Eine Familie für Dr. Evans?

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Seine maskuline Ausstrahlung ist so unwiderstehlich wie damals - Emilys Herz macht einen Satz! Fünf Jahre Trennung liegen hinter ihr und Dr. Oliver Evans, weil er ihren Traum von einer Familie nicht teilte. Wie soll es nur werden, mit Oliver auf der Entbindungsstation zu arbeiten?


  • Erscheinungstag 26.02.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733729875
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Zu spät. Zu spät. Zu spät. Schon das dritte Mal in dieser Woche. Ihre Vorgesetzte würde einen Anfall kriegen …

Oder auch nicht, dachte Emily, als sie ihren Mitarbeiterausweis an der Einfahrt zum Parkhaus durch den Automaten zog. Isla hörte gar nicht mehr auf zu lächeln, seit sie die Liebe ihres Lebens gefunden hatte. Die leitende Hebamme und ihr Verlobter schwebten auf einer rosaroten Wolke durch das Melbourner Victoria Hospital, was Emily gelegentlich einen Stich versetzte.

Liebe, Ehe. „Wer braucht das schon?“, murmelte sie vor sich hin, während sie ihre Familienkutsche durch die geöffnete Schranke lenkte und zu ihrem Parkplatz fuhr. Sie hätte gern einen tiefer gelegenen beantragt, weil sie oft spät dran war und jede Minute zählte, aber ihr Kombi war zu breit für die Parkbuchten. Also hatte sie sich mit einem der Gynäkologen arrangiert, der mit dem Motorrad zur Arbeit kam. Er parkte seine Harley so, dass Emily die Hälfte seines Platzes mitbenutzen konnte.

Leider lag die Parkbucht im fünften Stock.

Zu allem Überfluss kroch der Wagen vor ihr im Schneckentempo die Auffahrt hoch. Komm schon, gib Gas! Emily hätte bereits vor einer Viertelstunde auf der Station sein sollen. Doch Gretta war schlecht geworden. Wieder einmal.

Sie musste mit ihrer Kleinen zum Kardiologen. Ihr klangen noch seine Worte bei ihrem letzten Besuch in den Ohren: Emily, uns läuft die Zeit davon.

Hatte das Kind sich nur den Magen verdorben, oder hatte die Übelkeit etwas mit ihrem Herzen zu tun? Gretta wollte ihre Mummy vorhin nicht loslassen, schlang ihr weinend die Ärmchen um den Hals, und Emily dankte dem Himmel für ihre Mutter. Sie wüsste nicht, was sie ohne sie machen würde.

Adrianna blieb ruhig, nahm ihr die Kleine ab und schickte sie auf den Weg. „Fahr zur Arbeit, Mädchen, ich kümmere mich um Gretta. Falls es ihr bis heute Mittag nicht besser geht, rufe ich dich an. Und jetzt ab mit dir!“

Am Wochenende war sie mit den Kindern zu deren Lieblingsspielplatz im Botanischen Garten gefahren. Dort gab es ein Bächlein, das Gretta liebte. Kaum war sie ins Krabbelalter gekommen, war sie darauf zu gekrabbelt, und später hingelaufen, sobald sie sicher auf ihren Beinchen stand. Vor sechs Monaten noch hatte sie juchzend vor Freude die Zehen in das kühle Wasser gehalten.

Aber jetzt war sie nicht einmal in der Lage gewesen zu krabbeln. Emily hatte mit ihr am Bach gesessen und versucht, sie zum Lachen zu bringen. Doch Gretta weinte nur, so als wüsste sie, dass sie mehr und mehr an Kraft verlor.

Nicht! ermahnte Emily sich. Denk nicht daran. Es wird alles gut werden, es wird weitergehen.

Vor ihr ging allerdings so gut wie nichts mehr. Der Wagen wurde noch langsamer. Am liebsten hätte sie gebrüllt und wild gestikuliert, um den Fahrer anzutreiben. Da bog er auf das vierte Deck ab. Endlich freie Bahn! Emily seufzte erleichtert, jagte die letzte Rampe hinauf, drehte das Steuer nach links, wie schon Hunderte Male zuvor, und lenkte ihr Ungetüm schwungvoll in die Parkbucht.

Erschrocken trat sie auf die Bremse. Viel zu spät! Es schien das Motto des Morgens zu sein …

Wo Harrys Motorrad stehen sollte, war ein Auto. Ein schicker Oldtimer, der an alte Belmondo-Filme erinnerte, in sattem Burgunderrot, gepflegt und auf Hochglanz poliert. Ein Liebhaberstück.

Breiter als eine Harley.

Und statt wie sonst bequem und geräuschlos einzuparken, hörte Emily ein hässliches Knirschen von Metall auf Metall.

Ihr Kombi hatte einen Frontschutzbügel, nützlich, um Kühe abzudrängen oder sich kleinere Wagen vom Leib zu halten. Was bedeutete, dass ihre Familienkutsche einiges aushielt.

Das Ding, das sie gerammt hatte, hielt nicht so viel aus.

Eine Seite des Sportwagens war komplett aufgerissen.

Dr. Oliver Evans, Gynäkologe, Geburtshelfer und Spezialist für in-utero-Operationen, nahm Aktenkoffer und Jackett vom Beifahrersitz. Heute traf er sich mit dem Direktorium des Victoria Hospitals und wollte noch kurz seine Notizen überfliegen.

Konzentriert darauf, sich die Namen einzuprägen, hörte er vage, wie ein Wagen mit aufröhrendem Motor die Auffahrt hinter ihm heraufpreschte.

Im nächsten Moment krachte jemand in die Beifahrerseite und zerfetzte sie praktisch auf gesamter Länge.

Emily verdankte es allein ihrer hart erprobten Selbstbeherrschung, dass sie nicht anfing zu schreien. Sie brach auch nicht in Tränen aus. Sie fluchte nicht einmal.

Sie starrte einfach geradeaus. Zähl bis zehn, sagte sie sich. Als das nicht viel half, erweiterte sie auf zwanzig.

Erst dann sickerte langsam in ihr Bewusstsein, was passiert war. Ihr Parkplatz war nur deshalb so geräumig, weil Harry ihr von seinem etwas abgab. Aber Harry war nicht mehr da. Am Freitag, auf seiner Abschiedsfeier, hatte sie ihm persönlich alles Gute gewünscht. In Eile wie immer, weil zu Hause die Kinder auf sie warteten.

Der Oldtimer musste dem Arzt gehören, der als Harrys Nachfolger ans Victoria gekommen war.

Und sie hieß ihn herzlich willkommen, indem sie ihm den Wagen zertrümmerte!

„Ich habe eine Versicherung. Ich habe eine Versicherung. Ich habe eine Versicherung.“ Wie ein Mantra drehten sich die Worte in ihrem Kopf. Nicht dass sie Emily beruhigt hätten.

Kraftlos und einer Ohnmacht nahe, ließ sie die Stirn aufs Lenkrad sinken.

Sein Auto war im Eimer.

Oliver stieg aus und blickte ungläubig auf seinen geliebten Morgan. Er hatte ihn absichtlich genau in die Mitte der Parkbucht gestellt, um zu vermeiden, was in Parkhäusern immer wieder passierte: Die Leute stießen ihre Türen auf, als hätten sie keine Augen im Kopf, und schon war der Lack angekratzt.

Aber das Monstrum von Wagen neben ihm besaß einen Bullenfänger und hatte nicht nur den Lack beschädigt.

Der schicke Sportwagen aus den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts bedeutete ihm viel. Er besaß ihn seit fünf Jahren, ein Trostpflaster, damit er sich besser fühlte, nachdem seine Ehe den Bach hinuntergegangen war. Die Anschaffung kostete ihn ein kleines Vermögen, und als Oliver ins Ausland ging, hatte er ihn für viel Geld in einer überwachten Garage unterstellen lassen.

Nur die Aussicht darauf, seinen Morgan wieder fahren zu können, versüßte ihm die Vorbehalte, mit denen er nach Australien zurückgekehrt war. Und nun hatte irgendein Idiot mit seiner Riesenkarre …

„Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht?“ Den Fahrer konnte er noch nicht sehen, also ließ Oliver seinen Zorn an dem Vehikel aus, diesem zerkratzten, unansehnlichen, brutalen Ding … Er war kurz davor, ihm einen kräftigen Tritt zu versetzen!

Halt, Moment mal … warum rührte sich der Fahrer nicht?

Der Arzt in ihm gewann die Oberhand, sein Ärger wich Besorgnis. Vielleicht hatte der Fahrer einen Herzinfarkt erlitten, war ohnmächtig geworden? Oliver holte tief Luft, tauschte augenblicklich die Rollen. Wütender Sportwagenfahrer wurde zum Mediziner.

Da die Fahrertür mit seinem Morgan verkeilt war, lief Oliver zur anderen Seite. Im selben Moment erstarb das Motorengeräusch. Okay, wer immer am Steuer saß, schien noch am Leben zu sein. Sein Ärger brach sich erneut Bahn.

Oliver riss die Tür auf. „Ich hoffe für Sie, dass Sie einen Herzinfarkt haben!“, bellte er ins Wageninnere. „Weil Sie nämlich eine verdammt gute Entschuldigung dafür brauchen, dass Sie mit Ihrem Haufen Schrott in meinen Wagen gekracht sind! Wollen Sie nicht aussteigen und mir das erklären?“

Nein!

Ihre Lage war mehr als miserabel, aber es drohte noch schlimmer zu werden.

Sie kannte die Männerstimme. Eine Stimme aus der Vergangenheit.

Das kann nicht sein.

Ihr Gehör spielte ihr einen Streich, ganz bestimmt. Trotzdem wagte sie es nicht, die Augen zu öffnen. Wenn er es wirklich war …

Unmöglich. Sie war übermüdet, halb verrückt vor Sorge um Gretta, kam zu spät zum Dienst und hatte gerade einen Unfall gebaut. Kein Wunder, dass sie halluzinierte.

Mach die Augen auf und sieh den Tatsachen ins Gesicht, redete sie sich im Stillen gut zu und wiederholte die Worte noch zwei Mal. Ohne Erfolg.

Die Stille dehnte sich. Vielleicht verschwand dieser Albtraum von selbst, wenn sie sich einfach nicht bewegte …

„Hey, sind Sie okay?“

Die raue Stimme hatte sich nicht verändert, und Emily dämmerte, dass ihr Gehör einwandfrei funktionierte. Einen Moment noch. Einen klitzekleinen Moment noch, dann würde sie die Augen öffnen.

Jemand stieg in den Wagen, glitt auf den Beifahrersitz. Groß, breit, männlich.

Er.

Seine Hand berührte ihre auf dem Steuer. „Miss? Sind Sie verletzt? Kann ich helfen?“ Und jetzt, da er nicht mehr wütend, sondern teilnahmsvoll klang, da wusste sie mit untrüglicher Sicherheit, wer neben ihr saß.

Oliver. Der Mann, den sie aus vollem Herzen geliebt hatte. Der Mann, der sie vor fünf Jahren verlassen hatte, um ihr die Chance auf ein neues Leben zu geben.

Gefühle wirbelten in ihr auf wie welke Herbstblätter im Sturm … Zorn, Verwunderung, Kummer … Fünf lange Jahre hatte sie Zeit gehabt, sich ein neues Leben zu schaffen, und dennoch war dieser Mann, so verrückt es sich anhörte, die ganze Zeit ein Teil von ihr geblieben.

Emily holte ganz tief Luft, wappnete sich, und dann blickte sie auf, ins Gesicht ihres Mannes.

Emily?

Eine Sekunde lang glaubte er, sich zu täuschen. Die Frau vor ihm sah anders aus, älter, ein bisschen … mitgenommen, abgekämpft. Ausgeblichene Jeans, Flecken auf der Windjacke, ungekämmte Locken.

Aber es war Emily. Seine Frau? Sie ist es immer noch, dachte er. Meine Em.

Nein, sie war nicht mehr seine Em. Er hatte sie vor fünf Jahren verlassen, damit sie das Leben führte, das sie sich wünschte. Ohne ihn.

Sie hatte seinen Wagen beschädigt. Seinen geliebten Wagen.

Die Gedanken entglitten ihm. Oliver fühlte sich wie betäubt.

Sie hatte einen Moment Zeit gehabt, sich seelisch auf das Wiedersehen vorzubereiten. Er nicht.

„Em?“ Ungläubig sah er sie an.

Was sagte man zu dem Ehemann, den man fünf Jahre lang weder gesehen noch gesprochen hatte?

„H…hi“, brachte sie heraus.

„Du hast meinen Wagen gerammt.“

„Da sollte ein Motorrad stehen.“

Was für ein intelligenter Dialog. Gut, dass uns niemand zuhört, dachte Emily.

„Du hast Milchflecken auf deiner Schulter.“

Klar, das fällt ihm als Erstes auf. Die Hebammentracht war in ihrer Tasche. Emily zog sie grundsätzlich nie zu Hause an. Die Chancen, in sauberem Zustand das Haus zu verlassen, standen gleich null. Also trug sie immer noch Jeans und die Windjacke, die sie beim Frühstück angehabt hatte.

Gretta hatte Milch getrunken, bevor sie sich übergeben hatte. Und sich an Em gekuschelt, als diese sie auf den Arm nahm, bevor sie sich auf den Weg zur Arbeit machte.

„In deinem Wagen sind Kindersitze.“

Er klang immer noch, als könnte er es nicht fassen. Milchflecken, die Familienkutsche … natürlich sah er eine völlig andere Frau vor sich als die, der er vor fünf Jahren den Rücken gekehrt hatte.

Oliver hingegen hatte sich nicht verändert. Er war immer noch groß, schlank, wahnsinnig gut aussehend. Dunkelbraune Augen, an denen sich wie Sonnenstrahlen feine Fältchen bildeten, wenn er lächelte. Und Oliver hatte oft gelächelt. Ein breiter Mund, markante Gesichtszüge. Auch sein Haar war genauso dunkel und gewellt wie damals, kurz geschnitten, um die Locken zu bändigen. Kräftiges, dichtes Haar. Sie erinnerte sich, wie wunderbar es sich anfühlte, wenn sie mit den Fingern hindurchstrich …

Vergiss es, ermahnte sie sich. Auch wenn er formal immer noch ihr Mann war, weil sie sich nie hatten scheiden lassen.

„Du stehst auf Harrys Parkplatz.“ Vorwurfsvoll deutete sie auf seinen Wagen. Ein wunderschönes Auto – bis auf die Beifahrerseite –, Vintage, super gepflegt, ein offener Sportwagen. Die Sorte Auto, bei der man nicht mal eben in der Mittagspause ein Ersatzteil kaufte.

Oliver hatte schon immer eine Schwäche für alte Autos gehabt. Emily erinnerte sich an den Tag, an dem sie seinen letzten Sportwagen verkauft hatten.

Seinen letzten? Wer weiß, wie viele er seitdem gehabt hat? Wie auch immer, damals tauschten sie den schicken Flitzer, den sie beide geliebt hatten, gegen einen Kombi ein. Einen kleineren als den, den sie jetzt fuhr, aber ein solides, vernünftiges Familienauto. Direkt vom Autohändler fuhren sie zu einem Babyausstatter und ließen einen Kindersitz einbauen.

Emily war im sechsten Monat schwanger gewesen, und beide waren überglücklich nach Hause gefahren.

Oliver wollte eine Familie genauso sehr wie sie. Jedenfalls dachte sie das damals. Was dann passierte, zeigte ihr jedoch, dass sie ihn überhaupt nicht kannte.

„Man hat mir diesen Parkplatz zugewiesen“, sagte er und riss sie aus ihren traurigen Gedanken. „Parkdeck fünf, Platz elf. Der gehört mir.“

„Als Besucher?“

„Ich arbeite hier – seit heute.“

„Das geht nicht.“

Er antwortete nicht. Oliver stieg aus, schob die Hände in die Hosentaschen, blickte auf seinen lädierten Wagen und dann wieder Emily an. „Warum nicht, Em?“ Das Auto war plötzlich zweitrangig.

„Weil ich hier arbeite.“

„Das Victoria bietet die beste Behandlung für Neugeborene in ganz Melbourne. Du weißt, dass das mein Fach ist.“

„Du bist in die USA gegangen.“ Sie hatte ihn am anderen Ende der Welt vermutet. Sie wollte ihn hier nicht haben.

„Ich habe mich dort auf Operationen im Mutterleib spezialisiert.“ Was für eine seltsame Unterhaltung! Er lehnte an einer der Betonsäulen, Emily klammerte sich immer noch wie eine Ertrinkende an ihr Steuer. „Man hat mir hier einen Job angeboten, und ich habe angenommen. Und nein, ich wusste nicht, dass du hier arbeitest. Ich dachte, du wärst immer noch in der Hemmingway-Privatklinik. Natürlich habe ich damit gerechnet, dass wir uns irgendwann über den Weg laufen, aber Melbourne ist groß. Wenn du glaubst, dass ich dich stalke, täuschst du dich.“

„So meinte ich es nicht.“

„Nein?“

„Nein“, sagte sie. „Und es tut mir leid, dass ich deinen Wagen demoliert habe.“

Spät kamen sie, die Worte, die man normalerweise in einer Situation wie dieser sagte. Auch Emilys Herzschlag normalisierte sich allmählich. Vorhin, als sie auf den Sportwagen prallte, schien ihr Puls explodieren zu wollen. Unbewusst schützte sie sich mit den Atemtechniken, die sie anwandte, wenn sie mit Gretta im Arm auf und ab ging, voller Angst um das Kind und Furcht vor der Zukunft. Inzwischen kamen ihr diese Techniken automatisch zu Hilfe, sobald sie verzweifelt war. Oder völlig verwirrt.

So wie jetzt. Stalken? Dachte Oliver, sie fürchtete sich vor ihm? Niemals, früher nicht und heute auch nicht.

„Kann ich dir schnell meine Daten geben?“ Emily versuchte, so zu tun, als hätte sie einen alten Bekannten getroffen, dem sie nun ihre Versicherung nennen musste. „Oliver, es ist schön, dich wiederzusehen …“ Ist es das? Eigentlich nicht, aber sagte man in solchen Fällen nicht so etwas? „Ich bin echt spät dran“, fügte sie hastig hinzu.

„Weshalb du meinen Wagen gerammt hast.“

„Okay, es war meine Schuld“, entgegnete sie scharf. „Doch ob du es glaubst oder nicht, es war eine Verkettung unglücklicher Umstände.“ Sie kletterte aus dem Auto und kramte in ihrer ausgebeulten Umhängetasche. Dabei förderte sie zwei Windeln und eine Packung Feuchttücher zutage, bevor sie endlich ihr Portemonnaie fand. Vor lauter Nervosität ließ sie die Windeln fallen. Oliver hob sie wortlos auf und reichte sie ihr. Verlegen hielt sie ihm dafür ihren Führerschein hin.

Er nahm ihn, studierte ihn schweigend.

„Du nennst dich immer noch Emily Evans?“, fragte er schließlich.

„Du weißt, dass wir nicht geschieden sind. Aber das ist unwichtig, du sollst dir nur meine Adresse merken.“

„Lebst du bei deiner Mutter?“

„Wie du siehst.“ Sie schnappte sich die Plastikkarte. „Fertig?“

„Willst du meinen nicht sehen?“

„Wozu? Du kannst mich verklagen, ich dich nicht. Es war eindeutig mein Fehler. Die genauen Versicherungsdaten schicke ich dir über den hausinternen Verteiler, ich habe sie nicht bei mir.“

„Eine Menge anderer Sachen schon.“ Wieder blickte er ins Wageninnere, wo Spielzeug, Kissen und Kinderkleidung wild verstreut lagen.

„Da hast du recht“, erwiderte sie so freundlich wie möglich. „Oliver, es tut mir wirklich leid mit deinem Wagen, aber ich muss dringend los, ich komme zu spät zum Dienst.“

„Du kommst nie zu spät.“

Ja, früher war ich die Pünktlichkeit in Person. „Ich bin nicht mehr die Emily, die du kennst“, brachte sie heraus. „Ich habe mich verändert, doch jetzt kann und will ich nicht darüber reden.“ Schuldbewusst warf sie einen Blick auf seinen Wagen. „Soll ich einen Abschleppdienst organisieren?“

„Nein, darum kümmere mich selbst.“

„Entschuldige bitte …“ Emily holte tief Luft. „Oliver, ich muss weg.“ Sie wusste, dass Isla heute knapp an Personal war, und die Kolleginnen vom Nachtdienst sehnten sich danach, endlich nach Hause zu kommen. „Tut mir leid, dass ich dich mit dem Chaos allein lasse, aber ich muss los. Willkommen am Victoria Hospital. Wir sehen uns.“

2. KAPITEL

Olivers erste Patientin am Victoria war Ruby Dowell, siebzehn Jahre alt, in der zweiundzwanzigsten Woche schwanger und völlig verängstigt.

Sie war auch der Grund, warum er früher als geplant anfing. Man hatte ihm die Stelle von Harry Eckmann angeboten, einem Facharzt für Geburtshilfe, der sich für in-utero-Prozeduren interessierte. So hatte Oliver auch angefangen, doch für ihn war die Chirurgie im Mutterleib mittlerweile kein Nebenschauplatz mehr. Während seines fünfjährigen USA-Aufenthalts war er in der ganzen Welt herumgekommen, um die neuesten Techniken zu erlernen.

Charles Delamere, der Direktor des Victoria Hospitals, konnte sehr überzeugend sein. „Harry folgt seiner Freundin nach Europa“, sagte er, nachdem er kurzerhand zum Telefon gegriffen und Oliver angerufen hatte. „Wir brauchen dringend jemanden mit Ihren Fachkenntnissen. Der Bedarf ist groß. Gerade haben wir hier eine Kleine im sechsten Monat, und die Aufnahmen zeigen Spina bifida beim Fetus. Heinz Zigler, unser Kinderneurologe, meint, dass die Operation jetzt erfolgen muss. Er sagt, den spinalen Kram kann er übernehmen, aber er verfügt nicht über das nötige Wissen, um eine Fehlgeburt zu verhindern.“

Er räusperte sich. „Oliver, solche Fälle sehen wir immer öfter, und wir bieten Ihnen einen Vollzeitjob an. Wenn Sie besser heute als morgen anfangen, ersparen wir dem Würmchen das Risiko von Hirnschäden und ein Leben mit eingeschränkter Mobilität von der Taille abwärts. Kurzfristig möchte ich, dass Sie dem Kind ein Happy End erkämpfen. Langfristig sind wir bereit, Ihre Forschungsvorhaben zu unterstützen. Wir übernehmen die Kosten für jede Fortbildung, die Sie wollen, für zusätzliches Personal. Wir wollen den Besten, Oliver, und wir zahlen dafür – aber Sie müssen sofort kommen.“

Ein besseres Angebot konnte er sich nicht wünschen. Trotzdem war ihm nicht wohl dabei, nach Melbourne zurückzukehren. Er war gegangen, um Em ein anderes Leben zu ermöglichen.

Anscheinend war es die richtige Entscheidung gewesen. Als er sie heute Morgen vor sich sah, mit dem Kombi, mit Milchflecken auf der Schulter – der Inbegriff einer erschöpften jungen Mutter, die Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen versucht –, da hatte er gedacht …

Nein, nichts hatte er gedacht. Er war wie vor den Kopf geschlagen gewesen, und die Nachwirkungen spürte er noch. Aber jetzt hatte er keine Zeit, über seine Ehe nachzudenken. Er musste sich auf andere Dinge konzentrieren.

Nach einem kurzen Gespräch mit Charles betrat er nun das Untersuchungszimmer, in dem Ruby Dowell wartete.

„Das Zeitfenster für einen erfolgreichen Eingriff ist nicht besonders groß“, hatte Charles gesagt.

Ruby lag auf der Liege. In ihren Unterlagen stand, dass sie siebzehn Jahre alt war und am Teenage-Mummy-Treff des Victoria Hospitals teilnahm. Nachdem bei ihrem Baby eine Rückenmarksanomalie diagnostiziert worden war, bot man ihr einen Schwangerschaftsabbruch an, was sie sofort ablehnte. Allerdings war in ihrer Akte notiert, dass sie das Kind nach der Geburt zur Adoption freigeben wollte.

Der Teenager trug Shorts und ein weites T-Shirt, das aschblonde schulterlange Haar war strähnig, der Schnitt herausgewachsen. Abgesehen von dem runden Schwangerschaftsbauch war sie erbärmlich dünn, der Ausdruck in den geröteten Augen angstvoll.

Sie erinnerte Oliver an ein wildes Tier, das man in einen Käfig gesperrt hatte. Auch wenn der Vater des Kindes keine Rolle spielte, so hätte ihre Mutter doch bei ihr sein müssen oder wenigstens eine Freundin.

Er fand es unmöglich, dass sie mit allem allein gelassen schien. Charles hatte ihm erzählt, dass seine Tochter Isla, die leitende Hebamme am Victoria, den Teenage-Mummy-Treff ins Leben gerufen hatte. Warum war Isla nicht hier? Warum schickte sie keine Hebamme, die das Mädchen unter ihre Fittiche nahm?

„Hi“, begann er und trat ins Zimmer. Die Tür ließ er offen. „Ich bin Oliver Evans, der Babychirurg. Ich habe mich darauf spezialisiert, Babys zu behandeln, wenn sie noch im Mutterleib sind. Und du bist Ruby Dowell?“ Keine Antwort. Er zog einen Stuhl ans Bett und setzte sich. „Ruby, ich möchte nur mit dir reden. Noch passiert gar nichts.“

Furchterfüllt starrte sie ihn an. Ja, sie wich sogar zurück, soweit die Liege es erlaubte. „Ich … ich habe Angst vor Operationen“, stammelte sie. „Ich will nicht hier sein.“

Die Tür ging weiter auf, und eine Frau in Hebammenkleidung, Kittel über locker sitzender Hose, kam herein.

Es war Emily. Seine Frau.

Oder war sie seine Exfrau? Sie hatte ihn nie um die Scheidung gebeten, dabei hätte es jederzeit genügt, ein paar Papiere zu unterschreiben.

„Ich habe auch Angst vor Operationen“, erklärte sie nüchtern, so als wäre sie bei der Unterhaltung von Anfang an dabei gewesen. „Und da sind wir beide nicht die Einzigen. Aber Dr. Evans ist der beste Babychirurg der Welt. Ich kenne ihn schon ewig. Wäre es mein Baby, ich würde nur ihn wollen. Dr. Evans ist ein großartiger Arzt, Ruby. Freundlich, erfahren und sehr kompetent. Bei ihm hat dein Mädchen die allerbesten Chancen.“

„Aber ich hab Ihnen doch gesagt, dass ich sie gar nicht will.“ Ruby fing an zu schluchzen, wischte sich mit dem Handrücken die strömenden Tränen ab. „Meine Mum hat gesagt, ich soll es wegmachen lassen. Sie hätte mir das Geld gegeben. Ich weiß auch nicht, warum ich es nicht getan habe. Und jetzt wollen Sie ein Baby operieren, das ich nicht einmal haben will. Lasst mich doch alle in Ruhe!“

Schon unter günstigen Umständen waren in-utero-Operationen schwierig. Es bestanden hohe Risiken für Mutter und Kind. Eine Mutter auf den OP-Tisch zu bringen, die ihr Baby nicht einmal wollte …

Oliver suchte noch nach den richtigen Worten, da ging Emily zu Ruby hinüber, nahm sie einfach in die Arme und hielt sie.

Ruby versteifte sich. Doch Emily ließ sich nicht beirren, sondern strich ihr beruhigend übers Haar. „Ruby, wir wissen, wie schwer das hier für dich ist. Du fühlst dich allein, und du hast dich gegen den Rat deiner Familie entschieden. Das war sehr mutig von dir. Trotzdem reicht noch so viel Mut manchmal nicht für alles, was du durchstehen musst. Deshalb hilft Isla dir, deshalb bin ich hier. Und ich werde die ganze Zeit für dich da sein, Ruby. Ich bin deine Hebamme, ich unterstütze dich in deinen Entscheidungen. Auch in diesem Moment. Wenn du möchtest, dass Dr. Evans später wiederkommt, wird er das tun. Du brauchst es nur zu sagen.“

Über Rubys Kopf hinweg suchte sie seinen Blick, und die Botschaft war unmissverständlich. Gib mir Rückendeckung.

Em war also Rubys Hebamme. Wo zum Teufel hatte sie gesteckt, als er ins Zimmer kam? Erst einmal den Schrecken nach dem Crash verarbeitet? Und natürlich sich umgezogen. Trotzdem, sie hätte früher hier sein können.

„Wir hatten ein Drama mit einem Frühchen, bei dem ich helfen musste“, sagte sie da, als hätte er seine Frage laut ausgesprochen. Immer noch hielt sie Ruby im Arm. „Deshalb bin ich spät dran. Es tut mir leid, ich wollte hier sein, wenn du kommst. Doch jetzt bin ich da. Solltest du dich für die Operation entscheiden, stehst du für mich an erster Stelle, Ruby. Brauchst du ein Papiertaschentuch? Dr. Evans, reichen Sie mir bitte ein paar Tücher.“

„Sie haben bei einer Geburt geholfen?“ Vor Patienten siezte er sie, doch ihr ärgerlicher Blick galt sicher seiner Nachfrage. Er hatte sich angehört, als hielte er ihre Entschuldigung für eine Ausrede.

„Genau. Ich hatte mich gerade umgezogen, da ging der Alarm los. Zu allem Überfluss hatte ich heute Morgen einen Unfall. Ich habe meinen Kombi zerschrammt, Ruby, und rate mal, wessen Wagen ich gerammt habe? Keinen geringeren als den von Dr. Evans. Es ist sein erster Arbeitstag am Victoria, und ich beschädige zur Begrüßung sein Auto. Wundert mich, dass er mich noch nicht aus dem Zimmer geworfen hat!“

Rubys Schluckauf verstummte. Sie hob den Kopf, sah Emily an, dann Oliver. „Sie hat Ihren Wagen demoliert?“

„Ja.“ Normalerweise sprach er mit Patienten nicht über Persönliches. Er ahnte jedoch, was Em vorhatte, und er konnte ihr nur recht geben. Ruby brauchte Ablenkung – und Vertrauen zu ihnen. Wenn er dafür Privates preisgeben musste, herzlich gern.

„Ich besitze einen Sportwagen der Marke Morgan, Baujahr 1964“, erklärte er bekümmert und seufzte, als sei das Ende der Welt nahe. „Er ist in Burgunderrot lackiert und hat schwarze Ledersitze. Ein wundervoller Zweisitzer, versehen mit Sportwagen-Elementen, einschließlich Weber-Doppelvergasern, einem Derrington-Lenkrad und Lufthutze. Dazu Chrom-Speichenfelgen, ein Kühlergrillbügel mit Lucas-Zwillingsscheinwerfern und eine Tonneau-Abdeckung. Oh, und er wurde mit einem Retro-Overdrive-Getriebe nachgerüstet. Jetzt ist er außerdem mit einer kaputten Beifahrerseite ausgestattet – dank deiner Hebamme.“

„Ui!“, stieß Em hervor, wirkte aber nicht im Mindesten beeindruckt. „Weber-Doppelvergaser, Lufthutze und ein Derrington-Steuer, hm? Habe ich das alles auf dem Gewissen?“

„Wenn Sie wüssten, wie lange ich nach diesen Nebelleuchten gesucht habe …“

„Ups, tut mir sehr leid. Aber Sie haben meinen Wagen auch angekratzt.“ Sie sprach mehr zu Ruby als zu ihm und klang ziemlich fröhlich. Zwitscherte wie ein Vögelchen!

„Angekratzt“, murmelte er und sah, wie sie grinste.

„Ist schon okay, ich verzeihe Ihnen“, sagte sie. „Es sind doch nur Autos. Sachen. Dafür gibt es Versicherungen“, fuhr sie fort und schlug den Bogen zu dem, weshalb sie hier waren. „Ruby, dein kleines Mädchen ist keine Sache, sondern ein Mensch, und es ist unendlich viel kostbarer als ein Wagen. Du hast dich dafür entschieden, es zu behalten, einmal ganz zu Anfang und jetzt wieder, nachdem du von seiner Rückenmarksanomalie erfahren hast. Du hast mir auch erzählt, dass du es zur Adoption freigeben möchtest, sobald es auf der Welt ist …“

„Ich kann sie nicht behalten! Das schaffe ich nicht!“

„Das musst du auch nicht“, antwortete Em beschwichtigend. „Es gibt genug Eltern, die sonst etwas dafür gäben, ein Kind wie dein Baby lieben und verwöhnen zu dürfen. Das stimmt doch, Dr. Evans?“

Autor

Marion Lennox
Marion wuchs in einer ländlichen Gemeinde in einer Gegend Australiens auf, wo es das ganze Jahr über keine Dürre gibt. Da es auf der abgelegenen Farm kaum Abwechslung gab, war es kein Wunder, dass sie sich die Zeit mit lesen und schreiben vertrieb. Statt ihren Wunschberuf Liebesromanautorin zu ergreifen, entschied...
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