Feuer und Eis

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Xantes dunkle Augen versprechen heiße Sünden und hemmungslose Lust. In Karins Bauch scheinen hunderte Schmetterlinge zu flattern. Die erste Begegnung zwischen dem aufregenden Hotelbesitzer und der mittellosen Erbin ist feurig. Nichtsdestotrotz hat Karin sich geschworen, nicht der Versuchung zu erliegen - zu tief ist der Schmerz der Vergangenheit.


  • Erscheinungstag 22.11.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733713850
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Ein plötzliches Gewitter hatte den winterlichen Himmel über London verdunkelt und die meisten Menschen von den Bürgersteigen vertrieben. Obwohl es erst um die Mittagszeit war, waren bei den Wagen, die auf dem Vorplatz seines Hotels hielten, die Scheinwerfer und Scheibenwischer eingeschaltet. Nur wenige trotzten dem Regen. Die Kapuze hochgeschlagen, eilten sie vom Lunch zurück zu ihrer Arbeit oder zum nächsten Meeting. Die erfahrenen Londoner hingegen öffneten schlicht ihre Regenschirme und setzten ungerührt ihre Handygespräche fort. Nur die allerwenigsten suchten Zuflucht in der Lobby von Xante Rossis Twickenham-Hotel.

Xante besaß mehrere Hotels – und auch die machten nur einen Teil seines Geschäftsimperiums aus. Für das Haus in Twickenham jedoch besaß Xante schon immer eine besondere Schwäche – es erlaubte ihm, seine Rugbyleidenschaft auszuleben. Die englische Nationalmannschaft sollte heute eintreffen, um bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung Spenden für einen guten Zweck zu sammeln. Viele Spenden. Die Crème de la Crème der High Society wurde zu der Auktion erwartet, die nach einem festlichen Dinner stattfinden sollte und den Gästen unter dem Deckmantel der Nächstenliebe die Gelegenheit bot, ihren Reichtum zur Schau zu stellen.

Xante hatte bereits einige der Sportler begrüßt, darunter den Kapitän. Es war nur natürlich, dass er hier war und die Mannschaft persönlich willkommen hieß. Und es war ebenso natürlich, wenn auch aus gänzlich anderen Gründen, dass ihm die schlanke, hochgewachsene Blondine auffiel, die in diesem Augenblick das Foyer betrat.

Es war die Art und Weise, wie sie aus ihrem Mantel schlüpfte, nicht arrogant, sondern mit der absolut sicheren Annahme, dass jemand ihn ihr abnehmen würde. Und diese Einstellung verriet ihm, dass sie zu den oberen Zehntausend gehörte.

Xante hatte sein Personal gut geschult. Als Albert, der Chefconcierge, bemerkte, dass der Page nicht reagierte, setzte er sich in Bewegung und fing im letzten Moment den Mantel auf. Ohne einen Blick zurück, ging die Unbekannte weiter.

Erst nach einigen Metern blieb sie zögernd stehen.

Mit funkelnden grünen Augen schaute sie sich um. Eine Sekunde wirkte sie fast verloren. Erst jetzt realisierte Xante, dass sie kein Gast war.

Momentan glich das Hotel einer Festung. Xante hatte etliche neue Mitarbeiter eingestellt, die dafür sorgten, dass die Privatsphäre seiner Gäste angemessen respektiert wurde. Fans mussten draußen bleiben, Journalisten wurden höflich zum Gehen aufgefordert. Aber diese Frau, die ganz offensichtlich kein Recht besaß, hier zu sein, hatte jedes Hindernis problemlos überwunden und war einfach ins Hotel marschiert, als gehöre es ihr.

Manche Menschen benötigten keinen Ausweis, das wusste Xante, und diese Lady schien dazuzugehören.

Mittlerweile schlenderte sie im Foyer umher und betrachtete die ausgestellten Kunstwerke wie jemand, der auf eine Verabredung wartete. In Xantes Kopf wirbelten unzählige Fragen. Und das bedeutete, er brauchte Antworten – und das, bitte, schnell!

„Diese Lady“, wandte er sich an seinen Concierge. Wenn es jemand gab, der über die Frau Bescheid wusste, dann Albert. „Wer ist sie?“

Albert informierte gerade ein Paar über die verschiedenen Shows, die im Londoner West End aufgeführt wurden, und checkte gleichzeitig im Computer die Verfügbarkeit der Tickets. Dank seiner brillanten Multitaskingfähigkeiten gelang es ihm, seinem Chef gleichzeitig die notwendigen Informationen zuzuflüstern.

„Karin Wallis“, murmelte er. Xante quittierte den Namen mit einem Stirnrunzeln. Er führte ein zu beschäftigtes Leben, um das Who’s who von London, Paris oder Rom – oder wo auch immer in der Welt er sich gerade aufhielt – zu kennen.

„Ist sie berühmt?“ Der Name klang vertraut. Xantes Stirnrunzeln wurde tiefer, als er versuchte, ihn einzuordnen.

„Sie entstammt einer von Englands bekanntesten Familien“, fuhr Albert in seinem unaufdringlichen Flüsterton fort. „Sie füllen regelmäßig die Klatschspalten der einschlägigen Magazine.“

„Und?“, drängte Xante, weil Albert freiwillig nie Gerüchte weitertratschte … nein, man musste ihn schon darum bitten!

„Ihre Eltern sind vor ein paar Jahren gestorben. Der Bruder ist ein Taugenichts, aber nicht unsympathisch. Die jüngere Schwester besucht ein Internat.“

„Was ist mit Karin?“

„Nun, die Presse nennt sie die ‚Eisprinzessin‘.“ Albert lächelte gezwungen. „Der Name rührt von den unzähligen Reisen zum Skifahren her, die die Lady unternimmt. Gerade erst ist sie aus der Schweiz zurückgekehrt. Jedoch …“ Er hüstelte um anzudeuten, wie unangenehm ihm dieses Thema war und wie ungern er seinem Chef in dieser Angelegenheit einen Rat erteilte. Diese Prozedur spielte sich zwischen ihnen mit schönster Regelmäßigkeit ab.

„Weiter“, bat Xante also.

„Offen gesagt, Sir, verschwenden Sie Ihre Zeit mit ihr. Niemand kommt nahe an Karin Wallis heran.“ Diskret wie immer, unterbrach Albert sofort das Gespräch, als das Paar sich offenbar für ein Musical entschieden hatte. Selbst wenn Xante sein Chef war, die Gäste gingen vor – genau aus diesem Grund hatte Xante ihn ja eingestellt.

Xante nickte und schlenderte zur Rezeption hinüber, um dem diensthabenden Manager mitzuteilen, er wolle über jeden ankommenden Rugbyspieler informiert werden.

Die Eisprinzessin!

Wie sehr wünschte Xante sich, er habe heute die Zeit, Alberts unwissentliche Herausforderung anzunehmen! Atemberaubend gut aussehend und fast obszön reich, bereitete es Xante Rossi keinerlei Probleme, mit Frauen zu flirten.

Aufgewachsen war er auf einer griechischen Insel. Durch den frühen Tod seines Vaters war das Leben für den jungen Xante zu einem Kampf ums Überleben geworden. Er hatte die Mülltonnen hinter den Restaurants, in dem die reichen Touristen speisten, nach Essbarem durchsucht, die Abfälle aus den Netzen der Fischer geklaubt.

Der Unglückstag … Zusammen mit Onkeln, Cousins und Freunden hatte er am Strand auf Neuigkeiten gewartet, während seine Mutter im Haus blieb und um ein Wunder betete. Dann kehrte das Boot mit seiner grausigen Fracht zurück.

Ein Onkel, der gemeinsam mit seinem Vater zum Fischen aufs Meer gefahren war, hatte ihm die traurige Nachricht überbracht. Er hatte den kleinen Jungen eine Weile weinen lassen, bevor er ihm sagte, dass er von nun an stark sein müsse. Der Priester des Ortes nahm es auf sich, mit seiner Mutter zu sprechen.

Xante konnte sich nicht erinnern, wie er an jenem Tag nach Hause gekommen war. Vielleicht hatte ihn ein Wagen mitgenommen, er wusste es nicht.

Woran er sich erinnerte, war der Schock, das Haus zu betreten und seine Mutter von Kopf bis Fuß in Schwarz zu sehen.

Sie war erst Mitte zwanzig, aber an diesem Tag schien sie um dreißig Jahre gealtert zu sein. Jede Farbe, jede Freude am Leben war aus ihr gewichen.

An jenem Tag hatte er nicht nur seinen Vater verloren, sondern auch das fröhliche Lachen seiner Mutter.

Wie sehr wünschte er es sich seither zurück! Wünschte, sie würde wieder ihre hübschen Röcke mit den Blumenmuster anziehen und die weißen Tops aus Baumwolle. Sehnte sich nach den Locken, die sie nun unter einem schwarzen Tuch versteckte. Hoffte, sie wieder geschminkt zu sehen und ihr Parfüm zu riechen.

Aber seine Mutter hüllte sich und ihr Haus in Trauer.

Mit vierzehn fand Xante eine Ablenkung.

Er war weit für sein Alter und schon damals recht attraktiv. Die Touristen mochten seine Stadt und strömten in Scharen auf die Insel. Die älteren Jungs erklärten ihm, wie er die Sache anzupacken hatte. Und nachdem er die Kunst des Küssens erlernt hatte, war es an der Zeit, in die Berge zu fahren. Mit einem hübschen Mädchen hinter sich auf dem Motorroller, das bunte Röcke und Make-up trug, über seine Witze lachte und die Arme um seine Taille geschlungen hatte, genoss er die Freiheit von den spießigen Regeln seiner Mutter.

Natürlich wurde er erwischt. Die Schule schrieb einen Brief und beschwerte sich über seine häufigen Fehlzeiten. Seine Mutter rief seinen Onkel an, und der entdeckte ihn in einer ziemlich kompromittierenden Situation in den Bergen. Xante wurde nach Hause zurückgeschleift und heftig verprügelt, während seine Mutter unablässig schrie, er habe Schande über ihr Haus und ihren Namen gebracht.

Eine Weile hörte er mit dem Unfug auf.

Er strengte sich in der Schule an, seine Noten besserten sich. Doch die Berge hörten nicht auf, ihn zu locken und zu rufen.

Und selbst heute noch erinnerte er sich an den Triumph, den er in seinen Tagen als Casanova empfunden hatte, wenn unter seinen Händen eine hübsche Jungfrau erblühte, oder er einer einsamen Hausfrau half, ihrem langweiligen Alltag zu entfliehen.

Eisprinzessin! Xante lächelte. So etwas gab es nicht!

Heute jedoch war er zu beschäftigt, um sich ablenken zu lassen. Er setzte sich in einen der Sessel, die in der Lounge standen, weil sein kleiner Palmcomputer seine Aufmerksamkeit forderte. Ein Kellner brachte ihm eine Tasse Kaffee. Allerdings konnte Xante nicht anders und beobachtete die schöne Unbekannte, als auch sie in die Lounge kam.

Der umsichtige Oberkellner geleitete sie zu einem Platz. Erst jetzt bemerkt er, wie nervös sie wirklich war. Ihr Blick irrte unruhig durch den Raum, was jedoch durch ihre überaus selbstsichere Ausstrahlung kaschiert wurde. Die anderen Gäste sahen nur eine elegante Frau, die gelassen und aufrecht zu ihrem Tisch schritt.

Viele Köpfe drehten sich zu ihr um, als sie vorbeiging.

Weltklassesportler, die jede Frau haben konnten – und auch hatten –, schauten ebenso auf wie Xante. Daran war nichts Anrüchiges. Auch die anwesenden Frauen sahen der Unbekannten nach. Da war etwas an ihr, das sich nicht mit einem flüchtigen Blick erfassen ließ.

Noblesse.

Ja, das war das Wort.

Feine Züge, die Haut zart wie Porzellan, die Art, wie sie saß, die Beine ein wenig schräg zur Seite, die schmalen Knöchel über Kreuz geschlagen.

Sie war kein Hotelgast, dessen war er sich jetzt sicher. Sie trug keinen Laptop bei sich und blickte auch nicht ständig auf die Uhr, als warte sie auf jemanden. Stattdessen griff sie nach der Karte und bestellte dann mit einer klaren Stimme, die eine höhere Bildung verriet, eine Tasse Tee und ein Sandwich.

Unvermittelt klingelte sein Handy. Der Anruf war wichtig, wie es alle in letzter Zeit zu sein schienen. Also nahm er ihn entgegen und sprach auf Griechisch mit seinem Börsenmakler. Die hübsche Blondine verschwand aus seinem Bewusstsein, jetzt ging es ums Geschäft … bis sie plötzlich aufstand. Diese Bewegung kostete Xante ein kleineres Vermögen. Rasch teilte er dem Makler mit, dass er sich selbst um die Konsequenzen kümmern würde, und schaltete das Telefon aus.

Die Frau schlenderte durch die Lounge auf die Schaukästen zu, in denen einige Erinnerungsstücke aus der Welt des Rugby ausgestellt waren. Xante vermutete, dass sie erst kürzlich Gewicht verloren hatte. Sie trug ein gut geschnittenes graues Kostüm, nur saß der Rock ein wenig zu tief auf den Hüften und das Jackett war ein bisschen zu breit für ihre Schultern. Trotzdem besaß sie sinnliche Kurven an den Stellen, auf die es ankam. Er erspähte einen kleinen, wohlgerundeten Po, und als sie das Jackett auszog, gewährte sie ihm dabei – unbewusst – einen kurzen Blick auf herrlich weiche Brüste.

Sittsam, ja, sittsam war eine passende Beschreibung für Karin Wallis. Sie trug nur wenig Make-up, um ihre feinen Züge zu betonen. Die dichten blonden Haare waren im Nacken zu einem einfachen Knoten zusammengefasst. Der Rock reichte bis über die Knie, die Schuhe waren ein bisschen zu flach, um ihre langen Beine richtig zur Geltung zu bringen. Dennoch besaß sie Anmut und Schönheit.

Volle fünf Minuten musste Xante vorgeben, sich für eine Zeitung zu interessieren, bis er es endlich für schicklich erachtete, aufzustehen.

Beschäftigt oder nicht, entschied er, während er auf die Unbekannte zuging, für eine schöne Frau war immer Zeit.

Karin wusste nicht, weshalb sie überhaupt hier war, geschweige denn, was sie nun tun sollte.

Vier Wochen waren vergangen, bis ihr aufgefallen war, dass die Rose fehlte. Erst ein langes, unangenehmes Gespräch mit ihrem Bruder hatte die Wahrheit ans Licht gebracht: Matthew hatte das Schmuckstück verkauft.

Noch immer war Karin fassungslos über diesen Verrat. Ja, der Verkauf eines wertvollen Gemäldes, einer reich verzierten Kommode und einem Paar Ohrringe ihrer Mutter war unvermeidlich gewesen, um das Geld für das Internat aufzubringen, in dem ihre jüngere Schwester gerade ihr Abschlussjahr absolvierte. Aber die Rose? Sie hatte nicht bemerkt, dass sie von Matthew in die Verkaufsdokumente geschmuggelt worden war, die sie persönlich unterschrieben hatte.

Die mit Rubinen besetzte Anstecknadel war ihrem Großvater in dem Jahr verliehen worden, als England jedes Rugbyspiel gewonnen hatte. Sie war sein kostbarster Besitz – und Karins ebenso. Immer wieder war sie vor dem Chaos in ihrem Elternhaus geflohen und hatte ein wenig Zeit bei ihrem Großvater in Omberley Manor verbracht, dem Haus, in dem Matthew und sie jetzt wohnten. Unzählige Nachmittage hatte sie den wundervollen Märchen seiner glanzvollen Tage gelauscht. Und an jeden einzelnen erinnerte sie sich voller Liebe und Zuneigung.

Als sie fünfzehn Jahre alt war, hatte er ihr versprochen, dass die Rose nach seinem Tod ihr gehören würde. Für Karin bedeutete das Schmuckstück die letzte Verbindung zu ihrem Großvater. Außerdem repräsentierte sie alles, was ihre Familie hätte sein können. Und wenn es ihr gelang, die schmerzliche Wahrheit noch einige Zeit vor Emily zu verbergen, mochte sie auch für alles stehen, was ihre Schwester eines Tages sein würde.

Wochenlang hatte sie nach der Rose gesucht. In einigen Tagen fand in Twickenham ein offizieller Empfang statt, bei dem alte Helden des Rugbysports geehrt wurden. Natürlich wurde erwartet, dass sie die Rose mitbrachte. Nur waren ihre Nachforschungen bislang ohne Ergebnis geblieben. Alles, was sie wusste, war, dass der Käufer seine Anonymität wahren wollte, sodass sie nicht einmal sicher sein konnte, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte.

Bis heute Morgen.

Während ihrer Frühstückspause saß sie im Aufenthaltsraum der Bibliothek und las einen Zeitungsartikel über den Beginn des Six Nations Turniers im Februar. Ein kurzer Abschnitt über ein Hotel in Twickenham, in dem die englische Nationalmannschaft wohnen würde, war ihr besonders ins Auge gefallen. Der Eigentümer, ein griechischer Tycoon, besaß eine beeindruckende Sammlung von Devotionalien aus der Rugbywelt, und seine neuste Erwerbung war ihre Rose.

Karin führte ein ruhiges geordnetes Leben. Dafür hatte sie sich entschieden. Es schien ihr die bessere Wahl zu sein, als sich dem exzessiven und genusssüchtigen Lebensstil hinzugeben, der ihre Eltern letztendlich das Leben gekostet und mittlerweile auch von ihrem Bruder Besitz ergriffen hatte. Im Gegensatz zu ihm, handelte sie nur selten spontan.

Doch vor einer Stunde hatte sie genau das getan.

Einen plötzlichen Migräneanfall vorschützend, war sie in ihren Mantel geschlüpft und hatte ein Taxi angehalten. Und jetzt saß sie hier, in der Lounge eines Hotels, in dem sie sich kaum ein Sandwich leisten konnte. Den äußeren Schein zu wahren, bedeutete für die Wallis’ alles, weshalb sie diesen kleinen Snack bestellt hatte und nun versuchte, einen Plan auszuarbeiten.

Und dann entdeckte sie die Rose, weggeschlossen hinter Glas, nur ein paar Meter von ihrem Platz entfernt.

Karin stand auf und schlenderte hinüber. Einen Moment fragte sie sich, ob das wirklich ihre Rose sein konnte. Aber natürlich war sie es. Aufwendig gereinigt funkelte und strahlte sie genauso hell, wie sie es aus ihrer Kindheit erinnerte. Damals hatte sie den Kopf gegen die Vitrine gepresst und darum gebettelt, den „magischen Stein“ halten zu dürfen, wie sie das Schmuckstück immer nannte. Als sie jetzt leicht in die Knie ging, um besser sehen zu können, wurde ihr klar, dass sie sich genau wie vor all den Jahren verhielt.

„Meine Rose ist wunderschön, nicht wahr?“ Die samtige Stimme mit dem ausgeprägten Akzent rief ihr ins Gedächtnis zurück, wo sie sich befand. Rasch richtete Karin sich auf.

„Sehr“, antwortete sie knapp und presste dann die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen, als sich der Mann neben ihr als Xante Rossi vorstellte und anbot, ihr noch mehr über das Stück, über seine Geschichte zu erzählen.

„Eigentlich …“ Als sie ihn endlich ansah, brachte sie nur dieses eine Wort über die Lippen. Ihr war, als habe sie einen elektrischen Schlag erhalten. Sein Blick aus schwarzen Augen war fest auf sie gerichtet. Sie fühlte sich, als stürze sie in ein gefährliches Loch. Verzweifelt wollte sie auf die Bremse treten, irgendwie ausweichen, stattdessen stand sie einen viel zu langen Moment einfach nur da – zu fasziniert, um zu reagieren.

Normalerweise trug sie einen undurchdringlichen Schutzpanzer. Doch ihre gesamte Aufmerksamkeit hatte ganz und gar der Rose gegolten, weshalb es dem Mann gelungen war, ihre Vorsicht zu unterlaufen. Das Blut schoss ihr in die Wangen, während sie seine nachtschwarzen Haare und die aristokratische Nase betrachtete. Aber es war der Blick aus diesen dunklen Augen, der ihren eine Sekunde länger gefesselt hielt, als es schicklich war. Auf seinen vollen sinnlichen Lippen erschien ein feines Lächeln, als er ihre Reaktion begriff.

Das geht ja wie von selbst! dachte Xante triumphierend.

„Hier.“ Er schloss die Vitrine auf. Er hatte es nicht nötig anzugeben oder die Frau zu beeindrucken. Aber aus irgendeinem Grund wollte er, dass sie beeindruckt war. Insgeheim freute ihn seine letzte Neuerwerbung nämlich sehr, die rubinbesetzte Rose war das perfekte Accessoire für sein Twickenham-Hotel. „Dieses Schmuckstück verdient einen genaueren Blick. Bitte, nehmen Sie es.“

Sprachlos beobachtete Karin, wie eine Hand mit langen olivenfarbenen Fingern den goldenen Schlüssel herumdrehte. Unter dem strahlend weißen Hemdärmel kam eine schwere, teuer wirkende Uhr zum Vorschein. Der maßgeschneiderte Anzug folgte den Bewegungen des Mannes, als dieser sich vorbeugte und die Rose von ihrem Podest nahm. Sogar sein Hinterkopf war sexy. Schwarzes Haar, nicht die geringste Spur von ersten grauen Strähnen, perfekt geschnitten.

Erst als er sich wieder aufrichtete, kehrte ihre Wachsamkeit zurück. Absichtlich schaute sie ihn nicht wieder an. Er flirtete, das war ihr klar. Normalerweise starrte sie Männer nicht so an und lud sie aus gutem Grund auch nicht zum Flirten ein. Hätte er ihr die Rose nicht gereicht, hätte sie die Rechnung bezahlt und wäre gegangen.

„Entschuldigen Sie, Sir …“ Der Hotelmanager bot eine willkommene Ablenkung für Karin, wenn auch nicht für Xante. „Ein weiterer Spieler ist gerade eingetroffen.“

„Danke.“ Xante musste gehen. Es wäre sehr unhöflich, ihr die Rose jetzt wieder aus der Hand zu nehmen. Die Unbekannte schien geradezu in die Schönheit des Stücks versunken zu sein – so wie er in ihre. Sie besaß wunderschöne Augen, der einzige Farbklecks in ihrem blassen Gesicht. Ein leuchtendes Türkis, das ihn an das Ägäische Meer seiner Heimat erinnerte. Dort gab es gefährliche Untiefen, rief er sich ins Gedächtnis, nur um die Warnung gleich wieder zu ignorieren. Sie war eine Lady, da war er sich sicher. Binnen einer Sekunde traf er seine Entscheidung. Er schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. „Ich bin gleich zurück.“

2. KAPITEL

Er ließ sie einfach mit der Rose allein.

Als Xante sich umwandte, fühlte Karin sich ganz schwindelig von der unerwarteten Wendung der Ereignisse. Hergekommen war sie ohne Plan oder klare Absichten – und gerade eben hatte der Besitzer ihr das Schmuckstück in die Hand gedrückt und war gegangen.

Wenn das kein Wink des Schicksals war, dann wusste sie es auch nicht.

Karin hatte noch nie in ihrem Leben etwas gestohlen. Ja, sie hatte nicht einmal daran gedacht. Aber jetzt schoss ihr genau dieser Gedanke durch den Kopf. Herzukommen war ein spontaner Entschluss gewesen. Sie hatte den Eigentümer anflehen wollen, ihr vielleicht einen Blick auf die Rose zu gewähren. Geld, sie zurückzukaufen, besaß sie nicht. Matthew hatte alles ausgegeben, bevor ihr überhaupt klar wurde, dass sie Rose fehlte.

Und jetzt stand sie hier, hielt die Kostbarkeit in den Händen, und dieser Mann hatte keine Ahnung, wer sie war.

Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Was sollte sie tun?

Die Rose gehört meiner Familie, überlegte Karin fieberhaft. Sie war der Besitz ihres Großvaters. Und dieser griechische Milliardär hatte sie in einer blöden Auktion ersteigert! War mit seinen Säcken voll Geld gekommen und glaubte, daraus das Recht ableiten zu können, sie zu besitzen und auszustellen … Nein, die Rose gehörte ihm nicht!

Zu ihrer Rechten befand sich ein Notausgang. Dummerweise lag ihr Mantel an der Rezeption.

Es ist doch bloß ein Mantel! Ihre Gedanken rasten. Ein Schweißtröpfchen perlte zwischen ihren Brüsten entlang, als sie langsam auf die Tür zu schlenderte. Bestimmt wusste jeder in der Lounge, was sie vorhatte. Unauffällig schaute sie sich um. Niemand regte sich, alle verhielten sich ganz normal. Mit einem letzten verstohlenen Blick gab Karin sich zum zweiten Mal an diesem Tag einer spontanen Eingebung hin.

Sie drückte die Tür auf und trat ins Freie. Kühle Luft traf auf ihre glühenden Wangen. Karin rannte los. Angetrieben von Schuld und Scham rempelte sie die entgegenkommenden Passanten an, trat in Pfützen, dreckiges kaltes Wasser spritzte auf ihre Strumpfhose. Ihre Lungen fühlten sich an, als würden sie jeden Moment platzen. Plötzlich explodierten Sterne in ihrem Kopf, als ihr Lauf ein abruptes Ende fand. Starke Arme schlangen sich um ihren Leib und rissen sie zu Boden.

Der Mann, der sie zu Fall gebracht hatte, fragte: „Wohin wollen wir denn so eilig?“

Karin wusste sofort, wer er war: der Kapitän der englischen Rugbymannschaft. Sie betete inbrünstig, er würde sie nicht wiedererkennen. Starr vor Schreck blieb sie liegen. Laufmaschen zierten ihre Strümpfe, eine Schürfwunde am Knie blutete leicht. Grob zog der Kapitän sie auf die Füße. Sie glaubte zu spüren, wie ihr Großvater sich im Grab herumdrehte, weil seine Enkelin, auf die er immer so stolz gewesen war, von einem seiner geliebten englischen Spieler im Polizeigriff ins Hotel zurückgeführt wurde.

Es war der peinlichste Gang ihres Lebens. Aber weil es Xante Rossis Hotel war, wurde der Zwischenfall zumindest mit einer gewissen Diskretion behandelt. Sogar einem gewöhnlichen Dieb wurde ein Rest Würde zuteil.

Ihr blieb die Schande erspart, ihr Vergehen vor aller Augen im Foyer diskutieren zu müssen. Stattdessen wurden sie und der Mannschaftskapitän in ein Büro geführt. Während jemand die Tür hinter ihr schloss, hörte sie in der Ferne schon das Aufheulen von Polizeisirenen. Der Hoteldirektor starrte sie finster an, der Kapitän musterte sie verächtlich.

„Es ist nicht so, wie es aussieht“, krächzte sie, wobei sie die Rose noch immer fest umklammert hielt.

„Ich würde sagen, es ist genau so, wie es aussieht“, erwiderte der Kapitän.

„Warten wir doch einfach auf die Polizei“, meinte der Direktor höflich.

Xante hingegen bekam von den Ereignissen kaum etwas mit. Während er mit seinen Gästen plauderte, bemerkte er nur eine gewisse Unruhe in der Lobby. Stirnrunzelnd schaute er zu Albert hinüber, als ihm auffiel, dass die Unbekannte fort war. Dabei dachte er allerdings nur an die Frau, nicht an das Schmuckstück.

Und dann hatte Albert ihm diskret die Neuigkeit zugeflüstert.

Xante kochte vor Wut.

Nicht nur wegen des Diebstahls, nicht wegen der Frau, sondern wegen sich selbst.

Er las in Frauen wie in offenen Büchern. Schon als Jugendlicher hatte er seine Erfolge genossen. Und nach der Trennung von Athena hatte er seine Fähigkeiten perfektioniert, fest entschlossen, sich nie wieder so täuschen zu lassen. Doch Karin Wallis war genau das gerade gelungen.

Er würde sie anzeigen! Mit einem Gesicht gleich einer Gewitterwolke stürmte er, ohne anzuklopfen, in das Büro des Hoteldirektors. Er würde dafür sorgen, dass sie die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekam. Schauen wir mal, wie damenhaft sie aussieht, wenn man sie auf den Rücksitz eines Polizeiwagens verfrachtet, dachte Xante, als er die Tür hinter sich zuknallte.

Und dann sah er sie.

Die Wangen kalkweiß, Schlammspritzer auf Stirn und Nase, die Augen weit aufgerissen. Nervös wippten ihre Beine auf und ab. Ihr Knie blutete. In diesem Moment erinnerte Xante sich daran, weshalb ihm ihr Name so bekannt vorgekommen war.

Wallis.

Die Rose, die er gekauft hatte, war dem großen Henry Wallis verliehen worden … und nun saß die gierige Verkäuferin vor ihm. Selbst ihn hatte der ungewöhnlich hohe Preis überrascht, der für das Schmuckstück verlangt worden war. Doch sein Jagdinstinkt war nun mal geweckt, und er hatte die Summe bezahlt. Nun schien es, als habe die grünäugige Hexe entschieden, sie wolle sie zurück.

Diese Frau machte ihn krank!

„Ich habe gesehen, wie sie abgehauen ist“, erklärte der Kapitän. „Ich habe sie verfolgt.“

„Karin?“, wandte Xante sich an die Diebin, als wolle er ihre Version hören. Verwirrt schaute sie auf. Woher, las er die Frage in ihren Augen, kannte er ihren Namen? Xantes Gedanken rasten. Henry Wallis war eine Legende. Eine Legende, die es verdiente, beschützt zu werden. Ursprünglich hatte er Anzeige erstatten wollen, aber da das gesamte Rugbyteam in seinem Hotel wohnte, konnte er auf diese Art Publicity sehr gut verzichten. Nein. Er blickte in Karins grün schimmernde Augen und beschloss, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.

„Es tut mir leid.“ Ihre Zähne klapperten so heftig, sie brachte die Worte kaum über die Lippen. „Bitte, ich werde alles tun …“

Na also, damit konnte er arbeiten!

Autor

Carol Marinelli
<p>Carol Marinelli wurde in England geboren. Gemeinsam mit ihren schottischen Eltern und den beiden Schwestern verbrachte sie viele glückliche Sommermonate in den Highlands. Nach der Schule besuchte Carol einen Sekretärinnenkurs und lernte dabei vor allem eines: Dass sie nie im Leben Sekretärin werden wollte! Also machte sie eine Ausbildung zur...
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