Ein Kuss verändert alles

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Wilde Rodeos, heiße Flirts, verräucherte Bars - das ist die Welt des Cowboys Tate Harrison. Zumindest, bis ihn die hinreißende Amy um seine Hilfe bittet: Er soll ihr bei der Geburt ihres Babys helfen! Eine Herausforderung für sein Herz …


  • Erscheinungstag 17.01.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733772888
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Tate Harrison legte die großen, schwieligen Hände an die Schläfen und starrte durchs Fenster in die Küche der Beckers. Abgesehen von zwei Tellern, die zusammen mit zwei Gabeln und Gläsern auf der Spüle standen, war alles außergewöhnlich ordentlich. Natürlich, es war ja auch Amys Küche. Die einzigen Fingerabdrücke waren vermutlich die, die er jetzt an der Scheibe hinterließ. Er schob die Hände in die Taschen und sah sich das Farmhaus von außen an. Es hatte einen neuen Anstrich nötig.

Er klopfte ein zweites Mal an die Hintertür und sah wieder durchs Fenster. Wie immer war er derjenige, der von draußen nach drinnen sah. So mochte er es, vor allem wenn er heim nach Overo kam. Montana gefiel ihm am besten von draußen. Reichlich Bewegungsfreiheit. Reichlich Gelegenheit für einen Cowboy, weiterzuziehen und sich eine sattere Weide zu suchen, wenn ihm danach war. An das Weiterziehen hatte er sich gewöhnt, es gehörte zu seinem Job und seinem Leben, aber wann immer er in der Gegend war, besuchte er die Beckers.

Diesmal tat er es allerdings mit gemischten Gefühlen. Bis vor einem Jahr hatte Kenny Becker das Land, das Tate nach dem Tod seines Stiefvaters geerbt hatte, gepachtet. Jetzt hier aufzutauchen, um über geschäftliche Dinge zu reden, kam ihm irgendwie komisch vor. Kenny war Tates bester Freund, und Tate wollte ihm das Land verkaufen, sobald Kenny das Geld dafür zusammenhatte. Jedenfalls war das so vorgesehen gewesen.

Doch als Kenny im letzten Jahr die Pacht nicht mehr hatte zahlen können, hatte Kenny ihm versichert, dass es genug Nachbarn gebe, an die er verpachten könne. Aber Tate hatte sein Land keinem anderen verpachten wollen. Er hatte angerufen, der Familie schöne Weihnachten gewünscht und Kenny gesagt, er solle weitermachen und ihm vom Ertrag der Heuernte das zahlen, was er erübrigen könne. Amy hätte nicht gewollt, dass sie das Land umsonst bekamen. Aber er und Kenny waren Freunde, und wenn die Zeiten hart waren, mussten Freunde einander helfen.

„Seid ihr wirklich okay?“, hatte Tate damals am Telefon gefragt. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Kenny seine Herde verringern würde, obwohl es das einzig Vernünftige wäre. Kenny liebte seine Pferde, auch die, die kein Geld einbrachten, und genau die Einstellung hatte ihn in die roten Zahlen geführt. „Weißt du, wenn es sein muss, verkauf meinen Anteil am Heu, und nimm das Geld, um …“

„Danke, Kumpel, aber es geht schon. Amy hat da nebenbei was laufen, und … na ja, es ist ’ne lange Geschichte, aber nächstes Jahr sieht’s bestimmt schon besser aus. Du solltest endlich heiraten und zur Ruhe kommen, Tate. Ich sag dir …“

„Es geht mir gut, Ken“, erwiderte Tate. „Im Herbst setzen wir uns zusammen und überlegen, was wir machen. Notfalls verkaufe ich das Land. Meine Bank sagt mir, die Schürfrechte sind jetzt schon mehr wert als das Gras.“

Tate hatte Overo verlassen, als sein Stiefvater vor sieben Jahren starb, und war seit mindestens zwei Jahren nicht mehr dort gewesen. Außer Kenny zog ihn nichts mehr hierher zurück. Kenny Becker war sein bester Freund.

Leider hatte Amy, die Frau seines besten Freundes, für Tate Harrison und sein unstetes Leben nicht viel übrig. Sie duldete ihn nur, weil sie Kenny liebte. An ihrem Hochzeitstag hatte Tate ihr Glück gewünscht und es ernst gemeint. So, wie es jetzt auf der Farm aussah, war das Glück offenbar etwas knapp geworden.

Tate rüttelte an der Tür, doch sie war verschlossen. Die beiden mussten zusammen in die Stadt gefahren sein. Er ging ums Haus und rief in Richtung Scheune. Die einzige Antwort kam von den beiden Hunden, die wie wahnsinnig gebellt hatten, als er ankam. Ein Border Collie und ein Catahoula Leopard, beide neu. Er fragte sich, was aus dem alten schwarzen Labrador geworden war, den er und Kenny immer mit zum Angeln genommen hatten.

Auf dem Weg zum Pick-up wäre er fast über ein kleines rot-weißes Fahrrad gestolpert, das neben dem heruntergekommenen Zaun lag. Ihr kleiner Junge konnte noch nicht groß genug sein, um damit zu fahren. Mit Kennys lockigem Haar und den großen braunen Augen seiner Mutter war er süß genug, um selbst in jemandem wie Tate den Wunsch zu wecken, irgendwann einmal Vater zu werden.

Tate lehnte sich an seinen Wagen. Die frische Oktoberbrise fühlte sich gut an. Das hier war ein hübscher Ort. Viel Wasser und Gras, schöne Aussicht auf die schneebedeckten Berge. Heimweh verspürte Tate immer nur dann, wenn er an diese Farm dachte. Sein eigenes Haus hatte er sofort verkauft, nur das Land hatte er behalten. Er verdiente genug Geld als Rodeo Cowboy, Lastwagenfahrer und Bauarbeiter, was immer sich gerade ergab. Die Pacht war immer auf die Bank gewandert. Er brauchte das Land nicht und war heilfroh, ihm nicht seine besten Jahre geopfert zu haben.

Aber Kenny schien ihm auch nicht gerade viel Schweiß zu opfern. Viel Heu hatte er nicht geerntet. Westlich vom Haus war erst die Hälfte gemäht worden. Und was noch schlimmer war: Auf der Wiese trieben sich Schafe herum. Typisch Kenny, seine Großzügigkeit von irgendeinem Nachbarn ausnutzen zu lassen. Aber so, wie es hier aussah, konnte Kenny sich solche Großzügigkeit nicht leisten. Abgesehen von den Hunden und den fremden Schafen herrschte kein Leben. Keine Pferde im Korral. Keine einzige Kuh in Sicht.

Je länger er darüber nachdachte, desto weniger gefiel ihm, was er sah. Tate holte er die Wagenschlüssel aus der Tasche und riss die Fahrertür auf. Auf dem Weg in die Stadt würde er wahrscheinlich an sauber gestapelte Heuballen vorbeikommen. Vielleicht auf der Alfalfa-Wiese, wo Kenny in diesem Jahr zwei Ernten eingefahren haben müsste. Eigentlich hätte er die Ballen näher am Haus lagern sollen, damit er es im Winter nicht so weit hatte. Fauler Kerl.

Aber so war Kenny nun einmal.

1. KAPITEL

„Was soll das heißen: ‚seit Kenny Becker den Löffel abgegeben hat‘?“, fragte Tate scharf und starrte Ted Staples entsetzt an.

Der Barkeeper stellte die Whiskeyflasche so vorsichtig auf den Tresen, als wäre sie aus zartem Kristall. Dann hob er erstaunt den Blick.

„Ich meine, seit Kenny gestorben ist“, verbesserte er. „Klingt das besser? Seit Kenny gestorben ist, rufen die Frauen hier dauernd an und fragen nach ihren Männern.“

Tate begriff noch immer nicht. Die Neonschrift über dem Tresen begann plötzlich vor seinen Augen zu verschwimmen. Verdammt, er hatte doch erst einen Drink gehabt. „Wovon redest du, Ted?“

„Meistens sage ich den Frauen, dass ihr Mann nicht hier ist. Oder gerade gegangen ist. Aber man hört diesen Er-ist-schon-so-lange-weg-Ton in ihrer Stimme und weiß genau, warum sie sich Sorgen machen.“

„Kenny …“

„Na ja, du weißt doch …“ Ted schenkte Tate noch einmal nach. Schließlich war es ein heikles Thema. „Wir haben eine Weile gebraucht, bis wir ihn gefunden hatten. Wundert mich, dass du nicht zur Beerdigung gekommen bist, Tate. Ihr zwei wart euch doch mal nah genug, um denselben Zahnstocher zu nehmen.“

„Wann …“ Tate schien zugleich die Luft und die Stimme wegzubleiben. Er nahm einen kräftigen Schluck, um die Kehle wieder freizubekommen. Dann schob er den schwarzen Stetson zurück und sah Ted ins Gesicht. Er musste sichergehen, dass der Alte sich keinen makaberen Scherz mit ihm erlaubte. „Wann?“

„Im letzten Winter.“ Ted drehte sich zu Gene Leslie, der auf dem Hocker an der Ecke saß. „Im März?“

„Anfang März“, bestätigte Gene.

Tate begriff noch immer nicht. Der Schweiß brach ihm aus. Hier in der Jackalope Bar zog niemand die Jacke aus, weil man sie nirgends aufhängen konnte. Und alle trugen Cowboyhüte, denn im Jackalope hingen nur Cowboys herum.

„Stimmt nicht“, sagte Gene nachdenklich. „War wohl doch mehr Mitte März. Die Färsen hatten gerade gekalbt, und ich glaube …“ Er kniff die Augen zusammen, starrte Tate durch den blauen Qualm an. „Wusstest du das mit Kenny noch gar nicht?“

Tate schüttelte den Kopf. „Was zum Teufel ist passiert?“

„Er war an dem Tag noch hier.“ Ted wischte sich die Hand an dem Tuch ab, das er sich in den Gürtel gestopft hatte, und zeigte auf den Tisch an der gegenüberliegenden Wand. „Saß da drüben und hat mit Ticker Thomas, dem Pferdehändler, geredet. Bis zum späten Nachmittag. Als seine Frau anrief, habe ich ihr gesagt, dass er schon weg ist. Und dass er nüchtern war. Danach hat sie nämlich gefragt.“

„War er ja auch. Leider“, ergänzte Gene. „Wenn er mehr Alkohol intus gehabt hätte, hätte er die Nacht vielleicht überlebt. Mein Onkel Amos hat mal zwei Tage durchgehalten. Mitten im November, als er im Graben gelandet ist.“

„Dein Onkel Amos ist selbst zum Sterben zu starrköpfig“, sagte Charlie Dennison mit schwerer Zunge.

„Er war randvoll. Deshalb hat’s ihm auch nicht so viel ausgemacht, als sie ihm die erfrorenen Zehen abgenommen haben.“ Gene rückte seinen Hut zurecht. „Der arme alte Kenny hätte mehr tanken sollen.“

„Kenny trank nur Bier“, sagte Tate. „Sein alter Pick-up stand nicht auf der Ranch. War es ein …“

Gene schüttelte den Kopf. „Nein. Er ist abgeworfen worden. Der Boden war noch steinhart gefroren. Der Schädel ist geplatzt.“

„Wir wissen noch immer nicht, warum er um die Zeit mit dem Pferd unterwegs war“, warf Ted ein. „Wie gesagt, seine Frau hat überall herumtelefoniert. Dann hat sie nach ihm gesucht, also war niemand zu Hause. Er muss seinen Pick-up auf die Weide gefahren haben, hat sich ein Pferd genommen und ist losgeritten. Ohne Sattel. So reimen wir es uns jedenfalls zusammen.“

„War Vollmond und saukalt in der Nacht“, erinnerte sich Charlie.

„In solchen Nächten sind wir immer losgezogen“, sagte Tate. Kenny liebte die Nächte, in denen der Himmel voller Sterne war. „Auch immer ohne Sattel. Hält den Hintern warm.“

„Vielleicht haben sie dich nicht finden können, Tate“, meinte Ted mitfühlend.

„Vielleicht haben sie es gar nicht versucht.“ Amy, dachte er. Vielleicht hatte Amy ihn nicht dabei haben wollen, als sie ihren Mann begrub.

„Das kleine Mädchen war verdammt fertig, aber ich wette, sie hat versucht, dich zu erreichen.“

Tate widersprach nicht. „Wer hat ihn gefunden?“

„Sie.“

„Amy?“

„Als sie Kennys Pick-up fanden und dann das Pferd mit dem Zaumzeug, haben sie einen Hubschrauber losgeschickt. Einige von uns sind losgeritten. Aber seine Frau hat die Hunde genommen und ist zu Fuß los. Sie hat ihn gefunden.“

„Er war in einen Felsspalt gefallen. Möchte wissen, was passiert ist.“

Es war ein Traum. Ein übler Traum. Die Art, die nicht aufhörte, wenn man aufwachte. Tate kannte solche Träume gut. Es war nicht sein Erster. Er starrte an die vom Tabakqualm fast schwarze Decke. „Allgütiger“, flüsterte er.

Allgütiger, lass es nicht wahr sein.

Er seufzte schwer. „Hoffe, sie hat einen ordentlichen Preis für das Vieh bekommen.“

„Sie hat noch nicht viel verkauft“, berichtete Ted. „Sie sagt, sie will die Ranch weiterführen, sie und der Junge.“

Tate nahm den Blick von dem Streichholz, das er am Daumennagel angerissen hatte. „Der Junge ist doch erst … drei oder vier?“

„Na und? Ich hab schon mit vier Vieh gefüttert“, behauptete Charlie.

Gene lachte. „Sicher, Dennison. Selbst mit vierundvierzig weißt du noch nicht, an welchem Ende du sie füttern musst.“

„Hat sie jemanden angeheuert?“, fragte Tate, während einer der Cowboys die Münzen in die Jukebox warf.

„Na ja, sie hat’s versucht“, antwortete Ted. „Im letzten Sommer. Der Typ sah aus wie ’ne Vogelscheuche. Nach etwa ’ner Woche hat sie ihn mit der Schrotflinte von der Ranch gejagt. Meinte, er habe versucht, sie anzumachen.“

„Und ihre Familie?“, fragte Charlie. „Man sollte meinen …“

„Ihre Mutter lebt irgendwo in Florida. Nach Kennys Tod war sie ’ne Weile hier, ist dann aber wieder weg.“ Als Gene ihm ein Zeichen gab, schob Ted eine Flasche Bier über den Tresen. „Mrs Becker hat Mut, das muss ich ihr lassen. Aber der Winter ist ’ne schlechte Zeit zum Verkaufen. Wenn Sie ein paar Monate durchhält, müsste sie gutes Geld für die Ranch bekommen.“

„Im Moment ist sie bei der Auktion“, berichtete Charlie. „War gerade da. Ich glaube, sie will ein paar Pferde verkaufen.“

Tate war versucht, in der Bar zu bleiben und sich besinnungslos zu trinken. Diese Leute redeten, als wäre Kennys Tod das Selbstverständlichste auf der Welt. Es konnte einfach nicht wahr sein. Kenny war erst dreißig, um Himmels willen. Undenkbar, dass er jetzt kalt und stumm zwei Meter unter der Erde lag. Das war es nämlich, was tot bedeutete. Sein Freund konnte nicht tot sein.

Tate leerte sein Glas. Dann glitt er vom Hocker und knallte einen Zwanziger auf den Tresen.

Ted schob den Schein zurück. „Geht aufs Haus, Tate. Tut mir wirklich leid, dass du es so erfahren musstest.“

„Irgendwie musste ich’s ja erfahren“, erwiderte Tate. „Gib den Jungs noch eine Runde von mir. Für Kenny. Bei seiner Beerdigung gab’s keine Blumen mit meinem Namen drauf, also denkt Gutes über Kenny, wenn ihr das nächste Glas leert. Er hat immer sein Bestes gegeben.“

Die Worte kamen Tate etwas zu salbungsvoll vor, aber alle Anwesenden nickten zustimmend.

„Sie ist drüben bei der Auktion?“ Aus Gewohnheit schlug er den Kragen seiner Lammfelljacke hoch, obwohl er sie nicht zuknöpfte.

Von Tates Freunden waren nicht viele auf der Auktion, aber so mancher der alten Kumpel seines Stiefvaters erkannte ihn und gratulierte ihm zu dem Foto im Rodeo Sports News. Keine große Sache, erklärte er ihnen. Er habe in diesem Sommer ein paar gute Ritte gemacht, sei aber noch nicht im nationalen Finale.

Tate umrundete die Käfige, in denen die Kinder der Rancher Kaninchen und Kätzchen zum Verkauf anboten, und eilte die Stufen zur Galerie hinauf. Er suchte sich keinen Sitzplatz, sondern stellte sich dorthin, wo er die ganze Scheune im Blick hatte, ohne allzu sehr aufzufallen.

Er brauchte nicht lange, bis er sie entdeckt hatte. Viel mehr als ihren Hinterkopf sah er nicht, doch der fiel zwischen all den Cowboyhüten und strohblonden Stoppelmähnen gleich auf. Ihr Haar hatte dieselbe Farbe wie das Fell der dunkelbraunen Stute, die er als Kind mal gehabt hatte. Die Rottöne sah man nur, wenn sie in der Sonne stand. Im Haus glänzte es wie dunkler Nerz. Sie trug es lang. Heute hatte sie es zu einem langen Zopf geflochten. Sie saß unten am Ring, allein.

Sie wirkte wie eine aufmerksame Schülerin, den Blick artig auf den Lehrer gerichtet. Hätte Fremdsprachenunterricht sein können, so schnell ratterte der Auktionator die Zahlen herunter. Kein Problem für Amy. Er hatte sie in der Schule nicht gekannt, aber sie war eine Frau, die vermutlich in jedem Fach die Klassenbeste gewesen war. Der arme Kenny hätte es beinahe nicht geschafft, aber Tate hatte ihm oft genug die Hausaufgaben zukommen lassen, um ihn durch die Highschool zu bringen.

Er fragte sich, ob sie das wusste. Für sie war Tate immer nur jemand gewesen, der Kenny in Schwierigkeiten brachte. Ob sie auch wusste, dass er Kenny zum Abschluss verholfen hatte? Egal, dachte Tate. Im Großen und Ganzen wusste sie, mit wem sie es zu tun hatte.

Er sah zur Anzeigetafel hinüber, auf der die Zahlen aufleuchteten. Gute Reitpferde gingen für billiges Geld weg. Er hörte zu, wie der Auktionator die nächsten Pferde anpries. Sie kamen aus dem Stall des verstorbenen Kenny Becker, der einige der besten Reitpferde von Montana gezüchtet hatte. Die hier waren angeblich die besten aus seiner Herde.

Kenny war ein Träumer gewesen, und die vier da unten waren wahrscheinlich die einzigen, die er richtig eingeritten hatte.

Reitpferde verkauften sich immer besser, wenn jemand sie unter dem Sattel vorführte. Tate war froh, als er sah, dass Amy einen Jungen angeheuert hatte, um sie zu reiten. Er wusste noch, wie er und Kenny sich auf jeder Aktion nach diesem Job gedrängt hatten. Meistens hatten die Züchter Tate genommen. Er wirkte einfach so, als wäre er im Sattel zur Welt gekommen.

Die Gebote ließen ziemlich auf sich warten, also beschloss Tate, einzuspringen und den Preis des rotbraunen Wallachs ein wenig in die Höhe zu treiben. Er schob den Hut zurück, machte ein unauffälliges Handzeichen und nickte dem Auktionator zu. Beim ersten Mal klappte es, doch am Schluss war er bei zwei der vier Pferde auf seinem letzten Gebot sitzen geblieben. Er war nicht unzufrieden. Fünfhundert pro Stück war kein schlechter Preis.

Vielleicht konnte er die Sache im Verkaufsbüro so abwickeln, dass Amy nicht merkte, wer sie gekauft hatte. Danach würde er sich die Tiere genauer ansehen und überlegen, was er mit einer fünfjährigen Stute und einem sechsjährigen Wallach anfangen sollte. Er inspizierte gerade die Hufe des Wallachs, als die Vorbesitzerin ihn in flagranti erwischte.

„Für den hast du viel zu viel bezahlt.“

Ihre Stimme war ihm immer unter die Haut gegangen. Sanft und tief, auf verführerische Weise rauchig. Er hob den Kopf und sah direkt in ihre dunkelbraunen Augen. Langsam richtete er sich auf.

„Hallo, Amy.“

„Sieht dir gar nicht ähnlich, dir die Ware erst nach dem Bezahlen anzusehen, Tate Harrison. Das war immer einer der Hauptunterschiede zwischen dir und Ken.“

„Ich war zu spät hier.“ Er wischte sich die Hände an der Jeans ab. „Aber eigentlich erkenne ich ein gutes Sattelpferd, wenn ich es sehe.“

„Hab ich gehört. Ken hat auf deinen Pferdeverstand geschworen. Leider hast du den Verstand mitgenommen, als du weggingst.“

Das war schon jetzt die zweite Spitze. „Ich glaube, mein Weggehen hat niemanden enttäuscht“, entgegnete er und schwang sich über das Gatter. Am liebsten wäre er oben sitzen geblieben. Kenny war tot, und Amy machte ihm irgendwie Angst. Er wollte nichts Falsches sagen, wollte sie nicht zum Weinen bringen. Die kalte Herbstluft hatte ihr Gesicht gerötet, aber die Schatten unter den Augen waren nicht zu übersehen. Und ihre schwarze Daunenjacke sah groß genug aus, um sie gleich zweimal um ihre schlanke Gestalt zu wickeln. Dann ging ihm auf, dass es Kennys Jacke war.

Sie ließ ihn nicht aus den Augen, als er vom Gatter stieg. Er wusste nicht, wohin mit den Armen. Er dachte daran, sie tröstend um Amy zu legen, aber in ihren Augen lag nichts, was er als Erlaubnis hätte deuten können. Er bewegte die Finger. Sie waren steif vor Kälte.

„Warum hast du die Pferde gekauft?“, fragte sie leise. „Du willst sie doch gar nicht.“

„Warum hast du mich nicht angerufen, Amy?“ Sie sah zur Seite. „Ed Shaeffer von der Bank weiß immer, wo ich im Notfall zu erreichen bin. Er hätte mich gefunden, wenn du …“

„Es gab so viel zu tun …“ Sie schlang die Arme um sich, zog die riesige Jacke fester zusammen. „Es gab manches, was ich nicht so ganz richtig gemacht habe. Ich war …“, sie hob den Blick, und ein entschuldigendes Lächeln umspielte ihre Lippen, „… ziemlich unvorbereitet.“

„Ich bin auf dem Weg hierher am Haus vorbeigefahren.“ Vielleicht würde sie ihm jetzt endlich eine Antwort geben, die mit ihm zu tun hatte. „Und im Jackalope redeten sie darüber, als wüsste ich längst Bescheid.“

„Es tut mir leid.“ Sie sah wieder fort. „Wirklich, Tate. Es tut mir leid. Ich wollte …“ Sie legte die Hand auf seinen Arm. „Ich wollte dir schreiben, habe es aber immer wieder verschoben, weil ich glaubte, irgendjemand hätte es dir inzwischen erzählt.“

„Dann wäre ich sofort gekommen.“ Er starrte auf ihre Hand. „Deshalb hast du nicht geschrieben, stimmt’s?“

„Oh, nein. Ken hätte gewollt, dass du …“ Erwartungsvoll sah er sie an. „Dass du an der Beisetzung teilnimmst.“

„Um ihn mit zu Grabe zu tragen? Verdammt richtig, das hätte er gewollt. Aber ich habe mich seit Weihnachten nicht mehr bei euch gemeldet.“ Die Schuld lag bei ihm. Wie immer. „Ich hätte wissen müssen, dass etwas nicht stimmt.“

„Tate.“ Ihre Hand glitt an seinem Ärmel hinab und in seine Hand. Sie fühlte sich gut an, wärmer als seine, klein, aber kräftig. „Es ging alles so schnell.“

Ihre Handbewegung ließ die Daunenjacke aufgehen. Ihr pinkfarbenes T-Shirt saß zu eng. Der Bauch war zu groß. Er kam sich vor, als hätte er durchs Schlafzimmerfenster geschaut und sie nackt gesehen.

„Du bist …“ Ein Gatter fiel krachend zu, und irgendwo rief jemand nach der Nummer 42. Tate sah unruhig über die Schulter. „Amy, du bist schwanger.“

„Du bist ein aufmerksamer Beobachter.“

„Aber drüben in der Bar haben sie gesagt, dass …“ Die Hand in seiner fühlte sich plötzlich noch kleiner an, und er drückte sie behutsam. „Ich habe gehört, dass du die Ranch weiterführen willst.“

„Ich gebe sie nicht auf, Tate.“ Ihre Hand erwiderte den Druck, die heimliche Geste zweier Menschen, die einen Verlust teilten. „Sie ist mein Zuhause. Meins und Jodys und …“

„Du kannst nicht …“

„Ich bekomme ein Baby. Du tust, als würde ich mich einer Operation am offenen Herzen unterziehen.“

Er gab sich der Wirkung ihrer Augen, ihrer Worte, ihrer Tapferkeit hin. „Hast du Hilfe?“

„Jetzt, nachdem ich die Pferde verkauft habe …“, sie lächelte, „… kann ich vielleicht jemanden einstellen.“

„Wie geht’s dem Kleinen? Jody?“ Sie nickte, um zu bestätigen, dass er sich den Namen richtig gemerkt hatte. Kenny hatte ihm einmal gesagt, dass er als Taufpate vorgesehen gewesen wäre. Aber da er damals von Rodeo zu Rodeo gezogen war und Amy darauf bestanden hatte, den Jungen zu taufen, „bevor er aufs College geht“, war ihm die Ehre versagt geblieben.

Amy zog ihre Hand aus seiner, als würde die Erwähnung des Jungen eine Berührung nicht mehr zulassen. Sie starrte auf die Pferde. „Er wollte unbedingt mit. Früher war er immer mit seinem Dad hier.“ Sie lehnte sich mit der Schulter gegen das Gatter. „Er würde es nicht verstehen, dass ich sie verkauft habe.“

Tate folgte ihrem Blick. Die Ohren des Wallachs waren gespitzt und rotierten wie Radarantennen.

„Für dich muss es auch ganz schön hart gewesen sein“, sagte er.

„Überhaupt nicht. Ich bin froh, sie los zu sein.“ Er sah sie an, wartete auf eine Erklärung, aber es kam keine. „Was willst du mit den beiden anfangen?“, fragte sie.

„Ich habe noch nicht darüber nachgedacht“, gab er zu. Dann lächelte er. „Ich wusste nur, dass ich sie mir nicht entgehen lassen durfte.“

„Das hätte Ken Becker gesagt. Nicht Tate Harrison.“

Er zuckte mit den Schultern.

„Du hast ihm gefehlt, Tate“, fuhr sie fort. „Du warst der Bruder, den er nie hatte.“

„Er war …“ Er konnte es nicht aussprechen. Er hatte mal einen Bruder gehabt, vor langer Zeit. Jesse. Aber mit Kenny war er aufgewachsen. „Er war der beste Freund, den ich je hatte. Schätze, ich hätte ihn mehr vermissen müssen.“ Er drehte sich um, lehnte sich mit dem Rücken ans Gatter und sah zu den weißen Wolken hinauf. „Schätze, ich fange jetzt damit an.“

„Nun ja …“ Erneut schlug sie die Arme um ihre Mitte und stand lange schweigend da. Einer der Jungen rannte vorbei und rief jemandem auf dem Parkplatz zu, dass er warten solle.

„Wie lange bleibst du?“, fragte sie schließlich. „Du kannst gern mal zum Essen kommen, wenn du die Zeit findest. Du solltest Jody sehen. Er ist …“

Da ist sie, dachte er. Die obligatorische Einladung. „Ich möchte mehr darüber erfahren, was mit Kenny passiert ist“, warnte er sie. „Meinst du, du …“ Sie ließ den Kopf sinken. „Schon gut. Ich verstehe. Es fällt mir nur so schwer, zu glauben, dass er … weg ist.“

„Tot. Es ist nicht zu ändern, und mehr gibt es auch nicht zu wissen.“ Sie sah wieder hoch. „Er ist tot, Tate. Es hilft, wenn man das Wort ausspricht. Es ist …“, sie schnippte mit den Fingern, „… einfach so passiert. Man glaubt es erst, wenn man seine Pferde verkauft hat. Wenn man die meisten seiner Sachen weggegeben hat. Wenn man allein geschlafen …“ Sie seufzte, als hätte der plötzliche Gefühlsausbruch sie erschöpft. „Ich muss jetzt Jody abholen.“

Nein, er wollte nicht, dass sie ging. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Was kann ich tun?“

„Tun?“

„Für dich und Jody.“

„Du hast schon mehr getan, als du brauchtest.“ Sie nickte zu den Pferden hinüber. „Du hast dir ein fügsames Sattelpferd und einen unberechenbaren Gesetzlosen gekauft. Du solltest dir überlegen, was du mit denen tun willst.“

Sie küsste ihn auf die Wange, bevor sie davonging. Er kam sich vor wie ein kleiner Junge. Als wäre sie durchs Höllenfeuer gegangen und er noch zu grün, um die Hitze überhaupt zu bemerken. Trotzdem war ihr Kuss wie eine Vergebung. Wie ein Ritterschlag. Von der Prinzessin geküsst. Und er war entschlossen, sich ihr würdig zu erweisen.

Wenn er nur wüsste, wie er das tun sollte.

Er entschied sich, die Stute wieder zu verkaufen und den wilden Gesetzlosen zu behalten. Irgendwie passte der Wallach zu ihm.

Jody war noch immer wütend, als Amy ihn bei seiner Tante Marianne abholte. Seine Cousine Kitty hatte ihm die Finger in der Wagentür gequetscht, und dann hatte Bill junior ihm auch noch den Kirschlolli aus dem Mund gerissen, sodass er sich auf die Zunge gebissen hatte.

Marianne versicherte Amy, dass dem Jungen nichts passiert wäre, und fragte sie zum zweihundertsten Mal, ob sie nicht doch Erdproben von ihrem Land nehmen lassen wollte. „Nur um zu sehen, ob es sich lohnt, die Sache weiterzuverfolgen.“

Amy war nicht interessiert. Das Land, das Kens Vater ihm hinterlassen hatte, gehörte jetzt ihr und Jody. Marianne besaß fünfzig Prozent der Schürfrechte, die aber erst dann ins Spiel kamen, wenn Amy das Land verkaufte oder jemanden darauf nach Bodenschätzen suchen ließ. Keine der beiden Möglichkeiten kam für sie infrage, obwohl sie wusste, dass bei einem der Poker-Clubs von Overo zwei Wetten liefen. Bei der ersten ging es um das Geburtsdatum ihres zweiten Kindes, bei der zweiten um den Monat, in dem sie ihren Bankrott erklärte.

Aber Amy würde nicht aufgeben. Sie war erschöpft, sie war fast pleite, aber sie war noch nicht am Ende. Sie und Jody hatten eine Ranch. Vielleicht nicht die Ranch, die Ken sich erträumt hatte, aber sie betrieben Viehzucht. Sie hatten ein Zuhause. Eine Familie. Es war nicht leicht ohne Ken, aber manchmal war es auch mit ihm nicht leicht gewesen. Sie würde es schaffen. Sie hatte es immer geschafft. Sie würde einfach nur härter arbeiten müssen.

Aber sie brauchte Hilfe. Jetzt, wo sie Geld hatte, brauchte sie Personal. Einige Monate lang. Im Sommer hätte sie es schaffen können, das Baby zur Welt zu bringen, den Vierjährigen zu versorgen und sich um die Ranch zu kümmern, aber der Winter in Montana war mehr, als eine alleinstehende Frau sich zumuten konnte.

Über die Herkunft des Geldes würde sie erst nachdenken, nachdem sie Jody zu Bett gebracht hatte. Kens Sattelpferde zu verkaufen wäre ihr nicht so schwergefallen, vor allem nicht den Wallach, der ihn das Leben gekostet hatte, wenn der Käufer nicht Tate Harrison geheißen hätte. Wie froh war sie damals gewesen, als er die Stadt verlassen und ihren Mann mit seinen Ideen von Freiheit und Abenteuer in Ruhe gelassen hatte. Und doch war er der Erste gewesen, den sie in der Trauer und Verwirrung nach Kens Tod hatte suchen wollen. Aber dann hatte sie es doch nicht getan. Vermutlich wäre er ohnehin nicht gekommen. Zu einer Party ja, aber zu einem Begräbnis?

Autor

Kathleen Eagle
Kathleen Eagle wurde in Virginia als ein “Air Force Balg” geboren. Nach ihrer Schulausbildung machte sie einen Abschluss auf dem Mount Holyoke College und der Northern State University und wurde Lehrerin. Über 17 Jahre unterrichtete sie an einer High School in North Dakota. Auch nach diesen 17 Jahren blieb sie...
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