. Nur Astrid, die ihren Bruder aus schwesterlicher Niedertracht gern hänselte, nahm sich dasselbe heraus.

„Oh, sie waren fürchterlich! Beinahe hätten sie uns den Kiel gespalten.“

Nachdenklich zog die junge Frau die Stirn in Falten, war ihr doch kein Schaden am Schiff ihres Vaters ins Auge gesprungen, als sie daran vorbeigegangen war. Sie nahm sich vor, es später genauer zu untersuchen, um Viggo keinen Vorwand zu liefern, ihre Befähigung zur Schiffsbaumeisterin infrage zu stellen.

„Wir entkamen schließlich nach Aalborg, wo ich einen alten Freund wiederfand“, beendete der Roi seine Mär, indem er auf einen Mann wies, der auf der Bank ihm gegenübersaß.

Misstrauisch beäugte Astrid den Fremden, der sein dunkelbraunes sorgfältig geflochtenes Haar zurückgebunden hatte und einfache Kleidung trug, die für grobe Arbeit getaugt hätte. Ein ähnlich frisiertes junges Mädchen von etwa vierzehn Jahren, vielleicht seine Tochter, saß neben ihm.

Weder Haar noch Bart des Mannes zeigten graue Strähnen, was ihn als einen noch jungen Mann auswies. Und dass er einen starken Körperbau besaß, konnte Astrid unschwer beurteilen, weil die fadenscheinige Tunika, die seine muskulösen Schultern bedeckte, schon bessere Tage gesehen hatte. Aber schien er auch zu arm zu sein, um Umhang oder Gewandspange zu besitzen, hielt er den Kopf stolz erhoben, als er dem Blick des Königs begegnete.

Warum schenkt mein Vater einem mittellosen Kämpfer Beachtung? fragte Astrid sich befremdet, erhielt des Rätsels Lösung aber prompt. „Ulrik ist der Baumeister, der mein Schiff so fachkundig instand setzte, dass die ‚Drachenseele‘ auf unserer Rückreise schneidiger denn je durch die Wellen pflügte.“

Da wurde Astrid klar, dass der Mann sie als Schiffsbaumeister ersetzen sollte, und das Herz krampfte sich ihr zusammen. Denn sie verstand auf Anhieb, dass Viggo ihr die Existenzgrundlage nahm, weil sie sich der Ehe verweigerte. Mein Vater besitzt auch noch die Stirn, seine Strafmaßnahme als einen Akt der Freundschaft auszugeben! dachte sie zornig. Ich aber werde nicht zulassen, dass er mein Leben zerstört, indem er mich zum Heiraten zwingt!

„Schwer zu glauben!“, rief sie laut, indem sie ins Licht trat. „Die ‚Drachenseele‘ war im Bestzustand, als sie auslief, und wurde zwischendurch bloß mit ein paar neuen Planken und Nägeln geflickt. Das soll die Arbeit eines Meisters sein? Pah!“

Als der Fremde ihr ruhig seinen Blick zuwandte, überwältigte die ungewöhnliche Farbe seiner Augen sie für Sekunden, bevor seine ausdruckslose Miene, die von kühler Beherrschtheit zeugte, sie rasend machte. Wie konnte dieser seelenlose Wurm sich in das Herz meines Vaters graben? fragte sie sich hasserfüllt. Warte nur, Bootsbauer, dir will ich die Flötentöne beibringen!

„Was ich nie behauptete.“ Ulriks tiefe Stimme ließ die Luft vibrieren. „Ich besserte nur aus, was der Reparatur bedurfte. Die ursprüngliche Konstruktion blieb dabei natürlich das tragende Element.“

Es dauerte einen Moment, bis Astrid begriff, dass der Mann ihr beipflichtete. Was treibt er für ein Spiel? Kuscht er vor meiner Stellung? fragte sie sich irritiert. Immerhin bin ich eine Prinzessin, mit der nicht gut Kirschen essen ist!

Doch wirkte er alles andere als furchtsam, sondern strahlte eine Kraft aus, die sie auf beunruhigende Weise anzog. Dieser Fremde, der sie mit undurchdringlichem Blick musterte, meinte, was er sagte.

Was sieht er mich so bitter an? fragte sie sich erzürnt. Ich bin es, die ihrer Arbeit beraubt werden soll, und nicht er!

Nur die Götter wussten, wie hart sie geschuftet hatte, bis sie es am Ende zur Schiffsbaumeisterin brachte. Damals war Viggo von ihrem ersten Schiff so beeindruckt gewesen, dass er es als seinen größten Schatz bezeichnet und „Drachenseele“ getauft hatte. Und er war sehr stolz auf sie gewesen, denn ein schnelles Schiff war das höchste Gut eines Wikingers und kaum mit Gold zu bezahlen.

„Wie auch immer: Die Rückreise ging wesentlich flotter vonstatten als die Hinreise“, brummte der Rotbart, indem er ihren Blick vermied. „Der Bug unseres Bootes schnitt durch die Wellen, wie ein heißes Messer durch Butter geht. Willst du mir verdenken, dass mir das gefiel, Tochter? Deswegen nahm ich Ulrik Leifsson, der ein reines Wunder vollbrachte, gleich mit. Er …“

„Ich verstand dich längst“, fuhr Astrid auf. „So bringst du einen Schiffsbaumeister her, obwohl du längst einen hast?“ Als sie auf seinen Tisch zusteuerte, sprühten ihre Augen vor Zorn, sodass die Leute vor ihr zurückwichen. Darauf küsste sie Viggo zum Willkommen ein wenig steif auf die Wange und nahm Platz, indem sie Ulriks eindringlichem Blick auswich.

Der Roi zog es vor, ihre letzte Frage zu ignorieren und stattdessen an ihr herumzumäkeln. „Befahl ich dir nicht, dich anständig zu kleiden, wenn du in die Halle kommst?“

Zur Verteidigung ihrer Tochter lehnte Inga sich anmutig vor und legte ihm begütigend die Hand auf den Arm. „Sonst achtet sie ja immer darauf, mein Lieber. Ich nehme an, sie war vor Freude über deine glückliche Heimkehr derart aus dem Häuschen, dass sie vergaß, sich umzuziehen.“

„Das stimmt, Vater. Ich kleide mich stets wie die anderen Frauen, wenn ich in der Halle esse“, nickte Astrid, die ihr Nachtmahl allerdings in der Regel am Strand mit Freunden einnahm. Ihre Mutter, die das unziemliche Verhalten Astrids überraschenderweise deckte, gab sich in der Regel damit zufrieden, das Frühstück mit ihr zu teilen.

Viggo, der eins und eins zusammenzählte, nahm angesichts des Blicks, den Mutter und Tochter tauschten, mit sauertöpfischer Miene einen Schluck aus seinem Trinkhorn. Dann senkte er die Stimme, was selten vorkam. „Du wirst noch als alte Jungfer enden, Astrid, wenn du dich weiter wie ein Kerl aufführst!“

„Wäre das denn so schrecklich?“, fragte die junge Frau mit frechem Grinsen, während sie sich an Braten, eingelegtem Gemüse und Brot bediente.

„Deine beiden Schwestern, die ich glücklich verheiratete, sind höchst zufrieden mit ihrem Los“, murrte er. „Du wirst doch wohl nicht dein ganzes Leben alleinbleiben wollen?“

Vielleicht nicht, dachte sie grimmig. Aber immer noch lieber, als auch nur einen Tag mit einem herrschsüchtigen Mann wie dir verheiratet zu sein!

„Sie ist doch unsere Jüngste“, mischte Inga sich mit nachsichtigem Lächeln ein und löffelte liebevoll Schmorkohl auf Astrids Holzteller. „Mach doch nicht immer einen solchen Aufstand, Viggo! Wir werden schon noch den passenden Ehemann für unser Nesthäkchen finden.“

„Sie hat fünfundzwanzig Winter auf dem Buckel, Inga! Willst du mich veralbern? Ist sie auch meine Tochter, findet man doch kaum einen Mann für eine Braut, die in die Jahre gekommen ist.“

„Willst du behaupten, sie wäre alt?“ Inga erstarrte. „Was, frage ich dich, bin dann ich in deinen Augen?“

„Die geliebte Ehefrau und Mutter, die du immer sein wirst“, gab der Roi verärgert zurück. „Fang nicht wieder Streit an!“

„Warum muss ich überhaupt heiraten, Vater?“, ging Astrid dazwischen. „Die Ehen deiner älteren Töchter sichern dir gute Allianzen, und ein männlicher Nachfolger steht auch bei Fuß. Kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen?“

„Ich will, dass du endlich eine eigene Familie gründest! Du kannst nicht immer nur machen, was dir gefällt. Auf lange Sicht brauchst du männlichen Schutz und eine Aufgabe im Leben.“

„Vater, beides habe ich bereits! Mein Lebensinhalt ist der Schiffsbau, und du gewährst mir ausreichend Schutz.“

„Vielleicht finden wir ja einen Ehemann für dich, der dir erlaubt, wenigstens mit dem Schnitzen weiterzumachen … Du hattest doch immer eine besondere künstlerische Ader.“

„Das Bauen und das Verzieren eines Schiffes sind wie zwei Seiten einer Medaille“, versetzte Astrid finster.

„Ach, mach die Sache nicht komplizierter, als sie ist!“ Aufgebracht raufte Viggo sich den Bart. „Jetzt sitzt mein alter Freund Ulrik hier, in dessen Schuld ich seit vielen Jahren stehe.“

Astrid blieb vor Schreck die Sprache weg. Das wird ja immer schöner! dachte sie. Beruft mein Vater sich nicht nur auf seine Freundespflicht, sondern auch noch auf die Tilgung einer alten Schuld, ist schwer dagegen anzukommen.

„Er rettete mir vor langer Zeit das Leben, indem er mit seinem Bein die Axt abfing, die für mich bestimmt war. Die Wunde an seinem Oberschenkel machte ihn sterbenskrank, weswegen ich von Herzen froh war, als er mir in Aalborg wiederbegegnete. Denn ich schulde ihm eine Wiedergutmachung!“

„Die dich nichts kostet, weil du mich dafür bezahlen lässt! Oh, du bist schlau und schlägst zwei Fliegen mit einer Klappe, indem du dem Fremden meine Stellung überlässt“, schäumte sie. „Dabei weißt du gar nicht, ob er überhaupt zum Schiffsbau taugt, denn er leistete nichts weiter, als das meine zu reparieren!“

„Ich baue Euch ein Schiff, das schneller über die Meere fährt als jedes andere“, meldete Ulrik sich zu Wort.

„Siehst du?“ Viggo verzog erfreut sein Gesicht, das dadurch um Jahre jünger aussah, und hob sein Trinkhorn, um seinem Freund zuzuprosten. „Genau das brauche ich: Ein neues Schiff mit geräumigem Laderaum, das trotz seiner Last schnell wie der Wind durch die Wellen kreuzt. Ich stelle ja nicht in Abrede, dass deine Schnitzereien besonders schön sind, Tochter …“

„In meinen Schiffen vereint sich Schönheit mit praktischem Nutzen!“, begehrte Astrid auf, die sich plötzlich wieder so klein fühlte wie damals, als sie unter den Tischen der Zecher noch ihre Streiche ausheckte.

Erneut kam Inga ihrer Tochter zu Hilfe. „Viggo, du selbst nanntest die ‚Drachenseele‘ deinen größten Schatz“, wandte sie ein, „und willst sogar darin begraben werden, wenn deine Zeit gekommen ist!“

„Ich leugne nicht, dass das Schiff gelungen ist“, lenkte ihr Ehemann ein. „Was aber nicht ausschließt, dass Ulrik mir ein noch besseres bauen kann!“

„Wie lange gedenkst du auf immer neuen Schiffen hinauszufahren?“, zischelte seine Gemahlin ihm zu. „Die Zeit, die Odin dir auf dieser Welt zumisst, könnte sich als kürzer denn gedacht erweisen.“

Ihre Rede belustigte den Roi, der sich gut bei Kräften fühlte, so sehr, dass er laut lachte. Dann aber erhob er seine Stimme, damit man ihn auch in der letzten Ecke hörte. „Mir scheint, das schreit nach einem Wettkampf! So wird sich erweisen, wer von beiden die besseren Schiffe baut!“

Astrid erstarrte vor Schreck. Ulrik aber reckte sich in die Höhe und rief: „Jeder faire Wettstreit soll mir recht sein!“

Weil er das Wort „fair“ besonders betonte, horchte Astrid auf. Glaubt er etwa, Viggo bevorzugt mich, weil ich seine Tochter bin? dachte sie. Dass ich nicht lache! Es könnte aber von Vorteil sein, das Misstrauen seines Freundes zu schüren …

„Ich weiß, was ein Mann für seine Tochter zu tun bereit ist“, fuhr Ulrik in kühlem Ton fort, indem er den Augen seiner Gegenspielerin mit offenem Blick begegnete. Dabei legte er unwillkürlich seine Hand auf die Schulter des Mädchens, das neben ihm saß.

Da lehnte Astrid sich mit böser Miene vor und richtete ihr Messer, mit dem sie gerade Fleisch geschnitten hatte, auf ihn. „Mein Vater verdankt dir sein Leben! Da sollte eher ich um ein faires Urteil besorgt sein, und nicht du!“ Zumal er mich wie eine Zuchtkuh an den erstbesten Mann zu verschachern gedenkt, der mich haben will, setzte sie im Stillen hinzu.

„Ich habe es nicht nötig, bevorzugt zu werden! Denn ich werde ein Schiff bauen, welches das Eure in jeder Hinsicht übertrifft, Prinzessin Astrid! Jeder wird sehen …“

„Schon gut, ich garantiere einen fairen Ausgang des Wettbewerbs“, beendete Viggo den Disput mit erhobener Hand. „Roi Olaf, der seit Langem mein Freund ist, wird uns zur Herbstgleiche besuchen, und ich werde es ihm überlassen, den Gewinner festzustellen. Ihr habt also viele Monate Zeit, um fertigzuwerden. Den Sieger mache ich ohne Wenn und Aber zu meinem Schiffsbaumeister, und der Verlierer wird … tun, was ich befehle.“

„Wie ist das gemeint?“, fragte Astrid misstrauisch.

„Nun … er muss gehorchen. Entweder mit Schande bedeckt davongehen oder … heiraten.“

Zwar zischelte die Königin ihm etwas Unhörbares zu, doch ging Viggo nicht darauf ein, während er seine Tochter mit dem Blick förmlich durchbohrte. „Hast du Angst, zu verlieren?“, spöttelte er. „Dann lass den Wettkampf bleiben! Wenn Ulrik ab morgen deine Position übernimmt, ist alles gut.“

Für Astrid aber war es undenkbar, sich von vornherein geschlagen zu geben, sodass sie sich notgedrungen auf den Wettbewerb einließ. Das hat er schlau eingefädelt! dachte sie erbost. Was ist er nur für ein Fuchs! Doch glaubt er auch, er hätte mich am Wickel, so ist längst noch nichts entschieden. Wer zuletzt lacht, lacht bekanntermaßen am besten!

Zufrieden lehnte der Roi sich in seinem geschnitzten Thron aus Eichenholz zurück und legte sinnend die Hände zusammen. „Es soll bewertet werden, wie schnell, wie schön und wie robust die Schiffe sind, die außerdem viel Platz für Frachtgut bieten müssen. Beide Kontrahenten dürfen sich auf ein Team von jeweils zehn Arbeitern stützen, von denen vier mit dem Schiffsbau vertraut und die anderen bloße Handlanger sein sollen.“

„Ich fordere Revna und …“ erhob Astrid die Stimme, doch gebot ihr Vater ihr kopfschüttelnd Einhalt.

„Die Sache geht erst in drei Tagen los“, erklärte er, „denn ich schätze, dass Ulrik sich in meinem Königreich umsehen will, bevor er mit der Arbeit beginnt. Ich befehle allen Beteiligten, bis dahin die Hände stillzuhalten.“ Er fixierte seine Tochter mit einem scharfen Blick. „Dass das klar ist: Niemand markiert einen Baum vor der Zeit oder verschafft sich sonst irgendeinen Vorteil. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?“

Astrid nickte missvergnügt. Ihr Vater wusste, wie gut sie sich in den Wäldern auskannte und dass etliche halbfertige Schnitzereien in ihrer Werkstätte lagen. Weil sie zu mogeln aber nicht beabsichtigt hatte, ärgerte Viggos Misstrauen sie umso mehr.

Ulrik, der sich seinen Einstand als Schiffsbaumeister anders vorgestellt hatte, gab einen unzufriedenen Laut von sich. „Wie sollen die verschiedenen Kategorien abgeprüft werden?“, fragte er mit schmalen Augen.

Der König dachte eine Weile nach. „Die Schnelligkeit können wir bei einem Rennen zu der Felseninsel im Fjord ermitteln“, sagte er dann. „Und die Belastbarkeit prüfen, indem wir die Schiffe so lange mit Fässern beladen, bis eins von ihnen unter die Lademarke sinkt. Zu guter Letzt soll Roi Olaf die geschnitzten Figuren am Bug auf ihre Kunstfertigkeit hin beurteilen, ohne zu wissen, wer sie geschaffen hat. Seid ihr einverstanden?“

Zwar nickten die Wettkämpfer einmütig, doch hätte man die Feindseligkeit zwischen ihnen mit Händen greifen können.

„Ulrik soll in das Haus einziehen, in dem der alte Schiffsbaumeister wohnte, bevor er ins Totenreich ging“, fuhr Viggo fort. „Ich weiß, du bist oft dort, Astrid, wirst aber einsehen, dass ein Mann, der seine Tochter bei sich hat, mehr Platz braucht als du. Schließlich gibt es noch dein weidlich ungenutztes Zimmer in meinem Langhaus.“ Seine missbilligende Miene machte deutlich, dass er im Bilde darüber war, wie selten sie dort nächtigte.

Als Ulrik sich seiner Tochter zuwandte und ihr leise ins Ohr sprach, ging plötzlich eine Wärme von ihm aus, die ihn sehr zu seinem Vorteil verwandelte. Auch dass das Mädchen ihm herzlich zugetan schien, hätte für ihn sprechen sollen, doch ließ die Prinzessin beides nicht gelten. Sogar eine Giftschlange liebt ihr Kind, dachte sie gehässig, was sie keineswegs liebenswerter machte. Nur wegen seiner Vaterliebe muss ich den Eindringling nicht für gutherzig halten, meiner Treu!

Das Bild zweier Schlangen aber, die sich das Vertrauen ihres Vaters erschlichen hatten, wollte ihr nicht aus dem Kopf gehen und ließ sie erschauern.

All dies geschieht nur, weil eine Frau kein Baumeister sein darf! dachte sie verbittert. Der Gedanke vergiftete ihr Herz, war ihr Ungerechtigkeit doch seit jeher verhasst. Am liebsten hätte sie eine Axt nach dem Mann geworfen, der aufgrund seines Geschlechts mehr Rechte als sie besaß, und ihm den Schädel gespalten. Am meisten aber schmerzte es sie, dass ihr Vater den tiefen Sinn, den sie in ihrer Arbeit fand, als Unsinn abtat.

Denn an jedem Festtag lud der Roi so viel potenzielle Heiratskandidaten wie er finden konnte in die Siedlung ein und drängte seine Tochter, sich einen von ihnen auszusuchen. Im Vorjahr aber hatte es einen Eklat gegeben, worauf sie gehofft hatte, ihr Vater werde endlich Ruhe geben.

Zu früh gefreut! dachte sie unfroh, indem sie Ulrik und sein braves Töchterlein mit Groll beäugte. Aber hätte mein Vater mich auch gern so fügsam wie diese Vorzeigetochter, kann er darauf warten, bis er schwarz wird!

Bitterkeit und Hass stritten in ihrem Herzen um die Oberhand, als sie die Augen von ihrem Konkurrenten abwandte. Denn sein Anblick allein reichte aus, ihr den Abend zu vergällen.

2. KAPITEL

„Hier sollen wir wohnen?“, fragte Frida, während sie sich entgeistert umsah. Ulrik teilte ihr Befremden, war die große Werkstatt wie auch das dazugehörige Langhaus doch so zugestellt, dass kaum ein Durchkommen war.

In der ersten Nacht hatte Viggo sie in der Halle schlafen lassen, doch konnten sie es kaum erwarten, ihr neues Heim zu beziehen, und waren gleich nach dem Frühstück mit ihrem Boot zum Werftgelände gefahren. Der Zustand der Räumlichkeiten aber war beklagenswert.

„Immerhin werden wir mehr Platz haben als bisher“, setzte sie mit kläglichem Lächeln hinzu.

„Das schon“, antwortete ihr Vater, während Ärger in ihm hochschoss. Was für ein Chaos! dachte er. Seit ich Viggos Anerbieten folgte, stoße ich auf immer neue Schwierigkeiten.

Vor der Frontseite ihres zukünftigen Heims lag ein großer Werkstattbereich mit mehreren Werkbänken, eigentlich nur ein Dach auf Stelzen ohne Wände und deshalb lichtdurchflutet. Daran schloss sich ein Wohnbereich an, der, soweit Ulrik sehen konnte, in der Mitte eine Feuerstelle und einige mit Flechtwerk abgetrennte Verschläge besaß.

Es hätte eine ansprechende Behausung sein können, wäre sie nicht, wie die Werkstatt auch, von unten bis oben mit Holzabfällen vollgestopft gewesen.

Vor Ärger aufstöhnend schlängelte Ulrik sich durch die wild aufeinandergetürmten Holzteile hindurch, was ihm aber zu kaum einem besseren Überblick verhalf. Und es wurmte ihn, zu sehen, dass ein Tisch und eine Bank – Möbel, die sie gut hätten brauchen können – unter einem großen schweren Balken zusammengebrochen waren.

Als er einen dicken Klotz mit dem Fuß umdrehte, blickte ihm ein schön geschnitzter Pferdekopf entgegen. Das irritierte ihn erst recht, war ihm doch schleierhaft, warum Astrid bei allem Ärger eine solch wertvolle Arbeit wegwarf. Denn er hatte keinen Zweifel daran, dass die Prinzessin dahintersteckte, der – wie ihm auch – befohlen worden war, drei Tage lang das Werkzeug ruhen zu lassen. Offenbar hatte sie sich an ihm gerächt, als sie ihm Platz machen musste, indem sie ihm eine Heidenarbeit hinterließ.

„Hexe!“, entfuhr es ihm so laut, dass Frida, an solche Ausbrüche nicht gewöhnt, zusammenzuckte. „Da wird ja die Milch sauer!“

„Ich werde schon alles aufräumen und saubermachen, Vater!“, sagte sie eilfertig. „Geh du nur in die Wälder, wie du es vorgehabt hast.“

„Dieses verzogene, gehässige Spatzenhirn!“ In tiefem Groll kniff er die Augen zusammen. „Wie kann man nur so kleingeistig sein!“

Besänftigend legte Frida ihm die Hand auf den Arm. „Wenn wir gewinnen wollen, musst du jetzt in den Wald gehen und nach einem Stamm für den Schiffskiel Ausschau halten. Den kannst du dir sicher auch ohne Markierung merken und holen, sobald die Frist verstrichen ist.“

„Ja, aber …“ Er stöhnte auf. Wahrlich, dachte er, die Chance, die Viggo mir bietet, fordert einen hohen Einsatz.

„Der Roi sagte, es gäbe nur eine Stelle, an der Eichen wachsen. Die musst du als Erstes finden.“

Bei dem Gedanken, Frida mit dem Chaos alleinzulassen, war ihm nicht wohl. „Ich gebe dir recht, Tochter, will aber wenigstens die schwersten Balken beiseite räumen.“

Gesagt, getan. Einmal in Schwung gekommen, hatte er bald die stärksten Stämme, Bretter und Klötze sauber neben dem Langhaus aufgeschichtet. Den Pferdekopf warf er zum Schluss auf einen Stapel mit Feuerholz in der Hoffnung, Astrid sähe ihn dort und bereue ihr Tun.

Noch aber war keine Spur von ihr zu entdecken, als er die kleinere Werkstatt neben der seinen mit scheelen Blicken musterte. Sicher wird das ihr Hauptquartier, wenn die Arbeit beginnt, dachte er voller Groll. Zwar ist die Esse jetzt kalt, doch stehen alle Gerätschaften, die zum Schiffsbau benötigt werden, ordentlich an ihrem Platz. Astrid kann auf der Stelle loslegen.

Er verübelte ihr den Nervenkrieg, den sie gegen ihn führte, und ihm schien, sie wolle ihn sich gar nicht erst eingewöhnen lassen. Am Vorabend hatte sie das Gelage mit bitterer Miene früher als alle anderen verlassen, worauf ein paar hiesige Krieger ihn vor ihr gewarnt hatten. Sie bezichtigten sie der Arglist und behaupteten, sie gehöre im Geiste eher zu Loki, dem göttlichen Unheilstifter, als zu Roi Viggo, der mit einer Tochter wie ihr wahrlich gestraft sei. Darauf hatten sie in Kindheitsgeschichten von ihr geschwelgt und sich dabei vor Lachen ausgeschüttet. Ulrik aber hatte bald nicht mehr zugehört, waren ihm die Anekdoten über das freche Mädchen, das Astrid einst gewesen war, doch reichlich harmlos vorgekommen.

Was sie ihnen hier allerdings eingebrockt hatte, war alles andere als ein unschuldiger Streich. Ulrik verstand das Chaos, das sie angerichtet hatte, als einen vorsätzlichen Versuch, ihn daran zu hindern, ein Heim einzurichten und sich auf den Wettkampf vorzubereiten. Es ist zum Mäusemelken! dachte er zornig. Sie sollte wissen, dass man so etwas nicht tut. Schließlich ist sie kein kleines Kind mehr.

Der neue Bootsbauer aber hatte sich nicht nur mit der neuen Umgebung vertraut zu machen, sondern auch Werkzeuge zu schärfen, notwendiges Zubehör aufzutreiben und sich Gedanken um das Schiff zu machen, das er bauen wollte. Da beschloss er, die Auswahl der Bäume, die er benötigte, schon vor dem Auslosen der Arbeiter zu treffen, wenn die Prinzessin das auch zu unterbinden versuchte. 

Bei Odin, ich darf den Wettstreit nicht verlieren! dachte er verzweifelt. Die Chance, ein gutes Leben für Frida aufzubauen, darf ich nicht ungenutzt lassen. Muss ich dafür Viggos widerborstige Tochter von ihrem Thron herunterholen, sei’s mir recht! Ich hoffe nur, die drei Nornen, die unser Schicksal bestimmen, legen mir keine Steine in den Weg.

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