Ein süßes Versprechen (3-teilige Serie)

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Drei Freundinnen finden die große Liebe, als sie es am wenigsten erwarten.

NACHBAR, DADDY, BRÄUTIGAM
"Heirate mich!" Meint ihr Nachbar Cole McKellar das etwa ernst? Sie sind ja noch nicht mal verliebt! Oder? Jedenfalls fühlt Stevie, eine Zweckehe mit dem smarten IT-Spezialisten wäre für ihr Baby perfekt. Spontan willigt sie ein … Ein Fehler oder der Anfang puren Familienglücks?

HEIRATS-DEAL MIT DEM BOSS
Allein am Fest der Liebe? Keine schöne Aussicht für Tess. Aber deshalb den Heiratsantrag ihres attraktiven Chefs Scott annehmen? Zwar fühlt sie sich heimlich zu ihm hingezogen, und es knistert heiß, als er sie küsst. Aber er stellt auch klar: Die Ehe ist für ihn ein Business-Deal!

DEIN KUSS HEILT MEINE WUNDEN
Seine Hände auf ihrer Haut - und die letzten zehn Jahre ohne ihn sind wie ausradiert! Jenny kann nur noch an die Leidenschaft denken, mit der Gavin sie geküsst hat. Erst als der Rausch der Erregung verfliegt, fällt ihr ein, wie sehr der Polizist sie damals verletzt hat …


  • Erscheinungstag 12.11.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783751504454
  • Seitenanzahl 432
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Gina Wilkins

Ein süßes Versprechen (3-teilige Serie)

IMPRESSUM

Nachbar, Daddy, Bräutigam erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2016 by Gina Wilkins
Originaltitel: „The Bachelor’s Little Bonus“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA EXTRA
Band 53 - 2018 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Renate Hochmann

Umschlagsmotive: AllaSerebrina / Depositphotos

Veröffentlicht im ePub Format in 11/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751504393

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Als Cole McKellar an jenem trüben Freitagabend im Februar von einer seiner Geschäftsreisen heimkam, hatte er wie so oft in letzter Zeit wieder diesen Tagtraum: Eine hübsche blonde Frau lag schlafend auf seinem großen braunen Ledersofa.

Wie immer verspürte er bei dem Bild sowohl Freude als auch Verunsicherung. Er kniff kurz die Augen zusammen. Doch als er sie wieder öffnete, war die Frau noch immer da. Das ging zu weit! Er sollte diese Gefühle für Stevie nicht haben, zumal sie in ihm nicht mehr als einen Nachbarn und Freund sah. Und doch …

Stevie lag mit angezogenen Beinen auf der Seite, ihr Gesicht dem Schein der Tischleuchte zugewandt, eine Hand unter ihrer Wange. Sie trug Jeans, einen roten Pulli und rote Socken; ihre Schuhe standen vor dem Sofa. Goldblonde Locken umrahmten ihr Gesicht, und ihre vollen Lippen waren leicht geöffnet. Ihre langen Wimpern hoben sich gegen den hellen Teint ab, und die geschlossenen Lider verbargen ihre leuchtend blauen Augen.

Ihr Anblick war ein farbenfroher und femininer Akzent in Coles schlichtem Junggesellenhaus. Doch so zart und verletzlich sie auch wirkte – mit ihren einunddreißig Jahren war Stevie McLane gerade mal zwei Jahre jünger als Cole und eine selbstständige und patente Frau.

Dusty, Coles kleine graue Tigerkatze, hatte sich in Stevies Armbeuge gekuschelt.

Cole trat näher heran. Waren das Tränenspuren auf Stevies Wangen?

Einen Moment stand er unschlüssig da. Sollte er Stevie schlafen lassen oder aufwecken?

Dusty erhob sich und streckte sich. Stevie hatte wohl die Bewegung gespürt und öffnete ihre Augen. Als sie Cole so unvermittelt vor sich sah, schrak sie zusammen.

Das war nun wirklich nicht seine Absicht gewesen. „Tut mir leid, Stevie, ich …“

„Cole! Ich hab dich gar nicht …“

Beide brachen ab, um den anderen ausreden zu lassen, begannen nach einer kleinen Pause aber wiederum gleichzeitig.

„Ich wollte dich nicht …“

„Ich dachte, du …“

Cole lächelte entschuldigend und hob die Hand. „Ich fang an. Tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe. Ich wusste nicht, dass du hier bist. So, jetzt du!“

Inzwischen war Stevie aufgestanden, strich ihr zerzaustes Haar zurück und lächelte Cole an. Obwohl er selbst nur durchschnittlich groß war, überragte er Stevie mit ihren gerade mal einem Meter achtundfünfzig erheblich.

„Ich dachte, du kommst erst morgen!“

„Ich hab einen früheren Flug genommen wegen des Wetters. Hatte keine Lust, ein, zwei Tage in Dallas festzusitzen, besonders, wo ich nächste Woche schon wieder nach Chicago muss.“

„Und jetzt bist du sicher müde. Und dann findest du auch noch einen ungebetenen Gast vor. Sorry!“

Wenn du wüsstest, wie wenig ungebeten dieser Gast ist, dachte er. Doch das behielt er natürlich für sich, wie immer, wenn es um seine Gefühle für Stevie ging. Darin übte er sich schon seit einem Jahr.

„Sonst ist immer nur Dusty hier, und ihre Begrüßung fällt eher spartanisch aus. Da ist es doch mal eine nette Abwechslung, mit einem Lächeln begrüßt zu werden“, sagte er und überlegte mit Blick auf Stevies geschwollene Lider, ob es indiskret wäre, sie zu fragen, ob sie geweint hatte. Schließlich entschied er sich für ein möglichst teilnahmsvolles „Alles in Ordnung?“.

Sie wischte mit den Handrücken über ihre Wangen, als wolle sie den letzten Schlaf fortwischen und keine Tränen. „Klar doch. Es war nur so still in meinem Haus heut Abend, deshalb haben Dusty und ich einander etwas Gesellschaft geleistet. Dabei muss ich wohl eingeschlafen sein.“

Die Katze war auf die Armlehne des Sofas gestiegen und verlangte nach Coles Aufmerksamkeit. Cole streichelte ihre weichen spitzen Öhrchen. „Hast du Stevie mit deinem Ich-bin-eine-arme-kleine-Katze-Blick angeschaut, damit sie nach dem Füttern noch ein bisschen hierbleibt?“

Stevie zog die Nase kraus und lachte. „Ein paar nachdrückliche Stupser hat sie auch noch investiert.“

Dusty genoss Coles Streicheleinheiten. Als er mit der Hand ihren Rücken hinunterfuhr, hob sie den Schwanz und drückte sich gegen seine Hand. „Sie ist hemmungslos“, stellte Cole fest.

„Allerdings“, stimmte Stevie zu und schenkte der Katze ein liebevolles Lächeln.

Kurz nach Coles Einzug hatte er mitten in einem winterlichen Sturm ein klägliches Maunzen vor der Tür gehört. Als er die Tür öffnete, um nachzuschauen, war ein nasses heruntergekommenes Kätzchen wie der Blitz an ihm vorbei ins Wohnzimmer gesaust.

Eigentlich hatte er vorgehabt, ein gutes Zuhause für die kleine Streunerin zu suchen, doch irgendwie hatte sie es geschafft, sich bei ihm einzunisten und, abgesehen von Vorsorge-Besuchen beim Tierarzt, das Haus seitdem nicht mehr verlassen. Ihren Namen verdankte sie dem Umstand, dass sie von ihren Expeditionen unter die Möbel mit Staubmäusen auf der Nase wieder auftauchte.

Doch auch wenn die beiden sich selbst genug waren, war es doch immer ein Highlight, wenn Stevie kam.

Manchmal fragte sich Cole, ob sie nicht schon fast ein wenig zu begeistert über Stevies Besuche waren. Sollten Katzen und Informatiker nicht unabhängig und distanziert sein? Was machte Stevie nur so anziehend? Er bemühte sich, seine Begeisterung etwas weniger offensichtlich zu zeigen, als seine Katze dies tat. Diese ganz besondere Freundschaft mit Stevie war viel zu kostbar, als dass er sie mit einseitiger Liebe gefährden wollte.

Als Datenanalyst eines Medizintechnikunternehmens arbeitete Cole meist zu Hause, wo er via Computer und Smartphone vernetzt war. Nur gelegentlich musste er persönlich zu Besprechungen anreisen.

Nicht, dass er die Menschen nicht mochte. Doch im Umfang mit Computern fühlte er sich irgendwie wohler, besonders nach der schweren Krankheit seiner früheren Frau Natasha.

Plötzlich schien es sehr still im Zimmer. Cole schob die Gedanken an die schmerzhafte Vergangenheit beiseite und starrte aus dem Fenster. „Scheint, als hätte der Eisregen aufgehört. Vielleicht kommt jetzt Schnee, das wäre mir lieber.“

Stevie nickte. „Wenn genügend Schnee fällt, könnten die Kinder Schneemänner bauen und eine Schnellballschlacht machen, das haben wir hier ja nicht so oft. Aber am Montag soll der Schnee wieder weg sein, da hab ich mehrere Termine!“

„Also hoffen wir, dass die Kinder am Wochenende ihren Spaß haben und zum Wochenanfang alles wieder frei ist“, fasste Cole belustigt zusammen.

„Das wär prima.“ Trotz ihres Lächelns hatte Cole den Eindruck, dass irgendetwas Stevie belastete. Er bemerkte, wie sie eine Locke um ihre Fingerspitze wickelte; in den letzten Monaten war ihm aufgefallen, dass das bei ihr ein Zeichen von Anspannung war.

Stevie stammte aus Little Rock, wo sie in gutbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen war. Sie war eine der lebhaftesten Frauen, die Cole je getroffen hatte, aufgeschlossen, optimistisch und ein wenig eigenwillig. Nachdem er in diesen Stadtteil gezogen war, der sich gerade vom heruntergekommenen zu einem angesagten Viertel mauserte, hatte Stevie ihn als erste willkommen geheißen. Das hielt er für einen noch größeren Glücksfall als den Kauf dieses Hauses zu einem so günstigen Zeitpunkt.

Schon merkwürdig, dass eine so tolle Frau an einem Freitagabend die Gesellschaft seiner Katze vorzog, anstatt auszugehen. Vom ersten Moment an hatte er sich von Stevie angezogen gefühlt und sich durchaus einige Fantasien gestattet. Jedoch beließ er es auch dabei, denn er wollte sich nichts vormachen. Auch wenn sie seit drei Monaten von ihrem hippen Musikerfreund Joe getrennt war und seitdem wohl kein Date mehr gehabt hatte, brauchte er sich bei einer solchen Frau keine Chancen auszurechnen.

Bei einem ihrer freundschaftlichen Gespräche hatte sie Cole anvertraut, dass ihre Schwäche für freischaffende Künstler und Musiker ihr nicht nur einmal das Herz gebrochen hatte. Damit war für ihn klar, dass ein introvertierter Computerfreak ihr Herz nicht höherschlagen lassen konnte, auch wenn sie ihn als Kumpel wohl schätzte.

Seitdem mit Joe Schluss war, schien Stevie etwas stiller geworden zu sein, doch so niedergeschlagen wie heute Abend hatte Cole sie noch nie gesehen. Trauerte sie diesem Typen etwa noch hinterher, der nach Texas entschwunden war, um als Single neu durchzustarten?

Cole suchte nach den passenden Worten, doch das war nicht gerade seine Stärke. Normalerweise schnatterte Stevie vor sich hin, und er antwortete, wenn er gefragt wurde. Dass sie sich trotzdem nie mit ihm zu langweilen schien, machte sie so besonders. Sie hatte noch nie gegähnt oder auf die Uhr geschaut, wenn sie mit ihm zusammen war.

„Hast du schon gegessen?“, fragte er Stevie. „Im Flieger gab es nichts, und ich hab ganz schön Hunger.“

„Nein, ich hatte noch kein Abendessen. Mittagessen auch nicht, glaub ich; ich weiß es gar nicht mehr genau.“

Offensichtlich bedrückte sie wirklich etwas. Sie würde es ihm schon sagen, wenn der richtige Moment gekommen war.

„Ich hab was von der Suppe eingefroren, die du mir letzte Woche gekocht hattest; die kann ich heiß machen“, schlug er vor.

Sie strich ihr verwuscheltes Haar zurück und nickte. „Klingt gut. Ich mach mich kurz ein bisschen frisch, und dann helfe ich dir.“

„Wir treffen uns in der Küche.“

Normalerweise hätte er sich mit der aufgewärmten Suppe und einem Dosenbier vor den Fernseher verzogen. Doch nun deckte er den Tisch mit Platzsets und Besteck und achtete darauf, heile Suppenteller zu erwischen.

Im Gästebad benetzte Stevie ihr Gesicht mit Wasser. Dann tupfte sie sich ab, legte eine Hand auf ihren noch flachen Bauch und atmete tief durch. Offenbar war sie zurzeit ständig müde. Sie hatte so tief geschlafen, dass sie Cole nicht mal hatte reinkommen hören.

Sie kannte ihn jetzt seit einem Jahr, und er war der ausgeglichenste und feinfühligste Mensch, dem sie je begegnet war – ein wahrer Fels in der Brandung ihres Lebens, das oft einer Achterbahnfahrt glich. Hatte sie vielleicht deshalb Zuflucht in seinem Haus gesucht und ihre Aufgabe als Katzensitterin als Vorwand benutzt?

Kritisch schaute sie in den Spiegel. Hatte Cole die Spuren ihrer Tränen gesehen? Das wäre ihr peinlich. Auch wenn sie sonst kein Problem damit hatte, Gefühle zu zeigen – schwach und verletzlich wollte sie nicht erscheinen. Stephanie „Stevie“ McLane war stark und unverletzlich und nicht jemand, der sich im Haus eines Freundes verkroch und die Katze vollweinte. Cole hatte sie mit seinen dunklen Augen forschend angeschaut, ruhig gefragt, ob alles in Ordnung sei und ihr eine warme Mahlzeit angeboten. Offenbar spürte er genau, was sie brauchte. Und das bezog sich nicht nur auf das Essen.

Als sie in die Küche kam, lächelte Cole. Sein dickes, welliges dunkles Haar war wie immer leicht zerzaust, und nachsprießender Bart überzog wie ein leichter Schatten sein markantes Kinn. Stevie fand, seine ausdrucksvollen Augen hatten die Farbe dunkler Schokolade und spiegelten seine Freundlichkeit ebenso wie seine Klugheit. Er war breitschultrig und von kräftiger Statur, nicht unbedingt der klassische Adonis und schon gar nicht der abgehobene Künstlertyp, auf den sie bisher immer geflogen war. Auch war er nicht redselig und hielt sich im Hinblick auf seine Gefühle eher bedeckt. Aber Cole bedeutete für sie Vertrauenswürdigkeit, Zuverlässigkeit, Beständigkeit.

Sie hatte ihn vom ersten Moment an gemocht, sogar ein nicht unbedeutendes Maß an weiblichem Interesse an ihm gezeigt. Allerdings hatte sie schon beim ersten Gespräch – eher „Verhör“, wie Cole diese erste Unterhaltung augenzwinkernd bezeichnete – herausgefunden, dass er ein Computerfreak war, Witwer und Countrymusic bevorzugte. Er war so ziemlich das Gegenteil von ihr.

Schließlich hatte sie ihn unter „Gegensätze ziehen sich an“ einsortiert, obwohl da durchaus eine tiefer liegende Anziehungskraft spürbar war. Auch wenn sie die meiste Zeit in eine On-off-Beziehung mit einem bindungsscheuen Musiker verstrickt gewesen war, war ihr nicht entgangen, was für ein großartiger Mann Cole war. Er war so ganz anders als ihre sonstigen männlichen Bekannten, in vielerlei Hinsicht ein Rätsel für sie. Dennoch hatten sie sich angefreundet. Unter anderen Umständen hätte vielleicht sogar mehr daraus werden können. Sie fühlte sich sehr wohl in seiner Gegenwart und vermisste ihn, wenn er nicht da war.

In den letzten Tagen hatte sie seine ruhige geerdete Ausstrahlung ganz besonders vermisst.

Höflich rückte er ihr den Stuhl zurecht. „An Getränken hab ich leider keine große Auswahl. Falls du kein Bier möchtest, kann ich Kaffee aufbrühen oder eine Flasche Wein öffnen.“

„Nein danke, das ist genau das Richtige“, sagte sie und deutete auf das Glas Wasser, das er neben ihren Teller mit der dampfenden Suppe gestellt hatte.

Sie nahm ihren Löffel. „Wie war deine Reise?“

Cole verzog das Gesicht und setzte sich ihr gegenüber. „Ich bin froh, den Abend nicht im Knast zu verbringen, anstatt hier mit dir Suppe zu essen.“

„So schwierige Kunden?“

„Teilweise dumm wie Brot, wie mein Opa-vom-Lande zu sagen pflegte.“

Stevie lachte. Coles Opa-vom-Lande schien eine wahre Fundgrube an witzigen Zitaten zu sein. „Wie ich dich kenne, warst du natürlich trotzdem ein Ausbund an Geduld und Höflichkeit.“

„Hinsichtlich der Geduld bin ich mir nicht so sicher, aber ich habe mir alle Mühe gegeben, meine Gedanken für mich zu behalten. Die meiste Zeit haben sie nicht mal zugehört und sich anschließend beklagt, weil sie nicht alles verstanden hatten. Das ist echt frustrierend. Deshalb ziehe ich E-Mails solchen zeitraubenden Meetings jederzeit vor.“

Als viel beschäftigter Innenarchitektin mit Schwerpunkt Küchenplanung waren fruchtlose Besprechungen für Stevie nichts Neues. „Das kann ich gut nachfühlen. Ich würde auch manchem zickigen Kunden oder unfähigen Subunternehmer am liebsten die Wasserkaraffe vom Besprechungstisch über dem Kopf ausleeren.“

Cole feixte. „Ich hätte ja vermutet, dass du so lange Süßholz raspelst, bis sie deiner Meinung sind. Dieses Talent geht mir leider ab.“

Reden war tatsächlich nicht so sehr sein Fall. Doch wenn er das Wort ergriff, hatte es immer Hand und Fuß. Sie hatte ihn schon mehrmals in schwierigen geschäftlichen Dingen um Rat gefragt und jedes Mal eine kluge, praktische Antwort bekommen.

Was er wohl zu ihrem aktuellen, sehr persönlichen Problem sagen würde? Sie biss sich auf die Lippe und ballte im Schoß ihre Hände zusammen.

Cole räusperte sich. Als sie hochsah, bemerkte sie seinen forschenden Blick. „Dein Essen wird kalt“, sagte er ruhig.

Spürte er, dass da etwas gewaltig in ihr brodelte? Auf jeden Fall hatte seine Bemerkung sie erst mal wieder in die Realität zurückgeholt. Sie nahm ihren Löffel wieder auf und versuchte, sich auf die Suppe zu konzentrieren. Um sich nicht wieder in ihren Gedanken zu verlieren, plauderte sie drauflos, was ihr gerade so einfiel.

Cole bemühte sich, ihren wilden Themenwechseln zu folgen. Als er aufgegessen hatte, holte er eine Rolle Kekse aus dem Schrank und bot sie als Nachtisch an. Stevie lehnte dankend ab und löffelte schnell ihre Suppe auf.

Anschließend trug Cole sein Geschirr zur Spüle, und Stevie trottete mit ihrem hinterher.

„Danke, Cole.“

„Für die Suppe? Kein Problem. Ich hab sie nur aufgewärmt, gekocht hast du sie ja.“

„Doch nicht für die Suppe!“, schalt sie ihn liebevoll. „Obwohl die wirklich eine gute Idee war. Aber ich meinte deine Gesellschaft und unser Gespräch. Das habe ich heute dringender gebraucht als eine warme Suppe.“

Er trocknete seine Hände ab und wandte sich ihr zu. Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen. „Ich hab doch kaum was gesagt.“

„Ich hab dir dazu auch wenig Gelegenheit gegeben.“

„Stimmt. Aber das bin ich ja von dir gewöhnt.“

Sie kicherte und tätschelte seine Wange. „Willst du damit etwa sagen, dass ich eine Quasselstrippe bin?“

„Das trifft es ganz gut.“ Sein breites Lächeln ließ seine Augen strahlen, und um seine Mundwinkel erschienen Grübchen. Mit seinem verwuschelten Haar und etwas zerknittert von dem langen Reisetag sah er regelrecht umwerfend aus. Seine leichten Bartstoppeln piksten in ihrer Handfläche, und seine warme Haut erweckte in ihr das Bedürfnis, sich an ihn zu kuscheln, um sich bei ihm geborgen zu fühlen.

Erschrocken zog sie ihre Hand zurück. Das war wirklich nicht der Zeitpunkt für körperliche Annäherungen, auch wenn diese Spannung schon die ganze Zeit unterschwellig vorhanden gewesen war. Außerdem hatte sie gute Gründe, ihre Freundschaft mit Cole nicht damit aufs Spiel zu setzen.

„Du warst den ganzen Tag unterwegs“, sagte sie sachlich und trat einen Schritt zurück. „Bestimmt bist zu müde und musst dich ausruhen. Ich sollte jetzt gehen.“

„Kein Grund zur Eile. Wir können gern noch einen Film zusammen anschauen oder so was.“

Sie lächelte etwas unsicher. Er war so süß zu ihr, obwohl er nicht mal wusste, was sie so bedrückte! Bestimmt hatte er nach dem anstrengenden Tag nur noch auf seine Couch fallen wollen. Stattdessen hatte er seinen Überraschungsgast zum Abendessen eingeladen und bot ihr an, noch länger zu bleiben. Kein Wunder, dass er zu ihren liebsten Freunden zählte!

„Danke, Cole, aber ich sollte langsam schlafen gehen.“

Er runzelte die Stirn. „Aber was ist, wenn bei dem Wetter bei dir der Strom ausfällt? Wär ja möglich …“

„Ich hab genug Kuscheldecken und mehrere Taschenlampen.“

„Ist dein Handy aufgeladen?“

„Fast vollständig. Ich schließ es an, sobald ich zu Hause bin.“

Er nickte, schien jedoch noch immer nicht überzeugt.

Normalerweise war er sparsam mit Berührungen, es sei denn, sie gingen von Stevie aus. Doch jetzt legte er seine Hand auf Stevies Schulter und schaute ernst in ihre Augen. „Wie du weißt, bin ich nicht besonders unterhaltsam, Stevie. Aber du weißt auch, dass ich ein guter Zuhörer bin. Und ich bin dein Freund. Wenn ich also irgendetwas für dich tun kann, lass es mich bitte wissen.“

Sosehr sie sich auch bemühte, die Fassung zu bewahren, genügte der leichte Druck seiner Finger, um Tränen in ihren Augen aufsteigen zu lassen. Zu ihrem Entsetzen entlud sich ihre Anspannung in einem Schluchzen, das sie nicht unterdrücken konnte.

Nach einem winzigen Zögern trat Cole einen Schritt vor und schloss Stevie in seine Arme. Seine rührend hilflose Art, ihr auf den Rücken zu klopfen, ließ sie nur noch mehr weinen.

„Stevie, sag doch – was ist denn los?“

„Ich …“, sie schluckte. Dann brach es aus ihr hervor: „Ich bin schwanger.“

Coles Hand erstarrte auf ihrem Rücken. Diese Möglichkeit war so ziemlich das Letzte, worauf er gekommen wäre.

Immer wieder unterbrochen von Schluchzern sprudelte sie mit tränenerstickter Stimme an seiner Schulter alles heraus.

„Entschuldige bitte! Es ist nur … Ich hab’s noch keinem erzählt, nicht mal meinen besten Freundinnen. Das belastet mich schon seit Wochen, schon seit ich den ersten Verdacht hatte. Aber ich hab es einfach verdrängt. Ich hab mir eingeredet, es sei Stress, oder ich hätte mich verrechnet. Aber es ist wirklich wahr, und jetzt bin ich schon im vierten Monat! Joe ist nach Austin gezogen und hat bestimmt schon eine neue Freundin. Er will auch keine Kinder und hat selbst gesagt, er würde bestimmt einen schrecklichen Vater abgeben. Ich heul auch nicht seinetwegen, denn mit uns hat es sowieso nicht funktioniert. Aber mein Bruder und ich sind auch ohne Vater aufgewachsen … und ich hab immer gesagt, das würde ich keinem Kind antun. Ich verstehe selbst nicht, wie ich in meinem Alter so dumm sein konnte! Ich werde mein Bestes geben, damit mein Baby trotzdem eine glückliche Kindheit hat. Ich meine, aus mir ist ja auch was geworden, oder? Aber das Wetter war heute so deprimierend, und ich war ganz allein zu Hause und brauchte Gesellschaft … Und sei es nur von deiner Katze“, schloss sie kläglich.

Er hatte Mühe gehabt, ihren Gedankensprüngen zu folgen. Das war eine geballte Menge an Information. Gott sei Dank hatte er Übung in der Verarbeitung großer Datenmengen. Stevie war im vierten Monat schwanger, Joe war raus aus dem Spiel. Sie wollte das Kind allein großziehen. Und offenbar hatte sie eine Heidenangst davor.

Ruhig fragte er: „Warst du schon beim Arzt?“

Sie nickte an seiner Schulter. „Schon zweimal.“

„Und ist alles in Ordnung?“

Ihr Schluchzen ließ langsam nach, und sie löste den Kopf von seiner Schulter. „Ja, mit uns beiden.“

Beide. Er hielt hier nicht nur Stevie im Arm. Da ihm nichts Tröstliches einfiel, kam wieder seine praktische Seite durch. Er griff um sie herum, riss ein Blatt von der Küchenrolle ab und reichte es ihr. „Hab leider kein sauberes Taschentuch dabei, aber dies geht vielleicht auch.“

Das brachte sie wieder auf den Boden der Tatsachen, und sie gab sich alle Mühe, ihrer Gefühle Herr zu werden. Als sie zu Cole hochschaute, wirkten ihre tränennassen, leuchtend blauen Augen riesig in ihrem blassen Gesicht. Sie griff mit beiden Händen in den Stoff seines Hemdes, als sei dort Halt zu finden. Dann ließ sie mit einem tiefen Seufzer wieder los, strich den Stoff sorgsam glatt und löste sich aus seinen Armen. Cole blieb dicht bei ihr. Sie wirkte, als könne sie jeden Moment zusammenbrechen.

„Ich, ähm …“ Ihre Stimme funktionierte noch nicht wieder ganz. Sie räusperte sich und nahm einen neuen Anlauf. „Tut mir leid, dass ich dich so überfallen habe. Es ist einfach so aus mir rausgesprudelt. Wie ich schon sagte, außer Joe und der Ärztin weiß es noch niemand. Ich … wusste einfach nicht, wie ich es sagen sollte.“

„Das so lange für dich zu behalten war sicher nicht leicht.“

Sie wischte sich mit dem Küchentuch über die Wangen und nickte. „Besonders bei Jenny und Tess. Sie sind meine besten Freundinnen, und wir haben keine Geheimnisse voreinander. Aber Tess plant gerade ihre Hochzeit, und Jenny und Gavin versuchen schon ewig, schwanger zu werden. Wie kann ich ihr da erzählen, dass ich mal eben so schwanger geworden bin, noch dazu von einem Kerl, den sie nicht ausstehen kann?“

Inzwischen war die Blässe aus ihrem Gesicht verschwunden, und sie schien etwas gefasster.

„Schon kurz nach Weihnachten kam mir der Verdacht, schwanger zu sein. Aber ich hab noch ein paar Wochen gebraucht, bevor ich den Gedanken zulassen konnte.“

„Das war wohl erst mal ein Schock für dich.“

„Sehr. Ich fühlte mich verpflichtet, Joe anzurufen, aber der hat gleich klargestellt, dass er damit nichts zu haben will und es allein meine Sache ist. Ist aber auch okay, ich hab kein Interesse, ihn wiederzusehen. Natürlich weiß ich, dass das unverantwortlich von mir war. Andererseits werde ich im Mai zweiunddreißig, und für mich war immer klar, dass ich irgendwann ein Kind möchte. Wer weiß, ob das jetzt nicht der beste Zeitpunkt ist? Ich hab schon zu viel erlebt und keine Illusionen mehr, irgendwann noch meinem Märchenprinzen zu begegnen. Offenbar fliege ich immer auf Männer, die sich nicht binden wollen. Darauf hab ich keinen Bock mehr. Ich werde es irgendwie schaffen, dieses Kind allein großzuziehen. Klar muss ich zusehen, wie ich meine Termine organisiere und wie ich mit meinen Ersparnissen durch den Mutterschaftsurlaub komme. Ich bin ja noch nicht lange im Geschäft, und gerade anfangs muss man dranbleiben. Aber irgendwie …“

„Möchtest du noch Wasser?“, unterbrach Cole ihren Redefluss, bevor sie sich wieder in irgendwelchen Ängsten verlor.

Sie atmete tief durch und schüttelte den Kopf. Dann beugte sie sich hinunter, um Dusty zu tätscheln, die ihr um die Beine strich. Als sie sich wieder aufrichtete, fuhr sie etwas ruhiger fort: „So sieht es also aus. Alleinstehend und schwanger. Meine Mutter hat das gleich zweimal in zwei Jahren geschafft, erst mit meinem Bruder, dann mit mir. Mir war noch kein einziges Mal übel, und mein Arzt sagt, ich bin sehr fit; das Baby auch. Heute Abend haben mich wohl die Hormone überflutet. Ich schaff das schon!“

„Daran hab ich keinen Zweifel“, sagte er. „Du wirst eine gute Mutter sein.“

Sie fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. „Glaubst du das wirklich?“

„Voll und ganz.“ Eigentlich sollte sie wissen, dass er nichts sagte, wovon er nicht überzeugt war.

Ihr Lächeln war noch etwas zaghaft. „Danke, Cole. Für das Abendessen, dafür, dass ich dich vollheulen durfte, und dafür, dass du so ein guter Freund bist. Und jetzt gehe ich wirklich, damit du dich ausruhen kannst.“

„Ich bring dich rüber.“

Sie warf das zerknüllte Küchentuch in den Mülleimer und fragte über ihre Schulter: „Seit wann musst du mich nach nebenan bringen?“

„Seitdem der Weg vereist ist und du schwanger bist“, gab er zurück. „Ich möchte sicher sein, dass du nicht stürzt.“

„Das ist zwar nicht nötig, aber vermutlich kann ich dich nicht davon abbringen.“ Ihr Lächeln wurde wieder zuversichtlicher, auch wenn es noch nicht ganz das alte war.

„Stimmt!“, bekräftigte Cole.

Als sie kurz darauf in ihren dicken Mänteln die Haustür öffneten, tobte draußen einer der für Arkansas typischen Schneestürme. Die Flocken fielen so dicht, dass Cole kaum Stevies Haus auf dem Nachbargrundstück sehen konnte. Alles war schneebedeckt und kein Auto mehr unterwegs.

Als sie hinaustraten, konnte Stevie nicht widerstehen, den Kopf in den Nacken zu legen, um den Schnee auf ihren Wangen zu spüren. Im spärlichen Licht der Außenbeleuchtung am Haus sah Cole die Flocken auf Stevies Haut und ihrem goldblonden Haar glitzern. Mit ihrem unverwechselbaren melodischen Lachen streckte sie die Arme aus und lief einen Kreis in den knirschenden Schnee. Cole griff vorsichtshalber nach ihrem Arm, damit sie nicht ausrutschte.

„Ist das nicht herrlich?“, fragte sie und atmete tief durch. Sie hakte sich bei ihm ein und lächelte ihn herzlich an.

„Doch.“

Er merkte, dass seine Stimmbänder leicht belegt waren und räusperte sich. Vielleicht war er doch müder, als er angenommen hatte? Egal! Dieser Spaziergang im Schneegestöber hätte seinetwegen ewig dauern können, mit Stevie so an ihn geschmiegt, während ihre beiden Atemwolken in der kalten Luft miteinander verschmolzen. Wie schon zuvor, als er sie schlafend auf seinem Sofa gefunden hatte, erschien ihm auch diese Situation wie seinen Tagträumen entsprungen. Nur gut, dass Stevie nicht Gedanken lesen konnte! Die Pfade, auf denen seine Fantasie davoneilte, als sie eine Schneeflocke mit der Zunge auffing, waren vielleicht gefährlicher als der schlüpfrige Weg unter ihnen.

Energisch schob er diese verfänglichen Assoziationen beiseite. Schließlich hatten sie Stevies Veranda erreicht. Stevie schloss die Haustür auf. „Okay, ich bin heil angekommen. Du kannst dich wieder entspannen.“

Cole betrachtete forschend ihr Gesicht im milden Schein der Verandaleuchte. „Ist wirklich alles in Ordnung? Wenn du noch irgendwas brauchst oder noch reden möchtest – ich bin für dich da.“

Spontan umarmte sie ihn. „Danke! Du bist ein wirklich netter Mann, Cole McKellar.“

Ein wirklich netter Mann. So schmeichelhaft das auch klingen mochte – in Coles Tagträumen hätte sie etwas anderes geflüstert. Er verbot sich diesen Gedanken und drückte Stevie nur kurz, bevor er einen Schritt zurücktrat. „Gute Nacht, Stevie. Ruf an, wenn du mich brauchst.“

Sie öffnete die Tür. „Gute Nacht, Cole.“

Der Schnee bedeckte schon wieder die Fußspuren, die sie auf dem Weg hinterlassen hatten. Cole war bereits von der Veranda wieder herunter, als er sich noch mal umwandte. „Stevie?“

Sie hatte die Tür noch nicht ganz geschlossen. „Ja?“

„Du bist nicht allein.“

Mit diesem Versprechen drehte er sich um und ging nach Haus.

2. KAPITEL

Stevie erwachte am späten Samstagvormittag. Dass sie sich gestern Abend Cole hatte anvertrauen können, hatte ihr gutgetan. Sie ging zum Schlafzimmerfenster und schaute über die glitzernde Schneedecke zu seinem Haus hinüber.

Du bist nicht allein. Coles Worte hatten sie in den Schlaf gewiegt und waren beim Aufwachen heute Morgen noch immer da gewesen.

Cole war so ein großartiger Kerl! Ruhig, aber mit seinem ganz eigenen Humor und einer umwerfenden Intelligenz für mathematische Zusammenhänge. Dass er niemanden verurteilte, wusste Stevie in dieser Situation ganz besonders zu schätzen.

Seit einem Jahr kannte sie ihn jetzt. Ein Date hatte er nie erwähnt, nur, dass er sich mal mit Freunden getroffen hatte. Über seine Frau Natasha, die vor einigen Jahren gestorben war, sprach er kaum. Er hatte sie wohl sehr geliebt. Vielleicht trauerte er noch immer und war an einer neuen Beziehung gar nicht interessiert?

Sie schlüpfte in einen farbenfrohen Pulli, bunt gestreifte Overknee-Strümpfe und Jeans. Die Jeans wurden jetzt etwas knapp in der Taille, und die BHs saßen eng um ihre fülliger werdende Oberweite. Doch selbst ihre besten Freundinnen hatten ihr ihren Zustand noch nicht angesehen.

Ich muss unbedingt mit Tess und Jenny sprechen! Jenny war seit der Schulzeit Stevies beste Freundin. Vor zwei Jahren hatten sie Tess kennengelernt, und seitdem waren sie ein unzertrennliches Trio. Seit ihrer Hochzeit hatte Jenny allerdings weniger Zeit. Im Juni wollte auch Tess heiraten.

Jenny und Tess hatten ihre große Liebe bereits gefunden, während Stevies Beziehungen immer in einem Fiasko geendet hatten. Schon ihre Mutter hatte einen Hang zu Männern gehabt, für die Ehe und Familie ein rotes Tuch waren. Vielleicht hatte sie diese Veranlagung ja von ihrer Mutter geerbt?

Kopfschüttelnd trat Stevie vom Fenster zurück.

Nach dem Frühstück ging sie in ihr Arbeitszimmer. Sie hatte zusätzlich ein kleines Büro in der Stadt angemietet, verbrachte jedoch die meiste Zeit vor Ort bei ihren Kunden. Da sie noch ein weiteres Schlafzimmer hatte, musste sie nicht ihr Arbeitszimmer für das Baby räumen.

Gegen elf klingelte es an der Tür. Drei rotbäckige, warm eingepackte Kinder grinsten sie an.

„Kannst du uns helfen, einen Schneemann zu bauen?“, fragte das rothaarige kleine Mädchen hoffnungsvoll.

Charlotte war fünf, ihre ebenfalls rothaarigen Brüder Leo und Asher waren neun und sieben Jahre alt. Stevie hatte schon mehrmals mit den Nachbarskindern gespielt, damit deren eingespannte Mutter Lori, die auch noch Baby Everly versorgen musste, mal eine Atempause hatte. Und Stevie bereitete es Freude.

„In fünf Minuten komm ich rüber. Leo, nimm Charlotte an die Hand, wenn ihr über die Straße geht, und guck vorher in beide Richtungen!“

Amüsiert beobachtete Stevie, wie Leo ein großes Brimborium daraus machte, mit seiner Schwester die leere Straße zu überqueren. Dann zog auch sie sich warm an.

Eine halbe Stunde später war sie außer Atem und von oben bis unten voller Schnee. Sie hatte Charlotte gezeigt, wie man einen Schneeengel macht.

Ihr Lachen schallte durch den Vorgarten. Hin und wieder erschien Lori mit Everly am Fenster, um ihnen zuzuschauen. Stevie winkte ihnen zu. Nächstes Jahr würde auch Everly im Schnee herumtoben, und Stevie würde mit ihrem eigenen Baby zuschauen. Was für ein aufregender Gedanke!

Für ihren Riesenschneemann hatten die Jungen fast den ganzen Rasen leer geräumt. Stevie wurde auserwählt, ihm seinen überdimensionalen Kopf aufzusetzen. Sie holte tief Luft und wollte gerade zupacken, als von hinten zwei starke Hände in schwarzen Handschuhen zu Hilfe kamen. Als sie über ihre Schulter blickte, sah sie Cole und lächelte.

„Kann ich helfen?“, fragte er fröhlich.

„Herzlich gern!“

„Wir bauen einen Schneeriesen!“, brüllte Asher und schleppte einen großen Ast aus dem Garten herbei. „Das kann ein Arm werden. Leo sucht noch einen.“

Mit Coles Hilfe hatten sie ihren Schneekumpel schnell fertig. Er bekam noch einen zerbeulten Ball als Kopfbedeckung, und Lori spendierte einen ausgefransten Schal. In den Blumenbeeten fanden sie Kieselsteine für das Gesicht.

Als ihre Mutter sie zum Mittagessen hereinrief, bedankten sich die Kinder bei Stevie und Cole und gingen ins Haus. Lori stand mit Everly auf der Hüfte in der offenen Haustür und bot Stevie und Cole heißen Kakao an; doch sie lehnten freundlich dankend ab.

„Obwohl heißer Kakao sehr verlockend klingt“, meinte Stevie, als sie über die Straße zurückgingen. Sie wischte sich mit ihrem feuchten Handschuh eine Schneeflocke von den Wimpern. „Mir ist kalt.“

„Deine Jeans sind nass, weil du dich mit Charlotte im Schnee gewälzt hast. Du solltest dir was Trockenes anziehen.“

„Komm mit rein, wenn du Zeit hast“, sagte sie, als sie ihre Einfahrt erreichten. „Ich mach uns einen Eimer Kakao.“

„Das klingt wirklich …“

Sein rechter Fuß war auf einem vereisten Fleck ausgeglitten, und trotz seiner Bemühungen, mit rudernden Armen wieder ins Gleichgewicht zu kommen, fiel er rücklings in den Schnee. Dabei machte er ein so komisches Gesicht, dass Stevie alle Mühe hatte, einen Lachanfall unterdrücken.

„Hast du dir wehgetan?“, fragte sie, obwohl offensichtlich war, dass höchstens sein Stolz verletzt war.

Er formte mit Armen und Beinen einen Schneeengel, stand wieder auf, begutachtete zufrieden sein Werk und behauptete: „Das mach ich immer so!“

Seine Schlagfertigkeit gefiel Stevie. Sie lachte und schob eine Hand unter seinen Arm. „Ab ins Warme!“

„Klingt gut“, sagte er und nahm ihre Hand. Obwohl sie beide Handschuhe trugen, spürte Stevie, wie sich die Wärme seiner Berührung in ihr ausbreitete.

Nachdem sie ihre Stiefel auf der Veranda abgestellt hatten, bestand Cole darauf, dass Stevie sich umzog. Sie ging in ihr Schlafzimmer hinauf, zog die nassen Sachen aus und schlüpfte in einen weiten Pulli und Leggings. Dann warf sie einen Blick in den Spiegel und zupfte ihre Locken zurecht. Ihre Wangen und ihre Nase waren noch immer gerötet von der Kälte, doch sie widerstand dem Impuls, ihr Make-up aufzufrischen; schließlich war es ja nur Cole. Rasch ging sie wieder hinunter.

Ihre französische Landhausküche mit den in warmem Salbeigrün gehaltenen Wänden war ihr Lieblingsraum.

Cole, der sich inzwischen im Gästebad frisch gemacht hatte, kam hinzu, ganz leger in Pulli, Jeans und auf Socken. Stevie verspürte kurz den Impuls, mit den Fingern durch seine dicken widerspenstigen Locken zu fahren. Stattdessen öffnete sie den Kühlschrank.

„Wie wär’s mit einem Sandwich vor dem Kakao? Nach Aktivitäten im Schnee hab ich immer Hunger.“

„Gern, falls das nicht zu viele Umstände macht. Wie kann ich helfen?“

Während des Essens sprach Cole zu Stevies Erleichterung das Thema „Schwangerschaft“ nicht an. Er aß sein Käse-Tomaten-Sandwich während Stevie wie ein Wasserfall über alles und jedes redete – außer über ihr Dilemma.

Nachdem sie abgeräumt hatten, bereiteten sie den heißen Kakao zu, den sie mit Marshmallows krönten, und nahmen die Becher mit ins Wohnzimmer. Die Flammen im Kamin knisterten und strahlten heimelige Wärme aus. Stevie machte es sich auf der Couch bequem, während Cole sich auf einem Gobelin-Sessel daneben niederließ. Fasziniert beobachtete Stevie, wie der Widerschein des Feuers tanzende Lichteffekte auf Coles Haar setzte.

„Dieser Raum hat mir schon immer gefallen“, bemerkte Cole und streckte seine Beine aus. „Dass ein so klassischer Stil so gemütlich wirken kann!“

Stevie strahlte. „Genau das will ich ja bewirken. Stilvoll, aber einladend. Die Einrichtung soll Freude bereiten, lebendig sein, nicht nur zum Bewundern oder Fotografieren da sein.“

Er nickte. „Möbel, auf die man sich nicht setzen mag, oder ein Teppich, auf dem man treten darf, wären ja auch Verschwendung. Tasha …“ Er hielt inne und trank einen Schluck von dem dampfenden Kakao.

Stevie rührte in ihrem Becher die schmelzenden Marshmallows unter. „Hattet ihr denselben Einrichtungsgeschmack, Natasha und du?“, fragte sie vorsichtig. Sie hätte gern mehr über seine Frau erfahren, doch sie wollte keine schmerzhaften Erinnerungen in ihm wecken.

„Solche Dinge waren ihr nicht wichtig. Wenn sie einen bequemen Stuhl hatte, war sie zufrieden.“

„Hat sie gern gelesen?“

„Leidenschaftlich gern, besonders, als es gesundheitlich bergab ging und sie nicht mehr viel anderes tun konnte.“

„War sie lange krank?“

„Ja“, antwortete er ruhig.

Und Cole hat sich um sie gekümmert, hat sein Bestes gegeben, um sie zu pflegen. Da war sich Stevie ganz sicher. Im Gegensatz zu den Männern, mit denen sie es bisher zu tun gehabt hatte, war Cole nicht der Typ, der sich aus der Verantwortung stahl, selbst wenn die Herausforderung an seine Substanz ging. Was für ein Glück, einen solchen Mann an seiner Seite zu haben, dachte sie fast ein wenig wehmütig.

„Was hast du heute noch so vor?“, fragte er – ein beabsichtigter Themenwechsel.

„Eigentlich wollte ich noch für ein paar Stunden ins Büro fahren. Aber ich glaube, ich werde stattdessen lieber zu Hause arbeiten. Hier bricht ja bei jedem bisschen Schnee gleich ein Verkehrschaos aus.“

„Gute Idee. Also fühlst du dich heute besser?“

Die Erinnerung an ihren Zusammenbruch gestern Abend war ihr noch immer peinlich. „Viel besser, danke. Es hat Spaß gemacht, mit den Kindern zu spielen.“

„Nette Kids. Und offenbar verrückt nach dir.“

„Ich finde sie auch toll.“

Er trank seinen Kakao aus. Stevie registrierte unter ihren halb gesenkten Wimpern, dass ein Klecks Marshmallow auf seiner Oberlippe zurückblieb, als er den Becher absetzte. Normalerweise hätte sie ihn damit aufgezogen, aber irgendetwas hielt sie zurück – vielleicht die plötzliche Vorstellung, die süße Köstlichkeit von seinen Lippen zu lecken und den Schokoladengeschmack auf seinen Lippen zu schmecken?

Erschrocken rief sie sich innerlich zur Ordnung. Das musste wohl an den Hormonen liegen! Auch wenn sie sich immer bewusst gewesen war, dass Cole ein attraktiver Mann war – ganz abgesehen von seinen sonstigen fabelhaften Eigenschaften –, solche Gedanken über ihn hatte sie bisher strikt vermieden. Cole hatte nie Interesse an mehr als einer Freundschaft mit ihr signalisiert. Und diese Freundschaft war ihr viel zu wertvoll, um sie für das Experiment einer Beziehung zu riskieren, erst recht in ihrer jetzigen Situation.

Cole wischte sich das Stück Marshmallow mit einer Serviette ab und stand auf, um seinen Becher in die Küche zu bringen. Stevie trabte mit ihrem Becher hinterher. Als sie fast an der Spüle war, drehte er sich um, und sie stießen um ein Haar zusammen. Er lachte leise und fasste sie bei den Schultern. „Stopp!“

Augenblicklich breitete sich die Wärme seiner Berührung in ihr aus. Reflexartig trat sie einen Schritt zurück und war einen Moment verwirrt, bevor sie versuchte, ihre Verlegenheit mit einem Lachen zu überspielen. „Hast du gedacht, ich werfe dich um?“

Er lächelte. „Kann sein. Einmal bin ich heute ja schon zu deinen Füßen gelandet. Aber hier drin liegt kein Schnee, mit dem ich das rechtfertigen könnte.“

Lachend wusch Stevie ihren Becher in der Spüle aus. Als sie sich wieder umwandte, betrachtete Cole stirnrunzelnd ihre Küchendecke. „Da ist ein Strahler kaputt. Hast du eine Reservelampe?“

„Ja. Ich tausch das nachher aus.“

Er schüttelte den Kopf. „In deinem Zustand steigst du nicht auf Leitern. Ich mache das.“

Für Stevies ein Meter achtundfünfzig war die Zimmerdecke wirklich recht hoch. Dankbar holte Stevie die Lampe und eine Leiter, schaltete die Strahler aus und schaute zu, wie Cole auf die Leiter stieg und nach oben langte. Für einen Computer-Nerd ist er wirklich in guter Form, dachte sie mit Blick auf sein Sixpack, das unter seinem hochrutschenden Shirt zum Vorschein kam.

„Verflixt!“

„Stimmt was nicht?“

„Die Glühbirne ist in meiner Hand zerbrochen, und der Sockel steckt in der Fassung.“

„Moment, ich hole eine Kartoffel.“

Er stieg von der Leiter und warf die zerbrochene Lampe in den Müll, während Stevie eine große Kartoffel durchschnitt. „Du kennst den Trick also auch?“

Grinsend gab sie ihm eine Kartoffelhälfte. „Ich hab schon etliche Lampen kaputt gemacht. Meine Mom hat mir diesen Trick mal gezeigt. Wir hatten wenig Geld, und so musste sie selbst den Handwerker spielen, zumindest bis mein Bruder und ich groß genug waren, um auch mitzuhelfen.“

„Dann war sie wohl sehr selbstständig.“

„Gezwungenermaßen. Sie hat keinen der Väter ihrer Kinder geheiratet, die waren nicht von der häuslichen Sorte. Mein Vater starb, als ich noch ein Kleinkind war, und hinterließ keinen Unterhalt für mich. Der Vater meines Bruders war auch keine Hilfe. Aber meine Mama hat uns auch allein groß bekommen. Sie erbte eine kleine Summe von ihren Eltern, als Tom und ich noch klein waren, zahlte damit unser Haus an und hat es dann über zehn Jahre abgezahlt. Sie konnte echt gut wirtschaften und hat gut für uns gesorgt. Auch wenn ihr eintöniger Beamtenjob ihre Zigeunerseele fast umgebracht hat, wie sie immer sagte.“

„Klingt nach einer großartigen Frau“, bemerkte Cole, der inzwischen wieder auf der Leiter stand.

„Das ist sie auch.“

Am Tag von Stevies Abschlussfeier im College hatte ihre Mutter verkündet, nun in Rente zu gehen und nach Hawaii zu ziehen. Sie hatte Stevie das Haus günstig verkauft und ihren Traum verwirklicht.

Stevie nahm eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und öffnete sie. „Hoffentlich komme ich als Alleinerziehende ebenso gut klar wie Mom.“

„Du wirst das ganz prima machen!“ Cole drückte die Kartoffel auf den abgebrochenen Sockel und drehte sie heraus. Stevie nahm ihm den Müll ab und reichte ihm das neue Leuchtmittel.

„Danke“, sagte er und montierte den Ersatz. „Kannst du dich überhaupt an deinen Vater erinnern?“

„Nein. Ich war fast noch ein Baby, als er bei einem Autounfall ums Leben kam.“

„Und der Vater deines Bruders?“

„Toms Dad lebt noch, soviel wir wissen, aber da gab es nie eine Beziehung. Die Familie, das waren immer nur wir drei.“

Sie seufzte. „Ehrlich gesagt, hab ich meine Freundinnen immer um ihre Väter beneidet. Jenny ist auch ohne Vater aufgewachsen und das hat uns irgendwie verbunden. Wir waren beide etwas eifersüchtig, wenn die Väter der anderen Mädchen mit ihren Töchtern tanzten oder deren Freunde in die Mangel nahmen.“ Sie lachte wehmütig. „Tom hat sich einen Vater gewünscht, der mit ihm Fangen spielt, mit ihm angeln geht und so. Jungskram eben. Mom konnte klasse den Ball werfen beim Baseball, hat uns Radfahren und Autofahren beigebracht und wie man die Wohnung und das Auto in Ordnung hält, wirklich alles, was man so braucht. Aber ich dachte immer, wenn ich mal ein Kind habe, möchte ich ihm das geben, was mir als i-Tüpfelchen in meiner Kindheit noch gefehlt hat: einen Papa.“

Cole stieg von der Leiter und klappte sie zusammen. „Nicht jeder, der einen Vater hat, hat auch eine gute Beziehung zu ihm“, bemerkte er und trug die Leiter in den Hauswirtschaftsraum.

Stevie schaute ihm nachdenklich hinterher. Viel hatte er nicht über seine Familie erzählt, aber durchblicken lassen, dass die Beziehung zu seinem Vater nicht eng war. Seine Eltern waren geschieden, und beide hatten wieder geheiratet. Schon vor Jahren war seine Mutter in einen anderen Bundesstaat gezogen, und Cole war überwiegend bei seinen Großeltern väterlicherseits aufgewachsen, bei ebenjenem Großvater-vom-Lande. Wie es zu der Entfremdung von seinem Vater gekommen war, hatte Cole nicht erzählt.

Vielleicht ist es ja sogar besser, dass ich das Kind allein großziehe, wenn sein Erzeuger so gar kein Interesse an seiner Vaterrolle hat. Mit einem anderen Vater, so jemandem wie Cole zum Beispiel, der gefestigt und verlässlich war, sähe das natürlich ganz anders aus, dachte Stevie mit einem Kloß im Hals.

Zurück in der Küche, schaute Cole sich um. „Kann ich noch irgendetwas für dich tun? Irgendwas reparieren oder so? Das wäre ja das Mindeste, wo du dich die ganze Woche um die Katze gekümmert hast.“

Stevie lächelte. „Nein danke. Das ist erst mal alles.“

„Hast du noch genug zu essen, sodass du heute nicht noch mal rausmusst?“

Sie tätschelte seinen Arm. „Ich hab alles, was ich brauche, Cole. Vielen Dank.“

Er griff nach ihrer Hand, drückte leicht ihre Finger, ließ sie schnell wieder los und trat einen Schritt zurück. „Dann gehe ich jetzt mal. Ich muss mich noch auf eine Telefonkonferenz nachher vorbereiten.“

„Eine Telefonkonferenz am Samstagnachmittag?“ Sie folgte ihm zur Tür.

„Ja, es war viel los diese Woche.“ Er nahm seine Jacke. „Ich werde heute wohl noch ein paar Stunden arbeiten müssen. Aber wenn du irgendwas brauchst, melde dich auf jeden Fall, hörst du?“

„In Ordnung. Komm gut heim, wir haben schon genug Schneeengel gemacht.“

Sein Gesichtsausdruck sprach Bände; Stevie musste lachen.

Dann wurde Cole ernst und hielt, die Hand schon auf der Türklinke, noch einmal inne, als ginge ihm etwas durch den Kopf. Stevie wartete, doch er schwieg.

Schließlich hob er den Kopf und schaute sie unverwandt an. Ihr Blick schien sich in der Tiefe seiner dunklen Augen zu verlieren. Irgendetwas lag zwischen ihnen in der Luft, aber Stevie konnte nicht ausmachen, was es war.

„Ruf mich an, wenn du mich brauchst“, sagte er schließlich, öffnete die Tür und war fort, noch bevor sie antworten konnte.

Verwirrt schloss sie die Tür, ging zum Sofa und ließ sich darauf fallen. Irgendetwas war anders zwischen Cole und ihr, seitdem sie ihm von ihrer Schwangerschaft erzählt hatte. Empfand nur sie das so, oder spürte er das auch? Vielleicht waren es auch nur die hormonelle Umstellung und ihr Gefühlschaos, und sie bildete sich alles nur ein. Aber eins wusste sie genau: Ihre kostbare Freundschaft mit Cole wollte sie auf keinen Fall gefährden.

Drei Stunden später klingelte ihr Telefon. Sie schaute vom Computer, an dem sie eine Küchenplanung vornahm, auf das Display des Telefons und lächelte, als sie Cole las. Wie süß von ihm! Doch sie musste ihm klarmachen, dass er sich nicht um sie zu sorgen brauchte. Dass sie sich gestern so hatte gehen lassen, war ihr inzwischen peinlich.

„Hi, Cole, was gibt’s?“, fragte sie betont fröhlich.

„Ich wollte dir nur sagen, dass ich morgen mit dem ersten Flieger nach Chicago muss.“

„Ich dachte, du musst erst in ein paar Tagen wieder los.“

„Das dachte ich auch. Aber die Telefonkonferenz war ein Albtraum. Ich muss da einiges klarstellen. Und aufpassen, dass ich dabei keinem an die Gurgel gehe“, sagte er grimmig.

Stevie lachte und versprach: „Ich passe gut auf Dusty auf.“

„Das tust du doch immer! Bestimmt bist du ihr Lieblingsmensch. Was ich gut nachvollziehen kann“, fügte er hinzu, und seiner Stimme war anzuhören, dass er dabei lächelte.

„Vielen Dank für die Blumen.“

Sein dunkles Lachen klang höchst angenehm. „Pass gut auf dich auf, hörst du?“

„Mach ich. Du auch.“

Mit einem kleinen Seufzer legte Stevie das Telefon beiseite. Sie würde Cole vermissen.

Der Dienstag war ein langer anstrengender Tag für Cole. Doch das war nicht der Grund, weshalb er abends nicht einschlafen konnte. Seine geschäftlichen Herausforderungen hatte er zur allgemeinen Zufriedenheit meistern können, und am Donnerstag würde er wieder in seinem Homeoffice in Little Rock sitzen.

Trotzdem wälzte er sich im Bett herum, stand schließlich auf, ging zum Fenster und starrte in den nächtlichen Chicagoer Himmel hinaus. In Gedanken war er ein paar Hundert Meilen weit fort. Bei Stevie McLane, um genau zu sein.

Selbst während seiner Besprechungen, bei denen es um Zahlen und mathematische Formeln ging, hatte er sie immer irgendwo im Hinterkopf gehabt. Eigentlich ließ er sich nicht von der Arbeit ablenken; aber seitdem Stevie ihm am Freitagabend ihre Schwangerschaft anvertraut hatte, ging sie ihm nicht mehr aus dem Sinn. Nicht, dass sie ihn nicht schon während der ganzen letzten Monate beschäftigt hätte, aber jetzt war ihre Präsenz noch viel intensiver als vorher.

Einer ihrer Sätze ließ ihn gar nicht mehr los. Ich dachte immer, wenn ich mal ein Kind habe, möchte ich ihm das geben, was mir als i-Tüpfelchen in meiner Kindheit noch gefehlt hat: einen Papa.

Wie ein Geistesblitz war es mitten in der Nacht über ihn hereingebrochen, und nun dachte er die ganze Zeit darüber nach und erwog auf seine bedächtige Art alle möglichen Konsequenzen. Wenn er daran dachte, dass er selbst nie einen fürsorglichen Vater gehabt hatte, kamen ihm Zweifel, ob er überhaupt kompetent genug war, ein solches Angebot zu machen. Doch er war entschlossen, wenigstens mit Stevie darüber zu sprechen.

Er wusste nicht, ob er mehr Angst davor hatte, dass sie ihn zurückweisen könnte, oder davor, dass sie sein Angebot annehmen würde.

Schließlich kroch er wieder in sein zerwühltes Bett. Er hatte immer einige Sachbücher auf seinem Tablet gespeichert. Wenn er noch ein wenig las, würde er vielleicht müde genug, um Schlaf zu finden. Als er die Nachttischlampe einschalten wollte, stieß er seine Brieftasche herunter. Beim Aufheben klappte sie auf. Er wollte sie gerade wieder schließen, als etwas ihn innehalten ließ. Vorsichtig zog er aus dem rückwärtigen Fach ein kleines Foto mit abgenutzten Ecken.

Er hatte mal zu Natasha gesagt, sie habe ein Gesicht wie eine Renaissance-Madonna. Glattes dunkles Haar umrahmte ihr feines ovales Gesicht mit dem makellosen olivfarbenen Teint. Ihre haselnussbraunen Augen waren so klar und ausdrucksstark, dass er manchmal das Gefühl gehabt hatte, sie könne in ihn hineinschauen. Trotz ihres madonnenhaften Aussehens hatte sie einen kämpferischen Geist gehabt und ihre tödliche Krankheit nie akzeptiert. Bis zum letzten Atemzug hatte sie an ihre Träume geglaubt: eine lange Ehe, eine Familie, eine Karriere.

Cole strich mit den Fingerspitzen über das Foto. Fünf Jahre lag das nun schon zurück. Natasha hatte ihn zum Witwer gemacht, bevor er dreißig war. Sie hätte nicht gewollt, dass er für den Rest seines Lebens allein blieb. Und doch waren da immer Schuldgefühle, wenn er sich vorstellte, all das, was sie sich so sehnlichst gewünscht hatte, noch erleben zu können – ohne sie.

Sie würde es verstehen, sagte er sich und steckte das Foto zurück an seinen Platz. Sie hätte Stevie gemocht, auch wenn sie beide außer einem liebevollen Herzen und unverwüstlichem Optimismus nicht viel gemeinsam hatten. Natasha würde seinen Impuls, einer sehr geschätzten Freundin in einer Notlage zu helfen, verstehen.

Vielleicht konnte er für Stevie das tun, was er Natasha nicht mehr hatte geben können. Er schob die Brieftasche zur Seite und ging wieder zum Fenster. Wenn er doch nur diese Befürchtungen loswerden könnte, Stevie nicht genug bieten zu können!

Nach einem Montag voller geschäftlicher Besprechungen und einem Termin bei ihrer Hebamme am Dienstag gönnte sich Stevie am Mittwoch einen der selten gewordenen Mädelsabende mit ihren Freundinnen Jenny und Tess.

Zwar lebte jede von ihnen in einem anderen Beziehungsstatus, doch beruflich waren sie alle auf ihre Karriere konzentriert. Jenny besaß zwei Modeboutiquen und wollte im nächsten Jahr eine dritte eröffnen. Tess leitete das Büro im aufblühenden Baugeschäft ihres Verlobten. Stevies Küchenplanungsfirma expandierte stetig dank der Empfehlungen ihrer zufriedenen Kunden. So wurde es immer schwieriger, einen gemeinsamen freien Abend zu finden, an dem sie ihre kostbare Freundschaft pflegen konnten.

Gelegentlich trafen sie sich auf einen Plausch nach der Arbeit in Jennys Boutique. Nach Ladenschluss konnten Stevie und Tess nach Herzenslust aktuelle Outfits durchprobieren und ihre Garderobe zu Jennys Freundschaftspreisen ergänzen. Heute steckten sie die Köpfe über Zeitschriften, Fotos und Stoffmuster zusammen, die Tess mitgebracht hatte. Inmitten des Wirrwarrs lagen zwei Tablets, auf denen Websites mit Brautmoden geöffnet waren.

„Was ist mit den Kleidern für die Brautjungfern?“, fragte Tess. „Möchtet ihr irgendeinen besonderen Stil?“

Stevie rechnete kurz nach und biss sich auf die Lippe. Bis zu Tess’ Hochzeit Mitte Juni wäre sie im siebten Monat und würde einen beachtlichen Bauch vor sich herschieben. Höchste Zeit, ihren Freundinnen reinen Wein einzuschenken. Weshalb nur fiel ihr das bei ihren Freundinnen schwerer als bei Cole? Dabei würden Jenny und Tess sie bestimmt unterstützen. Sie atmete tief durch.

„Hallo?“ Tess schaute Stevie und Jenny fragend an. „Keiner antwortete mir! Welchen Stil möchtet ihr für die Brautjungfernkleider?“

Bevor Stevie eine Chance hatte, ihre Neuigkeit anzubringen, ergriff Jenny das Wort: „Tja, Tess, wenn das für dich in Ordnung ist, gern leger und nicht figurbetont.“

Alarmiert sahen Stevie und Tess sie an, und Tess stieß einen kleinen Schrei aus.

„Jen?“ In Tess’ Stimme schwang freudige Erwartung mit.

Ein schüchternes Lächeln breitete sich in Jennys hübschem Gesicht aus. „Ich bin schwanger.“

Das war eigentlich Stevies Text. Doch jetzt blieb er ihr im Halse stecken.

Jenny schaute zu Tess und sagte: „Ich bin erst in der vierten Woche, eigentlich ein bisschen früh, um darüber zu reden. Aber wo du jetzt wegen der Kleider fragst, muss ich es wohl sagen.“

Tess quietschte und streckte die Arme aus. Obwohl Stevie sonst immer die überschwänglichste der drei Freundinnen war, zauderte sie einen winzigen Moment, bevor sie sich in die Gruppenumarmung stürzte. Falls das jemand bemerkt haben sollte, ging es hoffentlich als Überraschungsmoment durch.

Jenny kam kaum hinterher, Tess’ Salven von Fragen zu beantworten. Ja, abgesehen von etwas Morgenübelkeit ging es ihr prima. Ja, Gavin war mächtig aufgeregt. Ja, sie hatten es der Familie schon erzählt, und alle waren begeistert.

Strahlend schob Tess die Hochzeitssachen zusammen. „Das kann alles warten. Lasst uns ins Restaurant nebenan gehen und unsere Neuigkeiten beim Abendessen austauschen. Ich will wissen, wie deine Mom und deine Oma reagiert haben. Gavins große Familie muss ja total durchgedreht haben! Wann richtest du das Babyzimmer ein? Bestimmt kann Stevie dir helfen, nicht, Stevie?“

„Eigentlich bin ich mehr die Küchenspezialistin, aber für ein paar Vorschläge wird es schon reichen“, gab Stevie zurück und lächelte. Jenny glühte vor Glück über ihre Schwangerschaft, und Tess war voller Ideen für ihre Hochzeit. Definitiv nicht der passende Moment für meine Neuigkeit, dachte Stevie.

Für den Rest des Abends versteckte sie sich hinter allgemeinem Geplauder und lachte viel, sodass ihre Freundinnen wenig Gelegenheit hatten, sie etwas Persönliches zu fragen. Es war ein sehr netter Abend. Und doch konnte Stevie ihn nicht voll und ganz genießen.

„Ich konnte es ihnen einfach nicht sagen“, berichtete sie Cole am nächsten Nachmittag, während sie in ihrem Wohnzimmer auf und ab lief. „Jenny war so glücklich und gleichzeitig unsicher, weil in einer so frühen Phase ja auch noch was schiefgehen kann. Und Tess ist völlig auf ihre Hochzeit fixiert. Hätte ich ihnen erzählt, was bei mir los ist, würden sie sich Sorgen um mich machen und könnten ihre Freude gar nicht mehr richtig genießen. Ich wollte nicht, dass unser gemeinsamer Abend davon überschattet wird, deshalb …“

„Hol mal Luft, Stevie“, unterbrach Cole von seinem Sessel aus ihren Redeschwall. Seine tiefe Stimme war Balsam für Stevies überreizte Nerven. „Du hyperventilierst schon!“

Er war erst vor ein paar Minuten gekommen, um ihr zu sagen, dass er wieder zurück war, und ihr – wie er es immer tat – zu danken, dass sie sich um Dusty gekümmert hatte. Kaum hatte er sich hingesetzt, hatte Stevie angefangen, hin und her zu tigern und ihre Geschichte hervorzusprudeln.

Am Vorabend hatte Stevie sich mit herzlichen Umarmungen und unermüdlichem Lächeln von ihren Freundinnen verabschiedet und heute den ganzen Tag gearbeitet. Doch als Cole aufgetaucht war, war alles, was sie verdrängt hatte, wieder hochgekommen.

Sie blieb vor ihm stehen, atmete tief durch, strich mit beiden Händen ihr Haar zurück und brachte ein Lächeln zustande.

„Tut mir leid. Ich wollte dich nicht mit meinen Problemen zutexten. Das liegt natürlich nur daran, dass du so ein guter Zuhörer bist“, fügte sie scherzhaft hinzu.

„Gar kein Problem“, versicherte er ihr. „Ehrlich gesagt, habe ich viel über deine Situation nachgedacht. Und ich hab ein paar Vorschläge – wenn du sie dir anhören möchtest.“

Er blickte so ernsthaft drein, dass sie trotz ihrer Aufgewühltheit schmunzeln musste. „Du hast dir wirklich Gedanken gemacht, nicht wahr?“

„Ich habe die Informationen, die du mir gegeben hast, analysiert und möchte dir ein paar brauchbare Lösungen unterbreiten“, sagte er sehr wissenschaftlich. Stevie fragte sich, ob er sich damit selbst auf die Schippe nahm. Sie verkniff sich ein Lachen und wurde dann wieder ernst. „Das ist wirklich süß von dir, aber ich schaffe das schon irgendwie.“

Sein angedeutetes Lächeln verschwand. „Du bist im Stress, und das ist weder gut für dich noch für das Baby. Ich verstehe, warum du unter diesen Umständen gestern nicht mit den Freundinnen sprechen wolltest, und offenbar bist du noch nicht so weit, mit deiner Familie zu reden. Aber auch ich bin dein Freund, und ich bin für dich da. Ich bin darin geübt, mir die Eckdaten eines Problems anzuschauen und Lösungen zu finden.“

Stevie drehte eine schulterlange Locke um ihren Finger, wie immer, wenn sie angespannt war. „Ich weiß, dass du ein Genie bist in deinem Job. Ich bin nur nicht sicher, ob sich das auch auf meine Situation anwenden lässt.“

„Nicht eins zu eins, aber ich möchte versuchen, zu helfen. Ich hab mir ein paar Notizen gemacht.“ Er zog sein fast tabletgroßes Smartphone aus seiner Hemdtasche, schaltete es ein und begann zu lesen.

Er hat sich tatsächlich Notizen gemacht? Wie süß ist das denn! dachte Stevie.

„Du hast gesagt, du wolltest dein Kind nicht ohne Vater großziehen. Gibt es irgendeine Chance, dass der biologische Vater, der damit nichts zu tun haben will, seine Meinung ändert?“

„Keine“, sagte sie im Brustton der Überzeugung und dennoch leicht belustigt. „Daran hat er keinen Zweifel gelassen.“

Cole nickte und kam zum nächsten Punkt. „Du hast gesagt, du machst dir Sorgen, wie du dein Geschäft – sowohl finanziell als auch kapazitätsmäßig – mit Mutterschutz und Baby unter einen Hut bringen sollst.“

„Das wird eine Herausforderung“, gab sie zu und zog die Locke fester. „Ich hab schon angefangen, so viel wie möglich zu sparen, und ich versuche, den Geburtstermin bei meiner Arbeitsplanung zu berücksichtigen.“

„Du wirst Hilfe brauchen“, sagte er geradeheraus. „Die einfachste Lösung wäre, wenn du jemanden heiratest, der Kinder mag und möchte. Jemanden, der dich sowohl bei den unzähligen Kleinigkeiten im Alltag und der Verantwortung für das Kind als auch im Geschäftlichen unterstützen kann.“

Stevie traute ihren Ohren nicht. Das hielt Cole für die einfachste Lösung? Sie sollte einfach jemanden finden, der sie heiratete, bevor das Baby kam? Sie schüttelte den Kopf.

„Cole, das ist …“

Er beeilte sich, das zu erläutern. „Du hast gesagt, dass deine Romanzen nie stabil waren. Ich meinerseits glaube, dass eine Ehe, die auf praktischen Gesichtspunkten gegründet ist, stabiler ist als eine Beziehung, die Verliebtheit und romantischen Vorstellungen entspringt. Meine Eltern zum Beispiel haben aufgrund eines jugendlichen Strohfeuers geheiratet, und das hat mit einer bitteren Scheidung geendet. Ihre Zweitehen basieren auf sehr viel vernünftigeren Gesichtspunkten und sind wesentlich haltbarer.“

„Willst du mir etwa vorschlagen, einen Freund zu heiraten, der mir hilft, mein Kind großzuziehen?“

Cole nickte und blickte drein, als hätte er den Stein der Weisen gefunden. Er legte das Smartphone zur Seite. „Das ist die ideale Lösung.“

Sie grinste. „Also würdest du mich heiraten, Cole?“

Der überraschte Ausdruck auf seinem Gesicht war einfach zu witzig, als dass Stevie sich das Lachen hätte verkneifen können. Offenbar hatte er diese mögliche Schlussfolgerung ihrerseits nicht in seine Berechnungen einbezogen.

Cole wurde ganz ernst und sagte: „Genau das wollte ich dich fragen.“

3. KAPITEL

Stevies perlendes Lachen mündete in Husten. Cole wollte ihr auf den Rücken klopfen, doch sie winkte ab. Als sie sich beruhigt hatte, wollte sie klären, was sie offenbar missverstanden hatte: „Du wolltest – äh, was?“

„Ich bitte dich, mich zu heiraten“, wiederholte er, diesmal ganz langsam.

Die Ungläubigkeit, als sie sich der Tragweite von Coles Worten bewusst wurde, wich schnell einer tiefen Rührung.

Sie hatte regelrecht einen Kloß im Hals, als sie Cole anschaute, wie er da vor ihr stand: mit wuscheligem Haar, aber trotzdem feierlich und völlig ernst. Und verdammt sexy, fuhr es ihr durch den Kopf; doch diesen Gedanken schob sie schnell beiseite.

„Das ist wirklich süß von dir, Cole“, sagte sie und legte ihre Hand leicht auf seinen Arm, „aber heutzutage muss man schwangere Frauen nicht mehr ehrbar machen.“

Er legte seine Hand auf ihre. „Das weiß ich. Doch alles ist viel einfacher, wenn man die Verantwortung teilen kann. Für mich stand immer fest, dass ich Kinder wollte. Allerdings hatte ich diesen Wunsch fast aufgegeben, da ich nicht wusste, ob ich je wieder heiraten würde. Ich bin gern verheiratet, aber eine Frau nach allen Regeln der Kunst zu erobern, ist nicht mein Ding. Doch ich kann mir gut vorstellen, dieses Kind mit dir großzuziehen.“

Langsam zog sie ihre Hand unter seiner weg, nestelte eine Locke aus ihrem Haar und drehte sie so fest um ihren Finger, dass die Fingerspitze taub wurde.

Passierte das gerade wirklich? Cole würde doch mit so was keine Scherze treiben? „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

Er stand noch immer dicht neben ihr und beobachtete sie genau. „Auch wenn du überrascht bist, Stevie, denk mal darüber nach! Es ist wirklich sinnvoll. Wir könnten ein schönes Leben miteinander haben. Mit meinem Homeoffice könnte ich auf das Baby aufpassen, während du arbeitest. Andererseits kannst du dir deine Arbeit so einteilen, dass du die Betreuung übernimmst, wenn ich auf Geschäftsreise muss. Ich verdiene gut, sodass das Kind ausreichend versorgt ist. Und ich kann gut mit Kindern umgehen – du musst zugeben, dass mein Schneemann wirklich toll war“, setzte er mit einem entwaffnenden Lächeln hinzu.

„Wow!“ Sie schluckte und sagte noch mal: „Wow! Du meinst es wirklich ernst.“

Cole nickte. „Das ist doch ein guter Plan, oder? Eine Win-win-win-Situation, für mich, für dich – und für das Baby.“

War das jetzt tatsächlich ein Heiratsantrag? „Und du hättest kein Problem damit, das Kind eines anderen Mannes großzuziehen?“

„Mein bester Kumpel war adoptiert und stand seiner Adoptivfamilie näher als ich meiner leiblichen.“ Plötzlich war ein ungewohnt leidenschaftlicher Unterton in seiner Stimme. „Kinder brauchen Liebe und Ermutigung, beständige Unterstützung. All das kann ich dem Kind bieten. Keiner von uns hat sich diese Situation ausgesucht, sie hat sich einfach ergeben. Aber wir können die Herausforderung annehmen und dieses Kind gemeinsam willkommen heißen.“

Sie spürte ein Ziehen tief im Herzen. „Du gibst mir da eine ganz schöne Nuss zu knacken, weißt du das?“

Er nickte. „Ich hab auch ein paar Tage gebraucht, um alle Konsequenzen durchzuspielen, bevor ich es dir sagen konnte. Ich würde dir das nicht anbieten, wenn ich mir nicht absolut sicher wäre.“

Es kam nicht oft vor, dass ausgerechnet der redseligen Stevie die Worte fehlten, aber Cole hatte es tatsächlich geschafft.

Sanft nahm er Stevies Hände in seine. „Heirate mich, Stevie!“, sagte er ruhig und ernst. „Du hast gesagt, ich sei einer deiner besten Freunde. Ich fühle das Gleiche für dich. Wir ergänzen uns gut. Wir können diesem Kind das Zuhause und die Familie geben, die wir uns selbst immer gewünscht haben. Ich betrachte das nicht als Opfer, sondern ich möchte diesem Kind wirklich ein Vater sein. Und ich glaube, dass ich ein sehr guter Vater sein werde.“

Ihr ganzes Leben lang war Stevie spontan gewesen, und ihr Instinkt drängte sie, augenblicklich Ja zu sagen. Doch sie war es Cole, sich selbst und dem Kind schuldig, abzuwägen.

„Denk darüber nach“, bat Cole, dem die Flut der Emotionen, die sich auf Stevies Gesicht spiegelten, nicht entgangen war. „Ich will dich zu nichts drängen, was sich für dich nicht richtig anfühlt. Falls du dich dagegen entscheidest, wird sich nichts ändern zwischen uns, wir werden Freunde bleiben. Ich will dir nur sagen: Ich bin da für dich und das Baby, und ich hoffe …“

„Ja!“

So viel zum Thema „Abwägen“.

Cole schwieg einen Moment, legte den Kopf etwas schräg und blickte ihr in die Augen. „Ja?“

Ihre Finger zitterten in seinen großen starken Händen. Er spürte das auch und verstärkte ganz leicht den Druck. Sie löste ihre Hände, trat einen Schritt zurück und stellte sich bewusst aufrecht hin.

„Versprichst du, diesem Kind immer ein liebevoller, treusorgender Vater zu sein, ganz gleich, was geschieht?“, fragte sie mit fester Stimme.

„Ich gebe dir mein Wort“, antwortete er ohne Zögern. „Euch beiden gebe ich mein Wort!“

Das letzte Jahr hatte ihr gezeigt, dass Cole McKellar der aufrichtigste Mann war, dem sie je begegnet war.

„Dann lautet meine Antwort: Ja.“

Das war nicht gerade der romantische Heiratsantrag, den sie sich erträumt hatte. Aber wohin hatten ihre Träume sie schon geführt? Sie bekam ein Kind, und es war an der Zeit, erwachsen zu werden.

Cole hatte alle Eigenschaften, die sie sich für den Vater ihres Kindes nur wünschten konnte. Vielleicht war er kein großer Romantiker, doch dafür war er alltagstauglich. Er sprach nicht von der großen Liebe – diese Facette an ihm blieb vielleicht seiner verstorbenen Frau vorbehalten –, aber Stevie wusste, dass Cole sie sehr gernhatte, ihren Verstand und ihre beruflichen Ambitionen schätzte. Und das bedeutete ihr sehr viel.

Autor

Gina Wilkins

Die vielfach ausgezeichnete Bestsellerautorin Gina Wilkins (auch Gina Ferris Wilkins) hat über 50 Romances geschrieben, die in 20 Sprachen übersetzt und in 100 Ländern verkauft werden!

Gina stammt aus Arkansas, wo sie Zeit ihres Leben gewohnt hat. Sie verkaufte 1987 ihr erstes Manuskript an den Verlag Harlequin und schreibt...

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