Flieh niemals vor dem Glück!

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Kurz vor ihrer High-Society-Hochzeit versucht die freiheitsliebende Thea zu fliehen: Sie will nicht von ihrem kaltherzigen Vater gezwungen werden, den mächtigen Christo Callas zu heiraten. Doch Christo ist schneller! Er erpresst sie, mit ihm vor den Altar zu treten. Thea sollte ihn hassen. Aber je länger sie mit dem erfolgsverwöhnten Reeder verheiratet ist, desto mehr glaubt sie an Liebe. Weshalb ihr Herz bricht, als Christo sie großmütig freigibt! Er ist sich sicher, dass sie das ersehnt. Dabei will sie doch nur ihn …


  • Erscheinungstag 09.02.2021
  • Bandnummer 2478
  • ISBN / Artikelnummer 9783733718527
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Nur raus aus diesem Teil! Verzweifelt kämpfte Thea sich im Dunkeln aus dem Hochzeitskleid, das zu tragen man sie gezwungen hatte. Ihre Finger zitterten, als sie an der Schleife des fest geschnürten Oberteils in ihrem Nacken zerrte. Ihr Atem ging heftig, und der süße Duft der Zitrusblüten in ihrem Brautstrauß drohte sie zu überwältigen. Jetzt musste alles schnell gehen. Wenn sie ihren Plan in die Tat umsetzen wollte, durfte sie keine Zeit verlieren – und sich nicht den kleinsten Fehler erlauben.

„Das wird nicht funktionieren“, hörte sie eine verzagte Stimme.

In der Ecke des Zimmers stand ihre beste Freundin, das Gesicht hinter der breiten Krempe eines Hutes verborgen.

Thea wandte sich ihr zu. „Doch, das wird es, Elena.“

Es musste funktionieren. Es war der einzige Ausweg. Draußen warteten die Hochzeitsgäste und der Mann, der nun ein Anrecht auf sie hatte. Thea erschauderte. Er würde nichts von ihr bekommen, ihre Seele nicht und auch nicht ihren Körper. Sie würde ihm entkommen und es ihnen allen zeigen.

„Wie sehe ich aus?“ Elena bewegte sich in den Streifen schwachen Lichts, das zwischen den dicken Vorhängen von der spärlich beleuchteten Gasse hereindrang. Sie strich die cremefarbene Seide ihres knielangen Kleides glatt – jenes Kleides, das Thea jetzt eigentlich tragen sollte.

„Perfekt. Keiner wird etwas merken.“

Bis sie über alle Berge war.

Elena sah ihr zum Verwechseln ähnlich. Das hatte Thea schon früher hin und wieder ausgenutzt, um sich ein wenig Freiheit zu verschaffen. Und nun würde sie endgültig entkommen.

Thea drückte ihre Freundin fest an sich. „Danke. Hierfür. Für alles.“

Elena erwiderte die Umarmung, bevor sie sich losmachte und sich die Augen rieb. „Und jetzt lass uns zusehen, dass du aus diesem Kleid rauskommst und dich aus dem Staub machst“, sagte sie und begann, die Bänder von Theas Oberteil zu lösen. „Können wir nicht das Licht anmachen?“, flüsterte sie. „Wenn ich nichts sehe, dauert das ewig.“

„Aber was, wenn jemand reinkommt? Im Dunkeln kann man uns nicht erkennen. So, lass uns noch einmal durchgehen, was du machst.“

„Ich durchquere den Raum auf dem kürzesten Weg und halte dabei den Kopf so, dass die Hutkrempe mein Gesicht verbirgt. Wenn mich jemand anspricht, verstecke ich mich hinter einem Taschentuch und tue so, als würde ich vor Glück weinen.“

Endlich rutschte das Oberteil des Kleides herunter, doch das Korsett darunter zwängte Thea noch immer ein. Elena versuchte, es zu öffnen.

„Dafür haben wir keine Zeit“, sagte Thea und machte sich auf die Suche nach ihren Anziehsachen. „Es wird klappen. Die Leute wissen ja, was ich trage, wenn ich von hier aufbreche. Sie werden nach dem Kleid und dem Hut Ausschau halten, nicht nach mir.“

„Aber Christo …“

Christo Callas. Ihr Ehemann.

Als Thea an den Patzer dachte, den sie sich eben vor dem Altar erlaubt hatte, stockte ihr kurz das Herz. Christo hatte ihren Schleier angehoben und sie mit seinen olivgrünen Augen angesehen, und es war ihr nicht gelungen, ihre Bitterkeit darüber zu verbergen, dass sie sich auf diese Hochzeit eingelassen hatte, um ihren Halbbruder Alexis zu retten. Ihre Wut darüber, dass er sie quasi gekauft hatte. Und er hatte einen Moment lang gezögert. Fast so, als wüsste er Bescheid.

Also hatte sie gelächelt und auf den Kuss gewartet, der Thea Lambros in Thea Callas verwandeln würde. Und zu ihrem Schrecken hatte sich der Kuss seiner warmen weichen Lippen wie ein Einverständnis angefühlt.

Energisch wischte sie sich mit dem Handrücken über den Mund, um das sonderbare Kribbeln zu vertreiben, das sich bei der Erinnerung auf ihre Lippen gelegt hatte.

„Thea?“

„Christo wird es auch nicht merken.“ Thea drückte ihrer Freundin den Brautstrauß in die Hand. „Er ist nur daran interessiert, verheiratet zu sein, nicht an mir. Für Männer wie ihn sind die Frauen austauschbar.“

Für Christo wäre sie nur eine Ware. Genau wie für ihren Vater, der ihr deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass ihre Hochzeit Teil eines seiner Geschäfte war. Wenn sie sich nicht darauf eingelassen hätte, hätte er Alexis ins Gefängnis gebracht.

Doch nun, nachdem sie die Freiheit ihres Halbbruders erkauft hatte, konnte sie Reißaus nehmen.

„Ich hoffe, dass du recht hast“, antwortete Elena.

Thea schlüpfte aus dem Kleid und warf es in eine Ecke. „Ich habe halt der Stellenbeschreibung entsprochen“, sagte sie und zog ein schwarzes Stricktop über das Korsett. „Eine fügsame Bettgenossin.“ Bei dem bloßen Gedanken kochte ihr Blut vor Wut. Diese Rolle würde sie nicht spielen. Für keinen Mann der Welt.

Sie zog ihre schwere Lederjacke an, schloss den Reißverschluss und die Schnallen. Ihre Jeans und ihre Stiefel hatte sie unter dem Kleid hereingeschmuggelt, das jetzt in der Ecke zusammensackte.

Nun war es fast soweit.

Thea ging zu Elena und fasste sie an den Händen. „Bist du sicher, dass du das hinbekommst?“ Sie drückte die Finger ihrer Freundin. „Willst du das wirklich für mich tun?“

Elena erwiderte den Druck. „Du bist wie eine Schwester für mich. Ich würde alles für dich tun. Ich komme schon klar. Es wird Zeit, dass du dein Leben lebst. Du warst lange genug eingesperrt.“

In dem Gefängnis, das ihre Familie für sie gewesen war.

Den größten Teil ihres dreiundzwanzigjährigen Lebens hatte sie nur ihren einen Bruder gekannt. Demetri. Ein brutaler Fiesling im feinen Zwirn. Er hatte ihrem Vater als Mann fürs Grobe gedient, und Thea war sein liebstes Opfer gewesen. Tito hatte das nicht gestört. Er hatte nichts für seine kleine Tochter übriggehabt, die ihrer Mutter viel zu ähnlich gesehen hatte. Der Frau, die die Dreistigkeit besessen hatte, ihn zu verlassen.

Sie zog ihr Telefon aus der Hosentasche. Nachdem Alexis sich vor zwei Jahren als Bodyguard bei ihnen eingeschmuggelt hatte, war es fast erträglich gewesen. Seine Anwesenheit hatte sie durchhalten lassen. Doch seit heute Morgen antwortete er nicht mehr auf ihre Textnachrichten.

Elena runzelte die Stirn. „Immer noch nichts?“

„Nein. Aber es wird schon alles in Ordnung sein.“ Thea kaute auf ihrer Unterlippe herum, bis sie Blut schmeckte. Sicher hatte er Athen schon verlassen. Es war sehr schmerzhaft für sie gewesen, sich auf unbestimmte Zeit von ihm verabschieden zu müssen. Doch die Gewissheit, dass sie ihn mit ihrer Hochzeit befreit hatte, gab ihr Kraft.

Sie atmete tief durch. „Jetzt aber weiter in unserem Schlachtplan. Also, was sagst du, wenn Christo es merkt?“ Denn Elena würde auffliegen, das stand fest. Es war lediglich eine Frage der Zeit.

„Dass du einen Mietwagen genommen hast und auf dem Weg nach Karpathos bist, um das Grab deiner Mutter zu besuchen“, antwortete Elena.

Thea seufzte. „Ich finde es schrecklich, Mamas Angedenken so auszunutzen.“

„Denk nicht weiter daran. Maria hätte es gutgeheißen. Hauptsache, du kommst von diesen schrecklichen Männern weg“, antwortete Elena und lächelte zum ersten Mal an diesem traurigen Tag. „Kannst du mir wirklich nicht sagen, wo du hingehst?“

„Nein. Es ist sicherer so.“ Nicht nur für sie, sondern auch für Elena. Sie nahm den Motorradhelm und zögerte. „Wie in drei Gottes Namen kriege ich den Helm über diese dumme Frisur?“ Die Friseurin hatte eine halbe Ewigkeit gebraucht, um die Haare zu flechten und hochstecken.

Elena zupfte an einer der kunstvoll hochfrisierten Strähnen. „All die Haarnadeln rauszuziehen würde schon eine Stunde dauern.“

„Dafür haben wir keine Zeit. Ich muss es so hinkriegen. Wie lange sind wir jetzt schon hier drin?“

Elena sah auf die Uhr. „Nicht lange. Es wird nicht auffallen. Die Leute wissen ja, dass du dich umziehst. Außerdem ist das Fest ja vorbei, sobald du gehst. Das will keiner von ihnen.“

Tatsächlich kannte Thea kaum jemanden von den Gästen. Die meisten waren Geschäftsfreunde ihres Vaters und nur am Essen, dem Alkohol und am Feiern interessiert.

„Das werde ich dir nie vergessen. Sobald ich in Sicherheit bin, versuche ich, dich wissen zu lassen, wo ich bin.“ Thea schluckte gegen den Kloß an, der ihr in die Kehle gestiegen war. Es gab nur wenige Personen, die sie liebte. Elena. Alexis. Die Vorstellung, sie zu verlassen, zerriss ihr das Herz.

„Ich nehme dich beim Wort. Eines Tages, wenn wir beide Großmütter sind, werden wir über diesen Tag lachen“, antwortete Elena, kramte in ihrer Tasche herum und reichte ihr einen Umschlag. „Hier, vergiss das nicht. Pass, Geld, Bankverbindung. Und jetzt geh und werde glücklich.“

Thea zögerte, steckte eine Hand in die Jackentasche und tastete nach der Kette mit dem Christophorus-Amulett, die sie als Kind von ihrer Mutter geschenkt bekommen hatte. Dann nahm sie ihre Motorradhandschuhe und den eingeschmuggelten Rucksack und ging zu der Tür, die auf die Gasse hinausführte, in der ihr Motorrad versteckt war. Es war Thea gelungen, den Geschäftsführer der Räumlichkeiten zu überreden, sie offen zu lassen – unter dem Vorwand, dass eine Überraschung für den Bräutigam geliefert werden solle.

„Moment“, raunte Elena eindringlich.

Thea fuhr herum. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Hatte man sie entdeckt?

Doch im spärlichen Licht, das in den Raum drang, sah sie nur die Silhouette ihrer Freundin. „Was ist?“

„Die Ringe!“

Wie hatte sie die nur vergessen können? Thea zog den Verlobungsring mit dem dicken Diamanten und den brillantbesetzten Ehering vom Finger und gab sie ihrer Freundin.

Es wurde Zeit, dass sie hier wegkam.

„Und hiermit ist diese Farce beendet“, hörte sie eine tiefe Stimme sagen.

Christo schaltete das Licht an. Der Raum mit den goldverzierten Möbeln und den brokatbezogenen Wänden passte so gar nicht zu dem eigenartigen Treiben der beiden Frauen, die wie angewurzelt dastanden und ihn mit großen Augen anstarrten.

Er hatte sich das seltsame Schauspiel in Ruhe bis zum Ende angesehen. Sie wäre nicht hier rausgekommen; er hatte jemanden von seinem Sicherheitspersonal hinter der Tür postiert.

Er streckte die Hand aus und nickte Elena zu. Sie legte den Brautstrauß beiseite und gab ihm die Ringe. Hunderttausende von Euros, die Thea achtlos weggegeben hatte.

Christo steckte die Ringe in seine Hosentasche. „Lass uns allein“, sagte er ruhig zu Theas Brautjungfer.

„Nein. Ich bleibe hier.“

Seufzend zog er sein Telefon hervor und drückte eine Kurzwahltaste. „Raul“, sagte er, „ich brauche dich. Miss Drakos möchte tanzen.“

Sobald er Elena los wäre, würde er sich um Thea kümmern. Aus den Augenwinkeln sah er, dass sie stocksteif dastand und in Richtung Tür schaute. Würde sie versuchen abzuhauen, oder würde sie sich ihm stellen? Er vermutete Ersteres und hoffte Letzteres. Warum, wusste er nicht so genau. Er war es gewohnt, dass Frauen die Flucht ergriffen, wenn die Dinge nicht so liefen, wie sie es sich wünschten. Seine Mutter war das beste Beispiel dafür gewesen.

Raul, sein Sicherheitschef und Trauzeuge, erschien in der Tür. Elena war Trauzeugin und musste ohnehin früher oder später mit ihm tanzen. Jetzt war der perfekte Zeitpunkt dafür gekommen.

„Elena bleibt“, zischte Thea in einem giftigen Ton, der ihm einen Schauer über den Rücken jagte.

Christo ignorierte es. „Elena, du tanzt jetzt mit Raul.“ Er zweifelte nicht daran, dass sie gehen würde. Die Leute gehorchten ihm – immer. Tatsächlich setzte Elena ihren albernen Hut ab und verließ den Raum mit einem kläglichen, an Thea gerichteten „Tut mir leid …“ Wie rührend!

Christo wandte sich seiner Braut zu, die nicht einen Millimeter von der Stelle gewichen war und ihn hocherhobenen Hauptes ansah. Ihre Lederjacke und die Jeans bildeten einen interessanten Kontrast zu ihrem kunstvoll frisieren Haar. Eine aufregende Mischung, die ihm zu Kopf stieg.

„Wie lange bist du schon hier?“, fragte sie.

„Lange genug.“

„Und du hast uns beim Umziehen zugesehen?“

Er zuckte mit den Schultern. „Da gab es nichts zu sehen.“ Sie war ja schon halb angezogen gewesen. Trotzdem hatte ihr Anblick ihn selbst im Dunkeln geblendet. Ihre weiblichen Rundungen und die schmale Taille. Ihre Jeans und die schweren Stiefel, die auf erfrischende Weise von der festlichen Frisur abstachen … Sie hatte sich in jeder Hinsicht als interessant erwiesen.

„Ich hätte dich nicht geheiratet, wenn ich geahnt hätte, dass du einer bist, der rumschleicht und Leute belauscht. Solchen Typen ist nicht zu trauen.“

Er lachte. „Dass ich rumschleiche, hat mir tatsächlich noch nie jemand vorgeworfen.“

Sein Gelächter schien Thea noch zu ermutigen. Sie machte einen Schritt auf ihn zu. Noch immer hielt sie ihre Handschuhe, ihren Helm und einen weißen Umschlag in den Händen.

Er hatte es auf den Umschlag abgesehen. Doch anstatt ihn gleich an sich zu nehmen, gestattete er ihr noch eine Frage. Er sah ihr an, dass sie ihn etwas fragen wollte.

„Wie hast du es herausgefunden?“, fragte sie schließlich mit gesenkten Lidern und einer Stimme, die ebenso verführerisch wie schmeichlerisch war. Ein wenig unterwürfig. Wäre sie ihm näher gewesen, hätte sie garantiert eine Hand auf seine gelegt, ihm in die Augen geschaut und vielleicht sogar ein paar Krokodilstränen geweint. Diese subtile Art der Beeinflussung kannte er nur zu gut.

Und er hasste sie.

„Vorsicht, Thea. Ich mag es nicht, wenn man mir etwas vormacht.“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich mache dir nichts vor.“

„So? Und was sollte das hier dann werden?“

Sie hatte Temperament, das stand fest. Als er ihren Schleier angehoben hatte, hatte er es gesehen. Diese Augen … ihr Blick war voller Hass gewesen. Fast wäre er angesichts der wilden Kreatur, die er in ihr erkannt hatte, zurückgezuckt. Doch dann hatten sich ihre Züge entspannt, und die Verachtung war aus ihrem Blick gewichen.

Danach, während des Hochzeitsempfangs, waren sie und ihre Freundin immer wieder in diesem Raum verschwunden. Und nach einem dieser Ausflüge hatte Theas Kleid anders gesessen. Also hatte er Raul unterrichtet und einen Posten an der Hintertür aufstellen lassen.

Vielleicht war es unter seiner Würde, dass er sich in diesen Raum geschlichen und im Dunkeln gewartet hatte. Aber er hatte mit eigenen Augen sehen wollen, dass sie ihn hinterging. Als Mahnung, dass er ihr nicht über den Weg trauen durfte.

„Was das werden sollte? Ich wollte dir weglaufen, weiter nichts.“

Ihre Worte versetzten ihm einen Stich, obwohl er Zurückweisung gewohnt war. Seine Eltern hatten ihn nicht geliebt und ihn als Zankapfel benutzt. In seiner Jugend hatte ihm das wehgetan, doch jetzt konnte es ihm nichts mehr anhaben. Er würde nie wieder jemanden um Zuneigung anbetteln. Für ihn zählten nur noch Geld und messbarer Erfolg. Und Atlas Shipping, die Reederei, die sein Großvater gegründet hatte, war das Einzige, das ihn dafür entschädigte, dass er in seine unselige Familie hineingeboren worden war.

Christo ging auf Thea zu, die ein gutes Stück kleiner war als er. Mit einem Meter fünfundneunzig überragte er fast alle Leute. Viele hätten diese Größe ausgenutzt, doch er war nicht der Typ, der andere absichtlich einschüchterte. Er versuchte sich an einem versöhnlichen Lächeln. Doch Thea sah ihn nur mit ausdrucksloser Miene an.

„Du wolltest mir weglaufen, aber du bist noch hier.“ Er nahm ihr den Umschlag ab und steckte ihn in die Innentasche seines Jacketts.

Damit hatte Thea offensichtlich nicht gerechnet. Erschrocken sah sie ihn an.

Man hatte sie um ihre Freiheit gebracht, genau wie ihn. Vielleicht würde sie ihn ja verstehen. Er hatte fast ein wenig Mitleid mit ihr, aber Sentimentalität war hier fehl am Platz. Möglicherweise würde er das, was er jetzt tun musste, bereuen. Aber sicher nicht heute Abend.

„Warte. Nicht … ich kann nicht …“ Ihre Stimme bebte.

Doch er ließ sich nicht beirren. Er hatte keine Wahl. Das würde sie schon bald verstehen, und wenn sie sich seinen Bedingungen fügte, würden sie bestimmt miteinander klarkommen.

„Dachtest du wirklich, dass dein Plan aufgehen würde?“, fragte er in einem Ton, von dem er wusste, dass er selbst erwachsene Männer zum Einknicken bringen konnte. „Dass ich nicht merken würde, dass sich unter diesem albernen Hut eine andere verbirgt?“

Sie legte den Helm und ihre Handschuhe auf einen Sessel und strich sich eine lose Strähne hinters Ohr. „Du vielleicht, aber die Gäste nicht. Die wollten einfach nur eine Braut sehen.“

Ihr selbstbewusstes Auftreten war fehl am Platze. Er umfasste ihr Kinn. Ihre makellose Haut fühlte sich weich und warm an. Sie kniff die Lippen zusammen und wich keinen Millimeter zurück.

„Aber ich will dich sehen“, sagte er. „Deine cognacfarbenen Augen. Deine honigfarbene Haut. Dein schokoladenfarbenes Haar. Und ich erkenne dich. An deinem selbstbewussten Gang und deinem unbeirrbaren Blick.“

Sie funkelte ihn herausfordernd an. Zu gern hätte er sie gereizt, um zu sehen, wie sie explodierte. Doch das tat er nicht. Er ließ sich nicht von Frauen manipulieren wie sein schwacher Vater. Der eine Frau geheiratet hatte, die vorgab, ihn zu lieben.

Doch als Thea ihren wundervollen Mund ein wenig öffnete, während ihre Pupillen sich weiteten, konnte er nicht anders, als sich vorzubeugen, sie an den Schultern zu fassen und sie zu küssen. Um zu sehen, was passierte.

Sie seufzte auf, als er seine Lippen von ihren löste.

Seine Lippen glühten von dem Kuss. Er ließ Thea los. Diese neue, entflammte Thea. „Elena ist ein hübsches dunkelhaariges Mädchen mit braunen Augen“, sagte er. „Aber sie würde niemals als du durchgehen.“

Mit zitternden Fingern berührte sie ihre Lippen. Er drückte ihr die Ringe in die freie Hand. Thea sah ihn mit großen Augen an und wurde leichenblass.

Den Ausdruck kannte er. Sie hatte panische Angst.

So hatte er selbst empfunden, als er erfuhr, dass er heiraten musste. Christo hatte sich geschworen, niemals zu heiraten, aber die Versäumnisse seines Vaters hatten es unumgänglich gemacht. Hector hatte einen Kredit bei Theas Vater aufgenommen und die hohen Zinsen nicht zahlen können. Schließlich hatte der Mann von Hector verlangt, Christo mit seiner Tochter zu verheiraten, um eine Zwangsvollstreckung abzuwenden.

Christo wollte diese Ehe genauso wenig wie Thea. Aber so sehr ihm das Ganze zuwider war – er musste es tun, um das ihm zustehende Erbe zu retten – die Reederei, die sein Vater fast zerstört hatte.

„Es hätte funktioniert“, sagte sie leise.

„Vielleicht bei einem anderen. Aber nicht bei mir.“

„Was macht dich da so sicher?“

„Ich durchschaue die Menschen.“ Seine Menschenkenntnis hatte er sich als Kind angeeignet. Damals war es sinnvoll gewesen zu wissen, wann er sich vor seiner feindseligen Mutter verstecken oder seinem launischen Vater aus dem Weg gehen musste. „Das ist das Geheimnis meines Erfolgs.“

„Eingebildet bist du ja nicht gerade.“

„Und wenn schon – ich habe allen Grund dazu.“ Er ging an ihr vorbei, öffnete die Tür, bat den Mann herein, den er draußen postiert hatte, und trat beiseite, sodass sie den bulligen Leibwächter sehen konnte. „Wie du siehst, wärest du mir nicht entkommen. Ich habe alle Ausgänge bewachen lassen. Dein Motorrad steht in meiner Garage. Dein Plan war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Finde dich einfach damit ab.“ Er nickte seinem Bodyguard zu, der wieder hinausging.

Thea sah dem Mann hinterher und wirkte dabei, als würde ihr langsam dämmern, in welcher Lage sie sich befand. „Das hier ist doch nur eine Scheinehe. Ich werde nicht bei dir bleiben.“

Bis zu einem gewissen Punkt sah er das genauso. Doch noch konnte er sie nicht ziehen lassen. „Soll ich dich wieder der liebevollen Fürsorge deines Vaters überlassen?“ Christo war sicher, dass der Mann nicht eine Faser Güte in sich hatte.

„Nein. Du sollst mich gehen lassen.“

Er wusste, was man sich über Tito Lambros erzählte. Es hieß, dass er grausam und rachsüchtig sei. Es machte Christo wütend, dass seine Zukunft in den Händen eines solchen Mannes lag, und er hasste seinen Vater dafür, ihn mit seiner Nachlässigkeit in diese Lage gebracht zu haben.

Es gab einiges, das er über ihre Familie in Erfahrung bringen musste, aber das hatte noch Zeit. Jetzt musste er Thea erst einmal entgegenkommen. „Du kommst erst einmal mit mir. Dann besprechen wir, wie wir mit der Situation umgehen. Aber nun müssen wir aufbrechen. Zusammen.“

Sie sah an sich hinunter. „So kann ich nicht gehen.“

Er konnte keine weitere Verzögerung zulassen. „Du siehst super aus. Dein Aufzug ist etwas dramatisch, aber das passt ja ganz gut zu dir. Unser Abgang wird unvergesslich sein. Und denk an die Ringe.“

Mit trotzigem Blick steckte sie die Ringe an. Christo hatte gewonnen.

Als er ihr den Arm bot, zögerte sie kurz, bevor sie sich bei ihm einhakte. Sie war stocksteif, und doch passte ihr Körper auf berückende Weise zu seinem. Das war sonderbar berauschend. Sein Puls beschleunigte sich. „Und jetzt lächle.“

Sie verzog das Gesicht zu einer spöttischen Grimasse.

Er beugte sich vor und flüsterte: „So, als würdest du es so meinen, koukla mou.“

„Ich lächle, wenn du das sagst, als würdest du es so meinen, Christo.“

Wieder musste er lachen.

Dieses Mal kam es nicht so holperig heraus, es fühlte sich vertrauter an, wie eine vergessene Erinnerung. Doch die Wärme, die sich in seinem Brustkorb ausbreitete, war echt. Entgegen seiner Erwartung war er gern mit Thea zusammen. Vielleicht ein wenig zu gern …

2. KAPITEL

Thea hatte sich in eine Ecke der Limousine gedrückt, um den größtmöglichen Abstand zwischen sich und ihren frischangetrauten Gatten zu bringen. Fieberhaft überlegte sie, wie sie an den weißen Umschlag kommen sollte, der in der Innentasche seines Jacketts steckte.

Sie musterte Christo aus den Augenwinkeln. Das kalte Licht seines Telefons erhellte sein Gesicht. Er sah unglaublich gut aus mit seiner geraden Nase, dem kantigen Kinn und den markanten Wangenknochen. Einen Bildhauer hätte der Anblick zum Schwärmen gebracht. Sie hingegen ärgerte es, dass er so perfekt war.

Vielleicht sollte sie einfach so tun, als wolle sie ihn verführen? Immerhin hatten sie heute geheiratet. Sie könnte ihm etwas zuflüstern, ihn küssen und eine Hand unter sein Jackett schieben …

Christo tippte etwas in sein Telefon ein und verzog verdrossen den Mund. Den Mund, mit dem er sie heute zweimal geküsst hatte. Einmal kurz und züchtig vor dem Altar. Und dann dieses unerwartete zweite Mal, bei dem ihre Lippen zu kribbeln angefangen hatten, als habe man sie unter Strom gesetzt.

Sie kribbelten noch immer.

Thea schüttelte den Kopf, woraufhin ein paar Reiskörner aus ihrem Haar auf den Sitz rieselten. Selbst wenn es ihr gelänge, den Umschlag an sich zu nehmen – was würde es bringen? Er war vorbereitet und würde sie aufhalten. Nein, sie musste die Sache anders angehen. „Wo fahren wir eigentlich hin?“, fragte sie.

„Nach Hause.“

„Keine Hochzeitsreise? Christo Callas, romantisch wie immer“, sagte sie und legte eine Hand auf ihr Herz. „Was bin ich für ein Glückspilz.“

„Du willst Romantik?“, gab er spöttisch zurück. „Du bist doch diejenige, die versucht hat, mir wegzulaufen. Hättest du das nicht getan, wären wir jetzt auf dem Weg in die Flitterwochen auf meiner Insel.“

„Soll das heißen, dass du mich mit einem Ausflug ans Meer entschädigt hättest, wenn ich brav meine Freiheit aufgegeben hätte? Wie großzügig von dir!“

Er sah aus dem Fenster. Der Schein der Lichter der Stadt gab seinem Gesicht einen goldenen Schimmer. Thea hielt die Luft an. Sie war so gefesselt von seinem Anblick, dass sie einen Moment lang vergaß, wer er war.

„Eine Insel im Ionischen Meer, ein Haus in den Bergen, eine Jacht, die gerade vor Monaco liegt, und eine Wohnung in New York. Du hättest überall mit meinem Privatjet hinfliegen können. Und nicht nur das. Es gibt vielerlei Arten, brave Mädchen zu entschädigen, wie du es ausdrückst.“

Thea war Reichtum gewohnt, aber nicht in diesem Ausmaß. Nachdem ihr Vater ihr unmissverständlich klargemacht hatte, dass Alexis im Gefängnis landen würde, wenn sie Christo nicht heiratete, hatte sie mit Elena darüber gesprochen, wie es wohl wäre, mit einem so steinreichen Mann verheiratet zu sein. Dass sie überall hinreisen könnte. Nach New York, wo ihre Mutter sie hatte hinnehmen wollen, bevor sie gestorben war. Als es noch Hoffnung in Theas Leben gegeben hatte. Sie war sicher, dass ihr New York gefallen würde. Doch es war klar, dass sie dafür würde bezahlen müssen. Alles hatte seinen Preis. Und bei diesem Geschäft war ihr Körper die Währung.

Doch sie war nicht käuflich. „Ich werde mich auf keinen Fall prostituieren, um ein bisschen im Mittelmeer zu baden oder eine Spritztour mit deinem Boot zu machen.“

„Mit meiner Jacht. Mit einer vierzig Mann starken Besatzung. Und es ist ja nichts Neues, dass die Ehe eine Institution zum fairen Austausch von Gütern und Dienstleistungen ist.“

Ja, die Ehe war eine unbarmherzige Einrichtung. Für Theas Mutter war sie ein Gefängnis gewesen. Genau wie für unzählige andere Frauen. Die Gattinnen von Titos Freunden, die versuchten, es ihren lieblosen Ehemännern recht zu machen, waren alle in goldenen Käfigen gefangen. Thea hatte sich geschworen, niemals in die Ehefalle zu tappen, so verlockend sie auch erscheinen mochte.

„Außerdem hättest du das das Angebot ja ablehnen können, dann hätten wir nie geheiratet“, fuhr Christo fort. „Jetzt ist es zu spät.“

„Das Angebot? Unsere Väter haben beschlossen, dass ich dich heirate, und ich bin eines Tages als deine Verlobte aufgewacht. Bitte tu nicht so, als würdest du dich für mich aufopfern.“

„Gut, aber nur wenn du aufhörst, so zu tun, als wüsstest du etwas über die Opfer, die ich bringe“, erwiderte er mit schneidender Stimme. „Man hat mir gesagt, dass du mit dem Arrangement einverstanden seiest. Hast du gehofft, dass ich vor dir niederknie und dir meine Liebe erkläre? Hätte das etwas geändert?“

Thea senkte den Kopf und spielte mit den Ringen an ihrem Finger. Zuerst hatte sie sich geweigert, dem Wunsch ihres Vaters zu entsprechen, woraufhin er ihre ohnehin schon stark eingeschränkten Freiheiten weiter beschnitten hatte. Demetri hatte zu brutaleren Mitteln gegriffen als ihr Vater. Um der Kombination aus Stubenarrest und körperlicher Züchtigung aus dem Weg zu gehen, hatte sie Tito meistens gehorcht, aber sie war tapferer geworden, nachdem Alexis zu ihnen gekommen war. Ihn als Beschützer an ihrer Seite zu wissen hatte alles erträglicher gemacht.

Doch irgendwann hatte ihr Vater begriffen, dass sie alles für Alexis getan hätte. Für ihren Halbbruder – das uneheliche Kind eines anderen, das ihre Mutter hatte weggeben müssen, als sie Theas Vater geheiratet hatte.

Thea schlang die Arme um sich und schloss die Augen.

„Wie ich es mir gedacht habe“, sagte Christo. „Du bist sauer, weil ich nicht den Märchenprinzen gespielt habe.“

„Denk doch, was du willst.“

„Das tue ich ohnehin.“

Thea machte sich bittere Vorwürfe. Sie hätte längst von zu Hause abhauen sollen. Doch sie hatte sich vorbereiten wollen, um nicht gezwungen zu sein, ein Leben in Armut zu fristen, wie ihre Mutter, nachdem sie gegangen war.

„Warum freundest du dich nicht mit dem Gedanken an, mit einem netten Mann verheiratet zu sein, der dich aushält? Das würde dein Leben viel einfacher machen.“

„Weil in meinem Leben kein Platz ist für einen netten Mann, der mich aushält.“

„Schade. Ich hätte ihn einnehmen können.“

Autor

Kali Anthony

Als Kali Anthony mit vierzehn ihren ersten Roman las, wurde ihr einiges klar: Es kann nie zu viele Happy Ends geben, und eines Tages würde sie diese selbst schreiben.

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