Eine Familienpackung Glück

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Nanny Lily hat vier Wünsche für Weihnachten: 1. Dr. Dunlevys verwaisten Patenkindern ein Lächeln entlocken, 2. sie am Brauen von "Zaubertränken" hindern, 3. gemeinsam Plätzchen backen - wie eine echte Familie. 4. Den Mistelzweig so hängen, dass Dr. Dunlevy ihn auch wirklich sieht …


  • Erscheinungstag 18.03.2019
  • Bandnummer 7
  • ISBN / Artikelnummer 9783733745905
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Cullen Dunlevy hatte noch nie in seinem Leben jemanden um irgendwas angefleht. Aber jetzt war er verzweifelt. „Ich zahle Ihnen das Dreifache, wenn Sie noch zwei Stunden hierbleiben, Angie.“

„Dr. Dunlevy, kein Geld der Welt könnte mich dazu bringen.“ Ungerührt ging die Haushälterin an ihm vorbei und verschwand nach unten. „Rufen Sie mich an, wenn Sie ein Zu Hause für sie gefunden haben.“

Ein Zu Hause? Das sind Kinder, keine herrenlosen Haustiere!

Cullen musterte die zehnjährige Megan Thomas. Das Mädchen war schon blass. Jetzt verlor ihr Gesicht alle Farbe. Dann fiel sein Blick auf das Gästebad. Immer mehr blauer Schaum quoll aus der Toilette. Dieser Streich war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Deswegen hatte Angie Cullen im Krankenhaus angerufen und ihm mitgeteilt, dass er genau eine Stunde Zeit hatte, um nach Hause zu kommen, weil sie dann nämlich gehen würde.

Konnte Angie denn gar kein Verständnis aufbringen? Klar, die vier Kinder waren außer Rand und Band. Aber mit ein klein wenig Einfühlungsvermögen merkte doch jeder, dass Trauer der Grund für ihre Ungezogenheit war.

Die Kinder hatten ihre Eltern bei einem Autounfall verloren. Ihr Vater, Greg Thomas, war ein alter Freund von Cullen gewesen. Der Verlust setzte Cullen immer noch zu. Was die Kinder gerade durchmachten, konnte er sich gar nicht vorstellen. Sie hatten kein Zu Hause mehr und keine Familie.

Schuldgefühle überkamen Cullen. In seinem großen Haus hatte er genug Platz für die Kinder. Aber reichte das? Hatten die Kinder es nicht verdient, einen Vater und eine Mutter zu haben? Er war mit seinem Job als Klinikchef vom Celebration Memorial Hospital verheiratet. Von Kindererziehung hatte er keine Ahnung.

Mit Mühe hielt er einen deftigen Fluch zurück. Er war vielleicht nicht geeignet dafür, die Vaterstelle für die Kinder seiner Freunde einzunehmen. Aber wenigstens konnte er das Andenken von Greg und seiner Frau Rosa in Ehren halten. Die Kinder konnten bei ihm bleiben, bis er die richtige Familie gefunden hatte, die alle vier Kinder adoptieren würde.

In der Zwischenzeit musste er Angie davon überzeugen, noch nicht nach Hause zu gehen.

Die Kinder waren zwischen fünf und zehn Jahre alt. Mit anderen Worten, Angie musste keine Fläschchen machen und keine Windeln wechseln. Sie müsste nur noch ungefähr eine Stunde ausharren. Nur bis er das Bewerbungsgespräch mit dem Kindermädchen geführt hatte. Wenigstens hatte Lily Palmer zugestimmt, ihren Termin auf ein Uhr nachmittags vorzuverlegen.

„Tut mir leid, Onkel Cullen“, sagte Megan. Tränen standen ihr in den Augen. „Ich habe George gesagt, dass er den Zaubertrank nicht ins Klo schütten soll.“

Der neunjährige George war nach Megan der Zweitälteste. Im Augenblick glänzte er durch Abwesenheit. Das war verdächtig.

„Der Zaubertrank?“, fragte Cullen.

„Ja“, sagte das kleine Mädchen. „Wir haben so getan, als ob das Badezimmer unser Labor ist.“

Er versuchte, sich daran zu erinnern, wo Angie die Putzmittel aufbewahrte, die beim Mischen giftige Dämpfe erzeugten – wie Bleichmittel und Ammoniak.

„Ja, das hört sich lustig an“, sagte er. „Das kann aber auch ziemlich gefährlich sein. Also müsst ihr vorsichtig sein. Was habt ihr denn zusammengebraut, das zu dieser Explosion geführt hat?“

Das Mädchen fing an, die Zutaten aufzulisten. Da rief Angie von unten: „Auf Wiedersehen, Dr. Dunlevy. Ich gehe jetzt.“

„Angie, bitte warten Sie.“

Er sah das kleine Mädchen an. „Ich muss mich jetzt bei Angie entschuldigen. Über den Zaubertrank reden wir später. In der Zwischenzeit macht ihr bitte keine weiteren Experimente. Sorgst du bitte dafür, dass dein Bruder und deine Schwestern sich auch daran halten? Ich verlasse mich auf dich, okay?“

Megan nickte und wischte sich die Tränen ab. Er zerzauste ihr das Haar, um zu zeigen, dass er nicht wütend auf sie war.

Er war einfach überfordert. Aber als sich Megan vor drei Tagen bei ihm gemeldet hatte, war ihm keine andere Wahl geblieben. Er musste die Kinder zu sich nehmen.

Vor sechs Monaten, nach der Beerdigung von Greg und Rosa, hatte es so ausgesehen, als ob die Kinder gut untergebracht waren. Sie sollten zu einem wunderbaren Ehepaar ziehen. Dan und Carla waren Freunde von Greg und Rosa. Sie wollten die Kinder bei sich aufnehmen – alle vier. Aber dann war Carla krank geworden. Unheilbar krank.

Und Cullen hatte Megan beim Begräbnis ihrer Eltern ein Versprechen gegeben. Er hatte gesagt, dass sie ihn anrufen sollte, wenn sie etwas brauchte – egal was.

Damals war er davon ausgegangen, dass mit „egal was“ Geld, eine Mitfahrgelegenheit oder ein guter Rat gemeint war. Nie im Leben wäre er darauf gekommen, dass das kleine Mädchen ihn bitten würde, ihre Geschwister und sie bei sich aufzunehmen.

Aber sie hatte angerufen, und er hatte vor, sein Wort zu halten. So lange, bis die Kinder neue Adoptiveltern gefunden hatten, bei denen sie bleiben konnten – und zwar zu viert.

Cullen raffte sich auf und ging in die Küche, um Angie zum Bleiben zu überreden. Wenigstens bis er mit Lily reden konnte.

„Angie, würden Sie mir bitte nur heute noch mal aushelfen? Ich bin verzweifelt. Ich brauche Sie. Nur bis nach dem Bewerbungsgespräch. Und um dem Kindermädchen alles zu zeigen. Dann können Sie gehen.“

Als Cullen Angie gebeten hatte, auf die Kinder aufzupassen, hatte sie sehr deutlich gemacht, wie voll ihr Terminkalender war. Sie putzte die Häuser und Wohnungen von vielen Ärzten und Fachkräften vom Celebration Memorial. Auf das Babysitten hatte sie sich nur eingelassen, weil Cullen ihr allererster Kunde gewesen war.

„Bitte, Angie. Bleiben Sie.“

Die ältere Frau wirkte gestresst. Jetzt seufzte sie und warf ihm einen gequälten Blick zu. Jemand musste auf die Kinder aufpassen. Denn wenn sie sich „selbst beschäftigten“, endete das mit blauem Schaum im Klo. Das hatte Cullen in den letzten drei Tagen herausgefunden.

„Es ist ein Wunder, dass sie das Haus noch nicht angezündet haben“, sagte sie.

„Nur bis ich das Gespräch mit Lily Palmer geführt habe. Höchstens eine Stunde. Dann können Sie gehen. Das verspreche ich.“

Er wollte gar nicht daran denken, was er tun würde, wenn das mit Lily nicht klappen würde oder sie nicht sofort anfangen konnte.

Bevor Angie antworten konnte, klingelte Cullens Mobiltelefon. Er erkannte die Nummer nicht. Also musste er rangehen.

„Bitte, Angie.“ Erleichterung überkam ihn, als sie einen resignierten Seufzer ausstieß und ihre Handtasche auf den Küchenblock legte.

„Ich muss ans Telefon. Spielen Sie einfach was mit den Kindern. Bitte. Und vielen Dank!“ Dann meldete er sich: „Cullen Dunlevy.“

„Hey, Doc. Hier ist Max Cabot. Haben Sie kurz Zeit?“

Max war der Bauunternehmer, der den neuen Flügel für die Kinderklinik ans Krankenhaus anbauen sollte.

Irgendwo im Haus wurde eine Tür zugeknallt. Cullen hörte, wie die Kinder kreischten und lachten. Franklin, der Hund, der mit den Kindern bei Cullen eingezogen war, bellte.

„Warte mal, Max.“ Cullen legte die Hand über den Hörer. „Hey, Leute, könnt ihr euch bitte mal ein bisschen zurückhalten? Ich bin am Telefon.“

Bei dem Lärm verklangen seine Worte ungehört. Wenn die Kinder durchs Haus rannten, hörte sich das an wie eine Herde wilder Büffel. Er schüttelte den Kopf.

„Max, ich muss dich zurückrufen. Es ist gerade ungünstig. Außerdem erwarte ich jeden Augenblick Besuch.“

„Kein Problem“, sagte Max. „Wenn du zu Hause bist, bringe ich dir nur schnell ein paar Unterlagen vorbei.“

Bevor Cullen antworten konnte, übertönte Angies schrille Stimme das Kindergeschrei und das Hundegebell. „Runter! Du widerlicher Köter.“ Sie stieß einen angeekelten, wütenden Laut aus. „Was ist das für ein Dreck? Haltet den Hund bloß fern von mir, sonst setze ich ihn eigenhändig vor die Tür!“

Was in aller Welt war jetzt los?

Der Hund bellte nicht mehr, sondern knurrte. Ein Kind fing an zu weinen, während Angie mit ihrer Hasstirade fortfuhr.

Cullen musste dafür sorgen, dass Angie und die Kinder sich nicht noch mehr in die Haare gerieten. „Na schön, Max. Bis nachher.“

Cullen beendete den Anruf und eilte in die Küche.

„Was ist los?“, fragte Cullen. „Was soll dieser Lärm?“

Angie hatte ein nasses Stück Küchenkrepp in der Hand und wischte an einem braunen Fleck auf ihrer Kakihose herum. Der nasse Hund, ein struppiges, schwarzes Tier, knurrte Angie immer noch an, als ob er sich oder die Kinder verteidigen müsste. Hannah, die Jüngste der vier, schluchzte. „Du darfst ihn nicht rauswerfen. Sonst geht er weg, so wie Mommy.“

Die Nächstältere, Bridget, legte die Arme um ihre kleine Schwester und hielt sie fest. „Keine Sorge, Hannah. Ich lasse nicht zu, dass sie Franklin was tut.“

Angie sah Cullen wütend an. „Das gehört nicht zu meinem Job“, erklärte sie mit weit ausholender Handbewegung. „Dieser Hund hat mit seinen schmutzigen Pfoten meine neuen Hosen ruiniert und den frisch gewischten Boden wieder dreckig gemacht. Aber das dürfen Sie jetzt selbst sauber machen, Dr. Dunlevy. Denn ich kündige. Das war’s.“

Sie schnappte sich ihre Handtasche und eilte zur Haustür.

„Prima! Ich bin froh, dass die weg ist“, sagte George verächtlich.

Oh, um Himmels willen. „Angie, warten Sie bitte. Schicken Sie mir eine Rechnung für die Hose. Den Schaden ersetze ich.“

Sie warf ihm über die Schulter hinweg einen Blick zu. „Die hat fünfundneunzig Dollar gekostet. Das Geld können Sie mit dem letzten Scheck an meine Adresse schicken.“

Angie öffnete die Tür und rannte beinahe die kecke Blondine um, die lächelnd davorstand.

Lily Palmer? Das musste sie sein.

Ein Blick auf ihre strahlenden grünen Augen, ihr Lächeln und ihre Grübchen und Cullen musste das Bedürfnis unterdrücken, sie auf der Stelle einzustellen. Sie sah aus wie ein Engel.

Der Lärm sich streitender Kinder drang aus dem Haus. Er fragte sich, ob er das Bewerbungsgespräch zwischen Tür und Angel führen konnte. Dann würde er sie erst hereinlassen, wenn sie hoch und heilig geschworen hatte, den ganzen Dezember lang für ihn zu arbeiten. So lange, wie sie als Kindermädchen zur Verfügung stand.

Lieber Gott, bitte mach, dass die Kinder sie nicht auch noch verjagen.

„Hallo“, sagte sie. Ihr Lächeln und das Strahlen ihrer Augen verblassten trotz des Lärms nicht. Auch die wutschnaubende Angie schien ihr nichts anhaben zu können.

„Ich bin Lily Palmer. Ich suche Dr. Cullen Dunlevy. Ich bin wegen eines Bewerbungsgesprächs als Kindermädchen hier.“

„Das bin ich.“ Da fiel ihm auf, dass ihre Augen nicht einfach nur grün waren; sie hatten goldene Flecken. Und ihre vollen Lippen waren einfach nur … umwerfend. Einen Moment lang wollte er nichts mehr, als diese Lippen zu kosten. Er riss sich zusammen.

Das hier war schließlich kein Speeddating.

Er brauchte sie.

Um auf die Kinder aufzupassen.

Angie lachte. „Ich sage nur eins, Lily Palmer“, sagte sie. „Rette sich, wer kann.“

Lily musterte den erschreckend attraktiven Mann, der die Tür geöffnet hatte. Dann warf sie der sichtlich genervten älteren Frau einen Blick zu. Die schnaubte nur, drehte sich auf dem Absatz um und verschwand.

„Komme ich ungelegen?“, fragte Lily.

Durch die halb geöffnete Tür konnte sie Hundebellen und Kinderstimmen hören. Hinter ihr ließ die Frau den Motor eines Sportwagens aufheulen und übertönte kurz den Lärm im Haus.

Dr. Dunlevy lächelte schuldbewusst und zeigte dabei ein verschmitztes Grübchen. Ein geradezu jungenhafter Charme funkelte in seinen grünbraunen Augen. Waren sie jetzt eher braun oder grün? Lily widerstand dem Bedürfnis, ihn anzustarren.

„Ehrlich gesagt, zu einem besseren Zeitpunkt hätten Sie wohl kaum kommen können. Das alles tut mir wirklich leid.“ Er hob hilflos die Hände. „Nur damit Sie Bescheid wissen, Angie war meine Haushälterin. Betonung auf ‚war‘. Sie hat gerade gekündigt. Ich hoffe, das schreckt Sie jetzt nicht ab.“

„Nein“, sagte Lily. „Während der Schulzeit habe ich Zweitklässler unterrichtet. So leicht schreckt mich nichts ab.“

Wenn sie den Job nicht so dringend brauchen würde, dann hätte sie vielleicht zugegeben, dass Angies Abgang sie schon ein wenig beunruhigte. Aber die Privatschule, an der Lily unterrichtete, war im Dezember geschlossen. Einen Monat frei zu haben war ja ganz nett, wenn man sich das leisten konnte. Aber für Leute, die das Geld brauchten, waren diese unbezahlten Ferien ein echtes Problem.

„Gehen wir doch rein“, schlug er vor. „Ich muss nach den Kindern sehen. Dann können Sie sie gleich mal kennenlernen.“

Ihre Freundin Kate hatte Lily die ganze traurige Geschichte erzählt. Erst waren die Eltern der Kinder bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Dann hatte die Familie, die die Kinder adoptieren wollte, den Plan in letzter Minute aufgeben müssen. Dr. Dunlevy hielt ihr die Tür auf und winkte sie ins Haus. Er war viel jünger, als Lily sich den Klinikchef des Celebration Memorial Hospitals vorgestellt hatte.

Während sie ihren Schal aufknotete, nutzte sie die Gelegenheit, um sich umzusehen. Nettes Haus. Vom Eingangsbereich aus konnte Lily ins Wohnzimmer sehen. Es wirkte ein bisschen kühl und förmlich für ihren Geschmack, aber es war schön hergerichtet. Die hohen Decken, die weißen Wände mit den modernen Gemälden, der graue Marmorfußboden und die hellen Ledersofas sorgten dafür, dass der Raum sogar noch größer wirkte.

Aus dem Augenwinkel bemerkte Lily ein kleines Mädchen mit dunklen Locken, das nicht älter als vier oder fünf Jahre alt sein konnte. Die Kleine kauerte in der Ecke neben dem Sofa. Die Arme hatte sie um einen großen, schwarzen, nassen Hund gelegt. Das Tier saß geduldig hechelnd da und ließ die Umarmung des Kindes über sich ergehen.

Lily fasste nach Dr. Dunlevys Arm und deutete mit einem Nicken auf das Mädchen.

„Das ist Hannah“, sagte er und wandte seine Aufmerksamkeit dem Kind zu. „Was machst du da, Hannah? Alles in Ordnung?“

Das Mädchen antwortete nicht, schien sich aber noch fester an den Hund zu klammern.

„Hannah, kommst du bitte mal her?“ Er hörte sich an, als ob er sich die größte Mühe gab, ein Lächeln in seine Stimme zu legen. „Ich möchte, dass du jemanden kennenlernst.“

Das Mädchen schüttelte kurz den Kopf und versteckte dann das Gesicht im zotteligen Fell des Hundes. Dr. Dunlevy sah Lily an und zuckte genervt die Schultern. Er wirkte erschöpft. Lily ging auf das Mädchen zu.

„Hi, Hannah. Ich bin Lily. Als ich so alt war wie du, habe ich einen Hund gehabt, der deinem sehr ähnlich gesehen hat. Sein Name war Scout. Wie heißt dein Hund?“

Hannah blieb stumm. Lily setzte sich aufs Sofa neben den beiden. Sie streckte eine Hand aus und ließ den Hund daran riechen. Er leckte sie ab. Das wertete Lily als Einladung. Also kraulte sie ihn hinter den Ohren.

„Du bist ein guter Hund, nicht wahr?“, schmeichelte Lily. Er roch ein bisschen streng, aber er war auf jeden Fall gutmütig.

„Er heißt Franklin“, sagte das Mädchen leise. „Beschützt du Franklin vor Angie? Angie hat gesagt, sie wirft ihn raus. Sie will, dass er weggeht. So wie meine Mommy.“

Das brach Lily das Herz. Sie warf Cullen einen besorgten Blick zu. Er runzelte die Stirn und schüttelte kurz den Kopf.

„Hannah, das hat sie nicht so gemeint“, sagte er. „Angie war nur sauer, weil Franklin ihre neuen Hosen schmutzig gemacht hat. Wir lassen nicht zu, dass deinem Hund irgendwas passiert. Das verspreche ich.“

„Ich mag Angie nicht.“ Hannah weinte jetzt. „Die ist gemein.“

„Oh, Liebling, bitte weine doch nicht.“ Lily riskierte es, die Hand auszustrecken und eine dunkle Locke von der tränenverschmierten Wange des Mädchens zurückzustreichen. Diesmal wich Hannah nicht zurück. „Hast du gehört, was Dr. Dunlevy gesagt hat? Niemand jagt Franklin weg, versprochen. Wer das versucht, bekommt es mit mir zu tun.“

Lily wusste, dass sie nicht für einen Mann sprechen sollte, der sie noch nicht mal eingestellt hatte. Oder ob sie da sein würde, um das Mädchen zu beschützen. Aber das arme Kind war fix und fertig. Sie hatte ihre Eltern und ihre Adoptivfamilie verloren. Und jetzt hatte sie Angst, ihren Hund weggeben zu müssen. Sie war verwirrt und verängstigt. Mit oder ohne Erlaubnis, Job hin oder her, Lily fühlte sich verpflichtet, das kleine Mädchen zu beruhigen.

Franklin leckte erneut Lilys Hand.

„Franklin sagt, dass er dich mag“, sagte Hannah und warf ihr durch tränennasse Wimpern einen vorsichtigen Blick zu.

„Also, ich mag ihn auch.“ Als Lily Hannah anlächelte, hörte sie Kinderstimmen von nebenan.

„Die anderen Kinder sind im hinteren Wohnzimmer – im Familienzimmer“, sagte Dr. Dunlevy. „Ich möchte, dass Sie sie auch gleich kennenlernen.“

„Hannah, magst du mitkommen und mich deinen Brüdern und Schwestern vorstellen?“

Das Mädchen schüttelte den Kopf. „Ich habe nur einen Bruder. Einen Bruder und zwei Schwestern.“

„Danke für die Erklärung“, sagte Lily. „Andererseits, ich glaube, Franklin braucht dich jetzt. Dr. Dunlevy kann mich den anderen vorstellen. Aber es war schön, dich kennenzulernen. Ich hoffe, wir sehen uns wieder.“

Hannah antwortete nicht. Sie verbarg das Gesicht hinter dem Rücken des Hundes. Als Lily sich umdrehte und Dr. Dunlevy in die Küche folgte, hörte sie, wie die Hintertür zugeschlagen wurde. Es wurde still im Haus. Die Kinder mussten nach draußen gegangen sein.

Weil Dr. Dunlevy sich deswegen keine Sorgen zu machen schien, nutzte sie die Gelegenheit, um die Küche zu bewundern. Mit den Geräten aus modernem Edelstahl und dem hellen Granit wirkte die Küche genauso chic und unbewohnt wie die Eingangshalle und das Wohnzimmer. Aber dann erblickte sie den Herd mit den sechs Kochfeldern und dem doppelten Backofen. Sofort überkam sie der blanke Neid. An wie vielen Feiertagen hatten ihre Großmutter und sie sich über die Vorzüge einer Küche mit zwei Backöfen unterhalten? Das war ein Traum. Normalerweise bekam man so was nur im Fernsehen zu sehen, wenn es um Traumhäuser ging.

„Das ist eine tolle Küche“, sagte sie und ließ die Hand über die Arbeitsfläche gleiten. „Kochen Sie?“

„Ich?“ Dr. Dunlevy lachte. „Nein. Abgesehen vom Kühlschrank und der Kaffeemaschine habe ich hier noch nichts angefasst.“

Lily musste sich Mühe geben, nicht lauf aufzuseufzen. Er musste ihr angesehen haben, wie neidisch sie war.

„Kochen Sie?“

„Ja. Man könnte sagen, Essen ist mein größtes Hobby.“

Wie er dastand, die Hände in die Hüften gestemmt und den Kopf zur Seite geneigt, schien er sie eine Minute lang gründlich zu mustern. Er war wirklich extrem attraktiv.

„Sie können hier gerne jederzeit für mich kochen“, sagte er schließlich.

Dieser Vorschlag ließ ihren Magen einen Salto schlagen. Sie konnte nur hoffen, dass ihr Gesichtsausdruck das nicht preisgab.

„Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal eine selbstgekochte Mahlzeit gegessen habe.“

Ach so. Okay.

Das war die Erklärung. Er hatte sie nicht eingeladen, für ihn zu kochen. Natürlich nicht. Trotzdem, nur einen Augenblick lang stellte Lily sich vor, wie es wäre, in so einer Küche für einen so gut aussehenden Mann wie ihn etwas Leckeres zu zaubern. Der Gedanke erschien ihr gleichzeitig unglaublich verlockend und absolut bizarr.

„Seit die Kinder da sind, haben wir jede Menge Pizza und Take-away verputzt. Davor habe ich meistens im Krankenhaus gegessen.“

Sie musste blinzeln, um die lächerliche Vorstellung von einem Candle-Light-Dinner aus ihren Gedanken zu verscheuchen. Lieber Himmel, sie war seine Angestellte – und noch nicht mal das. Er hatte ihr den Job ja noch nicht angeboten. Sie durfte ihre Rolle nicht vergessen. Dann war er eben ein attraktiver Mann. Na und? Er hatte ein freundliches Lächeln und tolle Augen? Und wenn schon! Wenn er sie einstellte, würde sie sich auf die Kinder konzentrieren.

Sie folgte ihm aus der Küche ins zweite Wohnzimmer. Mit dem heimeligen Holzfußboden wirkte dieser Raum ein wenig gemütlicher. Gegenüber von zwei Klubsesseln aus Leder stand ein Polstersofa. Ein Couchtisch aus massivem Holz machte aus dem Ensemble eine Sitzgruppe. An der rechten Wand hing ein riesiger Flachbildfernseher über dem Kamin. Die Fenster gingen nach hinten auf einen ordentlich eingezäunten Garten hinaus. Von hier aus erhaschte sie auch einen ersten Blick auf die anderen drei Kinder.

„Warum unterhalten wir uns nicht ein paar Minuten, während Megan, George und Bridget draußen spielen? Und dann stelle ich Sie ihnen vor?“

Lily beobachtete, wie die drei im Garten herumrannten. Anscheinend spielten sie Fangen. Im Augenblick wenigstens wirkten die Kinder nicht traurig. Trotzdem brach ihr vor Mitleid das Herz. Sie war nicht viel älter gewesen, als ihre Eltern auch bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren. Zum Glück hatte ihre Großmutter mütterlicherseits sie bei sich aufgenommen und großgezogen. Wenigstens hatten sie noch einander gehabt, bis ihre Großmutter gestorben war. Das war inzwischen fast zwei Jahre her.

Lily hatte sich immer geliebt und geborgen gefühlt. Dr. Dunlevy lag das Wohlergehen dieser Kinder offensichtlich am Herzen. Aber sie konnte nicht anders, als sich zu fragen, was die vier gerade durchmachten.

Lily setzte sich aufs Sofa. Dr. Dunlevy nahm ihr gegenüber auf einem Sessel Platz. Er stütze die Ellbogen auf die Armlehnen, presste die Fingerspitzen gegeneinander und betrachtete sie einen Moment lang, als ob er erst seine Gedanken ordnen musste.

Schließlich sagte er: „Lily Palmer, ich bin froh, dass Sie nicht so leicht zu erschrecken sind. Bitte sagen Sie mir, dass Sie auch noch das Genie sind, das dieses Chaos beherrschen kann.“

Sie straffte die Schultern und wusste nicht so recht, was sie darauf sagen sollte.

Er lachte. „Aber selbst wenn Sie kein Genie sind, sind Sie mir wärmstens empfohlen worden.“

„Das höre ich gerne.“ Sie hob die Hand. „Ich habe aber auch einen Lebenslauf dabei.“ Sie holte einen Ordner aus ihrer Umhängetasche und entnahm das entsprechende Dokument sowie eine Liste mit Empfehlungsschreiben. Er überflog die Seiten.

„Haben Sie schon mal als Kindermädchen gearbeitet?“

„Eigentlich nicht. Aber wie schon gesagt, ich bin Grundschullehrerin.“

„Das ist vermutlich so was wie ein Kindermädchen für eine ganze Horde.“

Sie nickte. „Mehr oder weniger.“

Plötzlich legte er die Unterlagen weg. „Was würden Sie mit vier lebhaften Kindern anfangen? Wie würden Sie sich um sie kümmern?“

„Ich würde natürlich dafür sorgen, dass sie beschäftigt sind. Aber zuallererst würde ich mit Ihnen Ihre Erwartungen besprechen.“

Cullen nickte und rieb sich die Schläfen. „Ich bin froh, dass Sie das sagen. Ich werde Ihnen nichts vormachen. Die vier sind ganz schön anstrengend. Aber es sind wirklich liebe Kinder. Ihr Vater war mein bester Freund. Aber seit dem Tod ihrer Eltern scheinen sie die Trauer dadurch zu bewältigen, dass sie über die Stränge schlagen. Ihretwegen hat meine Haushälterin gekündigt.“

„Mein herzliches Beileid. Wegen Ihres Freunds, meine ich.“

Er wusste natürlich, was sie meinte. Er würde schließlich nicht denken, dass sie ihm ihr Beileid wegen des Verlustes seiner Haushälterin aussprach.

Oder doch?

Oh nein. Sie spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Warum war sie plötzlich so nervös?

Autor

Nancy Robards Thompson
<p>Nancy Robards Thompson, die bereits mit vielen Preisen ausgezeichnet wurde, lebt in Florida. Aber ihre Fantasie lässt sie Reisen in alle Welt unternehmen – z. B. nach Frankreich, wo einige ihrer Romane spielen. Bevor sie anfing zu schreiben, hatte sie verschiedene Jobs beim Fernsehen, in der Modebranche und in der...
Mehr erfahren