Ein Traummann zu Weihnachten

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Liz Fielding
Ein Traummann zu Weihnachten?

Lucy fühlt sich wie im Märchen. Verkleidet als Cinderella, findet sie sich plötzlich an der Seite eines reichen Geschäftsmannes wieder. Doch dann entdeckt sie: Es ist alles eine Publicity-Maßnahme, um dessen schlechten Ruf aufzupolieren. Schockiert will sie den aufdringlichen Reportern entkommen - und läuft dem attraktiven Londoner Unternehmer Nathaniel Hart in die Arme. Vom ersten Moment an lässt er ihr Herz höher schlagen. Aber kaum glaubt Lucy, endlich ihren Traummann gefunden zu haben, muss sie ausgerechnet an Weihnachten fürchten: Nathaniel sucht nur eine Affäre …

Kelly Hunter
Liebe kann man nicht planen, Casanova!

Weihnachten - das Fest der Liebe? Dafür hat Damon West nur ein verächtliches Schnauben übrig. Widerstrebend fährt er für eine Woche nach Hongkong, um die Feiertage mit seinem alten Herrn zu verbringen. Als er dort auf Ruby, die Assistentin seines Vaters, trifft, erwacht in ihm schlagartig der Jäger. Doch so sexy und frech ihm Ruby gegenübertritt, so entschieden weist sie seine Annährungsversuche zurück. Damon zieht alle Register, Ruby in sein Bett zu bekommen. Er ahnt nicht, dass die brünette Schönheit eigene Pläne hat. Pläne, die über eine Weihnachtsaffäre hinaus gehen …

Susan Crosby
Ein Boss zum Träumen

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Hochzeitsglocken zum Fest der Liebe?

Möglichst schnell soll Harry, der zukünftige Lord Beverley, eine adlige junge Dame heiraten! So verlangt es sein Vater. Aber die Liebe geht ihren eigenen Weg: In Bath begegnet er der entzückenden Pfarrerstochter Josephine Horne. Als er die rotgelockte Schönheit auf einem Weihnachtsball zärtlich küsst, weiß er: Er hat sich in Josephine verliebt, die doch niemals als seine Gattin in Frage kommt! Bis sie gemeinsam ein gefährliches Abenteuer bestehen. Plötzlich beschleichen Harry Zweifel: Ist es wirklich richtig, aus Gründen der Vernunft auf dieses große Glück zu verzichten?


  • Erscheinungstag 18.10.2013
  • ISBN / Artikelnummer 9783733786465
  • Seitenanzahl 656
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Liz Fielding, Kelly Hunter, Susan Crosby, Anne Herries

Ein Traummann zu Weihnachten

Susan Crosby

Ein Boss zum Träumen

IMPRESSUM

BIANCA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
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Telefon: 040/60 09 09-361
Fax: 040/60 09 09-469
E-Mail: info@cora.de

© 2011 by Susan Bova Crosby
Originaltitel: „Almost a Christmas Bride“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: SPECIAL EDITION
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA
Band 1862 - 2012 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Rainer Nolden

Fotos: Corbis

Veröffentlicht im ePub Format im 12/2012 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-95446-158-5

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY, STURM DER LIEBE

 

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1. KAPITEL

Shana Callahan hoffte schon lange nicht mehr auf das große Los in ihrem Job. An diesem Morgen jedoch flatterten seltsamerweise Schmetterlinge in ihrem Magen. Sie presste sich die Hand auf den Bauch, als sie mit dem Aufzug in dem Bürohaus mitten im Stadtzentrum von Sacramento in den zweiten Stock fuhr.

Der Lift schien sich in Zeitlupe zu bewegen. Unentwegt gingen ihr die Worte ihrer Chefin durch den Kopf. „Es handelt sich um eine längerfristige Anstellung, Shana. Und zwar in Chance City.“

Chance City – der Ort, an dem sie aufgewachsen, aus dem sie mit achtzehn Jahren geflohen und in den sie nach zehn weiteren Jahren zurückgekehrt war. Zurück nach Hause.

Keine langen Fahrten mehr nach Sacramento, bloß um für ein paar Tage oder eine Woche einen Job anzunehmen. Keine Sorgen mehr, dass ihr Auto unterwegs schlappmachen könnte. Keine Angst vor Regen oder Nebel oder Verkehrsunfällen, die sie viel Zeit kosteten.

Wenn man tatsächlich einmal länger als zehn Minuten brauchte, um quer durch Chance City zu kommen, dann nur, weil man unterwegs anhielt, um mit einem Bekannten zu plaudern.

Natürlich gab es in diesem kleinen Ort auch eine Vermittlungsagentur – „Stets zu Diensten“ hieß sie. Wer etwas suchte oder anbot, klebte einen Zettel ans Schwarze Brett in der Kneipe, wo die meisten geschäftlichen Transaktionen geregelt wurden.

Die Aufzugtüren glitten auseinander. Shana folgte den Hinweisschildern zu den Räumen der noblen Vermittlungsagentur, die von den Klienten spöttisch auch „Frauen zur Miete“ genannt wurde. Julia Swanson war die Chefin, eine ebenso elegante wie selbstbewusste Frau.

„Hallo, Shana“, wurde sie von Missy, der Empfangsdame, begrüßt. „Gehen Sie bitte schon in Julias Büro. Sie wird gleich bei Ihnen sein.“

Das Büro strahlte die Noblesse seiner Besitzerin aus: gedeckte Farben, kostbare Möbel. Ihre Auftraggeber schätzten das vornehme Ambiente. Hinter dem Schreibtisch hing das Firmenmotto in Goldbuchstaben an der Wand: Wenn Sie Wert legen auf persönliche Zuwendung …

Shana setzte sich auf einen Stuhl, obwohl sie lieber auf und ab gelaufen wäre. Aus den Schmetterlingen in ihrem Magen war inzwischen ein Eisklumpen geworden. Nervös klopfte sie mit dem Fuß auf den Boden.

„Guten Tag, Shana.“ Julia stand im Türrahmen. „Wie fühlen Sie sich?“

Hoffnungsvoll. Verängstigt. Aufgeregt. „Gut danke. Ich bin schon ganz gespannt.“

Julia lächelte. „Bereit für Ihr Gespräch?“

„Ja.“ Shana erhob sich. „Können Sie mir schon etwas erzählen?“

„Mir ist es lieber, wenn das mein Klient tut.“

Sie verließen das Büro und gingen in den Konferenzraum, der zwei Türen weiter lag. Bisher hatte Shana mit ihren potenziellen Arbeitgebern immer in deren Büros gesprochen. In diesem Raum, in dessen Mitte ein großer Tisch mit vielen Stühlen stand, hatte sie noch keiner interviewt. Vor allem niemand aus Chance City. Das machte sie noch nervöser.

Ihre Hoffnung schwand, als der Mann sich von seinem Stuhl erhob. Er war groß, muskulös, hatte stahlblaue Augen und mittelbraunes Haar – und war ein alter Bekannter. Landon Kincaid. Shana hatte ihn vor einem Jahr zum ersten Mal gesehen und von Anfang an nicht leiden können. Er hatte nämlich versucht, ihre Schwester dem Mann abspenstig zu machen, für den sie seit jeher bestimmt war.

„Hallo, Shana“, begrüßte er sie jetzt, ohne ihr die Hand zu reichen.

„Kincaid.“ Sie klang abweisend.

„Dann lasse ich Sie beide jetzt mal allein.“ Julia schloss die Tür hinter sich.

Eine Weile starrte Shana auf die geschlossene Tür und versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Schließlich drehte sie sich zu ihm um. „Damit wäre die Sache ja wohl erledigt.“

„Wieso?“

„Nun ja, jetzt, wo du weißt, dass ich die Kandidatin bin …“

„Ich habe ausdrücklich nach dir gefragt.“ Kincaid deutete auf einen Stuhl.

Sie runzelte die Stirn. „Warum?“

„Weil du genau die Fähigkeiten besitzt, auf die es mir ankommt.“

Verwirrt rieb sie sich die Schläfen. „Wieso hast du mich dann nicht direkt angesprochen? Wir haben uns doch vor vier Tagen bei Aggies Thanksgiving-Party gesehen.“

„Weil du Nein gesagt hättest.“ Er setzte sich. „Jetzt weißt du wenigstens, dass es mir wirklich ernst mit meinem Angebot ist.“

„Warum sollte ich einen anständigen Job ausschlagen? Du kennst meine Situation. Ich suche schon seit Langem eine Arbeit in der Stadt. Du hättest dir die Vermittlungsgebühren sparen und mir mehr zahlen können. Wir hätten beide etwas davon gehabt.“

„Du hättest abgelehnt“, sagte er lächelnd.

„Nur, weil wir uns nicht besonders grün sind? Wohl kaum.“

Er lehnte sich zurück und betrachtete sie aufmerksam. „Offenbar hat Julia dir nicht alles erzählt.“

„Ich weiß nur, dass es in Chance City und für länger ist.“

„Also nicht, dass es eine Arbeitsstelle mit Unterkunft ist?“

Verblüfft starrte sie ihn an. „Nein. Außerdem habe ich eine Wohnung, vielen Dank.“ Warum erwähnte sie das? Ihm gehörte das Haus, in dem sie ein Apartment im ersten Stock gemietet hatte.

„Nicht mehr. Das heißt, bald nicht mehr. Ich brauche nämlich eine Wohnung für Dylan. Dein Apartment wäre genau das Richtige für ihn.“

Mit einem Satz war Shana auf den Füßen. „Du setzt mich vor die Tür? Ich habe eine Tochter, die siebzehn Monate alt ist. Wo sollen Emma und ich denn hin?“

„Zu mir.“

Sie traute ihren Ohren nicht. Das konnte doch nicht wahr sein! Was sollten die Leute von ihr denken, wenn sie in das Haus eines alleinstehenden Mannes zog? Gerade fing man wieder an, sie ernst zu nehmen und zu respektieren, nachdem sie vor ein paar Jahren einfach von zu Hause abgehauen war. Glücklicherweise war der Ärger darüber inzwischen verraucht.

Wenn sie mit Kincaid unter einem Dach lebte, ging das Getuschel sofort wieder von vorn los. Sie wollte gehen. „Das war reine Zeitverschwendung. Für beide von uns.“

Er schaffte es, vor ihr an der Tür zu sein und legte die Hand auf die Klinke, um sie am Hinausgehen zu hindern.

Ihr Herz machte einen Sprung, als sein Oberkörper ihre Schulter streifte. Sie war verletzt, aufgebracht und … noch etwas, über das sie lieber nicht nachdenken wollte. „Sei nicht kindisch, Kincaid.“

„Bitte hör mich an.“

Shana kämpfte gegen die Tränen der Enttäuschung und Wut an. Auf keinen Fall wollte sie vor ihm Schwäche zeigen.

„Bitte, Shana.“

„Na gut“, murmelte sie nach einer Weile. „Aber nur wegen Julia. Ich möchte ihr nicht erzählen, dass ich den Job abgelehnt habe, ohne zu wissen, um was es geht.“

Kincaid trat zur Seite, ohne Shana aus den Augen zu lassen. Befürchtete er vielleicht, dass sie doch noch weglief?

Mit hocherhobenem Kopf ging sie zu ihrem Stuhl zurück, setzte sich und verschränkte die Arme. Herausfordernd sah sie ihn mit ihren grünen Augen an.

Kincaid verkniff sich ein Grinsen. Ihr Zorn passte nicht so recht zu ihrem geschäftsmäßigen Äußeren – Rock, Jacke und hohe Absätze. Normalerweise trug sie Stiefel, Jeans und T-Shirts, die die Rundungen ihrer schlanken Figur betonten. Und der Pferdeschwanz, zu dem sie ihr blondes Haar gebunden hatte, war auch neu.

Am liebsten hätte er sich neben sie gesetzt. Doch etwas Distanz war ihr vermutlich lieber. Deshalb nahm er auf der anderen Seite des Tisches Platz. „Ich sage dir am besten gleich, was ich will. Zurzeit brummt mein Laden. Ich kann mich kaum noch persönlich um all meine Kunden kümmern.“

„Deswegen hast du doch Dylan eingestellt.“

„Vor allem, weil er das Gefühl haben sollte, seinen Platz gefunden zu haben. Er ist gerade mal achtzehn. Ich muss ihm noch eine Menge beibringen. Das kostet Zeit. In der Zwischenzeit kann ich mich um nichts anderes kümmern. Und jetzt kommst du ins Spiel.“

„Inwiefern?“

„Sarah McCoy ist im September aufs College gegangen. Zwei Jahre lang hat sie sich um meinen Haushalt gekümmert. Ich habe noch immer keinen vollwertigen Ersatz für sie gefunden.“

„Um dein Haus zu putzen, muss ich doch nicht bei dir wohnen.“

„Es geht um mehr als bloß Putzen. Es geht auch ums Aufräumen. Ich hasse Unordnung. Die Wäsche stapelt sich. Und zum Kochen habe ich auch keine Zeit …“

„Das sind doch ganz normale Hausarbeiten. Dafür brauche ich höchstens einen Tag pro Woche. Wenn das eine Art Gefälligkeitsjob für mich sein soll …“

„Ich brauche Hilfe“, unterbrach Kincaid sie. Natürlich war sie auf den Job angewiesen, auch wenn sie es niemals zugeben würde.

Ihre Schwester Dixie, mit der er recht gut befreundet war, hatte es ihm erzählt. Dixie lebte zwar derzeit auf der anderen Seite der Erdkugel, aber Aggie McCoy hielt sie auf dem Laufenden, was ihre Schwester anging. Sie hatte ihr berichtet, wie knapp Shana bei Kasse war, dass sie jeden Cent zweimal umdrehen musste und trotzdem auf keinen grünen Zweig kam.

Deshalb hatte Dixie ihn umgehend angerufen und gefragt, ob er Shana irgendwie helfen konnte. Geld würde sie niemals von ihm nehmen, aber wenn er einen Job für sie hätte …?

„Also eine Art Beschäftigungstherapie?“, hatte Kincaid gefragt.

„So darf es auf keinen Fall aussehen. Und sag ihr ja nicht, dass du es ihr zuliebe tust. Dann lehnt sie nämlich sofort ab und klappt zu wie eine Auster. Obwohl sie eigentlich an ihr Kind denken sollte, um das sie sich ja auch noch kümmern muss. Geh also sehr diplomatisch vor. Und versprich mir, ihr niemals zu sagen, dass ich es war, die dich um Hilfe gebeten hat.“

„Das ist die Abmachung, Shana.“ Er sah sie kühl an. „Renovierungen sind mein eigentlicher Job, aber dazu kommen noch zweiunddreißig Häuser, nicht nur in Chance City, sondern auch im Umland, um die ich mich kümmern muss. Dafür habe ich so gut wie keine Zeit. Die Mieter kommen und gehen. Die Häuser müssen auf Vordermann gebracht werden.“ Er holte kurz Luft.

„Außerdem brauche ich jemanden für die Büroarbeit – Buchhaltung und Steuererklärung und der ganze Kram. In einer Kiste sammle ich sämtliche Abrechnungen und Belege für das laufende Jahr. Die müssen geordnet werden. Wärst du dazu imstande?“

„Im Rechnen war ich schon immer gut.“

Das beantwortete seine Frage nicht wirklich. „Deinen Lohn zahlt die Agentur. Darüber hinaus biete ich dir Kost und Logis sowie eine zusätzliche Summe, wenn du dich um mein Haus kümmerst – und konsequenterweise um mein Leben.“ Er unterdrückte einen Seufzer. Dixie hatte ihn gewarnt, dass sie sich sperren würde.

„Ehrlich gesagt wollte ich niemals so viel arbeiten. Dabei habe ich schon mehr Aufträge abgelehnt als angenommen. Aber jetzt, wo Dylan bei mir arbeitet, ist das etwas anderes.“

„Inwiefern?“

„Er muss auf möglichst vielen Gebieten Erfahrungen sammeln, damit er eine vollwertige Arbeitskraft wird – und irgendwann selbstständig arbeitet. Um Nebensächlichkeiten wie Kochen und Saubermachen kann ich mich da nicht auch noch kümmern.“ Kincaid sah ihr in die Augen, die immer noch feindselig blickten.

„Das Beste habe ich dir allerdings noch gar nicht erzählt – das Beste für dich, wie ich meine. Ich weiß, dass du gern als Raumausstatterin arbeiten würdest. Es geht nicht nur darum, nach dem Renovieren die Möbel wieder aufzustellen. Du könntest die Kunden bei der Einrichtung ihrer Häuser beraten, ihnen Vorschläge machen. Du wärst der kreative Teil der Firma, und ich würde deine Ideen umsetzen. Wir wären ein prima Team.“

Endlich sah sie interessiert aus. Die tiefe Falte zwischen ihren Augenbrauen verschwand allmählich. „Inneneinrichtungen für Wohnungen und Büros?“, fragte sie.

Kincaid nickte und hoffte, dass seine nächsten Worte sie endgültig überzeugen würden. „Dieser Teil der Arbeit wäre ausschließlich deine Sache. Und du behältst das Geld, das du dabei verdienst.“ Dieses Angebot konnte sie unmöglich ablehnen. Dessen war er sich bewusst.

„In ein oder zwei Jahren hast du vielleicht genug Geld beisammen, um dir eine eigene Wohnung zu leisten. Ganz zu schweigen davon, dass du dir einen Kundenstamm aufbauen könntest – das hast du ja bis heute nicht getan.“

„Warum tust du das?“

Einer der Gründe, warum er Dixies Bitte erfüllte, lag in seiner Vergangenheit. Er dachte kaum noch darüber nach, und auch jetzt erwähnte er nur das Nötigste.

„Mit sechzehn musste ich zusehen, auf eigenen Beinen zu stehen, um aus einem ziemlichen Schlamassel herauszukommen. Im Gegensatz zu dir hatte ich nicht für ein kleines Kind zu sorgen, aber trotzdem war der Weg zum Erfolg ziemlich steinig. Ich habe es weitgehend allein geschafft, wenn mir auch hier und da jemand geholfen hat, um die ersten Jahre zu überleben. Wenn ich mich jetzt um Dylan kümmere, mache ich einiges damit wieder gut – und wenn ich dir einen Gefallen tun kann.“

Er beugte sich zu ihr. „Du hast deinen Stolz, Shana. Das weiß ich. Aber er sollte dir nicht im Weg stehen, wenn sich eine Gelegenheit bietet.“ Auch er hatte lange Jahre seinen Stolz gehabt.

„Emma ist siebzehn Monate alt“, erwiderte sie zögernd. „Das ist eine ziemlich stressige Zeit – für Mütter, meine ich. In dem Alter machen Kinder viel Krach und viel Unordnung.“

„Das klappt schon“, beruhigte er sie – und sich selbst. „Wie du weißt, ist mein Haus sehr groß.“

„Das weiß ich eben nicht. Ich war nämlich noch nie da. Ich kenne auch niemanden, der jemals dort eingeladen war.“

„Das soll in Zukunft anders werden.“ Mit seinem Einsiedlerleben war er jahrelang zufrieden gewesen, doch in letzter Zeit dachte er immer öfter darüber nach, dass es nach neunzehn Jahren, die er hier bereits lebte, Zeit war, die Stadt und ihre Bewohner näher kennenzulernen und nicht nur die wenigen aus seiner unmittelbaren Nachbarschaft. Es käme auch Dylan zugute.

„Wenn du mir hilfst, wird sich das ändern“, wiederholte er. „Ich habe noch nicht einmal einen Weihnachtsbaum aufgestellt. Vielleicht könnte das deine erste Aufgabe werden. Emma würde es bestimmt auch gefallen, oder?“

Damit hatte er eine Saite in Shana zum Klingen gebracht. Ihr Gesichtsausdruck änderte sich, wurde weicher. Sie war nicht länger die verärgerte, stolze Frau, als die sie den Raum betreten hatte. Ihre Tochter würde einen Tannenbaum haben. Es gab ein paar Dinge, die es wert waren, seinen Stolz zu vergessen. „Ja“, sagte sie leise. „Das würde ihr gefallen.“

„Außerdem hätte sie ihr eigenes Zimmer. Im Moment teilt ihr euch doch wohl das Schlafzimmer, stimmt’s? Also, was hältst du davon?“

Ein langes Schweigen entstand. Schließlich sagte sie: „Ich muss darüber nachdenken.“

Verblüfft sah er sie an. Dabei war er sich seiner Sache doch so sicher gewesen …

„Wie lange brauchst du dafür?“, wollte er wissen. Hatte sie überhaupt eine Wahl? Eine preiswerte Wohnung zu finden war fast unmöglich. Warum zögerte sie noch?

Sie stand auf. „Ich komme heute Abend bei dir vorbei – wenn du zu Hause sein solltest.“

„Jederzeit nach sieben Uhr.“ Er folgte ihr zu Tür und öffnete sie.

Ohne ein weiteres Wort stapfte sie aus dem Haus. Nicht einmal von Julia verabschiedete sie sich.

Nachdenklich klopfte Kincaid an Julias Tür.

Sie winkte ihn herein. „Alles klar?“

„Sie denkt darüber nach.“

Julia zog die Augenbrauen hoch. Dann lächelte sie. „Ich habe ihre Tatkraft immer bewundert.“

„Was Sie Tatkraft nennen, nenne ich Dickköpfigkeit.“

„Ich habe schon vermutet, dass da zwei eigenwillige Charaktere aufeinanderprallen.“

„Das kann man wohl sagen. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber bei ihr war es Abneigung auf den ersten Blick.“

„Warum wollten Sie dann ausgerechnet sie haben? Und auch noch in Ihrem Haus?“

Ja, warum eigentlich? Zunächst einmal hatte er Dixie einen Gefallen erweisen wollen. Außerdem sollte Dylan eine eigene Wohnung bekommen. Nicht zuletzt hatte er auch Verständnis für Shanas Situation.

„Ich denke, sie wird bald für sich allein sorgen können, aber fürs Erste braucht sie jemanden, der sie unterstützt. Ich habe die Möglichkeit dazu.“ Zum Abschied schüttelte er Julia die Hand. „Ich rufe Sie an, wenn sie sich entschieden hat.“

„Gern.“

Er nahm die Treppe zur Tiefgarage. Es hatte zu regnen begonnen. Shana würde über rutschige Straßen zu der kleinen Stadt am Fuß einer Hügelkette fahren müssen und sicherlich länger brauchen als die Stunde, die die Fahrt normalerweise dauerte. Ihr Wagen war die reinste Schrottkiste. Hoffentlich überstand er den Trip. Kincaid verdrängte den Gedanken an das, was ihr möglicherweise zustoßen konnte, setzte sich ins Auto und fuhr los. Vielleicht holte er sie auf der Strecke ein.

Tatsächlich kam ihr Wagen nach einer Viertelstunde in Sicht. Kincaid fluchte leise, als er sah, dass sie sich strikt an das Tempolimit hielt. Auf dieser Strecke war das überhaupt nicht nötig. Es war nicht das Einzige, was ihn irritierte.

Von Anfang an waren sie sich nicht grün gewesen. Dennoch bewunderte er sie dafür, wie verbissen sie darum kämpfte, auf eigenen Füßen zu stehen. Und Menschen, die sich aufrichtig bemühten, musste man helfen. Das hatte er sich fest vorgenommen, nachdem er selbst in dieser Situation gewesen war und andere ihm geholfen hatten.

Er war gespannt, wie sich ihre Beziehung entwickeln würde.

Diese rein geschäftliche Beziehung, wie er sich immer wieder einredete.

Eisern hielt Shana sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung. Alle paar Sekunden schaute sie in den Rückspiegel in der Hoffnung, dass Kincaid sie endlich überholen und in Ruhe lassen würde. Sie musste über viele Dinge nachdenken. Dass er an ihrer Stoßstange klebte, irritierte sie kolossal.

Wenn er sich als Boss ebenso verhielt, würde sie den Job ablehnen. Sie brauchte keinen Aufseher, um ihre Arbeit zu erledigen.

An der Ausfahrt zu Chance City lagen ihre Nerven blank. Kurz entschlossen fuhr sie an den Straßenrand und hielt an.

Kincaid parkte unmittelbar hinter ihr. „Hast du Probleme mit deinem Wagen?“ Er kam zu ihr, als sie ausstieg.

Sie stemmte die Fäuste in die Hüften. „Warum folgst du mir?“

Überrascht sah er sie an. „Folgen? Ich habe dasselbe Ziel und ich dachte mir, es sei unhöflich, dich zu überholen.“

Stimmte das, oder wollte er sie nur besänftigen?

„Bist du sauer auf mich, Shana?“

Die Art und Weise, wie er seine Stimme senkte, fast vertrauensvoll, hätte sie um ein Haar aus der Fassung gebracht. Sie riss sich zusammen. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass du mich aus meiner Wohnung wirfst.“

„Genau genommen ist es die Wohnung deiner Schwester.“

Sie runzelte die Stirn. „Dafür mache ich in ihrem Schönheitssalon sauber.“

„Aber wer zahlt die Miete?“

„Dixie. Ihr Name steht schließlich auf dem Mietvertrag.“

„Glaubst du, dass du mit den paar Stunden Arbeit die Miete wettmachst?“

„Das hat sie mir gesagt.“ Sie wandte den Blick ab und schien nachzurechnen. „Wahrscheinlich nicht“, murmelte sie schließlich. Ein weiterer Gefallen, für den sie sich eines Tages würde revanchieren müssen.

Er schwieg.

„Würdest du mich wirklich auf die Straße setzen?“, fragte sie.

Er holte tief Luft. „Shana, ich biete dir die Chance für einen Job, den du immer schon haben wolltest. Ich biete dir ein Heim mit einem Garten für deine Tochter und die Gelegenheit, genug Geld zu verdienen, um dir in naher Zukunft ein eigenes Haus leisten zu können.“

Abwehrend hob er die Hand, als sie etwas erwidern wollte. „Nein, ich würde dich nicht auf die Straße setzen, denn dann würde Dixie kein Wort mehr mit mir reden. Aber warum willst du diese Chance nicht wahrnehmen?“

Da war sie also – die Wahrheit. „Du tust das also wegen Dixie?“

Er fuhr sich durchs Haar. Bereits jetzt bedauerte er seine Entscheidung. „Ich tue das, weil ich Hilfe brauche – und weil du dafür genau die Richtige bist.“

„Was werden die Leute sagen, wenn ich in deinem Haus wohne?“

„Ist das wirklich wichtig?“

„Ja. Dir sollte es auch wichtig sein.“

„Ich geb’s auf.“ Er machte auf dem Absatz kehrt und ging zu seinem Wagen zurück. „Vergiss es.“

Shana sah ihre Zukunft in sich zusammenstürzen wie ein Kartenhaus. „Nein, warte.“ Sie lief hinter ihm her. „Ich nehme den Job an – unter einer Bedingung.“

„Ach ja?“

Fast hätte sie über seinen sarkastischen Tonfall gelacht. „Du musst anfangen, mit einer Frau auszugehen.“

Schockiert starrte er sie an. „Woher weißt du, dass ich das nicht tue?“

Da war etwas dran – zumal er so schnell geantwortet hatte. „Du musst es ganz offensichtlich tun. Zum Beispiel mit deinem Mädchen samstagabends zum Tanzen gehen. Niemand hat dich jemals in Gesellschaft einer Frau gesehen.“

„Weil ich mein Privatleben nicht an die große Glocke hänge.“

Sie verschränkte die Arme. „Wie dem auch sei. Ich möchte nicht, dass die Leute auf die Idee kommen, wir könnten aus einem anderen als geschäftlichen Gründen unter einem Dach leben.“

„Deshalb soll ich also eine Frau kennenlernen und so tun, als würde ich mich für sie interessieren – selbst wenn das gar nicht der Fall ist?“

Seine Logik irritierte sie, zumal sie kein triftiges Gegenargument hatte. Deshalb sah sie Kincaid nur stumm an. Sie brauchte seine Zusicherung, auch wenn sie nicht wusste, ob sie sich darauf verlassen konnte. Immerhin war er ja auch hinter ihrer Schwester her gewesen …

„Na gut, Shana“, sagte er schließlich. „Ich werde mich mit Frauen verabreden. In aller Öffentlichkeit.“

„Eine reicht aus. Wirkt sogar überzeugender. Dein erstes Date ist am Samstag, nachdem ich bei dir eingezogen bin.“

„Okay.“

Er sagte es so leichthin, als habe er tatsächlich ein Verhältnis.

„Und du musst glücklich dabei aussehen.“

Er lachte. „Wie ich mich in Gegenwart einer Frau verhalte, geht dich nichts an. Jedenfalls werde ich am Samstag tanzen gehen. Mehr kann ich nicht versprechen.“

Sie beschloss, ihn nicht weiter zu drängen. Er war ihr schon mehr entgegengekommen, als sie erwartet hatte. Deshalb streckte sie die Hand aus. „Abgemacht.“

Seine große, warme, schwielige Hand umfasste ihre. Sie hatten sich noch nie zuvor berührt. Es war, als führe ein Blitz durch Shana hindurch. Er war ein starker Mann – genau der Richtige, um sich anzulehnen.

Für Shana kam das jedoch nicht infrage. Nicht hier, nicht heute und nicht morgen. Sie würde ihre Arbeit erledigen und dankbar dafür sein. Dank Kincaid war sie auf niemanden mehr angewiesen.

2. KAPITEL

Shana parkte vor Aggie McCoys Haus, schaltete den Motor aus und atmete tief durch. Seit ihrer Rückkehr in die Stadt vor einem Jahr war Aggie der Fels in ihrem stürmischen Leben geworden. Außerdem war sie der Schlüssel zu Shanas Erfolg. Wenn sie Aggie davon überzeugen konnte, dass ihre neue Tätigkeit eine rein geschäftliche Angelegenheit war, würde sich das in Windeseile in der ganzen Stadt verbreiten und jeglichen Tratsch und Klatsch von vornherein verhindern.

Aggie war neunundsechzig, seit mehr als zwölf Jahren Witwe, hatte acht Kinder großgezogen und inzwischen jede Menge Enkel. Sie kümmerte sich um jeden, der ihr über den Weg lief, egal, ob es sich um Verwandtschaft oder entfernte Bekannte handelte. Außerdem schloss sie Shana jedes Mal, wenn sie sich sahen, so liebevoll in die Arme, wie es ihre eigene Mutter niemals getan hatte.

Shana klopfte zweimal, bevor sie die Haustür öffnete. Der Duft von Äpfeln und Zimt stieg ihr in die Nase. „Jemand zu Hause?“, rief sie.

„Mommy! Mommy!“ Emma kam aus der Küche gelaufen.

Shana nahm sie auf den Arm und wirbelte sie durch die Luft. Emmas blonde Locken flogen ihr um die Stirn. Das T-Shirt passte perfekt zu ihren grünen Augen, wie sie alle Callahans hatten. „Da ist ja mein Schatz. Hier riecht es aber sehr gut.“

„Äpfel. Mhm.“

„Du bist früh dran.“ Aggie kam in den Flur und wischte sich die Hände an der Schürze ab. „Wie ist es denn gelaufen?“

Shana knuddelte Emma, die mit ihrem Anhänger spielte. „Ich habe den Job. Eine Vollzeitstelle. Mitten in der Stadt.“

„Und wer ist der Boss?“

„Kincaid.“

Aggie zog die schwarzen Augenbrauen hoch. „Was sollst du denn für ihn tun?“

„Ich bin so eine Art Mädchen für alles. Haushälterin, Putzfrau, Bürohilfe, Innenausstatterin …“

„Klingt nach mehr als einer Vierzigstundenwoche.“ Aggie ging in die Küche. „Ich muss den Kuchen aus dem Ofen nehmen.“

Shana folgte ihr. „Mit den vierzig Stunden bin ich mir nicht so sicher. Aber die Arbeit ist ziemlich abwechslungsreich. Außerdem wohne ich bei ihm.“

Aggie drehte sich um, sagte aber nichts. Das war ziemlich ungewöhnlich für sie.

„Es ist für alle eine Win-win-Situation, Aggie. Er will mein Apartment für Dylan, und er braucht eine Haushälterin. Deshalb ziehen Emma und ich bei ihm ein. Mein kleiner Schatz hat zum ersten Mal ein eigenes Zimmer – und einen Garten.“ Sie rieb ihre Nase gegen Emmas, die ihre Händchen auf Shanas Wangen legte und ihr einen nassen Kuss gab. „Er hat übrigens eine Freundin.“

„Wirklich?“ Aggie zog den Apfelkuchen aus dem Ofen und stellte das Blech auf einen metallenen Untersetzer.

Shana kam näher. „Die Leute sollen wissen, dass das alles rein geschäftlich ist. Kannst du das ein bisschen herumerzählen?“

„Unterstellst du mir etwa, Gerüchte zu verbreiten?“

„Ich betrachte das mehr als Schadensbegrenzung. Ich habe hart daran gearbeitet, in dieser Stadt wieder akzeptiert zu werden. Über Kincaid hat es noch nie Gerede gegeben. Das ist für mich eine große Chance. Jetzt kann ich es mir sogar leisten, dich und die anderen Babysitter zu bezahlen.“

„Darüber reden wir ein anderes Mal. Ich freue mich für dich, Liebes. Klingt wie die Lösung all deiner Probleme. Typisch Kincaid. Er muss hellseherische Fähigkeiten haben. Genau im richtigen Moment hat er sein Angebot auf den Tisch gelegt – als du es am dringendsten gebraucht hast.“

Sie musterte Shana mit einem seltsamen Blick, als ob sie etwas wüsste, von dem Shana keine Ahnung hatte. „Die Dinge geschehen nun mal, wenn es so weit ist. Hast du das nicht immer selbst gesagt?“

„Genau – und dass es auf die Sekunde ankommt.“

„Bitte, Aggie! Erzähl allen Leuten, dass es wirklich rein geschäftlich ist!“

„Ich versuche es, aber du weißt, dass sie sich trotzdem das Maul zerreißen, wenn sie Lust darauf haben. Würde mich nicht wundern, wenn sie sogar Wetten auf euch abschließen. Du weißt doch, wie die Leute sind.“

„Wenn sie erst mal Kincaids Freundin sehen, werden sie still sein.“

„Interessant, dass er sich noch nie mit einer Frau gezeigt hat. Wie kommst du darauf, dass er ein Verhältnis hat?“

„Runter“, quengelte Emma auf Shanas Arm.

Shana nutzte den Moment der Ablenkung, um sich eine Antwort zu überlegen. „Er will mit ihr am Samstag zum Tanzen gehen.“

„Ach ja?“ Aggie lachte glucksend. „Ich war schon seit Jahren nicht mehr im Stompin’ Grounds. Aber warum bietet er dir eine Arbeit als Haushälterin an, wenn er es endlich mal ernst meint mit einem Mädchen und sich in aller Öffentlichkeit mit ihr zeigt? Bist du ihm mit Emma da nicht nur im Weg?“

„Wer weiß schon, was in Kincaids Kopf vor sich geht.“ Shana setzte sich zu Emma auf den Boden und holte Plastikspielzeug aus einer Schublade.

„Wann ziehst du denn bei ihm ein?“

„Am Wochenende. Da die Möbel ohnehin Dixie gehören, lasse ich sie für Dylan stehen. Wenn es ihm nicht gefällt, kann er sich ja anders einrichten. Ich muss nur meine und Emmas Sachen mitnehmen. Die passen in ein paar Kisten.“

„Soll ich dir beim Umzug helfen?“

„Danke. Kincaid hat sich schon angeboten. Emma, leg das Spielzeug zurück. Wir müssen los.“ Shana erhob sich und tätschelte Aggies Schulter. „Tut mir leid, dass ich dir an Thanksgiving die Ohren vollgeheult habe. Es ist mir richtig peinlich. Trotzdem hat es mir gutgetan, mal mit jemandem über alles zu reden. Vielleicht hat Kincaid telepathische Fähigkeiten und es auf diese Weise mitbekommen.“

Aggie nickte ernst. „Damit könntest du sogar recht haben.“

Du hast ihm doch nicht etwa was erzählt?“

Sie hob die Hand. „Nicht ein Wort, das schwöre ich. Sie nahm Shana in die Arme. „Das ist genau das Richtige für dich und die Kleine.“

Shanas Augen brannten verdächtig. „Die Leute sollen vergessen, wie ich früher war. Ich bin jetzt ein anderer Mensch.“

„Wenn sie Gerüchte verbreiten oder Wetten auf dich abschließen, dann tun sie es nur, weil sie sich für dich interessieren und dich mögen. Andernfalls wärst du ihnen nämlich vollkommen egal.“

Shana richtete sich auf. „So habe ich das noch gar nicht gesehen.“

Auf einmal schienen sich die Ereignisse zu überstürzen. Shana konnte kaum begreifen, wie ihr geschah.

Ja, sie war ein Spätzünder, in jeder Beziehung, aber gezündet hatte es jetzt auf jeden Fall. Das alles verdankte sie Landon Kincaid, einem Mann, der sie bisher kaum beachtet hatte. Manchmal taten sich ganz neue Wege auf, mit denen man niemals gerechnet hatte. Und die Leute, die sie einem bahnten, erschienen auf einmal in einem neuen Licht.

Kincaids Handy klingelte in dem Moment, als er vor dem Restaurant parkte, in dem er sich mit Dylan zum Essen verabredet hatte. Er schaute aufs Display und ließ es noch einmal läuten, ehe er das Gespräch entgegennahm. „Hallo, Aggie. Ich habe mit deinem Anruf gerechnet.“

„Ach, wirklich? Wieso?“

„Shana hat dir bestimmt schon von meinem Angebot erzählt.“

„Ja, das hat sie. Dixie muss dich angerufen haben, weil ich ihr erzählt habe, dass ich mir wegen Shana Sorgen mache.“

„Ich habe Dixie versprochen, Shana nicht zu verraten, woher ich von ihrer Situation weiß. Nur von dir könnte sie es erfahren.“

„Ich nehme das Geheimnis mit ins Grab, Kincaid.“

Er entspannte sich. „Danke.“

„Sie macht sich allerdings Sorgen um ihren Ruf.“

„Das habe ich gemerkt.“

„An deiner Stelle würde ich allen sofort reinen Wein einschenken. Je länger du mit der Wahrheit hinterm Berg hältst, desto lauter wird das Gerede werden.“

„Und wer sollte das tun?“

„Du selbst. Fang bei Honey an. Dann wissen bald alle Bescheid.“

Honey war die Besitzerin des Restaurants, vor dem er gerade parkte. „Danke, Aggie. Für alles.“

„Gern geschehen.“ Ehe sie auflegte, meinte sie: „Weißt du, Kincaid, zwischen euch beiden herrscht eine ganz besondere Chemie.“

„Und ob. Aber eine ziemlich giftige.“

Aggie lachte leise. „Schon, aber hinter ihrer rauen Schale verbirgt sich ein sehr weiches Herz. Sie ist oft verletzt worden. Und sie hat sich ziemlich abgestrampelt, um wieder auf die Füße zu kommen. Ihre Unabhängigkeit ist ihr wichtig – wenn du verstehst, was ich meine.“

„Ja, ich habe verstanden. Ich soll ihr gegenüber ehrlich sein.“

„Genau.“

Kaum hatte er das Gespräch mit Aggie beendet, rief er Shana an. „Aggie rät uns, von Anfang an mit offenen Karten zu spielen“, erklärte er, nachdem sie ans Telefon gegangen war. „Sie schlägt vor, dass ich Honey erzähle, was wir vorhaben. Ich sitze gerade vor ihrer Kneipe; Dylan und ich wollen hier essen. Wenn du möchtest, kannst du zu uns stoßen, und wir erzählen es ihr gemeinsam.“

„Ist schon okay, wenn du das allein machst. Wenn ich da jetzt auch noch aufkreuze, sieht es womöglich so aus, als seien wir ein Paar.“

„Na gut.“ Er war ebenso erleichtert wie besorgt, denn er wollte die Angelegenheit so schnell wie möglich hinter sich bringen. Honeys Kneipe war der Umschlagplatz von sämtlichen Neuigkeiten, die sich in der Stadt ereigneten. Wenn er es hier geschickt anstellte, konnte nichts schiefgehen. „Wann kannst du umziehen?“

„Am Freitag.“

„Samstag wäre mir lieber. Da habe ich nicht so viel zu tun.“

„Einverstanden. Hast du schon ein Date für Samstagabend?“

„Ich blättere gerade durch mein Notizbuch, während wir uns unterhalten.“

Sie lachte.

„Brauchst du Umzugskartons?“

„Nein, danke. Ich habe Dixie angerufen, um ihr Bescheid zu sagen, aber ich habe nur ihre Mailbox erreicht. Bis jetzt hat sie sich noch nicht gemeldet. Hast du schon mit ihr gesprochen?“

„Manchmal schicken wir uns E-Mails – wegen des Hauses.“ Er hatte nicht nur geschäftlich häufiger mit Dixie zu tun, sondern renovierte auch ihr und Joes Haus, solange die beiden im Ausland arbeiteten. Die Stelle hatten sie sofort nach ihren Flitterwochen angetreten.

„Ich versuch’s später noch mal. Könntest du Dylan bitten, mich anzurufen? Er soll sich die Wohnung mal anschauen.“

„Klar.“ In dem Moment fuhr Dylan in Kincaids Kleinlaster vor. „Wir bleiben in Verbindung, Shana. Ruf mich an, wenn du irgendetwas brauchst.“

„Ich würde mir dein Haus gern ansehen, bevor ich einziehe, um zu sehen, was ich noch an Möbeln für uns besorgen muss.“

„Wie wär’s mit morgen Abend?“ Sie verständigten sich auf eine Zeit. Dann drückte er die Aus-Taste, stieg aus dem Wagen und ging zu Dylan.

„Hey, Boss!“ Dylan sprang vom Fahrersitz.

„Hast du das mit dem Bad hingekriegt?“, wollte Kincaid wissen.

„Klar.“

Sie betraten das Restaurant. „Und was ist mit der Badewanne?“

„Das Zimmer ist leer geräumt. An einigen Stellen ist Schimmel.“

„Wie hast du die Wanne allein rausgekriegt? Das Ding muss doch eine Tonne wiegen.“

Dylan grinste. „Wahrscheinlich bin ich stärker als du.“ Er versetzte Kincaid einen Hieb gegen den Arm und tanzte wie ein Boxer um ihn herum.

Es war kaum zu glauben, dass der Junge bis vor zwei Monaten noch obdachlos gewesen war. Er hatte bereits an Gewicht zugelegt, sodass er muskulöser wirkte, und er trug sein Haar etwas länger. Die Mädchen warfen ihm begehrliche Blicke zu.

Kincaid winkte Honey zu und setzte sich an den einzigen freien Tisch.

„Bin gleich bei euch, Jungs!“, rief sie, während sie mit einem Teller in jeder Hand auf einen Tisch zusteuerte. Ihr grau melierter Pferdeschwanz wippte auf und ab.

„Eric hat heute angerufen“, berichtete Dylan. „Er und Marcy besuchen Gavin und Becca am Samstag. Sie haben mich zum Essen eingeladen.“ Verstohlen musterte er vier Mädchen, die kichernd an einem Nebentisch saßen und ständig zu ihm hinüberschauten.

Eric und Marcy Sheridan hatten Dylan vor ein paar Monaten von der Straße geholt. Erics Schwester Becca hatte vor Kurzem Shanas Bruder Gavin geheiratet. Irgendwie schienen alle Familien in Chance City miteinander zu tun zu haben.

Dylan schaute Kincaid an. „Ist das okay für dich – oder hast du am Samstag einen Auftrag für mich?“

„Es gibt einiges für dich zu tun.“

„Wirklich?“ Dylan sah enttäuscht aus.

„Du wirst nämlich umziehen“, erklärte Kincaid genau in dem Moment, als Honey an ihren Tisch trat, um ihre Bestellung entgegenzunehmen.

„Umziehen? Wohin? Warum?“

„In die Wohnung über der ‚Oase‘.“

Dylan runzelte die Stirn. „Du meinst den Schönheitssalon in der Innenstadt?“

„Genau den. Da drüber liegt deine neue Wohnung. Ein sehr schönes Apartment.“

„Und wohin zieht Shana?“, wollte Honey wissen.

„In mein Haus.“

Vielsagend zog Honey die Augenbrauen hoch.

„Ich brauche eine Haushälterin“, beeilte er sich zu erklären. „Außerdem soll sie noch ein paar andere Arbeiten für mich erledigen. Sie ist ideal dafür. Ich habe sie übrigens über eine Agentur engagiert.“

„Hört, hört“, kommentierte Honey.

„Es ist rein geschäftlich“, versicherte Kincaid.

„Mhm“, machte Honey.

Erstaunt riss Dylan die Augen auf. Er war bis jetzt noch gar nicht zu Wort gekommen. „Ich kriege wirklich ein Apartment ganz für mich allein?“

„Ja. Das Haus gehört mir. Du wirst mir also Miete zahlen müssen. Ich denke, du hast mir lange genug auf der Tasche gelegen.“

Dylan grinste übers ganze Gesicht.

„Emma wird wohl mitkommen“, mutmaßte Honey.

„Natürlich.“

„Ich habe dich noch nie zusammen mit einem Baby gesehen.“

Vermutlich, weil er noch nie mit einem zu tun hatte. Kinder interessierten ihn nicht besonders. Aber er musste sich ja auch nicht um die Kleine kümmern. „Der Garten wird ihr bestimmt gefallen“, sagte er zu Honey. „Und ich weiß, dass Shana froh ist, nicht mehr jeden Tag nach Sacramento fahren zu müssen. Es ist für alle eine gute Lösung.“

Kincaid war erleichtert. Die erste Hürde war genommen. Immer wieder schaute er zu Honey hinüber, die hinter der Bar stand und sich mit ihren Gästen unterhielt. Machte die Neuigkeit bereits die Runde?

Während des Essens sprachen Kincaid und Dylan über seine neue Wohnung. Eigentlich bezweifelte er, dass Dylan schon reif genug war, um allein zu leben, aber es war die einzige Möglichkeit, um Shana zu unterstützen – jedenfalls die Einzige, die sie akzeptieren würde. Auf jeden Fall wollte er Dylan im Auge behalten und darauf achten, dass er mit seiner neu gewonnenen Unabhängigkeit nicht übermütig wurde.

„Können wir uns die Wohnung mal ansehen?“, fragte Dylan, als Kincaid die Rechnung beglich.

„Heute Abend nicht. Shana hat gesagt, du sollst sie anrufen, um einen Termin zu vereinbaren. Könnte ja sein, dass dir die Einrichtung nicht zusagt. Sie ist sehr … weiblich, glaube ich.“

Die vier Mädchen kamen an ihrem Tisch vorbei. Jedes von ihnen warf Dylan ein Lächeln zu. Kincaid lebte allein, seit er sechzehn war. Nur zu gut wusste er, welche Versuchungen in dem Alter auf einen warteten – vor allem, wenn es ums andere Geschlecht ging. „Wir müssen uns mal über Bienen und Blümchen unterhalten“, grinste er.

Dylan verdrehte die Augen.

„Wenn du so klug bist, wie ich vermute, nimmst du dir zu Herzen, was ich dir zu sagen habe.“

„Jawohl, Sir!“

Kincaid musste lachen.

Auf dem Weg zum Ausgang fragte einer der Gäste: „Shana zieht also zu dir?“

„Um für mich zu arbeiten“, antwortete Kincaid freundlich, ohne stehen zu bleiben. Honey hatte also schon ganze Arbeit geleistet.

„Was ist denn daran so toll, dass Shana als Haushälterin zu dir zieht?“, wollte Dylan wissen, nachdem sie das Restaurant verlassen hatten.

„Sie ist jung, attraktiv, alleinstehend – und diese Stadt liebt den Klatsch.“ Kincaid spielte mit seinen Autoschlüsseln. „Vergiss das nicht. Außerdem haben die Einwohner ein Gedächtnis wie ein Elefant. Sie sind wie eine große Familie – mit all ihren Feindseligkeiten und Vorlieben.“

„Danke. Ich werde es nicht vergessen.“ Dylan schaute sich um. „Als du mir den Job hier angeboten hast, war ich wirklich froh. Ich habe mir allerdings schon Gedanken darüber gemacht, ob ich so weit weg von einer Großstadt wohnen möchte. Inzwischen gefällt es mir. Ich finde es toll, dass die Stadt von Goldgräbern gegründet wurde und dass das Zentrum nur ein paar Häuserblocks groß ist. Und dass alle Leute einen grüßen.“

„Selbst wenn sie alles von dir wissen?“

„Das finde ich cool. Man fühlt sich irgendwie … zu Hause, wenn du verstehst, was ich meine.“

Kincaid verstand ihn nur zu gut. Er hatte sich bisher aus dem gesellschaftlichen Leben weitgehend zurückgehalten und sich darauf beschränkt, gute Arbeit abzuliefern, was seinem Ruf nicht abträglich war.

„Außerdem gefallen mir die Natur und die Berge und die Aussicht auf die Sierras“, fuhr Dylan fort. „Ich könnte mir vorstellen, für immer hierzubleiben.“

Chance City lässt einen nicht mehr los, überlegte Kincaid. Ihm war es genauso ergangen, als er hier gelandet war. „Du hast recht. Es ist eine gute Stadt. Also, dann bis später. Wir treffen uns zu Hause.“

Zu Hause. In Kincaids ruhiges Haus war das Leben eingebrochen, als Dylan zu ihm gezogen war. Und jetzt wurde es möglicherweise noch lebendiger. Andererseits würde auch mehr Ordnung einkehren, wenn Shana sich erst einmal um den Haushalt kümmerte. So viel war schon mal sicher.

Er musste nur zusehen, dass sie niemals den Grund erfuhr, warum er sie eingestellt hatte. Dann würde sie keine Minute länger bei ihm bleiben, und er wollte nicht dafür verantwortlich sein, dass sie erneut sämtliche Brücken hinter sich verbrannte.

Das war ein entsetzlicher Gedanke für jemanden, der so zuverlässig und verantwortungsbewusst war.

Kincaids Haus lag etwa dreißig Meter zurückgesetzt von der Straße.

Shana lenkte ihren Wagen über die von Pinien und Eichen gesäumte Auffahrt, die das Haus vor neugierigen Blicken schützten. „Ziemlich dunkel“, bemerkte sie, als sie um die letzte Kurve bog und vor dem Haus hielt, das mit seiner hell erleuchteten Veranda wie eine riesige Blockhütte aussah.

„Dunkel“, plapperte Emma nach, die in ihrem Kindersitz angeschnallt war.

„Tagsüber ist es bestimmt sehr schön. Meinst du nicht auch, Schätzchen? Schau dir nur all diese Fenster an. Die Aussicht muss großartig sein.“

„Ssön“, wiederholte Emma. Ihr Wortschatz wurde schnell größer.

Shana nahm Emma aus dem Kindersitz und lief die Treppenstufen zum Eingang des beeindruckenden Gebäudes hinauf. Es fügte sich perfekt in seine Umgebung ein. Die ganze Stadt wusste, dass er das Haus vor vier Jahren selbst gebaut hatte. Ursprünglich hatte er es verkaufen wollen, aber dann doch nicht getan. Wozu brauchte ein alleinstehender Mann fünf Schlafzimmer?

Man hatte Wetten über den Zeitpunkt seiner Hochzeit abgeschlossen, doch dazu war es nicht gekommen. Schließlich versiegte der Klatsch. Manch einer fragte sich allerdings, ob eine Frau wohl seinen Antrag zurückgewiesen und ihm damit das Herz gebrochen hatte.

Kincaid öffnete die Tür, ehe sie anklopfen konnte. Er trug Jeans, ein kariertes Flanellhemd und dicke Wollsocken. Die Hemdsärmel hatte er bis zu den Ellbogen aufgekrempelt, sodass seine muskulösen Unterarme zu sehen waren. Stark. Das war immer das erste Wort gewesen, was Shana in den Sinn kam, wenn sie an ihn dachte.

„Hat dir die Katze die Zunge abgebissen?“ Er legte den Kopf schräg und sah Emma an.

„Tatze?“ Emma sah sich um. „Will runter. Tatze.“ Genauso entschlossen klang sie, wenn sie ein „Pätzchen“ verlangte.

„Es gibt keine Katze, Schätzchen“, sagte Shana. „Oder etwa doch?“

„Keine Haustiere“, bestätigte Kincaid. „Hinein mit euch ins Warme. Ich habe Feuer gemacht. Keine Sorge – vor dem Kamin steht ein großer Schirm. Emma wird sich nicht verbrennen.“

Seine Gewissenhaftigkeit verblüffte sie. „Das ist sehr umsichtig.“

„Aber auch egoistisch“, fügte er hinzu. „Ich liebe Kaminfeuer im Winter und möchte um nichts in der Welt darauf verzichten.“ Er wandte sich an Emma. „Wie geht es dir denn, Miss Emma?“

„Erinnerst du dich an Kincaid, Emma?“, fragte Shana. „Kannst du Kincaid sagen?“

Emma schüttelte den Kopf und steckte den Daumen in den Mund.

„Es ist ein neues Wort, nicht wahr? Versuch’s doch mal, Emma. Sag Kincaid.“

Emma sah ihn lange an. Schließlich sagte sie „Tintaid“.

Shana unterdrückte ein Lachen. „Fast“, meinte sie. „Das müssen wir noch ein bisschen üben.“

„Bis dahin ist es eben Tintaid“, meinte Kincaid.

„Wenn es dich tröstet – Dylan hat sie zuerst auch Dilly genannt.“

„Dann bin ich lieber Tintaid als Dilly.“

„Klar.“ Sie lächelte. „Wo ist er überhaupt?“

„Nach Sacramento gefahren, um ein paar Poster zu kaufen. Den Vorschlag hast du ihm doch selbst gemacht.“

„Na ja, ich glaube nicht, dass meine Wildblumenbilder nach seinem Geschmack sind.“

Kincaid führte sie zum Kamin, der den größten Teil einer Wand einnahm und von zwei Fenstern mit Dreifachverglasung flankiert wurde – um Energie zu sparen, wie er erklärte. Die wuchtigen Möbel passten perfekt zum Blockhausstil – eine zwar sehr männliche, aber ausgesprochen gemütliche Einrichtung.

„Will runter“, wiederholte Emma. Shana setzte sie auf den Fußboden, und sie krabbelte zum Kamin. In gebührender Entfernung hielt sie inne. „Ssön.“

Shana zog ihr das Jäckchen aus und ihre eigene Jacke auch.

Kincaid hängte sie an die Garderobe neben der Haustür.

„Du hast ein wunderschönes Haus“, sagte Shana.

„Danke. Willst du auch die anderen Zimmer sehen?“

„Gern. Komm, Emma.“

Emma lief voraus, und sie folgten ihr ins Esszimmer, das sich ans Wohnzimmer anschloss, und von dem man ebenfalls eine fantastische Aussicht hatte.

Dahinter lag die Küche – so perfekt eingerichtet, wie Shana es noch nie gesehen hatte: holzverkleidete Schränke, Edelstahlspüle, Arbeitsplatten aus grüngoldenem Granit. Sie bot mehr Platz, als selbst ein Profikoch jemals benötigen würde, ganz zu schweigen von einem alleinstehenden Mann. Shana überlegte, ob eine solche Küche ihre Talente als Köchin beflügeln würde.

Sie besichtigten zwei weitere Zimmer im Erdgeschoss und gingen in die erste Etage, wo sich ein großes und zwei kleinere Schlafzimmer sowie das Arbeitszimmer befanden. In das große Schlafzimmer hätte ihr gesamtes Apartment locker hineingepasst. Jeder Raum war so perfekt eingerichtet, dass sie kaum etwas würde ändern müssen, was sie als Innenausstatterin fast enttäuschend fand. Sie hatte gehofft, Kincaid ein paar Tipps geben zu können.

„Du kannst mit Emma die beiden Räume im Erdgeschoss oder hier oben beziehen.“

„Danke. Ich werde es mir überlegen.“ Es wäre besser, etwas Distanz zu halten. Außerdem sollte Emma ihn so wenig wie möglich stören. Andererseits gefiel ihr der Gedanke, auf derselben Etage wie er zu leben.

„Du solltest dich bald entscheiden, damit Dylan und ich das entsprechende Zimmer für Emma herrichten können.“

„Klar. Hast du eigentlich einen Raumausstatter gehabt?“

„Ich habe mir Ratschläge geholt, aber im Großen und Ganzen habe ich das alles allein gemacht. Wenn du in der Nähe gewesen wärst, hätte ich dich engagiert.“

Shanas Blick wanderte von Kincaid zu Emma, die vor seinem Bett stand und zu überlegen schien, wie sie hinaufklettern könnte. „Komisch“, meinte Shana.

„Was ist komisch?“

„Die ganze Situation. Wir streiten uns überhaupt nicht. Das tun wir doch sonst immer.“

„Ich würde es nicht streiten nennen. Niemand von uns ist jemals laut geworden. Es sind nur kleine Nadelstiche. Normalerweise fängst du immer damit an.“

Shana blieb der Mund offen stehen. „Ich fange damit an? Du hast gerade damit angefangen.“ Sie hielt Emma davon ab, die grüne Tagesdecke, an der sie sich hochhangeln wollte, vom Bett zu ziehen.

Kincaid kam ihr zuvor. „Ich lasse sie schon nicht fallen“, meinte er, als er Shanas vorwurfsvollen Blick sah.

„Nein“, quäkte Emma.

„Emma!“, mahnte Shana.

„Nein, Tintaid.“ So schnell sie konnte, lief Emma davon. Shana blieb ihr dicht auf den Fersen.

Kincaid folgte den beiden in sein Büro, wo Emma auf seinen Schreibtischstuhl geklettert war und mit den Händen auf die Computertastatur trommelte. Der Bildschirm wurde hell, und das plötzliche Licht erschreckte Emma.

„Du darfst den Computer nicht anfassen“, schimpfte Shana mit ihr. „Tut mir leid, Kincaid.“

Er hielt den Atem an. Hatte Shana etwa gesehen, was auf dem Bildschirm stand? Es war seine Steuererklärung für das laufende Jahr – eine Aufgabe, die Shana erledigen sollte, wie er ihr gesagt hatte. Wenn sie entdeckte, dass er ihr eine Lüge aufgetischt hatte, würde sie ihm nie wieder etwas glauben …

Hastig griff er ins Regal. „Hier ist der Karton mit den Rechnungen, von denen ich dir erzählt habe.“ Er hielt ihr die Schachtel hin. „Ich werfe alles hinein und sortiere es erst am Jahresende.“

„Kein Problem. Ich wundere mich nur, dass du so unorganisiert bist. Du siehst ganz und gar nicht so aus.“

„Jeder Mensch hat seine Fehler.“

„Stimmt. Emma, wir gehen.“

Kincaid stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und folgte ihnen. Wieder lief Emma fröhlich krähend voran. In letzter Zeit war in seinem Haus nicht viel gelacht worden. Nicht, dass es ein bedrückender Ort gewesen wäre – aber er war immer allein gewesen. Die Zeit mit Dylan war schon eine Verbesserung, und sie hatten auch manchmal herzlich gelacht. Aber das war nichts im Vergleich zu dem, wie es sein würde, wenn Shana und Emma bei ihm wohnten.

Tintaid. Er musste grinsen, als er darüber nachdachte, wie die Leute wohl reagieren würden, wenn Emma ihn so in der Öffentlichkeit nannte – falls sie jemals warm mit ihm werden sollte. Der Gedanke, dass sie ihn nicht leiden konnte, war ihm bis jetzt gar nicht gekommen.

Aber schließlich war sie Shana Callahans Tochter. Und der Apfel fiel bekanntlich nicht weit vom Stamm …

Er ging ins Wohnzimmer, legte ein Holzscheit aufs Feuer und setzte sich auf die Couch. Kurz darauf gesellten Shana und Emma sich zu ihm. Shana nahm Emma in den Arm und wirbelte sie durch die Luft, ehe sie sich mit ihr auf das andere Sofa setzte. So muss es sein, wenn man eine Familie hat, dachte er.

Solche Szenen ereigneten sich tagtäglich tausendfach in anderen Häusern. In seinem geschah es zum ersten Mal. Shana und Emma waren eine Familie – wenn auch nur ein kleine. Jetzt würde Shana Tag und Nacht in seinem Haus sein und sich darum kümmern. Sie würde ihm bei seiner Büroarbeit zur Hand gehen und nur wenige Meter von ihm entfernt schlafen.

Eine Frau im Haus – aber leider keine Ehefrau.

Warum war sie in seiner Gegenwart nur so zickig? Insgeheim musste er sich eingestehen, dass ihm ihre kratzbürstige Art gefiel. Sie war sehr direkt – manchmal erschreckend direkt, und das störte ihn nicht. Allerdings hatte er noch nie erlebt, dass sie bei anderen Menschen die Krallen ausfuhr.

„Du bist ja ganz nass. Wir müssen die Windeln wechseln.“

„Windel wessel.“

„Genau.“ Shana warf Kincaid einen Blick zu. „Wir sollten jetzt gehen. Ich wechsel die Windel zu Hause.“

Sie war doch gerade erst gekommen. Er wusste nicht, ob er enttäuscht oder erleichtert sein sollte. „Na gut.“

Sie zogen ihre Jacken an. Er folgte Shana zu ihrem Wagen und sah zu, wie sie Emma im Kindersitz anschnallte.

„Sag Auf Wiedersehen Kincaid“, forderte Shana sie auf.

„Wiedersehn, Tintaid. Wiedersehn.“

Offenbar wurde sie zugänglicher, wenn sie gehen musste. „Wiedersehn, Miss Emma. Bis bald.“

Shana schloss die Tür und stieg auf den Fahrersitz. Sie kurbelte das Fenster herunter und schaute hinaus, als ob sie etwas sagen wollte.

Kincaid hockte sich neben den Wagen und wartete.

„Nochmals danke für den Job. Ich verspreche dir auch, keinen Streit mit dir anzufangen.“ Sie lächelte schwach. „Das heißt, ich hoffe, ich kann mein Versprechen halten.“

„Einen Schritt nach dem anderen. Wir werden sehen“, beruhigte er sie. Er erhob sich und klopfte zum Abschied auf das Wagendach.

„Bis Samstag dann.“ Sie winkte ihm noch einmal zu und fuhr los.

Er sah dem Wagen nach, bis die Rücklichter hinter den Bäumen verschwanden. Den Ausdruck auf ihrem Gesicht, als sie sich bei ihm bedankte, würde er so schnell nicht vergessen. Ihre Züge waren so weich gewesen, wie er es noch nie bei ihr bemerkt hatte. Die meisten Menschen mochten sie sehr. Was ihn anbetraf, so schien sie bisher alles getan zu haben, um von ihm nicht gemocht zu werden.

Bisher.

Aber nun keimte Hoffnung in seinem Herzen auf. Vielleicht konnten sie sogar Freunde werden.

Die Zeit würde es zeigen.

3. KAPITEL

Shana trug Emma hinauf in ihr Apartment. Nach der Besichtigung von Kincaids Haus erschien es ihr winzig.

„Ich liebe dich, Schätzchen“, murmelte Shana, als sie Emma auf den Wickeltisch legte.

Emma hatte noch nicht gelernt, „Ich liebe dich“ zu sagen. Shana freute sich schon darauf, diese Worte zum ersten Mal aus dem Mund ihrer Tochter zu hören. Ihre Eltern hatten es, soweit sie sich erinnern konnte, nie zu ihr gesagt. „Wie wäre es mit einem Bad?“

„Baaad.“

Das war ein begeistertes Ja.

Während Emma in der Badewanne planschte, dachte Shana über ihren Besuch bei Kincaid nach. Um ein Haar hätte sie ihm fast alles über ihre Vergangenheit erzählt. Im letzten Moment hatte sie es sich anders überlegt. Die Einzelheiten ihres unsteten Lebens kannten nicht einmal ihre besten Freunde.

Nur ihre engsten Familienangehörigen wussten über ihre Vergangenheit Bescheid – und Aggie. Obwohl sie gern tratschte, hatte sie Shanas Geheimnis für sich behalten und sie mit den Worten Henry Fords getröstet: „Ein Fehlschlag ist die Gelegenheit, wieder von vorn zu beginnen und beim zweiten Mal intelligenter zu Werke zu gehen.“

Shana seufzte. Wären ihre Eltern doch auch so nachsichtig! Immerhin hatte ihre Mutter ihr verziehen. Manchmal vermutete Shana, dass sie es vielleicht nur Emmas wegen getan hatte. Ihr Vater dagegen, ein strenger, halsstarriger Mensch, wechselte so gut wie kein Wort mit ihr. Seinetwegen war sie damals von zu Hause fortgelaufen. Sie waren beide stur und unnachgiebig. Kein Wunder, dass sie dauernd Streit hatten.

Sie wünschte, ihr Vater würde ihr verzeihen. Aber sie wusste, dass er niemals den ersten Schritt machen würde. Irgendwann, das hatte sie sich fest vorgenommen, würde sie sich ein Herz fassen und ihn um eine Aussprache bitten. Sie musste nur den richtigen Moment erwischen.

Nachdem sie Emma eine Gutenachtgeschichte vorgelesen hatte, machte sie sich eine Tasse Tee, ließ sich aufs Sofa fallen und sah sich um. Ein paar Umzugskisten standen bereits gepackt an der Wand. Kincaid wollte sie so bald wie möglich abholen.

Sie schloss die Augen und lehnte sich zurück, als ihr Telefon läutete. Es war ihre Schwester.

„He, Dix. Bei dir ist es doch gerade erst sechs Uhr morgens.“

Dixie lachte. „Wie schaffst du das bloß? Ich muss erst auf die Uhr schauen und den Zeitunterschied an meinen Fingern berechnen.“

„Wir alle haben unsere Talente.“

„Wahrscheinlich, du Rechengenie. Ich habe deine Nachricht erhalten, aber Joe und ich waren die ganze Zeit in einem Funkloch, deshalb kann ich mich erst jetzt melden. Was gibt’s denn?“

„Hm … interessante Neuigkeiten. Ich habe einen Job. Vollzeit, unbefristet. Hier in Chance City.“

„Wundervoll. Was ist es denn?“

„Ich werde für Kincaid arbeiten.“ Shana wartete auf eine Reaktion ihrer Schwester. Dixie wusste, wie Shana zu Kincaid stand.

„Wirklich? Läuft er ab sofort in einer kugelsicheren Weste herum?“

Shana lachte. Sie vermisste ihre Schwester. Könnten sie doch nur zusammen auf dem Sofa sitzen und alles bei einer Tasse Tee besprechen. „Sehr komisch, Dix.“

„Du kannst ihn doch nicht ausstehen. Seit eurem ersten Treffen wart ihr wie Feuer und Wasser.“

„Ich weiß, aber es ist eine ideale Gelegenheit, für Emma und mich zu sorgen. Dieses Angebot konnte ich einfach nicht ablehnen.“

„Du bist wirklich erwachsen geworden.“

„Das habe ich nur dir zu verdanken. Ohne dich hätte ich das niemals geschafft – und ich übertreibe nicht! Aber so dankbar dir ich auch bin – ich kann deinen Schönheitssalon nicht länger sauber halten. Ich werde genug anderes zu tun haben.“

„Was denn genau?“

„Alles. Ich helfe ihm bei seinen Geschäften, kümmere mich um die Möblierung in den Häusern seiner Auftraggeber, halte sein Haus in Schuss …“

„Sein Haus?“

„Ich ziehe bei ihm ein. Emma und ich werden bei ihm wohnen.“

Ein langes Schweigen entstand. „Bei ihm wohnen? Hältst du das für eine gute Idee?“

„Keine Ahnung. Ich werde es herausfinden. Aber das bedeutet, dass ich Geld sparen kann. Irgendwann kann ich mir ein Leben leisten, wie ich es mir für Emma und mich immer gewünscht habe.“

„Aber … mit ihm zusammenleben …?“

„Er hat mich über die Vermittlungsagentur engagiert. Es ist alles grundsolide.“ Selbst in ihren Ohren klang es so, als ob sie sich verteidigte. „Es hört sich komisch an, aber allmählich gewöhne ich mich an den Gedanken. Ich bin davon überzeugt, dass es klappen wird.“

„Was werden Mom und Dad dazu sagen?“

Wenn Shana geantwortet hätte, es sei ihr gleichgültig, hätte sie gelogen. „Vermutlich werden sie sauer sein, oder es ist ihnen unangenehm. Aber daran kann ich nichts ändern.“

„Nun ja, du bist erwachsen. Du kannst deine eigenen Entscheidungen treffen. Was die Arbeit im Salon angeht – Jade kann das Geld bestimmt gebrauchen. Sie putzt dann eben noch zusätzlich zu ihren Aufgaben als Empfangsdame.“ Dixie gähnte. Dann lachte sie. „Entschuldige, aber wir haben in der letzten Woche viele Überstunden gemacht.“

„Eigentlich solltet ihr längst zu Hause sein. Achttausend Meilen von hier bis Tumari sind eine verdammt weite Strecke.“

„Ich weiß. Ich habe auch Heimweh, Shana. Ich freue mich auf Weihnachten in Chance City. Mir wäre es auch egal, wenn ich nie wieder in meinem Leben reisen könnte, obwohl ich sagen muss, dass ich diese Gelegenheit um nichts in der Welt hätte missen mögen. Und Joe ist ganz in seinem Element. Trotzdem vermisst er euch alle sehr.“

Sie redeten noch eine Weile, und als sie sich verabschiedeten, war Shanas Tee kalt geworden.

Dixie war seit mehr als sechs Monaten fort. War Kincaid inzwischen über sie hinweggekommen? Oder würden alte Gefühle geweckt, wenn sie zurückkehrte? Shana verstand, warum er sich in Dixie verliebt hatte. Ihre Schwester war klug und warmherzig und wunderschön, ganz zu schweigen von ihren üppigen Kurven, die Männer so sehr schätzten.

Sie selbst dagegen war … ganz gewöhnlich. Ein bisschen dünn und ziemlich flach. Das sollte ihr dabei helfen, das Verhältnis zwischen ihr und Kincaid auf einer rein geschäftlichen Basis zu halten. Wenn er sie nicht attraktiv fand, würde es auch keine Komplikationen geben.

Sie brauchte diesen Job unbedingt – um Emmas willen, um ihretwillen. Es war ihre Chance auf ein glückliches Leben.

Und nichts war im Moment wichtiger für sie.

Kincaid und Dylan sahen so lange fern, bis Dylan müde wurde und zu Bett ging. Kaum war Kincaid allein, wanderten seine Gedanken wieder zu Shana. Wie würde es sein, mit ihr unter einem Dach zu leben?

Am Nachmittag hatte er sich in ihrer Gegenwart sehr wohlgefühlt. Er war überrascht, wie angenehm es war, sie um sich zu haben. Sie war zwar nicht unbedingt sein Typ, aber er musste sich eingestehen, dass er sie mochte – obwohl sie für ihn wohl kaum dasselbe empfand. Und er mochte Emma. Ja, er war mittlerweile ganz vernarrt in sie. Sie war witzig, neugierig und …

Sein Telefon klingelte. Wer rief um diese Zeit noch an?

Er schaute aufs Display. „Hallo, Dixie.“

„Sie zieht bei dir ein?“ Fast schrie sie ihn an.

Er zuckte zusammen. „Ich freue mich auch, von dir zu hören. Wolltest du nicht, dass ich ihr helfe? Genau das tue ich.“

„Ich habe nicht gesagt, dass du sie in dein Haus holen sollst, Kincaid. Du solltest ihr nur einen Job geben.“

„Du hast mich gefragt, ich zitiere wörtlich: ‚Kannst du ihr irgendwie helfen?‘“

„Ja. Aber damit habe ich Arbeit gemeint.“

„Und die kriegt sie auch. Es sind sogar mehrere Jobs, weil einer allein sie nicht den ganzen Tag ausfüllen würde. Zunächst einmal brauche ich unbedingt eine Haushälterin. Hier wohnt sie mietfrei, also kann sie eine Menge Geld sparen. Was hast du dagegen einzuwenden?“

„Wenn sie herauskriegt, dass ich etwas damit zu tun habe …“

„Das wird sie nicht, das habe ich dir doch versprochen. Sonst noch was?“

Ein längeres Schweigen entstand.

„Du kannst nicht mit ihr schlafen, Kincaid.“

„Nur fürs Protokoll: warum nicht?“ Der Gedanke erschien ihm nämlich nicht mehr so abwegig wie noch vor wenigen Tagen.

„Weil du nicht der Typ bist, der heiratet. Aber so einen Mann braucht sie.“

„Das muss sie doch wohl selbst entscheiden, findest du nicht? Abgesehen davon habe ich das sowieso nicht vor. Wieso bist du denn jetzt nicht zufrieden?“ Er klang etwas verärgert.

„Sie hat ein Dach über dem Kopf, eine Menge zu tun – und natürlich auch viel mehr Freizeit. Sie muss nicht mehr jeden Tag nach Sacramento fahren. Emma kann im Garten spielen. Ich habe alles getan, was du von mir verlangt hast.“

„Ich habe es nicht verlangt, ich habe nur darum gebeten. Und ich werde ein Auge auf euch haben. Ich rufe sie jeden Tag an.“

„Oh, da wird sie sich aber freuen.“ Er musste grinsen. Dixie konnte genauso dickköpfig sein wie Shana.

„Soll ich mich auch noch bei dir bedanken?“

„Warum nicht? Deinetwegen habe ich mein Leben schließlich ziemlich auf den Kopf gestellt.“

„Danke.“

Er lachte. „Das klang nicht besonders überzeugend.“

„Erst mal will ich das Ergebnis abwarten. Ich weiß es zu schätzen, dass du etwas für sie tust. Trotzdem mache ich mir Sorgen, weil ich nicht so recht weiß, was genau das ist.“

„Würdest du mir nicht vertrauen, hättest du mich wohl kaum gefragt. Ich verhalte mich deiner Schwester gegenüber absolut korrekt“, beruhigte er sie.

„Danke“, wiederholte sie. Diesmal klang es aufrichtiger.

„Gern geschehen. Du kannst jederzeit anrufen und dich davon überzeugen, dass alles in bester Ordnung ist.“

„Das werde ich auch.“

Er lachte und legte den Hörer auf. Die größte Hürde hatte er genommen: Dixie hatte akzeptiert, dass Shana bei ihm wohnen würde.

Du kannst nicht mit ihr schlafen, Kincaid. Seit vergangenem Jahr hatte er immer wieder daran gedacht. Und auf einmal war die Möglichkeit viel näher gerückt.

Unsinn schalt er sich. Du solltest nicht einmal davon träumen!

Wahrscheinlich würde das Zusammenleben mit ihr ohnehin kein Zuckerschlecken sein. Was seine Libido beträchtlich dämpfen würde. Außerdem war ja Emma auch noch da.

Jedenfalls machte er sich auf anstrengende Zeiten gefasst.

Dixies Oase sah aus wie die meisten Schönheitssalons in amerikanischen Kleinstädten – ein Ort, wo man sich Ratschläge holte und verteilte, Probleme besprach und löste, und wo viel getratscht wurde.

Als Kincaid auf den Parkplatz hinter dem Gebäude einbog, gefolgt von Dylan in seinem Truck, bemerkte er, dass Hochbetrieb im Laden herrschte. Da das Apartment nur durch den Schönheitssalon zu erreichen war, blieb den beiden nichts anderes übrig, als die Oase zu betreten. Gelegentlich ließen sich auch Männer hier die Haare schneiden, aber heute waren ausschließlich Frauen anwesend.

„Meine Damen“, begrüßte er sie. „Ich möchte Ihnen Dylan Vargas vorstellen. Er ist der neue Mieter des Apartments. Seien Sie nett zu ihm.“

„Worauf du dich verlassen kannst.“ Mit den Lockenwicklern und der schwarzen Farbe an den Haarwurzeln sah Aggie McCoy wie ein Alien aus. „Dylan, kennst du schon meine Enkelin Posey?“

„Nein, Ma’am.“ Dylan nickte dem hübschen Mädchen zu, das neben seiner Großmutter saß und die Haare geschnitten bekam. Verlegen schaute Posey den Jungen an, denn es war ihr peinlich, dass der attraktive Junge sie in diesem Zustand sah.

So fängt es immer an, dachte Kincaid wehmütig. Jetzt hat er sogar eine eigene Wohnung. Toll …

„Posey ist siebzehn“, informierte Kincaid ihn, als sie kurz darauf die Treppe hinaufstiegen.

„Hm“, machte Dylan.

„Vielleicht sollten wir dir einen eigenen Eingang bauen, damit du nicht dauernd durch den Salon laufen und den Betrieb stören musst“, schlug Kincaid vor.

„Gute Idee.“ Dylan schien erleichtert zu sein.

Die Tür zum Apartment stand offen. Die beiden kletterten über das Kindergitter. „Wir sind’s!“, rief Kincaid.

Emma lief ihnen entgegen. Kincaid ging in die Hocke, um sie zu begrüßen, aber sie blieb sofort stehen, als sie ihn sah.

„Guten Morgen, Miss Emma.“

„Hallo, Tintaid.“

„Tintaid?“ Dylan lachte. „Das ist ja witzig.“

„Dilly Arm.“ Emma streckte die Arme empor.

„Dilly? Das ist ja witzig!“, konterte Kincaid. Er fühlte sich zurückgewiesen, als Dylan sie auf den Arm nahm. Sein Spitzname schien ihm nichts auszumachen.

„Dilly, Dilly“, sagte sie und tätschelte sein Gesicht.

„Wo ist Mommy?“, fragte Kincaid.

In dem Moment tauchte Shana auf. „Guten Morgen. Es ist alles gepackt. Wir sind abfahrbereit. Nur das Kinderbett habe ich noch nicht auseinandergenommen. Aber kommt doch erst mal in die Küche. Aggie hat Apfelkuchen gebracht.“

Shana drehte sich um, und Kincaid ertappte sich dabei, wie er auf ihren Po starrte. Obwohl sie schlank war, saßen ihre Kurven an den richtigen Stellen. Warum war ihm das früher nie so richtig aufgefallen?

War das ein Grund zur Sorge?

Während sie die Reste des Apfelkuchens verschlangen, planten sie ihren Tag. Zunächst wollten sie Shanas Möbel in Kincaids Truck laden, bevor sie Dylans Sachen aus seinem Pick-up in die Wohnung brachten. Anschließend wollten sie alle zu Kincaid fahren, um Shanas und Emmas Zimmer einzurichten und das Kinderbett aufzubauen.

Aggie bot sich an, inzwischen auf Emma aufzupassen, doch Shana wollte beim Umzug lieber dabei sein. Wenn sie sah, dass ihr Bett in einem anderen Haus aufgestellt wurde, würde sie eher akzeptieren, dass sie von nun an dort schlafen müsste, argumentierte Shana.

„Glaubst du, dass es so einfach ist?“ Kincaid musterte sie mit einem zweifelnden Blick, als sie Emma im Kindersitz festschnallte. „Sie sieht ihr Bett und ist zufrieden?“

„Ich glaube nicht, dass der Wohnungswechsel ein Problem für sie ist. Sie war schon bei so vielen verschiedenen Babysittern, dass sie wechselnde Orte gewohnt ist. Das größte Problem für sie dürfte sein, dass ich nicht mehr im selben Zimmer mit ihr schlafe.“

„Sie hat doch nicht etwa Trotzanfälle?“, erkundigte Kincaid sich besorgt. Auf einmal schien ihm seine Idee doch nicht mehr so genial. Worauf hatte er sich da bloß eingelassen?

„Manchmal.“ Shana schloss die Wagentür und sah ihn an. „Das wird auch für dich eine ziemliche Umstellung werden.“

Sie wirkte nervös. Er war also nicht der Einzige, dem angesichts der neuen Lebensumstände ein wenig mulmig zumute war. „Du hast mich ja schon vorgewarnt. Sie ist ein ziemliches Temperamentsbündel.“

„Und nicht gerade leise. Das ist deine letzte Chance für einen Rückzieher.“

Kincaid musste nicht lange überlegen. Auf keinen Fall würde er die Möbel wieder ausladen. „Abgemacht ist abgemacht.“

„Ich sorge dafür, dass sie dich so wenig wie möglich stört“, versprach sie.

Sie wollte ins Auto steigen, aber er legte eine Hand auf ihren Arm. Das Kribbeln in seinen Fingerspitzen irritierte ihn, und er ließ sie sofort wieder los.

„Du musst sie nicht in ihr Zimmer sperren. Nur weil ich dir Gehalt zahle, heißt das nicht, dass das Haus nicht dein Zuhause ist. Du sollst dich nicht wie eine Besucherin fühlen. Eines Tages werde ich heiraten und selbst Kinder haben. Da kann ich gleich mal ausprobieren, wie das ist.“

Eigentlich wollte er sie mit seinen Worten beruhigen, doch an ihrer Reaktion merkte er, dass es schiefgegangen war. Sie runzelte die Stirn und presste die Lippen zusammen. Er unterdrückte den plötzlichen Wunsch, ihr das Stirnrunzeln wegzuküssen.

„Wenn du vorhast zu heiraten, warum hast du mich dann überhaupt in dein Haus geholt?“, fragte sie scharf.

„Es ist ja nicht so, dass schon jemand vor der Tür steht“, beschwichtigte er sie. „Ich habe nur gesagt, dass ich vorhabe, irgendwann mal zu heiraten und eine Familie zu gründen. Können wir es dabei belassen?“ Tatsache war, dass er bisher kaum daran gedacht hatte – und am allerwenigsten an Kinder. Das war für ihn immer Zukunftsmusik gewesen. Aber die Jahre zogen vorbei, und allmählich musste er aufpassen, dass er die Zukunft nicht verpasste …

„Hast du für heute Abend eine Verabredung?“, wollte sie wissen. Seine Antwort schien sie nicht zu überzeugen.

„Das habe ich doch gesagt.“

„Wer ist es denn?“

„Du kennst sie nicht.“

„Wie heißt sie?“

Shana klang irgendwie … verärgert oder gereizt. Dabei war sie es doch gewesen, die ihn aufgefordert hatte, zum Tanzen zu gehen.

„He, Boss. Hast du vergessen, dass ich eine Einladung von Gavin und Becca zum Abendessen habe?“, rief Dylan. Mit laufendem Motor wartete er darauf, dass sie endlich losfuhren.

„Wir treffen uns bei mir!“, rief Kincaid zurück. An Shana gewandt fuhr er fort: „Das diskutieren wir ein anderes Mal.“

Ein paar Minuten später standen alle vor Kincaids Haus. Zuerst bauten sie Emmas Bett zusammen, damit sie ihren Mittagsschlaf halten konnte, während sie den Erwachsenen ständig zwischen die Beine lief, um ihnen zu „helfen“. Zwischen ihren beiden Zimmern lag das Bad, und wenn Shana die Türen offen ließ, hatte sie ihre Tochter stets im Blick.

Kincaid war überrascht, dass sie sich für die Zimmer in der ersten Etage entschieden hatte, ganz nahe bei ihm. Eigentlich wäre es für sie einfacher gewesen, im Erdgeschoss zu wohnen. Dann hätte sie sich wegen Emma keine Sorgen um die Treppen zu machen brauchen.

Während Shana ihre Umzugskisten auspackte, wurde ihm schlagartig bewusst, dass auch er jetzt dafür verantwortlich war, dass Emma nichts zustieß. Bisher hatte er sein Werkzeug immer überall liegen gelassen. Das durfte er ab sofort nicht mehr machen. Frustriert hockte er sich auf seine Fersen.

„Und du hast geglaubt, ich wäre eine Herausforderung für dein Einsiedlerleben“, spottete Dylan, während er die letzten Schrauben in das Kinderbett drehte. In seinen Augen blitzte es vergnügt.

„Tja. Was habe ich mir nur dabei gedacht?“ Kincaid versuchte, ebenfalls witzig zu sein.

„Bist du sicher, dass du das schaffst?“

„Was?“

„Emma andauernd um dich zu haben. Und natürlich auch Shana. Das sieht doch ein Blinder, dass du scharf auf sie bist.“

Shana lief gerade durchs Badezimmer, als sie Dylans Bemerkung hörte. Wie vom Donner gerührt blieb sie stehen. Kincaid war scharf auf sie? Sie wartete auf seine Antwort.

„Halt die Klappe“, erwiderte er barsch. „Du weißt ja nicht, was du sagst.“

Stimmt das? fragte sie sich. Sie wollte das nicht. Sie wollte einfach nur ihre Arbeit erledigen. Schließlich hatte sie ihm von Anfang an klargemacht, dass ihre Beziehung rein geschäftlich sei. Sie wollte ihre eigene Herrin bleiben. Falls …

„’Tschuldigung“, murmelte Dylan.

Leise schlich Shana aus dem Badezimmer, um kurz darauf umso lauter zurückzukommen.

„Mommy!“ Emma lief ihr entgegen.

„Du bist bestimmt müde, Schätzchen. Hast du auch Hunger? Möchtest du etwas essen, bevor du Heia machst?“

„Nein.“ Es klang richtig trotzig. Dann legte sie den Kopf auf Shanas Schulter.

„Ist das Bett fertig?“, erkundigte sie sich, ohne die beiden Männer anzusehen. Dylans Bemerkung war ihr immer noch unangenehm.

„Jawohl!“, verkündete Kincaid.

Sie ging zu Dylan. „Hältst du sie bitte mal, damit ich das Bettzeug hineinlegen kann?“

Zögernd sah er zu Kincaid. „Ich bin schon ziemlich spät dran.“

„Ich nehme sie. Mach, dass du wegkommst. Und grüß alle von mir.“

„Von mir auch“, schloss Shana sich an, ehe sie Emma in Kincaids Arme gab. Sie schaute ihn misstrauisch an, war aber zu müde, um zu protestieren – allerdings nicht müde genug, um sich an ihn zu kuscheln.

Rasch machte Shana das Bett. Auch ohne zu Kincaid hinzuschauen, spürte sie, dass er jede ihrer Bewegungen beobachtete. Begehrte er sie wirklich? Der Gedanke verwirrte sie total. Als sie fertig war, nahm sie ihre Tochter auf den Arm. Sie war schon fast eingeschlafen.

Emma sagte nichts mehr, als Shana sie zudeckte. Zusammen mit Kincaid ging sie aus dem Zimmer und ließ die Tür halb offenstehen. Das Babyfon war eingeschaltet. An der Treppe hielt er sie zurück.

„Was Dylan da eben gesagt hat, Shana …“

Das Herz rutschte ihr in den Magen. „Woher weißt du …?“

„Ich habe dich im Badezimmerspiegel gesehen. Dylan hat da etwas falsch verstanden. Ich möchte nicht, dass du das Gefühl hast, einen Fehler gemacht zu haben. Er ist achtzehn. Er glaubt, er weiß alles.“

In ihrem Blick machte sich Enttäuschung breit, obwohl sie wusste, dass sie eigentlich froh sein sollte. „Gut. Danke.“ Schneller als nötig lief sie die Stufen hinunter. „Hast du Hunger? Soll ich dir … uns etwas zu essen machen?“

„Ich habe Pizza bestellt. Sie müsste jeden Moment eintreffen.“

Wie aufs Stichwort läutete es an der Tür. Kincaid bezahlte den Boten, legte ein großzügig bemessenes Trinkgeld drauf, und kurz danach saßen sie am Küchentisch, genossen ihre Pizza und die fantastische Aussicht.

Shana ließ ihren Blick durch den Garten schweifen. Die Eichen hatten ihre Blätter verloren; nur die Zedern, Pinien und die Stechpalmen waren noch grün. Sie nahm ein zweites Stück Pizza und trat ans Fenster, um besser sehen zu können. Ihr Blick fiel auf den kleinen Spielplatz, den er angelegt hatte – mit zwei Schaukeln, einer Rutschbahn und einem Klettergerüst.

Kincaid hatte sich neben sie gestellt. „Glaubst du, dass es Emma gefallen wird?“

„Hast du das extra für sie gemacht?“

Er zuckte mit den Schultern. „Kinder brauchen doch einen Platz zum Spielen.“

Es dauerte eine Weile, bis ihr die Bedeutung seiner Worte klar wurde. Er hatte sich wirklich für sie ins Zeug gelegt. Für Emma.

„Danke.“ Vor lauter Überraschung brachte Shana nicht mehr heraus.

Er lehnte sich an die Wand und betrachtete sie aufmerksam. „Ich habe dir ein Konto im Angel’s Market eingerichtet. Für geschäftliche Ausgaben – inklusive Benzin – bekommst du eine Firmenkreditkarte. Die ist allerdings noch nicht gekommen.“

„Schön. Was isst du denn gern?“

„Ich bin nicht anspruchsvoll. Fleisch und Kartoffeln reichen mir. Eier, Speck, Brote …“

„Das ist gut. Ich koche auch lieber einfache Gerichte. Magst du Salat und Suppe?“

„Beides. Du wirst aber so sehr mit anderen Dingen beschäftigt sein, dass du gar nicht so viel Zeit zum Kochen haben wirst. Hauptsache, der Kühlschrank ist immer gut gefüllt, und im Haus herrscht Ordnung – mehr verlange ich gar nicht.“

„Es ist gar nicht so chaotisch, wie du behauptet hast.“ Im Gegenteil, das Haus war superordentlich.

„Hm … ja. Dylan und ich haben noch aufgeräumt. Ich dachte mir, dass es einen besseren Eindruck auf dich macht.“

Sie glaubte ihm nicht. Plötzlich zweifelte sie auch an anderen Dingen, die er ihr erzählt hatte.

Offenbar bemerkte er ihr Schweigen nicht, denn er fuhr fort: „Am seltsamsten finde ich, wenn jemand anders meine Wäsche macht.“

„Trägst du Boxershorts oder Slips?“, wollte sie wissen.

Er schaute sie lange an, ehe er antwortete: „Slips.“

„Na siehst du. Das Schlimmste ist überstanden.“ Grinsend biss sie ein großes Stück von ihrer Pizza ab. „Mit wem gehst du denn heute Abend tanzen?“, wechselte sie das Thema.

„Sie heißt Jessica.“

Jessica. Shana mochte sie schon jetzt nicht. Schockiert über ihre eigene Reaktion, beschloss sie, den Tisch abzuräumen, um sich abzulenken. „Warst du schon oft mit ihr weg?“

„Ich bin noch gar nicht fertig“, protestierte Kincaid, als sie den Rest der Pizza in den Kühlschrank stellen wollte.

„Entschuldige.“ Sie schob den Karton zu ihm hinüber und griff nach Block und Bleistift, um eine Einkaufsliste zusammenzustellen.

Vermutlich war es Taktik, dass er sich in diesem Moment ein riesiges Stück Pizza in den Mund schob. Anscheinend wollte er ihre Frage nicht beantworten. „Also bist du schon oft mit ihr ausgegangen?“, wiederholte sie.

Er zuckte mit den Schultern. Offenbar war ihm die Frage unangenehm.

„Wie soll ich mich verhalten, wenn du eine Frau zum Essen mit nach Hause bringst?“, wollte sie wissen. „Oder wenn sie hier übernachtet?“

„Darüber reden wir, wenn es so weit ist. Vorläufig habe ich das noch nicht vor.“

„Und was ist, wenn ich einen Freund zum Übernachten mitbringe?“ Als ob das so bald geschehen würde!

„Machst du das öfter?“

„Ich möchte nur die Regeln kennen.“

Kincaid wischte sich mit der Serviette den Mund ab und ließ sie auf den Teller fallen. „Ich bin kein Freund von Regeln. Wir sollten keine aufstellen, bevor es wirklich nötig ist.“

„Na ja, mal ganz spontan – wie würdest du denn reagieren?“ Sie drängte ihn zu Antworten, die sie möglicherweise gar nicht hören wollte, aber sein Verhalten verwirrte sie. Bisher hatten sie sich dauernd provoziert – aber er hatte schlagartig damit aufgehört. Was hatte das zu bedeuten?

„Ganz spontan würde ich sagen, du kannst keinen Übernachtungsbesuch mitbringen.“ Er lächelte etwas gequält. „Bist du mit der Antwort zufrieden?“

Sie verschränkte die Arme. „Warum würdest du das ablehnen?“

„Ich glaube nicht, dass das ein gutes Vorbild für Emma wäre.“

„Ist das der einzige Grund?“ Sie sollte besser den Mund halten. Warum reizte sie ihn bis zum Äußersten?

Er legte den Kopf schief. „Was willst du hören, Shana? Dass ich eifersüchtig wäre?“

„Nein.“

„Wärst du denn eifersüchtig, wenn eine Frau bei mir übernachten würde?“

„Natürlich nicht.“

„Wo liegt denn das Problem?“

Er war nähergetreten, stand nur noch wenige Zentimeter von ihr entfernt und schaute ihr in die Augen, als ob er all ihre geheimen Wünsche lesen könnte. Und tatsächlich – plötzlich wünschte sie sich nichts sehnlicher als ihn. Am liebsten hätte sie ihn an seinem Hemd gepackt, ihn an sich gezogen und ihn leidenschaftlich geküsst.

Stattdessen wandte sie ihm den Rücken zu und drehte den Wasserhahn bis zum Anschlag auf. „Ich weiß nicht. Entschuldigung. Irgendwie ist es mir zur Gewohnheit geworden, dich zu provozieren.“

„Na, dann hör doch einfach auf damit. Wir müssen ja schließlich miteinander auskommen.“

„Du hast gesagt, ich soll ehrlich sein.“

„Ehrlichkeit ist eine Sache. Einen Streit zu provozieren eine andere.“

Sie nickte und kam sich wie ein Idiot vor. Sie hatte ihn wirklich provoziert. Ich habe Angst, hätte sie am liebsten gesagt. Ich weiß nicht, wie ich mich dir gegenüber verhalten soll. Du verwirrst mich. Aber das wäre zu ehrlich gewesen.

„Ich muss noch ein paar Dinge erledigen“, sagte er. „Hier sind deine Schlüssel. Wir sehen uns später.“

Sie brachte kein Wort heraus. Der Anfang ihrer – rein geschäftlichen! – Beziehung war ziemlich in die Hose gegangen, und das war ausschließlich ihre Schuld.

Die Haustür fiel ins Schloss. Nachdem sie die Küche aufgeräumt hatte, ging sie hinauf, um nach Emma zu schauen. Die Kleine schlief tief und fest und merkte nicht einmal, wie Shana ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht schob und über die Wange streichelte. Wahrscheinlich würde sie noch eine Stunde schlafen. Shana wollte die Zeit nutzen, ihre Sachen auszupacken und sich häuslich einzurichten.

Sie schaute sich in ihrem neuen Zimmer um. Die Möbel waren aus Ahornholz – viel eleganter, als sie es bisher gewohnt war. Wenn sie andere Bilder an die Wand hängte, konnte sie dem Raum ihre eigene, weibliche Note verleihen. Allerdings wollte sie nicht übertreiben – schließlich würde sie nicht für immer hier sein. Bisher war sie noch nie längere Zeit an einem Ort geblieben. Warum sollte es dieses Mal anders sein?

Als sie mit dem Auspacken und Einräumen fertig war, ging sie zurück in die Küche, um die Einkaufsliste zusammenzustellen. Wenn Emma wach geworden und gefüttert worden war, wollte sie mit ihr zum Supermarkt fahren. Sie würde Kincaid einen Schokoladenkuchen backen, um sich bei ihm zu entschuldigen …

Aber nein. Er ging doch heute Abend aus. Sie hatte schließlich darauf bestanden.

Das bedeutete, dass sie und Emma allein wären. Wie gewöhnlich.

War es nicht komisch, wie sich die Umstände ändern konnten – und doch alles beim Alten blieb?

4. KAPITEL

Das Stompin’ Grounds war eine altmodische, etwas heruntergekommene Kneipe, in der bereits mehrere Generationen von Chance City Billard gespielt, Bier getrunken und sich beim Tanzen verliebt hatten, und in der es selbst tagsüber nie richtig hell wurde. Man konnte hier ganz gut essen. Für die Musik sorgte eine Jukebox; nur samstags abends spielte eine Band.

Kincaid gehörte nicht zu den Stammgästen. Obwohl er während seiner Schulzeit eine Menge Freunde in der Stadt gehabt hatte, ging er nicht oft aus. Und nach seiner Rückkehr musste er sich erst einmal von dem Leben erholen, das er bis dahin geführt hatte und das die Hölle gewesen war. Da er keine Lust verspürte, über seine Vergangenheit zu reden, hatte er auch keinen Kontakt gesucht.

Mit der Zeit war das anders geworden. Man lud ihn zu Grillpartys und Geburtstagsfeiern ein. Er pflegte ein paar lockere Freundschaften, vertraute sich aber niemandem an. Dennoch wurde er respektiert, weil er vorzügliche Arbeit leistete und niemanden über den Tisch zog.

Allmählich hatte er jedoch das Alleinsein satt. Vor allem sehnte er sich nach Freunden, mit denen er über alles reden und denen er sein Herz ausschütten konnte. Natürlich hätte er mit den McCoy- oder den Falcon-Brüdern weggehen können, Kumpel aus der Schulzeit. Aber sie brauchten niemanden, denn sie hatten einander. Solche Familienbande fehlten ihm. Genau genommen hatte er überhaupt keine Familie.

Auf dem Parkplatz standen bereits viele Pick-ups. Kincaid wartete in seinem auf Jessica. Er hatte ihr angeboten, sie abzuholen, aber sie wollte mit ihrem Wagen aus Sacramento kommen. Irgendwie fühlte es sich falsch an. Bei einem Date musste der Mann das Mädchen abholen – sonst war es doch kein richtiges Date, oder? In solchen Dingen kannte er sich nicht besonders gut aus.

Aber eigentlich war das ja kein richtiges Date. Sie half ihm aus einer Notlage, mehr nicht. Trotzdem war es nicht richtig, dass sie sich erst hier trafen.

Als sie mit ihrem babyblauen Mercedes auf den Parkplatz fuhr, stieg er aus, um sie begrüßen. Sie trug hautenge Jeans, Stiefel und ein rosafarbenes Westernhemd. Ihre dunklen Haare waren kurz geschnitten, die Augen tiefblau, und ihre Figur war vollkommen. Sie gehörte zu den erfolgreichsten Maklerinnen im Norden Kaliforniens, und als er seine Baufirma um Immobilien erweiterte, hatte sie ihm mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Er schuldete ihr eine Menge – und jetzt tat sie ihm schon wieder einen Gefallen.

„Hallo, du schöner Mann.“ Sie umarmte ihn stürmisch.

„Hallo, du schöne Frau.“ Vor einigen Jahren wären sie einmal sogar fast im Bett gelandet. Sie hatte gerade eine längere Beziehung beendet und wollte ausprobieren, ob sie noch attraktiv war. Er hatte es ihr ausgeredet – und bereute es bis heute nicht.

„Ich soll also ganz fasziniert von dir sein?“, erkundigte sie sich, während sie zur Kneipe liefen.

Er lächelte. „Es reicht aus, wenn du interessiert guckst.“

„Willst du mich betatschen?“, fragte sie mit einem spitzbübischen Grinsen.

Er tat empört. „Wo denkst du hin! Ich will mit dir tanzen.“

Sie hakte sich bei ihm ein. „Tanzen kann ein tolles Vorspiel sein.“

„Das habe ich auch gehört.“ Er hatte ganz vergessen, wie verführerisch sie sein konnte, wenn sie ihren Charme anknipste. Normalerweise sah er in ihr nur die Geschäftsfrau.

„Ich glaube, in dieser Kneipe gibt’s wohl kaum Bio-Burger“, meinte sie mit einem kritischen Blick auf die Eingangstür.

„Kaum. Aber die Hamburger sind fantastisch.“

„Dann wirst du wohl die Kalorien mit mir wegtanzen müssen. In letzter Zeit fällt es mir immer schwerer, meine mädchenhafte Figur zu behalten.“

„Scharf auf Komplimente, Jess?“ Er wusste gar nicht, wie alt sie war. Vierzig vielleicht. „Wir wissen doch beide, dass die Männer dich noch immer mit den Blicken verschlingen.“

Sie grinste. „Bist du eifersüchtig? Wirst du meine Ehre mit deinen Fäusten verteidigen?“

Der plötzliche Lärm, der ihnen beim Eintreten entgegenschallte, ersparte ihm eine Antwort, aber ihre Bemerkung erinnerte ihn an das Gespräch über Eifersucht, das er wenige Stunden zuvor mit Shana geführt hatte. Nein, er würde nicht eifersüchtig auf Jess sein, wenn sie sämtliche Blicke an sich zog oder mit jemand anderem tanzte. Er hatte noch nie um eine Frau gekämpft.

Was allerdings Shana anging – da dachte er auf einmal ganz anders, und es gefiel ihm überhaupt nicht. „Tisch oder Tresen?“, rief er Jessica über das Stimmengewirr hinweg zu.

„Tresen.“ Mit glänzenden Augen schaute sie sich um. Die Band nahm ihren Platz ein, während laute Musik aus der Jukebox dröhnte.

Am liebsten wäre er sofort wieder nach Hause gegangen.

Dort wollte er allerdings erst dann wieder auftauchen, wenn Shana bereits im Bett war, weil er keine Lust hatte, die Fragen zu beantworten, die sie ihm möglicherweise stellte. Mit einem etwas gezwungenen „Viel Spaß“ hatte sie ihn verabschiedet. Es reichte aus, wenn er ihr erst am nächsten Morgen wieder begegnete.

Inzwischen bedauerte Kincaid es fast, dass er ihr den Job angeboten hatte. Jetzt konnte er sich nicht einmal mehr ungezwungen in seinem eigenen Haus bewegen, ohne dass Shana seine persönlichsten Dinge mitbekam.

Er bahnte sich mit Jess einen Weg zum Tresen, wo sie zwei Plätze fanden und Bier und Essen bestellten.

„Kennst du hier jemanden?“, wollte sie wissen.

Er ließ seinen Blick durch den Raum wandern. „Ein paar Leute, ja.“ Viele von ihnen musterten ihn sehr interessiert – und die Frau an seiner Seite, wie er vermutete. Wahrscheinlich würden sie über ihn tratschen. Das war ja schließlich der Zweck der Übung – sie sollten über die Frau an seiner Seite und nicht über die in seinem Haus reden.

Tom, der Besitzer und Barkeeper, stellte zwei Gläser vor sie hin. Kincaid wollte gerade zu seinem Glas greifen, als sein Blick auf zwei Neuankömmlinge fiel.

„Das kann ja interessant werden“, murmelte er.

„Was denn?“

„Siehst du das ältere Paar, das gerade gekommen ist? Das ist Aggie McCoy, eine der Schlüsselfiguren im Ort. Wir müssen eine Show für sie abziehen.“

„Und wer ist der attraktive Mann an ihrer Seite?“

„Doc Saxon. Er war der einzige Arzt in der Stadt. Vor Kurzem hat er sich zur Ruhe gesetzt.“ Shanas Bruder Gavin hatte seine Praxis übernommen. Die Stadt ist wirklich klein, überlegte Kincaid. Und die Welt auch. Er war zusammen mit Gavin zur Schule gegangen. „Wahrscheinlich hat Aggie Wind davon bekommen, dass ich heute Abend mit einer Freundin hier bin, und deshalb hat sie Doc überredet, sie hierher zu begleiten.“

„Meinst du? Sie flirtet mit ihm. Ich glaube, sie mag ihn.“

Kincaid betrachtete das Paar. Aggies Mann war vor einigen Jahren gestorben. Auch Doc Saxon war schon seit langer Zeit verwitwet. Größere Gegensätze hätte man sich kaum vorstellen können – aber hatte das die Leute jemals davon abgehalten, sich ineinander zu verlieben?

Aggie steuerte auf Kincaid zu. „Ich habe gehört, dass du heute Abend hier bist“, begrüßte sie ihn. Dann hielt sie Jess die Hand hin. „Hallo. Ich bin Aggie McCoy, und das ist Jim Saxon.“

„Jessica Donnell.“

„Ich wusste gar nicht, dass Sie einen Vornamen haben.“ Kincaid zwinkerte Aggies Begleiter zu. „Sollen wir Sie jetzt Jim statt Doc nennen?“

Der schlanke Vierundsiebzigjährige, dessen Haar kaum ergraut war, lächelte. „Ich reagiere auf beides. Übrigens habe ich gehört, dass Shana und Emma bei Ihnen eingezogen sind.“

„Shana arbeitet für mich. Emma gehört zum Deal dazu.“

„Verstehe. Gut, dann wollen wir Sie mal allein lassen. Komm, Aggie, schauen wir mal, wo Platz für uns ist.“

Auf dem Weg zu einem Tisch in der Nähe der Musikbox begrüßte Aggie fast alle Gäste des Lokals per Handschlag.

„Sie machen mir Hoffnung“, meinte Jessica, als ihr Hamburger vor sie hingestellt wurde.

„Wer?“ Kincaid griff nach dem Ketchup.

„Aggie und ihr Doktor. Sie sind total verknallt. Ist das nicht süß – in ihrem Alter?“

Kincaid glaubte es nicht. Doc und Aggie kannten sich seit einer Ewigkeit. Warum sollten sie sich plötzlich ineinander verlieben?

Jessica biss in ihren Hamburger. „Mhm! Der ist wirklich gut. Allein dafür hat sich die Fahrt hierher gelohnt.“

„Und was ist mit mir?“

Liebevoll tätschelte sie seine Wange. „Da du nicht mit mir schlafen willst, lautet die Antwort Nein.“

Kaum hatten Jess und Kincaid ihre Mahlzeit beendet, als die Band zu spielen begann. Sofort gingen sie auf die kleine Tanzfläche, wo sie sich wegen der anderen Paare kaum bewegen konnten.

Ihm fiel auf, dass Jess den Billardtisch nicht aus den Augen ließ – oder besser Big Dave Gunderson, ein Holzfäller, der außerdem einen Pannendienst betrieb. Er und Jess waren ungefähr so gegensätzlich wie Aggie und Doc, und trotzdem flirteten sie mit Blicken.

Kincaid entging es nicht.

„Wie wäre es mit einer Partie Billard?“, schlug Jess vor.

„Gern.“ Er würde sich hüten, wahrer Liebe – oder in diesem Fall vielleicht Lust – im Weg zu stehen.

Eine Stunde später spielte die Band einen langsamen Schlager. Big Dave und Jess tanzten zusammen, während Kincaid weiter Billard spielte. Es machte ihm zwar nichts aus, aber es durchkreuzte die Absicht, die er mit dieser Verabredung verfolgte. Deshalb ärgerte er sich doch im Stillen. Die beiden hätten durchaus etwas zurückhaltender sein können.

Als er an der Reihe war, kratzte er nur über den Filz, ohne den Ball zu treffen. Wie peinlich.

Aggie stellte sich neben ihn. „Bist du auf irgendetwas sauer, Kincaid?“

„Auf meine Ungeschicklichkeit“, antwortete er, während sein Gegner zum Stoß ansetzte.

„Deine Freundin scheint sich ja sehr gut mit Big Dave zu verstehen“, stellte Aggie fest.

„Es ist ein freies Land.“

Aggie lachte so laut, dass die anderen Gäste zu ihr hinübersahen.

So viel zu Diskretion, dachte Kincaid, während Doc Aggie mit sich zog. Kincaids Bemühungen, Dixie einen Gefallen zu tun, zogen Konsequenzen nach sich, mit denen er überhaupt nicht gerechnet hatte – öffentliche Demütigungen inklusive.

Er stützte sich auf seinen Billardstock und tat so, als interessierten ihn die neugierigen Blicke der anderen nicht.

Dann fragte er sich bestimmt zum zwanzigsten Mal, was Shana wohl an ihrem ersten Abend in seinem Haus tat.

Shana war unentschlossen. Sollte sie ins Bett gehen, bevor Kincaid zurückkehrte, oder sollte sie fernsehen? Sah das nicht so aus, als würde sie auf ihn warten?

Egal. Sie war ohnehin zu aufgekratzt, um zu schlafen. Deshalb nahm sie sich eine Tüte Popcorn, holte eine von Kincaids DVDs und machte es sich mit einer Decke auf der Couch gemütlich.

Kaum hatte sie den DVD-Spieler eingeschaltet, als ihr Handy klingelte.

„Hallo, hier ist Aggie.“

„Du klingst, als wärst du in einer Disco.“

„Kann man so sagen. Ich bin im Stompin’ Grounds.“

Zahlreiche Fragen schossen Shana durch den Kopf. Doch sie stellte keine davon. „Amüsierst du dich?“

„Ja. Sehr sogar.“

Shana wusste, dass Aggie sie auf die Folter spannen wollte. So beiläufig wie möglich fragte sie: „Wie schön. Mit wem bist du denn da?“

„Doc Saxon. Aber das ist noch nicht …“

„Du gehst mit Doc Saxon aus?“

„Na ja, nicht wirklich. Ich habe ihn gebeten, mit mir zu kommen, um ein Auge auf Kincaid zu haben.“

„Ts, ts, Aggie. Jetzt spionierst du sogar schon den Leuten hinterher?“

„Interessiert es dich denn gar nicht?“ Aggie klang enttäuscht.

Mehr als du dir vorstellen kannst. „Sollte es mich interessieren? Er ist nur mein Chef. Was geht mich sein Privatleben an?“ Mit dieser Antwort würde sie Aggie aus der Reserve locken und alles erfahren, was sie zu berichten hatte.

„Du wohnst bei ihm! Da kriegst du alles über sein Privatleben mit.“

„Stimmt. Das hatte ich ganz vergessen.“

Aggie lachte. „Du willst mich wohl auf den Arm nehmen. Hier ist es übrigens sehr interessant.“

„Wieso?“

„Kincaid ist mit dieser hübschen Frau gekommen. Aber sie ist älter als er und sieht aus wie eine Geschäftsfrau. Eine, die weiß, was sie will. Du verstehst, was ich meine?“

Hielten sie sich an den Händen? Tanzten sie eng zusammen? Küssten sie sich?

„Jedenfalls hat diese Frau angefangen, mit Big Dave zu flirten. Erst haben sie Billard gespielt, dann zusammen getanzt, ziemlich eng sogar, und Kincaid ist jetzt allein am Billardtisch und so sauer, dass er den Filzbezug aufgekratzt hat. Sobald der Tanz zu Ende war, ist Jess zu Kincaid gegangen, hat ihm etwas ins Ohr geflüstert, und dann sind sie gegangen. Aber nicht Hand in Hand. Also bin ich ihnen auf den Parkplatz gefolgt.“

„Gegen meinen Willen!“, rief Doc im Hintergrund. „Neugierige Frau!“

„Wie hätte ich sonst etwas herausbekommen können? Jedenfalls“, fuhr Aggie fort, „haben sie sich draußen ein paar Minuten unterhalten. Dann ist sie in ihren schicken blauen Mercedes gestiegen und hat gewartet. Kincaid ist in seinen Truck geklettert und losgefahren. Kurz darauf kam Big Dave aus der Kneipe, und sie ist ihm gefolgt.“

Shana war hin und hergerissen zwischen dem Triumphgefühl, dass es mit dem Date nicht geklappt hatte, und Mitleid für Kincaid, der in aller Öffentlichkeit einen Korb bekommen hatte.

Und das alles nur, weil sie ihn dazu gedrängt hatte. Prompt meldete sich das schlechte Gewissen bei ihr. „Hast du mit Doc getanzt?“, wollte sie wissen. Nach etwas anderem fragte sie lieber nicht.

Nach einer kurzen Pause antwortete Aggie: „Er bewegt sich leichtfüßig wie ein Reh.“

„Na, dann vergnüg dich weiter. Mit ihm.“

Shana versuchte sich auf den Film zu konzentrieren, aber es gelang ihr nicht. Wo blieb Kincaid bloß? Vom Stompin’ Grounds bis zu seinem Haus dauerte die Fahrt maximal zehn Minuten. Vielleicht war er noch woanders hingegangen.

Endlich hörte sie seinen Wagen in der Einfahrt. Rasch schlug sie die Decke um die Beine und griff nach der Schale mit dem Popcorn. Es sollte so aussehen, als hätte sie einen sehr gemütlichen Abend verbracht.

Als er ins Wohnzimmer trat, schaltete sie den Fernseher aus.

„Hi“, begrüßte sie ihn fröhlich und verkniff sich die Frage, wie der Abend gewesen war.

„Hey.“ Sein Blick fiel auf den Kamin. „Kein Feuer?“

„Ich war nie bei den Pfadfindern.“

„Dann zeige ich’s dir. So ein Feuer macht es nämlich sehr gemütlich. Was hast du dir denn angeschaut?“

„Rambo.“

„Wirklich? Das hätte ich jetzt nicht gedacht.“

„Du hast doch nur Action-Filme.“

Während er sich um das Feuer kümmerte, wurde das Schweigen im Raum immer lauter.

Er stocherte in den Flammen. „Du hast mich gar nicht gefragt, wie mein Abend war.“

„Ich wollte nicht neugierig sein.“

Er lachte rau. „Aggie hat dich doch bestimmt schon angerufen. Ich habe sie auf dem Parkplatz gesehen – mit dem Handy am Ohr.“

Shana seufzte. „Ich habe sie nicht um einen Bericht gebeten … aber du kennst ja Aggie.“

„Ich mache das nicht noch mal.“

„Was?“

„Mit einer Frau ausgehen und so tun, als hätte ich etwas mit ihr. Wenn ich mich mit jemandem treffe, dann nur, weil ich es will. Mir ist es egal, was die Leute von uns denken. Der heutige Abend war’s jedenfalls nicht wert.“

„Tut mir leid, wirklich. Ich wollte nur nicht, dass man über uns klatscht.“

„Ich weiß.“ Er setzte sich ans andere Ende der Couch. „Sie werden sich trotzdem das Maul zerreißen. Geben wir einfach nichts darauf. Mehr können wir sowieso nicht tun.“

„Und ihnen zeigen, dass an dem Gerede nichts dran ist.“

„Genau.“ Er schaute ins Feuer. „Und wie war dein Abend?“

„Schön. Emma und ich haben zusammen gespielt; dann habe ich ihr Bücher vorgelesen. Sie liebt die Gummiente, die du ihr gekauft hast.“ Der Mann erstickte sie noch mit seiner Fürsorglichkeit. „Vielen Dank dafür.“

„Kinder brauchen Spielzeug.“

„Du hast dir wohl viele Gedanken gemacht, bevor wir eingezogen sind.“

„Ich plane nun mal gern.“

„Ich auch.“

„Ich weiß.“ Er lächelte schwach. „Vielleicht geraten wir nur deshalb so oft aneinander, weil wir uns so ähnlich sind.“

„Vielleicht.“ Wäre es jemand anders gewesen, hätte sie unterdrückte sexuelle Begierden dafür verantwortlich gemacht. Aber es ging um Kincaid. Sie konnte sich nicht erlauben, ihn attraktiv zu finden. „Erstaunlich, dass Aggie und Doc Saxon zusammen sind. Die sind doch wie Feuer und Wasser.“

Nachdenklich schaute er sie an. „Ich wette, das war nur ein Vorwand, um meine Verabredung in Augenschein zu nehmen.“

„Ist es nicht trotzdem komisch? Aggie ist lange allein gewesen. Wer weiß, was aus den beiden noch wird.“ Sie reichte ihm die Schale mit dem Popcorn. Dabei rutschte ihr die Decke zu Boden. Sofort wickelte er sie um ihre Füße.

Eine kleine, beiläufige Geste nur, doch Shana kam es vor, als hätte Kincaid sie umarmt. Wie besorgt er um sie war! Wie lange war es her, dass sich jemand so liebevoll um sie gekümmert hatte?

Vorsicht, ermahnte sie sich. Wahrscheinlich waren das nur voreilige Schlussfolgerungen. Um Emma kümmerte er sich schließlich genauso hingebungsvoll.

„Was hast du morgen vor?“, fragte er und steckte sich eine Handvoll Popcorn in den Mund.

„Ich wollte nach Sacramento fahren, um ein paar Dinge zu kaufen. Für unsere neuen Zimmer.“

„Morgen ist Sonntag.“

„Verkaufsoffener Sonntag. Alle Geschäfte sind geöffnet.“

„Soll ich mitkommen?“

Erstaunt sah sie ihn an. „Warum?“

„Du brauchst ein neues Auto. Wie wär’s, wenn ich dir eins kaufe?“

Ihr blieb der Mund offen stehen. „Du willst mir ein Auto kaufen?“

„Ich würde ihn als Firmenwagen anmelden. Du kannst ihn fahren, solange du für mich arbeitest.“

„Meiner ist noch tadellos in Ordnung.“ Sie stand auf und knüllte die Decke zusammen.

„Dein Wagen ist eine Schrottkiste.“ Er hatte sich ebenfalls erhoben.

„Seit einem Jahr bringt er mich zuverlässig zu meiner Arbeit und zurück.“

„Wirklich? Hast du dir nicht ein paar Mal Dixies Wagen ausgeliehen?“

„Sie hat mich darum gebeten, weil sie nicht wollte, dass er die ganze Zeit unbenutzt in der Garage steht.“ Und weil ihr das Angebot ihrer Schwester entgegenkam, denn sie hatte oft Probleme mit ihrem Wagen.

Kincaid verschränkte die Arme. „Du brauchst ein zuverlässiges Auto, damit du deine Termine einhalten kannst. Du wirst nämlich viel fahren müssen – manchmal sogar bis Lake Tahoe. Und jetzt im Winter wird es oft regnen und schneien.“

Es wäre verrückt, sein Angebot nicht anzunehmen. Und dennoch …

„Ein Gebrauchtwagen tut’s doch auch“, wandte sie ein.

„Du kannst ihn dir aussuchen, aber ich zahle, und ich bevorzuge einen neuen Wagen. Sei nicht so dickköpfig.“

Fasziniert betrachtete sie seine Wangenmuskeln. Wenn er ärgerlich war, zitterten sie unmerklich. Fast hätte sie die Hand ausgestreckt, um ihn zu streicheln. „Du bist der Boss.“

„Richtig.“

Sie verbiss sich ein Lachen. Und er hielt sie für dickköpfig?

„Okay. Dann gehe ich jetzt schlafen.“ Als sie die Treppe hinaufstieg, spürte sie seine Blicke im Rücken. Hatte sie ihn vielleicht zu sehr provoziert?

Nun ja, damit wird er leben müssen, dachte sie fast ein bisschen boshaft. Schließlich war es seine Idee gewesen, sie in sein Haus zu holen.

Kincaid hatte zwar gesagt, dass Shana sich den Wagen aussuchen konnte. Aber dann hatte er sie doch zu einem SUV überredet – und den Preis ganz schön heruntergehandelt. Er ist eben durch und durch Geschäftsmann, dachte sie anerkennend.

„So riecht ein ganz neues Auto“, erklärte sie Emma auf der Rückfahrt nach Chance City.

„Ssön“, sagte Emma.

Während sie den nagelneuen Wagen über die Straße lenkte, schweiften ihre Gedanken zurück zu den vergangenen Monaten. Eigentlich hatte sie viel Glück gehabt. Beruflich hatte sie immer mehr Fuß gefasst, und niemand hatte Grund, über sie zu tratschen. Ihren Vater hatte das immer noch nicht überzeugt; nach wie vor wechselte er kein Wort mit ihr. Aber er wusste natürlich, dass ihre Mutter sie öfter besucht hatte.

Bestimmt hatte es darüber Streit gegeben. Hatte sich ihre Mutter ihrem Mann gegenüber endlich durchgesetzt? Shana hatte sie jedenfalls nicht in Schutz genommen, als sie es am dringendsten gebraucht hätte. Auch das war mit ein Grund gewesen, warum sie rebellischer als die meisten Teenager gewesen war.

Sie seufzte. Wahrscheinlich musste sie sich damit abfinden, dass ihr Vater ihr niemals verzeihen würde. „Vermutlich kann man doch nicht wieder nach Hause zurückkehren“, murmelte sie mehr zu sich.

„Hause“, plapperte Emma nach.

„Wir sind fast da, Schätzchen.“ Im Zentrum von Chance City winkten ihr viele Bekannte zu und starrten ihr erstaunt nach. Es würde nicht lange dauern, bis alle wussten, dass sie ein neues Auto hatte.

Sie bog in die Einfahrt ein. Kincaid war bereits eingetroffen und half ihr beim Ausladen des Wagens.

„Wie fährt er sich?“, wollte er wissen.

„Wahnsinnig.“ Sie nahm Emma aus dem Kindersitz. „Wie ein Panzer.“

„Wirklich? Soll ich ihn umtauschen?“

„Bloß nicht!“ Sie grinste spitzbübisch. „Das war ein Scherz.“

„Hunger“, meldete Emma sich.

Shana trug Emma in die Küche und setzte sie in den Hochstuhl. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie den ganzen Abend mit Kincaid verbringen würde. Jedenfalls hatte er nichts von Ausgehen gesagt.

Er kam die Treppe herunter. „Ich habe gerade einen Anruf von Tom Orwell bekommen. Er hat Probleme mit seiner Küche. Jemand ist ins Haus eingebrochen und hat die Schränke mit Graffiti beschmiert.“

„Wer tut denn so was?“

„Keine Ahnung. Ich fahr zu ihm und sehe mir den Schaden mal an.“ Er stibitzte ein Stück Käse von Emmas Teller.

Vorwurfsvoll starrte sie ihn an. „Nein, Tintaid.“

Er fuhr ihr durchs Haar. „Entschuldige bitte, Miss Emma. Aber ich bin furchtbar hungrig.“

„Hier, Kincaid.“ An der Tür drehte er sich um. Shana warf ihm ihre Autoschlüssel zu. „Mach eine Testfahrt.“

Er grinste. „Danke.“

„Es ist doch sowieso deiner“, murmelte sie, sobald die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war.

5. KAPITEL

Kaum hatte Shana Emma zu Bett gebracht, als ihr Handy klingelte. Sie hielt die Luft an, als sie aufs Display sah. Zögernd nahm sie das Gespräch entgegen. „Hallo.“

„Gehst du mir absichtlich aus dem Weg?“, fragte ihre Mutter.

„Überhaupt nicht. Aber ich habe so viel zu tun, Mom.“

„Das habe ich gehört. Du bist umgezogen. Und du hast einen neuen Wagen.“

„Stimmt.“ Shana ließ sich auf die unterste Treppenstufe sinken. „Möchtest du dir das Haus mal ansehen?“

Ein langes Schweigen entstand. „Wann?“

Shana wollte nicht, dass ihre Mutter dachte, sie hätte irgendetwas zu verbergen. „Sofort, wenn du willst.“ Sie holte tief Luft. „Bring doch Dad mit. Kincaid ist nicht hier.“

Die Antwort kam zögernd. „Ich frage ihn. Aber du weißt ja …“

„Ich weiß, Mom.“

„Okay. Dann bis gleich.“

Shana eilte wieder nach oben, bürstete sich die Haare und tauschte das T-Shirt gegen eine blaue Bluse. In der Küche setzte sie Wasser auf, um Pfefferminztee zu machen – den Lieblingstee ihrer Mutter –, und verteilte Kekse auf einem Teller.

Wenn doch bloß Dixie hier wäre! Sie würde dafür sorgen, dass die Unterhaltung nicht ins Stocken geriet. Shana hatte ein stillschweigendes Übereinkommen mit ihrer Mutter getroffen: Sie redeten nicht darüber, wo Shana die Jahre verbracht hatte, in denen sie nicht zu Hause gewesen war. Nur über Emmas Vater und darüber, was aus ihm geworden war, hatten sie gesprochen.

Vielleicht war es an der Zeit, reinen Tisch zu machen?

Gerade als sie kochendes Wasser in die Teekanne goss, klingelte es. Auf dem Weg zur Tür presste Shana die Hand gegen den Magen.

Du bist allein gekommen!

Sie ließ sich ihre Enttäuschung nicht anmerken. Wie gern hätte sie ihrem Vater gezeigt, dass es ihr gut ging. Jetzt erfuhr er es wieder nur aus zweiter Hand.

„Hi, Mom!“ Shana umarmte ihre Mutter. Diese reagierte überrascht. In Shanas Familie waren Umarmungen nicht üblich. Shana hatte sogar geglaubt, dass niemand sich umarmte, bis sie von Aggies Verwandtschaft, die sich ständig in die Arme fiel, eines Besseren belehrt wurde.

„Vor dem Haus steht nur Kincaids Truck“, begrüßte ihre Mutter sie.

„Er ist mit meinem Wagen unterwegs. Komm herein.“

Autor

Susan Crosby
Susan Crosby fing mit dem Schreiben zeitgenössischer Liebesromane an, um sich selbst und ihre damals noch kleinen Kinder zu unterhalten. Als die Kinder alt genug für die Schule waren ging sie zurück ans College um ihren Bachelor in Englisch zu machen. Anschließend feilte sie an ihrer Karriere als Autorin, ein...
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Obwohl sie von Beruf Naturwissenschaftlerin ist, hatte Kelly Hunter schon immer eine Schwäche für Märchen und Fantasiewelten und findet nichts herrlicher, als sich in einem guten Buch zu verlieren. Sie ist glücklich verheiratet, hat zwei Kinder und drückt sich gerne davor, zu kochen und zu putzen. Trotz intensiver Bemühungen ihrer...

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