Für immer küss ich deine Tränen fort

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Die Trennung von Dr. Tom Hunter schmerzt die junge Hebamme Sally so sehr, dass sie ihren Job auf seiner Station kündigt und aus der Stadt fortzieht. Erst sieben Jahre später sehen sie sich wieder. Doch sofort erkennt Sally: Ich liebe Tom immer noch ...


  • Erscheinungstag 01.04.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733735814
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Scharf blies der Wind ihr ins Gesicht, während sie den Blick über die Berge schweifen ließ und den Geruch von Heimat einatmete.

So viel Zeit war vergangen.

Viel zu viel.

Als sie die Berührung an ihrem Arm spürte, drehte sie sich mit einem schuldbewussten Lächeln zu ihrer Freundin um. „Entschuldige.“

„Was denn?“

„Ich habe ganz vergessen, dass du auch noch da bist.“ Sally breitete die Arme aus und schloss die Augen. Die kalte Luft rötete ihre Wangen, und die Böen wirbelten ihr blondes Haar durcheinander. „Ein seltsames Gefühl, wieder zu Hause zu sein.“

Sie war weit herumgekommen in der Welt, doch der Lake District war immer ihre Heimat geblieben.

Die Gegend hatte für sie stets etwas Tröstliches gehabt. Wie oft hatte sie sich aus der Ferne nach dem tröstenden Anblick der Berge zurückgesehnt.

„Warum bist du so lange fort gewesen?“

Sally ließ die Arme sinken. „Das weißt du doch.“

„Ja.“ Bridget betrachtete sie voller Sympathie. „Er hat Schluss gemacht.“

„Nein, das stimmt nicht. Es war meine Entscheidung“, antwortete Sally mit fester Stimme, während sie mit ihren schlanken Fingern eine Haarsträhne aus dem Gesicht schob. „Aber jetzt bin ich wieder hier.“

Und sie würde nie mehr weggehen.

„Weshalb bist du zurückgekommen? Nach all den Jahren?“

Sally lächelte wehmütig. „Eigentlich hatte ich es schon lange vor. Und dann erhielt ich deinen Brief mit der Nachricht, dass du Jack endlich geheiratet hast und Oliver jemanden kennengelernt hat.“ Sie hielt inne, als sie sich an die Gefühle erinnerte, die der Brief mit den Nachrichten von zu Hause in ihr geweckt hatte. „Plötzlich wurde mir klar, wie sehr ich meine alten Freunde vermisste. Ihr seid ja praktisch meine Ersatzfamilie. Irgendetwas sagte mir, dass es Zeit ist, zurückzukommen.“

„Er weiß es noch nicht, Sal“, bemerkte Bridget.

Sally nickte abwesend. Genauso hatte sie es geplant. Ihr erstes Wiedersehen sollte eine Überraschung für ihn sein. Unter anderen Umständen hätte sie ihm nicht selbstbewusst gegenübertreten können.

„Danke, dass du ihm nichts gesagt hast.“

„Hast du etwa geglaubt, ich würde das tun?“

Sally zuckte mit den Schultern. Sie warf ihrer Freundin aus Kindergartentagen einen abwägenden Blick zu. „Er ist immerhin dein Bruder.“

„Und du bist meine beste Freundin.“ Bridget lächelte flüchtig. „Oder wenigstens warst du das, bis Tom dir das Herz gebrochen hat und du ans andere Ende der Welt verschwunden bist.“

„Entfernungen können wahren Freundschaften nichts anhaben.“

Bridget biss sich auf die Lippe. „Ich habe gedacht …“ Ratlos hob sie die Schultern. „Schließlich bin ich seine Schwester.“

Sally machte eine vage Geste. „Und wir beide waren die besten Freundinnen, ehe er und ich ein Liebespaar wurden.“

„Wie willst du …“ Bridget unterbrach sich. „Du wirst mit ihm zusammenarbeiten, Sally. Hast du damit keine Probleme?“

„Nein.“ Energisch reckte Sally das Kinn vor. Wenn sie etwas in den vergangenen sieben Jahren gelernt hatte, dann Selbstvertrauen. „So schwer wird das schon nicht sein.“

Tom Hunter war ein Teil ihrer Vergangenheit. Mittlerweile konnte sie sehr gut ohne ihn leben. Seine Zurückweisung hatte sie so sehr verletzt, dass sie eine Zeit lang glaubte, diesen Schmerz niemals überwinden zu können. Aber das war vorbei – ein für alle Mal. Sie hatte sich ein neues Leben aufgebaut und war fest entschlossen, nie mehr über die Vergangenheit nachzugrübeln. Hatte sie nicht Dinge erlebt, von denen andere Menschen nur träumen konnten? Diese Erfahrungen hatten sie stark genug gemacht, um nach Hause zurückzukehren.

„Ich kann immer noch nicht glauben, dass du dich auf eine Stelle in seiner Abteilung beworben hast.“

Sally hob die Schultern. „Ich bin Hebamme, Bridget, und die Stellenbeschreibung hat mir gefallen.“

Ihr Entschluss war ein Teil der Prüfung, die sie sich selbst auferlegt hatte. Sie musste wissen, wie weit sie in den vergangenen sieben Jahren gekommen war.

„Du hättest in eine andere Stadt gehen können.“

„Nein. Hier ist mein Zuhause“, erwiderte Sally leise, während sie sehnsüchtig die Berge betrachtete. „Ich bin lange genug fort gewesen.“

Und sie hatte sich lange genug danach gesehnt.

Schließlich hatte sie sich dazu durchgerungen, an das Leben anzuknüpfen, das sie vor sieben Jahren aufgegeben hatte.

Sie war fest entschlossen, neuen Herausforderungen gegenüberzutreten.

Und Tom Hunter.

1. KAPITEL

„Sally Jenner! Schön, dass ich Sie endlich kennenlerne.“ Mit einem herzlichen Lächeln hieß Emma sie willkommen. „Ich habe schon so viel Gutes über Sie gehört. Eine zusätzliche Hebamme können wir wirklich gut gebrauchen. Sie werden hier schon bald die beliebteste Mitarbeiterin sein.“

„Vielen Dank. Ich freue mich auch auf die Arbeit.“ Leicht verunsichert erwiderte Sally das Lächeln der Stationsschwester der Geburtsabteilung, denn sie spürte ein mulmiges Gefühl im Bauch. Aber das plagte sie schon, seitdem sie den Entschluss gefasst hatte, Australien zu verlassen und nach Hause zurückzukehren.

Denn es bedeutete, dass sie Tom Hunter wiedersehen würde.

Sieben lange Jahre hatte sie sich auf diesen Moment vorbereitet.

Doch nun befürchtete sie, die Nerven zu verlieren. Immerhin rührte sie an Dinge, die vielleicht besser im Dunkeln geblieben wären.

Zum Beispiel an Gefühle, die sie gar nicht spüren wollte.

Wie mochte Tom wohl jetzt aussehen? Spielte die Erinnerung ihr einen Streich, oder war er wirklich so attraktiv gewesen? Konnte ein Mann tatsächlich so vollkommen sein, wie sie immer geglaubt hatte?

Emma hatte keine Ahnung von Sallys Gefühlsaufruhr. „Wenn Sie irgendwelche Fragen haben, wenden Sie sich ruhig an mich“, plapperte sie fröhlich weiter. „Ich weiß, dass Sie in diesem Krankenhaus gelernt haben. Aber Sie waren ziemlich lange fort, und ein paar Dinge dürften sich geändert haben. Ich erzähle Ihnen kurz, wie wir ausgestattet sind. Wir haben zwei OPs, sechs Kreißsäle und vier Kuschelzimmer. So nennen wir die Räume, in denen sich die Leute wie in ihrem eigenen Schlafzimmer fühlen sollen.“

Sally lachte. „Sie scheinen nicht besonders überzeugt davon zu sein.“

„Nun ja, in meinem Schlafzimmer stapeln sich Wäscheberge und Bücher, die ich irgendwann mal lesen will, was ich aber bis jetzt nicht geschafft habe“, gestand Emma munter. „Also, wie bei mir zu Hause sieht es da bestimmt nicht aus. Aber ich habe viel Fantasie.“

Sie öffnete eine Tür, und Sally folgte ihr.

Im Mittelpunkt des Raums standen ein großes Doppelbett und ein Sofa mit vielen bunten Kissen darauf. Es gab eine Stereoanlage und zahlreiche Zeitschriften.

Sally nickte anerkennend. „Nett. Gemütlich.“

Emma zuckte mit den Schultern. „Es ist ein Kompromiss zwischen Hausgeburt und Krankenhausentbindung. Kommen Sie, ich zeige Ihnen die Geburtswanne.“

Sie öffnete die Tür zu einem anderen Raum und schaltete das Licht ein. „Davon haben wir zwei. Eine ist gerade belegt.“

Sally betrat das Zimmer und betrachtete die Wanne interessiert. „Haben Sie viele Wassergeburten?“ Es gab genug Ärzte, die nichts von dieser Entbindungsmethode hielten. „Können sich die Kollegen damit arrangieren?“

Emma verzog den Mund. „Nicht alle. Die drei älteren verfrachten ihre Patientinnen am liebsten in den Kreißsaal und holen das Baby mit der Zange, sollten die Wehen länger dauern, als in den Lehrbüchern beschrieben. Aber die jungen Kollegen bringen frischen Wind ins Haus.“ Sie warf einen Blick über ihre Schulter und senkte vertraulich die Stimme. „Ich gebe Ihnen einen Tipp. Falls Sie jemals hier entbinden wollen, empfehle ich Ihnen Tom Hunter. Er ist zwar nicht lange im Job, aber fantastisch. Ein äußerst kompetenter Mann und immer die Ruhe selbst. Im Gegensatz zu anderen, deren Namen ich jetzt nicht nennen will, hält er nicht viel vom Kaiserschnitt.“ Ihre Stimme klang auf einmal ganz warmherzig. „Er ist der Ansicht, dass eine Frau möglichst auf natürlichem Weg gebären soll, und er tut alles, damit sie es auch schafft.“ Sally fuhr mit der Hand über den Rand der Wanne und bemühte sich, ihre Gefühle zu verbergen.

Die Vorstellung, dass Tom in der Abteilung als eine Art Held angesehen wurde, passte ganz und gar nicht zu ihrer eigenen schlechten Meinung über ihn.

Sie wollte ihn nicht bewundern. Das würde es nur noch schwerer machen, ihm distanziert gegenüberzutreten.

„Er hält also große Stücke auf Wasserentbindungen?“

„Für die Wehenphase, aber nicht für die Entbindung selbst“, stellte Emma richtig, während sie den Raum verließen. „Er setzt auch Aromatherapie sowie Entspannungs- und Atemtechniken ein.“

Emma schien eine Reaktion zu erwarten. Also lächelte Sally leicht gezwungen. „Erstaunlich.“

„Er kann sehr gut mit Frauen umgehen. Besitzt viel Einfühlungsvermögen.“

Sally presste die Lippen zusammen. Toms Einfühlungsvermögen, was Frauen betraf, kannte sie nur zu gut. Rasch wechselte sie das Thema. „Ich werde also auf der Entbindungsstation arbeiten?“

„Da brauchen wir Sie vorläufig. Wir wollen so flexibel wie möglich sein und versuchen, den Frauen jene Hebammen zur Verfügung zu stellen, die sie kennen. Aber Sie haben eine Menge Erfahrung auf Entbindungsstationen gesammelt, und das ist die Hauptsache.“ Emma stieß die Tür zum Aufenthaltsraum auf. „Das hier ist das wichtigste Zimmer auf der Station. Schauen Sie sich nur gründlich um. Oft werden Sie es nämlich nicht zu sehen bekommen.“

Sally trat ans Fenster und blickte zu den Bergen hinüber. Am liebsten würde sie jetzt da draußen sein, um zu wandern und zu klettern. Manchmal wusste sie nicht, was ihr wichtiger war – ihr Beruf oder die Liebe zur Natur.

Als sie energische Schritte hinter sich hörte, erstarrte sie.

Ohne sich umzudrehen wusste sie, dass er es war.

Sie spürte ihn.

Eine geheimnisvolle Kraft verband sie – immer noch. Bis er alles kaputt gemacht hatte.

„Hallo, Tom. Sie sind gerade rechtzeitig gekommen, um einen Kaffee zu trinken und unsere neue Hebamme kennenzulernen.“ Munter plauderte Emma weiter, ohne die angespannte Atmosphäre im Raum wahrzunehmen.

Sally riss sich zusammen. Hatte sie sich nicht seit Jahren auf diesen Moment vorbereitet? Entschlossen drehte sie sich um. Es fiel ihr ziemlich schwer, kühl und gleichgültig zu wirken. Schwerer als gedacht.

Selbstbewusst hatte Tom sich an der Tür aufgebaut. Er starrte sie ungläubig aus seinen blauen Augen an.

Unvermittelt tauchten Bilder aus der Vergangenheit vor Sallys geistigem Auge auf und drohten sie zu überwältigen. Energisch schob sie die Erinnerungen beiseite. Das alles war vorbei. Jetzt zählte nur noch die Zukunft.

Und in dieser Zukunft gab es keinen Platz für Tom, auch wenn er ein Traum von einem Mann war.

Er hat schon immer unverschämt gut ausgesehen, überlegte sie ein wenig irritiert. Aber jetzt, ein paar Jahre älter und um einige Erfahrungen reicher, wirkte er noch maskuliner. Selbst Frauen, die Männern grundsätzlich misstrauisch begegneten, mussten bei seinem Anblick schwach werden.

Mit seinem pechschwarzen Haar und den stahlblauen Augen sah er aber auch umwerfend gut aus.

Sie riss sich zusammen. Der Preis für die Liebe zu diesem Mann war einfach zu hoch gewesen.

Viel zu hoch.

Zufrieden registrierte Sally seine Bestürzung, während sie seinem Blick standhielt. Mit ihrer Rückkehr hatte er wohl nicht gerechnet. Und jetzt musste er damit irgendwie fertig werden.

Egal, ob es ihm passte oder nicht.

„Guten Tag, Tom.“ Sallys Stimme klang sachlich und distanziert. Keine Spur von Unsicherheit, nicht das geringste Zittern. Sally war richtig stolz auf sich. „Lange nicht gesehen.“

Tom straffte die Schultern und war bemüht, sich seine Betroffenheit nicht anmerken zu lassen.

Er hatte immer gewusst, dass Sally Jenner eines Tages in sein Leben zurückkehren und die Vergangenheit ihn einholen würde.

Dass er sich zu seinem Fehler bekennen musste.

Obwohl ihr letztes Treffen schon sieben Jahre zurücklag, wurde ihm jedes Mal ganz heiß, wenn er daran dachte.

Er biss die Zähne zusammen und sagte sich zum wiederholten Mal, dass er damals die richtige Entscheidung getroffen hatte, auch wenn Sally es zu jenem Zeitpunkt nicht nachvollziehen konnte.

Auf den ersten Blick schien sie sich kaum verändert zu haben. Ihre Augen blitzten immer noch temperamentvoll, sie hatte noch dieselben schlanken Beine, dieselbe schmale Taille und denselben zierlichen Körper. Und sie wirkte immer noch, als könnte ein starker Wind sie umwehen, aber er wusste es besser. Sally war fit und stark und vermutlich die sportlichste Person, die er kannte. Sie war eine kompetente Bergsteigerin und beeindruckende Langstreckenläuferin, und mit ihrer Wildheit und ihrem Mut hatte sie sein Herz erobert. In all den Jahren ihrer Freundschaft hatte er sie nur ein einziges Mal weinen gesehen.

An dem Tag, als er mit ihr Schluss gemacht hatte.

Während er ihre vollen Lippen betrachtete, konnte er sich plötzlich gar nicht mehr daran erinnern, warum er das eigentlich getan hatte. Er unterdrückte einen Fluch und wünschte, er hätte sich auf diese Begegnung vorbereiten können.

Warum zum Teufel hatte ihn niemand vor ihrer Rückkehr gewarnt?

„Weiß Bridget, dass du hier bist?“

Sie war die beste Freundin seiner Schwester. All die Jahre waren sie in Verbindung geblieben, das wusste er.

Kaum merklich zog sie die Augenbrauen hoch. „Natürlich“, erwiderte sie herausfordernd.

Er zog die Stirn kraus. „Sie hat es mir nicht gesagt.“

„Vermutlich nahm sie an, es interessiert dich nicht.“

Ein unmissverständlicher Hinweis darauf, dass er derjenige gewesen war, der die Beziehung beendet hatte. Irritiert legte Tom die Hand in den Nacken. Zum ersten Mal in seinem vierunddreißigjährigen Leben fehlten ihm die Worte.

Hätte er von ihrer Rückkehr gewusst, hätte er dafür gesorgt, dass ihr erstes Treffen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden würde. Schließlich gab es so vieles, über das sie sich ungestört unterhalten mussten.

Wie aufs Stichwort räusperte Emma sich. „Sie kennen sich bereits?“ Unverhohlene Neugier lag in ihrer Stimme, und interessiert schaute sie von einem zum anderen.

Sally lächelte kurz. „Das ist schon lange her.“

Es klang, als spräche sie von einer flüchtigen Bekanntschaft.

Dabei war ihre Beziehung voller Leidenschaft gewesen, wie Tom sich mit einem schmerzlichen Stich erinnerte.

Ein Blick in Sallys kühle grüne Augen verriet ihm, dass auch sie es nicht vergessen hatte.

Und dass sie ihm nicht verziehen hatte.

Fast stockte ihm der Atem, als er merkte, wie sehr ihn die Härte ihrer Züge aus der Fassung brachte. Doch was erwartete er eigentlich?

Sally Jenner hatte allen Grund, ihn zu hassen.

„Ich hörte, du hast im Himalaja gearbeitet.“ Plötzlich wollte er alles über sie wissen. Wo sie gewesen war, was sie getan hatte. Wann sie aufgehört hatte, seinetwegen zu weinen.

Ja, unter anderem“, erwiderte sie nur vage, und er verstand die Botschaft.

Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten, war in ihren grünen Augen zu lesen. Was geht dich das überhaupt an?

Und wo wohnst du jetzt?“

Tom musste es wissen. Er hatte einiges mit ihr zu besprechen, was nicht für die Ohren anderer Leute bestimmt war.

Sie überging seine Frage und wandte sich an Emma, die ihrer Unterhaltung interessiert folgte. „Tut mir leid. Es war nicht meine Absicht, Sie zu ignorieren. Wollten Sie mir nicht noch einiges zeigen?“

Emma zuckte mit den Schultern. „Nun, wenn Sie beide sich noch ein wenig unterhalten möchten, kann ich …“

„Überhaupt nicht“, unterbrach Sally sie, während sie ihren Platz am Fenster verließ und zur Tür ging. „Wir haben einander ja begrüßt. Es war nett, dich zu sehen, Tom.“

Damit ließ sie ihn stehen. Tom verspürte den unwiderstehlichen Drang, sie festzuhalten und an all die Dinge zu erinnern, die sie gemeinsam erlebt hatten.

Was natürlich vollkommen idiotisch gewesen wäre angesichts der Tatsache, dass er derjenige gewesen war, der Schluss gemacht hatte. Oder zweifelte er plötzlich an seiner Entscheidung?

Weil er in seinem ganzen Leben keine Frau getroffen hatte, die sein Blut so sehr in Wallung brachte wie Sally Jenner.

Erst nachdem sie gegangen war, begriff er, dass sie ihm nicht verraten hatte, wo sie wohnte.

Seine Augen wurden schmal. Er kannte jemanden, der das ganz bestimmt wusste.

Seine Schwester Bridget.

„Ich fasse es nicht, dass Sie Tom kennen“, meinte Emma, als sie über den Korridor zurückgingen. „Sie haben es mit keinem Wort erwähnt.“

„Das ist auch schon lange her“, wiegelte Sally ab. Am liebsten wäre sie jetzt eine Weile allein gewesen, um sich zu sammeln. Aber das war natürlich nicht möglich.

Kaum hatten sie das Schwesternzimmer verlassen, als ihnen eine der anderen Hebammen über den Weg lief. Sie wirkte ziemlich gestresst.

„In den letzten fünf Minuten hatten wir zwei Neuaufnahmen. Eine von ihnen ist Angela Morris. Es geht ihr nicht besonders.“

Seufzend wandte Emma sich an Sally. „Sind Sie bereit, ins kalte Wasser zu springen?“, fragte sie mit einem schuldbewussten Lächeln. „Angela ist kein leichter Fall. Sie ist erst vor Kurzem hierhergezogen und braucht sehr viel Aufmerksamkeit. Es ist ihr zweites Baby. Das erste kam per Kaiserschnitt, und in dem Krankenhaus, wo sie zuletzt entbunden hat, hat man ihr versprochen, das nächste genauso zu holen. Aber Tom hält nicht viel davon – es sei denn, es gibt keine Alternative. Er hat ihr klargemacht, dass sie es auf natürlichem Weg zur Welt bringen soll. Darüber ist sie nicht gerade erfreut.“

Sally erstarrte. „Heißt das …“ Sie räusperte sich. „Tom kümmert sich um sie?“

„Ja, und zwar sehr intensiv. Die Narbe macht ihm ein wenig Sorge.“

Sie würde also von Anfang an mit ihm zusammenarbeiten, ohne die Chance zu haben, sich erst an diesen Gedanken zu gewöhnen.

Sally schloss die Augen. Was war nur los mit ihr? Sie hatte sieben Jahre Zeit gehabt, sich darauf vorzubereiten. Wie viel länger brauchte sie denn noch? Sie hatte doch gewusst, dass eine Zusammenarbeit unvermeidlich war, wenn sie eine Stelle in seiner Abteilung annahm. Dieser Herausforderung musste sie sich stellen, und sei es nur, um sich selbst zu beweisen, dass sie über die Vergangenheit hinweg war. Sally beschloss, den Stier bei den Hörnern zu packen.

Und sie würde es schaffen, beruhigte sie sich.

Er war nur ein Kollege, sonst nichts.

„Kein Problem, gehen wir an die Arbeit“, sagte sie mit fester Stimme zu Emma.

In einem der Untersuchungszimmer kauerte Angela mit rot geweinten Augen auf dem Bett. Zu ihren Füßen stand ein kleiner Koffer. Neben ihr saß ihr Mann. Nervös hielt er ihre Hand und versuchte, sie zu beruhigen.

Sally setzte sich neben sie und legte tröstend den Arm um ihre Schultern. „Machen Sie sich keine Sorgen“, beruhigte sie die werdende Mutter. Dann stellte sie sich dem Paar vor. „Wir kriegen das schon in den Griff. Schließlich ist das doch ein wunderschönes Erlebnis.“

Zitternd holte Angela Luft. Selbst unter Sallys sanfter Berührung blieben ihre Schultern angespannt. „Ich möchte unbedingt einen Kaiserschnitt. Den hatte ich auch beim letzten Mal. Warum sagen die Ärzte in einem Krankenhaus dies und im anderen Krankenhaus etwas ganz anderes? Das verstehe ich nicht.“

Wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen, und Sally zog die Brauen zusammen. „Ich kann mir gut vorstellen, dass das für Sie verwirrend sein muss. Aber das Wichtigste ist, dass Sie sich erst mal entspannen. Dann können wir weiter darüber reden.“

Angela kramte ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und putzte sich die Nase. „Ich will einen Kaiserschnitt“, sagte sie hartnäckig.

„Warum denn eigentlich?“

Die junge Frau schloss die Augen und legte die Hand auf ihren gewölbten Bauch. „Weil es sicherer ist. Oje, jetzt kommt wieder eine Wehe.“

Schmerzhaft verzog sie das Gesicht und konzentrierte sich auf ihre Atmung. Während Sally beruhigend auf sie einredete, betastete sie behutsam Angelas Bauch, um die Stärke der Kontraktion zu kontrollieren.

„Das fühlt sich nach einer sehr heftigen Wehe an. Geht’s wieder?“ Sie spürte, wie die Anspannung nachließ, und Angela nickte.

„Gott sei Dank.“ Sie holte tief Luft und seufzte. „So schlimm war’s bei meinem Ersten nicht.“

Sally griff nach den Unterlagen und überflog sie rasch. „Ihr erstes Baby hatte eine Steißlage.“

„Ja. Deshalb wurde ja auch der Kaiserschnitt gemacht. Und hinterher hat mir der Arzt gesagt, das nächste würde man auch mit Kaiserschnitt holen.“

„Dass Sie beim letzten Mal einen Kaiserschnitt hatten, heißt nicht, dass es diesmal genauso sein muss“, erwiderte Sally vorsichtig. „Und es ist auch nicht unbedingt sicherer. Es kommt immer auf die Umstände an. Ein Kaiserschnitt bedeutet eine größere Unterleibsoperation. Manchmal ist das besser für Mutter und Kind, aber wenn eine normale Geburt möglich ist, sollte man sie auf jeden Fall vorziehen. Warum machen Sie es sich nicht erst einmal bequem?“

Angela atmete ein paar Mal tief durch. „Aber der Arzt in dem Krankenhaus, in dem ich zuletzt war, hat gesagt, ein Kaiserschnitt sei das Beste.“

Sally holte tief Luft. Das Beste für wen, fragte sie sich.

Sicher waren einige Geburtshelfer mit dem Kaiserschnitt schneller bei der Hand als andere, aber die Gründe dafür waren nicht immer offensichtlich.

„Gut“, meinte sie entschlossen. „Dann machen wir das eben. Es muss wirklich verwirrend für Sie sein, sich mit zwei widersprüchlichen Meinungen konfrontiert zu sehen.“

Angela sah sie kläglich an. „Außerdem kenne ich hier niemanden“, murmelte sie. „Wir mussten wegen Peters Arbeit hierherziehen. In dem Krankenhaus in London habe ich alle Hebammen gekannt.“

Ihr Mann sah sie schuldbewusst an. „Ich hätte die Stelle niemals annehmen dürfen.“

Angela seufzte und schob sich eine schweißfeuchte Haarsträhne aus der Stirn. „Es ist eine gute Arbeit, und du wolltest doch immer hier wohnen.“

„Sie haben einen vernünftigen Mann. Hier lässt es sich wirklich sehr gut leben“, meinte Sally leichthin und drückte Angelas Hand. „Ich verrate Ihnen mal ein Geheimnis. Ich kenne hier auch niemanden. Ich habe zwar jede Menge Erfahrung als Hebamme, aber das ist heute mein erster Tag auf dieser Station. Wir beide müssen also zusammenhalten.“

Angela lächelte unsicher. „Aber Ihre Schicht ist vorbei, ehe das Baby zur Welt kommt.“

Sally schüttelte den Kopf. „Nein. Zu Hause warten nur unausgepackte Kartons und schmutzige Wäsche auf mich. Glauben Sie mir, ich bin dankbar für jede Gelegenheit, um im Krankenhaus bleiben zu können.“

„Unausgepackte Kartons?“

„Ich war eine Weile fort“, erklärte Sally lächelnd. „Und ich muss mich erst wieder an meine alte Umgebung gewöhnen.“

Emma räusperte sich. „Ich lasse Sie beide dann mal allein.“ Mit einem Blick zu Sally fuhr sie fort: „Ich sage Mr. Hunter, dass Angela hier ist.“

Angela seufzte. „Er möchte, dass ich mein Baby auf natürlichem Weg bekomme.“

Jetzt schaltete sich ihr Mann ein. „Er hat einen ausgezeichneten Ruf, Angela. Du solltest vielleicht auf ihn hören.“

Autor

Sarah Morgan
<p>Sarah Morgan ist eine gefeierte Bestsellerautorin mit mehr als 21 Millionen verkauften Büchern weltweit. Ihre humorvollen, warmherzigen Liebes- und Frauenromane haben Fans auf der ganzen Welt. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von London, wo der Regen sie regelmäßig davon abhält, ihren Schreibplatz zu verlassen.</p>
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Sarah Morgan
<p>Sarah Morgan ist eine gefeierte Bestsellerautorin mit mehr als 21 Millionen verkauften Büchern weltweit. Ihre humorvollen, warmherzigen Liebes- und Frauenromane haben Fans auf der ganzen Welt. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von London, wo der Regen sie regelmäßig davon abhält, ihren Schreibplatz zu verlassen.</p>
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