Falsches Spiel um Lust und Liebe

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Kein Name, keine Erinnerung: Bei einem schweren Unfall verliert Wade Sterling sein Gedächtnis. Aber eine wunderschöne Frau rettet ihn und nimmt ihn bei sich auf. Ava erobert sein Herz! Doch darf er sie überhaupt lieben? Was, wenn er verheiratet ist? Schlagartig kehren die Erinnerungen zurück: Er ist ein vermögender Rancher - und frei für seine Traumfrau! Noch ahnt Wade nicht, dass sein intriganter Zwillingsbruder die Zeit seines Vergessens genutzt hat, um einen düsteren Plan zu schmieden - der Wades Liebe zu Ava zerstören könnte …


  • Erscheinungstag 02.03.2021
  • Bandnummer 2175
  • ISBN / Artikelnummer 9783751503563
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Wade Sterling fuhr über Nebenstraßen durch Texas Richtung Norden. Er war zum Angeln am Golf von Mexiko gewesen, als das Wetter seinen Ausflug jäh beendet hatte. Weiter draußen hatten sich heftige Stürme zusammengebraut, die jetzt auf dem Weg zur Küste waren. Er hatte seine Mutter angerufen und ihr gesagt, dass er sicher an Land war, damit sie sich keine Sorgen machte. Wahrscheinlich würde er auf dem Heimweg in ein Unwetter geraten, sodass die Fahrt länger dauern würde als sonst.

Damit seine Gedanken nicht ständig um das Wetter kreisten, überlegte er, was er zu tun hatte, wenn er wieder zu Hause war. Bevor er auf die Bar-S-Ranch fuhr, wollte er in seiner Wohnung in Dallas vorbeischauen. Außerdem musste er im Büro noch ein paar geschäftliche Angelegenheiten regeln. Er und seine Cousins Cal Brand, Jake Reed und Luke Grayson, die ebenfalls alle Rancher waren, hatten Geld in den Bau einer neuen Rodeo-Arena in Fort Worth gesteckt, nachdem die alte Arena abgebrannt war. Die Stadt wollte eine große Eröffnungsgala veranstalten, und er und seine Cousins mussten sich auf einen Termin dafür einigen.

Als er an seinen Cousin Cal dachte, überkam ihn Traurigkeit. Cal war bei einem Unfall auf dem Atlantik ums Leben gekommen. Wade schüttelte den Kopf. Er vermisste Cal. Er war unternehmungslustig, humorvoll und ein guter Rancher gewesen. Ein weiterer von Wades Cousins, Luke, hatte eine schwierige Zeit hinter sich. Es war jetzt zwei Jahre her, dass Lukes Frau und sein kleiner Sohn bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren. Luke war nicht mehr so unbeschwert, wie er vor dem Verlust seiner Familie gewesen war, und Wade fragte sich, ob er jemals wieder so fröhlich werden würde wie früher.

Dann musste er an Olivia denken und daran, dass er endlich mit ihr Schluss machen musste. Sie war schön, und es war aufregend, mit ihr zusammen zu sein, aber es wurde ihm zu ernst. Er wollte nicht heiraten – auf keinen Fall. Das Problem war, dass sie es wollte, und sie ließ daran keinen Zweifel. Allein beim Gedanken ans Heiraten lief es ihm kalt den Rücken hinunter. Er wollte niemals das Risiko eingehen, ein Kind zu haben, das seinem Bruder ähnlich war. Seinem eineiigen Zwillingsbruder. Sie sahen sich zum Verwechseln ähnlich, hätten, was Temperament und Persönlichkeit anging, jedoch nicht verschiedener sein können. Wynn hatte schon immer Ärger gemacht, solange Wade denken konnte.

Letzten Monat zum Beispiel, als er bei seinen Eltern vorbeigefahren war und darauf gewartet hatte, dass sie vom Supermarkt zurückkamen, hatte das Festnetztelefon geklingelt. Er hatte den Hörer abgenommen und gerade noch „Familie Sterling“ sagen können, als eine aufgeregte Frauenstimme ihn unterbrach.

„Wynn, hier ist Violet“, sagte sie mit nasalem Tonfall.

„Ich bin nicht Wynn, ich bin …“, war alles, was er noch sagen konnte, ehe sie ihn erneut unterbrach.

„Lüg mich nicht an, Wynn. Ich kenne deine Stimme. Hör mir zu.“ Wade konnte an ihrem Tonfall hören, wie verzweifelt sie war. „Du hast eine neue Handynummer, und ich konnte dich nicht erreichen. Wag es ja nicht aufzulegen. Wir haben eine Abmachung. Ich habe mich an meinen Teil gehalten, und das musst du auch und zahlen. Ich bin nicht mehr in Dallas, und keiner weiß von unserem Kind. Wenn du willst, dass das so bleibt, schick mir das Geld.“

Daraufhin hatte Wade vor Schreck vergessen, ihr zu sagen, wer er war.

„Es ist in der Post, Violet“, sagte er stattdessen und legte auf. Er hatte ihr das Wort abgeschnitten, wie Wynn es getan hätte. Vielleicht erfuhr sie irgendwann, dass Wynn einen Zwillingsbruder hatte und sie mit dem falschen gesprochen hatte, aber er glaubte nicht, dass sie Wynn davon erzählen würde, weil sie sein Geheimnis verraten hatte – Wynn hatte ein Kind.

Wade war geschockt. Wynn hatte etwas für schöne, sexy Frauen übrig, und es war ihm egal, ob er sich mit Stripperinnen aus den schlimmsten Nachtclubs oder mit der High Society von Dallas einließ. Wade fragte sich, ob seine Eltern wussten, dass sie ein Enkelkind hatten. Vielleicht war es besser so. Falls sein Bruder sich irgendwann entschloss zu heiraten, würde es wahrscheinlich eine atemraubende Schönheit aus einer angesehenen, wohlhabenden Familie sein. Jemand wie Olivia. Olivia würde gut zu Wynn passen, weil sie ihm gewachsen war. Sie war stark und klug und hätte sicher einen guten Einfluss auf ihn.

Wade dachte über seine eigene Situation nach. Er wollte weder heiraten noch Vater werden, aber wenn er mit einer Frau ein Kind hätte, würde er wollen, dass dieses Kind Teil seines Lebens war. Er spürte einen kurzen Stich und fragte sich, ob er wohl etwas verpasste, wenn er der Ehe aus dem Weg ging. Dann musste er über sich selbst lachen. Es gab noch nicht einmal eine Frau in seinem Leben, weil er drauf und dran war, sich von Olivia zu trennen.

Er richtete den Blick auf die Straße und trat aufs Gaspedal, um dem bevorstehenden Unwetter zu entkommen. Seinen Gedanken konnte er jedoch nicht davonfahren. Es gab noch ein anderes Problem, das ihm viel mehr Sorgen bereitete. Vor ein paar Monaten hatte Cotton Daniels, der Vorabeiter seiner Ranch, ihm erzählt, dass einer der Cowboys regelmäßig Geld von einem Mann bekam. Cotton hatte Denny White, den Cowboy, zufällig auf der Straße gesehen. Ihm war ein Auto entgegengekommen, das bei Denny hielt, sodass der Fahrer mit Denny sprechen konnte. Zuerst hatte er geglaubt, dass es nur um Spielschulden oder so etwas ginge, aber die Männer hatten sich sehr geheimnistuerisch verhalten. Im nächsten Monat hatte er sie ungefähr um dieselbe Zeit wieder am Tor gesehen. Warum und wofür bezahlte jemand Denny? Außerdem wurde Wade den Gedanken nicht los, dass es sich um irgendeine Hinterlist handelte, an der Wynn beteiligt war. Wade hatte vor Jahren schon festgestellt, dass sein Zwillingsbruder fast immer etwas damit zu tun hatte, wenn es in seinem Leben Ärger gab.

Wade hatte noch nie verstanden, warum sein Zwillingsbruder so eifersüchtig und wütend war, wenn Wade etwas bekam und er nicht. Wynn war von den vier Geschwistern das Lieblingskind seiner Mutter, und er sorgte dafür, dass es so blieb. Sie war der einzige Mensch auf der Welt, der Wynn wirklich etwas zu bedeuten schien, und er scheute keine Mühe, ihr eine Freude zu machen. Wade schüttelte den Kopf und seufzte. Wenn er wieder in Dallas war, musste er sich mit Wynn auseinandersetzen.

Ein Donnerschlag holte Wades Aufmerksamkeit wieder in die Gegenwart zurück. Das Grollen kam immer näher. Zu beiden Seiten der holprigen Landstraße wuchsen Mimosen. Links von ihm lag ein tiefer Canyon, durch den ein Bach floss. Es war nur ein schmales Rinnsal, aber Wade wusste, dass Bäche bei einem Unwetter zu reißenden Flüssen werden und die ganze Umgebung überschwemmen konnten.

Er hatte kein anderes Fahrzeug gesehen, seitdem er die Küste hinter sich gelassen hatte. Er brauchte sich wegen des Verkehrs keine Gedanken zu machen, deshalb beschleunigte er. Er hoffte, dass er noch die nächste Stadt erreichen konnte, bevor der Sturm ihn traf. Wenige Minuten später platschten die ersten Tropfen auf die Windschutzscheibe, und dann fegte eine graue Regenwand über seinen Pick-up hinweg, die ihm die Sicht nahm.

Einmal dachte er, dass er im Rückspiegel weit hinter sich Scheinwerferlicht gesehen hätte. Der Regen war zu dicht, als dass er sicher sein konnte. Bald schlingerte er um eine Kurve, und vor ihm befand sich eine geschlossene Wasserfläche. Die Straße führte bergab, und er trat heftig auf die Bremse, aber es war zu spät. Er fuhr mitten in den Strom hinein, der über die Straße lief, und spürte, wie der Pick-up von der Straße abkam und anfing zu treiben, mitgerissen von den Wassermassen. So schnell er konnte, zog Wade seine Jacke aus. Wenn er im Canyon ins Wasser fiel und schwimmen musste, konnte er keine Jacke gebrauchen.

Der Donner grollte, und die ersten Regentropfen fielen, als Ava Carter ein Stück vor sich einen Pick-up sah. Die Tropfen wurden schnell zu sintflutartigem Regen, und sie konnte abgesehen von den roten Rücklichtern so gut wie nichts mehr erkennen. Sie runzelte die Stirn und gab Gas, um aufzuholen. Normalerweise sah sie fast nie jemanden auf dieser Nebenstraße. In der Gegend lag ihre Hütte, in der sie sich von ihrem stressigen Leben in Dallas erholte. Sie war in Persimmon gewesen, der nächstgelegenen Kleinstadt, und hatte versucht, vor dem Sturm wieder zurück zu sein, aber das würde ihr nicht gelingen. Sie hatte gehört, dass heftige Regenfälle angesagt waren, deshalb hatte sie sich so viele Lebensmittel geschnappt, wie sie konnte.

Sie war überrascht, als sie die Rücklichter auf der einsamen Nebenstraße entdeckte. Wenn das ein Fremder war, der sich hier in der Gegend nicht auskannte, musste der Fahrer so schnell wie möglich umkehren, weil die Straße bei heftigem Regen innerhalb von Minuten unter Wasser stand. Sie wollte so weit aufholen, dass sie ihm Bescheid sagen konnte, aber der Regen war zu heftig.

Sie konnte die Rücklichter des Pick-ups im strömenden Regen kaum erkennen. Sie hielt die Hupe gedrückt. Vielleicht konnte sie ihn so aufhalten, aber wahrscheinlich verschluckten der Regen und der Donner jedes andere Geräusch. Sekunden später war es zu spät, denn der Pick-up verschwand, als die Straße eine weite Kurve machte. In diesem Augenblick wurde die Umgebung von einem Blitz erhellt, und sie sah, wie das Wasser über den Highway strömte und den Wagen von der Straße riss. Dann sprang ein Mann aus dem Auto, schlug auf dem Boden auf und rollte den Abhang hinab, sodass er aus ihrem Blickfeld verschwand. Der Pick-up wurde von den Stromschnellen mitgerissen, prallte gegen einen Baum und wurden dann an ihm vorbeigedrückt, hinab in den tosenden Fluss. Sie hatte Angst um den Mann, der gesprungen war, und fühlte sich verpflichtet, ihm zu helfen.

Ava hielt am Straßenrand an und schaltete den Warnblinker ein, auch wenn sie sicher war, dass hier niemand vorbeikommen würde. Sie konnte nicht einfach weiterfahren und einen Menschen in diesem furchtbaren Sturm am Abhang liegen lassen. Das Gewitter sollte noch heftiger werden.

Sie setzte einen breitkrempigen Hut auf und zog eine Öljacke über. Dann trat sie hinaus in das Unwetter und lief zum Ende der Straße, um nach dem Fahrer zu suchen. Bei diesem Regen war es fast unmöglich, irgendetwas zu erkennen. Vorsichtig machte sie sich auf den Weg den Abhang hinunter. Wo der Boden nicht mit Kräutern und hohem Gras bewachsen war, wurde er langsam schlammig. Dann entdeckte sie den Mann, der ausgestreckt auf dem Boden lag. Sein Fall war offensichtlich von den niedrigen Ästen einer Zeder gebremst worden. Ava war durchnässt und fror, tastete sich aber Schritt für Schritt den tückischen, steilen Abhang hinab. Als sie den Mann erreicht hatte, kniete sie sich neben ihn. Erleichtert sah sie, dass er sich bewegte.

„Dem Himmel sei Dank, Sie sind bei Bewusstsein“, sagte sie. Er musste einen Schlag auf den Kopf bekommen haben, denn an seinem Haaransatz war eine Beule zu sehen, und die Haut verfärbte sich bereits. An der Schulter hatte er eine tiefe Schnittwunde, die blutete, obwohl Regenwasser über sie hinwegströmte. Er hatte keine Jacke an, nur ein zerfetztes T-Shirt, Jeans und Stiefel.

Eiskalter Regen trommelte auf sie herab, und ganz in der Nähe stürzte krachend ein Baum zu Boden, der kleinere Bäume mitriss. Sie mussten sich beeilen. „Wir müssen zurück zur Straße, da steht mein Wagen.“ Sie nahm sein Handgelenk, um seinen Puls zu fühlen, der kräftig war. Dann streckte sie die Hand aus und strich ihm das zerzauste, dunkle Haar aus dem Gesicht. Als sie sein Gesicht berührte, flatterten seine Augenlider, und sie sah in braune Augen, die ihre Aufmerksamkeit gefangen nahmen. Trotz des tosenden Unwetters versank plötzlich die Welt um sie beide herum. Ava war erschüttert von der Spannung zwischen ihnen und konnte den Mann nur noch stumm anstarren.

Seitdem sie ihre Verlobung mit Judd Porter gelöst hatte, ließen Männer sie eigentlich kalt. Wie also konnte dieser völlig Fremde sie so in seinen Bann ziehen, dass ihr Herz zu rasen begann, obwohl es in Strömen regnete und ein Sturm tobte? Ein Donnerschlag und das grelle Licht eines Blitzes holten sie aus ihrer Erstarrung, und ihr wurde klar, dass ihre Lage immer schlimmer wurde, je länger sie bei diesem Wetter hier draußen blieben.

Der Mann richtete sich auf, als hätte er die Gefahr ebenfalls gespürt. Sie war erleichtert, als sie sah, dass er sich bewegen konnte.

„Sie können sitzen. Wie geht’s Ihrem Rücken?“

Er zuckte mit den Schultern und verzog das Gesicht. „Meinem Rücken geht’s gut. Mein Kopf fühlt sich an, als ob ihn jemand mit einem Vorschlaghammer bearbeitet hätte.“

„Wir müssen zu meinem Pick-up. Können Sie aufstehen, wenn ich Ihnen helfe? Und glauben Sie, dass Sie es diesen Abhang hinauf schaffen?“

„Ja, schaffe ich“, sagte er, als hätte er daran nicht den geringsten Zweifel.

„Ich habe hier in der Nähe eine Hütte. Wir müssen hier raus, bevor das Wasser weiter steigt und wir eingeschlossen werden. Das hier ist eine einsame Nebenstraße. Ein Krankenwagen braucht mindestens eine Stunde bis hierher, und wenn es weiter so regnet, kommt er vielleicht gar nicht durch. Ich glaube auch kaum, dass wir hier Handyempfang haben. Aber ich glaube, wir schaffen es noch bis zu meiner Hütte.“

„Lassen Sie uns verschwinden, wenn Sie wissen, wo wir hinmüssen.“

„Das tue ich. Die Straße ist nicht besonders gut, aber es wird schon gehen. Die Wetterlage wird immer schlechter.“

„Ich bin so weit“, sagte er, erhob sich ohne Schwierigkeiten, und ihr wurde klar, dass er fit und in guter körperlicher Verfassung war. Sie bemerkte auch, dass er groß, breitschultrig und ziemlich gut aussehend war.

„Ich helfe Ihnen den Hang hinauf“, sagte sie und trat neben ihn.

„Ich komme schon klar“, sagte er. Sein T-Shirt war bei dem Sturz zerrissen, und der zerfetzte, durchnässte Stoff klebte an seiner muskulösen Brust. Wo der Ärmel abgerissen war, kam ein kräftiger Bizeps zum Vorschein.

„Sie müssen später nach Ihrem Pick-up suchen“, sagte sie.

„Der macht mir im Augenblick am wenigsten Sorgen.“

„Richtig. Wir müssen sehen, dass wir trockenen Boden unter die Füße kriegen, bevor der Hang abrutscht und uns unter sich begräbt“, sagte sie. „Los geht’s.“

Nur Sekunden später gab es plötzlich einen Schlag, Holz splitterte, und eine weitere große Eiche stürzte um. Der Mann schob Ava von dem Baum weg, und sie wurde nicht einmal von den Blättern gestreift, aber es brachen Erdschollen aus dem Hang und rutschten talwärts.

Ava rutschte aus, und er kam zu ihr, um seinen Arm um sie zu legen. Sie hielt sich an ihm fest. „Danke“, sagte sie. Als sie das Gleichgewicht wiedergefunden hatten, griff er mit einer Hand nach einem Ast und zog sie mit der anderen an sich. Ihre Hüfte wurde an seine gepresst. Sie warf ihm einen Seitenblick zu. Der Wind zerrte an ihnen, und ein kalter Schwall Regen prasselte auf sie herab, doch das merkte sie kaum. Trotz seiner Verletzungen war er stark und hielt sie fest. Sie spürte die Wärme seines Körpers an ihrer Seite.

Als sie jetzt wieder in seine braunen Augen sah, kribbelte es in ihrem Bauch so heftig, dass sie die Kälte und die Gefahr vergaß – alles außer dem starken Arm, mit dem er sie festhielt, seinem warmen Körper an ihrem und diesen Augen, die ihren Blick gefangen hielten. Als sie sah, wie er die Augen fast unmerklich zusammenkniff, wurde ihr klar, dass er es auch spürte. Wahrscheinlich war diese animalische Begierde von der Gefahr des Sturms aufgewühlt worden. Wie als Bestätigung ihrer Gedanken brach und krachte ein weiterer Baum zu Boden.

„Wir müssen von hier verschwinden“, rief sie, um den Bann zu brechen. Er legte seinen Arm fester um ihre Taille, und gemeinsam kletterten sie, sich immer an den Zweigen der umgestürzten Bäume festhaltend, hinauf zur Straße. Als sie zu ihrem Wagen kamen, ließ er sie los. Sobald sie beide im Auto saßen, holte sie einen Erste-Hilfe-Kasten vom Rücksitz und drückte ihm eine dicke Mullkompresse in die Hand.

„Drücken Sie das an ihre Schulter. Sie bluten immer noch.“

Er nahm die Kompresse und legte sie auf die Wunde an seiner Schulter. Während er das tat, streckte er den Arm aus, nahm ihr den Hut vom Kopf und warf ihn auf den Rücksitz. Dann sah er sie lange und gründlich an, sodass sie vergaß, dass sie fror und völlig durchnässt war.

„Als ich die Augen aufgemacht habe, habe ich Sie mit ihren blonden Haaren und den blauen Augen zuerst für einen Engel gehalten, aber ich glaube kaum, dass Engel Cowboyhüte tragen.“

Seine Stimme war tief, und er saß dicht neben ihr. Sein Blick brachte ihr Herz zum Rasen. Er hatte sich das dichte, nasse, schwarze Haar aus dem Gesicht gestrichen, aber ein paar lockige Strähnen fielen ihm schon wieder in die Stirn. Trotz seiner Verletzungen spürte sie wieder diese heiße, körperliche Spannung zwischen ihnen. Wie konnte sie eine solche Anziehung bei einem Fremden spüren und noch dazu unter so schrecklichen Umständen?

Sie räusperte sich und suchte nach ihrem Handy. „Ich versuche mal, rauszufinden, wie es auf den Straßen aussieht“, sagte sie so atemlos, dass sie nur hoffen konnte, dass es ihm nicht auffiel. Sie konzentrierte sich einen Augenblick lang auf ihr Handy, schüttelte dann aber den Kopf und ließ es in ihre Jackentasche gleiten. Sie hatte keinen Empfang.

„Meine Hütte ist ziemlich groß, gemütlich, und es sind genügend Vorräte da“, sagte sie, ließ den Motor an und fuhr den Weg zurück, den sie gekommen war. „Wir müssen ein paar Meilen zurückfahren, um hinzukommen. Wenn es weiter so schüttet, sitzen wir vielleicht bei mir fest, bis der Sturm vorbei ist und der Wasserstand wieder sinkt. Hier draußen ist es ziemlich einsam. Fernsehempfang gibt es auch nicht.“

„Wie weit ist es bis zu Ihrer Hütte?“

„Zehn Meilen ungefähr. Es gibt eine Straße, die ein bisschen höher liegt, die kann ich nehmen. Die hat nur zwei Nachteile – es ist eine Schotterpiste, und wir müssen einen Fluss überqueren“, sagte sie, während sie ihre Fahrt fortsetzten. Sie sah zu ihm hinüber, weil sie bemerkte, dass er unruhig geworden war und seine Taschen abklopfte, während sie redete. „Stimmt was nicht?“

Er sah sie mit gerunzelter Stirn an. „Ich kann meine Brieftasche nicht finden. Ich muss sie verloren haben, als ich den Hang hinuntergerollt bin“, sagte er. „Unmöglich zu sagen, was aus meinem Pick-up geworden ist.“

„Der wird jetzt auch nicht mehr zu finden sein“, sagte sie und konzentrierte sich auf das Fahren im strömenden Regen. Es donnerte laut, und ein Blitz erhellte die Umgebung. „Wir müssen es zu meiner Hütte schaffen, bevor wir abgeschnitten sind. Hier draußen wohnen nicht viele Leute.“

„Das ist mir auch aufgefallen.“

„Ja, und deswegen ist es nicht gut, hier in so einen Sturm zu geraten. Es sind noch ungefähr fünf Minuten bis zur Abzweigung auf die Schotterpiste, und danach kommen wir noch langsamer voran. Die Brücke haben wir auch noch vor uns.“ Sie runzelte die Stirn, denn ihr kam plötzlich ein Gedanke. „Wenn wir das nicht schaffen, können wir nicht wieder zurück nach Persimmon fahren. Die alte Brücke dorthin steht mit Sicherheit unter Wasser.“ Sie schob den Gedanken beiseite. „Keine Sorge. Wenn wir über die letzte Brücke sind, sind wir wieder in höher gelegenem Gebiet. Mein Haus wird nie überflutet.“

Sie kniff die Augen zusammen und versuchte, durch die vom Regen überströmte Windschutzscheibe zu sehen. Dann sagte sie: „Die Straße, auf der wir gerade sind, wird sogar von den Leuten, die hier wohnen, wenig benutzt. Ich habe einen nahen Nachbarn, aber sein Haus liegt dichter am Fluss, und der hat inzwischen bestimmt Hochwasser. Bei ihm fühle ich mich in so einem Sturm nicht sicher.“

Sie sah ihn an. „Wie fühlen Sie sich?“

„Mir dröhnt der Kopf, meine Schulter tut immer noch weh, und ich bin komplett durchnässt. Ansonsten ganz gut bis mittelmäßig, würde ich sagen. Danke noch einmal, dass sie angehalten und mich mitgenommen haben.“

„Klar.“

Er sagte weiter nichts. Wahrscheinlich hatte er die Nase voll vom Reden und von den Schmerzen. „Versuchen Sie, nicht einzuschlafen, vielleicht haben Sie eine Gehirnerschütterung.“

„Ich glaube, es ist kein Problem, wach zu bleiben“, stellte er trocken fest, und sie fragte sich, ob er wohl starke Schmerzen hatte. Vielleicht machte er sich auch Sorgen, weil er seine Brieftasche und seinen Pick-up verloren hatte. Wahrscheinlich war beides schon den Fluss hinuntergetrieben.

„Mein Handy ist auch weg“, sagte er.

„Das können Sie hier draußen sowieso nicht gebrauchen.“ Sie schwieg einen Augenblick. „Ich glaube, es wird Zeit, dass wir uns vorstellen. Ich bin Ava Carter.“

„Ich bin froh, dass ich dich getroffen habe, Ava“, sagte er in ernstem Tonfall.

Sie fuhren schweigend weiter, und sie fragte sich, warum er sich nicht vorstellte. Als sie ihm einen Seitenblick zuwarf, machte er ein so besorgtes Gesicht, dass sie auf die Bremse trat und ihn ansah. „Was ist los?“

„Du kennst mich überhaupt nicht, aber du weißt trotzdem, dass mit mir etwas nicht stimmt.“

Sie nickte. „Du siehst besorgt aus. Sollte ich mir Sorgen wegen deiner Identität machen?“

Er schüttelte den Kopf und antwortete: „Also, ja und nein. Ich glaube nicht. Aber das ist nur so ein Gefühl, das Problem ist nämlich“, er zögerte einen Augenblick und sah sie dabei weiter an, „dass ich dir meinen Namen nicht sagen kann. Ich weiß ihn nicht. Ich kann mich nicht erinnern, wer ich bin oder wo ich herkomme.“

2. KAPITEL

Sie starrte ihn an. „Vielleicht sollten wir lieber umdrehen und in ein Krankenhaus fahren.“

Sie tastete nach ihrem Handy. „Ich versuche noch mal durchzukommen.“ Aber kurz darauf steckte sie es wieder weg. „Es hat keinen Sinn. Ich habe keinen Empfang.“ Sie überlegte, was sie tun sollte. Er musste sich in einem Krankenhaus behandeln lassen, aber die Straßen waren mit Sicherheit schon gesperrt. Regenfluten ergossen sich über ihr Auto, und der Wind rüttelte daran. „Ich bin mir sicher, dass die Straßen zum nächsten Krankenhaus inzwischen gesperrt sind. Selbst wenn wir wieder zurückfahren könnten, in Persimmon gibt es kein Krankenhaus.“

„Gibt es einen Arzt?“

„Es gibt einen Tierarzt, zu dem gehen die Leute. Aber meine nächste Nachbarin ist Krankenschwester. Das scheint mir die beste Option zu sein.“

„Hört sich für mich auch so an. Fahren wir zu deiner Hütte … oder machst du dir Sorgen, weil du nicht weißt, wer ich bin?“

Sie sah ihm in seine dunkelbraunen Augen, und er erwiderte ihren Blick. Sie wusste nicht warum, aber sie hatte ein gutes Gefühl bei ihm. Hoffentlich trog sie ihre Menschenkenntnis nicht. Andererseits hatte sie eigentlich keine Wahl. Sie konnte ihn nicht hier draußen in diesem Sturm zurücklassen.

Ihr Blick wanderte zu ihm hinüber, und dabei fiel ihr seine teure Armbanduhr auf. Seine Stiefel waren schlammig, aber sie wirkten handgearbeitet und teuer. Natürlich sagte das überhaupt nichts über seinen Charakter aus.

Sie schüttelte den Kopf und lächelte. „Ich kann mir selbst nicht so ganz erklären, warum ich dir traue. Ich habe nur das Gefühl, dass es zwischen uns eine Verbindung gibt. Weißt du, in welchem Staat du bist?“

„Texas. Ich habe das Nummernschild von deinem Pick-up gesehen, also lässt sich aus dieser Antwort nicht viel ableiten.“

„Vielleicht nicht, aber du hast mir eine ehrliche Antwort gegeben. Weißt du, wo du wohnst?“

Er runzelte kurz die Stirn und schüttelte dann den Kopf. „Das fällt mir nicht ein. Ich habe Fetzen von Erinnerungen, aber ich weiß nicht, ob die zu meinem echten Leben gehören oder zu Freunden von mir oder ob ich sie aus dem Fernsehen habe. Ich bin völlig orientierungslos. Ich kann mich weder an meine Eltern erinnern noch an meine Freunde oder daran, wo ich wohne. Oder was ich für Verpflichtungen habe.“

„Lass uns annehmen, dass du so etwas wie eine Familie hast – Eltern, Geschwister.“

„Ich trage keinen Ehering“, sagte er und sah dabei auf seine linke Hand hinunter. Er sah benommen und niedergeschlagen aus. Außerdem wirkte er schrecklich verwirrt, sodass sie das Gefühl hatte, dass sie ihn aufbauen sollte. „Lass uns erst mal reden. Du hast eine Kopfverletzung. Das bedeutet, dass du wach bleiben musst, und der einzige Weg für mich, herauszufinden, ob du wach bist, ist, wenn du redest.“

„Wir können uns ja unterhalten“, sagte er. „Bist du Rancherin? Oder besitzt deine Familie eine Ranch?“, fragte er sie.

„Weder noch. Ich bin Ergotherapeutin, und ich habe eine Firma für ambulante Pflege in Dallas. Ich vermittle Pflegekräfte. Das ist ein stressiger Job, und manchmal brauche ich Erholung. Ich habe eine Vertretung, die meine Aufgaben übernimmt, wenn ich hier in meiner Hütte bin. Ich hatte mal eine Ranch, die habe ich an Gerald Roan verkauft. Der wohnt dort auch. Seine Frau Molly ist die Krankenschwester, die ich erwähnt habe. Fünf Morgen habe ich behalten – auf denen steht meine Hütte. Ich habe drei Pferde und ein paar Kühe, um die Gerald sich kümmert. Ich wollte immer ein Häuschen weit weg von Dallas haben, wo es ruhig ist, in der freien Natur.“

Sie bog auf die Schotterpiste ein und verlangsamte die Fahrt auf Schritttempo. Der Weg war uneben, und der Regen war so heftig, dass man kaum etwas sehen konnte. „Es ist ein ziemlicher Umweg nach Hause, aber wir müssen nur einen Fluss überqueren, und die Brücke ist stabil und liegt hoffentlich noch überm Wasser. Ich habe erst ein Mal gesehen, dass sie überflutet war, aber der Sturm ist wirklich schlimm.“

Autor

Sara Orwig

Sara’s lebenslange Leidenschaft des Lesens zeigt schon ihre Garage, die nicht mit Autos sondern mit Büchern gefüllt ist. Diese Leidenschaft ging über in die Liebe zum Schreiben und mit 75 veröffentlichten Büchern die in 23 Sprachen übersetzt wurden, einem Master in Englisch, einer Tätigkeit als Lehrerin, Mutter von drei Kindern...

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