Der Lord und die schöne Pfarrerstochter

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In dieser Saison muss Eliza endlich einen Gatten finden! Sonst wird die mittellose Pfarrerstochter wohl für immer allein bleiben. Als sie auf einem Ball einem betagten Viscount hilft, beginnt der Witwer tatsächlich, sie zu umwerben. Doch sein Sohn, der unnahbare Lord Giles Stratham, hält sie für eine Mitgiftjägerin! Dabei lässt nicht etwa Reichtum, sondern Giles selbst Elizas Herz höherschlagen. Mit seinen dunklen Augen scheint er direkt in ihre Seele zu blicken. Doch kann aus Elizas heimlicher Verliebtheit ein wahres Glück werden, oder zerstört Giles‘ Misstrauen jede Hoffnung?


  • Erscheinungstag 22.07.2025
  • Bandnummer 432
  • ISBN / Artikelnummer 9783751531689
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

Julia Justiss

Der Lord und die schöne Pfarrerstochter

1. KAPITEL

London, Mai 1836

Eliza Hasterling verstaute Nadel und Faden, mit denen sie den Riss an ihrem Kleid geflickt hatte, in ihrem Retikül. Der unglückselige Mr. Alborne war ihr auf den Saum getreten. Hoffentlich sah man es nicht! Ihre kargen Mittel reichten nicht aus, um das Kleid durch ein neues zu ersetzen. Sie warf einen letzten Blick in den Spiegel auf ihre wippenden Korkenzieherlocken, dann verließ sie das Damenzimmer und ging auf die Treppe zu, die hinunter in den Ballsaal führte.

Ihre Freundin Lady Margaret, die selten ein Blatt vor den Mund nahm, würde sagen, dass es Elizas eigene Schuld war, weil sie wieder mit Alborne getanzt hatte. Eliza seufzte. Angesichts seines pickeligen Gesichts und des hoffnungsvollen Hundeblicks war es ihr unmöglich, ihn abzuweisen, wie es Maggie und so viele andere junge Ladys taten. Da er weder gutaussehend noch reich war und überdies schrecklich unbeholfen, wurde er als Tanzpartner verschmäht. Eliza wusste, wie es sich anfühlte, verachtet zu werden. Sie hatte Mitleid mit dem unansehnlichen jungen Mann. Und weil sie zu den wenigen gehörte, die ihn nicht brüskierten, forderte er sie immer wieder auf.

Doch selbst sie würde ihn bald abweisen müssen, wenn er ihre begrenzte Garderobe ruinierte.

Inzwischen hatte sie den Fuß der Treppe erreicht und wollte gerade das Vestibül durchqueren, als der ältere Gentleman, dem sie im Vorbeigehen zugenickt hatte, einen Schrei ausstieß. Sie drehte sich um und sah, dass der Gehstock, auf den er sich gestützt hatte, von der ersten Stufe abgerutscht war und zu Boden fiel. Der Gentleman verlor das Gleichgewicht und kippte zur Seite.

Sie eilte zu ihm, um seinen Arm zu ergreifen, war jedoch nicht stark genug, um zu verhindern, dass er auf die Knie sank. Zumindest konnte sie verhindern, dass er der Länge nach zu Boden fiel. Nachdem sie ihm geholfen hatte, wieder aufrecht zu stehen, bückte sie sich, um den Stock aufzuheben.

Sie hatte ihn gerade an den Gentleman zurückgereicht, als zwei Matronen das Vestibül betraten und stehen blieben, um sie neugierig zu beäugen – den Gentleman, der sich vorgebeugt auf seinen Stock stützte, und Eliza, die sich wieder aufrichten wollte. Als sie sah, wie beschämt der Mann errötete, streckte Eliza ihm eine Hand entgegen und sagte rasch: „Wie ungeschickt von mir, zu stolpern! Ich danke Ihnen dafür, mir aufzuhelfen.“

Der Mann verstand, ergriff ihre Hand und drückte dankbar ihre Finger, während sie sich wieder gerade hinstellte. Erst jetzt erkannte Eliza, dass eine der Matronen die überhebliche Lady Arbuthnot war, weshalb sie sich auf einen gehässigen Kommentar gefasst machte.

„Lord Markham, wie gnädig von Ihnen, ihr zu helfen“, sagte die Lady, bevor sie sich an Eliza wandte. „Sie sollten besser aufpassen, Miss Hasterling! Sie hätten Lord Markham umstoßen können.“

„Es ist gar nichts passiert, Mylady“, beteuerte Markham.

Lady Arbuthnot strafte Eliza mit einem verächtlichen Blick, nickte dem Viscount zu und hakte sich bei ihrer Freundin ein, bevor sie mit ihr die Treppe hinaufging. Als die beiden das obere Ende der Treppe erreichten, lästerte Lady Arbuthnot gut vernehmbar: „Die Tochter eines Vikars. Keinerlei Anmut und Grazie, aber was kann man schon anderes erwarten?“

„Sehr gnädig von Markham, sie überhaupt zu beachten. Sie sollte ihren Platz kennen und sich so unauffällig wie möglich verhalten!“, erwiderte ihre Begleiterin und sah sich naserümpfend nach Eliza um.

Eliza presste die Lippen zusammen und spürte, wie ihr die Röte in die Wangen schoss, doch sie war entschlossen, die Bemerkungen zu ignorieren.

„Sind Sie unverletzt, Lord Markham?“, erkundigte sie sich, als die Frauen außer Hörweite waren.

„Ja, dank Ihnen – Miss Hasterling, nicht wahr? Es war sehr hochherzig von Ihnen, mir aus der Verlegenheit zu helfen. Und zu allem Überfluss mussten Sie deswegen auch noch die Unfreundlichkeit von Lady Arbuthnot und deren Begleiterin ertragen. Am liebsten würde ich ihnen folgen, die Sache richtigstellen und die beiden zurechtweisen.“

„Sie möchten doch mein gutes Werk nicht zunichtemachen“, wandte sie lächelnd ein. „Wegen Lady Arbuthnot brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Da sie mich als einfache Tochter eines Geistlichen für weit unter ihrer Würde hält, wird sie mich nicht weiter behelligen. Ich bin bloß froh, dass ich Sie vor einem Sturz bewahren konnte.“

„Sind wir einander überhaupt schon vorgestellt worden? Sie scheinen mich zu kennen, aber ich kann mich leider nicht daran erinnern, Ihnen schon einmal begegnet zu sein. Was für ein unverzeihlicher Fauxpas, sich nicht an eine so reizende junge Lady zu erinnern.“

„Wir sind einander in der letzten Saison vorgestellt worden, aber es war kurz bevor …“, sie zögerte einen Moment, bevor sie weitersprach, „… kurz bevor Sie Ihre Frau verloren haben. Nur zu gut verständlich, dass vieles aus dieser traurigen Zeit Ihnen nur verschwommen im Gedächtnis geblieben ist. Mein herzliches Beileid zu Ihrem Verlust.“

Das Lächeln des Viscounts schwand, und nun lagen Trostlosigkeit und Kummer in seinem Blick. Eliza tadelte sich insgeheim, weil sie ihn an seinen Schmerz erinnert hatte. Warum hatte sie nicht einfach gesagt, dass sie einander bereits vorgestellt worden waren, und es dabei belassen? Sie wusste, dass Markham das Trauerjahr beendet hatte und gerade erst wieder in die Gesellschaft zurückgekehrt war. Nach allem, was man hörte, hatten sich seine verstorbene Frau und er sehr nahe gestanden, und ihr Tod hatte ihn tief bestürzt.

„Verzeihen Sie“, entschuldigte sie sich eilig. „Ich wollte nicht … Ich meine, ich hätte nicht …“

Markham winkte ab. „Kein Grund, sich zu entschuldigen, Miss Hasterling. Es war ein trauriger Verlust, aber ich finde mich allmählich damit ab. Leider erlauben es mir meine Knie nicht, Sie um einen Tanz im Ballsaal zu bitten. Aber vielleicht darf ich Sie in das Erfrischungszimmer begleiten, und wir gönnen uns ein Glas Wein. Ich möchte mich noch einmal für Ihr freundliches und rechtzeitiges Eingreifen bedanken. Wenn Sie mir nicht so schnell zur Hilfe geeilt wären, hätte Lady Arbuthnot mich auf dem Boden ausgestreckt erblickt. Das hätte sie anschließend ausgeschmückt und genussvoll weitererzählt.“

Eliza lachte leise in sich hinein. „Ja, das hätte sie vermutlich getan. Ich schätze mich glücklich, es verhindert zu haben.“

„Wollen wir dieses Glück mit einem Glas Wein feiern?“, fragte Markham lächelnd.

Das Lächeln erwidernd ließ Eliza zu, dass Markham ihre Hand auf seinen Arm legte. Just in diesem Moment kam ein großer dunkelhaariger Mann auf sie zu. „Vater, ist alles in Ordnung? Du bist ziemlich lange verschwunden. Withram hat schon nach dir gefragt.“

„Ich habe mich nur mit dieser bezaubernden jungen Lady unterhalten. Sind Sie schon mit meinem Sohn bekannt, Miss Hasterling?“

Eliza starrte den attraktiven jungen Mann an, der seinen Vater besorgt aus tiefbraunen Augen musterte. Die dezente schwarze Abendgarderobe betonte die schlanke Gestalt und die breiten Schultern. Ein paar dunkle Locken fielen ihm in die Stirn, und unwillig strich er sie nach hinten. Die ausgeprägte Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn war ihr sofort aufgefallen, doch der Neuankömmling wirkte wie eine weit stärkere und vitalere Version des Gentleman, den sie vor einem Sturz bewahrt hatte.

„N…nein, wir sind uns noch nicht vorgestellt worden“, antwortete Eliza.

„Dann habe ich die Ehre, Ihnen meinen Sohn Baronet Stratham vorzustellen, Miss Hasterling.“

Nachdem der junge Baronet sich verbeugt und sie geknickst hatte, ergriff Markham erneut das Wort. „Ich wollte gerade mit Miss Hasterling in das Zimmer mit den Erfrischungen gehen. Du kannst Withram ausrichten, dass ich ihn später aufsuche.“

Geblendet von Strathams athletischer Erscheinung und seinem hübschen Gesicht, bemerkte Eliza erst jetzt, dass er ihr Lächeln nicht erwidert hatte. Stattdessen starrte er mit versteinerter Miene auf die Hand, die sie wieder auf den Arm seines Vaters gelegt hatte.

Einen Moment lang dachte sie, er würde eine Bemerkung dazu fallen lassen. Doch was sollte er schon sagen? Obwohl es nicht im Entferntesten ungehörig war, wenn eine Lady eine Hand auf den dargebotenen Arm eines Gentleman legte, fühlte Eliza einen Anflug von Unbehagen, als sei sie bei einem Fehlverhalten ertappt worden.

„Wollen wir uns ein Glas Wein gönnen, Miss Hasterling? Da der Ball bald endet, möchten Sie danach sicher noch tanzen. Ich möchte nicht, dass Sie sich dieses Vergnügen entgehen lassen.“

Markham nickte seinem Sohn zu, doch anstatt sich zu entfernen, um Withram die Nachricht des Vaters zu überbringen, sagte Stratham: „Ich glaube, ich komme mit und trinke auch ein Glas Wein.“

Die beiden Männer tauschten Blicke aus. Eliza erkannte darin eine gewisse Resignation des Vaters und eine wilde Entschlossenheit des Sohnes.

„Begleite uns ruhig, wenn du willst“, entgegnete Markham nachsichtig.

Sie machten sich auf den Weg. „Erlauben Sie mir bitte, die Lücken in meiner Erinnerung an die Begegnung in der letzten Saison zu füllen, Miss Hasterling“, wandte sich der Viscount an Eliza. „Wo lebt Ihre Familie? Ich entsinne mich nicht, mit Ihrem Vater bekannt zu sein. Er ist Geistlicher, sagten Sie?“

„Ja, aber es ist nicht verwunderlich, dass Sie ihn noch nicht kennengelernt haben. Er verlässt nur selten seine Gemeinde in Saltash, in der Nähe von Plymouth, wo er mit meiner Mutter und dem Rest der Familie wohnt. Ich wohne in London bei meiner älteren Schwester Lady Dunbarton. Sie ist so freundlich, als meine Anstandsdame zu fungieren, damit Mama zu Hause bei meinen jüngeren Geschwistern bleiben kann.“

„Sie haben also eine große Familie?“

„Ziemlich groß. Ich habe zwei verheiratete Schwestern. Mein einziger Bruder lebt noch zu Hause und wird von meinem Vater unterrichtet, der ein angesehener Gelehrter ist. Mama kümmert sich derweil vor allem um meine drei kleineren Schwestern.“

Während sie die Fragen des Viscount beantwortete, war sich Eliza nur allzu bewusst, dass sein Sohn mit argwöhnischer Miene neben ihnen herging.

Aber was missbilligte er? Lady Arbuthnot konnte ihn noch nicht mit einem Bericht über Elizas vermeintliche Ungeschicklichkeit beeinflusst haben.

Oder glaubte er etwa, sie hätte ein Auge auf seinen Vater geworfen? Sie wusste, dass Markham ein wohlhabender Witwer war. Hätte er keinen Titel gehabt, wäre er genau die Art von Heiratskandidat gewesen, zu der ihre Freundin Maggie ihr riet: ein deutlich älterer Mann, der sich leicht um den Finger wickeln ließ. Maggie hielt es für ein erstrebenswertes Ziel, alsbald eine reiche Witwe zu werden, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Das entsprach allerdings nicht Elizas Vorstellungen, auch wenn sie sich redlich bemühte, den Argumenten der Freundin Gehör zu schenken.

Mittlerweile hatten sie das Zimmer mit den Erfrischungen erreicht. Eliza ergriff das Glas mit Wein, das Markham ihr reichte, und versuchte, nicht auf Lord Strathams finstere Blicke zu achten.

Sie erinnerte sich an den Rat ihrer Freundin Lady Laura Pomeroy, dass man einen Gentleman am besten in ein Gespräch verwickelte, indem man sich nach dessen Interessen erkundigte. „Sie waren bis vor Kurzem selbst auf dem Land, nicht wahr, Mylord?“, wandte sie sich an Markham.

„Ja, in Stratham Hall, unserem Familienstammsitz in Hampshire.“

„Haben Sie noch weitere Kinder, die dort mit Ihnen leben?“

„Nein, leider nicht – alle außer meinem Sohn haben geheiratet und sind ausgezogen. Eine Tochter wohnt außerhalb von York, eine andere in der Nähe von Portsmouth und die Jüngste hat kürzlich einen Gentleman aus Northumberland geheiratet.“

„Haben Sie vor, länger in London zu bleiben?“

„Wahrscheinlich bis zum Ende der Saison. Ich bin einsam geworden auf dem Land.“

„London wird Sie bestimmt davon kurieren! Es gibt immer etwas zu erleben, und man begegnet so vielen Menschen! Was bereitet Ihnen hier in der Stadt am meisten Freude?“

„Ich treffe mich gern mit alten Freunden oder gehe ins Theater. Besonders liebe ich es, mir die königliche Sammlung im British Museum anzusehen.“

„Aha, dann sind Sie also auch ein Gelehrter, Mylord?“

„Wahrscheinlich nicht auf dem Niveau Ihres Vaters. Aber ich interessiere mich für Philosophie, Poesie und die Klassiker der Antike.“

„Die antiken Klassiker?“, entgegnete Eliza, die selbst eine begeisterte Leserin war. „Welche mögen Sie am liebsten? Ich bin nicht übermäßig gelehrt, aber mein Vater hat mir Latein und ein wenig Griechisch beigebracht. Ich schätze vor allem Petrarca.“

„Tatsächlich?“ Markham sah beeindruckt aus. „Ich auch! Sie müssen mir erlauben, Ihnen einen Besuch abzustatten, damit wir über unsere Lieblingswerke sprechen können.“

Eliza schüttelte den Kopf und hob abwinkend die rechte Hand. „Sie dürfen mich nicht für zu belesen halten! Ich kenne nur Petrarcas Gedichte. Bei deren Übersetzung hat mir mein Vater zuweilen geholfen.“

„Es würde mich interessieren, welche Gedichte er Ihnen zu lesen gegeben hat.“ Nach einem leicht irritierten Blick auf seinen Sohn, der nichts zum Gespräch beitrug, doch nach wie vor nicht von seiner Seite wich, fügte er hinzu: „Ich werde Sie jetzt zurück zu Ihrem Tanzvergnügen gehen lassen. Aber erlauben Sie mir, Sie morgen zu besuchen?“

„Ich würde mich sehr geehrt fühlen“, entgegnete sie. „Wie ich bereits erwähnte, wohne ich bei Lady Dunbarton in Holly House auf der Brook Street.“

Markham winkte einem Bediensteten, ihnen die leeren Gläser abzunehmen, und bot ihr dann seinen Arm. „Ich bringe Sie zurück zu Ihrer Anstandsdame.“

Stratham trank erst jetzt sein Glas aus, stellte es auf einen Seitentisch und folgte ihnen.

Sie betraten den Ballsaal, und Eliza entdeckte ihre Schwester, die sich gerade mit Freunden unterhielt. „Meine Schwester ist dort drüben“, sagte sie und wies in die entsprechende Richtung.

„Sie sind sicher so freundlich, mich … uns mit ihr bekannt zu machen“, entgegnete Markham mit einem verzagten Blick auf seinen Sohn.

„Selbstverständlich.“

Kurz bevor sie Lady Dunbarton erreichten, beschleunigte Stratham seine Schritte, sodass er jetzt neben ihnen ging.

„Tanzen Sie gern, Miss Hasterling?“

Siehe da, die Sphinx spricht! dachte sie. „Ja, sogar sehr gern, Lord Stratham.“

„Würden Sie mir die Ehre erweisen, mit mir den nächsten Walzer zu tanzen?“

Ein flaues Gefühl machte sich in ihrer Magengrube breit, als sie sich vorstellte, mit diesem großen und muskulösen Mann über das Parkett zu schweben, von ihm geführt und an der Taille umfasst zu werden. Dann kehrte ihr Verstand zurück und erinnerte sie daran, mit welcher Missgunst er sie betrachtete.

Außerdem sollte sie es inzwischen besser wissen und sich nicht von einer starken körperlichen Anziehung mitreißen lassen. Eine äußerst demütigende Zurückweisung sollte für ein ganzes Leben genügen.

Aber wenn er ihr tatsächlich mit Argwohn begegnete, weshalb hatte er sie dann zum Tanz aufgefordert?

Für den Walzer war sie noch nicht vergeben, und auf die Schnelle fiel ihr kein überzeugender Grund für eine Absage ein. „Es wäre mir ein Vergnügen“, antwortete sie zögerlich.

Ihre Schwester bemerkte sie, und ihre verärgerte Miene nahm einen überraschten Ausdruck an, als sie Elizas Begleiter erblickte. Sie knickste zur Begrüßung, was von den Männern mit Verbeugungen erwidert wurde.

„Ich bringe Ihnen Ihren Schützling wohlbehalten zurück, Madam“, sagte der Viscount lächelnd.

„Ich danke Ihnen, Sir! Ich hatte mich schon gefragt, wo sie bleibt.“

„Ich musste meinen Saum flicken“, erklärte Eliza entschuldigend.

Die Schwester runzelte die Stirn, und Eliza wurde bewusst, dass sie die Aufmerksamkeit auf keinen Fall auf den etwas schäbigen Zustand ihres Kleides hätte lenken dürfen. Zweifellos würde ihre Schwester sie später dafür tadeln.

Würde sie denn niemals die Kunst der Konversation erlernen, bei der man jede Bemerkung unterließ, die einen in ein schlechtes Licht rücken konnte?

„Die Verspätung ist meine Schuld“, sagte Markham. „Ich habe Miss Hasterling auf dem Gang getroffen und sie überredet, mir den ersten Ball seit einem Jahr zu verschönern, indem sie ein Glas Wein mit mir trinkt.“

„Maria, du wirst dich an Lord Markham erinnern – und vielleicht auch an seinen Sohn, Lord Stratham? Meine Schwester Lady Dunbarton.“

„Natürlich erinnere ich mich an Sie, Lord Markham. Wie schön, dass Sie wieder in London sind. Ich glaube allerdings nicht, dass ich Ihren Sohn schon kennengelernt habe.“

„Stratham hatte nie viel Interesse an größerer Gesellschaft“, bemerkte Markham trocken. „Überdies hat er mir seit einem Jahr die Bürde abgenommen, mich um die Führung unseres Anwesens zu kümmern, was ihn viel auf dem Land festgehalten hat.“

„Es ist immer eine Freude, einen weiteren gutaussehenden Gentleman in der Stadt zu haben“, sagte Elizas Schwester und schenkte dem jungen Baronet ein strahlendes Lächeln.

„So wie es eine Freude ist, Bekanntschaften zu erneuern, Lady Dunbarton und Miss Hasterling“, verabschiedete sich Markham lächelnd.

„Ich komme bald zurück, um meinen Walzer einzufordern“, versprach Stratham.

Nach einer weiteren Verbeugung schritten Vater und Sohn davon.

Maria sah den beiden nach, bevor sie sich wieder an Eliza wandte. „Was ist passiert?“

Eliza erzählte in knappen Worten von ihrer Begegnung mit dem Viscount, wobei sie nicht erwähnte, dass sie ihn vor einem Sturz bewahrt hatte. Stattdessen berichtete sie, dass er sie erkannt und dann gebeten habe, sie auf ein Glas Wein in das Erfrischungszimmer begleiten zu dürfen. Auf dem Weg hätte sich sein Sohn zu ihnen gesellt.

„Zwei sehr geeignete Heiratskandidaten“, lobte ihre Schwester und nickte anerkennend. „Und der jüngere kommt zurück, um mit dir Walzer zu tanzen! Gut gemacht, Eliza!“

„Er hat nur aus Höflichkeit gefragt“, erwiderte Eliza. Sie wollte nicht näher auf die seltsame Anspannung eingehen, die zwischen diesem Mann und ihr herrschte. Die Anziehungskraft, die er auf sie ausübte, bereitete ihr Unbehagen, zumal er ihr gegenüber einen Argwohn zur Schau trug, der ihre Vorfreude auf den gemeinsamen Tanz entschieden dämpfte.

„Ich weiß, man hat dir eingeschärft, dich in der Gesellschaft deutlich zurückhaltender zu verhalten als im Kreise der Familie, und oftmals gibst du dich sehr wortkarg, wenn du jungen Gentlemen begegnest“, stellte die Schwester fest. „Aber wenn Stratham kommt, um mit dir Walzer zu tanzen … Was für eine großartige Gelegenheit! Du solltest dich entschieden darum bemühen, Konversation mit ihm zu betreiben.“

„Ich unterhalte mich ja meistens … ein wenig“, verteidigte sich Eliza. „Ich fühle mich nur nicht wohl bei kriecherischen Schmeicheleien oder schlimmer noch bei spitzen Bemerkungen über andere, und genau darin besteht die Konversation zwischen den meisten jungen Ladys und Gentlemen. Ich habe keine Probleme, mich mit älteren Männern zu unterhalten, die wie Papa im Allgemeinen weitreichendere Interessen haben.“

„Ältere Männer wie Lord Markham? Er wäre ein guter Fang, wenn auch ein bisschen zu alt für dich. Man munkelt, dass er nach der langen Trauer um seine Frau beschlossen hat, nun eine seelenverwandte Gefährtin zu suchen, die seinen Lebensabend aufhellt. Obwohl ich mir vorstellen könnte, dass du den Sohn vorziehen würdest. Was für ein attraktiver Mann dieser Stratham ist! Außerdem hat er eine ganze Menge Geld, denn nach dem Tod seiner Mutter erbte er die Güter und Ländereien aus ihrer Mitgift. Er ist schon jetzt Baronet und wird nach dem Tod seines Vaters auch noch Viscount.“

„Du solltest es mit deinen Erwartungen an meine Heiratsaussichten nicht übertreiben – und schon gar nicht in Bezug auf diese beiden Gentlemen“, erwiderte Eliza rasch. Der Himmel mochte ihr beistehen, wenn der ohnehin so misstrauische Stratham aus dem Verhalten ihrer Schwester schloss, dass Eliza seinem Vater den Kopf verdrehen wollte!

„Nun, du musst dich darauf konzentrieren, jemanden für dich einzunehmen“, rief ihr Maria mahnend in Erinnerung. „Du weißt, dass Papa es sich nicht leisten kann, dir eine weitere Saison zu ermöglichen. Und so lieb du mir bist, mein Nadelgeld würde nicht dafür ausreichen.“

„Ich weiß. Und ich weiß es auch zu schätzen, dass du dir die Zeit nimmst, mich in diesem Jahr wieder zu begleiten.“

Eliza war nur zu bewusst, dass dies ihre letzte Saison sein würde. Wenn sie bis zum Ende des Sommers keinen Ehemann fand und in die ländliche Wildnis von Saltash zurückkehrte, würde sie wahrscheinlich nie einen finden. Dann würde sie unweigerlich das unglückliche Schicksal vieler anderer adliger, aber mittelloser junger Frauen teilen, die innerhalb der Verwandtschaft von einem Haus zum anderen weitergereicht wurden, um bei der Betreuung der Kinder, kranker Angehöriger oder der Pflege der Alten zu helfen.

So sehr sie es genoss, Zeit mit ihren Neffen und der Nichte zu verbringen, hegte sie doch noch immer die Hoffnung, einmal eigene Babys in den Armen zu halten. Und sie träumte davon, die Herrin eines eigenen Hauses zu sein, in dem sie mit einem Ehemann lebte, der sie unterstützte und den sie liebte und verehrte.

Sie würde den Rat ihrer Schwester befolgen und sich um eine angeregte Unterhaltung mit Lord Stratham bemühen, falls er tatsächlich zurückkam, um seinen Tanz einzufordern.

Dennoch war sie sich ziemlich sicher, dass ihr künftiger Ehemann weder Viscount Markham noch sein ebenso gutaussehender wie misstrauischer Sohn sein würde.

2. KAPITEL

Als sie den Ballsaal durchquerten, machte sich Giles Stratham auf eine Standpauke seines Vaters gefasst, weil er sich bei dessen Begegnung mit Miss Hasterling als Anstandswauwau aufgespielt hatte. Vielleicht reagierte er über, aber als er gesehen hatte, wie die junge Lady besitzergreifend ihre Hand auf den Arm seines Vaters gelegt hatte, war er sofort alarmiert gewesen.

Er wusste, dass sein Vater emotional noch immer zerbrechlich war und sich keineswegs davon erholt hatte, seine Jugendliebe und lebenslange Gefährtin verloren zu haben. Die Einsamkeit stand dem alten Herrn ins Gesicht geschrieben, nachdem er gerade den ersten Winter ohne seine Frau und beste Freundin überstanden hatte. Giles hatte versucht, ihn zu trösten, so gut er konnte. Doch so innig wie die Beziehung zwischen seinen Eltern gewesen war, war er ein magerer Ersatz. Auch er vermisste diese liebenswürdige und energische Frau. Und trotz der Einsamkeit seines Vaters wollte er nicht, dass sie übereilt durch eine andere ersetzt wurde.

„Wo, sagtest du, wartet Withram auf mich?“, fragte sein Vater schließlich.

„Im Kartenzimmer.“

„Dann werde ich ihm dort Gesellschaft leisten. Wir sehen uns später.“

Er beobachtete, wie sein Vater sich entfernte, und atmete erleichtert auf, weil der Viscount das heikle Thema von Giles’ Einmischung nicht zur Sprache gebracht hatte. Da er seinen Vater im Kartenzimmer vor weiblichen Avancen sicher wähnte, brauchte er nicht länger auf ihn aufzupassen.

Er schlenderte aus dem Ballsaal und dann den verlassenen Gang hinunter. Er war froh, einen Moment in Ruhe nachdenken zu können. Es war nicht so, dass er seiner geliebten Mutter zuliebe die Möglichkeit einer erneuten Heirat seines Vaters ausschloss. Seine Mama hätte gewollt, dass ihr lieber Markham sein Leben weiterführte und nicht in Trauer versank.

Giles machte sich lediglich Sorgen, dass sein einsamer Vater das Opfer einer hinterlistigen Frau werden könnte, der es letztlich nur darum ging, eine reiche Viscountess zu werden.

War dies der Grund für Miss Hasterlings eifrige Nachfragen nach Haus und Familie? Wollte sie seine Interessen herausfinden, um anschließend Übereinstimmungen zu heucheln, die bei seinem Vater freudige Überraschung auslösten?

Er war neugierig, Miss Hasterling über Petrarca sprechen zu hören.

Sie wäre nicht die erste Frau, die seinem Vater nachstellte. Nur sechs Monate nach dem Begräbnis hatten vermeintlich mitfühlende Matronen aus ganz Hampshire begonnen, den Viscount zu Dinnern in ruhiger familiärer Runde einzuladen. Stets hatte man ihn dann am Tisch neben einer hübschen ledigen Frau platziert.

Diese Bemühungen hatten sich intensiviert, als das Trauerjahr des Viscount endete und er mit Giles nach London zurückkehrte. Binnen weniger Stunden nach ihrer Ankunft trafen haufenweise Einladungen ein – insbesondere zu Abendgesellschaften, bei denen sein Vater attraktiven Damen vorgestellt wurde – von Mädchen, die kaum dem Schulzimmer entwachsen waren, bis hin zu Witwen mit erwachsenen Kindern.

Miss Hasterlings Petrarca-Masche hat Markham so beeindruckt, dass er versprochen hat, sie im Haus ihrer Schwester zu besuchen, dachte Giles beunruhigt. Das war wiederum der Grund, weshalb er sich wenig später einen Tanz mit ihr gesichert hatte. Er brauchte eine gute Ausrede, um ihr ebenfalls einen Besuch abzustatten – möglichst gemeinsam mit seinem Vater, sodass er ihn schützend im Auge behalten konnte.

Zugegebenermaßen machte Miss Hasterling einen recht netten Eindruck, zumindest wenn ihre Äußerungen ihren wahren Charakter widerspiegelten. Sie war zwar keine atemberaubende Schönheit, aber durchaus nicht reizlos. Mit ihrer schlanken Figur, dem herzförmigen Gesicht und den großen braunen Augen besaß sie die süße unschuldige Erscheinung, die in galanten Männern wie seinem Vater den Wunsch erregen mochte, den Beschützer zu spielen.

Eine süße Unschuld … wie Arabella.

Der alte Schmerz flammte wieder in ihm auf und vertiefte sein Unbehagen, als er an die junge Frau mit den großen Augen dachte, die sein jugendliches Herz erobert und ihn dann verlassen hatte. Während er sich weit weg an der Universität aufgehalten hatte, hatte sie einen älteren, wohlhabenderen Gentleman geheiratet.

War Miss Hasterling ähnlich durchtrieben? Plante sie, seinen Vater zu bezirzen?

Nicht, wenn ich es verhindern kann! entschied er mit grimmiger Entschlossenheit. Er würde seinen Vater vor den Qualen schützen, die Giles durch intrigante Frauen erlitten hatte – ganz gleich, ob die Gefahr von einer jungen Unschuld oder einer raffinierten Schönheit ausging.

Im Nu hatte Giles nicht mehr Arabella, sondern die umwerfende Lucinda vor Augen. Ausgestreckt auf dem Sofa ihres Wohnzimmers und nur mit einem Negligé bekleidet, das ihre verlockenden Kurven betonte, hatte sie verzückt das Diamantarmband betrachtet, das ihr schlankes Handgelenk zierte. Sie war so in die Betrachtung vertieft gewesen, dass sie sein Eintreten nicht bemerkt und gar nicht erst versucht hatte, es vor ihm zu verbergen.

Wut, Abscheu und ein tief vergrabener Schmerz stiegen in ihm hoch. Ich habe wirklich nicht viel aus meinem ersten Herzeleid gelernt, dachte er verbittert. Von dem Moment an, als er der frisch verwitweten Lady Evans vor acht Jahren erstmals in London begegnet war, war er von ihr fasziniert gewesen.

Er hatte ihr hartnäckig den Hof gemacht und war von der Vorstellung besessen gewesen, sie ganz zu besitzen. Dabei hatte er versucht, geflissentlich darüber hinwegzusehen, dass sie weitere Männerbekanntschaften unterhielt. Angetrieben von der Vorstellung, Arabella verloren zu haben, weil er ihr nicht rechtzeitig die Ehe angetragen hatte, hatte er Lucinda voreilig gebeten, ihn zu heiraten. Daraufhin hatte sie entgegnet, schon einmal verheiratet gewesen zu sein und es schrecklich langweilig gefunden zu haben.

Sie war in viel zu jungen Jahren mit Lord Evans verheiratet worden, einem älteren Mann mit erwachsenen Kindern. Die Ehe war eine Katastrophe für sie gewesen. Zweifellos hatte Lord Evans die drückenden finanziellen Nöte ihrer Familie gelindert, doch dafür war Lucinda wie eine Gefangene fernab der Gesellschaft auf dem Landsitz ihres Mannes eingesperrt gewesen, bis dessen Tod ihr die Rückkehr nach London ermöglichte.

Giles war dieser Witwe in ihrer ersten triumphalen Saison begegnet. Natürlich hatte er zugestimmt, dass sie nach der langen ländlichen Einsamkeit ein Anrecht darauf besaß, als die Schönheit gefeiert und bewundert zu werden, die sie war. Selbstverständlich gönnte er ihr den ein oder anderen harmlosen Flirt bei ihren erfolgreichen Bemühungen, Anerkennung in den höchsten Kreisen von Parlament und Hof zu erlangen. Stets hatte er gehofft, dass sie nach einer Zeit im Rampenlicht bereit sein würde, sich auf ihn als einzigen treuen Geliebten einzulassen, wie sie es auch immer wieder beteuert hatte.

Doch die Begegnung in der letzten Woche hatte seine Eifersucht zum Überkochen gebracht. Er hatte sie dabei erwischt, wie sie das Diamantarmband bewunderte, das ihr ein anderer Verehrer geschenkt hatte, während Giles sich auf dem Land um sein Familienanwesen gekümmert hatte. In einem wütenden Wortwechsel hatte er ihr den Namen ihres Liebhabers entlockt. Es war ausgerechnet Melbourne, ein Mann, der stets viele Liebschaften gleichzeitig unterhielt und ihr das Schmuckstück gewiss nicht zum Dank für ihre politischen Ratschläge geschenkt hatte! Nach einer dramatischen Trennungsszene war Giles entschlossen, nicht mehr denselben Fehler zu begehen wie zuvor. Schon oft hatte Lucinda ihm Anlass zu rasender Eifersucht gegeben, doch nach jedem Streit war er zu seinem Juwelier geeilt und hatte für sie ein besonders kostbares Geschenk erworben, um seine Vorrangstellung in ihrem Leben zu behaupten.

Jetzt musste er sich endlich aus diesem Teufelskreis befreien. Das nächste Schmuckstück, das er für sie auswählte, würde ein Abschiedsgeschenk sein.

Er war sich nicht sicher, wann genau seine Geduld schließlich erschöpft gewesen war und er erkannt hatte, dass er sich in den letzten Jahren vergeblich um eine dauerhafte Beziehung bemüht hatte. Lucinda würde niemals bereit sein, sich mit nur einem Mann zu begnügen. Und er hatte endgültig genug von diesem Spiel.

Würde sie wieder versuchen, ihn zu umgarnen, sobald sie spürte, dass er sie tatsächlich verlassen wollte? Wollte er, dass sie es versuchte?

Auf beide Fragen kannte er die Antwort nicht.

In der Vergangenheit hatte es Lucinda nie etwas ausgemacht, wenn ein Verehrer beschloss, ihr nicht länger den Hof zu machen. Schließlich tauchten stets genügend neue auf, die begierig waren, dessen Platz einzunehmen.

Doch womit würde er die Lücke füllen, die der Verzicht auf sie in seinem Leben hinterließ?

Ein bedrückendes Gefühl der Leere breitete sich in ihm aus. Wenn er sich weiter um Stratham Hall kümmerte, würde er natürlich genug beschäftigt sein. Da der Kummer seinen Vater im letzten Sommer außer Gefecht gesetzt hatte, hatte Giles notgedrungen die Zügel übernommen. Als sich sein Vater allmählich erholte, hatte Giles ihm vergeblich angeboten, wieder alles zurück in dessen Hände zu legen. Markham hatte entgegnet, sich lieber künftig mehr mit seinen Büchern und mit Musik beschäftigen zu wollen und dem Sohn die Verantwortung für das Anwesen zu überlassen, das ohnehin bald in dessen Besitz übergehen würde.

Ein Crescendo riss Giles aus seinen Gedanken. Die Musiker hatten ihre Pause beendet, und er musste in den Ballsaal zurückkehren und Miss Hasterling auf die Tanzfläche führen.

Es schien ihm geboten, die Lage im Auge zu behalten, bis sein Vater ausreichend Geistesgegenwart zurückerlangt hatte, um zu erkennen, ob eine Frau ihn nur wegen seines Reichtums und der gesellschaftlichen Stellung schätzte. Sobald er überzeugt war, dass sein Vater diese Fähigkeit wiedererlangt hatte, würde Giles ihm alle Freiheit gewähren, sich eine Gefährtin zu suchen, die ihm den Lebensabend verschönerte.

Giles würde sich dann dauerhaft auf dem Land niederlassen und sich auf die Bewirtschaftung der Ländereien konzentrieren.

Als Erbe des Anwesens und des Titels konnte er sich jedoch nicht der Pflicht entziehen, irgendwann selbst eine Ehefrau zu finden. Zum Glück ließ sich diese unangenehme Angelegenheit auf einen späteren Zeitpunkt verschieben.

Giles besann sich auf die momentan bevorstehende Aufgabe, betrat den Ballsaal und suchte nach Miss Hasterling. Er fand sie im Gespräch mit einer hochgewachsenen Lady mit kastanienbraunem Haar und einem älteren Gentleman, die er beide nicht kannte. Da er nur selten Bälle und größere Festivitäten besuchte, war das nicht weiter verwunderlich. Lucinda bevorzugte die intimeren Zusammenkünfte im kleinen Kreis ihrer wichtigen Freunde aus der Politik und dem höfischen Umfeld.

„Miss Hasterling“, sprach er die junge Frau an und verbeugte sich. „Wie Sie sich gewiss erinnern, haben Sie mir den nächsten Walzer versprochen.“

„Ja, in der Tat“, antwortete sie und knickste.

„Bevor wir gehen, darf ich Sie meiner liebsten Freundin vorstellen? Lady Margaret D’Aubignon, das ist Lord Stratham, der Sohn von Lord Markham, der kürzlich nach London zurückgekehrt ist. Lord Stratham, Lady Margaret und Mr. Fullridge, ein Freund von ihr.“

Während die entsprechenden Begrüßungsfloskeln gemurmelt wurden, fragte sich Giles, ob Fullridge ein weiterer älterer Gentleman war, den Miss Hasterling ins Visier genommen hatte. Aus dem unfreundlichen Blick, den der Mann ihm zuwarf, ließ sich jedenfalls schließen, dass er es ihm verübelte, sie auf die Tanzfläche zu entführen.

„Komm bitte nach dem Tanz wieder zu uns zurück. Mr. Fullridge hat noch kaum Zeit gehabt, sich mit dir zu unterhalten“, sagte Lady Margaret, womit sie Giles’ Verdacht bestätigte, dass der andere Mann Interesse an Miss Hasterling hatte.

„Ganz wie du möchtest, Margaret“, antwortete sie gelassen.

Verstohlen musterte Giles die junge Frau, die er auf die Tanzfläche führte. Sie schien weder auf seine Gesellschaft erpicht zu sein noch darauf, zu dem älteren Gentleman zurückzukehren. Sie bemühte sich nicht, Giles in ein Gespräch zu verwickeln, als wäre es ihr gleichgültig, ob er ihr weiter Beachtung schenkte.

Das erschien ihm seltsam. Die wenigen Male, bei denen er sich allein in größere Gesellschaft gewagt hatte, war er von einer Schar heiratswilliger Debütantinnen umringt und von deren Müttern hofiert worden. Obwohl Miss Hasterling sicherlich wusste, dass er als gute Partie galt, schien sie es nicht darauf abgesehen zu haben, ihn zu umschmeicheln.

Auch wenn ihm ein solches Verhalten aufgrund seiner Erfahrungen fremd vorkam, waren vielleicht nicht alle Frauen auf Beutezug.

Dennoch musste er sich eingestehen, dass ihr offensichtliches Desinteresse ihn ein wenig pikierte.

Vielleicht bevorzugt sie ältere Verehrer? überlegte er mit wachsendem Unbehagen. Er musste diesen Walzer nutzen, um so viel wie möglich über sie in Erfahrung zu bringen.

„Sind Sie schon seit Beginn der Saison in London?“, erkundigte er sich, als sie Aufstellung nahmen.

„Ja, meine Schwester und ich trafen schon kurz nach dem Beginn der Saison ein.“

„Dann müssen Sie bereits eine ganze Reihe von Bällen besucht haben.“

„Nicht viele, um ehrlich zu sein. Meine Schwester hat ihre Kinder mitgebracht, und weil es zwei von ihnen nicht gut ging, habe ich mich um sie gekümmert.“

„Sie waren zu krank, um sie der Obhut eines Kindermädchens zu überlassen?“, fragte Giles erstaunt.

„Nein, nicht ernsthaft krank, dem Himmel sei Dank. Aber so quengelig, dass sie die Fürsorge einer liebevollen Tante zu schätzen wussten“, antwortete sie lächelnd. 

Für die Saison ließen die meisten Aristokraten ihre Kinder entweder auf dem Land oder wenn sie sich schon die Mühe machten, sie mitzunehmen, wurden sie ganz der Betreuung des Personals überlassen. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals von einer Lady gehört zu haben, die einen Ball verpasst hatte, um ein krankes Kind zu pflegen. Wurde von Miss Hasterling etwa erwartet, sich als unbezahlte Hilfe für ihre Schwester zu verdingen?

Er müsste sich diskret über ihre finanziellen Verhältnisse erkundigen. Auch wenn sie die Ausbesserung ihres Saums nicht erwähnt hätte, ließ sich nicht übersehen, dass ihr Kleid weder neu noch modisch war. Nachdem er Lucinda zahllose Male zu deren bevorzugten Modistinnen begleitet und viele der Kleider bezahlt hatte, wusste Giles mehr über die aktuellen Stilrichtungen, als ihm lieb war.

Falls Miss Hasterling in finanziellen Schwierigkeiten steckte, war ihre Suche nach einem Ehemann noch verzweifelter als in den meisten anderen Fällen. Das würde auch erklären, weshalb sie sich mit der Aussicht auf einen deutlich älteren Ehemann begnügte, obgleich ihr ein jüngerer und gutaussehender Mann wahrscheinlich lieber gewesen wäre.

„Wie … mitfühlend von Ihnen, sich um die Kinder Ihrer Schwester zu kümmern“, sagte er schließlich und versuchte vergeblich, nicht skeptisch zu klingen. „Dann müssen Sie die wenigen Festivitäten, die Sie besuchen, sogar noch mehr genießen.“

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