Gefährliches Wiedersehen mit dem Milliardär

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Anderson Stone ist frei! Der sexy Milliardär war Pipers Freund, ihr Vertrauter, ihr Beschützer – bis ihn eine schreckliche Tat ins Gefängnis brachte. Piper sollte einen Schlussstrich unter ihre gemeinsame Vergangenheit ziehen. Aber ihr Herz will etwas anderes: ihn!


  • Erscheinungstag 17.04.2025
  • ISBN / Artikelnummer 9783751537124
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

Kira Sinclair

Gefährliches Wiedersehen mit dem Milliardär

1. KAPITEL

Zehn Jahre waren eine lange Zeit. Doch offenbar nicht lange genug, um irgendetwas zu ändern. Nichts machte dies offensichtlicher, als an der Balustrade über dem Ballsaal in seinem Elternhaus zu stehen und auf die Menschenmenge hinabzublicken, die sich dort versammelt hatte. Alle waren begierig darauf, einen Blick auf ihn zu erhaschen. Dabei war die einzige Person, die er sehen wollte, die Frau, von der er sich fernhalten musste.

Gelächter drang zu ihm herauf, während die Gaffer tanzten und teuren Champagner tranken. Sie feierten seine Rückkehr, als hätte er sich zehn Jahre lang auf einer Insel versteckt und nicht im Gefängnis gesessen. Doch all der Glamour konnte die Schadenfreude nicht überdecken. Den Hunger nach Klatsch. Als ob er eine Rede halten würde, um die Geheimnisse preiszugeben, die er seit Jahren für sich behalten hatte, nur weil er endlich frei war. Spott machte sich in seinen Eingeweiden breit. Der ganze Abend war eine Farce.

Anderson Stone, der verlorene Sohn, war heimgekehrt, und alles, was in Charleston Rang und Namen hatte, hatte sich herausgeputzt, um ihn zu begutachten und höflich hinter seinem Rücken zu tuscheln. Wenigstens waren Feinde im Gefängnis leicht zu erkennen gewesen. Hier sah dir jeder lächelnd ins Gesicht, nur um deinen Ruf bei der erstbesten Gelegenheit durch den Schmutz zu ziehen.

„Was machst du hier? Du solltest unten sein, deine Freunde wollen dich begrüßen.“

Stone drehte sich um und erblickte seine Mutter, die auch mit Mitte sechzig noch wunderschön aussah. Ihr dunkles Haar war in den letzten zehn Jahren silbern geworden, und ein paar neue Falten umrahmten ihre blauen Augen, doch nichts – nicht einmal mit anzusehen, wie ihr Sohn in Handschellen aus dem Gerichtssaal geführt wurde – konnte das Licht darin verblassen lassen. Oder das ruhige Selbstbewusstsein ihres Lächelns mindern.

Sie stellte sich neben ihn und hielt ihm die Wange für einen Kuss hin, was Stone nie ablehnen würde. Er hatte sie genug enttäuscht. Dennoch ging er nicht zur Treppe, die ihn in das Becken voller kreisender Haifische hinunterführen würde. Stattdessen umfasste er sein Glas Scotch fester und lehnte sich wieder über das Geländer.

„Schatz“, sagte sie leise neben ihm und legte ihm tröstend eine Hand auf den Rücken.

Wer hätte gedacht, dass ihn mit dreißig und nach allem, was er erlebt hatte, ihre Berührung immer noch trösten konnte wie früher als Kind nach einem Albtraum? Er schnaubte spöttisch, denn er wusste besser als die meisten, dass Monster nicht nur in Träumen existierten. Keine tröstende Hand konnte die Realität wegstreicheln, nicht einmal die seiner Mutter.

„Ich weiß, dass es dir gerade schwerfällt.“

Sie hatte keine Ahnung, doch er würde ihr nicht sagen, was ihn wirklich beschäftigte.

„Diese Menschen sind hier, um dich zu unterstützen.“

Stone ließ den Blick über die Menge schweifen. Das zu glauben fiel ihm schwer, aber er wollte seiner Mutter nicht ihre rosarote Brille nehmen, durch die sie anscheinend die Welt sah. Er war wegen Totschlags verurteilt worden, weil er ein Mitglied ihres „Zirkels“ getötet hatte. Es spielte keine Rolle, dass der Bastard es verdient hatte. Nur eine andere Person kannte diese Wahrheit, und er würde alles dafür tun, dass es so blieb. Er hatte sich sogar schuldig bekannt und seine Zeit abgesessen, um das Geheimnis zu wahren.

„Die halbe Nacht hier oben zu stehen macht es nicht einfacher.“

Damit hatte seine Mutter recht. Nach einem tiefen Atemzug kippte Stone den Rest seines Scotchs hinunter. Guten Schnaps hatte er definitiv vermisst. Dann stieß er sich vom Geländer ab und warf ihr ein gezwungenes Lächeln zu. Er war schon fast an der Treppe, als ihre leise Stimme ihn aufhielt.

„Anderson.“

Seine Mutter war die Einzige, die ihn mit seinem Vornamen ansprach. Ihr melodischer Tonfall löste eine Lawine von Gefühlen bei ihm aus, vor allem Bedauern. Stone wandte sich zu ihr um.

„Ich bin stolz auf dich.“

Er wüsste nicht, warum, doch er wollte nicht mit ihr streiten.

„Du hast noch jede Menge Zeit, herauszufinden, was du als Nächstes tun willst. Dein Vater hat dir zwar eine Stelle im Unternehmen angeboten, und wir wären beide froh, wenn du sie annimmst, aber du musst dich nicht sofort entscheiden. Lass dir Zeit. Genieße deine Freiheit.“

Stone nickte, weil er es nicht über sich brachte, ihr zu sagen, dass er nicht für Anderson Steel arbeiten wollte, das Stahlwerk, das nach dem Großvater seiner Mutter benannt worden war. Schon vor seiner Geburt, als Frauen selten Führungspositionen in der Wirtschaft bekleideten, hatten seine Eltern das Unternehmen gemeinsam geleitet.

Sie hatten sich im Vorstandszimmer kennengelernt, wo sie sich heftig beharkten, nachdem sein Großvater Nick Stone als Berater angeheuert hatte. Seine Mutter kam gerade frisch von der Uni und hielt nichts davon, die Meinung eines Eindringlings akzeptieren zu müssen. Die Funken flogen, doch während der Kompromisssuche im Vorstandszimmer waren sie im Schlafzimmer gelandet.

Stone fand es erstaunlich, dass seine Eltern so eng zusammenarbeiteten und trotzdem immer noch offenkundig verliebt waren, auch wenn ihm ihre Zuneigungsbekundungen als Kind oft peinlich gewesen waren.

Anderson Steel war das Lebenswerk seiner Eltern, aber er hatte nie dort arbeiten wollen, obwohl ihm vor zehn Jahren nicht in den Sinn gekommen wäre, einen anderen Weg einzuschlagen. Doch zehn Jahre lang seine Freiheit einzubüßen brachte einen dazu, jede Entscheidung zu überdenken. Er wusste, dass sein Platz nicht bei Anderson Steel war, momentan sah er jedoch keinen anderen Ausweg.

Seine Füße hatten noch nicht mal die letzte Stufe berührt, als die Musik abrupt verstummte. Alle Blicke im Saal wandten sich ihm zu. Stone hatte keine Ahnung, was sie sahen oder dachten, und es war ihm egal. Nein, nicht ganz. Eine Person zählte, auch wenn sie es nicht sollte. Er hatte sie gespürt, sobald sie den Raum betreten hatte. Doch er würde sein Bestes tun, um sie zu ignorieren, ebenso wie das Gestarre und Geflüster.

Piper Blackburn stand im Schatten. Ihr Herz pochte schmerzhaft, und trotz des Glases Merlot, das sie getrunken hatte, fühlte sich ihre Kehle trocken an. Sie konnte die Augen nicht von ihm abwenden. Oder verhindern, dass ihre Hände zitterten. Schnell stellte sie das leere Glas ab, damit es ihr nicht durch die Finger glitt. Auf keinen Fall wollte sie eine Szene machen und seine Aufmerksamkeit auf sich lenken. Noch nicht. Bevor sie ihn konfrontierte und zehn Jahre aufgestauten Frust, Schmerz und Schuldgefühle auf ihn losließ, musste sie sich erst wieder fangen.

Piper schloss die Augen und atmete tief ein, wie sie es ihren Patienten beibrachte. Als sie sich etwas ruhiger fühlte, öffnete sie die Augen. Sofort verlor sie erneut ihre innere Mitte, da Stone in ihrer Blickrichtung stand. Groß, stark und gut aussehend.

Mit seinem Blick aus beinah golden wirkenden Augen schien er den ganzen Raum herauszufordern. Er hatte sich verändert, zehn Jahre Gefängnis würden allerdings jeden verändern. Irgendwie erschien er größer. Schon mit zwanzig war er fast einen Meter neunzig groß gewesen, aber nun war er breiter. Muskulöser. Härter, nicht nur körperlich, sondern auch im Auftreten. Als Junge hatte er sich mit lässiger Anmut bewegt. Diese Anmut war immer noch da, jetzt wirkte sie jedoch wie eine seidige Hülle über einem Kern aus purem Stahl.

Bei diesem Vergleich wollte Piper loslachen. Stahl für den Sohn der Stahlmagnaten. Sie musste sich wirklich beherrschen, sonst würde sie die Rede, die sie vorbereitet hatte, vermasseln. Das würde sie noch mehr ärgern. Der Abend mochte Stones Rückkehr gewidmet sein, doch für sie sollte er auch einen Abschluss darstellen. Das letzte Puzzleteil, das sie brauchte, um die Vergangenheit endlich hinter sich zu lassen.

Leises Gemurmel machte sich breit. Leute setzten sich in Bewegung. Dann schob sich jemand durch die Menge, um Stone auf den Rücken zu klopfen und ihn willkommen zu heißen.

Fast eine Stunde lang bewegte Piper sich am Rand der Gästeschar und sah zu, wie er mit regungsloser Miene Menschen begrüßte, die er schon sein Leben lang kannte. Er lächelte oder lachte nicht. Stone war höflich und selbstbewusst, distanziert und ungerührt. Er war anders, und das war ihre Schuld. Doch das würde sie nicht hindern, die Fragen zu stellen, deren Antworten ihr zehn Jahre lang verwehrt worden waren.

Piper hielt sich zurück, während sie ihn beobachtete und auf den richtigen Zeitpunkt wartete. Wiederholt lehnte sie den Champagner ab, mit dem mehrere Kellner sie zu locken versuchten. Sie konnte es nicht riskieren, dass ihr Kopf noch mehr durcheinandergeriet.

Als Stone zu seiner Mutter ging, ihr etwas ins Ohr flüsterte und danach die Treppe anstrebte, wusste sie, dass der Moment gekommen war. Ihr Mund wurde ganz trocken, und kurz bedauerte sie es, nicht doch ein Glas Champagner zu haben, um wenigstens einen winzigen Schluck nehmen zu können. Was sie vorhatte, würde schwierig werden, wenn ihr die Stimme versagte.

Sie atmete tief durch und schlängelte sich an der Menge vorbei. Statt der Haupttreppe nahm sie die kleinere, die unauffällig im hinteren Teil des Saals lag und vom Personal benutzt wurde. Als Kind war ihr dieses Haus ebenso vertraut gewesen wie ihr eigenes. Sie kannte jeden Winkel, hatte sie mit jenem Mann erkundet, der gerade versuchte, einer Party zu seinen Ehren zu entfliehen. Ihr zu entfliehen. Doch sie würde nicht zulassen, dass er sie weiter ignorierte.

Hinter der schweren Holztür oben an der Treppe befand sich ein ruhiger Flur. Piper hörte, wie die Tür zur Bibliothek am anderen Ende geschlossen wurde. Natürlich ging er ausgerechnet dorthin, wo sie unzählige Stunden miteinander verbracht hatten. Ein Raum voller Glück und schöner Erinnerungen. Als Kinder lagen sie vor dem gewaltigen Kamin und lasen sich gegenseitig wilde und exotische Abenteuer vor. Als Teenager hatten sie auf den Sofas gesessen, Hausaufgaben gemacht und über die Zukunft philosophiert. Das Leben war so wundervoll gewesen, voller Möglichkeiten. Bis es das nicht mehr war.

Nicht einmal diese schmerzliche Erinnerung hielt sie davon ab, die Tür zu öffnen und ihm nachzugehen. Lange einstudierte Worte schwirrten ihr durch den Kopf, als die Tür leise hinter ihr zufiel. Piper lehnte sich dagegen, froh über den Halt, den ihr die solide Fläche bot. Der warme, gedämpfte Schein der Wandleuchten tauchte den Raum in goldenes Licht. Stone stand vor den großen Fenstern und wandte ihr den Rücken zu.

Ohne sich umzudrehen, sagte er: „Ich hatte mich schon gefragt, wie lange du warten würdest.“

Seine tiefe Stimme reizte ihre strapazierten Nerven und ließ ihre Haut prickeln. So einfach und so kompliziert war es. Seit Jahren löste dieser Mann widersprüchliche Gefühle bei ihr aus.

Als Stone den Kopf drehte und sie mit scharfem Blick fixierte, erstarrte Piper. Sein distanzierter Gesichtsausdruck traf sie wie ein Schlag.

Mistkerl. Sie hatten zu viel durchgemacht, als dass er sie auf die gleiche leere, emotionslose Weise ansah wie alle anderen. Sie hatte mehr verdient.

Plötzlich stürmte sie auf ihn zu. Die Worte, die sie eingeübt hatte, brannten ihr auf der Zunge.

Stone stellte sich breitbeinig hin, die Hände in den Taschen seiner Anzughose zu Fäusten geballt.

Piper wollte ihm ins Gesicht schlagen, wollte hören, wie ihre Hand auf diesen starken, sturen Kiefer klatschte. Doch sie schaffte es nicht. Trotz ihres Zorns war sie so erleichtert, ihn zu sehen. Stattdessen prallte sie aus vollem Lauf auf ihn. Sie schlang die Arme um seinen kräftigen Oberkörper und drückte sich an ihn. Tief in ihrem Inneren machten sich Wärme, Glück und schmerzhaftes Bedauern breit. Sie schloss die Augen, weil heftige Sehnsucht sie übermannte. Es war so schön, ihn zu halten.

Dann wurde ihr bewusst, dass er sich nicht bewegt hatte. Stones Hände waren immer noch Fäuste in den Taschen seiner Hose. Sein großer Körper war so fest und unbeweglich wie die Wand hinter ihm.

Scham mischte sich in den Zorn, der sie anfangs angetrieben hatte. Sie war nicht hergekommen, um sich ihm an den Hals zu werfen. Piper löste sich von ihm. „Tut mir leid.“

„Was denn?“

„Gerade musste ich mit ansehen, wie ein paar Dutzend Leute einen Aufstand um dich veranstalten, als wäre es die Wiederkehr Christi, obwohl du ihnen in Wirklichkeit egal bist. Im Stillen habe ich sie als Heuchler beschimpft.“

Kurz blitzte etwas in seinen warmen, goldbraunen Augen auf. Doch es dauerte nur einen Atemzug, bis es wieder erlosch.

„Dann sind wir schon zwei.“

„Ich habe im Grunde dasselbe getan.“

„Wohl kaum.“

Piper schüttelte den Kopf. „Aber ich hatte nur die Wahl, dich entweder zu umarmen oder dich zu ohrfeigen, bis du Sterne siehst.“

Stones Mundwinkel fielen herab. „Du bist wütend auf mich.“

„Natürlich bin ich wütend, du Dummkopf.“ Na toll, jetzt beschimpfte sie ihn. Sie verstieß gegen alle Regeln. Warum auch nicht? Immerhin stand sie vor Anderson Stone, jenem Mann, der Regeln nur als Anregungen betrachtete.

„Dafür hast du keinen Grund.“

„Keinen Grund? Du hast dich zehn Jahre lang geweigert, mich zu sehen oder mit mir zu sprechen. Und das, nachdem du meinen Stiefbruder getötet hast, um mich zu beschützen.“

Zwar war ihre Beziehung damals kompliziert gewesen, aber sie hatten sich immer noch nahegestanden. Beste Freunde. Dann war er einfach … verschwunden. Als sie ihn am meisten brauchte. Doch nicht deswegen war sie wütend. Sie hatte sich mit dem Geschehenen abgefunden. Mehrere Jahre hatte sie eine Therapie gemacht, um ihre Wut und die Schuldgefühle zu verarbeiten. Worüber sie nicht hinwegkam, war die Tatsache, dass er sie rigoros ausgeschlossen hatte und sich weigerte, sich von ihr beschützen zu lassen, so wie er es stets für sie getan hatte.

„Du hast mir keine Chance gegeben, zuzugeben, dass Blaine mich jahrelang eingeschüchtert und belästigt hatte, ehe alles eskalierte.“ Als sie die Worte aussprach, flammten ihre Wut und ihr Bedauern wieder auf. „Du hast alles geopfert und dich dann geweigert, mit mir zu reden.“

Piper war so mit ihrem eigenen Zorn beschäftigt, dass sie die Veränderung bei Stone nicht bemerkte, bis er ihre Oberarme umfasste und sie auf die Zehenspitzen zog, sodass sie ihm direkt in die Augen sehen konnte.

„Er hat dich jahrelang belästigt?“

Die Frage war von tödlicher Härte, ebenso wie der mörderische Ausdruck in seinem Gesicht nur Zentimeter vor ihrem. Unbehagen kroch ihr über das Rückgrat. Sie schluckte laut und versuchte, sich auf den plötzlichen Gefühlsumschwung einzustellen.

Stone wählte seine Worte mit Bedacht: „Das war nicht das erste Mal, dass er dir wehgetan hatte?“

Langsam schüttelte Piper den Kopf. „Nein. Das heißt, ja.“

Ein leises Grollen drang tief aus seiner Brust und erinnerte sie an ein wildes Tier in einem Käfig. Eins, das kurz davor war, auszubrechen.

„Was genau?“

„Nein, vor jener Nacht hatte er mich nie sexuell belästigt. Aber er hat mich geschlagen. Gekniffen. Mir Angst eingejagt. Einmal hat er mich mit einer Schere geschnitten. Er tat so, als wäre es ein Unfall, und ich konnte nicht beweisen, dass er log.“

Das war einer der Gründe, aus denen sie geschwiegen hatte, als sie etwas hätte sagen sollen. Alles war so schnell passiert. Als ihr klar wurde, was Stone getan hatte, fürchtete sie, dass ihr niemand glauben würde, wenn sie die Wahrheit sagte. Es gab keinerlei Beweise für das, was sie Blaine vorwarf. Sie war verängstigt, verletzt und durcheinander. Und unsicher, ob das, was sie sagte, etwas ändern würde.

Stone lockerte seinen Griff. Behutsam ließ er sie hinunter, bis ihre Füße auf dem Boden standen. Sorgfältig löste er seine Finger von ihr, einen nach dem anderen. Seine Hände strichen an ihren Armen hinab, was einen Schauer über ihre Haut jagte. Die Sanftheit seiner Berührung stand in krassem Widerspruch zum harten Ausdruck in seinem Gesicht. Piper wollte ihn anfassen, stattdessen ballte sie nun die Fäuste.

Stone schob sie zur Seite und ging an ihr vorbei. Verwirrt drehte sie sich nach ihm um. „Wohin gehst du?“ Diese Unterhaltung war noch lange nicht zu Ende.

Die Hände auf die Tür gepresst, knurrte Stone: „Ich will dieses Arschloch ausgraben, damit ich ihm nochmals den Schädel einschlagen kann.“

Pipers Knie wurden weich. Sie gaben einfach nach, und sie sackte in sich zusammen. Nicht gerade das Bild der selbstbewussten Frau, das sie vermitteln wollte. Sie hatte ihm zeigen wollen, wie stark sie inzwischen war. Um sich selbst – und ihm – zu beweisen, dass sie sehr gut ohne ihn klarkam. Was offensichtlich nicht stimmte.

Stone riss seine schönen goldenen Augen auf. Er eilte zu ihr, sodass sie kaum Zeit hatte, tief einzuatmen, ehe sie in die Luft gehoben wurde. Alles schien sich um sie zu drehen. Das Schwanken hörte auf, als sie sich an Stones harten Körper lehnte. Sein Duft umfing sie. Seine Wärme kroch ihr unter die Haut und ließ ihre wackeligen Beine zu Gelee werden.

Benommen und verunsichert blickte sie zu ihm auf. Seine zusammengepressten Lippen mit den heruntergezogenen Mundwinkeln waren ihren so nah. Was stimmte nicht mit ihr, dass sie die winzige Distanz zwischen ihnen überwinden und sie kosten wollte? Diesen Drang verspürte sie nicht zum ersten Mal, aber es war lange her. Dabei hatte sie sich eingebildet, sie hätte sich unter Kontrolle.

Stone setzte sie auf das nächste Sofa, hockte sich vor sie hin und starrte sie an. Sein Gesicht war ihr so vertraut und doch so fremd. Früher hätte sie gewusst, was er dachte. Nicht nur, weil sie sich so nahe waren, dass sie praktisch seine Sätze für ihn beenden konnte, sondern weil sein Ausdruck so offen war, dass sie seine Empfindungen lesen konnte wie eins der Bücher auf den Regalen hinter ihm. Jetzt gab er nichts preis. Keinen Hinweis auf seine Gedanken oder Gefühle. Zum ersten Mal, seit sie diese Konfrontation geplant hatte, fragte sie sich, wie er sich angesichts ihres Wiedersehens fühlte.

Nein, sie hatte darüber nachgedacht und die einzige Erklärung verdrängt, die ihr eingefallen war: Er war so wütend auf sie wegen dem, was passiert war, weil sie sein Leben ruiniert hatte – oder so angewidert von dem, was er in jener Nacht gesehen hatte –, dass er ihren Anblick nicht ertragen konnte. Sie begriff nur nicht, warum er dann seine Freiheit und seine Zukunft für sie geopfert hatte. Piper schüttelte den Kopf, weil sie Stones Handlungen jetzt genauso wenig verstand wie damals oder im Laufe der letzten zehn Jahre.

Stone schlug die Augen nieder und schaute auf ihre Schultern. Ihr ärmelloses Kleid hatte einen hohen Kragen und hinten einen subtilen länglichen Ausschnitt, der einen großen Teil ihrer Wirbelsäule unbedeckt ließ. Sein Blick glitt über ihren Arm, der auf ihrer Hüfte lag. Er befeuchtete seine Lippen mit der Zungenspitze, während er ihren Körper musterte. Dann strich er ihr mit rauen, warmen Fingern hauchzart über die Schulter und einen Arm. Die Berührung war kaum zu spüren, nur ein Flüstern, und hätte nicht ausreichen sollen, um ein Feuer in Piper zu entfachen. Doch ihr Körper hatte noch nie richtig reagiert, wenn es um Stone ging. Zumindest nicht seit sie fünfzehn war.

„Warum hast du nie etwas gesagt?“

Sie zuckte die Achseln. „Was hätte ich sagen sollen? Du weißt, dass Blaine ein Rotzbengel war, seit ich dort einzog.“

Stones Gesicht verdüsterte sich auf eine Weise, dass Piper ihn berühren wollte. Ihn beruhigen. Doch dieses Recht hatte sie nicht.

„Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob sich jemand danebenbenimmt oder dich körperlich verletzt, Piper.“ Seine Stimme triefte vor Ärger.

„Dessen bin ich mir bewusst. Es ist ja nicht ständig passiert. Mal war alles okay, und dann ging er im Flur an mir vorbei und schlug mich so hart, dass ich blaue Flecken bekam. Aber nie dort, wo es jemand hätte sehen können.“

„Du hättest etwas sagen sollen.“

Wieder zuckte sie die Achseln. „Dann hättest du was getan? Wenn ich je gedacht hätte, dass er so weit gehen würde … Dann hätte ich was gesagt. Aber ich war fast frei. Nur noch ein paar Monate, dann wäre ich aus dem Haus gewesen und weg von ihm.“ Sie hatte sich oft gefragt, ob es das war, was Blaine in jener Nacht angetrieben hatte, doch darauf würde sie nie eine Antwort bekommen. Sie winkte ab. „Es bringt nichts, alles wieder aufzuwärmen.“

Sie war jahrelang in Therapie gewesen und hatte eine Art Frieden gefunden, was Blaine anging. Nun brauchte sie einen Schlussstrich unter ihrer Beziehung zu Stone, um das Verlangen hinter sich zu lassen, das sie seit Jahren zu leugnen versuchte. Als sie hereinkam, war sie wütend auf ihn gewesen – und auf sich –, doch unter all dem lag stets ein sprudelnder Quell der Sehnsucht und Verwirrung. Wenn sie jetzt in Stones goldene Augen sah, spürte sie den überwältigenden Drang, diese Gefühle endlich auszumerzen.

„Es tut mir leid“, entfuhr es ihr unwillkürlich.

„Was?“

Wie konnte er es nicht wissen? „Dass ich dein Leben ruiniert habe.“

2. KAPITEL

Pipers sanfte Worte trafen ihn wie ein Faustschlag. Und sie redete weiter, ohne zu ahnen, was sie ausgelöst hatte.

„Ich habe hart daran gearbeitet, über das hinwegzukommen, was Blaine mir angetan hat. Er hat keine Macht mehr über mich.“

Zum Glück. Stone spannte die Fäuste an, um Piper nicht erneut zu berühren. Diesen Luxus durfte er sich nicht erlauben. Er verdiente es nicht.

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