Ein Kuss zum Abschied?

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Er sieht fantastisch aus, und das weiß er auch genau! Die hübsche Sekretärin Alice hält Luca O'Hagan für einen Playboy. Doch auf Wunsch ihres Chefs muss sie den Abend mit Luca verbringen. Von dem Moment an, als sie Luca in dem eleganten Restaurant bei Kerzenschein gegenübersitzt, knistert es heftig zwischen ihnen. Luca versucht mit ihr zu flirten, während Alice ihm temperamentvoll zu verstehen gibt, dass er sich umsonst bemüht. Aber als er sie zum Abschied voller Leidenschaft küsst, sehnt sie sich plötzlich danach, dass er bei ihr bleibt ...


  • Erscheinungstag 29.07.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733718022
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Die dankbare Mutter zog mit ihrem hysterischen Geschrei die Aufmerksamkeit der Touristen, Einkäufer und Anwohner in der belebten New Yorker Hauptverkehrsstraße auf sich. Eine große Menschenmenge versammelte sich an diesem sonnigen Spätnachmittag und hörte zu, wie sie unter Tränen dem Mann dankte, der ihren kleinen Liebling vor einem Unfall bewahrt und ihm so das Leben gerettet hatte.

Der „kleine Liebling“, wollte sich allerdings keinesfalls so bezeichnen lassen. Trotzig wies er darauf hin, dass er schon fast fünf Jahre alt war. Dann trat er seinem Retter heftig gegen das Schienbein.

Lucas Lächeln gefror. Als das kreischende kleine Ungeheuer auch noch versuchte, ihn zu beißen, fragte er sich, was an Kindern eigentlich so toll sein sollte. Im Grunde mochte er sie ja. Und natürlich würden seine eigenen Sprösslinge niemals jemanden beißen. Doch er verspürte keinen sonderlich starken Drang, eine Familie zu gründen. Trotz seines Rufs, sich nicht binden zu wollen, hatte er in mancher Hinsicht sehr traditionelle Ansichten: Für ihn gehörten Kinder und Ehe zusammen. Nur war er bisher noch keiner Frau begegnet, mit der er gern sein ganzes Leben verbracht hätte.

Lucas Mutter stammte aus Italien, sein Vater aus Irland. Seine Eltern hatten nie einen Zweifel daran gelassen, dass es eine seiner Hauptpflichten war, eine Ehefrau zu finden und für Nachkommen zu sorgen. Aber er wollte sich nicht unter Druck setzen lassen. Dass er inzwischen über dreißig Jahre alt war und noch immer keine entsprechenden Anstalten machte, gefiel seiner Familie gar nicht.

Wann immer er auf sein Junggesellendasein angesprochen wurde, wies er darauf hin, dass sein älterer Bruder Roman ja einen Sohn und Erben bekommen könnte, um den Namen der Familie weiterzugeben. Als Erstgeborener war er dazu verpflichtet. Und schließlich war er schon zweiunddreißig.

Luca war bereit, die Rolle des liebevollen Onkels zu übernehmen. So müsste er nicht zu viele Kompromisse eingehen oder schlaflose Nächte in Kauf nehmen. Doch leider schien es keine geeigneten Kandidatinnen zu geben, die als Ehefrau für seinen Bruder infrage kämen. Bis auf seine allgegenwärtige und unglaublich loyale Assistentin Alice, dachte er ironisch. Sie würde ihren Chef bestimmt sofort heiraten, wenn die Gelegenheit sich bieten würde. Luca schüttelte ganz leicht den Kopf, als er sich ihre graublauen Augen und das silberblonde Haar in Erinnerung rief.

Offenbar trat ein grimmiger Ausdruck in seine Augen, denn der Junge warf ihm einen misstrauischen Blick zu und rannte zu seiner Mutter.

„Ich hasse dich!“, rief er aus sicherer Entfernung.

„Ich bin auch nicht gerade begeistert von dir“, erwiderte Luca, der in Gedanken ganz woanders war.

Roman würde doch nicht ernsthaft darüber nachdenken, seine blonde Sekretärin zu heiraten, oder? Er liebte sie zwar nicht, schien jedoch im Laufe der Jahre ein wenig zynisch geworden zu sein und nicht mehr an die Liebe zu glauben. Mangelnde Gefühle wären also kein Hindernis für ihn.

Wie desillusioniert sein Bruder war, hatte Luca vor Kurzem gemerkt. Beim Hochzeitstag ihrer Eltern hatte ihr Vater wieder einmal die Gelegenheit ergriffen, vor einem interessierten Publikum sein Lieblingsthema anzusprechen.

Später am Abend waren Luca und Roman an einem See auf dem riesigen Grundstück des Familienanwesens spazieren gegangen, das in Irland lag.

„Dad war ja wieder sehr subtil“, stellte Luca ironisch fest.

„Wie üblich. Aber irgendwie hat er auch recht“, erwiderte Roman mit undurchdringlicher Miene und ließ einen Stein über die Wasseroberfläche springen. „Man muss den Schwung aus dem Handgelenk holen“, erklärte er bescheiden.

„Was du nicht sagst.“ Mit eleganter Handbewegung schleuderte Luca ebenfalls einen Stein. Übertrieben triumphierend führte er einen Boxschlag in der Luft aus, als sein Stein an dem seines Bruders vorbeiglitt. Damit spielte er auf die Rivalität an, die zwischen ihnen früher einmal geherrscht hatte.

Roman musste lächeln.

„Verheimlichst du mir etwas?“, fragte Luca neugierig. „Gibt es da jemanden, über den ich Bescheid wissen sollte?“

„Jemanden …?“, wiederholte Roman verständnislos.

„Hast du dich in eine Frau verliebt, mit der unsere Eltern nicht einverstanden sein werden? So was könnte interessant werden! Sie ist doch nicht etwa verheiratet?“ Damit würde er was Schönes anrichten, dachte Luca.

„Bist du der Meinung, Liebe wäre ein ausreichender Grund zu heiraten?“

„Du offenbar nicht. Ich habe bisher kaum über dieses Thema nachgedacht.“

„Liebe ist ein Zustand vorübergehender Unzurechnungsfähigkeit“, erklärte sein Bruder. „Keine gute Grundlage für ein Abkommen. Denn das ist eine Ehe schließlich, wenn man einmal genau drüber nachdenkt.“

Luca hielt sich nicht gerade für einen Romantiker, aber diese sachliche Einschätzung erschreckte ihn. „Ist es nicht eher die Verbindung zweier verwandter Seelen?“

„Fühlst du dich etwa unvollständig ohne einen Menschen an deiner Seite?“

„Nein, eigentlich nicht“, stimmte Luca ihm zu. „Aber kannst du dir Dad ohne Ma vorstellen oder umgekehrt?“

„Es gibt natürlich Ausnahmen“, gab Roman widerstrebend zu. „Aber wie du weißt, habe ich es selbst schon mit einer Liebesheirat probiert. Und das hat nicht sonderlich gut geklappt.“

Luca klopfte seinem Bruder auf die Schulter. „Ja, du wurdest praktisch direkt vor dem Altar stehen gelassen“, erinnerte er sich mitfühlend. „Aber deshalb wirst du doch nicht verbittern und für immer Junggeselle bleiben, oder?“

„Nein. Natürlich werde ich heiraten. Liebe ist dabei allerdings keine der wichtigsten Voraussetzungen – sondern gar keine.“ Roman hatte ironisch gelächelt.

Vielleicht war das nicht nur schwarzer Humor gewesen? Möglicherweise suchte er schon nach einer Mutter für seine zukünftigen Kinder und hatte es auf Alice Trevelyan abgesehen? Das wäre doch wirklich zu komisch!

Doch Luca konnte darüber nicht lachen. Der Gedanke missfiel ihm sehr, denn Alice war ganz eindeutig nicht die richtige Frau für seinen Bruder. Dafür gab es unzählige Gründe … zumindest war er sicher, dass ihm bei längerem Nachdenken welche einfallen würden. Manchmal ist es eben besser, nach dem Gefühl zu entscheiden, dachte Luca. Und in diesem Fall war seine innere Stimme eindeutig.

Stirnrunzelnd zog er die dunklen Brauen zusammen. Die Tatsache, dass Alice so oft in Romans Nähe war, durfte man nicht unterschätzen. Außerdem hatte sie eine perfekte, sehr weibliche Figur. Tatsächlich war die Sekretärin seines Bruders mit Abstand die erotischste Frau, der Luca je begegnet war. Sie trug zwar keine tief ausgeschnittenen Oberteile, kurzen Röcke oder enge Kleidung. Doch aus irgendeinem Grund wirkte sie mit ihren flachen Schuhen und der Perlenkette auf ihn provozierender, als andere Frauen es splitternackt getan hätten.

Alice war eine der Frauen, die ein Mann nicht nur ansehen, sondern auch berühren wollte. Luca konnte das aus eigener Erfahrung bestätigen. Doch er hatte nicht vor, sich an eine Frau heranzumachen, an der sein Bruder interessiert war. Luca wurde schon halb verrückt vor Verlangen, wenn er Alice nur von Weitem sah. Aber niemals würde er das enge freundschaftliche Verhältnis zu Roman aufs Spiel setzen, nur um ein sehr primitives Bedürfnis zu befriedigen.

Luca nahm an, dass auch sein Bruder Alice begehrte. Doch wie die Beziehung zu seiner Sekretärin tatsächlich aussah, war ihm nicht klar. Zwischen ihnen schien große Harmonie zu herrschen, zumindest im Büro. Aber ob sich das auch bis ins Schlafzimmer erstreckte …?

Er hatte Roman nie danach gefragt und würde es auch künftig nicht tun. Wenn sein Bruder Arbeit und Vergnügen mischen wollte – was früher oder später immer zur Katastrophe führte – ging das nur ihn etwas an.

„Sie hätten wirklich einen Orden verdient.“ Jemand klopfte Luca auf die Schulter. Er machte eine abwehrende Bemerkung. Er wollte keine Auszeichnung, sondern sich möglichst schnell aus dem Staub machen, bevor jemand eine Kamera zücken konnte.

Verdammt, dachte er, als die Menschenmenge immer größer wurde. Auf gar keinen Fall wollte Luca öffentliche Aufmerksamkeit. Das versuchte er möglichst zu vermeiden, wenn auch nicht immer erfolgreich. Er sah die Schlagzeilen schon vor seinem geistigen Auge, vielleicht wegen seiner Vergangenheit als Journalist. Es war inzwischen schon fast zehn Jahre her, dass er bei einer überregionalen Zeitung die ersten Arbeitserfahrungen gesammelt hatte. Aber er wusste noch ganz genau, wie Journalisten dachten. Manchmal war es sehr praktisch, die Reaktionen dieser Meute vorauszuahnen.

Wenn sein Vater keinen Herzanfall gehabt hätte, würde Luca vielleicht noch immer als Journalist arbeiten. Doch als Finn O’Hagan gezwungenermaßen in den frühen Ruhestand gegangen war, hatte Roman als erfahrener Finanzfachmann die Leitung vom äußerst lukrativen Freizeit- und Immobilienbereich des Familienbetriebs übernommen. Den von einem Onkel geerbten unprofitablen Verlag mit Sitz in den USA hatte Finn O’Hagan eigentlich nur aus sentimentalen Gründen noch nicht verkauft. Luca hatte eingewilligt, die Finanzen des Verlust machenden kleinen Unternehmens so weit zu sanieren, dass es verkauft werden konnte. Einige Monate lang beschäftigte er sich mit nichts anderem. Dann passierte etwas sehr Merkwürdiges: Die Arbeit fing an, ihm Spaß zu machen. Und seine Begeisterung war ansteckend.

Nach dem ersten Jahr war der Verlag aus den roten Zahlen heraus und hatte einen äußerst produktiven Autor unter Vertrag genommen, dessen Bücher seit der ersten Veröffentlichung auf den Bestsellerlisten standen. Außerdem begannen sich einige schon erfolgreiche Schriftsteller für den Verlag zu interessieren, der jetzt nicht mehr das Stiefkind des O’Hagan-Imperiums war, sondern Niederlassungen in Sydney, London und Dublin hatte. Und noch immer war Luca von der Arbeit begeistert.

Sanft, aber energisch schob er die Frau von sich weg, die sich schluchzend an ihn lehnte, und ließ den Blick über die Menschenmenge gleiten, während er den teuren Stoff seines Hemds glatt strich. Dabei merkte er, dass er den Zwischenfall nicht ganz unversehrt überstanden hatte. Stirnrunzelnd bewegte er die Schultern und spürte ein leichtes Brennen in den überdehnten Muskeln. Er nahm sich vor, künftig etwas mehr Sport zu treiben.

Dieser Entschluss hätte die Umstehenden sicher überrascht, denn Luca war schlank, muskulös und durchtrainiert. Mit seinen breiten Schultern und den schmalen Hüften hätte er als Model für Schwimmmode ein Vermögen verdienen können.

Als sich der Vater des Kindes näherte, begann die dankbare Mutter erneut zu schluchzen. Unter Tränen erzählte sie ihm, dass sein Sohn und Erbe nur knapp dem Tod entronnen war. Luca nutzte diese Gelegenheit, um zu verschwinden.

Es fiel ihm schwer, in einer Menschenmenge nicht aufzufallen. Denn er war einen Meter neunzig groß und bei der Umfrage einer Klatschzeitschrift auf Platz drei derjenigen prominenten Männer gelandet, die man „gern einmal nackt sehen würde.“

Luca hatte davon erfahren, weil irgendein Spaßvogel in seinem Dubliner Büro den Artikel an eine Pinnwand gehängt hatte, ergänzt durch Briefe von empörten Leserinnen, deren Meinung nach er eigentlich auf dem ersten Platz hätte landen müssen.

Trotz seiner beeindruckenden Erscheinung gelang es Luca, aus der Menge zu fliehen. Sobald er außer Hör- und Sichtweite war, klingelte sein Handy. Es war sein Bruder.

„Steht unser Treffen heute Abend noch?“

Luca warf einen Blick auf die Uhr und schnitt ein Gesicht. „Na klar. Allerdings muss ich erst noch mit Hennessey sprechen. Es könnte also sein, dass ich ein paar Minuten zu spät komme.“

„Wird die entzückende Ingrid auch dabei sein?“, fragte Roman gespielt unschuldig.

„Sehr witzig.“ Er musste lächeln.

„Sie lässt sich nicht so leicht abschütteln, stimmts? Und sie ist wirklich gut darin, sich ins Rampenlicht zu drängen.“

„Du vergisst wohl, dass du sie mir aufgehalst hast!“

„Ich? Mein Herz ist gebrochen, mein Selbstwertgefühl zerstört … eine Frau hat mich wegen meines eigenen Bruders sitzen lassen!“

Dio mio! Du bist wirklich hinterhältig“, entgegnete Luca.

„Ach, komm schon. Irgendetwas musste ich doch tun. Die Frau verbreitete ständig Gerüchte darüber, dass wir im Frühling heiraten würden. Und da kam mir diese Idee. Deine Vorliebe für große blonde Frauen, besonders des nordischen Typs, ist ja bekannt. Also musste ich nur erwähnen, dass du immer zu den Promi-Partys eingeladen wirst und außerdem sehr fotogen bist und besonders in den USA viel bekannter als ich.“

Wider Willen fand Luca das Vorgehen seines Bruders gerissen. „Ich nehme an, du wusstest, dass Ingrid lesbisch ist?“

Roman lachte. „Hat sie sich bei dir auch schon erkundigt, wie du zu einer Samenspende stehst?“

„Ja.“ Luca schauderte. „Allerdings machte sie sehr deutlich, dass ich zuerst alle möglichen medizinischen Untersuchungen über mich ergehen lassen müsste.“

„Und ich dachte, ich wäre etwas Besonderes für sie …“ Sein Bruder seufzte aus tiefster Seele. „Was heute Abend angeht: Kein Problem, Alice und ich haben auch noch viel zu tun. Also dann … ach, ehe ich es vergesse – sie glaubt übrigens, was die Klatschpresse über dich und Ingrid schreibt.“

Luca konnte Romans Stimme förmlich anhören, dass er grinste. „Und du hast keinen Grund gesehen, ihr die Wahrheit zu sagen?“

„Merkwürdigerweise ist mir der Gedanke nicht gekommen. Sie findet mich überaus tapfer.“

„Du bist wirklich perfide!“

Roman versuchte nicht zu verbergen, wie sehr ihn das alles amüsierte. „Und dich hält sie für einen herzlosen Mistkerl.“

Das war nichts Neues. „Kommt Alice nachher auch mit?“, fragte Luca betont gelassen.

„Natürlich. Schließlich gehört sie fast mit zur Familie.“

Familie? Gedankenverloren legte er auf und schob sich das Handy in die Tasche. Litt er schon unter Verfolgungswahn?

Vergiss nicht, dass Alice vielleicht Nein gesagt hat – falls Roman sie überhaupt gefragt hat, ermahnte Luca sich.

Aber das war unwahrscheinlich. Schließlich hatte sie ihren Chef gerettet, indem sie, ohne lange zu überlegen, einer Verrückten ein Messer abgenommen hatte. Wenn man es also von dieser Seite betrachtete: Wäre es wirklich so schlimm, Alice Trevelyan als Schwägerin zu haben?

Ja, allerdings! dachte Luca. Wenn ich keine andere Frau für Roman finde, werde ich sie eben selbst heiraten müssen!

„Darf ich Ihnen einen Aperitif bringen?“, fragte der Ober zuvorkommend.

Normalerweise trank Alice sehr selten Alkohol, aber unter den gegebenen Umständen fand sie es ratsam, sich ein wenig Mut anzutrinken. Sie bestellte ein Glas Wein.

Ich hätte nur Nein sagen müssen. Warum war ihr das so schwergefallen? Während Alice langsam einen Schluck Weißwein trank, tröstete sie sich mit dem Gedanken, dass sie nicht die Einzige war, die ihrem Chef keine Bitte abschlagen konnte. Er war beneidenswert talentiert darin, seinen Willen durchzusetzen.

Auch wenn man nur am Wein nippte, konnte man innerhalb von eineinhalb Stunden eine ganze Menge trinken. Aber was sollte sie sonst tun, während sie wartete und die anderen Gäste, besser gesagt Paare, beim Abendessen im Restaurant des exklusiven New Yorker Hotels beobachtete? In solchen Momenten kam es ihr immer vor, als wäre sie der einzige Single auf der Welt. Voller Schmerz und tief in Gedanken wollte sie nach dem goldenen Ehering greifen, der sonst immer an einer Kette um ihren Hals hing. Ihre Mutter befürchtete, sie, Alice, könne nicht mit der Vergangenheit abschließen. „Alice, du bist doch noch so jung. Mark hätte gewollt, dass du nach vorne blickst. Das weißt du genauso gut wie ich“, hatte sie einmal gesagt. Seitdem trug Alice den Ring nicht mehr am Finger.

Ohne das Schmuckstück kam sie sich fast nackt vor – viel mehr als wegen ihres tief ausgeschnittenen Kleids, durch das sie gezwungen gewesen war, die Kette mit dem Ring abzulegen.

Als das Paar am Tisch links von ihr sich an den Fingern berührte, wandte Alice schnell den Blick ab. Es entsprach nicht ihrem Naturell, stundenlang über die traurigen Seiten des Lebens nachzudenken. Also rief sie sich die Vorteile in Erinnerung, die ihr Alltag ohne Partner hatte.

Hätte ich einen Liebhaber, müsste ich mir Gedanken machen, wenn mein Haar morgens immer in alle Richtungen absteht, dachte Alice. Sie konnte sich auch aussuchen, auf welcher Seite des großen Bettes sie schlafen wollte.

Man konnte Roman vieles vorwerfen, aber ein knauseriger Chef war er nicht. Wenn sie gemeinsam geschäftlich unterwegs waren, reisten sie immer erster Klasse. Und auch jetzt hatte sie ein wunderschönes Zimmer im obersten Stock des Hotels, direkt neben seinem.

Alice betrachtete ihr leeres Glas und überlegte, ob sie vielleicht zu viel getrunken hatte. Sie machte sich keine falschen Hoffnungen. Bestenfalls würde der Abend eine Prüfung dafür werden, wie gut sie sich beherrschen konnte. Eine, vielleicht sogar zwei quälende Stunden lang würde sie höfliche Konversation mit einem Mann betreiben müssen, der unglaublich von sich selbst überzeugt war.

Und bei peinlichen Gesprächspausen bräuchte sie sich gar nicht Hilfe suchend an ihr Gegenüber zu wenden. Er würde einfach nur betont gelangweilt dasitzen und sie mit seinen blauen Augen so durchdringend ansehen, als könnte er ihre Gedanken lesen.

Die Ironie der Situation entging ihr nicht. Die Aussicht auf ein Abendessen mit diesem allein stehenden Mann, der nicht nur als wohlhabend und intelligent, sondern auch als unglaublich gut aussehend bekannt war, hätte die meisten Frauen überglücklich gemacht. Sie dagegen tat so, als wäre es eine furchtbare Strafe!

Natürlich wussten viele Leute im Gegensatz zu ihr nicht, was für ein unangenehmer Mensch Luca O’Hagan wirklich war. Statt mit ihm bei Kerzenlicht zu essen, hätte sie lieber eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt über sich ergehen lassen.

Luca war einfach vom Schicksal verwöhnt. Ihm fällt alles in den Schoß, dachte Alice, während sie starr in ihr leeres Glas blickte. Auch weibliche Gesellschaft. Vielleicht wäre er erträglicher, wenn irgendwann mal jemand Nein zu ihm gesagt hätte, grübelte sie. Allerdings war sie auch nicht sicher, ob ihr das gelungen wäre. Nicht zu Unrecht war Luca als Herzensbrecher bekannt.

Energisch hob Alice das zarte Kinn. Ich gebe ihm noch zehn Minuten, dachte sie. Dann gehe ich auf mein Zimmer und bestelle mir ein Sandwich. Erleichtert über diese Entscheidung, bestellte sie sich noch etwas zu trinken.

In diesem Moment hörte sie den Oberkellner sagen: „Ihr Lieblingstisch, Sir …“

Alice verkrampfte die Finger um den Stil ihres Glases, und ihr schlanker Rücken spannte sich an. Da sie schon seit fünf Jahren für einen Millionär arbeitete, erkannte sie den Tonfall sofort. Auf diese Weise wurden nur ganz besondere Gäste begrüßt.

Wie brachten bestimmte Menschen ihre Zeitgenossen nur dazu, sie so zuvorkommend zu behandeln? Alice hätte gern geglaubt, dass es allein Reichtum oder Macht war. Aber sie wusste, dass ihr Chef und sein Bruder auch ohne diese Vorzüge überall sofort außergewöhnliche Aufmerksamkeit bekommen hätten.

Verärgert über ihre innere Angespanntheit, lächelte sie, wie es von ihr als Assistentin und Sekretärin erwartet wurde, die ihren Chef vertrat.

Ein Mann ging an ihr vorbei, doch nicht der erwartete. Sie seufzte erleichtert, rieb die vor Nervosität feuchten Handflächen aneinander und sah dem Gast nach. Er war gut gekleidet und groß, aber nicht zu groß. Trotz der silbergrauen Strähnen wirkte er jugendlich. Als sich ihre Blicke trafen, lächelte der Mann. Verlegen erwiderte Alice sein Lächeln und wandte dann den Kopf zur Seite, damit er keinen falschen Eindruck bekäme.

Sie gab vor, die Weinkarte zu studieren, obwohl sie in Wirklichkeit die Namen der edlen und unglaublich teuren Weine bereits fast auswendig konnte. Offenbar glaubte der Mann, ebenso wie die anderen Gäste und das überaus aufmerksame Personal, man hätte sie versetzt. recht haben sie, dachte Alice.

Aber zum Glück war es ja keine richtige Verabredung. Sie lächelte ironisch bei der Vorstellung, sich privat mit Luca O’Hagan zu treffen. Wahrscheinlicher wäre, dass bis zum Wochenende auf der ganzen Welt Frieden herrschen würde.

Sie trank gerade einen Schluck vom nächsten Glas Wein, als der Oberkellner ihr mitteilte, Mr. O’Hagan habe eine Nachricht hinterlassen und werde bald da sein.

„Ich kann es kaum erwarten.“ Ihre ironische Bemerkung schien den Überbringer der frohen Botschaft zu verwirren. „Vielen Dank“, fügte sie schnell hinzu und rang sich ein Lächeln ab. Es fiel ihr schwer, so dankbar zu wirken, wie der Mann es offenbar von ihr erwartete. Denn tatsächlich machte die Nachricht sie sehr wütend. Immerhin war sie praktisch von zwei O’Hagans gleichzeitig versetzt worden!

„Sie werden bleiben und für mich die Wogen ein wenig glätten“, hatte ihr Chef schmeichelnd gesagt und sie dann sich selbst überlassen. „Außerdem sollten Sie mal wieder ausgehen und es sich gut gehen lassen. Das haben Sie verdient.“

„Ehrlich gesagt, würde ich gern früh schlafen gehen …“ Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich ein Abendessen mit Ihren Bruder als angenehm betrachte!

„Das ist wirklich schade. Ich habe schon unser Treffen letzten Monat abgesagt und möchte nicht, dass Luca denkt, ich wäre ihm böse.“

Sofort war Alices Mitgefühl geweckt. „Also gut. Natürlich werde ich …“

„Toll.“

Roman war bis vor Kurzem mit einem schwedischen Model ausgegangen. Die einen Meter achtzig große blonde Frau zierte in letzter Zeit die Titelblätter sämtlicher Hochglanzmagazine. Als der ältere der beiden O’Hagan-Brüder von einer Geschäftsreise zurückgekehrt war, hatte sich seine Freundin auf den Weg in die USA gemacht – zusammen mit seinem Bruder.

Roman schien deshalb nicht gerade am Boden zerstört zu sein, aber Alice war empört, denn sie wusste, das er nur tapfer seine Gefühle versteckte. Es war schlimm genug, wenn der eigene Bruder einem die Freundin ausspannte. Doch dass die Geschichte von der Klatschpresse derart ausgeschlachtet wurde, musste für ihn einfach furchtbar sein.

Sie hoffte, dass Romans Gefühle für die wunderschöne Frau nicht zu stark waren. In keinem Fall aber war Lucas Verhalten zu entschuldigen. Sie fand es einfach abstoßend, was er getan hatte. Dem Bruder die Freundin ausspannen – so etwas würde einem anständigen, netten Menschen niemals einfallen!

Allerdings hatte auch noch nie jemand Luca als nett bezeichnet, sondern meistens als „atemberaubend“ oder „unglaublich erotisch“. Widerstrebend musste Alice zugeben, dass er nicht schlecht aussah. Nur bevorzugte sie etwas weniger auffallende Männer.

Sie ließ den Blick durch den Raum zu der ruhigen Nische gleiten, in die man den neuen Gast geführt hatte. Zufällig sah er gerade in ihre Richtung. Alice nickte ihm zu und wandte den Blick ab. Ob er auch versetzt worden war? Er sah allerdings nicht nach einem Mann aus, dem so etwas passieren würde.

Du meine Güte, warum habe ich mich nur von Roman hierzu überreden lassen? dachte Alice. Vielleicht hat Luca ja Recht, und ich bin wirklich Romans Fußabtreter. Es war schon lange her, dass sie zufällig diese verächtliche Bemerkung gehört hatte. Und noch immer machten die Worte sie furchtbar wütend. Es stimmte einfach nicht, dass sie Romans Sklavin war, ohne eigenen Willen und ohne eigenen Kopf. Lucas Einschätzung ihrer Beziehung war so weit von der Wahrheit entfernt, dass sie eigentlich darüber lachen müsste.

Aus irgendeinem Grund konnte Luca O’Hagan sie einfach nicht ausstehen. Und er gab sich keine Mühe, das zu verbergen. Alice spürte, wie sich ihr die Kehle zuschnürte, als sie an seine vielen höhnischen Bemerkungen dachte. Sie hatte ihm nie etwas getan, außer ein paar Blutflecken auf den Polstern seines Wagens zu hinterlassen. Und dafür musste er sich wohl kaum an ihr rächen.

Sie begegnete seinen Brüskierungen immer mit höflicher Gleichgültigkeit. Schließlich konnte sie den Bruder ihres Chefs nicht wüst beschimpfen, zumal er auch noch einen Teil des Familienunternehmens leitete. Also gab sie sich in seiner Gegenwart gelassen, auch wenn er sie noch so sehr provozierte. Darauf war sie sehr stolz. Zum Glück kreuzten sich ihre Wege nicht zu oft, da er sich meistens auf dieser Seite des Atlantiks aufhielt, während sie ihre Zeit zwischen Dublin und London aufteilte.

„Entschuldigung …“

Die Stimme mit dem texanischen Akzent riss Alice aus ihren Gedanken. Sie hob den Kopf und machte große Augen. Vor ihr stand der eben eingetroffene Gast mit dem silbern gesträhnten Haar.

„Ich esse allein und habe mich gefragt …“

Alice errötete. „Ich warte auf jemanden.“

Natürlich konnte sie ihn nicht einladen, an ihrem Tisch Platz zu nehmen. Aber dass ihr ein attraktiver Mann Aufmerksamkeit schenkte, war tröstlich. Zumindest kam sie sich zwischen all den Pärchen nicht mehr ganz so verloren vor.

Er lächelte wehmütig. „Davon bin ich ausgegangen. Aber hätten Sie vielleicht gern Gesellschaft, bis Ihre Verabredung eintrifft? Ich bin wirklich ganz harmlos.“ Diese abgedroschene Phrase wurde von einem äußerst charmanten Lächeln begleitet.

Gegen ihren Willen musste Alice lachen. „Das bezweifle ich. Außerdem wollte ich eigentlich gerade gehen.“

„Sie sind also versetzt worden?“

„Es sieht ganz so aus.“

„Der Mann muss verrückt sein.“

„Nein, nur unglaublich egozentrisch, extrem unhöflich und einfach abstoßend.“

2. KAPITEL

Ohne den Kopf zu wenden, wusste Alice genau, in welchem Moment Luca O’Hagan das Restaurant betrat. Zehn Sekunden lang herrschte in dem von Kerzenlicht erhellten Raum Schweigen, dann begannen die Leute, interessiert zu tuscheln.

Sie sah Luca genau vor ihrem inneren Auge. Der große, beeindruckende Mann würde so tun, als bemerkte er die Aufmerksamkeit nicht, die er hervorrief, während er mit geschmeidigen Bewegungen zwischen den voll besetzten Tischen entlangging. Dabei kennt er seine Wirkung auf andere Menschen ganz genau, dachte Alice verächtlich. Und es war nicht unter seiner Würde, dies für sich auszunutzen.

Lächelnd versuchte sie, Seth und seiner amüsanten Erzählung die Aufmerksamkeit zu schenken, die ihnen gebührte. Es fiel ihr schwer, denn sie spürte, dass Luca sich ihnen näherte. Als Seth erwartungsvoll schwieg, lachte sie über die Pointe. Hoffentlich war das überhaupt eine Pointe, dachte sie.

Obwohl Alice Luca nicht sah, lenkte er sie furchtbar ab. Nur weil du es zulässt, ermahnte sie sich streng. Dass sie so auf ihn reagierte, war ganz normal. Er war eben ein Mann, der Menschen in seinen Bann zog. Alle liebten oder hassten ihn – Alice zählte sich zur letzteren Gruppe –, aber ignoriert wurde er von niemandem.

Sie persönlich fand die Vorstellung nicht sehr verlockend, die Partnerin eines Mannes zu sein, in dessen Gegenwart alle Gespräche zum Erliegen kamen und den alle Frauen sehnsüchtig ansahen, wenn er vorbeiging.

Wieder versuchte sie, dem gegenübersitzenden Mann ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Seth erzählte gerade von einer Kunstausstellung, die er im vergangenen Monat besucht hatte. Ihm schien das Getuschel nicht aufzufallen, das den großen Mann begleitete, der jetzt neben ihrem Tisch stand.

Autor

Kim Lawrence
Kim Lawrence, deren Vorfahren aus England und Irland stammen, ist in Nordwales groß geworden. Nach der Hochzeit kehrten sie und ihr Mann in ihre Heimat zurück, wo sie auch ihre beiden Söhne zur Welt brachte. Auf der kleinen Insel Anlesey, lebt Kim nun mit ihren Lieben auf einer kleinen Farm,...
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