Gefangen in der Oase der Leidenschaft

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"Sebastian Oakfield, zu Ihren Diensten." Emmas Herz klopft wie rasend! Weil dieser gutaussehende Fremde quer durch den Nil zu ihrem kleinen Segelschiff geschwommen ist? Weil er ein verwegener Abenteurer zu sein scheint? Oder weil er unter dem ägyptischen Mond ihre Hand zu seinen Lippen führt und sie zärtlich küsst?


  • Erscheinungstag 13.06.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733717216
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Emma beugte sich über den Rand des Segelbootes und streifte mit den Fingerspitzen über die Wasseroberfläche. Es fühlte sich angenehm kühl an. Eine erfrischende Abwechslung in der heißen Nachmittagssonne.

„Vorsicht“, sagte Ahmed freundlich. „Sie wollen doch sicher nicht, dass die Krokodile Ihnen die Finger abbeißen.“

Sofort zog Emma die Hand zurück und blickte misstrauisch auf die dunklen Fluten des Nils. Sie hegte den Verdacht, dass der Ägypter sie nur auf den Arm nehmen wollte. Zwar wusste sie, dass es diese gefährlichen Reptilien im Fluss gab, aber gewiss wagten sie sich nicht in die Nähe der Feluken.

„Krokodile kennen keine Angst“, sagte Ahmed, der anscheinend ihre Gedanken lesen konnte. „Sie haben schon kleine Schiffe angegriffen, wenn sie auf Beute aus waren.“

Emma rückte von der Bootswand ab und schaute von der Wasseroberfläche auf.

„Nur noch ein paar Minuten“, sagte Ahmed, der sich in den Schatten des Segels zurückgezogen hatte, und schloss die Augen. „Beobachten Sie weiter das linke Ufer.“

Sie schaute prüfend auf die Böschung, konnte aber kein Anzeichen von Zivilisation erkennen. Sie waren nur noch eine Stunde von ihrem endgültigen Ziel Kairo entfernt, aber momentan interessierte sich Emma nur für das, was hinter der nächsten Flussbiegung auf sie wartete.

„Der Tempel des Horus“, flüsterte sie. Sie umrundeten die Kurve, und dahinter waren deutlich die geraden Linien und Kanten eines Gebäudes zu erkennen. Es bot einen erhabenen Anblick. Sandfarbene Säulen ragten in den Himmel empor, und als sie näherkamen, konnte sie sogar Statuen des falkenköpfigen Gottes Horus links und rechts vom Tempeleingang erkennen.

„Haben wir noch Zeit auszusteigen?“, fragte Emma sehnsüchtig, auch wenn sie die Antwort auf diese Frage bereits zu kennen glaubte.

Seit zehn Tagen segelten sie den Nil hinunter, obwohl für diese Reise eigentlich nur acht Tage eingeplant waren. Anfangs war der Besitzer der Feluke noch geduldig gewesen und ihren Wünschen entgegengekommen, wenn sie an jeder alten Ruine am Flussufer anhalten wollte, aber es war ihr klar, dass er keine weitere Verzögerung dulden würde.

Ahmed redete in schnellem Arabisch auf den Bootseigner ein, und Emma setzte ein gewinnendes Lächeln auf.

Sie verfolgte mit angehaltenem Atem die hitzige Diskussion, bis Ahmed sich ihr kopfschüttelnd zuwandte.

„Er sagt Nein. Bedauerlicherweise kann er keinen Zwischenstopp mehr einlegen.“

Emma vermutete, dass der Mann sich wesentlich unhöflicher ausgedrückt hatte.

„Aber es ist doch der Tempel des Horus“, brachte sie vor.

„Sie werden noch viel Zeit haben, um Tempel und Gräber zu besichtigen, Sitt“, meinte Ahmet, der sie mit der respektvollen arabischen Anrede ansprach. „Hier geht es doch erst richtig los.“

Emma wusste, dass er recht hatte, aber sie konnte den Blick nur schwer von dem majestätischen Tempel losreißen. Davon hatte sie immer geträumt und sich alles in ihrer Fantasie ausgemalt. Andere Mädchen hatten von reichen Ehegatten und klangvollen Titeln geträumt, doch sie sehnte sich stets nach exotischen Ländern. Ihr Vater war ein bekannter Ägyptologe gewesen und hatte viele Jahre in Kairo gelebt. Als sie noch ein Kind war, hatte er ihr oft Geschichten von Pharaonen und Göttern der Vergangenheit erzählt, aber auch vom heutigen Staat Ägypten. Schon immer hatte Emma sich gewünscht, das alles einmal mit eigenen Augen zu sehen, und jetzt war sie hier.

Sie tastete nach der dünnen Schriftrolle, die sie in der Tasche ihres Rocks verborgen hatte. Bald würde sie so viele Abenteuer erleben, dass der Horustempel dagegen verblasste. Was für wundervolle Entdeckungen wohl noch auf sie warteten, wenn sie der geheimnisvollen Karte auf der Rolle folgte …

Aus dem Augenwinkel fiel ihr eine Bewegung auf, und sie blinzelte in die Abendsonne. Etwas lief sehr schnell zwischen den Säulen des Tempels. Sie richtete sich gerade auf und strengte die Augen an, um erkennen zu können, was es war.

Ein Mann. Ganz sicher. Ein Mann rannte wie gehetzt davon, als hinge sein Leben davon ab. Sie blickte sich um, um zu sehen, ob noch jemand etwas bemerkt hatte. Ahmed schien eingenickt zu sein, und der Eigentümer der Feluke schaute geradeaus, nicht zu dem Tempel auf der linken Seite.

Emma beobachtete, wie der Flüchtende zwischen den zwei Statuen hindurchsprintete und dann auf der Böschung zum Fluss hinunterrutschte. Einen Augenblick später wurde deutlich, warum der Mann es so eilig hatte. Sechs Männer in den traditionellen weißen Dschallabijas der Ägypter stürmten hervor aus dem Tempel, schrien etwas auf Arabisch und gestikulierten wütend mit den Armen. Erstaunt sah Emma, dass sie mit Krummsäbeln bewaffnet waren, mit denen sie wild in der Luft herumfuchtelten.

Der Mann war jetzt am Fuße des Abhangs angelangt und warf einen Blick zurück. Seine Verfolger begannen gerade mit dem Abstieg. In wenigen Augenblicken würden sie ihn erreichen. Er schaute sich nach links und rechts um, aber es gab keinen Ausweg. Plötzlich sah er hoch und blickte ihr ins Gesicht. Er grinste und zwinkerte ihr zu.

Emma riss die Augen auf, denn noch nie hatte jemand ihr so unverschämt zugeblinzelt. Dennoch konnte sie den Blick nicht von dem Mann losreißen. Sie sah zu, wie er das, was er in den Händen hielt, hastig in seine Tasche stopfte und dann kopfüber in das schnell fließende Wasser des Nils sprang.

Sie hielt den Atem an. Er schien bereits eine Ewigkeit unter Wasser zu sein, und sie suchte mit den Blicken die Oberfläche nach Lebenszeichen des Mannes ab. Entsetzt überlegte sie, ob er womöglich von der Strömung abgetrieben worden war, oder ob ihn ein Krokodil gefressen hatte. Sie schaute noch intensiver hin, voller Angst, sie würde einen roten Blutfleck im trüben Wasser entdecken.

„Erlaubnis, an Bord kommen zu dürfen?“, fragte eine leise Stimme direkt neben der Bootswand.

Emma zuckte so heftig zusammen, dass sie fast ins Wasser fiel.

Sie schaute nach unten und sah zu ihrem Erstaunen, dass der Mann, den sie beobachtet hatte, bis zum Boot getaucht war und die ganze Strecke unter Wasser zurückgelegt haben musste.

Er lächelte sie an, und sie lächelte unwillkürlich zurück.

Mit seinen starken Armen zog er sich über die Bootswand der Feluke und brach dann auf Deck zusammen.

Mohammed, der Schiffseigner, war sofort bei dem Mann und hielt ihm drohend seinen Dolch an die Kehle.

„Dreckiger englischer Grabräuber“, knurrte er auf Englisch mit starkem Akzent. „Ich sollte Sie sofort wieder über Bord werfen und den Krokodilen zum Fraß überlassen.“

„Das werden Sie nicht“, sagte Emma in erstaunlich energischem Ton.

Mohammed, Ahmed und der Engländer drehten sich überrascht zu ihr um.

„Sie haben die Lady gehört“, sagte der Engländer. „Ich habe eine Beschützerin.“

Emma kniff die Augen zusammen. Hatte sie etwa eine Spur von Belustigung in seiner Stimme gehört?

Mohammed schnaubte. „Ich sollte ihn von der Kehle bis zum Bauch aufschlitzen und zusehen, wie seine diebischen Gedärme hervorquellen.“

Emma trat einen Schritt vor, doch Ahmed hielt sie am Arm zurück.

„Das würde aber sehr viel Dreck machen und der Dame gewiss nicht gefallen“, sagte der Engländer gelassen. „Sie müssten danach das Deck schrubben.“

Emma hatte noch nie gesehen, dass jemandem ein Dolch an den Hals gehalten wurde. Aber war es normal, dass jemand, der den Tod vor Augen hatte, solche Scherze machte?

Ein paar Sekunden lang starrten sich Mohammed und der Engländer finster an, dann brachen beide in ein breites Grinsen aus.

„Scheint so, als schuldetest du mir dein Leben, Oakfield“, sagte Mohammed und klopfte dem tropfnassen Engländer auf den Rücken.

„Sind wir quitt?“

„Sie kennen einander?“, fragte Emma und merkte, dass ihr Hitze in die Wangen stieg.

„Ja, leider. Auch wenn ich es nur ungern zugebe, habe ich gelegentlich mit diesem zwielichtigen Burschen zu tun“, sagte Oakfield.

Emma schnaubte. „Wahrscheinlich ist es eher Mohammed peinlich, mit Ihnen gesehen zu werden.“

Der Engländer lachte und trat auf sie zu, um ihre Hand zu ergreifen und zu küssen.

„Sebastian Oakfield, zu Ihren Diensten, Madame.“

Als er den Kopf wieder hob, schaute er ihr direkt in die Augen, und Emma erschauerte. Seine Augen waren leuchtend grün, wie ein Farbfleck in seinem sonnengebräunten Gesicht. Sie sah die feinen Fältchen in seinen Augenwinkeln – offensichtlich war er ein Mann, der gern lachte.

„Bitte lassen Sie die Hand der Sitt los“, sagte Ahmed und trat näher.

Sebastian wandte sich zu Ahmed, als sähe er ihn zum ersten Mal, aber ihre Hand ließ er nicht los.

„Verzeihen Sie meine Dreistigkeit“, sagte er, obwohl seine Miene keinerlei Reue zeigte. „Aber man sieht nicht oft eine Frau den Nil hinabsegeln, die an Schönheit Nefertari gleichkommt.“

Bei diesem Kompliment kam Emma endlich wieder zur Besinnung. Sie zog ihre Hand aus seiner und trat einen Schritt zurück. Dabei versuchte sie, sich von seinen honigsüßen Worten unbeeindruckt zu zeigen. Schließlich war sie kein junges, unerfahrenes Ding mehr, sondern eine Frau von fünfundzwanzig Jahren. Obwohl sie nicht allzu viel von der Welt wusste, war es ihr klar, dass man den unaufrichtigen Komplimenten eines Gauners keinen Glauben schenken durfte. Einmal vielleicht … aber dann nicht mehr.

„Lass meine Passagierin in Ruhe, du Schuft“, sagte Mohammed und schlug Sebastian auf die Schulter. „Sie möchte nicht von Leuten wie dir belästigt werden.“

„Junge Damen wollen etwa nicht von kühnen und verwegenen Gentlemen umworben werden?“, sagte Sebastian zu Mohammed, aber er blickte sie dabei an.

„Woher kennen Sie diesen Mann, Mohammed?“, fragte Ahmed und stellte sich vor den nassen Neuankömmling.

Emma trat einen Schritt vor. Die Antwort wollte sie sich nicht entgehen lassen.

Mohammeds Gesicht wurde plötzlich ernst, als er sagte: „Ich schulde Mr. Oakfield mein Leben – ohne ihn wäre ich nur ein verwesender Leichnam in der Wüste.“

Emma blickte zu Mr. Oakfield, der sich anscheinend etwas unbehaglich bei dieser Enthüllung fühlte. Offenbar war er ein Mann, der ein ernst gemeintes Lob, das er nicht einfach weglachen konnte, nicht gut aushielt.

„Vor drei Jahren wurde ich in der Wüste von Banditen angegriffen. Sie nahmen mir alles – mein Geld, meine Kleider und mein Pferd. Dann ließen sie mich zurück, und ich musste meinen Weg zu Fuß fortsetzen. Das ist selbst für einen halb so alten Mann wie mich ein lebensgefährliches Unterfangen. Doch Mr. Oakfield fand mich und brachte mich in Sicherheit.“ Mohammed hielt kurz inne. Dann fuhr er fort: „Außerdem half er mir, die Banditen aufzuspüren. Sie sitzen jetzt im finstersten Kerker von Kairo.“

Mohammed lächelte flüchtig, bevor sich abwandte. Emma wollte gerade etwas sagen, da ließ ein Schrei alle aufhorchen und zum Ufer schauen. Die sechs Verfolger in ihren weißen Gewändern gestikulierten wild in ihre Richtung. Offensichtlich hatte jedoch keiner von ihnen die Absicht, sich nass zu machen.

„Was haben Sie eigentlich angestellt, Mr. Oakfield?“, fragte Emma, denn die Neugier ließ ihr keine Ruhe. Es musste etwas äußerst Gewagtes gewesen sein, dessentwegen ihn sechs sehr wütend aussehende Männer mit Krummsäbeln verfolgten.

„Sie meinen, abgesehen davon, dass ich mein Herz an die bezauberndste Frau nördlich des Äquators verloren habe?“

„Sie haben mich doch gerade erst kennengelernt, Mr. Oakfield. Hoffentlich sind Sie keiner von diesen törichten Männern, die an Liebe auf den ersten Blick glauben.“

„Dumm, liebeskrank …“

Sie schnaubte verächtlich. Mr. Oakfield brachte ihre wenig damenhafte Seite zum Vorschein.

„Haben Sie sich beim Sprung in den Nil den Kopf gestoßen?“

Er sah so aus, als wolle er es leugnen.

„Ich hoffe, dass es so war“, murmelte sie.

„Könnten wir noch einmal von vorne beginnen?“, fragte Sebastian.

Emma nickte huldvoll.

„Sebastian Oakfield, zu Ihren Diensten, Madame.“

„Nun sagen Sie mir, Mr. Oakfield, warum haben Sie Ihr Leben riskiert und sind in einen der gefährlichsten Flüsse der Welt gesprungen?“

Sebastian lächelte sie an, und Emma spürte, dass ihre abweisende Fassade einen Riss bekam. Er war ein sehr gut aussehender Mann. Sein Lächeln war betörend. Ein entwaffnendes, ansteckendes Lächeln.

„Ich bin froh, dass Sie gefragt haben, Miss …?“

„Knight. Emma Knight.“

„Miss Knight“, wiederholte er mit leiser, verführerischer Stimme. Ein Schauer lief ihr den Rücken hinunter, trotz der Wärme des Spätnachmittags. „Möchten Sie gern etwas ganz Besonderes sehen?“

Emma ließ sich von ihm zu den Kissen führen, auf denen sie gesessen hatte, bevor er an Bord gekommen war. Er setzte sich und bedeutete ihr, neben ihm Platz zu nehmen. Obwohl es Ahmed offensichtlich missfiel, sank Emma auf die Kissen. Sie hielt den Atem an, als Sebastian in die Tasche griff, die er über die Schultern geschlungen hatte, und einen kleinen Gegenstand herauszog.

„Hier“, sagte er und legte ein erstaunlich schweres Objekt in ihre Hand.

Emma drehte es hin und her und betrachtete es von allen Seiten. Es war wunderschön, aus einem dunkelgrauen, ihr unbekannten Stein gearbeitet. Die Form war die eines Menschen, dessen Gesichtszüge man erkennen konnte, und auch die Einzelheiten seines aufwendigen Kopfschmucks waren nach all den vielen Jahren noch deutlich zu sehen.

„Es ist ein …“

„Uschebti“, fiel Emma ihm ins Wort.

Sebastian schaute sie verwundert an.

„Spätes drittes Jahrhundert vor Christus, wenn ich mich nicht irre. Ich schätze, er stammt aus dem Grab eines sehr reichen Mannes.“

Emma blickte Sebastian an. Für einen Moment fehlten ihm offenbar die Worte. Das kam sicher nicht sehr oft vor.

„Woher wissen Sie das?“, fragte er.

Emma zuckte mit den Schultern. „Ich habe mich ein bisschen mit dem Thema beschäftigt.“

Das war eine Untertreibung. Ägyptologie war früher einmal nur ihr Hobby gewesen, aber in den letzten Jahren war sie zu einer Art Zuflucht geworden. Als alles andere freudlos und leer erschien, wurde die Ägyptologie ihre Rettung.

„Wie sind Sie an dieses Stück gekommen?“

Sebastian schaute sie einen Moment an, als überlege er, ob er ihr die Wahrheit sagen konnte.

„Es lag einfach so herum“, sagte er achselzuckend.

Die Antwort enttäuschte sie. Sie wollte, dass er ehrlich zu ihr war, egal wie unbequem die Wahrheit auch sein mochte. Sie hatte so viele Lügen von Männern gehört, dass es bis ans Ende ihres Lebens reichte. Er war also auch nur ein Mann, der lieber log, als die Wahrheit zuzugeben. Wenn sie in Kairo ankamen, würde sie ihn aus ihrem Gedächtnis streichen, obwohl es ihr schwerfallen würde, den Blick zu vergessen, mit dem er sie lächelnd anschaute.

2. KAPITEL

Sebastian beugte sich näher zu der entzückenden Miss Knight und steckte ihr eine lose Haarsträhne hinter das Ohr. Erstaunt merkte er, dass sie erstarrte und von ihm abrückte. Er runzelte die Stirn. Eigentlich war er recht gut darin, in den Gesichtern und Verhaltensweisen anderer Menschen zu lesen. Noch vor wenigen Minuten, als er sich ihr vorstellte, hatte er ziemlich sicher ein gewisses Amüsement in Miss Knights Augen erkannt. Nun wirkte sie plötzlich geradezu eisig. Was hatte er getan, um diese Veränderung zu bewirken?

„Es ist ein gut erhaltenes Stück“, bemerkte Emma und strich mit dem Daumen über den Uschebti in ihrer Hand. „Bringt sicher eine Menge Geld ein.“

Ein paar hundert Pfund. Genug, um ihn mehrere Monate über Wasser zu halten.

„Und historisch bedeutsam. Es ist wirklich schade“, überlegte sie.

„Schade?“

„Dass er gleich auf dem Grund des Nils liegen wird.“

Mit einer raschen Bewegung beugte sie sich über den Rand der Feluke und hielt den Uschebti über das Wasser.

Er stürzte auf sie zu und packte ihr Handgelenk. Immer noch hielt sie die Statuette, aber sie brauchte nur den Griff ihrer Finger zu lösen, um sie auf Nimmerwiedersehen im Nil zu versenken.

„Ich mag es nicht, wenn man mich belügt“, sagte sie.

Sebastian hätte fast gelacht. Sie tat das, weil er sie angelogen hatte?

„Wie sind Sie in den Besitz eines solchen Stücks gekommen?“

Er bewegte sich ein wenig, fühlte dabei ihren Körper auf köstliche Weise an seinem. Wenn er nicht vorsichtig war, würde gleich ihr betagter Leibwächter ihm wegen solch schlechten Benehmens einen Dolch an die Kehle halten.

„Ich hatte eine Schriftrolle“, sagte er. „Darin wurde eine Kammer unter dem Tempel des Horus beschrieben.“

Interesse flackerte in ihrem Blick auf, und er entspannte sich. Diese Frau liebte Ägypten. Sie würde kein historisch bedeutsames Stück in den Nil werfen.

„Eine Woche lang habe ich danach gesucht, und heute hatte ich Glück.“

„Und was ist mit den Männern, die hinter Ihnen her waren?“

Er zuckte mit den Schultern. „Sie hatten mein Interesse an dem Tempel beobachtet und wollten den Uschebti für sich selbst. Auf dem Markt für echte, alte ägyptische Artefakte ist grundsätzlich die Nachfrage größer als das Angebot. Zweifellos arbeiten diese Männer für einen der Antiquitätenhändler in Kairo, die so etwas unter der Hand verkaufen.“

„War noch mehr in der Kammer?“

Er hörte die Aufregung in ihrer Stimme und war begeistert. Er ließ ihr Handgelenk los und lehnte sich entspannt zurück.

„Der Eingang lag unter einer großen Steinplatte verborgen. Nachdem ich es endlich geschafft hatte, den Stein zu verrücken, entdeckte ich dahinter eine schmale Treppe.“

Er sah, dass Emma unwillkürlich die Hand ins Boot zurückzog und die Statuette an sich drückte. In ihren Augen brannte offensichtlich die gleiche Leidenschaft, die er fühlte, wenn er über Archäologie sprach.

„Ich nahm eine brennende Fackel mit hinunter, um die Kammer zu beleuchten. Im flackernden Licht sah ich die herrlichsten Malereien an den Wänden.“

„Waren sie farbig?“

Er nickte.

Sehnsüchtig schaute sie zurück zum Tempel des Horus.

„Alle Bilder, die ich bisher in Ägypten gesehen habe, waren den Elementen ausgesetzt“, sagte sie erklärend. „Die Farben sind verblasst. Für mein Leben gern würde ich etwas so gut Erhaltenes sehen.“

Beinahe hätte er ihr versprochen, sie zu der Kammer unter dem Tempel zu bringen, aber zum Glück hielt er sich gerade noch zurück, bevor die Worte draußen waren. Er hatte wirklich keine Zeit übrig, um einer naiven Engländerin als Reiseführer zu dienen. Auch wenn sie besonders hübsch war, war sie für ihn tabu. Sie gehörte eindeutig zur Upper Class, und sein Leben als Gentleman in England hatte er schon vor vielen Jahren hinter sich gelassen. Auf keinen Fall würde er mit einer unverheirateten, unschuldigen jungen Frau flirten, auch wenn er es nur zu gern getan hätte.

So eine Frau wie Emma Knight hatte sein Vater sich vor vielen Jahren für seinen Sohn gewünscht. Zierlich, blond, hübsch und unschuldig. Eine echte „englische Rose“. Damals hatte er alle Vorschläge abgelehnt, und heute war er zu erfahren und lebensklug, um sich von einem hübschen Gesicht und begeisterten Lächeln aus der Fassung bringen zu lassen.

„Ich würde Ihnen ja gern anbieten, Sie zu der Kammer zu bringen“, sagte Seb mit weicher Stimme, „aber dummerweise bin ich nicht sicher, ob ich dort willkommen wäre …“

Sie nickte, offensichtlich enttäuscht, so gut erhaltene altägyptische Wandmalereien zu verpassen.

„In der Kammer standen mehrere Statuen, und auf einer erhöhten Plattform lag der Uschebti.“

Emma sah hinab auf die Statuette in ihren Händen und strich mit den Fingerspitzen noch ein letztes Mal über die Gravuren. Dann hielt sie sie ihm entgegen.

Er bedankte sich und packte das Artefakt wieder in die Tasche.

„Werden Sie es verkaufen?“, fragte Emma.

Er nickte.

„Mir würde es schwerfallen, etwas so Schönes wegzugeben.“

Seb zuckte mit den Schultern. Früher einmal, vor vielen Jahren, hatte er ebenso empfunden, aber er konnte es sich nicht mehr leisten, sentimental zu sein. Er musste ein Geschäft leiten und hatte Mitarbeiter, deren Lebensunterhalt davon abhing, dass er die Artefakte verkaufte, die sie fanden. Er konnte nicht sein Herz daran hängen.

Mohammed rief etwas vom Bug aus und zeigte nach vorn.

„Kairo“, erklärte Seb. „Sind Sie zum ersten Mal hier?“

Emma nickte. Ihre Augen strahlten vor Aufregung.

„Dann sollten Sie das hier nicht verpassen.“

Seb stand auf und reichte ihr die Hand, um ihr beim Aufstehen zu helfen. Sie stellten sich an die Seite des Bootes und sahen zu, wie die Stadt langsam vor ihren Augen größer wurde.

Als Seb vor zehn Jahren England verlassen hatte, war er ziellos von Ort zu Ort gezogen, ohne zu wissen, wo er wohnen würde oder womit er sein Geld verdienen sollte. In einer ähnlichen Feluke wie dieser war auch er den Nil hinabgesegelt, aber als er Kairo auftauchen sah, hatte er gewusst, dass er angekommen war.

„Es ist wunderschön“, sagte Emma.

Seb hatte schon vieles über Kairo gehört, aber normalerweise war „wunderschön“ nicht die erste Reaktion derjenigen, die die Stadt zum ersten Mal erblickten. Die meisten Leute, die gerade frisch aus England kamen, fanden Kairo schmutzig und staubig. Nur wenige erkannten das Juwel mitten in der Wüste, den Charme der weiß getünchten Gebäude und engen Straßen.

„Dies ist erst der Anfang“, sagte er leise zu Emma. Sie wandte sich ihm begeistert strahlend zu.

„Ich will alles sehen“, rief sie. „Ich kann noch gar nicht glauben, dass ich wirklich hier bin.“

Seb sah ihr zu, wie sie zu der staubigen Stadt blickte. Was machte eine Lady aus gutem Hause wie sie überhaupt hier, so weit von zu Hause entfernt? Es gab viele Europäer in Kairo – seit ein paar Jahren interessierte man sich im Westen für die Dinge, die die Stadt zu bieten hatte – aber unverheiratete junge Frauen ohne richtige Begleitung und ohne Anstandsdame sah man nicht gerade oft.

Er blickte zu Emmas bejahrtem Beschützer. Wenn er sich nicht sehr irrte, stammte er aus Ägypten. Er bewachte seine junge Herrin wie ein Falke, aber Seb befürchtete, dass er im Ernstfall kein großer Schutz wäre. Und er schätzte Miss Emma Knight nicht als eine Person ein, die sich aus Gefahrensituationen heraushielt.

„Was haben Sie in Kairo vor?“

Zum ersten Mal, seit er sie getroffen hatte, bemerkte er einen vorsichtig zurückhaltenden Ausdruck auf Emmas Gesicht, und sie sah ihn misstrauisch an.

„Wir werden bei Colonel und Mrs. Fitzgerald wohnen“, sagte sie zögernd. „Sie waren Freunde meines Vaters und haben versprochen, mir zu helfen, wenn ich verschiedene Tempel und Gräber besichtigen möchte.“

Interessant. Wenn er sich nicht täuschte, hatte sie Pläne, von denen er nichts wissen sollte.

„Mrs. Fitzgerald ist der Mittelpunkt von Kairos Gesellschaftsleben.“

Emma sah ihn fragend an. „Es gibt ein Gesellschaftsleben in Kairo?“

Er lachte. „Natürlich nicht so, wie Sie es aus London kennen.“

„Gehören Sie auch dazu?“

Seb schaute sie wieder an. Bei jeder anderen Frau, die so eine Frage stellte, hätte er vermutet, dass sie mit ihm flirten wollte, aber Emmas Gesichtsausdruck war arglos. Sie wollte es wirklich nur wissen.

„Als missratener Sohn eines englischen Lords? Ich bin der Ehrengast bei diesen Veranstaltungen. Die Gemeinschaft hier liebt einen kleinen Skandal von Zeit zu Zeit.“

Er sah, dass sie ein langes Gesicht machte, als sie das Wort „Skandal“ hörte. Vielleicht lief sie ja auch vor etwas fort? Allerdings konnte er sich nicht vorstellen, dass diese Frau in irgendetwas verwickelt war, worüber es sich lohnte zu tratschen. Sie hatte ein so offenes, süßes Gesicht.

Zu weiteren Erkundigungen blieb ihm keine Zeit mehr. Mohammed rief etwas, und sofort war Seb auf den Beinen und half seinem alten Freund, die Feluke zum Landungssteg zu steuern.

Seb atmete den Geruch dieser Stadt ein. Er war zu Hause in Kairo. Er liebte die Reisen durch Ägypten auf der Suche nach verschollenen Tempeln oder Gräbern und den Schätzen der alten Pharaos, aber am glücklichsten war er immer in Kairo.

Als die Feluke sicher vertäut war, wartete Seb noch, während Ahmed und Emma sich darauf vorbereiteten, an Land zu gehen.

„Vorsicht, es gibt eine Lücke“, sagte er. „Fallen Sie nicht.“

Emma schürzte ihre Röcke und hob ein Bein, um über den Rand der Feluke zu steigen. Bevor sie noch mit dem Fuß den Steg berührte, konnte Seb sehen, dass sie fallen würde. Sie stolperte und wäre beinahe ins Wasser gestürzt, wenn er sich nicht unwillkürlich vorgebeugt und sie in seinen Armen aufgefangen hätte. Er hob sie über die Seite des Bootes und setzte sie vorsichtig auf dem Holzsteg ab. Dabei drückte sie sich an ihn, und er fühlte, dass sie leicht zitterte. Sie sah zu ihm auf, ihre blauen Augen glänzten in der Sonne, ihre Lippen waren leicht geöffnet.

Unwillkürlich senkte Seb den Kopf. Den linken Arm hatte er um ihre Taille gelegt. Mit der rechten Hand strich er ihr eine Haarsträhne von der Stirn und steckte sie hinter ihr Ohr. Es war eine irgendwie intime Geste, und er spürte, dass Emmas Körper auf ihn reagierte. Er war sicher, dass sie in diesem Moment geküsst werden wollte. Und er wollte sie nur zu gern küssen. Aber er war nicht so dumm, seinen sinnlichen Bedürfnissen nachzugeben.

Widerstrebend ließ er sie los. Emma hielt den Kopf tief gesenkt. Offenbar wollte sie seinem Blick nicht begegnen. Und er sah, dass ihre Wangen sich röteten.

„Vielen Dank, dass Sie mich aufgefangen haben“, sagte sie und sah ihn wieder an.

Seb schluckte. Sie war alles, was er nicht haben konnte, aber in diesem Augenblick war sie alles, was er wollte.

3. KAPITEL

Es ist viel zu gefährlich für eine junge Frau aus gutem Haus, ohne passende Begleitung in der Wildnis von Ägypten umherzuziehen“, sagte Mrs. Fitzgerald. Die übrigen Gäste am Tisch murmelten zustimmend.

„Ich wäre nicht allein, Ahmed würde mitkommen“, protestierte Emma.

„Es wäre trotzdem nicht richtig. Wenn ich Ihnen erlauben würde, sich einem solchen Risiko auszusetzen, würde Ihr verehrter Herr Papa mir das niemals verzeihen.“

Emma erwähnte nicht, dass ihr verehrter Papa längst tot war, obwohl sie es gern getan hätte. Oder dass er den größten Teil seiner Jugendjahre damit verbracht hatte, ihre Mutter von einem Camp zum anderen zu schleppen, um diese oder jene neue historische Entdeckung zu erforschen.

„Es ist auf jeden Fall besser, wenn Sie hier in Kairo bei uns bleiben“, meinte Mrs. Fitzgerald. „Wir helfen Ihnen gern, einen Besuch im neuen Museum der Antike zu organisieren. Und Sie können die Pyramiden aus der Nähe sehen.“

Emma nickte und versuchte ihr Bestes, Begeisterung zu zeigen. Ganz gewiss hatte Kairo ihr viel zu bieten. Seit Jahren bewunderte sie schon Gemälde der Pyramiden und hatte immer von dem Tag geträumt, an dem sie sie mit eigenen Augen sehen konnte. Doch dies hier war ihr eigenes Abenteuer, und sie würde nicht zulassen, dass Mrs. Fitzgerald sich ihr in den Weg stellte, wenn sie die weniger zugänglichen Gebiete Ägyptens besuchen wollte.

„Findest du das nicht auch, mein Lieber?“ Mrs. Fitzgerald wandte sich an ihren Gatten, der schweigend neben Emma saß.

„Ja, selbstverständlich“, antwortete er, ohne von seinem Teller aufzusehen. „Viel zu gefährlich.“

Mrs. Fitzgerald nickte triumphierend und wechselte das Thema.

„Ich kenne genau den richtigen Führer für Sie“, sagte Colonel Fitzgerald leise. Emma sah ihn an, aber er verzog keine Miene. Seine Frau würde es ihm sicher nicht verzeihen, wenn er sich gegen ihren Rat stellte.

„Vielen Dank“, flüsterte Emma.

„Wie lange beabsichtigen Sie hier zu bleiben, Miss Knight?“, fragte Sir Henry, ein stattlicher älterer Gentleman.

„Mindestens ein paar Monate“, sagte sie. „Mein Vater sprach unablässig über Ägypten und Kairo, als ich noch ein Kind war. Nun, da er von mir gegangen ist, möchte ich selbst gern erleben, wovon er mir erzählt hat.“

„Schade, dass ein Mädel wie Sie keinen Gatten hat, um Sie zu den Sehenswürdigkeiten zu begleiten“, sagte Sir Henry und hob die Augenbrauen auf eine Art, die er vermutlich für vielsagend hielt.

Emma versuchte, nicht gereizt zu reagieren und Ruhe zu bewahren. Sie war jetzt fünfundzwanzig und damit nach Ansicht ihrer gesellschaftlichen Kreise kaum noch im heiratsfähigen Alter. Noch vor wenigen Jahren hätte so ein Kommentar wie der von Sir Henry sie verletzt, aber mittlerweile war sie beinahe abgestumpft dagegen. Wahrscheinlich würde sie nie heiraten und eine Familie gründen, obwohl sie es sich früher einmal gewünscht hatte.

„Auch wenn Sie nicht mehr in der ersten Blüte Ihrer Jugend stehen, würden sicher viele Männer Sie noch wollen. Besonders die etwas älteren.“

Emma begriff, dass er von sich selbst sprach. Sie warf einen Blick auf ihn und hätte beinahe das Gesicht verzogen. Nicht, weil sie glaubte, dass nur das Äußere wichtig war. Nein, sie hätte lieber einen Mann mit einem guten Herzen als jemanden mit markantem Kinn und starken Muskeln, aber sollte man einen potenziellen Ehemann nicht wenigstens ein klein wenig anziehend finden?

„Miss Knight will seit dem Vorfall gar nicht mehr heiraten“, flüsterte Mrs. Fitzgerald so laut, dass jeder es hören konnte.

Emma spürte, wie ihr Hitze in die Wangen stieg, und schaute sich hilfesuchend um. Es war nicht ihre Absicht gewesen, unverheiratet zu bleiben. Es war ihr verlogener Verlobter gewesen, der andere Pläne gehabt hatte.

„Ach ja, sehr schade“, sagte Sir Henry. „Aber der richtige Mann würde so eine kleine Indiskretion übersehen.“

Emma lächelte höflich und überlegte, ob sie eine Ohnmacht vortäuschen sollte. Oder sich auf ihren Teller übergeben. Alles, um von diesem Gesprächsthema wegzukommen.

„Wir machen doch alle mal einen Fehler. Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein, Miss Knight.“ Sir Henry beugte sich zu ihr und lächelte sie aufmunternd an.

Emma schaute sich in dem gut besuchten, eleganten Restaurant um, um irgendeine Möglichkeit zu finden, diese Konversation zu beenden. Ihr Vater hatte sie einmal gewarnt, dass die in Ägypten lebenden Engländer weniger feinfühlig waren und einem Dinge lieber ins Gesicht sagten, als hinter deinem Rücken darüber zu tuscheln. Seiner Meinung nach lag es daran, dass die englische Gemeinde dort so klein war und jeder jeden genau kannte. Damals hatte Emma gedacht, es könne erfrischend sein, wenn die Menschen nicht hinter ihrem Rücken über sie sprachen. Doch in diesem Moment hätte sie alles dafür gegeben, die unerfreulichen Einzelheiten ihrer Vergangenheit nicht mit Leuten besprechen zu müssen, die sie erst seit wenigen Stunden kannte.

„Würden Sie mir die Ehre erweisen, mit mir zu tanzen?“, fragte Colonel Fitzgerald plötzlich.

Emma hätte ihn umarmen mögen.

„Aber wir hatten noch keinen Nachtisch“, protestierte seine Frau.

„Sicher wird das Dessert auf uns warten, bis wir wieder hier sind“, sagte der Colonel.

Er erhob sich und reichte Emma die Hand.

„Aber dein Herz …“, sagte Mrs. Fitzgerald.

„Dem fehlt nichts.“

Emma stand auf und ließ sich von dem älteren Colonel auf die Tanzfläche führen.

„Ich danke Ihnen“, sagte sie leise, als sie neben vier anderen Paaren langsam über das Parkett glitten.

Der Colonel nickte. „Bis wir zurück sind, haben sie ein anderes Gesprächsthema.“

Er hatte recht. Als Emma an den Tisch zurückkam, war sie erfreut, dass man nun über einen Ausgrabungsort ein paar Meilen außerhalb von Kairo sprach.

„Es geht das Gerücht, dass es das bedeutendste von allen sein könnte. Das Grab von Ramses.“

Einen Moment schwiegen alle, als sie überlegten, welche Feierlichkeiten es geben würde, falls wirklich Ramses’ Grab entdeckt worden war.

Die Unterhaltung ging weiter, und Emma wandte sich zu Colonel Fitzgerald, der gerade über gefälschte Artefakte sprach, die in großer Zahl den Markt überschwemmten und gutgläubige Amateursammler in England täuschten. Während er noch sprach, warf Emma einen Blick zur Tür. Plötzlich begann ihr Herz schneller zu schlagen. Ein Mann trat durch den breiten Eingang, als sei er gerade vom Wüstenwind hereingeweht worden. Sebastian Oakfield.

Als er merkte, dass sie ihn anstarrte, blinzelte er ihr zu, und sofort wurde sie tiefrot. Sie schaffte es mit Mühe, nicht sofort wegzuschauen oder die Hände vor das Gesicht zu schlagen, wie sie es am liebsten getan hätte. Stattdessen nickte sie ihm höflich zu und drehte sich langsam wieder Colonel Fitzgerald um.

Warum hatte der Mann eigentlich so eine Wirkung auf sie? Sie kannten sich doch erst kurze Zeit. Er war äußerst charmant, sicher, aber gerade das hätte normalerweise ihren Fluchtinstinkt auslösen sollen.

Emma schaute noch einmal kurz zur Tür und wäre beinahe vom Stuhl gefallen, weil er schnurstracks auf ihren Tisch zukam.

„Miss Knight“, sagte er mit leiser Stimme. „Welch ein Vergnügen, Sie wiederzusehen.“

Dann lächelte er in die Runde am Tisch, und Emma schüttelte den Kopf, um wieder zu klarem Verstand zu kommen.

„Meine Damen, welch eine Freude. So viele schöne Frauen, da weiß man gar nicht, wo man zuerst hinschauen soll.“

Die Damen am Tisch lächelten und kicherten, und Emma hätte schwören können, dass Mrs. Fitzgerald dem viel jüngeren Mann sogar zuzwinkerte.

„Colonel Fitzgerald, Sir Henry.“ Die beiden Männer erhoben sich und schüttelten dem Neuankömmling die Hand.

„Warum schließen Sie sich unserer kleinen Gesellschaft nicht an?“, schlug Mrs. Fitzgerald vor.

Emma schaute unentwegt nur auf ihre Hände. Sie hoffte, er würde sich nicht zu ihnen setzen, denn sie fürchtete um ihr sonst so klares Denkvermögen, wenn er in ihrer Nähe war.

„Ich möchte mich nicht aufdrängen …“

„Unsinn, wir würden uns freuen.“

Mehr Ermutigung brauchte Sebastian nicht. Er holte einen Stuhl und stellte ihn neben Emma. Sir Henry war gezwungen, weiter wegzurücken.

„Sie haben gar nicht erwähnt, dass Sie Mr. Oakfield schon kennengelernt haben“, sagte Mrs. Fitzgerald zu Emma.

Sebastian sah sie mit schockiertem Gesichtsausdruck an.

„Sie haben nichts von unserem gemeinsamen Abenteuer erzählt?“

Emma warf ihm einen warnenden Blick zu.

„Ein höchst erheiterndes Abenteuer“, bestätigte Sebastian.

Emma stöhnte. Jetzt würde Mrs. Fitzgerald sie erst recht nicht mehr aus den Augen lassen.

„Ich war gerade am Ufer des Nils beim Horustempel und ging meinen Geschäften nach …“

Unwillkürlich verdrehte Emma die Augen.

„Würden Sie die Geschichte lieber selbst erzählen, Miss Knight?“, fragte Sebastian.

„Ich bin nicht sicher, wie sie weitergeht“, sagte Emma.

Sebastian schmunzelte und fuhr fort: „Nun, da war ich also und ging meinen Geschäften nach. Plötzlich hörte ich einen Schrei, und bevor ich es versah, wurde ich von vierzig bis an die Zähne bewaffneten ägyptischen Banditen verfolgt.“

Emma stieß ungläubig die Luft aus und kämpfte darum, eine gleichmütige Miene beizubehalten. Ein Lächeln würde ihn nur ermutigen.

„Sind Sie sicher, dass es nur vierzig waren, Mr. Oakfield?“, fragte sie.

Sebastian legte den Kopf schräg und schien zu überlegen. „Doch, ich glaube, Sie haben recht. Es waren wohl eher an die fünfzig Männer.“ Er zuckte mit den Schultern. „Das ist aber unwichtig. Vierzig, fünfzig, vierhundert, egal wie viele. Es waren sehr viele Banditen, und ich war nur allein.“

Emma schaute am Tisch umher. Er hatte sie alle in seinen Bann geschlagen.

„Ich schaute nach links und ich schaute nach rechts, aber es gab keinen Ausweg. Ich dachte, mein letztes Stündlein hätte geschlagen und ich würde bald die Engel im Himmel singen hören.“

Ich bin bestimmt nicht die Einzige, die nicht so ganz daran glaubt, dass Sebastian Oakfield in den Himmel kommt, dachte Emma.

„Dann fiel mein Blick – quer über sechzig Fuß reißenden Nilwassers hinweg – auf ein himmlisches Wesen, und ich wusste, ich war gerettet. Ich sprang in den Fluss und schwamm unter der Oberfläche, bis ich dachte, es zerreißt mir die Lunge. Als ich endlich auftauchte, lud mich Miss Knight ein, an Bord ihrer Feluke zu kommen.“

Emma hatte das anders in Erinnerung, aber sie musste zugeben, dass Sebastian ziemlich redegewandt war.

„Aber ich war noch nicht außer Gefahr. Der niederträchtige Besitzer der Feluke drohte mich aufzuschlitzen, bevor ich noch Luft holen konnte. Im Angesicht des sicheren Todes schloss ich die Augen und wartete auf das Unvermeidbare, doch dann stellte ich erstaunt fest, dass Miss Knight sich meinetwegen vor den Säbel des Mannes geworfen hatte.“

Mrs. Fitzgerald schnappte hörbar nach Luft, und Emma stöhnte leise. Nun würde man sie für die Dauer ihres Aufenthalts nicht mehr aus dem Zimmer, geschweige denn aus Kairo, fortgehen lassen.

„Miss Knight überredete den Piratenkapitän, mein Leben zu verschonen und mich sicher nach Kairo zu bringen. Ich stehe für immer in ihrer Schuld.“

Autor

Laura Martin
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