Ein verführerischer Plan

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Fast spürt Rachel noch seine zärtlichen Berührungen auf ihrer Haut - da verkündet Vito Farneste öffentlich, dass er nur mit ihr gespielt hat. Für immer will sie den Millionär aus ihrem Herzen verbannen - bis ein tragisches Ereignis sie zwingt, wieder auf ihn zuzugehen


  • Erscheinungstag 05.06.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733749088
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Das kristallklare Wasser des Springbrunnens mitten auf dem riesigen Vorplatz schoss in hohen Fontänen nach oben und verteilte sich dann auf dem glatt polierten Granit. In der leichten Brise, die zwischen den hohen Gebäuden hindurchwehte, wurden die winzigen Tropfen des in die Höhe spritzenden Wassers wie ein leichter Sprühnebel in Rachels Richtung geweht, als sie daran vorbeiging.

Er fühlte sich auf ihrer Haut kühl an.

Und genau das musste sie sein. Kühl, ruhig und beherrscht. Sie durfte keinerlei Gefühle zeigen. Sie war hier, um etwas Geschäftliches zu erledigen. Nicht mehr und nicht weniger.

Denn wenn sie ihr Vorhaben in einem anderen Licht sah, dann …

Nein! Denk nicht daran. Hab keine Gefühle. Nur so kannst du das hinter dich bringen.

Und vor allem, erinnere dich nicht …

Wieder legte sich ein feiner Sprühnebel auf ihr Gesicht.

Sie blieb stehen und genoss einen Moment die beruhigende Stille des geschickt konstruierten Brunnens am Eingang des glänzenden neuen Bürogebäudes. Es gehörte der englischen Niederlassung von Farneste Industriale, einem riesigen internationalen Konzern, und lag in dem neuen Industriepark am Rande von Chiswick, einem der ältesten Vororte Londons, in der Nähe des Autobahnzubringers und des Flughafens Heathrow.

Rachel ging weiter. Sie sah in dem teuren Kostüm und den hochhackigen Schuhen sehr elegant aus. Beim Gehen wiegte sie sich verführerisch in den Hüften. Zwei Stunden hatte sie gebraucht, bis sie mit ihrem Aussehen zufrieden gewesen war. Das lange Haar hatte sie gewaschen und geföhnt, sie hatte Make-up aufgetragen und die Fingernägel lackiert. Zu dem kurzen engen Rock und der eleganten Jacke trug sie ein Seidentop. Das perfekt sitzende Designerkostüm betonte ihre vollen Brüste und den flachen Bauch.

Die eleganten italienischen Schuhe und die Lederhandtasche waren farblich auf das Kostüm abgestimmt. Auf der Suche nach dieser Tasche war sie in jedem Kaufhaus und in jeder Boutique gewesen, von Chelsea bis Knightsbridge, von der Bond Street bis Kensington. Und am Ende war die Suche erfolgreich gewesen.

Immerhin stellte der Mann, den sie beeindrucken wollte, außergewöhnlich hohe Ansprüche. Das wusste sie aus Erfahrung. Einmal war sie seinen Ansprüchen nicht gerecht geworden. Doch daran erinnerte sie sich nur ungern. Es war zu demütigend und bedrückend gewesen und durfte sich nicht wiederholen.

Rachel nahm sich fest vor, kühl aufzutreten und sich nicht beirren oder verunsichern zu lassen. Das war sie sich schuldig. Sie sah gut aus, war groß, schlank und hatte langes blondes Haar. Insgesamt wirkte sie ausgesprochen gepflegt, wie ihre Mutter es ausgedrückt hätte.

Bei dem Gedanken an ihre Mutter wurde Rachel von Rührung übermannt. Doch sie verdrängte diese Regung rasch, denn Gefühle waren bei dem, was sie vorhatte, fehl am Platz. Wenn sie etwas erreichen wollte, musste sie ruhig und gefasst auftreten. Es ging um ein Geschäft. Und um nichts anderes.

Während sie die breite Treppe hinaufging, öffnete sich automatisch die riesige Doppeltür. Sie betrat die überaus großzügig gestaltete Eingangshalle, in der es angenehm kühl war und in der jedes Geräusch widerhallte, und hörte, wie sich die Tür hinter ihr leise schloss. Als wäre ich eine Gefangene, überlegte sie und schauderte bei dieser Vorstellung. Natürlich war sie keine Gefangene. Nicht einmal eine Geisel. Sie war hier, um jemandem ein Geschäft vorzuschlagen.

Wichtig war, dass sie nicht lange darum herumredete, sondern gleich zur Sache kam. Sie durfte sich nicht ablenken und nicht irritieren lassen.

Entschlossen ging sie über den Marmorfußboden auf den halbkreisförmigen Empfangsbereich zu, der sich in der Mitte der Eingangshalle befand.

„Ich möchte zu Mr. Farneste“, erklärte sie ruhig.

„Wie ist Ihr Name?“, fragte die elegant gekleidete Empfangsdame höflich und blätterte in dem Terminkalender.

„Rachel Vaile“, erwiderte sie mit fester Stimme.

Die Rezeptionistin runzelte die Stirn. „Es tut mir leid, Miss Vaile. Es ist kein Termin für Sie eingetragen.“

Rachel ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Rufen Sie ihn bitte an, und sagen Sie ihm, wer ihn sprechen will. Er wird Zeit für mich haben“, versicherte sie der Frau, die ihr einen skeptischen Blick zuwarf.

Sie hält mich für eine seiner Geliebten und weiß nicht, wie sie sich verhalten soll, überlegte Rachel und konnte sich ein ironisches Lächeln nicht verkneifen.

„Einen Moment, bitte.“ Die Empfangsdame griff nach dem Telefon. Als zuverlässige Mitarbeiterin musste sie natürlich das tun, was man von ihr erwartete, und mit der Sekretärin sprechen. Das war Rachel klar.

„Mrs. Walters? Hier am Empfang ist eine Miss Rachel Vaile. Im Terminkalender ist sie nicht eingetragen.“ Sie schwieg und hörte zu, was ihre Gesprächspartnerin antwortete. „Gut. Vielen Dank, Mrs. Walters.“ Nach ihrer Miene zu urteilen, hatte man ihr aufgetragen, Rachel wegzuschicken.

Ehe die Frau den Hörer auflegen konnte, hatte Rachel ihn ihr ruhig aus der Hand genommen, ohne auf ihren Protest zu achten. „Mrs. Walters? Hier spricht Rachel Vaile. Teilen Sie Mr. Farneste bitte mit, dass ich am Empfang bin und ihm etwas anbieten möchte, das für ihn einen besonderen Wert hat. Vielen Dank. Ach so, Mrs. Walters, informieren Sie ihn bitte sofort, denn wenn er in drei Minuten nicht hier ist, verlasse ich das Gebäude und ziehe das Angebot zurück. Guten Tag.“ Sie reichte der Empfangsdame, die sie sprachlos ansah, den Hörer.

„Ich warte da drüben“, erklärte Rachel kühl, während sie auf die Uhr blickte. Dann durchquerte sie die Eingangshalle in Richtung der Sitzgruppe aus weißem Leder und setzte sich auf das Sofa. Sie nahm eine Ausgabe der Times in die Hand, die auf dem Tisch lag, und fing an, die Titelseite zu lesen.

Nach genau zwei Minuten und fünfzig Sekunden läutete das Telefon am Empfang. Rachel blätterte um und las weiter.

Als wenig später die Empfangsdame neben ihr stand, legte sie die Zeitung weg.

„Mrs. Walters erwartet Sie auf der Direktionsetage, Miss Vaile“, verkündete die Frau mit einer Stimme, die ihr Erstaunen verriet.

Der Lift brachte Rachel nach oben. Sie betrachtete sich in den bronzegetönten Spiegeln. Als der Aufzug stehen blieb und die Türen sich öffneten, kam ihr eine freundliche Frau mittleren Alters entgegen.

„Miss Vaile?“, fragte sie. Rachel nickte mit undurchdringlicher Miene, und die Frau fügte hinzu: „Würden Sie bitte mitkommen?“ Sie führte sie über einen breiten, langen Flur, auf dem in unregelmäßigen Abständen Furcht einflößende Statuen standen.

Am Ende des Flurs befand sich ein weiterer Empfangsbereich, wo zwei hübsche junge Frauen beschäftigt waren. Rachel spürte ihre neugierigen Blicke, doch sie folgte Mrs. Walters mit regloser Miene in deren Büro. Schließlich klopfte die Sekretärin an die Verbindungstür aus massivem Holz, ehe sie sie öffnete.

„Mr. Farneste, Miss Vaile ist da“, verkündete sie.

Äußerlich ruhig und gelassen, betrat Rachel den Raum.

Vito Farneste hatte sich in den sieben Jahren nicht verändert und war immer noch der attraktivste Mann, den Rachel jemals kennengelernt hatte.

Obwohl man Männer im Allgemeinen nicht als schön bezeichnen konnte, traf diese Beschreibung auf Vito zu. Unwillkürlich verglich Rachel ihn mit einem Engel. Er war jedoch kein Engel des Lichts, sondern höchstens ein Engel der Finsternis und die personifizierte Versuchung.

Schweigend lehnte er sich in dem schwarzen Ledersessel zurück und legte die Hand auf den schwarzen Schreibtisch. Das weiße Hemd und die goldene Armbanduhr betonten seine gebräunte Haut. Offenbar hielt er es nicht für nötig, aufzustehen.

Mrs. Walters schloss die Tür hinter Rachel, während Vito sie ruhig und mit undurchdringlicher Miene betrachtete.

In dem Schweigen, das zwischen ihnen herrschte, fühlte Rachel sich zurückversetzt in die Zeit, als sie ihn kennengelernt hatte. Sie erinnerte sich an die ersten Worte, die er vor elf Jahren an sie gerichtet hatte.

Rachel war gerade vierzehn Jahre alt gewesen, ein hoch aufgeschossener und etwas linkischer Teenager. Eigentlich hatte sie die ersten zwei Ferienwochen bei einer Schulfreundin verbringen wollen, doch am letzten Schultag war Jenny krank geworden, und ihre Eltern hatten die Einladung zurückgezogen. Die Internatsleitung hatte Rachels Mutter informiert, die ihr sogleich das Flugticket hatte zustellen lassen.

Da Rachel wusste, dass ihre Mutter Arlene sie nicht um sich haben wollte, flog sie mit gemischten Gefühlen nach Italien. Seit Arlene mit Enrico Farneste zusammen und seinetwegen nach Italien gezogen war, sah Rachel sie normalerweise jeweils nur für eine Woche in den Schulferien. Dann wohnten sie auf Enricos Kosten in einem Londoner Luxushotel. Arlene war immer froh, wenn die Zeit vorbei war und sie zu Enrico zurückfliegen konnte. Das spürte Rachel.

Aber dieses Mal hatte sie keine Wahl, sie musste die Ferien in Italien verbringen, in der wunderschönen Villa, in der Enrico Arlene untergebracht hatte. Sie lag an einem Hügel oberhalb eines Touristenorts an der ligurischen Küste, nicht weit von Turin entfernt, wo sich der Hauptsitz des Farneste-Konzerns befand. Nachdem ein Chauffeur Rachel am Nachmittag am Flughafen abgeholt und in die Villa gebracht hatte, zog sie sich rasch um und lief zu dem Swimmingpool auf der untersten Terrasse.

Außer der Haushälterin, die nur italienisch sprach, schien niemand zu Hause zu sein, obwohl ein roter Sportwagen in der Einfahrt stand. Meine Mutter und Enrico sind offenbar ausgegangen, überlegte Rachel, während sie glücklich im Wasser umherschwamm, das die Sonne, die vom klaren Himmel schien, gewärmt hatte.

Nach mehreren Bahnen machte sie eine Pause, legte die Hand auf den gefliesten Rand des Swimmingpools und atmete einige Male tief durch. Das lange Haar, das sie zusammengebunden hatte, fiel ihr über eine Schulter. Als sie sich umdrehte, merkte sie, dass sie nicht allein war.

Ein sehr schlanker, großer Italiener von ungefähr zwanzig Jahren stand auf der obersten Stufe der Steintreppe und rührte sich nicht.

Er trug eine perfekt sitzende, elegante helle Freizeithose, die seine schmalen Hüften und den flachen Bauch betonte. Die Ärmel des hellen Hemdes, dessen oberste Knöpfe geöffnet waren, hatte er hochgekrempelt. Als er schließlich die Treppe hinunterging, bewegte er sich so geschmeidig, dass es Rachel beinahe den Atem verschlug.

Sie konnte den Blick nicht abwenden. So einen schönen Mann hatte sie noch nie gesehen. Fasziniert betrachtete sie seine gebräunte Haut, das schwarze Haar, die wie gemeißelt wirkenden Gesichtszüge, die gerade Nase, die verführerischen Lippen. Er trug eine Sonnenbrille und wirkte ungemein kühl, selbstbewusst und weltgewandt. Er hätte ein Filmstar oder ein männliches Model sein können.

Rachel war sich seiner Gegenwart viel zu sehr bewusst. Sie wurde ganz nervös, kam sich dumm vor und fühlte sich wie betäubt.

Ungefähr zwei Meter vor dem Swimmingpool blieb er stehen und sah sie an. Seine Augen waren hinter den dunklen Gläsern der Sonnenbrille nicht zu erkennen. Doch Rachel hatte plötzlich das Gefühl, zu viel nackte Haut zu zeigen, obwohl sie einen sportlich geschnittenen Badeanzug trug.

Wusste er, dass ihre Mutter sie hatte kommen lassen?

Rachel hatte keine Ahnung, wer er war. Er sah nicht nur atemberaubend gut aus, sondern strahlte auch eine natürliche Arroganz aus. Vermutlich rissen sich die Frauen um ihn und versuchten mit allen möglichen Tricks, seine Aufmerksamkeit zu erregen.

Rachel wurde ganz verlegen, als ihr bewusst wurde, dass sie momentan seine gesamte Aufmerksamkeit erregte. Es verunsicherte sie, dass er sie mit regloser Miene abschätzend musterte.

Die Abschiedsworte der Internatsleiterin hatte Rachel noch im Ohr. Die Frau hatte sie vor den italienischen Männern gewarnt, die angeblich eine Schwäche für blonde Frauen hatten. Wer auch immer er war, er hatte offenbar das Recht, hier zu sein. Aber wusste er, dass auch sie hier sein durfte und ihre Mutter besuchte?

Dass sie keine besonders gute Figur hatte, wusste sie. Im Vergleich zu anderen Mädchen ihres Alters war sie körperlich noch nicht voll entwickelt und hatte relativ wenig Rundungen. Und weil sie viel Sport trieb, hatte sie ziemlich muskulöse Arme. Ihr Gesicht war weder schön noch hässlich, sondern eher durchschnittlich, wie sie fand.

Für sehr durchschnittlich aussehende Teenager hatte der Mann, der sie so intensiv betrachtete, bestimmt keine Zeit. Sie konnte sich gut vorstellen, dass er sich nur mit Frauen umgab, die sehr schön und sexy waren und von morgens bis abends perfekt aussahen, die alle anderen Frauen in den Schatten stellten und genau wussten, wie begehrenswert sie waren.

Weniger attraktive Frauen beachtete er gar nicht, sie existierten für ihn nicht. Er nahm sie wahrscheinlich gar nicht wahr.

Abgesehen davon, dass Rachel weder schön noch sexy war, war sie für diesen Mann viel zu jung. Deshalb war es völlig egal, was er von ihrem Badeanzug, ihrem Gesicht und ihrer Figur hielt.

Nicht egal hingegen war, dass er vielleicht glaubte, sie sei unbefugt hier eingedrungen oder eine Touristin, die geglaubt hatte, die Villa sei momentan unbewohnt. Jedenfalls musterte er sie immer noch mit undurchdringlicher Miene. Wartete er etwa darauf, dass sie ihm erklärte, was sie hier machte?

Verlegen und verwirrt hob sie zögernd die Hand, wie um ihm zuzuwinken. Doch sogleich bereute sie es. Die Geste kam ihr ziemlich kindisch vor.

„Hallo“, begann sie unbehaglich. „Sie fragen sich sicher, wer ich bin …“ Sie verstummte, als ihr bewusst wurde, dass sie Englisch gesprochen hatte. Der Mann war jedoch, nach seinem Äußeren zu urteilen, Italiener, denn normalerweise sahen Engländer nicht so gut aus.

„Ich weiß genau, wer du bist“, erklärte er in fließendem Englisch, aber mit unverkennbar italienischem Akzent. „Du bist die uneheliche Tochter der Hure meines Vaters“, fügte er hart hinzu.

2. KAPITEL

Und jetzt, elf Jahre später, klang seine Stimme noch genauso hart, als er gleichgültig erklärte: „Du hast dich offenbar entschlossen, für das, was meiner Mutter gehört, zu kassieren.“

Obwohl seine Miene keine Gefühlsregung verriet, glaubte Rachel, es sekundenlang in seinen dunklen Augen aufblitzen zu sehen.

Alle möglichen Emotionen stiegen in ihr auf. Ihr war klar, dass er seinen Zorn nur mühsam im Zaum halten konnte. Damals, als er zum allerersten Mal mit ihr geredet hatte, war er genauso zornig gewesen. Aber als naive, unerfahrene Vierzehnjährige hatte sie nicht gewusst, dass sie ihm danach besser aus dem Weg gegangen wäre. Stattdessen hatte sie ihm die Chance gegeben, sie zutiefst zu verletzen und zu beleidigen.

Als wie aus dem Nichts die Erinnerungen auf sie einstürzten, grub sie die Fingernägel in das weiche Leder ihrer Handtasche. In den vergangenen sieben Jahren hatte sie alle Gefühle für diesen Mann, der keine drei Meter vor ihr in dem Sessel saß, konsequent verdrängt. Und sie hätte viel dafür gegeben, wenn nicht ausgerechnet jetzt alles in ihr wieder aufgebrochen wäre.

Nein, das darf nicht sein, ermahnte sie sich energisch. Sie war wegen einer einzigen Sache und aus einem einzigen Grund hier: Sie wollte ihm ein Geschäft anbieten.

Während sie sich auf den Mann ihr gegenüber konzentrierte, nahm sie sich vor, nichts zu empfinden und alle Erinnerungen zu verdrängen.

Er saß da und wartete darauf, dass sie zur Sache kam. Natürlich wusste er, worum es ging, nur deshalb hatte er sich bereit erklärt, sie überhaupt vorzulassen. Nur wegen dieser einen Sache erinnerte er sich überhaupt noch an Rachel.

Habe ich als Mensch für ihn jemals existiert? fragte sie sich auf einmal. Nein, als Rachel Vaile habe ich wahrscheinlich nie für ihn existiert, gab sie sich selbst die Antwort. Ihn hatte nie interessiert, was für ein Mensch sie war, was sie dachte, was für Vorlieben und Schwächen sie hatte. Es war ihm völlig egal gewesen.

Noch nicht einmal für ihren Körper hatte er sich wirklich interessiert, obwohl sie in ihrer Naivität und Dummheit eine Zeit lang geglaubt hatte, er fände sie begehrenswert. Aber sie hatte sich getäuscht.

Für Vito Farneste war sie nur die uneheliche Tochter der Hure seines Vaters, wie er es ausgedrückt hatte, nichts anderes. Und das würde sich auch nie ändern.

Doch trotz all der bitteren, quälenden Gedanken kam ihr das, was sie vorhatte, wie ein Lichtblick vor: Wenn er das Geschäft mit ihr machen wollte, musste er in gewisser Weise von seinem hohen Ross heruntersteigen und etwas tun, woran er im Zusammenhang mit ihr nicht im Traum denken würde.

Rachel straffte die Schultern und betrachtete sein ausdrucksloses Gesicht gleichgültig und mit undurchdringlicher Miene, ehe sie zur Sache kam. „So kann man es nennen. Unter gewissen Bedingungen bin ich bereit, dir das, was deiner Meinung nach deiner Mutter gehört, auszuhändigen“, erklärte sie.

Wie kann sie es wagen, mir Bedingen zu stellen? überlegte Vito. Am liebsten wäre er aufgesprungen, um den Schreibtisch herumgegangen, hätte dieser Frau die Hände auf die Schultern gelegt und sie geschüttelt. Aber er beherrschte sich und wollte sich die Sache auch nicht allzu genau vorstellen, sonst würde er es am Ende doch noch tun.

Reglos blieb er sitzen und musterte sie abschätzend, ihr Haar, das Designerkostüm, die lackierten Fingernägel, das Accessoire. Ihm entging nichts, nicht das kleinste Detail. Woher hatte sie das Geld für diesen Luxus?

Weshalb stellte er sich überhaupt die Frage? Natürlich hatte sie es von anderen Männern. Bei dem Gedanken ging ihm ein Stich durchs Herz, und er versteifte sich unwillkürlich. Doch warum reagierte er so heftig? Bei den Erbanlagen, die sie hatte, brauchte man sich über nichts zu wundern. Es lag in ihrer Familie, sich von Männern aushalten zu lassen.

Außerdem hatte sie sich seit damals körperlich zu ihrem Vorteil verändert. Er gestand sich ein, dass sie ungemein attraktiv war. Und sie wusste offenbar genau, wie sie ihre Schönheit betonen und zur Geltung bringen konnte.

Wieder ging ihm ein Stich durchs Herz, aber er ignorierte es. Es konnte ihm gleichgültig sein, wie sie aussah. Sie war sehr schlank. Das lange aschblonde Haar fiel ihr über die Schultern, ihre großen Augen wirkten seltsam beunruhigend und ihre Lippen verführerisch.

Nein, gebot er seinen Gedanken Einhalt. Okay, sie sah großartig, geradezu fantastisch aus. Doch was hatte das mit ihm zu tun? Nichts, überhaupt nichts. Im Zusammenhang mit Rachel Vaile interessierte ihn nur eine einzige Sache: Welchen Preis würde sie verlangen?

„Wie lautet der Preis?“, fragte er deshalb. In seiner Stimme schwang Verachtung.

„Ich habe nicht von einem Preis, sondern von Bedingungen gesprochen“, entgegnete sie kühl.

Vito glaubte, so etwas wie eine Gefühlsregung bei ihr gespürt zu haben. Aber vielleicht hatte er sich getäuscht. Wut erfasste ihn. Sie besaß wirklich die Unverschämtheit, herzukommen und ihn unter Druck zu setzen.

Ja, sie setzte ihn schon länger unter Druck. Seit drei Jahren versuchte er mit allen Mitteln, das zurückzubekommen, was seiner Familie gehörte. Seine Rechtsanwälte hatten behauptet, man könne nichts machen, ein Geschenk sei ein Geschenk, man könne es nicht zurückverlangen, Rachels Mutter sei berechtigt, es zu behalten. Sein Vater hatte seiner Geliebten viele wertvolle Geschenke gemacht, er hatte ihr auch teuren Schmuck geschenkt.

„Du liebe Zeit, wollen Sie wirklich dieses billige Zeug, das er seiner Hure geschenkt hat, mit dem Schmuckstück vergleichen, das sie ihm gestohlen hat?“, hatte er die Rechtsanwälte ärgerlich angefahren.

„Vor Gericht würde sich kaum beweisen lassen, dass sie es wirklich gestohlen hat“, hatte einer der Rechtsanwälte zu bedenken gegeben.

„Natürlich hat sie es gestohlen. Mein Vater war kein Dummkopf“, herrschte Vito ihn an. „Er hat ihr ja auch nicht die Villa überschreiben lassen. Weshalb hätte er ihr etwas schenken sollen, das noch viel mehr wert ist?“

„Vielleicht als … Anerkennung für geleistete Dienste … und anstelle der Villa?“, wandte der Mann vorsichtig ein.

Vito schwieg sekundenlang, während sich seine Miene verfinsterte. „Das glauben Sie also, stimmt’s?“, hatte er dann so gefährlich ruhig gefragt, dass der Mann zusammengezuckt war. „Verraten Sie mir doch eins: Weshalb schenkt ein Mann seiner Geliebten das Schmuckstück, das er seiner Frau zur Hochzeit geschenkt hat? Welcher Mann aus meiner Familie würde seiner Geliebten die Farneste-Smaragde schenken?“

Die Farneste-Smaragde, dachte Rachel und glaubte, sie vor sich zu sehen. Vor neun Monaten hatte ihre Mutter darauf bestanden, dass Rachel sie zur Bank begleitete. Dort hatte man sie in einen kleinen Raum geführt und ihrer Mutter ein versiegeltes Päckchen gebracht, ehe man sie allein gelassen hatte. Ihre Mutter hatte das Päckchen geöffnet, und ein kleiner Schmuckkasten war zum Vorschein gekommen.

Als ihre Mutter ihn geöffnet hatte und Rachel den Inhalt betrachtete, hielt sie den Atem an. Die Smaragde funkelten im Licht wie grünes Feuer. Mit zufriedener Miene ließ ihre Mutter sie durch die Hände gleiten und seufzte tief.

„Die sind unglaublich schön“, flüsterte Rachel.

„Ja“, stimmte ihre Mutter lächelnd zu. „Und sie gehören mir.“ In ihrer Stimme schwang Triumph.

Rachel hatte ein ungutes Gefühl bei der Sache.

„Es sind die Farneste-Smaragde. Sie gehören mir“, hatte ihre Mutter hinzugefügt. Ein seltsam gequälter Ausdruck war auf ihrem Gesicht erschienen, als sie Rachel angesehen hatte. „Eines Tages werden sie dir gehören. Du wirst sie erben.“

Äußerlich ruhig und beherrscht saß Vito an seinem Schreibtisch, der so riesig und exklusiv war, wie es sich für den Vorstandsvorsitzenden und Präsidenten des Farneste-Konzerns gehörte. Der Konzern war erst seit drei Generationen im Besitz der Familie, die selbst viel älter war. Während der Renaissance waren die Farnestes Magnaten und reiche Kaufleute gewesen. Obwohl es in den folgenden Jahrhunderten zuweilen finanzielle Probleme gegeben hatte, florierte der Konzern jetzt dank Enricos scharfem Verstand und der starken Hand, mit der er das Unternehmen leitete, wie nie zuvor. Vitos Aufgabe war es, den Konzern den allgemeinen Globalisierungsbestrebungen des einundzwanzigsten Jahrhunderts anzupassen.

Natürlich hatte Vito die Vergangenheit nicht vergessen. Ihm war bewusst, dass die Farneste-Smaragde sich seit dem achtzehnten Jahrhundert im Besitz der Familie befanden. Und er erinnerte sich allzu gut an die Ereignisse, die jahrelang sein Leben überschattet hatten. Das hatte er Arlene Graham zu verdanken. Sie hatte die Ehe seiner Eltern zerstört.

Jetzt war ihre Tochter hier und wollte ihm etwas anbieten, was sowieso seiner Familie gehörte.

„Was für Bedingungen?“, fragte er mit regloser Miene. „Ich soll wohl darauf verzichten, deine Mutter anzuzeigen, wenn du mir das Eigentum meiner Familie freiwillig zurückgibst“, stellte er ruhig und sachlich fest.

Rachel war so angespannt, dass ihr Rücken anfing zu schmerzen. „Wenn es einen Grund geben würde, meine Mutter anzuzeigen, hättest du es längst getan“, entgegnete sie genauso ruhig und sachlich. „Ich rede von ganz anderen Bedingungen.“ Sie beobachtete ihn genau, aber er zeigte keinerlei Reaktionen. Dass er sich darüber ärgerte, ihre Mutter nicht zwingen zu können, ihm sein vermeintliches Eigentum auszuhändigen, war ihr völlig klar. Wenn es möglich gewesen wäre, hätte er mit allen verfügbaren Mitteln dafür gesorgt, wieder in den Besitz der Farneste-Smaragde zu kommen.

Was Vito Farneste haben wollte, das bekam er normalerweise. Das hatte er Rachel damals bewiesen. Sie blickte ihn an, den Mann, der sie beinahe vernichtet hätte.

Damals war sie jung, naiv, unerfahren und leichtgläubig gewesen. Das war sie jetzt nicht mehr.

Vito Farneste bedeutete ihr nichts mehr. Und sie bedeutete ihm auch nichts, sie war ihm immer gleichgültig gewesen.

Nur ein einziger Mensch war wichtig für Rachel, auch wenn sie erst sehr spät zu dieser Einsicht gekommen war. Wegen dieses Menschen stand sie jetzt hier vor Vito Farneste und bot ihm das Einzige an, worauf er Wert legte.

Autor

Julia James
Julia James lebt in England. Als Teenager las sie die Bücher von Mills & Boon und kam zum ersten Mal in Berührung mit Georgette Heyer und Daphne du Maurier. Seitdem ist sie ihnen verfallen.

Sie liebt die englische Countryside mit ihren Cottages und altehrwürdigen Schlössern aus den unterschiedlichsten historischen...
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