Erfülle meinen Herzenswunsch

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Aus tiefem Koma erwacht Janey - und blickt in die sanften Augen von Dr. Luke Bresciano! Ist er der Grund, warum ihr Herz plötzlich schneller schlägt? Und was wird der gut aussehende Arzt sagen, wenn er erfährt, warum sie zu ihm nach Crocodile Creek zurückgekehrt ist?


  • Erscheinungstag 26.02.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733729905
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Felixx war endlich eingeschlafen. Erschöpft schickte Janey ein stummes Dankgebet zum Himmel. Seine Schlafposition sah allerdings alles andere als bequem aus. Er hatte sich auf seinem Sitz zusammengekauert, und sein Kopf lehnte an der dunklen Fensterscheibe des Busses, gegen die von außen der Regen peitschte. Sein Anblick versetzte Janey einen schmerzlichen Stich. Felixx war erst fünf Jahre alt und hatte noch kein einziges Wort mit ihr gesprochen. Weder während ihrer gemeinsamen Busfahrt noch in den drei vorangegangenen Tagen seit Janeys Ankunft in Mundarri. Er hatte einfach aufgehört zu sprechen, und keiner konnte Janey den Grund dafür nennen.

Tat sie das Richtige?

Als man sie über Alices Tod informiert hatte, war sie sofort losgefahren. Sie hatte ihren Kollegen in der Gemeinschaftspraxis in Darwin erklärt, sie müsse für unbestimmte Zeit verreisen, und war nach Mundarri gekommen. Die Reise dorthin war umständlich und anstrengend gewesen. Nach einem abenteuerlichen Flug in einem beängstigend kleinen Buschflugzeug hatte Maharia, eine Bewohnerin der Kommune, sie mitgenommen.

Auch die anderen Bewohner Mundarris hatten sich eigentümliche Namen zugelegt. Janey vermutete, dass dies mit der Philosophie des Ortes zusammenhing – sie gaben sich neue, spirituelle Namen, um ganz neu anfangen zu können. Aus Alice war Alanya geworden. Für Janey würde sie allerdings immer Alice bleiben. Der kleine Felixx war eigentlich auf den Namen Francis James getauft worden, doch Janey erinnerte sich daran, dass sein Vater ihn schon kurz nach seiner Geburt Frankie Jay genannt hatte.

Nun ja … die Menschen in Mundarri schienen zumindest sehr nett zu sein. Fürsorglich und sehr liebevoll Felixx gegenüber.

Und dennoch haben sie meine Schwester sterben lassen.

Janey selbst war Ärztin und glaubte an das, was die Leute von Mundarri verächtlich als überhebliche westliche Medizin bezeichneten. Aber Alices Leber hatte nun einmal versagt, und eine „Entgiftung“ mit Karottensaft war einfach nicht das Mittel der Wahl in so einem Fall.

Man hätte Alice so schnell wie möglich in ein Krankenhaus bringen müssen, wo man ihr vermutlich eine neue Leber implantiert hätte. Janey wusste nicht, ob Alices Mitbewohner aus Arroganz oder aus Naivität darauf verzichtet hatten, rechtzeitig Hilfe zu holen. Sie wusste nur, dass der Rettungswagen viel zu spät gekommen war.

Janey bemerkte, dass sie wieder angefangen hatte zu weinen. In ihrem Kopf herrschte ein Durcheinander aus Wut, Trauer und Selbstzweifeln.

Hatte sie das Richtige getan?

Felixx hätte in Mundarri bleiben können. Sicher wäre es etwas kompliziert geworden, das Sorgerecht zu regeln, doch eine der Frauen – Maharia oder die andere nette Frau, Rania, der Felixx offensichtlich sehr am Herzen lag – hätte ihn sicher adoptiert. So hätte er zumindest in seiner gewohnten Umgebung aufwachsen können.

An einem Ort, an dem eine unverantwortliche Heilungsphilosophie gelebt wurde, deretwegen seine Mutter sterben musste.

Nein, es war richtig gewesen, ihn mitzunehmen.

Sie hatte nicht gewusst, was sie als Nächstes tun sollte. Zu Janeys Erstaunen lebte Felixx’ Vater nur wenige Autostunden von Mundarri entfernt. Es war ein Schock für sie gewesen, Luke Brescianos Adresse in Alices Sachen zu finden und festzustellen, dass Crocodile Creek – für australische Verhältnisse – gleich um die Ecke lag.

Draußen war es inzwischen völlig dunkel geworden. Die regenschwere Wolkendecke ließ nicht den geringsten Mondschein durch, und der heftige Regen prasselte unaufhörlich gegen die Scheiben. Sämtliche Nachrichtensendungen hatten verkündet, dass über dem Ozean ein Zyklon tobte, der die Küste zu erreichen drohte. Als die ersten Windböen gegen den Bus schlugen, konnte sie sich nur zu gut vorstellen, dass bald ein Unwetter über sie hereinbrechen würde.

In einer scharfen Kurve rutschte Felixx ohne aufzuwachen in ihre Richtung. Sanft legte sie seinen kleinen Kopf an ihre Schulter und strich ihm über das Haar. Warum sprach er nur nicht?

Janey spürte, dass es kein trotziges Schweigen war. Fürchtete er sich vielleicht vor irgendetwas?

Oder war Trauer der Grund für seine Stille? Er hatte schließlich gerade seine Mutter verloren.

Wie um alles in der Welt sollte sie es schaffen, diesem verstörten kleinen Jungen zu geben, was er brauchte? Sie war vierunddreißig und im Umgang mit Kindern nicht sehr erfahren. Natürlich liebte sie Felixx, doch im Grunde kannte sie ihn kaum. Alice hatte zu weit entfernt von ihr gewohnt und außerdem keinerlei Interesse daran gezeigt, den Kontakt aufrechtzuerhalten. „Ich kann Städte nicht mehr ertragen“, hatte sie immer wieder erklärt. „Ich brauche die Wildnis.“

Luke Bresciano war Felixx’ Vater. Janey musste zumindest theoretisch die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass er sich um seinen Sohn kümmern wollte. Auch wenn Alice das Gegenteil behauptet hatte. Vielleicht war Felixx bei Luke sogar am besten aufgehoben.

Tat sie das Richtige?

Felixx fühlte sich warm und verschwitzt an. Im Bus herrschte eine solche Luftfeuchtigkeit, dass die Scheiben beschlugen. Als sie eine weitere Kurve nahmen, schlingerte der Bus plötzlich bedenklich.

„Tut mir leid, Leute!“, rief der Fahrer. „Draußen ist die Hölle los!“

Wie lange würde es noch dauern, bis sie die Küste erreichten? Aufgrund des schlechten Wetters hatten sie bereits Verspätung. Eigentlich sollten sie längst da sein. Janey hatte gehofft, sie würden am frühen Abend ankommen, damit sie sich in Ruhe um eine Unterkunft kümmern konnte. Sie wollte nicht einfach ohne Voranmeldung bei Luke Bresciano vor der Tür stehen.

Schlaf noch ein bisschen, kleiner Felixx, damit wenigstens du ausgeruht bist, wenn wir ankommen …

Sie legte den Arm um die Schultern des Jungen und überlegte, dass er ziemlich klein für sein Alter war. Er hatte zweifellos in einer liebevollen Umgebung gelebt, doch seine Ernährung war definitiv mangelhaft gewesen. Die Leute in Mundarri waren strenge Veganer, verzichteten also außer auf Fisch und Fleisch auch auf alle Produkte tierischer Herkunft wie Eier, Käse und Milch. Teure Nahrungsergänzungsmittel konnten sie sich bestimmt nicht leisten. Es dürfte wohl ziemlich schwierig gewesen sein, den kleinen Felixx ausreichend zu versorgen.

Seine Kleidung wirkte ärmlich. In seinem Schuh war ein Loch, um das irgendjemand – vielleicht Alice? – einen kleinen orangefarbenen Clownfisch gemalt hatte. Außerdem war seine Haut mit Moskitostichen übersät. Manche älter und schon vernarbt, manche frisch. Alices Regenwald-Paradies hatte offenbar auch seine Schattenseiten.

Wo war der Kleine jetzt am besten aufgehoben? Hätte sie, Janey, ihn lieber mit nach Darwin nehmen und erst von dort aus Luke kontaktieren sollen? Doch sie hatte nicht gewollt, dass die Entscheidung über Felixx’ Zukunft monatelang in der Luft hing.

Wieder überkamen sie heftige Selbstzweifel. Was war nur das Beste für dieses arme, heimatlose Kind?

Genau in diesem Augenblick gab es einen unerwartet heftigen Ruck, und der Bus geriet ins Schleudern. Der Sturzregen und eine laut aufheulende Windböe trafen eine Fahrzeugseite mit so ungeheurer Kraft, dass der Bus sich zur Seite neigte und abrutschte. Von draußen war ein gewaltiges, unheimliches Donnern zu hören. Der Busfahrer brüllte etwas und fluchte, er hatte die Kontrolle über das Fahrzeug verloren.

Janey versuchte, Felixx festzuhalten und zu verhindern, dass sie beide auf den Gang stürzten. Der Bus senkte sich zur Seite. Sie schrie. Das Chaos brach los. Und danach war alles nur noch schwarz.

1. KAPITEL

„Wie viele warten noch?“, fragte Luke erschöpft und reckte den Hals, um einen Blick ins Hinterzimmer des Postamts von Bellambour mit integriertem Gemischtwarenladen zu werfen.

„Nur noch drei“, antwortete Schwester Marcia Flynn aufmunternd. „Willst du als Nächstes den Jungen untersuchen? Er ist zehn und scheint kaum Schmerzen zu haben. Ich glaube aber trotzdem, dass der Arm gebrochen ist.“

„Verschoben?“

„Es sieht nicht danach aus.“

„Normalerweise würde ich ihn mit seinen Eltern nach Crocodile Creek schicken, damit sicherheitshalber eine Röntgenaufnahme gemacht wird.“ Als Unfallchirurg nahm Luke solche Verletzungen besonders ernst.

Doch im Augenblick ließ sich nicht von normalen Bedingungen ausgehen. Ein Zyklon namens Willie hatte wenige Tage zuvor die Gegend völlig verwüstet. Selbst wenn die Eltern des Jungen ein funktionierendes Auto besäßen – höchst unwahrscheinlich angesichts der Sturmschäden –, waren die schwer beschädigten Straßen vollkommen verstopft, da wegen der verheerenden Folgen des Zyklons zahllose Bewohner versuchten, die Küsten von Nord-Queensland zu verlassen. Im Krankenhaus wurde rund um die Uhr gearbeitet, und auch Luke war seit drei Tagen fast ununterbrochen im Dienst.

Nur sporadisch war es ihm gelungen, kurz zum Ärztewohnhaus zu gehen und sich umzuziehen oder zu duschen. Geschlafen hatte er kaum und wenn, dann nur einige Stunden im Bereitschaftszimmer. Auch die Kollegen waren rund um die Uhr im Einsatz.

Seine Kollegin Georgie Turner hatte gemeinsam mit einem amerikanischen Neurochirurgen in einer abenteuerlichen Aktion ihren siebenjährigen Halbbruder, dessen Hund und ein weiteres, bis jetzt nicht identifiziertes Kind gerettet.

Das unbekannte Kind …

Es war dumm und selbstzerstörerisch von ihm, jetzt über dieses Kind nachzudenken.

Er musste sich auf seine Arbeit konzentrieren. Das Postamt der etwa eine Stunde von Crocodile Creek entfernt liegenden Kleinstadt war vom Katastrophenschutz in ein Behelfskrankenhaus umgewandelt worden, damit diejenigen Einwohner von Bellambour, die nicht vorhatten, die Gegend zu verlassen, ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen konnten.

Charles Wetherby, sein Chef, hatte Luke heute Morgen förmlich gezwungen, hier die Sprechstunde zu übernehmen.

„Sie sind seit Tagen im OP, Luke“, hatte er gesagt. „Sie brauchen eine Pause und frische Luft.“

„Ich komme schon zurecht, Charles“, hatte Luke mit zusammengebissenen Zähnen geantwortet.

„Das glaube ich nicht, aber ich weiß, dass Sie im Moment nicht darüber sprechen wollen.“

„Ich möchte nicht frei nehmen.“ Nicht bevor Janey Stafford wieder bei Bewusstsein war und er mit ihr gesprochen hatte. Bis dahin brauchte er jede Ablenkung, damit er nicht ständig über das Kind nachdachte.

„Wie wäre es dann, wenn ich Sie nach Bellambour in die Behelfsklinik abordne? Das verschafft Ihnen zumindest etwas Abwechslung.“

„Gern. Genau so etwas brauche ich im Augenblick“, hatte Luke erwidert.

„Untersuchen Sie den Arm doch einfach auf die altmodische Art, durch Abtasten“, riet Marcia ihm gerade.

„Und dann ein Verband und eine Armschlinge“, stimmte Luke ihr zu und versuchte, sich zu konzentrieren. „Okay, rufen Sie ihn herein.“

„Danach haben wir noch einen älteren Herrn und einen Hypochonder, der ununterbrochen jammert.“

„Soso, und um ihn zu bestrafen, kommt er als Letzter dran?“ Luke rang sich ein Lächeln ab, was in letzter Zeit selten genug vorkam.

Der Grund dafür war Janey Stafford.

Als er vor drei Tagen, kurz vor Ausbruch des Zyklons, ihren Namen in der Notaufnahme gehört hatte, konnte er es nicht fassen. Er musste sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass es wirklich die Janey Stafford war, und so hatte er ihr die Sauerstoffmaske kurz abgenommen. Es stimmte. Es war Alices Schwester Janey.

Er erkannte sie sofort: das glänzende hellbraune Haar, die braunen Augen, die Sommersprossen, ihre Gesichtszüge, die nicht regelmäßig genug waren, um sie als schön zu bezeichnen. Außer, wenn sie lachte.

Obwohl er seinen Kollegen gegenüber ihre Bekanntschaft heruntergespielt hatte, konnte er seitdem an nichts anderes mehr denken. Warum war sie hier? Irrte er sich, wenn er annahm, dass es etwas mit ihm zu tun hatte? Da sie immer vernünftig und pragmatisch handelte, erschien es ihm unwahrscheinlich, dass sie nur aus einer Laune heraus nach Crocodile Creek gekommen war. Hing es mit seinem Sohn zusammen?

Er musste endlich aufhören, sich den Kopf zu zerbrechen! Seine Aufmerksamkeit musste den Patienten gelten.

Der Zehnjährige mit dem gebrochenen Arm kam gemeinsam mit seiner Mutter herein. Luke verwandelte sich wieder in den kompetenten Mediziner, der auf humorvolle Art seinen Patienten Zuversicht und Sicherheit vermittelte.

„Nun?“, fragte er den zerzausten Zehnjährigen. „Wie ist das passiert? Zirkus-Tricks? Rodeo-Reiten? Mit einem Regenschirm von einem Scheunendach gesprungen?“

Der Junge grinste. „Nope. Wir waren gerade dabei, den Schlamm vom Wohnzimmerboden zu wischen, da bin ich ausgerutscht.“ Die Mutter nickte zustimmend.

„Wie geht’s denn deinem Arm? Tut er sehr weh?“ Nach einigen Routine-Untersuchungen vermutete Luke, dass der Unterarm zwar gebrochen, jedoch nicht verschoben war. Eine Armschlinge und ein fester Verband würden wohl ausreichen. Während er den Verband anlegte, wanderten seine Gedanken wieder zu Janey.

War sie inzwischen aus ihrem künstlichen Koma geweckt worden?

Falls ja, konnte sie schon wieder sprechen?

Und die alles entscheidende Frage: Hatte sie noch Kontakt zu ihrer Schwester?

Würde es ihm gelingen, etwas über Frankie Jay aus ihr herauszubekommen? Oder würde sie ihm ausweichen und irgendwelche Lügen auftischen? Wusste sie wirklich nichts über den Aufenthaltsort seines Sohns? Als er das letzte Mal mit ihr telefoniert hatte – er war damals noch in England gewesen –, hatte sie behauptet, genauso wenig zu wissen wie er.

„Es sind nur ein paar Moskito-Stiche.“

Er blinzelte. Der Junge mit dem gebrochenen Arm war längst gegangen. Stattdessen saß ein älterer Mann vor ihm, dessen Beine über und über mit roten Pusteln bedeckt waren, und dem es offensichtlich peinlich war, dass man ihn wegen einer solchen Lappalie hergebracht hatte.

„Manche sind aber ganz schön entzündet“, stellte Luke fest. „Sind Sie in den letzten Tagen durch das Brackwasser gewatet, Mr. Connolly?“

Der alte Mann zuckte die Achseln. „Ich musste meinem Sohn auf der Farm helfen. Die ganze Ernte ist zerstört. Es wird Jahre dauern, bis wir uns von dem Schaden erholt haben. So ein Unwetter habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt.“

„Ja, und unten im Süden ist es so trocken wie schon seit Jahren nicht mehr.“ Luke sah sich die Stiche genauer an und entschied, dass eine Hautcreme hier nicht ausreichen würde. An mehreren Stellen hatte sich eine gelbliche Kruste gebildet. Der Mann brauchte ein Antibiotikum. Doch war er in der Lage, es vorschriftsmäßig einzunehmen? Luke würde mit der Schwiegertochter oder dem Sohn sprechen müssen. Außerdem fühlte Mr. Connollys Haut sich verdächtig warm an.

„Ziemlich heiß hier, nicht wahr?“

Ein weiteres Achselzucken. „Es geht schon.“

Luke stellte ein Rezept aus. „Zeigen Sie den Beipackzettel bitte Ihrer Schwiegertochter“, bat er eindringlich. „Sie wird Ihnen helfen, an die Einnahme zu denken.“

„Ja, sie ist nett“, stimmte Mr. Connolly zu und räusperte sich. Er holte tief Luft, als wolle er husten, doch nur ein Krächzen kam aus seinem Hals.

„Fehlt Ihnen vielleicht sonst noch etwas?“, erkundigte Luke sich.

Der alte Mann schüttelte den Kopf. „Meine Schwiegertochter hat gesagt, ich soll wegen der Stiche zum Arzt gehen. Ich wollte nicht, aber sie hat darauf bestanden.“

„Das war genau richtig.“

Inzwischen war Marcia wieder hereingekommen und machte ihm unauffällig ein Zeichen. Lukes Magen zog sich zusammen, und eine unbehagliche Anspannung überfiel ihn. Schnell schob er seinen Patienten in Richtung Tür und verabschiedete ihn. Welche Neuigkeiten erwarteten ihn?

„Jemand hat nach dir gefragt“, erklärte die Krankenschwester, sobald sie allein waren. „Diese Frau, die beim Busunglück verletzt wurde.“

„Janey Stafford“, erklärte er, ohne zu überlegen.

Erstaunt hob Marcia die Brauen. „Du kennst sie also?“

„Das hab ich doch schon in der Unfallnacht gesagt.“

„Nein, du sagtest, dass du ihre Schwester kennst.“

Er beschloss, nicht weiter darauf einzugehen. „Sie ist also wieder bei Bewusstsein?“ In seinem Kopf drehte sich alles.

„Ja, es geht ihr viel besser. Wahrscheinlich kann sie schon morgen entlassen werden. Sie möchte dich sehen und …“ Marcia zögerte.

„Was denn?“, fuhr er sie ungeduldig an.

„Nichts. Komm, da wartet noch ein Patient. Hast du eigentlich bei Mr. Connolly Fieber gemessen?“

Luke erstarrte. „Mist, das hab ich völlig vergessen. Dabei ist mir noch aufgefallen, dass seine Haut sich ziemlich heiß anfühlte. Ist er schon weg? Versuchst du bitte mal, ob du ihn noch erwischst?“

Solche Unachtsamkeiten passierten ihm normalerweise nicht. Natürlich könnte er sich damit herausreden, dass er völlig übermüdet war, seit Sonnabend kaum geschlafen und rund um die Uhr gearbeitet hatte, doch er wusste, das Problem lag woanders. Er war nicht bei der Sache, weil seine sorgsam verdrängte Vergangenheit sich ihren Weg an die Oberfläche bahnte. Wenn Janey Stafford seinetwegen nach Crocodile Creek gekommen war … Wenn sie schlechte Nachrichten über seinen Sohn brachte … Wenn dieses namenlose Kind, das Georgie und Alistair gefunden hatten …

„Er ist schon weggefahren“, berichtete Marica atemlos, nachdem sie auf die Straße gerannt und nach Mr. Connolly Ausschau gehalten hatte. „Ich werde versuchen, ihn telefonisch zu erreichen.“

Doch wie so vieles andere waren auch die Telefonleitungen dem Zyklon zum Opfer gefallen. Luke beschloss, es am nächsten Tag von Crocodile Creek aus noch einmal zu versuchen.

„Ich kann es einfach nicht fassen“, erklärte Marcia auf dem Nachhauseweg zum wiederholten Mal. „Ich kann nicht glauben, dass dies dieselbe Gegend ist, durch die ich vor vier Wochen gefahren bin.“

Luke, der gelernt hatte, seine Emotionen für sich zu behalten, nickte nur wortlos.

Die von imposanten Bergen begrenzte Küstenregion beeindruckte aufgrund des feuchten Klimas normalerweise durch üppiges Grün. Doch das war Vergangenheit. Vom Regenwald waren nur noch vereinzelte kahle Baumstämme übrig. Selbst die abgebrochenen Äste und Zweige waren so kahl, als hätte jemand sie mit einem Sandstrahler bearbeitet. Es würde Jahre dauern, bis die Natur sich von dieser Katastrophe erholt hatte.

Am Rand des Highways lagen entwurzelte Feigenbäume, Telefonleitungen hatten sich verheddert, und es gab kein einziges Straßenschild mehr.

Sie kamen an einem Haus vorbei, das ein Stück von der Straße zurückgesetzt lag – ein typisches, altmodisches Queensland-Farmhaus, das auf etwa zwei Meter hohen Pfählen stand. Die Veranda und die vordere Hauswand waren abgerissen und bildeten einen Trümmerhaufen einige Meter vom Haus entfernt, sodass man das Innere des Gebäudes wie ein offenes Puppenhaus betrachten konnte.

Und dann die Ernte. Alles war zerstört. Zuckerrohr, Bananen, Papayas.

„Was ist mit den Tieren?“, flüsterte Marcia entsetzt.

„Ich weiß nicht“, sagte Luke leise, „aber wir müssen uns zuerst um die Menschen kümmern.“

„Die Leute unterstützen sich gegenseitig. Doch die Tiere sind hilflos“, wandte Marcia ein.

„In der Natur herrschen grausame Regeln.“ Luke wusste, dass auch er sich grausam anhörte. „Marcia, wir sind alle völlig schockiert. Mach am besten die Augen zu und versuch, dich ein wenig auszuruhen. Du darfst dir das alles nicht so zu Herzen nehmen.“

„Oh, ich soll ein paar hübsche Schutzmauern um mich herumbauen?“, fragte sie und schickte ein Lächeln hinterher, um ihren Worten die Schärfe zu nehmen.

Luke wusste, dass sie damit auf ihn anspielte. Er hatte nicht die richtigen Fragen zum Gesundheitszustand von Janey Stafford gestellt, und Marcia war eine intelligente Frau. Doch er konnte es nicht riskieren, sich jemandem anzuvertrauen. Zu groß war seine Angst, dass er all die Trauer und Wut, die er damals – vor acht Jahren – empfunden hatte, noch einmal durchleben musste.

Janey und er waren Kollegen gewesen, als Luke sich Hals über Kopf in ihre Schwester Alice verliebt hatte. Schon vorher hatte Janey keinen Hehl daraus gemacht, dass sie ihn nicht mochte. Sie hatte ihn für einen oberflächlichen, arroganten Kerl gehalten, der seine Karriere seinem Charme und seinen guten Beziehungen verdankte. Rückblickend betrachtet, musste Luke zugeben, dass sie nicht ganz unrecht hatte, denn vor seiner Ehe mit Alice hatte er ein ziemlich unbeschwertes Leben geführt.

Nun wollte Janey ihn also sprechen. Sie war seinetwegen nach Crocodile Creek gekommen. Und warum sollte sie das tun, wenn nicht …

Der Gedanke an den Schuh quälte ihn.

Dieser dumme kleine Schuh, den Susie Jacksons Zwillingsschwester Hannah, die zu Mikes und Emilys Hochzeit aus Neuseeland angereist war, gefunden hatte.

Wem gehörte der Schuh? Wie alt mochte sein Besitzer sein? Bei dem Busunglück waren zwei Kinder vorübergehend verschollen gewesen: Georgies kleiner Halbbruder Max, sieben Jahre alt, der von nun an hoffentlich bei Georgie leben würde, und ein weiterer kleiner Junge, den Georgie und Alistair mit Max zusammen aus einem alten Minenschacht gerettet hatten. Der Junge sprach nicht, sodass sie weder seinen Namen noch sein Alter kannten.

Der Schuh brachte Luke fast um den Verstand.

Es handelte sich um einen schäbigen, abgetragenen Kinderschuh, auf den irgendjemand einen kleinen orangefarbenen Fisch gemalt hatte, um ein Loch zu kaschieren. Alice hatte schon immer ein großes Talent zum Malen besessen. Und zum Improvisieren …

„Ich kannte ihre Schwester“, hatte Luke über Janey gesagt, als sie eingeliefert worden war. Nicht: „Diese Patientin ist meine Schwägerin.“

Und es ist nicht Frankie Jays Schuh, versuchte er sich einzureden.

Das konnte nicht sein.

Das geheimnisvolle stumme Kind konnte nicht Frankie Jay sein.

Andererseits war Frankie Jays Tante im Bus gewesen. Jetzt lag sie im Krankenhaus von Crocodile Creek und wollte Luke sprechen. Doch dieser Schuh konnte nicht ihrem Neffen – seinem Sohn! – gehören, denn im Krankenhaus waren sich Kollegen, die kleinere Kinder hatten, einig, dass der Schuh einem etwa vierjährigen Kind passen würde. Frankie Jay wurde in wenigen Wochen sechs.

Luke wusste, dass er ihn nicht einmal wiedererkennen würde. Als er ihn das letzte Mal gesehen hatte, war sein Sohn erst drei Monate alt gewesen.

„Er kommt gleich, um Sie zu besuchen.“ Dr. Wetherby sah Janey voller Wärme an.

Sie erinnerte sich, dass er sie gebeten hatte, ihn Charles zu nennen. Er wusste, dass sie selbst auch Ärztin war. Charles Wetherby in seinem Rollstuhl. Sein tadelloser Ruf als Leiter des Krankenhauses von Crocodile Creek war inzwischen legendär.

Autor

Lilian Darcy
<p>Die Australierin Lilian Darcy hat einen abwechslungsreichen Weg hinter sich. Sie studierte Russisch, Französisch und Sprachwissenschaften und ging nach ihrem Abschluss als Kindermädchen in die französischen Alpen. Es folgten diverse Engagements am Theater, sowohl auf der Bühne als auch als Drehbuchautorin. Später hat Lilian Darcy als Lehrerin für Französisch und...
Mehr erfahren