Entführ mich ins Glück, Geliebter

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"Ich will, dass wir als Mann und Frau zusammen sind." Noelle ist fassungslos! Erst entführt ihr Exmann Ammar Tannous sie in seine Luxusvilla in der Wüste. Und jetzt verlangt er ungerührt, dass sie das Bett mit ihm teilt. Plötzlich sind all die Gefühle zurück, die sie für immer begraben glaubte: Schock, Wut, aber auch ungestillte Sehnsucht. Denn der faszinierende Multimillionär war ihre große Liebe, bis er sich am Tag ihrer Hochzeit plötzlich in einen kalten, abweisenden Fremden verwandelte. Doch wie Noelle widerstrebend zugeben muss, verzehrt sie sich trotz allem noch nach ihm …


  • Erscheinungstag 17.09.2013
  • Bandnummer 2093
  • ISBN / Artikelnummer 9783954466290
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Mit unbewegter Miene ließ Ammar Tannous den Blick über den überfüllten Ballsaal des Pariser Hotels schweifen. Irgendwo in dem Gewimmel illustrer Gäste wartete seine Frau. Obwohl „warten“ nicht das richtige Wort war. Noelle hatte keine Ahnung von seiner Anwesenheit. Vermutlich wusste sie nicht einmal, dass er noch lebte.

Entschlossen bahnte er sich einen Weg durch die Menge und bemerkte, dass die Gespräche sofort verstummten und flüsternd erst wieder aufgenommen wurden, wenn er an der jeweiligen Gruppe vorbei war. Offensichtlich wurde darüber spekuliert, ob es sich bei ihm tatsächlich um den einzigen Überlebenden eines Hubschrauberabsturzes vor zwei Monaten handelte, über den die Zeitungen berichtet hatten – allerdings nicht auf der Titelseite. Ammar drängte es nicht in die Öffentlichkeit. Seine Arbeit bei Tannous Enterprises erforderte höchste Diskretion. Trotzdem schienen einige Gäste hier ihn erkannt zu haben.

„Mr Tannous …“ Ein hagerer Mann, der vor Angst zitterte, sprach ihn an. Ammar wusste im ersten Moment nicht, woher er den Mann kannte. Er hatte schon in zu viele furchtsame Gesichter von Untergebenen geblickt, die Tannous Enterprises’ eiserne Faust zu spüren bekommen hatten. „Ich habe es gerade erst erfahren und wollte sofort einen Termin mit Ihnen machen“, stammelte der Mann und zog entschuldigend die Schultern hoch.

Dass er überlebt hatte, war für die meisten Leute keine gute Nachricht, wie Ammar nur zu genau wusste. Jetzt fiel ihm ein, wer der Mann war. Ihm gehörte eine kleine Textilfabrik außerhalb von Paris. Wegen finanzieller Schwierigkeiten hatte er bei Ammars Vater einen Kredit aufgenommen. Kurz vor dem Hubschrauberabsturz hatte Tannous senior das Darlehen zurück­gefordert, um den Mann in den Konkurs zu treiben und so einen lästigen Konkurrenten loszuwerden.

„Deswegen bin ich nicht hier. Wenn Sie einen Termin wollen, wenden Sie sich an mein Büro“, erwiderte Ammar knapp.

„Ja … selbstverständlich …“

Ammar schob sich an ihm vorbei. Er hätte dem Mann versichern können, dass er die Schulden nicht eintreiben würde, doch das hätte nur unnötig die Gerüchteküche angeheizt.

Ihm ging es nur um Noelle.

Die Erinnerung an ihr Gesicht, an ihr Lächeln hatten ihn um sein Leben kämpfen lassen. Als er halb verhungert und verdurstet gewesen war und von Fieberkrämpfen geschüttelt, hatte er sich nach ihr gesehnt. Es spielte keine Rolle, dass er sie seit zehn Jahren nicht mehr gesehen und sie Monate nach der Hochzeit fortgeschickt hatte. Er musste sie jetzt finden und endlich wie Mann und Frau mit ihr zusammenleben.

Wild entschlossen drängte Ammar sich weiter durch die Menge.

„Ein Mann mit ziemlich furchteinflößender Miene ist auf der Suche nach dir.“

Lächelnd drehte Noelle Ducasse sich um, als hinter ihr die Stimme ihrer Freundin Amelie ertönte, und hob einladend das Champagnerglas. „Wirklich? Muss ich jetzt Angst haben?“, scherzte sie.

„Schon möglich.“ Amelie trank einen Schluck aus ihrem eigenen Glas und schaute suchend auf die Menge der Ballgäste. „Er ist etwa einen Meter neunzig groß, sein Schädel ist rasiert, und eine hässliche Narbe verunziert sein Gesicht. Ich würde sagen: sexy und beängstigend zugleich.“ Neugierig zog sie die zu einem eleganten Bogen gezupften Brauen hoch. „Kennst du jemanden, auf den diese Beschreibung zutrifft?“

„Ich glaube nicht.“ Ratlos sah sie ihre Freundin an. Amelie neigte zu Übertreibungen, aber trotzdem … „Klingt nach einem Exsträfling.“

„Unwahrscheinlich. Der würde keinen Designer-Smoking tragen.“

„Sehr mysteriös.“ Aber die Pariser Gesellschaft war ja immer für eine Überraschung gut. „Mir tun die Füße weh.“ Noelle stellte ihr halbvolles Glas auf das Tablett eines Kellners. „Ich mache mich jetzt auf den Heimweg.“

„War mir klar, dass diese Absätze tödlich sind“, bemerkte Amelie schadenfroh. Eigentlich hatte sie vorgehabt, die silberfarbenen fünfzehn Zentimeter hohen Stilettos selbst zu tragen, die auf der Pariser Herbst/Winter Fashion Week im März vorgestellt worden waren und exklusiv im Luxuskaufhaus Arche verkauft wurden, für das sie und Noelle als Einkäuferinnen tätig waren.

Noelle nahm es philosophisch. „Das gehört nun mal zum Job.“ Bei Arche wurde Wert darauf gelegt, dass die Einkäuferinnen sich auf gesellschaftlichen Veranstaltungen in Modellen des Kaufhauses zeigten und glamourös auftraten. Nach fünf Jahren langweilte es Noelle zunehmend, das hübsche junge Ding zu spielen. Doch einige Monate musste sie noch durchhalten, dann stand ihre Beförderung zur Chefeinkäuferin von Damenmode an.

„Du kannst noch nicht verschwinden.“ Amelie hatte einen Blick auf ihre Armbanduhr geworfen. „Es ist erst elf.“

„Ich muss aber morgen arbeiten. Du übrigens auch.“

„Und was ist mit deinem furchteinflößenden Verehrer?“

„Der muss mich aus der Ferne bewundern.“ Ihre Neugierde war allerdings geweckt: ein Mann mit rasiertem Schädel und einer Narbe im Gesicht? Was hatte er unter all den aufgedonnerten, geschniegelten Mitgliedern der gehobenen Gesellschaft verloren? Egal, seine Suche ist sowieso vergeblich, weil ich jetzt verschwinde, dachte Noelle. Sie sehnte sich nach ihrem Bett, einem heißen Getränk und einem guten Buch.

Nach einem kurzen Abschiedsgruß an Amelie, die sich zu einer Gruppe aufstiegsorientierter Damen gesellt hatte, arbeitete sie sich langsam zum Ausgang vor und fühlte sich plötzlich so einsam wie damals vor zehn Jahren, als ihre Ehe gescheitert war und sie sich ein neues Leben aufbauen musste, das so ganz anders war, als sie es sich erhofft hatte. Amelie und der Rest ihres Freundeskreises waren sympathische Menschen, doch seelenverwandt fühlte sie sich nicht mit ihnen. Eigentlich hatte sie den Glauben an eine Seelenverwandtschaft schon vor Jahren verloren.

Nach einer Viertelstunde – immer wieder war Noelle stehen geblieben, um einige höfliche Worte mit Gästen zu wechseln – hatte sie endlich das menschenleere Hotelfoyer erreicht, als jemand hinter ihr sie ansprach.

„Ich hätte dich fast nicht erkannt.“

Wie erstarrt blieb sie stehen. Obwohl sie die tiefe, sonore Stimme seit zehn Jahren nicht mehr gehört hatte, wusste sie sofort, wem sie gehörte. Noch immer wählte er seine Worte mit Bedacht und beschränkte sich aufs Nötigste.

Langsam wandte sie sich um und sah ihren Exmann an. Der Schreck fuhr ihr in die Glieder. Der Schädel fast kahl geschoren, eine hässliche Narbe zog sich vom Haaransatz bis zum Kinn über die rechte Wange. Noelle erkannte in ihm sofort den furchteinflößenden Verehrer, von dem Amelie gesprochen hatte. Ammar! Sie wäre nie darauf gekommen, dass er sie suchen könnte. Das hatte er in zehn langen Jahren nicht getan.

„Ich hätte dich auch fast nicht erkannt“, antwortete sie reserviert, obwohl die unvermutete Begegnung sie innerlich stark aufwühlte. Er wirkte größer, finsterer, als sie ihn in Erinnerung hatte. Doch das bildete sie sich wohl nur ein. Sein ruhiges Auftreten strahlte natürliche Autorität aus. Seine Lippen waren fest aufeinander gepresst, die Augen zusammengekniffen. Das war nicht der Mann, in den sie sich damals verliebt hatte. „Was willst du, Ammar?“, fragte sie ausdruckslos.

„Dich.“

Ihr Puls begann sofort zu rasen bei dieser eindeutigen Äußerung. Als sie Ammar vor langer Zeit gefragt hatte, ob er sie wollte, hatte er laut und deutlich Nein gesagt. Noelle würde nie vergessen, wie verstört und gedemütigt sie sich damals gefühlt hatte. Damals hatte Ammar ihr das Herz gebrochen. „Interessant, wenn man bedenkt, dass wir seit zehn Jahren kein einziges Wort miteinander gewechselt haben“, sagte sie kühl.

„Ich muss mit dir reden, Noelle.“

Sein autoritärer Tonfall missfiel ihr. „Ich wüsste nicht, was wir noch zu besprechen hätten.“

Ernst und unnachgiebig hielt er ihren Blick fest. „Ich muss dir etwas sagen, Noelle.“

Heiße Tränen stiegen in ihr auf. Ammar. Sie hatte ihn so sehr geliebt. Und wie sie widerstrebend zugeben musste, war die Liebe noch nicht ganz erloschen. Trotzdem wollte sie nicht hören, was er ihr mitzuteilen hatte. Die Zeiten waren vorbei.

Als er näher zu ihr trat, bemerkte Noelle, wie hager Ammar geworden war. Er musste erheblich abgenommen haben.

„Du hast sicher von meinem Unfall gehört“, sagte er, und ihr wurde bewusst, dass sie ihn angestarrt hatte.

„Ja. Mein Vater hat mir davon erzählt. Und auch, dass du wie durch ein Wunder überlebt hast.“

„Besonders erfreut scheinst du darüber nicht zu sein.“

„Im Gegenteil, Ammar. Ich bin sehr froh. Ich habe dir ja nie etwas Böses gewollt.“ Sie hatte sich immer danach gesehnt, eines Tages wieder mit ihm zusammen zu sein. Doch so leicht, wie er sich das offensichtlich vorstellte, würde sie es ihm ganz sicher nicht machen! „Tut mir leid, dass du deinen Vater verloren hast.“

Ammar zuckte nur die Schultern.

Noelle blickte ihn prüfend an. Ihr Vater hatte sie vor zwei Monaten angerufen und ihr mitgeteilt, dass Ammar und Tannous senior bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen waren. Mehr wusste sie nicht. Obwohl ihre Ehe bereits vor zehn Jahren annulliert worden war, hatte die Nachricht von Ammars Tod sie natürlich getroffen. Zunächst war sie vollkommen benommen gewesen, dann hatte sie tiefes Bedauern empfunden, weil nun alle Hoffnung grausam zerstört worden war, doch noch mit dem Mann glücklich zu werden, den sie einmal sehr geliebt hatte.

Dann hatte ihr Vater sich kürzlich erneut bei ihr gemeldet, um ihr zu berichten, dass Ammar den Absturz überlebt hatte. Offenbar war er auf einer einsamen Insel von Fischern entdeckt worden und sollte nun die Firma seines Vaters übernehmen. Plötzlich war Noelles Bedauern in Wut umgeschlagen, weil Ammar sie damals zurückgestoßen und ihr das Herz gebrochen hatte, vor allem aber, weil er von den Toten auferstanden war und erneut all die qualvollen Gefühle aufwühlte, die sie glaubte, inzwischen überwunden zu haben.

Entschlossen drängte sie nun den Schmerz zurück und bedachte Ammar mit einem abweisenden Blick. „Wie ich bereits erwähnte, haben wir uns nichts mehr zu sagen.“ Sie ging an ihm vorbei.

Ammar hielt sie am Handgelenk fest. Noelle zuckte zusammen, als habe sie sich bei der Berührung verbrannt. „Warte!“

„Offensichtlich bleibt mir ja nichts anderes übrig.“

Er atmete tief durch. „Bitte, ich möchte wirklich nur mit dir reden.“

„Dann sag, was du zu sagen hast! Du hast genau dreißig Sekunden, bevor ich das ganze Hotel zusammenschreie.“ Sie warf einen demonstrativen Blick auf seine schlanken sonnengebräunten Finger, die ihr Handgelenk umklammerten. „Du tust mir weh.“

Sofort ließ Ammar sie los. Prüfend schaute Noelle ihren Arm an – nicht einmal eine Rötung war zu sehen!

„Es wird länger als eine halbe Minute dauern. Außerdem beabsichtige ich nicht, mich in einer Hotelhalle mit dir zu unterhalten.“

„Dir wird gar nichts anderes übrig bleiben.“

Schweigend musterte er sie von Kopf bis Fuß mit seinen bernsteinfarbenen Augen. „Du bist wütend“, stellte er fest.

Noelle lachte freudlos. Bei ihrer letzten Begegnung hatte sie spärlich bekleidet auf einem Hotelbett gekauert und versucht, die Tränen zurückzuhalten, nachdem Ammar sie kalt aufgefordert hatte zu verschwinden. Energisch schob sie die schmerzende Erinnerung beiseite und ärgerte sich, offensichtlich noch immer nicht darüber hinweg zu sein.

Warum konnte sie ihrem Exmann nicht einfach mit höflicher Gleichgültigkeit begegnen, als wäre er eine Zufallsbekanntschaft und nicht derjenige, der ihre Liebe mit Füßen getreten hatte? Durch ihr Verhalten verriet sie ihm doch nur, dass er ihr noch immer etwas bedeutete.

„Ich bin nicht wütend“, behauptete sie wider besseres Wissen. „Aber ich sehe keine Notwendigkeit, mich mit dir zu unterhalten.“

„Interessiert dich denn überhaupt nicht, was ich dir zu sagen habe?“

Sie sah, dass er den Mund verbittert, vielleicht sogar traurig verzog, und hatte das Gefühl, Ammar hätte sich grundlegend verändert, nicht nur äußerlich. Als hätte er einfach zu viel durchgemacht und wollte alles hinter sich lassen.

In diesem Moment sehnte sie sich aus tiefstem Herzen danach, ihn zu trösten, ihn aufzuheitern. Ihm zuzuhören und zu versuchen, ihn zu verstehen.

Nein! Ammar Tannous hatte schon zu oft ihre Neugier und ihr Mitgefühl geweckt: Sie hatte sich in ihn verliebt, besser gesagt in den Mann, für den sie ihn gehalten hatte. Und er hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als ihr das Herz zu brechen und ihre gesamte Existenz zu zerstören. Sie hatte Jahre gebraucht, sich ein neues Leben aufzubauen, sich neu zu erfinden. Manchmal kamen ihr Zweifel, ob sie wirklich stets die richtigen Entscheidungen getroffen hatte. Doch immerhin war sie jetzt selbstbestimmt und unabhängig. Ein kurzes Gespräch konnte das zwar nicht zunichtemachen, aber dennoch …

„Fahr zur Hölle, Ammar!“ Entschlossen ging sie an ihm vorbei, kam in diesen übertrieben hohen Stilettos kurz ins Stolpern, fing sich aber sofort wieder und verließ das Hotel.

Frustriert sah Ammar ihr nach. Was fiel ihr eigentlich ein, ihn einfach stehen zu lassen? Nicht einmal zwei Minuten ihrer ach so kostbaren Zeit hatte sie für ihn übrig gehabt. Dabei hatte er doch nur kurz mit ihr reden wollen.

Er war nicht gut in solchen Dingen. Besonders hasste er es, über Gefühle zu sprechen. Aber nach dem Absturz war ihm bewusst geworden, wie sehr Noelle ihm in all den Jahren gefehlt hatte. Er wollte sie zurückhaben! Als er wieder zu sich gekommen war – mutterseelenallein und verletzt an einem einsamen Strand –, hatte sein erster Gedanke Noelle gegolten. Er erinnerte sich an ihr neckendes Lächeln, ihre leicht schiefe Kopfhaltung, wenn sie ihm zuhörte – wenn er denn mal den Mund aufgemacht hatte. In seinen Fieberträumen war sie ihm erschienen. Sie hatte sich an ihn geschmiegt und zärtlich die Hände in sein Haar geschoben. Er hatte sich sogar vorgestellt, eins mit ihr zu sein, sich in ihrer erregenden Hitze zu verlieren. Offensichtlich hatte er sich im Delirium befunden, denn in Wirklichkeit hatte er nie das Vergnügen gehabt, mit Noelle zu schlafen.

Und wie es im Moment aussah, würde das wohl leider auch so bleiben.

Laut fluchte Ammar vor sich hin, weil er die Gelegenheit, mit Noelle zu sprechen, gründlich verpatzt hatte. Warum nur hatte er sie überrumpelt und Forderungen gestellt? Nun war er ja ein Mann der Tat, verfügte über große Autorität und verlor nicht viele Worte. Das Wort ‚bitte‘ kam in seinem Sprachgebrauch so gut wie nie vor.

Noelle war seine Ehefrau gewesen. Das musste ihr doch noch etwas bedeuten. Ihm jedenfalls hatte es sehr viel bedeutet. Allerdings sagte ihre abweisende Haltung wohl alles. Einen Moment lang hatte Noelle ihn jedoch so angesehen wie früher: mit den ausdrucksvollen haselnussbraunen Augen und einem flüchtigen Lächeln. Richtig glücklich hatte sie eine Sekunde lang gewirkt. Neue Hoffnung keimte in ihm auf. Blieb nur noch die Frage, wie er Noelle dazu bewegen konnte, ihm zuzuhören.

Nimm dir, was du willst, ohne zu fragen. Wenn du um etwas bittest, zeigst du Schwäche. Du musst fordern.

Die harschen Äußerungen seines Vaters klangen ihm in den Ohren. Seit frühester Kindheit waren sie ihm eingebläut worden.

Die quietschenden Reifen des Taxis, in dem Noelle davonfuhr, schreckten ihn auf und bestärkten ihn in seinem Entschluss, sie zurückzuerobern und Tannous Enterprises in ein vorbildliches Unternehmen umzuwandeln. Das hatte er auch seinem Bruder Khalis versichert. Sein Leben und seine Arbeit sollten endlich einen Sinn haben! Deshalb konnte er nicht zulassen, dass Noelle sich einfach von ihm abwandte. Er würde sie sich zurückholen! Alles würde er sich zurückholen: sein Unternehmen, seine Frau, sein Leben. Und nichts und niemand würde ihn davon abhalten!

Erschöpft schloss Noelle im Fond des Taxis kurz die Augen, nachdem sie dem Fahrer ihre Adresse auf der Île St.-Louis genannt hatte. Noch immer bebte sie am ganzen Körper, und ihr Knöchel schmerzte. Diese dämlichen High Heels! Wütend streifte sie die unbequemen Dinger ab.

Ammar. Sie konnte kaum glauben, dass sie ihn tatsächlich gesehen hatte. Er wollte mit ihr reden. Aber worüber? Eigentlich wollte sie es gar nicht wissen. Sie hatte ihm nichts mehr zu sagen, allein darauf kam es an.

Früher hatte sie ihm immer sehr viel mitzuteilen gehabt. Besonders mit dreizehn Jahren. Damals war sie ein langbeiniger Teenager mit Zahnlücke gewesen. Ammar hatte seinen Vater begleitet, als der ihren Eltern auf dem Familienschloss außerhalb Lyons einen geschäftlichen Besuch abstattete. Der mürrische Siebzehnjährige hatte die Tochter des Hauses mit Nichtachtung gestraft. Das ging Noelle natürlich gegen den Strich. Sie schwor sich, ihm wenigstens ein Lächeln zu entlocken.

Zwanzig lange Minuten hatte sie dazu gebraucht. Alles hatte sie versucht. Sie erzählte ihm Witze, machte sich über ihn lustig, streckte ihm die Zunge raus, versuchte sogar einen unbeholfenen Flirt. Ammar verzog keine Miene, sondern blickte starr hinaus auf die Rhône, an der das gepflegte Anwesen lag.

Pikiert drehte Noelle sich schließlich auf dem Absatz um und fiel der Länge nach hin. Als sie sich wieder aufrappelte, schamrot im Gesicht vor Verlegenheit, streckte Ammar die Hand aus. Als Noelle sie ergriff, lief ein heißes Prickeln über ihren Körper. So etwas Erregendes erlebte sie zum ersten Mal. Sie sah auf und bemerkte, wie ein flüchtiges Lächeln über Ammars Gesicht huschte.

„Alles in Ordnung?“, erkundigte er sich. Es schien, als hätte er die Worte mit äußerster Vorsicht gewählt.

Noelle stand auf, zog ihre Hand weg und wischte sich Erde und Kies von den Knien. „Klar“, antwortete sie verlegen.

Ammar bückte sich und berührte ihr verletztes Knie. „Du blutest.“

Aus einer oberflächlichen Schramme sickerte ein Blutstropfen das Schienbein hinunter. Ungeduldig wischte Noelle ihn ab. „Halb so wild“, behauptete sie.

„Dann erzähl’ mir noch mal den Witz.“

Ungläubig sah sie auf. „Welchen meinst du?“

„Toc-toc.“

Sie hatten französisch gesprochen, weil das ihre einzige gemeinsame Sprache war. Bereitwillig wiederholte Noelle den Witz. „Toc-toc.“

„Qui est là?“, fragte Ammar ernst.

„S.“

„S … qui?“

„Escargot!“, antwortete Noelle triumphierend. Ammar runzelte die Stirn, als hätte er noch nie einen Witz gehört, dann lächelte er. Es war ein richtiges Lächeln, das sein Gesicht erhellte. Sein ganzer Körper entspannte sich. Die Augen leuchteten fast golden, die makellos weißen Zähne blitzten. Die dreizehnjährige Noelle war hingerissen von diesem ausgesprochen attraktiven Jungen.

Sie wandte sich schnell ab, um ihre verräterischen Gefühle zu verbergen. „Der Witz ist ziemlich albern“, befand sie.

„Mir gefällt er. S-cargot. Der ist wirklich gut.“

Nun verfielen sie beide in Schweigen. Als Ammars Vater wenig später das Schloss verließ und seinen Sohn auf Arabisch zu sich rief, sah Noelle seltsam enttäuscht zu, wie der Junge nickte und sich gehorsam in Marsch setzte.

„Wenn er dir gefällt, finde ich ihn auch gut“, rief sie ihm im letzten Moment nach.

Ammar wandte sich um, ihre Blicke verschmolzen, als hüteten dieser Junge und sie ein gemeinsames Geheimnis. In diesem Augenblick durchzuckte sie ein erstaunlicher Gedanke: Wenn ich alt genug bin, heirate ich ihn und bringe ihn immer zum Lächeln.

Fast zehn Jahre vergingen, bevor sich ihre Wege in London erneut kreuzten. Ammar und sie verabredeten sich nun regelmäßig. Er umwarb sie auf eine altmodisch verhaltene Art und Weise, die Noelle noch heute zu Tränen rührte, wenn sie daran dachte.

Doch innerhalb eines einzigen Tages – am Tag ihrer Hochzeit – verwandelte er sich in einen kalten, abweisenden Fremden. Und selbst zehn Jahre später konnte Noelle sich noch immer keinen Reim darauf machen. Sie war nur froh, dass sie Ammar das Gespräch im Hotel verweigert hatte. Er hätte sie ja doch nur wieder verletzt.

Am nächsten Morgen, als sie von strahlendem Sonnenschein geweckt wurde, musste Noelle an eine andere Begegnung mit Ammar denken. Sie war dreiundzwanzig und spazierte mit ihm durch den Regent’s Park in London. Wie immer plauderte sie einfach drauflos. Als ihr das schließlich bewusst wurde, verstummte sie unsicher und ließ den Kopf hängen. „Ich langweile dich.“

„Niemals“, entgegnete er im Brustton der Überzeugung. Noelle glaubte ihm sofort und schaute ihn an. Und als er zärtlich ihre Wange streichelte, schloss sie die Augen und gab sich der Liebkosung hin. Seit zwei Wochen trafen sie sich fast täglich, und sie war so verliebt in Ammar – seit zehn Jahren! Natürlich dachte sie, er würde ihre Gefühle erwidern, auch wenn er nie über seine Empfindungen sprach und Noelle noch nicht einmal geküsst hatte. Doch sie war glücklich mit ihm und wollte ihn zum Lächeln bringen. Bis zum Ende ihrer Tage.

Als er sie so zärtlich gestreichelt hatte, schloss sie verzückt die Augen und wartete sehnsüchtig auf den ersten Kuss. Diesen Wink mit dem Zaunpfahl konnte selbst Ammar nicht ignorieren. Flüchtig berührte er Noelles Lippen mit seinen. Die zarte Liebkosung elektrisierte Noelle. Sie schmiegte sich an ihn, und er lehnte seine Stirn kurz an ihre – zärtlich, besitzergreifend, bittersüß und tieftraurig. Bis heute gab ihr das Rätsel auf.

Sie hatte leicht geschwankt, er hatte sie gehalten, bis sie sich wieder gefangen hatte und sie dann weggeschoben.

Es hätte ihr zu denken geben sollen, dass ein so maskuliner, Sexappeal ausstrahlender Mann wie Ammar Tannous sich auf einen flüchtigen Kuss beschränkte. Er ging zwar mit ihr aus, schlief aber nicht mit ihr. Er heiratete sie, ließ sie aber in der Hochzeitsnacht allein.

Er hat mich nie begehrt, nie geliebt, dachte Noelle. Und er hatte ihre Beziehung bereut. Leider hatte er nicht den Anstand besessen, ihr das mitzuteilen, bevor es zu spät gewesen war.

Zutiefst unglücklich drehte Noelle sich auf die Seite und zog die Knie an. Es machte sie wütend, dass die schmerzvollen Erinnerungen wieder hochkamen, nachdem es ihr jahrelang gelungen war, sie in Schach zu halten.

An einem Sonnabend, etwa drei Jahre, nachdem ihre Ehe annulliert worden war, saß sie mit ihren Eltern in einem Nobelrestaurant an der Seine und versicherte ihnen: „Ich bin endgültig über ihn hinweg. Aber ich möchte, dass er nie wieder in meiner Gegenwart erwähnt wird.“

Ihre Eltern hatten erleichtert genickt. Sie waren wütend und bestürzt darüber gewesen, wie ihre geliebte Tochter behandelt worden war. Ihr Vater hatte sämtliche Geschäftsbeziehungen zu Tannous Enterprises abgebrochen. Der Name Ammar Tannous wurde in Noelles Anwesenheit nicht mehr ausgesprochen. Weder Freunde noch Kollegen hatten je erfahren, dass sie einmal mit ihm verheiratet gewesen war. Die Hochzeit hatte ja im engsten Familienkreis stattgefunden. Kein Wort war an die Öffentlichkeit gedrungen. Inzwischen glaubte Noelle fast schon selbst, dass es nie eine Hochzeit gegeben hatte. Bis zu dem Tag, als ihr Vater ihr mitgeteilt hatte, Ammar wäre bei einem Hubschrauberabsturz tödlich verunglückt. Und später dann, dass er wie durch ein Wunder doch überlebt hatte.

Und mit seiner „Wiederauferstehung“ kamen auch all die Erinnerungen und Gefühle zurück, die Noelle für immer begraben geglaubt hatte.

Sie bedauerte, überhaupt noch etwas für Ammar zu empfinden. Auch wenn es nur Wut war. Außerdem ärgerte es sie, sich bei dem unvermuteten Wiedersehen im Hotel nicht souveräner verhalten zu haben. Der Mann wäre fast ums Leben gekommen, und sie gebärdete sich wie ein ungezogenes Kind, das seinen Willen durchsetzen wollte. Warum hatte sie sich nicht geduldig anhören können, was er ihr zu sagen hatte? Schließlich hatte sie ihn doch einmal geliebt. Oder es sich wenigstens eingebildet. Vielleicht wollte er sich ja endlich für sein Verhalten von damals entschuldigen.

Müßig, sich jetzt darüber Gedanken zu machen, fand Noelle und stand auf. Sollte Ammar sie noch einmal ansprechen, würde sie ihm ruhig zuhören. Danach könnte sie wohl hoffentlich einen endgültigen Schlussstrich unter diese leidige Angelegenheit ziehen.

Eine halbe Stunde später trug sie ein graues Etuikleid und schwarze Lederpumps, hatte das Haar zu einem eleganten Chignon aufgesteckt und verließ eilig ihre im obersten Stock einer im achtzehnten Jahrhundert gebauten Villa gelegene Wohnung. Wenn ich die nächste Métro verpasse, komme ich zu spät, dachte Noelle und lief los. Die schmale Straße war wenig belebt. Nur vor dem gegenüberliegenden Haus fegte eine alte Frau den Eingangsbereich. Noelle beachtete sie nicht weiter.

Plötzlich wurde sie von hinten gepackt, jemand warf ihr einen dunklen Sack über den Kopf. Bevor sie reagieren und um Hilfe rufen konnte, wurde sie schon in ein Auto gestoßen, das sofort mit ihr davonraste.

2. KAPITEL

Langsam kam Noelle zu sich, sackte jedoch immer wieder in den Dämmerzustand zurück, bevor es ihr endlich gelang, bei Bewusstsein zu bleiben. Ihre Lider fühlten sich bleischwer an, und sie schaffte es kaum, die Augen zu öffnen. Benommen ließ Noelle den Blick über die Umgebung wandern und stellte fest, dass sie auf einem Bett lag. Es war fast dunkel im Raum, ein Motor dröhnte. Sie spürte die Vibration am ganzen Körper.

Offenbar befand sie sich in einem Flugzeug.

Panisch versuchte sie, sich zu erinnern, was passiert war. Irgendjemand hatte sie auf dem Weg zur Arbeit gepackt, ihr eine Decke oder einen Sack über den Kopf geworfen und sie in einen Wagen verfrachtet. Sie hatte sich verzweifelt gewehrt und dem Angreifer das Gesicht zerkratzt. Er hatte etwas in einer Sprache gesagt, die sie nicht verstand. Dann hatte man ihr eine Spritze in den Arm gegeben. Und dann … nichts.

Schlagartig erfasste sie, dass sie entführt worden war. Am helllichten Tag! In einem der vornehmsten Viertel von Paris! Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Trotzdem war es passiert. Wohin brachte man sie? Was wollten die Entführer? Lösegeld? Denkbar war es, denn die Familie Ducasse verfügte ja durchaus über ein ansehnliches Vermögen. Oder hatten die Entführer es auf etwas anderes abgesehen? Man hörte ja immer wieder Horrorgeschichten über den modernen Sklavenhandel. Ihr wurde übel. Eher würde sie sich umbringen, als sich versklaven zu lassen!

„Du bist wach.“

Noelle schrie unterdrückt auf. In der Dunkelheit hatte sie nicht bemerkt, dass jemand bei ihr war. Ammar! Die heisere Stimme des Mannes, der in einer Ecke auf dem Sessel saß, gehörte Ammar. „Du?“, erwiderte Noelle konsterniert und musste husten, weil ihre Kehle völlig ausgetrocknet war.

Sofort sprang er auf und reichte ihr ein Glas Wasser, das auf dem Nachttisch stand. Noelle griff danach. Ihre Hand zitterte so sehr, dass Ammar seine darüber legte und das Glas festhielt, damit Noelle trinken konnte. Sie war zu erschöpft und zu durstig, um seine Hilfe zu verweigern. Schließlich stieß sie das Glas jedoch wütend zur Seite. „Du hast mich entführt“, brachte sie anklagend und fragend zugleich hervor, denn eigentlich konnte sie nicht glauben, dass Ammar sie tatsächlich gekidnappt hatte.

„Ich hatte dir doch gesagt, dass ich dich sprechen muss.“

Noelle lachte ungläubig und ließ sich in die Kissen zurückfallen. „Und deshalb musstest du mich gleich entführen?“

„Du hast mir ja keine andere Wahl gelassen.“

Autor

Kate Hewitt
<p>Aufgewachsen in Pennsylvania, ging Kate nach ihrem Abschluss nach New York, um ihre bereits im College angefangene Karriere als Schauspielerin weiter zu verfolgen. Doch ihre Pläne änderten sich, als sie ihrer großen Liebe über den Weg lief. Bereits zehn Tage nach ihrer Hochzeit zog das verheiratete Paar nach England, wo...
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